Table of Contents

Impressum

Titel & Widmung

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Das Deutsche Kaiserreich entsteht

Agathe und Franz aus dem Ermland

Der Erste Weltkrieg

Die Weimarer Republik beginnt

Die Hochzeit

Das Ende der Weimarer Republik

Gerigks im Familienglück

Die Nationalsozialisten kommen an die Macht

Familie Gerigk in der Zeit des Nationalsozialismus

Der Zweite Weltkrieg

Familie Gerigk im Zweiten Weltkrieg

Die Flucht aus Ostpreußen

Das Ende des Krieges

Gerigks in Dänemark

Wie es den anderen erging

Die Herausforderung nach dem Krieg

Die Flucht der Gerigks endet in Rüßwihl

Die Kinder werden erwachsen

Krieg und Frieden

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Eisige Flucht

Eine Odyssee in Deutschland

 

 

 

 

 

 

1. Auflage 2021

ISBN:

978-3-949122-60-6

ISBN E-Book:

978-3-949122-61-3

Autor:

Norbert Lüttin

Gestaltung Cover:

sensdesign GmbH, sensdesign.com

Druck:

WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang

Verlag:

Salpeterer-Verlag, Rüßwihl 3, D-79733 Görwihl

salpetererverlag.de

© 2021 Norbert Lüttin

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Über­setzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Haben Sie Anregungen oder Kritikpunkte zu diesem Buch? Dann senden Sie bitte eine Mail an: salpetererverlag@luettin.de.

Eisige Flucht

Eine Odyssee in Deutschland

 

Für Familie Gerigk

 

Inhalt

Vorwort here

Das Deutsche Kaiserreich entsteht here

Agathe und Franz aus dem Ermland here

Der Erste Weltkrieg here

Die Weimarer Republik beginnt here

Die Hochzeit here

Das Ende der Weimarer Republik here

Gerigks im Familienglück here

Die Nationalsozialisten kommen an die Macht here

Familie Gerigk in der Zeit des Nationalsozialismus here

Der Zweite Weltkrieg here

Familie Gerigk im Zweiten Weltkrieg here

Die Flucht aus Ostpreußen here

Das Ende des Krieges here

Gerigks in Dänemark here

Wie es den anderen erging here

Die Herausforderung nach dem Krieg here

Die Flucht der Gerigks endet in Rüßwihl here

Die Kinder werden erwachsen here

Krieg und Frieden here

Abbildungsverzeichnis here

Tabellenverzeichnis here

Literaturverzeichnis here

 

Vorwort

Ich möchte mit einem Zitat des ungarisch-amerikanischen Kernphysikers Edward Teller beginnen:

„Der Krieg ist nicht undenkbar, aber es ist unangenehm an ihn zu denken. Deshalb gibt es nur einen Weg, ihn zu vermeiden: Man muss ständig an ihn denken.“

Es geht in diesem Buch weder darum, Kriege zu verherrlichen noch darum, Schuldfragen aufzuwerfen. Die Geschichte Deutschlands ist seit seiner Gründung 1871 maßgeblich von den beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert geprägt und hat das Land zu dem geformt, was es heute ist. Daher sollte es für jeden Staatsbürger des Landes eine Selbstverpflichtung sein, sich über die Entwicklung und Entstehung dieser Kriege zu informieren.

Kriege fanden und finden ständig auf der Welt statt. Ein Krieg wird allerdings nicht nur auf dem Schlachtfeld oder an der Front ausgetragen. Die Zivilbevölkerung einer Nation leidet mindestens genauso wie deren Kämpfer und Soldaten. So geschah es auch während des größten und grausamsten Krieges den die Menschheit bisher erlebt hat, dem Zweiten Weltkrieg.

Wenn man Berichte oder Geschichten über Kriege liest, kommen meist die Täter und die unzähligen Opfer in den Mittelpunkt der Betrachtung. Beim Zweiten Weltkrieg werden das Deutsche Reich und der Nationalsozialismus unstrittig für diesen Krieg verantwortlich gemacht. Unwillkürlich gibt man den Aggressoren als Täter die Verantwortung für alles Leid, was dieser schreckliche Krieg mit sich gebracht hat. Was jedoch wenig an- und ausgesprochen wird, sind die vielen Opfer, die unter der Zivilbevölkerung durch Kriegsverbrechen entstanden sind. Sie hatten keine strategisch relevanten Funktionen wie die Einheiten auf den Schlachtfeldern und waren der blinden Rachsucht der Kriegsgegner ausgesetzt. Millionen Zivilisten, Frauen und Kinder mussten mit ihrem Leben dafür bezahlen. Die Anzahl der am Ende des Zweiten Weltkrieges Geflüchteten und Vertriebenen zivilen Menschen in der deutschen Bevölkerung wird auf 14 Millionen geschätzt. Sie mussten alles hinter sich lassen, unter Lebensgefahr konnten sie meist nur mit dem was sie tragen konnten die Flucht ins Ungewisse antreten, wenn sie dem sicheren Tode entkommen wollten.

Der Untertitel des Buches ist durchaus zweideutig zu verstehen. Einerseits wird die zweieinhalbjährige Flucht einer Familie innerhalb Deutschlands mit seinen vielen Stationen beschrieben. Dazu wurde die gesamte Geschichte der Familie Gerigk mit vielen persönlichen Erinnerungen dargestellt, soweit ich sie recherchieren konnte. Andererseits wird beschrieben, wie sich Deutschland seit seiner Gründung 1871 auf einer politischen Odyssee befand. Darin sind auch die Ursachen für die beiden Weltkriege zu finden. Das Buch wechselt kapitelweise zwischen der Geschichte Deutschlands und der Biografie der Familie Gerigk. Der Leser sollte verstehen, wie es zum Nationalsozialismus und diesen schrecklichen Kriegen als Ursache für unermessliches Leid und Elend gekommen ist. Damit soll das Buch nicht nur eine Biografie einer Familie darstellen, es soll auch informativ wie ein Geschichtsbuch sein, wenngleich die Vorgänge wie in einem Zeitraffer zusammengefasst sind. Der Leser sollte also keine vollständige Wiedergabe aller Geschehnisse des Krieges erwarten. Es wurde lediglich eine Zusammenfassung der relevanten Ereignisse in der politischen Geschichte Deutschlands erstellt, um die Entwicklung, Entstehung und den Verlauf der beiden Weltkriege nachvollziehen zu können.

Meine Großmutter Agathe musste mit ihren Kindern flüchten. Die Erzählungen von ihr, meiner Mutter und ihren Geschwistern haben bei mir stets einen bleibenden Eindruck über ihre schrecklichen Erlebnisse hinterlassen. Sie waren Zeitzeugen des Krieges und mussten durch die Flucht vor der Roten Armee alles hinter sich lassen, um ihr eigenes Leben zu retten.

Die schriftlichen Aufzeichnungen meiner Tanten Gertrud und Moni sowie die mündlichen Berichte meiner Mutter Dora geben ein sehr umfassendes und übereinstimmendes Bild über die Geschehnisse wieder. Ihnen gilt mein ganz besonderer Dank. Sie füllen das Puzzle, das durch die Erzählungen meiner Großmutter angefangen wurde und bei mir nur in Ansätzen vorhanden war. Gertrud und Moni haben die oft schmerzlichen Erinnerungen festgehalten und überliefert, sie haben es erst möglich gemacht, dass dieses Buch zustande kam.

Es war für mich erstaunlich, wie sie nach so langer Zeit, 76 Jahre nach ihrer Flucht, sich unabhängig voneinander an so viele Details erinnern können, die ursprünglich nicht in ihren Aufzeichnungen enthalten waren. Für mich ein Beweis dafür, wie furchtbar und einprägsam ihre Erlebnisse gewesen sein mussten. Die drei Schwestern sind heute die letzten Überlebenden der Familie und machen ihren Kindern und Enkeln noch immer eine Freude, auch wenn sie ihren Nachkommen von sich aus über die Flucht selten erzählen. Mit diesem Buch sollen ihre Nachkommen alles erfahren, was über diese schreckliche Zeit zusammengetragen wurde.

Ich möchte die authentische Geschichte einer Familie mit ihrer Flucht wiedergeben. Sie ist eine Geschichte, wie sie so oder so ähnlich zigtausend Mal im damaligen Deutschen Reich vorgekommen ist. Ihre Nachkommen haben nicht nur ein Recht auf die Wahrheit dieses grausamen Krieges, das Studium der deutschen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert sollte für sie eine Pflichtlektüre sein.

Für die textuelle und grafische Gestaltung des sehr gelungenen Covers möchte ich mich ausdrücklich bei Roland Sens bedanken, der bisher alle Buch-Cover unseres jungen Verlages treffend gestaltet hat. Ich darf an dieser Stelle seine Gedanken wiedergeben, die er zu den Umschlagseiten dieses Buches schrieb:

„Das Cover lässt dem Betrachter Platz für seine Fantasie und für die Reflexion der Erlebnisse. Zu sehen sind keine toten Pferde oder andere Opfer. Ebenso wird auch keine offensichtliche Zerstörung gezeigt. Das Buchcover symbolisiert vielmehr die Vertreibung aus dem Paradies, verbunden mit dem Zurücklassen von Erinnerungen, die im Laufe der Zeit zu verblassen drohen. Versinnbildlicht wird dies durch einen Teddy, der auf der Flucht verloren ging. Die Erzählung entstand stellvertretend für das was war, beschreibt die in den jeweiligen Situationen erlebte Zerrissenheit und wagt einen Ausblick auf eine neue unbekannte Zuflucht und damit verbundene Zukunft.“

Und nun noch ein redaktioneller Hinweis für den Leser: Quellenangaben sind in runden Klammern dargestellt. Sie finden im Anhang eine Übersicht der verwendeten Quellen und Literatur sowie eine Übersicht aller Abbildungen und Tabellen.

Einen herzlichen Dank möchte ich an meine Familie zum Ausdruck bringen, die mich im immer­währenden Kampf gegen die Tücken der Recht­schreibung unter­stützt.

Sollte der Druck- oder Fehlerteufel irgendwo zugeschlagen haben, bin ich für Korrekturhinweise dankbar. Senden Sie dazu eine Mail an: salpetererverlag@luettin.de.

 

Rüßwihl, im November 2021

 

Norbert Lüttin

Das Deutsche Kaiserreich entsteht

Wir beginnen unsere Zeitreise in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte und Entwicklung der politischen Verhältnisse in Europa zu dieser Zeit waren die Wegbereiter für die beiden großen Weltkriege, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts so viel Zerstörung, Leid und Elend über Europa brachten. Eine kurze Zusammenfassung ist daher unumgänglich, um die politischen Veränderungen besser zu verstehen.

Die Frage der spanischen Thronfolge war der Auslöser des deutsch-französischen Krieges 1870/71. Isabella II. war seit 1833, als sie zwei Jahre alt war, Königin von Spanien, bis sie 1868 durch einen Militärputsch vom Thron gestoßen wurde. Sie und ihr Ehemann waren Kinder von Geschwistern aus dem Hause Bourbon-Sizilien, einer italienischen Nebenlinie der spanischen Bourbonen. Ein neuer König wurde für Spanien gesucht, aus Italien und Portugal kamen jedoch Absagen. Doch dann wurde man fündig bei Prinz Leopold von Hohenzollern (1835 – 1905). Er stammte aus der Sigmaringer Linie der Hohenzollern und war der Sohn des ehemaligen preußischen Ministerpräsidenten. Der damalige preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck1 (1815 – 1898) unterstützte seine Kandidatur.

Diese Entscheidung fiel hinter dem Rücken von Paris. Dort fürchtete man eine erneute Umklammerung von spanischen und deutschen Gebieten, wie sie bereits zu den Zeiten der Habsburger bestand. Der französische Außenminister sah dies als Affront an und beschuldigte die preußische Regierung, für diese Ehrverletzung verantwortlich zu sein.

Nach wenigen Tagen, am 19. Juli 1870, erklärte Frankreich dem Königreich Preußen den Krieg. Es war nicht der erste und es sollte nicht der letzte Krieg zwischen den „Erbfeinden“, den Franzosen und den Deutschen, sein. Doch es kam anders, als es sich die Franzosen erhofft hatten: Entgegen der Erwartung des französischen Kaisers verbündeten sich die norddeutschen Staaten („Norddeutscher Bund“) und die süddeutschen Staaten mit Preußen. Die übrigen Staaten Europas blieben in diesem deutsch-französischen Krieg 1870/71 neutral.

Die französische Armee war der Übermacht des deutschen Staatenbundes nicht gewachsen und nach wenigen Wochen waren große Teile durch das deutsche Heer bezwungen. Am 1. und 2. September kam es in den Ardennen zur bekannten Schlacht bei Sedan, wobei der französische Kaiser Napoleon III. gefangen wurde. Der Sieg dieser Schlacht war bereits eine Vorentscheidung dieses Krieges. Die provisorische Regierung in Paris rief die Republik aus und führte den Krieg mit neuen Armeen weiter. Auch die neuen Streitkräfte konnten den deutschen Truppen nicht standhalten und so kam es nach dem Fall von Paris im Februar 1871 zum Vorfrieden von Versailles. Das Ende des Krieges wurde offiziell mit dem „Frieden von Frankfurt“ am 10. Mai 1871 besiegelt.

Der preußische König Wilhelm I.2 führte den deutschen Staatenbund nach 1864 und 1866 im dritten und letzten der deutschen „Einigungskriege“. Die süddeutschen Staaten schlossen sich dem Norddeutschen Bund an und es entstand das Deutsche Kaiserreich.

 

Abbildung 1: Die Proklamation des deutschen Kaiserreichs

Am 18.01.1871 im Versailler Spiegelsaal, in der Mitte Kanzler Bismarck in weißer Kleidung, auf der Estrade links Wilhelm I. und einige Bundesfürsten (Gemälde von Anton von Werner aus (Wikipedia, Deutsches Kaiserreich)).

 

Die Proklamation des deutschen Kaiserreichs fand im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles statt und war für die Franzosen eine erneute Provokation. Der preußische König und neue deutsche Kaiser residierte von damals an im Berliner Schloss. Erster Reichskanzler und Regierungschef wurde Otto von Bismarck. Der Jubel in Preußen war unermesslich, nachdem es ein preußischer König geschafft hatte, die deutschen Länder zu einen und das neue Reich als Kaiser anzuführen.

Und was geschah in Spanien? Der Herzog Amadeus von Savoyen bestieg 1871 den Thron, dankte jedoch bereits am 10. Februar 1873 ab. Einen Tag danach wurde die spanische Republik ausgerufen. Isabella verzichtete auf ihre Krone, womit sie Platz machte für ihren Sohn Alfons XII.

Somit war in Europa das Ende der absolutistischen Regentschaften eingeläutet. Die meisten Länder hatten die Republik ausgerufen, die regierenden Monarchen arbeiteten konstitutionell, also auf Verfassungen gestützt. Das Deutsche Reich war eine Erbmonarchie des föderalen Staatenbundes.

 

Abbildung 2: Das deutsche Kaiserreich 1871-1918

Karte aus (Wikipedia, Deutsches Kaiserreich).

Die Entwicklung des deutschen Kaiserreichs in den nächsten Jahrzehnten bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges war wie in den meisten mitteleuropäischen Ländern geprägt durch die Industrialisierung. Im Wandel vom Agrarland zum Industrieland gab es nicht nur wirtschaftliche Veränderungen. Durch den medizinischen Fortschritt ging auch die Kindersterblichkeit zurück, Familien mit einer zweistelligen Anzahl Kinder waren keine Ausnahme. Die Bevölkerung wuchs kräftig: Im Jahre 1871 waren es noch 41 Mio. Einwohner, 1910 bereits 65 Mio. Menschen im deutschen Kaiserreich. Trotz der Industrialisierung mit seinen vielen neuen Arbeitsplätzen wuchs die Arbeitslosigkeit und Armut. In ländlichen Regionen reichte die Landwirtschaft nicht mehr aus, um alle zu ernähren und Realteilung in der Erbfolge zwang viele, sich eine neue Existenz aufzubauen.

Einen Neuanfang aus Existenznot suchten Millionen von Menschen als Auswanderer, deren Anzahl zum Ende des 19. Jahrhunderts stark anstieg. Sie gehörten zur Gruppe der Übersee-Auswanderer, die überwiegend von Bremen und Hamburg aus mit dem Schiff das Land verließen. Als Paradebeispiel für eine gut organisierte Ausreise mit Unterkunft, Verpflegung und medizinischer Untersuchung war die Hapag in Hamburg, die sich durch diesen Geschäftszweig zur damals weltgrößten Schifffahrtsgesellschaft entwickelte. Nach ihrem Organisator und Generaldirektor Albert Ballin (1857 – 1918) wurde die Auswandererstadt gegründet. Die Einführung der Dampfschifffahrt und die eigens für die Auswanderer gebauten Passagierschiffe Ende des 19. Jahrhunderts ließen die Sterblichkeit auf See zurückgehen und verbesserte deren Chancen, in der neuen Wahlheimat glücklich zu werden. So verließen bis 1928 rund sechs Millionen Menschen das Deutsche Reich, sie gingen zu 90 % in die Vereinigten Staaten, einige nach Südamerika und wenige nach Südafrika und Australien. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren die Emigranten aus dem Deutschen Reich die Haupteinwanderergruppe in den USA. Mit dem Ende der freien Landnahme in den Vereinigten Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts ließ dann die Einwanderungswelle nach. An dieser Stelle möchte ich eine Empfehlung für den interessierten Leser zum Thema Auswanderung geben: Wer als Tourist die Stadt Hamburg besucht sollte das hervorragend gestaltete Auswanderermuseum in der Ballinstadt in seine Besichtigungstour mit aufnehmen.

Otto von Bismarck war der längste amtierende Kanzler des Kaiserreichs. In seiner Zeit wurde für die stetig wachsende Zahl der abhängig Erwerbstätigen die Sozialversicherung eingeführt. Außenpolitisch sicherte sich Bismarck durch den „Zweibund“, dem Bündnis mit Österreich-Ungarn zur Absicherung der Verteidigung ab.

Im Kulturkampf kam es zu Auseinandersetzungen des Reiches mit der katholischen Kirche und dessen Oberhaupt, dem Papst. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche sollte neu geregelt werden, was auch in anderen europäischen Staaten angestrebt wurde.

So wurde es 1871 im „Kanzelparagraphen“ den Geistlichen untersagt, in ihren Verlautbarungen den öffentlichen Frieden zu gefährden. Die „Zivilehe“ wurde 1874 eingeführt, womit vor dem Gesetz für die kirchliche Trauung eine standesamtliche Eheschließung Bedingung war und vorausgegangen sein musste. Mit dem „Brotkorbgesetz“ entzog Preußen der Kirche die staatlichen Zuwendungen. Zudem wurde in Preußen die kirchliche Schulaufsicht durch die staatliche ersetzt.

Bismarck ging es darum, die Eigenständigkeit der katholischen Kirche zu bekämpfen, er brach 1872 die diplomatischen Beziehungen zum Vatikan ab. Papst Pius IX. war von 1846 bis 1878 der Papst mit der längsten Zeit im Pontifikat. Er führte die Kirche durch die Zeit der Auseinandersetzungen mit den europäischen Staaten und hielt das vatikanische Konzil 1869/70 ab. Die Politik der Kirche war insbesondere den liberalen Kräften im Reich ein Dorn im Auge. Der zu dieser Zeit aufkommende Liberalismus und Sozialismus waren beide für die Entstehung des Kulturkampfes verantwortlich.

Konservative und liberale Anschauungen trafen aufeinander. Der Kulturkampf endete 1878 mit der Annäherung von Staat und Kirche.

Abbildung 3: Karikatur des Kulturkampfes

Darstellung des Kulturkampfes zwischen Kanzler Bismarck und Papst Pius IX. als Karikatur (aus „Kladderadatsch“, 1875).

 

Interessant sind an dieser Stelle die Nachwirkungen des damaligen Kulturkampfes an folgenden Beispielen: Der Kanzelparagraph wurde erst 1953 aufgehoben, das Gesetz über die Zivilehe erst 2009.

Die politischen Ziele Bismarcks im Kulturkampf wurden nicht alle erreicht. Der Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811 – 1877) gründete die „Zentrumspartei“ und die katholische Arbeitnehmerbewegung. Das „Zentrum“ erhielt bei den Wahlen 1878 mit rund 23 % so viele Stimmen wie die Nationalliberalen, bei den Wahlen 1884 waren sie mit 22,6 % der Stimmen die stärkste Reichstagsfraktion.

Im Jahre 1888 wurde Wilhelm II.3 deutscher Kaiser. Er beendete die Amtszeit von Bismarck 1890, dessen politische Ziele sich nicht mit denen des jungen Kaisers deckten. Wilhelm II. nahm nun selbst wesentlich Einfluss auf die Politik, die durch ihn deutlich imperialistischer wurde. Seine Amtszeit war geprägt durch das Streben zur Weltmacht und wird auch als „Wilhelminisches Zeitalter“ bezeichnet.

Bismarck war stets um ein gutes Verhältnis mit Russland bemüht. Sein Nachfolger war Georg Leo von Caprivi (1831 – 1899), der Reichskanzler in der Zeit von 1890 bis 1894 war. Er änderte die außenpolitische Richtung und es geschah genau das, was Bismarck verhindern wollte: Der deutsch-russische Rücksicherungsvertrag wurde 1890 nicht verlängert, die beiden Länder distanzierten sich voneinander. Russland verbündete sich 1892 mit Frankreich und das Deutsche Reich lag dazwischen eingepfercht. Ein potentieller Krieg mit einem der beiden Staaten wäre damit automatisch zu einem Zweifrontenkrieg geworden. Als sich 1907 durch das Hinzukommen von Großbritannien aus dem Zweierbündnis ein Dreierbündnis, das sogenannte „Triple-Entente“ formierte, war das Deutsche Reich fast isoliert in Europa. Es blieb ihm lediglich Österreich-Ungarn als Bündnispartner. Österreich-Ungarn bestand aber aus vielen verschiedenen Völkern, zwischen denen es untereinander immer wieder Spannungen gab.

Der gesellschaftliche Wandel war in vollem Gange. Die Entstehung und Verbreitung von Tageszeitungen führte zu einem neuen Kommunikationsweg, dem ersten Massenmedium. Sie waren das neue Medium für politische Lenkungen. Rasch entwickelten sich Verbände, Parteien und Gewerkschaften, sie nutzten die Presse für ihre Arbeit. Die öffentliche Meinung gewann zunehmend an Gewicht. Auch formierten sich die ersten Frauenbewegungen mit ihren Forderungen, insbesondere nach einem Wahlrecht.

Abbildung 4: Kaiser Wilhelm II.

Bild von 1902, Quelle: (Wikipedia, Wilhelm II. (Deutsches_Reich)).

 

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es vermehrt zu innenpolitischen Spannungen im Reich. Der Welthandel florierte, es entstanden große Häfen wie z.B. in Hamburg und die Erfindung der Dampfschifffahrt beschleunigte den Warenverkehr immens. Dadurch stiegen die Importe von billigen Lebensmitteln aus verschiedenen Ländern kräftig an. Dies stellte für die vielen Großgrundbesitzer und Lieferanten von Lebensmitteln östlich der Elbe ein großes Problem dar, da sie mit der Konkurrenz der Importwaren konfrontiert wurden. Es waren die Auswirkungen der ersten Globalisierung, bei der die Kolonien der europäischen Staaten und deren Warenerzeugung eine wesentliche Rolle spielten.

Die Einführung von Schutzzöllen wurde im Reichstag von den bürgerlichen Parteien unterstützt. Das Erreichen einer Vollbeschäftigung sollte auch die sozialdemokratischen Bewegungen schwächen, die gegen die „Flottengesetze“ stimmten.

Mit dem Ausbau der Flotte zur Kontrolle der Frachtwege sollte Abhilfe geschaffen werden. Admiral Alfred von Tirpitz war seit 1897 Staatssekretär im Reichsmarineamt. In den von ihm vorgeschlagenen „Flottengesetzen“ von 1898 und 1900 wurde die rechtliche Grundlage für den Ausbau einer Hochseeflotte geschaffen. Das Deutsche Reich sollte mit einer stattlichen Anzahl von Linienschiffen, Küstenpanzerschiffen, großen und kleinen Kreuzern seine Stellung als Weltmacht festigen. Der Aufbau der Flotte war der Beginn der Aufrüstung und löste ein Wettrüsten mit anderen Staaten aus. Man hatte insgeheim auf ein Bündnis mit Großbritannien gehofft, doch die Briten sahen die Aufrüstung als Aggression an und verbündeten sich in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts mit Japan und Frankreich.

Das Streben zur Weltmacht von Kaiser Wilhelm II. führte das Kaiserreich in eine außenpolitische Isolation und erhöhte die Gefahr des Ausbruchs eines großen Krieges. Die Werften in den norddeutschen Städten expandierten und arbeiteten mit Hochdruck. Innenpolitisch sollte durch Wachstum und Beschäftigung den sozialdemokratischen Bewegungen entgegengewirkt werden.

 

Abbildung 5: SMS4 Thüringen

SM Linienschiff Thüringen war das dritte Schiff der Helgoland-Klasse, einer Klasse von Großlinienschiffen der deutschen kaiserlichen Marine. Der Stapellauf war 1909, das Schiff nahm an allen wichtigen Manövern des Ersten Weltkriegs teil.

 

Die westeuropäischen Staaten hatten die Welt untereinander aufgeteilt. Fast jedes Land verfügte über Kolonien und sicherte sich damit Rohstoffe. Einen besonders hohen Anteil an Kolonien hatte Großbritannien, die damals führende Seemacht in Europa.

Der Kampf gegen die Sozialdemokraten endete 1899. Der Reichstag verabschiedete die sogenannte „Lex Hohenlohe“, ein Gesetz benannt nach dem damaligen Reichskanzler Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst. Damit wurde es den Parteien ermöglicht, sich stärker zu vernetzen.


1 Sein vollständiger Name: Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen, ab 1865 Graf von Bismarck-Schönhausen, ab 1871 Fürst von Bismarck, ab 1890 auch Herzog zu Lauenburg.

2 Wilhelm Friedrich Ludwig von Preußen (1797 – 1888) war sein vollständiger Name.

3 Sein vollständiger Name: Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen (1859 – 1941).

4 SMS vor deutschen Schiffsnamen ist die Abkürzung für: „Seiner Majestät Schiff“.

Agathe und Franz aus dem Ermland

Wir schauen nun in den nordöstlichsten Teil des Deutschen Reiches, in die Provinz Ostpreußen. Die Hauptstadt ist Königsberg, seit 1946 liegt sie in russischem Gebiet und heißt seither Kaliningrad. Der überwiegend sandige Boden dieses Landes ist von vielen kleinen und größeren Seen durchsetzt. Das flache Land enthält einige Hügel und ist ein Ausläufer des südbaltischen Küstenplateaus, Ostpreußen hat eine lange Küste zur Ostsee.

Die Küste ist durch zwei langgezogene Nehrungen gekennzeichnet, die als schmale Landzungen zwei Brackwasserbereiche („Lagunen“) als Binnenseen von der Ostsee abtrennen. Die Frische Nehrung ist etwa 70 km lang und trennt das Frische Haff von der Ostsee. Das Kurische Haff wird durch die Kurische Nehrung gebildet, beide Haffs bilden zusammen eine Fläche, die etwa fünfmal so groß wie die des Bodensees ist. Sie stellen einen Zugang zur Ostsee in mehreren Küsten- und Hafenstädten für Schiffe mit nur wenig Tiefgang, die maximale Wassertiefe in den Haffs beträgt sechs Meter.

Klimatisch gesehen ist Ostpreußen die kälteste Region im damaligen Deutschen Reich: Auf die kurzen, heißen Sommer folgen lange, frostige Winter, die vom russischen Binnenklima beeinflusst werden.

In der Landwirtschaft wurde in Ostpreußen traditionell viel Ackerbau betrieben, Kartoffeln und Getreide angebaut. Den moorigen Flächen wurden mit einem ausgeklügelten Drainage-System das Wasser entzogen, um sie besser bewirtschaften zu können. Auch wurde Torf gestochen. Durch den fruchtbaren Boden wurde die Provinz als Kornkammer des Deutschen Reichs bezeichnet. Im südlichen Teil Ostpreußens, in Masuren, war die Pferdezucht stark verbreitet. Einige größere Gestüte waren in Ermland-Masuren für die Aufzucht von Trakehnern im 18. Jahrhundert bekannt geworden. Nirgends in deutschen Landen wurden so viele Pferde wie hier gezüchtet, insgesamt lebten drei Viertel der Bevölkerung Ostpreußens von der Landwirtschaft.

In Ostpreußen lebten um das Jahr 1900 etwa zwei Millionen Einwohner, die Provinz wurde 1905 in drei Regierungsbezirke aufgeteilt: Regierungsbezirk Königsberg mit der gleichnamigen kreisfreien Stadt als Regierungssitz, Regierungsbezirk Gumbinnen mit Insterburg als Hauptsitz und Regierungsbezirk Allenstein mit der gleichnamigen Stadt als Verwaltungssitz.

Das Ermland ist ein historisches Siedlungsgebiet und wurde nach der Eroberung durch den Deutschen Orden im 13. Jahrhundert zum Bistum. Seit 1772 gehört es zu Preußen. Seine Ausdehnung wird hauptsächlich von den Landkreisen Braunsberg und Heilsberg abgedeckt. Das Ermland ist als einziger Landesteil Ostpreußens überwiegend katholisch, die übrigen Gebiete der Provinz sind mehrheitlich evangelisch. Die Stadt Braunsberg wird als geistige Hauptstadt des Ermlands bezeichnet.

Im Landkreis Braunsberg liegt der Ort Langwalde, der auch den Amtsbezirk und das gleichnamige Kirchspiel bildet. Insgesamt gehörten sieben Dörfer dazu, Langwalde hatte mit etwa 600 Einwohnern die meisten Einwohner. Östlich von Langwalde liegt Sonnwalde. Dort wird am 18. Oktober 1900 Agathe Frieda Pohlmann geboren, wir nennen sie künftig einfach Agathe. Sie ist das vierte von neun Kindern, die ihre Eltern Mathilde Pohlmann geb. Wermter und Josef Pohlmann bekommen haben. Beide Eltern von Agathe stammen aus Sonnwalde. Nach der Heiratsurkunde war Mathilde die Tochter eines Hufenbesitzers1 und Josef Sohn eines Schmiedemeisters. Agathes Vater Josef heiratete seine Frau Mathilde am 08.02.1891 in Mehlsack. Er trat in die Fußstapfen seines Vaters und wurde ebenso Schmiedemeister.

 

Abbildung 6: Die Verwaltungsgliederung Ostpreußens 1905

Die drei Regierungsbezirke mit den Landkreisen. Bild aus (Wikipedia, Ostpreußen).

 

In der damaligen Zeit waren Handwerker mit Berufen wie Wagner oder Schmied vielerorts anzutreffen. Schließlich war der Pferdewagen das Hauptverkehrsmittel. Josef hatte eine gutgehende Schmiede und beschäftigte zwei Gesellen. Neben den Arbeiten an Wagen und Fuhrwerken wurden auch verzierte Grabkreuze geschmiedet. Freilich war auch das Beschlagen von Pferden eine wichtige Aufgabe eines Schmieds. Neben der Pferdezucht in Ostpreußen hatte jeder Hof Pferde als Nutztiere, die regelmäßig neue Hufeisen benötigten. Hier die ganze Familie Pohlmann und was aus ihnen geworden ist:

Geb. am:

Vater

Josef

02.11.1860

Mutter

Mathilde, geb. Wermter

04.10.1868

Gest. im Dez. 1939.

Franz

04.11.1891

Im Zweiten Weltkrieg verschollen.

Maria

27.06.1893

In Raunau mit Anton Hippel verheiratet, wohnte nach der Flucht in Helmstedt.

Martha

06.12.1896

Nach der Flucht in Weimar wohnend.

Agathe Frieda

18.10.1900

Verheiratet mit Franz Gerigk, gest. am 02.06.1995 in Laufenburg.

Gertrud

17.03.1902

1945 von Russen verschleppt.

Josef

19.08.1903

Nach der Flucht in Nesse im Kreis Norden (Ostfriesland) wohnend.

Margarete

02.12.1905

Am 09.03.1945 von Russen auf der Flucht ermordet.

Paul Johannes

14.05.1908

In Wormditt verheiratet, 5 Kinder, nach der Flucht in Magdeburg wohnend.

Bernhard Antonius

16.10.1910

Verheiratet mit Ruth, Sohn Rainer, 1944 auf dem Rückzug in Polen gefallen.

Tabelle 1: Die Familie von Josef und Mathilda Pohlmann

Mit neun Kindern ist es Agathes Mutter sicherlich nie langweilig geworden. In einer Zeit, in der es noch keine Elektrizität gab, waren die grundlegenden Arbeiten im Haushalt mehr als ausfüllend für eine Mutter mit so vielen Kindern. Wie segensreich müssen die Hausfrauen die ersten Waschmaschinen im Haushalt empfunden haben, die erst ein halbes Jahrhundert später in den Häusern zu finden waren.

 

Abbildung 7: Pohlmanns Mädchen

Auf dem Bild sind die fünf Töchter der Pohlmanns, rechts Maria.

 

Josef war ein fleißiger und rechtschaffener Handwerker. Neben seiner Schmiede engagierte er sich auch ehrenamtlich und war über viele Jahre Kirchenbeirat und Gemeinderat.

Abbildung 8: Familie Pohlmann

Auf dem Bild hinten stehend v.l.n.r.: Martha, Bernhard, Agathe, Margarete, Agnes (Frau von Paul). Sitzend v.l.n.r.: Maria, Mathilde, Josef, Franz. Vorne drei Kinder von Maria.

 

Am 24. Januar 1904 erblickte Franz Gerigk in Liebenthal im Amtsbezirk Lichtenau das Licht der Welt. Wir nennen ihn künftig Franz. Seine Mutter Berta Gerigk geb. Dreier stammte aus Layß (Kreis Braunsberg) und war die Tochter eines Eigenhüfners. Sein Vater August Gerigk ist in Woppen (Kreis Allenstein) geboren. Aus der Heiratsurkunde geht hervor, dass August damals als Dienstknecht, später als Schumacher arbeitete. Die Familie wohnte in Liebenthal.

Franz hatte zwei Schwestern, hier seine Familie:

Geb. am:

Vater

August

17.08.1855

Heirat am 20.11.1888,

gestorben 1927.

Mutter

Berta, geb. Dreier

28.06.1860

Gest. im Winter 1942/43 in Bludau.

Anna

189?

Mit Anton Wichert (Handelsvertreter) verheiratet, nach dem Zweiten Weltkrieg auf Usedom, 8 Kinder.

Martha

18.02.1900

Mit August Ruhnau verheiratet, nach dem Zweiten Weltkrieg in Schopfheim-Fahrnau, 8 Kinder.

Franz

24.01.1904

Verheiratet mit Agathe Pohlmann.

Tabelle 2: Die Familie von August und Berta Gerigk

 

Von Agathe und Franz konnte ich die Stammbäume bis ins 18. Jahrhundert bilden. Ihre katholischen Familien stammen alle aus Ostpreußen, genauer gesagt aus dem Ermland.