Mitgetheilt von dem Dritten im Bunde.

Aus dem Leben und den Schriften des Magisters Herle, und seines Freundes Mänle.

Landshut, 1842

v. Vogel'sche Verlagsbuchhandlung

Auf meiner letzten Ferienreise, durch das freundliche Oberschwaben, kam ich auch in das ehemalige Reichsstädtlein J**. Da gewahrte ich im Stadtzollhäuschen einen Zudrang von vielen Menschen, die, wie ich bemerkte, daselbst einer Versteigerung wegen sich versammelt hatten. Auf mein Befragen: was da Köstliches in Aufstreich gegeben werde? ward mir zur Antwort: »Nichts als lumpiger Hausrath nebst einigen lumpigen Büchern. Es gehe aber Alles theuer genug weg, fuhr der Befragte fort, gleichsam als wären es Kleinodien und Reliquien; denn da der Verstorbene Alles schuldig geworden, so wollten dessen Gläubiger doch etwas davon haben, was jeden Falls besser wäre, als gar nichts; zudem sey der Selbige ein lustiger Kauz gewesen, von Jedermann wohl gelitten, weßhalb man denn gerne von ihm ein Andenken erhalten wolle.«

Als ich von alten Büchern hörte, ich, der ich keine Trödelbude vorbei gehen kann, ohne nach dergleichen Plunder zu fragen und zu suchen – so mischte ich mich unter die Steigerungslustigen, und trat ein. Ein leichter Ueberblick des Vorraths bestätigte vollkommen die Aussage jenes Mannes; auch wurde der lumpige Kram unter Schäckern und Lachen, hoch und theuer genug ersteigert. Mich zogen indessen allein die Bücher an, die ich vorläufig durchmusterte. Es war gutes altes Zeug darunter. Am meisten aber interessirten mich ein Paar Manuscripte; das eine führte den Titel: »Philologische Belustigungen;« das andere: »Aus dem Leben und den Schriften des Magisters Herle und seines Freundes Mänle.« Und als es nun zuletzt an die Feilbiethung des literarischen Nachlasses kam, nahm ich keinen Anstand, sogleich einige Dukaten für das Ganze zu biethen, das mir denn auch, nicht ohne höhnisches Lächeln der Zuschauer, gegen baare Bezahlung ohne Einspruch zugeeignet wurde.

Mit meinem Fang wohl zufrieden, ließ ich sogleich Alles – es war eben nicht viel – in's Gasthaus zur Post schaffen, wo ich zu übernachten gedachte.

Es gefiel mir in diesem Hause. Ich traf hier, was auf dem Lande und in kleinern Städten nichts Seltenes ist, eine patriarchalische Wirthschaft, wo die Familie ihr Familienleben ungestört fortführt unter und neben den Gästen, die eben auch, obgleich Fremde, sogleich und in Allem als Familienglieder betrachtet und behandelt werden. Der alte Posthalter, ein noch rüstiger Greis, führte das Commando über Haus, Hof und Feld, wie aus dem Kommen und Gehen der dienstbaren Geister zu ersehen war, die seine Befehle einholten; seine Tochter, die an den Schulmeister des Orts verheirathet war, hatte die nächste Aufsicht über Küche, Keller und Gelaß; der Schulmeister selbst, sein Schwiegersohn, besorgte das Postbureau, stellte die Rechnungen des Hauses, und führte die Correspondenz. Alles hatte seinen ruhigen, geregelten Gang. Ich speiste Abends an dem Wirthstische, an der Seite dieser wackern Menschen, und umgeben von den schönen, gesunden, wohlerzogenen Enkeln des Posthalters, der seine Augenweide und Herzenslust an ihnen hatte.

Ich ging bei Zeiten auf mein Zimmer; denn mich trieb die Neugierde, die erstandenen Manuscripte genauer zu mustern. Leider mußte ich bald erfahren, daß ich mich in Ansehung der »philologischen Belustigungen« arg getäuscht und geprellt hatte. Denn es war dieselbe Schrift, die bereits im Jahre 1824 bei Joseph Lindauer in München (in Commission) erschienen war, wie mich ein gebundenes Exemplar unter den angekauften Büchern belehrte. Doch war immerhin schon die Entdeckung des Verfassers einen Dukaten werth, und ich hoffte zumal meinem Freunde, dem Universitäts-Bibliothekar **, mit dieser Mittheilung keine geringe Freude zu machen. Original, authentisch und ungemein interessant war dagegen die andere Handschrift: »Aus dem Leben und den Schriften des Schulmeisters Herle.« Denn je weiter ich las, desto mehr ahndete, hoffte, vermuthete ich: es sey der Held der Geschichte kein Anderer, als des Posthalters Schwiegersohn, der Schulmeister selbst in effigie. Ich konnte nicht mehr anders; ich mußte sogleich Gewißheit haben; ich ließ noch spät Abends den Mann auf mein Zimmer bitten. Er kam. Es entspann sich ein Gespräch, das ich, wie ein Inquisitor einleitete.

Sie heißen Fidelis Herle?

»Zu dienen, mein Herr!«

Sie waren, Sie sind noch der Schulmeister des Orts?

»Ja, mein Herr! seit zwanzig Jahren.«

Sind sie nicht früher einmal Präceptor an der lateinischen Schule zu ** gewesen?

»Nicht ein volles Jahr lang. Aber wie kann Sie dieß interessiren?«

Sie hatten dort häufigen Umgang mit einem gewissen Crispinus Mänle?

»Er war mein Freund; es ist derselbe, dessen Tod ich seit sechs Wochen beklage und dessen kleine Verlassenschaft heute versteigert worden. Aber, mein Herr! woher wissen Sie denn dieß Alles.«

Ich weiß noch mehr; ich kenne Ihre Pläne, die Sie damals gehabt, Ihre Studien, die Sie getrieben, Ihr ganzes Verhältnis zu dem Rektor und dessen Tochter Doris. Doch genug für Heute. Morgen das Weitere! Also gute Nacht!

Er ging, nachdem er mich noch einmal mit großen Augen gemessen. Ich aber nahm sogleich wieder mein Manuscript vor, und ich las – mit desto größerem Interesse, da der Schauplatz der Handlung und die handelnden Personen zum Theil selbst vor meinen Augen standen – bis in die tiefe Nacht hinein, und durchwachte die übrige Zeit unter angenehmen Empfindungen, Plänen und Hoffnungen.

Des andern Morgens in aller Frühe trat der Schulmeister wieder in mein Zimmer, sein ungefähr zwölfjähriges Töchterlein an der Hand, das mir schönen, guten Morgen wünschte, und, im Namen der Mutter, fragte, was mir für ein Frühstück, und wann es mir gefällig sey? Ich fragte das Kind, wie es heiße? »Bärbele,« antwortete sie. »Also, wie die Mutter?« Das Kind nickte freundlich lächelnd. »Sie ist auch, sagte der Schulmeister, das leibhafte Ebenbild der Mutter.« »So gib mir denn ein Küßchen,« sagte ich zum Mädchen. Sie schüttelte freundlich den Kopf. »Im Namen der Mutter!« »»Ich muß aber zuerst die Mutter fragen,«« sagte sie, und lief davon.

Sobald wir allein waren, nahm der Schulmeister das Wort. »Das gestrige Gespräch, sagte er, beschäftigte, ja beunruhigte mich lange Zeit. Wie kennen Sie doch, da Sie doch hier ganz fremd zu seyn scheinen, meinen Namen, meine Schicksale, in's Besondere mein Verhältniß zu dem Rektor und zu seiner Doris?«

»Hier – sagte ich, indem ich ihm die Handschrift hinschob – steht ja Alles ausführlich in Ihrer Biographie, welche Ihr Freund verfaßt hat.«

»Er wird doch nicht? – erwiederte der Schulmeister, indem er flüchtig in der Handschrift blätterte, und ein über das andere Mal lächelnd den Kopf schüttelte – der Schalk! Ja, das sieht ihm ganz gleich. Hat er ja auch meinen Briefwechsel herausgegeben, den ich mit einem andern Freund geführt, und den er diebischer Weise unterschlagen hat! Sie kennen vielleicht die philologischen Belustigungen, wie er sie zu nennen beliebt hat?«

Leider! sagte ich seufzend.

»Er hat pures Makulatur drucken lassen, und er ist deshalb von mir oft genug ausgelacht worden. Er aber schalt dann auf die Barbarei des Zeitalters und des Volkes, das keinen Geschmack hätte an solchen soliden und zugleich artigen Dingen. Ich meines Theils ließ ihn gewähren; denn jene Zeit, mit ihren Thorheiten, lag schon weit hinter mir, und ich bin mir seitdem selbst ganz fremd geworden.«

Inzwischen war das Frühstück aufgetragen worden. Wir beide genossen es zusammen, während wir das Gespräch lebhaft fortsetzten. Da ich wünschte, von den weitern Schicksalen seines verlebten Freundes zu hören, willfahrte er mir mit Folgendem:

»Sie wissen, daß er, mit seinem Vetter, das Geschäft eines Antiquars betrieb. Er setzte es zwar noch einige Zeit nach dem Tode desselben fort, allein das wenige Vermögen schwand immer mehr unter seinen Händen, so daß er zuletzt in bedeutende Verlegenheiten gerieth. Desto lieber folgte er meiner Einladung hieher, wo er denn um den erledigten Dienst eines Stadtzöllners sich bewarb, damit er, wie er sagte, einen festen Sitz habe, was ihm bei seinem Zipperlein vor Allem nothwendig sey. So verlebte er seine letzten Jahre dahier in einem Zustande, der zwischen stoischer Entbehrung und epikuräischem Wohlleben hin und her schwankte. Sein unerschöpflicher Humor machte ihn allen Menschen angenehm, und mir blieb er der treueste Freund bis an sein Ende.«

Das Geschäft rief den Schulmeister ab. Ich blieb noch den ganzen Tag bei den guten, trefflichen Menschen, um das Conterfei eines altväterlichen Lebens recht in's Auge und in's Herz zu fassen.

Diesen kurzen Vorbericht glaubte ich voraus schicken zu müssen, um die Wahrheit und Echtheit dieser Geschichte dem Leser augenfällig zu machen, daß er sie nicht gar etwa für einen Roman halte und eitle Erdichtung. Ein »in fidem copiae« durfte ich wohl von dem Helden nicht verlangen noch erwarten, da er über Alles, was er früher geschrieben und getrieben, die vollste Gleichgültigkeit bezeigte. Aber um so unbedenklicher konnte ich auch, noch bei dessen Lebzeiten, das biographische Bruchstück herausgeben, da ich überzeugt bin, daß, wenn auch alle Welt es liest – und sie wird's lesen – er selbst nicht im mindesten Notiz davon nehmen wird.

Erstes Kapitel.

Die merkwürdige Geschichte, welche ich meinen Lesern mitzutheilen gedenke, fällt in den Anfang unsers Jahrhunderts, und hat zum Schauplatz vorerst das ehemalige Reichsstädtchen ** in Schwaben. Der Held der Geschichte ist und heißt Fidelis Herle, der Schulverweser allda. Namen und Charaktere der übrigen Personen wird der geneigte Leser gelegentlich erfahren, dann nämlich, wenn sie eben auftreten.

Indem ich nun so, als Geschichtsschreiber, wie der Dichter bei Schauspielen verfährt, von vorn herein die Äußerlichkeiten, Zeit, Ort und Personen bezeichne – den Titel hat der Leser ohnehin schon gelesen: – so erlaube man mir, daß ich mich nun hinter die Coulissen zurück ziehe, und die Personen, so gut es gehen mag, selbst agieren lasse.

Herle tritt auf. Er beschäftigt sich im Schulgarten mit Begießen der Pflanzen, mit Ausreuten des Unkrauts, mit Beschneiden und Säubern der Bäumchen in seiner Pflanzschule. In eine einfache, leichte Sommerkleidung gehüllt, erscheint er dem Zuschauer als ein schlanker, stattlicher Jüngling von ungefähr zwanzig Jahren, mit blonden Haaren, blauen Augen, von gebräuntem, leicht durchröthetem Angesicht und von ernster, doch wohlwollender Miene.

Indem er noch emsig beschäftigt ist mit seiner Gartenarbeit, klingelt leise das Glöcklein an der verschlossenen Gartenthür. Er schaut hin; er erblickt Niemanden. Es klingelt wiederum; er tritt näher, und nun bemerkt er eine wunderliebliche Erscheinung. Durch die, in Form eines Herzens durchbrochene Lücke an der Thür, die mit allerlei Schnörkeln verziert ist, strahlt ihm ein blühendes Mädchenantlitz entgegen, so mild lächelnd und fromm blickend, wie ein Madonnengesicht. Er weiß anfangs nicht, ist's Täuschung, ist's Wirklichkeit, ein Bildniß oder ein Phantom. Endlich wie er ganz nahe kommt, lacht das schäckernde Mädchen, und erhebt sich. »Bist du's, Bärbele? Du Schalk, du!« »Ei ja wohl bin ich's,« sagt das Kind, und übergibt ihm einen Brief, das große Insiegel ihm bedeutsam vorhaltend. Herle greift hastig nach dem Schreiben; dann sagt er: »Komm herein, und pflücke dir einstweilen einen Blumenstrauß, während ich lese.«

Herle liest. Mit jeder Zeile steigt ihm die Röthe mehr in' s Gesicht; er weiß sich vor Freude kaum mehr zu fassen. Er legt das Schreiben zusammen, er eröffnet es wiederum, und liest es abermals – dann, nachdem er noch ein Paar Gänge auf und ab gemacht, nähert er sich dem Mädchen, das sich so eben den Strauß windet, und sagt, indem er dessen Hand ergreift: »Bärbchen, nun müssen wir scheiden!« »Herr Jesus!« ruft das Kind erblassend; ihre Hand läßt den Strauß fallen, ihr Auge füllt sich mit Thränen, ihr Mund ist stumm und starr. Dann plötzlich, wie von einer Schreckensgestalt gejagt, wendet sie sich um, und läuft hinweg, laut weinend und jammernd.

Zehntes Kapitel.

Als sie in's Gasthaus traten, empfing der Wirth den Studiosus mit lautem, freudigen Willkomm; denn er wußte aus Erfahrung, daß Mänle wieder bei Geld sey und bezahle. »Siehst du, sagte dieser zum Freunde, wie lieb mich die Leute haben, wie sie sich nach mir sehnen und meiner nie vergessen. Das macht, daß ich ihnen von Zeit zu Zeit schuldig bleibe, und dann ihr Haus meide. So habe ich mir so ziemlich alle Wirthe der Stadt zu Freunden gemacht, und ich hoffe sie, die Theuern, fortan an mich zu fesseln.«

Unter diesen und ähnlichen Reden verging die Mittagsstunde, und Mänle begleitete seinen Freund bis an dessen Wohnung. Unterwegs nahm er sein Thema wieder auf, und fuhr fort, seine Leiden zu schildern, die er als Bücheresel (sein Ausdruck!) zu ertragen habe.

»Nachmittags – sagte er – geht's mir, wo möglich, noch ärger, als in den Vormittagsstunden. Weniger dringend ist zwar das Geschäft, aber die Gesellschaft desto lästiger. Alle Müßiggänger der Stadt harren ihre Verdauung ab in der Bibliothek. Nun ist, wie du weißt, während dieses Geschäfts der Mensch am langweiligsten; um so mehr Leute, die ohnehin den ganzen Tag kaum zwei oder drei leidentliche Einfälle haben. Ihr Gespräch wirkt aber auch manchmal auf mich, wie ein Vomitiv; und hätte ich in der That nicht die Roßnatur, ich wüßte nicht, wie ich es aushalten sollte.

Zwei Menschen nur werden mir meistens unausstehlich; und ich suche mich dann ihrer einfach dadurch zu entledigen, daß ich vorgebe, es treibe mich ein unaufhaltsames Bedürfnis fort, was denn auch, wenigstens figürlich genommen, wahr ist.

Der eine ist ein moralisirender Abbé, ein runder, dicker Mann, mit einer Baßstimme, die einem Nachtwächter anzugehören scheint. Dieser schwätzt mir täglich von dem unsittlichen Gräuel mancher Bücher vor; er versichert mich, daß das Sittenverderbniß unter den höhern Ständen vorzüglich der Lektüre solcher Schriften zuzuschreiben sey; und ersucht mich, meine Bibliothek, die sonst so treffliche Sachen enthalte, zu purificiren, und in Zukunft nur solche Bücher anzuschaffen, welche der Moral wo nicht förderlich, doch auch nicht hinderlich seyen. Nun habe ich ihm zwar schon oft und lange Folgendes und Aehnliches entgegengesetzt: »Meine Bibliothek sey als eine Apotheke des Geistes anzusehen. Außer den rein heilsamen Mitteln seyen nun zwar auch allerlei Gifte vorhanden, nicht bloß Opiate, sondern auch Mercurialien und dergleichen. Meines Erachtens aber gebe es kein Gift, das unter gewissen Umständen, nicht auch heilsam, so wie kein sogenanntes Heilmittel, das nicht für irgend Jemanden giftig seyn könnte. Dieß zu unterscheiden, d. h. den rechten Gebrauch zu bestimmen, nach Jedermanns Bedürfniß, sey nicht meine, des Apothekers, Sache, sondern des Arztes. Daß heut zu Tage Jedermann in spiritualibus sein eigner Arzt seyn wolle, sey freilich ein arger, schädlicher Irrthum; absonderlich von Eltern und Erziehern, die ihre Kinder von jedem Pfifferling lecken und schlecken lassen. Ich aber wolle nicht der Sündenbock des Publikums seyn, noch weniger der Pönitentiarius. Die Sünde habe der Autor zu tragen, und zur Buße der Seelenhirt zu mahnen. Uebrigens sey ich der Meinung. daß man derlei Bibliotheken weniger als Apotheken voll Gifte ansehen könne, als für Restaurateuranstalten, wo Jedermann nach Gusto die Speisen auswählen, und, wenn' s beliebt, um ein Paar Kreuzer sich den Magen verderben könne.« Aber was frommt mir gegen einen Prediger alles Predigen? Es gibt kein Mittel, seinem Wortschwall zu entrinnen, als daß ich grimmig zum Tempel hinaus eile, und er mit.

    er!