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Buch

Ostpreußen Anfang des 20. Jahrhunderts: Victoria, Tochter des Gutsbesitzers Carl von Reichenbach, genießt ein mondänes Leben, bis sie an den falschen Mann gerät und ihr Leben eine tragische Wendung erfährt. Leonhard von Schletters Tochter Helene hingegen versucht sich als Pferdezüchterin und möchte, dass ihr gelingt, was ihrem Großvater versagt geblieben ist – das Gut in moderne Zeiten führen. Was die Lage der beiden Frauen nicht einfacher macht, ist die Feindschaft, die seit Langem ihre Väter entzweit und auch vor ihren Brüdern nicht Halt macht. Während die Welt am Abgrund steht, bestimmen Intrigen und Verrat das Schicksal der beiden Familien.

Informationen zu Nora Elias sowie zu weiteren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

Nora Elias

––––––––––––––––––––––––

Königsberg
Bewegte Jahre

Roman

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Originalausgabe Juli 2019

Copyright © 2019 by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur München

Umschlagfoto: © Arcangel / Yolande de Kort; FinePic®, München;

mauritius images / Manfred Mehlig;

Richard Jenkins Photography

Redaktion: Regine Weisbrod

BH · Herstellung: kw

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-24152-0
V002

www.goldmann-verlag.de

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Teil 1

1904–1908

I

»Wie uns mitgeteilt wurde, war der Besitzer dieses modernsten Verkehrsmittels ein Franzose, der sich mit Weib und Kind auf einer Spazierfahrt durch unser Vaterland befand.«

Meldung in der Soldauer Glocke vom 13. Juli 1901, nachdem das erste Automobil in Masuren gesichtet worden war

September 1904

Wer ist denn diese Schönheit?« Gerhard von Sabrowski lehnte sich auf seiner Rappstute vor, und Maximilian folgte seinem Blick.

»Das ist meine Cousine Victoria.« Ihm entging das aufflackernde Begehren im Blick seines Freundes nicht. »Ich dachte, du musst dir deine Braut im Hochadel suchen?«

»Man darf doch träumen.«

Die Rominter Heide, in der sich der Adel mit dem Haus Hohenzollern zur Jagd traf, war eine von sanften Hügelketten geprägte Landschaft, die durchzogen war von Laub- und Nadelwäldern, Mooren und Waldseen. Maximilian mochte die dunkle Tiefe der Wälder mit ihrem uralten Baumbestand, der jetzt im Herbst von einer wahrhaft beeindruckenden Schönheit war mit seinem Laub, das in allen Nuancen von Zartgelb über Rot bis hin zu Braun gefärbt war.

»Deine Tante trifft sich wieder mit meinem Onkel«, nahm Gerhard den Faden auf, den Blick immer noch auf Victoria gerichtet.

Mit welchen Männern sich seine Tante traf, interessierte Maximilian nicht im Geringsten. »Erhoffst du dir, dass sie dich mit Victoria bekannt macht?«

»Ja, denn ich vermute, du wirst es nicht tun.«

»Du vermutest richtig. Ihr Vater ist ziemlich streng, was Männerbekanntschaften angeht, und dass du sie nicht heiraten wirst, weiß er ebenso gut wie jeder andere.«

»Tja, das ist leider die Entscheidung meines Onkels, nicht die meine.« Gerhard war der einzige direkte Erbe des Hauses Sabrowski, dem langsam die finanziellen Mittel ausgingen. Und natürlich konnte der Erbe des Grafentitels keine Frau heiraten, die seiner Stellung nicht ebenbürtig war – sagte Paul von Sabrowski. Wenn Gerhard nicht enterbt werden wollte, musste er gehorchen. Denn ansonsten, so Paul von Sabrowski, werde er dem Sohn seines Vetters mit seiner Ehefrau aus dem Hochadel alles vermachen.

Constantin ritt an ihnen vorbei und nickte Maximilian knapp zu. Vor fünf Jahren hatten sie gemeinsam ihren Wehrdienst begonnen, und seither war es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen. Was in ihrer Kindheit und Jugend nicht so offensichtlich gewesen war, trat nun vermehrt zutage – sie waren in unterschiedlichem Geist erzogen worden. Maximilian in strikter Vasallentreue zum Kaiser, Constantin als Demokrat, wenngleich er natürlich betonte, ebenfalls dem Kaiser anzuhängen. Aber man konnte nicht kaisertreu und gleichzeitig ein Sympathisant der SPD sein. Davon abgesehen munkelte man, sein angeheirateter polnischer Onkel sei Sozialist.

Noch zwei Jahre, dann hatten sie den gemeinsamen Wehrdienst überstanden, zwei Jahre, in denen Constantin weiterhin überall anecken konnte. Während Maximilian der geborene Offizier war, tat sich Constantin schwer als Befehlsempfänger. Da konnte man nur beten, dass kein Krieg ausbrach, wo sie sich und ihre Vaterlandstreue beweisen mussten. Nicht auszudenken, wenn das eigene Überleben von Männern wie ihm abhing.

»Ich wusste gar nicht, dass du einen Bruder hast«, bemerkte Gerhard.

»Constantin? Der ist nicht mein Bruder, sondern mein Cousin.«

»Er sieht aus wie dein Vater.«

»Nun, auch ein von Reichenbach kann es gut treffen.«

Gerhard lachte.

Tatsächlich war es Maximilian ein Ärgernis, dass viele dachten, Constantin sei Leonhard von Schletters Sohn, während man Maximilian, der mit seinem blonden Haar und den blauen Augen nach seiner Mutter kam, eher seiner Tante Elisa zuzuordnen schien.

Immer wieder neigte Maximilian grüßend den Kopf, plauderte mit Bekannten und Freunden. Vereinzelt war Gelächter zu hören, prahlerische Rufe, durchmischt vom Bellen der Hundemeute. Gleich würde es losgehen, und Maximilian spürte die fieberhafte Erregung, die ihn stets vor der Jagd erfasste.

Auch sein Rotfuchs – eines der wahrhaft guten Pferde aus eigener Zucht – schien von der allgemeinen Erwartung angesteckt worden zu sein. Er hatte den Kopf gehoben, die Ohren aufmerksam aufgestellt und tänzelte auf der Stelle. Maximilian sah sich um, entdeckte seinen Vater im Gespräch mit zwei Freunden. Seine Mutter, die sich für die Jagd nie so richtig hatte begeistern können, war dieses Jahr zu Hause geblieben. Allerdings war seine Tante dabei, und obwohl man ihr oft mit Herablassung begegnete, zog sie doch die Blicke auf sich, sie war immer noch eine schöne Frau.

Dann ging es los. Die Meute lief, und die Jäger trieben ihre Pferde an. Hufe trommelten auf den Boden, und Maximilian ahnte, dass nicht nur er sich wie im Rausch befand. Von der rechten Seite näherte sich vom Hügel ein einsamer Reiter, kam näher und schloss sich an, ritt im wilden Galopp an ihnen vorbei und setzte sich an die Spitze. Maximilian grinste. Seine Schwester Helene.

Neben sich hörte er, wie eine Frau entsetzt aufschnappte. »Die trägt ja Hosen!«

Nun musste er lachen.

Nachdem Helene den aufsehenerregendsten Auftritt gehabt hatte, hatte Constantin hernach einen der kapitalsten Hirschböcke geschossen – zu Maximilians ganz offensichtlichem Missfallen. Nun stand Constantin da, hielt sein Pferd am Zügel, lachte, schäkerte mit jungen Frauen und war Leonhard nicht nur in seinem Aussehen mit dem dunklen Haar und den Gesichtszügen, sondern auch in seiner Art, sich zu bewegen, so ähnlich, dass es in Carl bittersüße Erinnerungen an seine eigene Jugend weckte. Damals, als er und sein Freund noch Seite an Seite auf die Jagd geritten waren und hernach den Frauen schöne Augen gemacht hatten.

Carl erinnerte sich an jenen Moment, als er vor Leonhard gestanden hatte, ein letzter Moment, in dem sie noch Freunde gewesen waren. Du kennst diese Frau seit drei Monaten, ich bin dein Freund seit Jahren. Himmel, Carl, es gibt so viele hübsche Frauen, du brauchst doch nur zu wählen. Aber einen guten Freund findest du nicht so ohne Weiteres. Über zwanzig Jahre war das nun her. Ja, er hatte Adela geliebt, tat es wohl immer noch, aber aus dieser Liebe war das Verzehrende gewichen, sie war blass geworden, ein schwacher Abglanz der früheren Leidenschaft.

Jetzt wünschte er, er hätte seinerzeit anders entschieden, hätte Leonhard besser zugehört. Aber einen guten Freund findest du nicht so ohne Weiteres. Und damit hatte er recht gehabt. Carl hätte es auch nach der Hochzeit mit Elisa wiedergutmachen können, hätte die Hand ausstrecken und die alte Freundschaft aufleben lassen können. Aber nein, er hatte sich in dem vermeintlichen Unrecht, das ihm angetan worden war, gesuhlt, hatte leichtfertig jedes bisschen Glück, das aus dieser Verbindung erwachsen war und noch hätte erwachsen können, in den Dreck getreten. Sich auf Karolina einzulassen hatte den seinerzeit befriedigenden, längst schalen Beigeschmack gehabt, dass diese Leonhards Schwester war.

Carl dachte oft darüber nach, in welchen Momenten seines Lebens er sich einen anderen Verlauf gewünscht hätte. Leonhards Freundschaft nicht ausschlagen? Ja, ohne Zweifel. Karolina unbehelligt lassen? Auch da würde er zu gerne noch einmal anders entscheiden können. Elisa nicht einfach davonreiten lassen? Dieser Moment war einer der schlimmsten in seiner Erinnerung, und er hatte die Szene unendlich oft in seinen Gedanken durchgespielt. Wenn er jedoch an die Ursache all dieser Konflikte und falschen Entscheidungen dachte, wenn er sich vorstellte, es böte sich die Möglichkeit, Adela zu heiraten und alles anders kommen zu lassen, dann hätte er das noch vor einigen Jahren ohne lange nachzudenken gewollt. Leonhard und er wären noch Freunde, Elisa und Karolina wären womöglich glücklich verheiratet. Aber es gäbe Constantin und Victoria nicht. Nein, dachte Carl, immer wieder nein. Adela war für ihn verloren gewesen, aber es hatte eine andere Art von Glück gegeben, eines, das er nicht hatte haben wollen, das er zu spät gewürdigt hatte. Und erst das hatte seinerzeit all die zerstörerischen Prozesse in Gang gesetzt. Und nun war es zu spät, Elisa tot, die Freundschaft zu Leonhard für immer dahin.

Victoria ging zu Constantin und hakte sich bei ihm ein, was die jungen Frauen ein wenig auf Distanz gehen ließ unter dem gestrengen schwesterlichen Blick. Carl musste grinsen. Die jungen Männer schoben sich nun, da sich die Reihen an Röcken um Constantin lichteten, näher an ihn heran, und der gestrenge Blick schmolz zu Koketterie. Da Constantins so offen bekundete Kameradschaft die jungen Männer weniger abschreckte als Victorias Andeutung von schwesterlicher Stutenbissigkeit die Frauen, waren sie kurz darauf alle in eine angeregte Unterhaltung vertieft – mit Victoria als einziger junger Frau in der Runde.

Carl wandte sich ab und schlenderte ein wenig umher. Nach all der Geselligkeit des Tages war er froh um ein wenig Ruhe. Früher einmal war das hier alles eine weitläufige Wildnis gewesen, davon zeugten nur noch die Reste undurchdringlicher Wälder, uralte Baumbestände, die früher einmal eine Barriere gegen Überfälle der slawischen Nachbarn gewesen waren. Hier gab es Fichten, Starkkiefern, Eichen, Brüche und dunkle Waldseen. Die Rominte durchfloss den Wald, und an ihrem Ufer lagen verschwiegene Wiesen, auf denen das Rominter Rotwild aste. Vor drei Jahren hatte der Kaiser in der Heide das Rominter Jagdschloss erbaut, in dessen Nähe die Jagdgesellschaft sich nun versammelt hatte.

Einen Monat vor Magdalenas Hochzeit hatte Adela einen Sohn geboren, und Carl musste nicht lange rechnen, um zu wissen, dass es bezüglich der Vaterschaft für Adela Ungewissheit gegeben hätte, hätten sie sich seinerzeit hinreißen lassen. Immerhin war ihr das erspart geblieben. Und offenbar hatte Leonhard sich seine Warnung zu Herzen genommen und betrog sie seither nicht mehr.

»Gratuliere zu deinem Sohn«, sagte Hermann von Agarus, der auf einem Trakehner-Gut in der Nähe von Insterburg lebte, ein Freund von Carls Vater. »Hervorragender Schütze.«

»Ja, das ist er wohl.«

»Ich habe gehört, der junge Deluweit hat Interesse an deiner Tochter.«

»Das ist richtig, aber ich nicht an ihm.«

Hermann von Agarus nickte langsam. »Ich habe gehört, sie trifft sich mit ihm.«

Nun taxierte Carl ihn aus leicht verengten Augen. »Sagt wer?«

»Anneli Carell sagte, sie habe sie gesehen.«

Die alte Klatschbase. »Ich werde mit Victoria sprechen und sie fragen.«

»Wird sie es zugeben?«

»Sie hat mich bisher nie angelogen.«

»In der Liebe werden die Kinder findig.«

Carls Blick suchte Victoria und fand sie immer noch bei Constantin stehen. Kam ihr Gustav Deluweit näher als die anderen? Gerade neigte er den Kopf, um ihr zuzuhören, ein kleines Lächeln auf den Lippen. »Was Kerle mit seinem Leumund wollen, hat mit Liebe nicht viel zu tun.«

Was für einen immensen Unterschied doch ein Ring am Finger machte, dachte Magdalena, während sie mit ihrer jüngsten Tochter durch die Straßen Johannisburgs spazierte. Ihre Zwillinge, Jan und Daniel, waren sechs Jahre alt, das Mädchen, Clara, war gerade drei geworden. Zu ihrem Erstaunen hatte es über ein Jahr gedauert, ehe sie von Łukasz empfing. Wenn man bedachte, dass es bei Anna nur ein Mal gebraucht hatte … Weil die Schwangerschaft mit den Zwillingen so schwierig gewesen war, hatten sie zunächst aufgepasst, aber auch nachdem sie ein weiteres Kind gewollt hatten, hatte es erneut über ein Jahr gebraucht, ehe sie schwanger geworden war. Vermutlich lag das an ihrem Alter, denn bei der letzten Schwangerschaft war sie bereits Ende dreißig gewesen.

Ihre neue Freundin Gudrun, eine junge Frau aus der Nachbarschaft, hatte da ihre eigene Theorie. »Liegt vermutlich eher an ihm als an dir«, mutmaßte sie.

Magdalena war es gleich, an wem es lag. Sie hatte drei gesunde Kinder von ihm, damit war sie glücklich, und weitere Kinder wollte sie ohnehin nicht. Für Anna war es anfangs schwer gewesen, und nun zahlte es sich aus, dass Magdalena eine so enge Bindung zu dem Kind hatte, denn diese führte dazu, dass Anna nie infrage stellte, dass sie geliebt wurde, wenngleich sie anfangs, als plötzlich zwei andere Kinder im Mittelpunkt standen, Eifersucht nicht verhehlen konnte. Das hatte sich längst gelegt. Mit Łukasz sprachen alle Kinder, auch Anna, ausschließlich Polnisch, was Annas Bindung an die Geschwister und ihren Stiefvater festigte, da sie über die Sprache verbunden waren und die Kultur, die er ihnen nahebrachte.

Wenn es den Zustand des wunschlosen Glücklichseins gab, dann befand Magdalena sich darin. Der einzige dunkle Punkt in ihrem Leben war ihre Mutter, aber diese hatte sie rigoros daraus verbannt. Das Entsetzen, als sie geglaubt hatte, ihr Kind sei tot, verursachte ihr heute noch Albträume. Und Anna log sie nicht an, das wusste sie. In ihr hatte der Vorfall Angst vor Höhen ausgelöst, und das Kind, das so gerne in Bäumen gesessen hatte, traute sich seither auf keine Mauer, die höher als hüfthoch war.

Im kommenden Monat würde Anna ihren zwanzigsten Geburtstag feiern. Ab dem nächsten Schuljahr würde sie in einer Volksschule Kinder unterrichten. Obwohl sie den Makel der unehelichen Geburt trug, gab es einige annehmbare Bewerber um sie, aber sie wollte noch nicht heiraten und lehnte jeden Antrag ab. Justus’ ältere Töchter, die schon verlobt waren, zogen sie gelegentlich damit auf, dass sie vor lauter Gelehrsamkeit am Ende überhaupt niemanden mehr abbekommen würde, aber darüber lachte Anna nur.

Dass sie sich überhaupt mit den beiden Mädchen anfreundete, hatte Magdalena erstaunt, auch wenn Alma nach wie vor ihre beste Freundin blieb. Aber je älter die Mädchen geworden waren, umso unwichtiger schienen jene Dinge zu sein, um die sie sich als Kinder so heftig gestritten hatten. Der schlimmste Streitpunkt – Justus’ vermeintliche Vaterschaft – hatte sich als nichtig herausgestellt, und Anna hatte nun einen Stiefvater. Es war so, als sehe man endlich den Menschen in ihr, der sie wirklich war.

Was Magdalena ein wenig bedauerte, war, dass Carl nicht mehr so oft kam. Früher war er mindestens einmal im Jahr mit den Kindern hier gewesen. Sie hatten dann auf dem Gut gewohnt, und Anna verbrachte dort viel Zeit mit Constantin und Victoria. Sie wünschte, Carl fände auch endlich wieder eine Frau, aber er schien gar nicht auf der Suche zu sein. Magdalena konnte sich das vorstellen. Mal hier eine Liebschaft, mal da eine, die Sinne befriedigen, ohne das Herz zu verwirren. Carl schien einer jener Menschen zu sein, die nur ein Mal liebten, aber dann ganz und gar.

»Otto Belack«, hatte er bei seinem letzten Besuch im Frühjahr nach Claras Geburt gesagt, als sie auf der Veranda des Guts gesessen und den jungen Leuten beim Federball im Garten zugesehen hatten.

Magdalena war bei seinen Worten wie erstarrt gewesen, hatte den Blick auf ihr Eis gesenkt, das langsam in der Schale schmolz.

»Natürlich. Die Augen, die Gesichtszüge. Man sieht es nicht sofort, aber ich habe mich schon bei meinen letzten Besuchen gefragt, an wen sie mich erinnert.«

Magdalena hatte ihn angesehen. »Und was fängst du mit diesem Wissen nun an?«

»Er hat schon vor Jahren aufgehört für uns zu arbeiten und ist nach Danzig gegangen. Sein Vater ist gestorben, wusstest du das?«

Nein, woher auch. Seit jenem Gespräch, als sie ihm ihre Schwangerschaft gebeichtet hatte, hatte sie ihn nicht wiedergesehen.

Sie hatte Carl taxiert, auf eine Reaktion gewartet. Aber ihm schien es zu reichen, das Geheimnis gelüftet zu haben, und so hatte er sich auf ein – ziemlich selbstgefälliges – Lächeln beschränkt.

»Ein Reitbursche«, sagte er schließlich nach einer längeren Pause. »Ich hatte geahnt, dass er gesellschaftlich völlig untragbar sein würde, aber ein Reitbursche

Magdalena hatte nichts dazu gesagt, und da die Kinder – sie würden wohl immer die Kinder bleiben – zum Haus zurückkehrten, hatten sie das Thema gewechselt.

Während sie nun mit ihrer Jüngsten spazieren ging, fand Magdalena, dass ihr Leben schon fast bürgerlich-spießig geworden war. Die Ehefrau des Arztes, die ihm die Bücher führte und das Haus in Ordnung hielt. Seit seine Assistentin Frau Schompeter vor einem Jahr in den Ruhestand getreten war, hatte Magdalena ihre Aufgaben übernommen. Sie konnte Clara mit in die Praxis nehmen, aber in der Regel langweilte sie sich dort, so dass Magdalena neben ihren Aufgaben auch noch das Kind beschäftigen musste.

Nun hatte es sich glücklicherweise ergeben, dass eine von Łukasz’ Patientinnen sich erboten hatte, auf Clara aufzupassen. Sie hatte keine Enkelkinder, da ihre Söhne kinderlos verstorben waren, und fühlte sich recht einsam. Im Gegenzug dafür, dass sie sich um Clara kümmerte, versorgte Łukasz sie medizinisch, ohne sich dafür bezahlen zu lassen. Clara ging gerne zu ihr und sprach sie bereits mit »Großchen« an, das Kosewort für Großmutter. Da Magdalena mit ihrer Mutter gebrochen hatte, war sie froh darüber, dass es »Großchen Erna« gab.

Meta Lamberg, Justus’ Frau, kam ihnen entgegen, und Magdalena öffnete bereits den Mund für einen höflichen Gruß, als diese vor Clara ausspuckte und »Polackenbalg« zischte. Magdalena blieb stehen, suchte nach einer passenden Entgegnung, während Clara die Frau nur mit großen Augen ansah. Als befürchte sie, nun zur Rechenschaft gezogen zu werden, beschleunigte Meta Lamberg ihren Schritt und war an ihnen vorbei, ehe Magdalena, die nur selten sprachlos war, wusste, was sie sagen sollte.

»Was hat die Frau gesagt?«, fragte Clara.

»Nichts. Sie hat einfach keine Erziehung genossen«, antwortete Magdalena laut in der Hoffnung, Justus’ Frau würde sie hören. Die zeigte keine Reaktion. Einen Moment lang sah Magdalena ihr nach, kämpfte gegen den Impuls, ihr hinterherzulaufen und die Hände in ihr sorgsam aufgestecktes Haar zu krallen.

»Komm, Mäuschen«, sagte sie und nahm die Hand des Kindes. Mit wild klopfendem Herzen gingen sie die letzten Schritte bis zum Haus von Erna Baran. Dass Justus’ Frau und sein Vater ihr nicht viel Freundlichkeit, ja, nicht einmal ein Mindestmaß an Höflichkeit entgegenbrachten, war sie gewöhnt. Sein Vater, ein Mann, der stets einen grimmigen Ernst ausstrahlte, beachtete sie nicht einmal, wenn er ihr auf der Straße begegnete, und auch seine Frau erwiderte einen Gruß, wenn überhaupt, nur kaum hörbar. Aber das war wirklich der Gipfel. Warum dieser Groll? Dachte Meta Lamberg immer noch, sie würde mit Justus schlafen? Oder habe es getan?

Als ihr Atem wieder ruhiger ging, betätigte sie den Türgong und bemerkte, dass ihr die Hand zitterte. Aber sei’s drum, sie musste Clara abgeben und in die Praxis. Dann erst würde sie überlegen, ob sie Łukasz oder gar Justus davon erzählte.

»Warum nennt man es eigentlich Altweibersommer?«, fragte Elisabeth, während sie auf dem Rücken im Gras lag und das schräge Licht der Sonne goldene Strahlen auf ihr tanzen ließ.

Maximilian lag neben ihr, auf einen Ellbogen gestützt, und kitzelte sie mit einem Grashalm unter der Nase. »Der milde Wind weht die Fäden kleiner Spinnen durch die Gegend. Wenn dann der Tau darauf glänzt, sehen die Fäden aus wie das feine, silbergraue Haar von alten Frauen.« Er neigte den Kopf und küsste sie. »Manche sagen«, er küsste sie erneut, zurückhaltend und spielerisch, »dass der Name daher kommt, weil die Spinnen weiben, so nannte man früher einmal das Weben von Netzen. Ein alter Volksglaube sagt, dass es eine baldige Hochzeit voraussagt, wenn sich die Spinnenfäden in den Haaren junger Mädchen verfangen.«

Elisabeth schlang ihm die Arme um den Hals und zog ihn zu sich, um den nächsten Kuss länger auszukosten. Er schob sein Knie zwischen ihre Beine, und sie schlang die Schenkel darum, während ihre Küsse immer atemloser wurden. Es kostete Maximilian große Willenskraft, von ihr abzulassen, nicht mehr zu tun, als die obersten Knöpfe ihres Kleides zu öffnen, die Hand hineingleiten zu lassen. Mit geschlossenen Augen wand sich Elisabeth unter seinen Liebkosungen.

»Tust du es eigentlich mit anderen Frauen?«, fragte sie später, als sie an seine Brust geschmiegt lag, die Finger spielerisch durch die Öffnungen zwischen seinen Hemdknöpfen geschoben.

»Nein, natürlich nicht, das habe ich dir doch versprochen.«

»Ich habe gehört, ihr jungen Offiziere stoßt euch bei den leichten Frauen in Königsberg und Berlin die Hörner ab.«

Das taten sie, und nicht nur die Offiziere. Maximilian hätte mehr als ein Mal die Gelegenheit gehabt, und es fiel ihm schwer, aber er hatte Elisabeth versprochen, dass es nur sie geben würde, und sie wartete auf ihn wie er auf sie. Er würde gerne mit ihr schlafen, doch dafür war ihm die Sache zu ernst. Wenn er sie schwängerte, würde es aussehen, als sei er gezwungen worden, sie an den Altar zu führen, und sie würde den Weg in Schande niedergedrückt gehen, anstatt mit stolz erhobenem Haupt. Und so beließen sie es bei Küssen und zurückhaltenden Zärtlichkeiten.

»Beatrix sagt, Constantin habe bei ihr seine Unschuld verloren.«

»Kann sein, über so etwas sprechen wir nicht.« Der stille, ernsthafte Constantin, der auf Frauen gerade wegen dieser Distanziertheit eine so ungeheure Anziehungskraft ausübte. Maximilian zweifelte nicht daran, dass er seine Erfahrungen gemacht hatte, und derer wohl nicht gerade wenig. Er selbst redete zwar nicht darüber, aber dafür die übrigen Offiziere und gemeinsame Freunde. Dass Beatrix die Erste für ihn gewesen war, war durchaus vorstellbar, sie war hübsch und leicht zu haben, und Constantin war nach allem, was man erzählte, kein Kostverächter.

Elisabeth setzte sich auf und zupfte Grashalme und Gänseblümchen aus, die sie wie einen kleinen Strauß zusammenlegte. »Musst du heute Abend wieder fort?«

»Ja, leider.«

Sie band den Strauß mit einem langen Grashalm zusammen und steckte ihn in das Knopfloch von Maximilians Gehrock. »Ich liebe dich so«, sagte sie und küsste ihn erneut.

»Ich dich auch.« Er zog sie so eng an sich, dass er vermeinte, ihren raschen Herzschlag zu spüren, der im Gleichtakt mit dem seinen erklang.

Als er sie losließ, erhob sie sich. »Ich muss los, Mutter kontrolliert in letzter Zeit genau, wann ich heimkomme.«

»Denkst du, sie weiß, dass du bei mir bist?«

»Wer ahnt schon, was sie so alles weiß. Unsere ganze Kindheit über hat sie sich kaum für uns interessiert, und auf einmal wacht sie über mich und meine Heimkehr. Ich glaube einfach, sie hat Angst, ich könnte so geraten wie Beatrix.«

»Die Gefahr besteht gewiss nicht.«

Sie schenkte ihm ein Lächeln, dann drehte sie sich um und lief davon. So waren ihre Abschiede stets, da Elisabeth es nicht mochte, sich zu verabschieden. Sie drehte sich abrupt um und war fort. Wie eine Waldelfe. Maximilian ging lächelnd zu seinem Pferd zurück und saß auf.

Im Hof erwartete ihn sein Vater. Als Maximilian absaß, zuckte Leonhard von Schletters Blick kurz zu dem kleinen Gänseblumenstrauß an Maximilians Gehrock. »Du triffst dich immer noch mit der Moors-Tochter.«

Maximilian fiel es nicht ein, das Offensichtliche zu bestätigen, und so schwieg er.

»Ich spiele nur ungern den Haustyrannen.«

»Dann tu es einfach nicht.«

»Ist sie deine Geliebte?«

»Nein.« Maximilian ahnte, dass seinem Vater ein Ja lieber gewesen wäre. Eine Geliebte, das war nichts Ernstes. Gefährlich wurden die Frauen, die man traf, um nicht mit ihnen zu schlafen.

»Du weißt, was ich von Emil Moors und seiner Familie halte.«

Maximilian nickte nur knapp.

»Man munkelt, Beatrix habe sich die französische Krankheit eingefangen.«

»Tatsächlich? Na, das dürfte ja ein böses Erwachen für Constantin geben.«

Sein Vater runzelte die Stirn. »Constantin und Beatrix?«

»Der Beginn der amourösen Laufbahn meines Vetters. Vermutlich hat er aber noch einmal Glück gehabt, man sagt ja, er habe früh angefangen.«

»Wie dem auch sei, du hältst dich fern von diesen Leuten.«

Erneut nickte Maximilian nur unbestimmt. Sollte sein Vater hineindeuten, was er wollte. Dann führte er seinen Wallach über den Hof zum Stall.

»Und er hat wirklich gesagt, ich gefalle ihm?« Victoria hatte Gerhard von Sabrowski auf der Jagd gesehen, und er hatte durchaus Eindruck auf sie gemacht.

»Nicht nur seinem Onkel gegenüber«, sagte ihre Tante Karolina, mit der sie durch Königsberg spazierte, »sondern auch vor Maximilian.«

»Das ist so aufregend.« Victoria wusste, dass ihre Großmutter es nicht gerne sah, wenn sie mit ihrer Tante ausging, aber da ihr Vater stets seine schützende Hand über sie hielt, wurde ihr nahezu jede Freiheit gewährt, nach der es sie verlangte – und nach dieser hungerte Victoria geradezu. Sie wollte ihr Leben in vollen Zügen auskosten und fand in ihrer Tante Karolina eine Gleichgesinnte.

Durch ihre Tante lernte sie interessante Männer kennen, was viel spannender war als das Beisammensein bei Veranstaltungen, wo man sich ständig den Blicken aller Umstehenden ausgesetzt wusste. Außerdem unternahmen sie oft Ausflüge nach Königsberg, und diese liebte Victoria. Sie wollte in die Stadt, wollte feiern, am liebsten wäre sie nach Berlin gegangen oder nach München, jene West-Metropolen, wo das moderne Leben pulsierte. Vielleicht würde Gerhard mit ihr solche Reisen unternehmen, und bei dem Gedanken daran begann ihr Herz heftig zu pochen.

»Ich dachte, du triffst den jungen Deluweit«, sagte Karolina.

»Schon längst nicht mehr, er ist ein eitler Geck.«

Victoria schlenderte mit ihrer Tante am Pregelhafen entlang, von wo aus sich ein wunderbarer Blick auf den Münchenhof bot. Es war immer viel los an Hafen und Anlegestellen. Stauer verrichteten ihre Arbeit, Schiffe wurden be- und entladen, Fracht wurde angekarrt, Waren umgeschlagen. Auch auf dem Pregel herrschte ein lebhafter Verkehr durch Fracht- und Dampfschiffe. Wenn hohe Seeschiffe und hochmastige Segler passierten, mussten die Brücken hochgezogen werden, was den Straßenverkehr zum Innehalten zwang. Schon als Kind hatte Victoria Häfen faszinierend gefunden und davon geträumt, wohin all die Schiffe wohl reisten. Es hatte das Flair der weiten Welt gehabt, und ihr Vater hatte sie einmal sogar mit an den Pillauer Hafen genommen. Größere Schiffe konnten von der Ostsee über Pillau nach Königsberg gelangen. Victoria war mit ihrem Vater oft am Pregel entlangspaziert, hatte sich die Turmspeicher am Hafenbecken angesehen, die Fachwerkspeicher auf der Lastardie, wo die Königsberger Kaufleute das Getreide lagerten, die alten Speicher und den Fischmarkt, von dem aus man den Schlossturm sehen konnte.

Karolinas Abstecher zum Hafen waren allerdings immer nur von kurzer Dauer, sie war nicht gerne dort, mochte den Geruch nach Teer und Fisch nicht. Sie spazierte lieber über den Kaiser-Wilhelm-Platz, wo sich die von Efeu umrankte Altstädtische Kirche befand. Ab und zu nahm sie Victoria mit in das »Blutgericht«, ein Lokal im mächtigen Kellergewölbe des Schlosses, das ausgestattet war mit Prunkfässern. Hübsch war auch der Markttag auf dem Altstädtischen Marktplatz, wo neben allerlei Obst und Gemüse prachtvolle Blumen verkauft wurden, doch auch daran fand Karolina nur wenig Gefallen, es war ihr zu voll. Sie ging lieber in eines der Cafés, wo es jenes Marzipan gab, für das Königsberg berühmt war.

Victoria hatte Helene und Maximilian oftmals darum beneidet, dass sie Adela als Mutter hatten, daher fand sie es wunderbar, dass Karolina ihr inzwischen so nahe war. Vor einigen Jahren hatte sie Gerüchte darüber gehört, dass Karolina und ihr Vater schuld am Tod ihrer Mutter gewesen seien, aber Karolina hatte ihr gesagt, sie solle nicht alles glauben, was man sich erzählte. Sie wäre mit Carl von Reichenbach seinerzeit wegen eines Missverständnisses aneinandergeraten, und hernach hätte er sich mit Elisa gestritten, daraufhin sei diese fortgeritten und gestürzt. Ihr Vater hatte ihr dies bestätigt und hinzugefügt, dass sie niemandem zuhören solle, der das Andenken an ihre Mutter schmähe.

Sie nahmen in einem Café Platz und bestellten Kaffee und Konfekt. Das Konfekt war mit Fondant gefüllt und gratiniert, so dass das Innere weich, die Oberfläche aber gelblich braun geröstet war, typisch für Königsberger Marzipan. Victoria nahm ein rundes Stück, das in der Mitte mit kandierten Früchten belegt war, und biss hinein. Genießerisch schloss sie die Augen. Das war einfach himmlisch.

»Was für eine erfreuliche Überraschung«, hörte sie eine Männerstimme sagen und öffnete die Augen. Vor ihr stand Gerhard von Sabrowski, unglaublich gutaussehend mit seinem dunklen Haar und den grünen Augen. Victoria wollte antworten, hatte aber noch den Mund voll und kaute schneller. Gerhard wirkte belustigt, was ihr das Blut ins Gesicht trieb.

»Es freut mich ebenfalls«, sagte sie schließlich und hoffte, ihr klebten keine kandierten Früchte an den Zähnen. Als er sich an Karolina wandte, um sie zu begrüßen, fuhr Victoria rasch mit der Zunge über die Schneidezähne, um Gerhard ein strahlendes Lächeln zu schenken, als er sich wieder ihr zuwandte.

»Setzen Sie sich doch«, sagte Karolina und deutete auf einen der beiden freien Stühle an ihrem Tischchen.

»Wenn ich die Damen nicht störe?«

»Aber keinesfalls«, entgegnete Karolina, und so nahm er zwischen ihnen Platz, und kurz berührten sich ihre Knie, was in Victorias Bauch einen wilden Hummeltanz auslöste.

Sie teilte ihr Konfekt mit ihm, und er bestellte sich eine Tasse Kaffee dazu, während er von seinem Studium in Berlin erzählte.

»Kennen Sie meinen Vetter daher?« Maximilian fuhr ab und zu nach Berlin, um dann für einige Tage in das trubelige Leben dort einzutauchen.

»Ja, er ist mit einem Kommilitonen von mir befreundet, und darüber haben wir uns kennengelernt.«

»Sind Sie dort aufgewachsen?«

»Ursprünglich in Masuren, dann ist mein Vater gestorben, und meine Mutter ist mit mir nach Berlin zu ihrer Familie gegangen. Na ja, und jetzt hat Onkel Paul mich auf sein Gut beordert, weil ich sein Haupterbe bin.«

Karolina bestellte eine weitere Kanne Kaffee, und Gerhard plauderte charmant über Berlin, über den kaiserlichen Hof – womit er Victoria tief beeindruckte – und über das Leben als Student, erzählte Anekdoten, bei denen sogar Karolina herzhaft lachen musste. Als er sich schließlich nach einem Blick auf die Uhr wieder erhob und sagte, er habe noch eine Verabredung, Victoria dabei in die Augen sah und der Hoffnung Ausdruck verlieh, sie würden sich bald wiedersehen, schlug ihr das Herz so schnell, dass sie es im Hals pochen spürte.

»Du bist verliebt«, stellte Karolina fest, als er gegangen war. »Er wird eine Frau aus dem Hochadel heiraten müssen, das solltest du wissen.«

Aber Victorias Höhenflug setzte das keine Grenze. Sie sah ihm nach, wie er am Fenster vorbeiging, wo er noch einmal kurz innehielt und ihr zuwinkte. Er wäre nicht der Erste, der sich einer solche Forderung widersetzte. Und als Haupterbe konnte er ja gewiss frei wählen, wem zugunsten sollte man ihn denn enterben? Mochte Karolina sagen, was sie wollte, Victoria war sich gewiss, dass er sich in sie verliebt hatte wie sie sich in ihn.