Über dieses Buch:

Eigentlich ist er ein ganz normaler Mann. Zugegeben, ein wahrer Luftikus, der es mit der Treue nicht allzu ernst nahm. Zumindest vor seiner Ehe war das so – aber jetzt ist er verheiratet und möchte ein vorbildlicher Ehemann sein. Doch da kommt ihm eine anonyme Frau in die Quere, die ihm regelmäßig merkwürdige Post zuschickt. Der Inhalt: die benutzten Windeln eines Babys. Wer ist die unbekannte Absenderin, was ist mit dem Kind? Und wer möchte dem Luftikus noch alles an den Kragen?

 

Über den Autor:

„Regula Venske gehört zu Deutschlands ungewöhnlichsten Krimiautoren, deren Romane großen Unterhaltungswert besitzen“ (literaturmarkt.info).

 

Regula Venske wurde 1955 in Minden geboren und wuchs in Münster auf. 1987 promovierte sie mit einer Studie über „Mannsbilder – Männerbilder. Konstruktion und Kritik des Männlichen in zeitgenössischer deutschsprachiger Literatur von Frauen“ zum Doktor der Philosophie.

Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie u. a. mit dem Oldenburger Jugendbuchpreis, dem Deutschen Krimipreis und dem Lessing-Stipendium des Hamburger Senats ausgezeichnet, ihr Kurzgeschichtenband "Herzschlag auf Maiglöckchensauce" wurde für den Frauenkrimipreis der Stadt Wiesbaden nominiert.

Regula Venske lebt als freie Autorin in Hamburg und ist Mitglied im Autorenverband deutschsprachiger Kriminalschriftsteller SYNDIKAT (www.das-syndikat.com) und im PEN (www.pen-deutschland.de), dessen Generalsekretärin sie seit Mai 2013 ist.

 

Bei dotbooks erscheinen außerdem Regula Venskes Romane Kommt ein Mann die Treppe rauf und Double für eine Leiche.

 

Weitere Titel sind in Vorbereitung.

 

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Überarbeitete Neuausgabe Februar 2015

Dieses Buch erschien bereits 1991 unter dem Titel Schief gewickelt bei Kellner, Hamburg

Copyright © der Originalausgabe 1991 Kellner, Hamburg

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung eines Motivs von Thinkstockphoto/istock

 

ISBN 978-3-95824-010-0

 

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Regula Venske

Schief gewickelt – Das perfekte Verbrechen

Kriminalroman


dotbooks.

Kapitel I.

 

Die Ehefrau biegt in den Wunderbrunnen ein. Sie liest das Straßenschild und läßt den Namen auf der Zunge zergehen. Wunderbrunnen. Sie fährt quer über den Parkplatz und stellt das Auto ab. Dieses Kaufhaus liegt eigentlich unter ihrem Niveau, aber die Bettwäsche ist günstig. Die Ehefrau steuert zielstrebig auf den Eingang zu, sie würdigt die Blumenstände mit den Drachen- und Bananenstauden, das ausgestopfte Rentier und die spielenden Kinder keines Blickes. Die Ehefrau weiß nämlich, was sie will. Sie würde sich nie ein Sonderangebot aufschwatzen lassen, nie würde sie etwas mitgehen lassen, was sie nicht wirklich wollte. Sie begibt sich direkt in die Bettenabteilung: Der Luftikus hat einen großen Lakenverbrauch.

Die Ehefrau wählt Farben aus: grün-violett, schwarz-violett, knallweiß. Naserümpfend und erhobenen Hauptes eilt sie am Kaufhausrestaurant vorbei, schwedische Hackklöpschen mit Preiselbeeren entsprechen nicht ihrem Geschmack. Und sowieso ißt sie nicht in Kantinen. Sie hat Besseres im Sinn. Aber dann: Kurz bevor sie Kasse und Ausgang erreicht hat, stößt sie sich das Haupt – denn einen Kopf hat die Ehefrau nur, wenn der Frisör ihn wäscht –, stößt sie häuptlings an einen weißen Luftballon. Zu Dutzenden schweben und hängen sie, umschmeicheln und irritieren die Kundschaft: ein Sonderangebot. Die Ehefrau fühlt sich von einem Übermut überkommen, sie stutzt, zögert, lacht. Der Luftikus fällt ihr ein, an den sie während des Lakenkaufs eher flüchtig dachte. Den Luftikus hat sie sich geangelt, wie man so sagt, eingefangen. Sie hält ihn fest an der Schnur, hält ihr Glück sicher in der Hand. Wie einen Luftballon eben. Mag er ruhig denken, er flöge. Ihr entkäme er nicht. Notfalls würde sie eine Nadel zur Hand nehmen, ihn anstechen, bis ihm die Luft entwiche, dem Luftikus. Aber zuvor braucht sie ihn noch als Samenspender für ihr Kind.

Der Luftikus feiert gern, er lädt auch gern spontan zu Gelagen. Im Aufblasen ist er von klein auf bestens erprobt. Hundert Stück in einer Packung, grün, gelb, violett, orange und eierschale. Wer weiß, wozu das nochmal gut sein kann, denkt die Ehefrau und packt drei Tüten auf den Einkaufswagen. Während sie an den Luftikus denkt, lächelt sie zärtlich, aber der leichte Anflug von Spott ist für den Käufer an der Nachbarkasse (Gartenstühle, Sonnenschirme) nicht zu übersehen. Später kurvt die Ehefrau wieder quer über den Parkplatz, während sie gleichzeitig das Autoradio anstellt und das Wagenfenster herunterkurbelt. Hamburger Frühlingsluft. Luft und Straßennamen, wie es sie nur in Hamburg gibt. Die Ehefrau ist mit sich selbst zufrieden, sie hat aufgetankt: Luftballonluft, Wunderbrunnenluft, denkt sie.

 

Zur selben Zeit, als die Ehefrau das Ehebett (drei Meter mal zweifünfzig, der Luftikus liebt es groß) frisch und grün-violett bezieht, stillt eine anonyme Frau ihr Kind. In der Parterrewohnung riecht es muffig, Babycreme mischt sich mit Hohelufter Feuchtigkeit. In dieser Straße sind in jüngster Zeit viele Wohnungen in Eigentum verwandelt worden. Heute abend denkt die anonyme Frau nicht daran, sie hat jetzt anderes zu schaffen. Und brauhaucht dazuhu kein Wiehiegenband. Sie summt leise vor sich hin, verfällt dann in ein Krächzen. Und auch kein Struhumpfband meheheher. Ach Luftikus, liehieber Luftikus mein, singt sie nicht. Auch eine anonyme Frau weiß, wann ein Lied zu Ende ist. Das Strumpfband hat sie fortgeworfen. Sie hat ihren Stolz. Sie hat ihre Freunde, ihre Freundinnen vor allem, die ihr beistehen. Sie hat keine Ansprüche, denn wenn sie welche hätte, es nützte ihr nichts, sie zu stellen. Versunken nuckelt das Kind an ihrer Brust und gibt schmatzende Laute von sich. Anmutig hat es dabei den Zeigefinger über den Daumen gekreuzt, in aller Unschuld kann es sich seinem Bedürfnis hingeben. Daß das Kind hübsch zu werden verspricht, ja, bereits als außergewöhnlich hübsch bewundert wird, sieht die anonyme Frau nicht ungern. Soll ihr keiner nachsagen, sie sei einer Geschmacksverirrung erlegen gewesen. Gewesen. Die anonyme Frau seufzt, aber nur noch aus Gewohnheit und schon ganz leise. Sie hat einen Plan gefaßt, und den wird sie jetzt verfolgen. Wohlgemerkt, den Plan, nicht den Mann.

Die anonyme Frau hat ihre Bluse zugeknöpft. Zugeknöpft, so hatte auch er sie damals genannt und also provoziert. Sie hat ihr Kind gewickelt und ins Körbchen gelegt. Auf dem Tisch liegt die Windel. Na warte, kichert die anonyme Frau, das gibt ein Windelpaket! Dann geht sie ans Werk. Mit geübten Händen schlägt sie die Windel von den Rändern her zusammen und klebt sie mit den Klebestreifen zu. Die Windel ist so kompakt versiegelt, es kann eigentlich nichts herausquellen. Sie erscheint der anonymen Frau handlich, handlich wie das Kind, handlich wie das Organ, das es erzeugt hat und an das sie nur gelegentlich denkt, handlich also, wie die Erinnerung daran. Scheiß-Spiel, murmelt die anonyme Frau. Und ich die Beschissene? Denkste. Sie lacht auf (rauh, empfindet sie), räuspert sich, setzt dann noch eins drauf. Typen wie du haben bei mir verschissen, sagt sie laut. Aber jetzt sollst du wenigstens ein Lebenszeichen erhalten. Dann kramt sie den wattierten Briefumschlag aus dem unteren Schreibtischfach heraus und holt die Reiseschreibmaschine ihrer Schwester aus dem Schrank. Sie hat an alles gedacht. Sie streift sich die wollenen Fäustlinge mit dem finnischen Muster über, zu einem perfekten Verbrechen gehören nun einmal Handschuhe, denkt sie. Das heißt, sie denkt es eigentlich nicht, sie ahnt es eher. Nie würde sich die anonyme Frau eine Angst eingestehen, eine bloße Ängstlichkeit gar, wie sie es nennen würde, dächte sie darüber nach. Mit beherztem, wenn auch leicht gedämpftem Anschlag hackt sie auf die Tasten ein. Sie läßt viel Platz zwischen den einzelnen Zeichen. Auf den Abstand kommt es ihr schließlich an.

 

 

BELLEALLIANCESTR. 60

 

HIER

 

 

Die Adresse hat sie im Telefonbuch nachgeschlagen, es war ja auch nicht zu erwarten, daß die Ehefrau Einzug in eine Junggesellenbude halten würde. (Fettstraße 6, ach, waren das Zeiten!) Übrigens neidet die anonyme Frau der Ehefrau den Luftikus nicht, den Luftikus möchte sie nicht mehr geschenkt haben. Es geht ihr schlicht und nicht unbedingt ergreifend ums Prinzip. Und außerdem ist sie im Mutterschutz und muß sich beschäftigen. Es stimmt schon, was sie immer hörte, ein Kind füllt die Mutter nicht vollständig aus.

Die anonyme Frau schiebt das immer noch ein wenig warme Windelpaket behutsam in den Briefumschlag, sie heftet die Sendung sorgfältig zu und klebt den Adressenzettel darauf. Auf der Fensterbank steht die Säuglingswaage aus der Apotheke. Nicht, daß es die anonyme Frau nötig hätte, ihr Kind täglich zu wiegen, Speikinder sind Gedeihkinder, das hat sie als erstes gelernt. Aber die anonyme Frau besitzt weder eine Küchenwaage (hierin unterscheidet sie sich von der Ehefrau), noch eine Briefwaage, die vielleicht dem Gewicht eines Windelpaketes ohnehin nicht standgehalten hätte. Die anonyme Frau nimmt die Schachtel mit den Briefmarken aus der Schublade. Sie hat sich reichlich eingedeckt für die nächste Zeit. Sie leckt die Marken, die sie braucht, gerade, weil sie so widerlich schmecken, genüßlich an. Auch einen blau-weißen Streifen klebt sie auf, zum Spaß: »Luftpost«.

Eine anonyme Frau verläßt ihre Wohnung nicht, ohne sich über das in seinem Körbchen schlummernde Kind gebeugt zu haben. Es atmet friedlich, duftet süß. Wie ein kleines Öfchen verbreitet es Wärme um sich her, daran erkennt die Mutter, daß es noch lebt. Ihr grimmiges Lächeln weicht einem befriedigteren. Die anonyme Frau schleicht zur Wohnungstür hinaus, die sie sachte hinter sich zuzieht. Unter ihrem linken Arm trägt sie das Paket, Linke kommt vom Herzen, aber das denkt sie natürlich nicht. Die Laterne auf der gegenüberliegenden Straßenseite erleuchtet die Hausnummernschilder, ein altes neben dem Eingang und ein neues über der Tür, die beide dieselbe Ziffer anzeigen. Sieben. Die anonyme Frau beachtet das natürlich nicht, auch eine anonyme Frau weiß schließlich, wo sie wohnt. Sie braucht jetzt nur noch die vierhundertfünfundfünfzig Schritte zurückzulegen – im Laufe der nächsten Wochen und Monate wird sie sie mehrfach zählen und sich das Ergebnis wiederholt bestätigen –, bis sie das Postamt in der Hoheluftchaussee erreicht haben wird. In der kleinen Statue, die vor dem Eingang steht: Frau mit Fahrrad und Aktentasche, erkennt sie sich selbst. Statt der Tasche im Korb nun ein Kind. Mit der Rechten öffnet sie den Schlitz, sie läßt ihre Sendung in die Öffnung hineingleiten. Jetzt drehen wir den Spieß um, denkt die anonyme Frau. Jetzt erhältst du mal was Kleines von mir.

Kapitel II.

 

Der Luftikus steigt die vier Treppen zu seiner Wohnung empor. Er könnte auch den Lift nehmen, aber er tut es nicht. Der Luftikus genießt es nämlich, viele Treppenstufen, und zwar jede einzeln, hochzusteigen. Das ist wie mit den Frauen, denkt er. Auch wenn es ein wenig anstrengt, du kannst jeder einzelnen, aber auch wirklich jeder, etwas abgewinnen. Der Luftikus wohnt im vierten Stock, hoch über den Dächern, wenn auch nicht von Paris, so doch wenigstens von Hamburg-Eimsbüttel. Er braucht die dünnere Luft. Er braucht den Ausblick auf Plaza, Fernsehturm und Geomaticum und einen Himmel mit Möwen darin. Er braucht das Gefühl, auf andere herabblicken zu können. Er schwebt gern. Wenn der Luftikus ehrlich wäre, würde er zugeben, daß er im Grunde seines Herzens auf ein Erdbeben wartet. Aber ja, er würde es genießen, das leichte Schwanken des Hauses zu spüren. Er würde sein Weinglas auf den Glastisch stellen und für den Rest des Abends nüchtern bleiben. Er würde sogar die Stereoanlage leiser drehen, um zu hören, wie es in den Fugen ächzt und knackt. Die letzten zwei Stufen nimmt der Luftikus auf einmal, er streicht sich mit der Linken übers Haar. Jetzt hält er gleich die Ehefrau im Arm. Der Luftikus zählt sich und sie zur Schickeria von Eimsbüttel.

Der Luftikus ist nicht schwer zu beschreiben, aber er kennt sich selbst nicht genau. Er denkt, er schillert.

Natürlich hat der Luftikus eine Arbeit, von der er jetzt nach Hause kommt. Man weiß nur nie genau, von welcher. Es ist auch für den Fortgang der Geschichte gänzlich unerheblich. Übrigens weiß er selbst es auch nicht immer, er wechselt häufig. Er verdient nicht schlecht dabei. (Allerdings hat es Arbeitgeber gegeben, die haben ihn für einen Windbeutel gehalten.)

Die Ehefrau steht in der Wohnungstür und nimmt ihren Luftikus in den Arm. Sie preßt ihn an sich und sich an ihn, es ist ihm nicht unangenehm. Diese hier ist anders, denkt er stolz.

 

Nach der Arbeit wirft der Luftikus seinen weißen Bademantel über. Er greift in die Tasche nach dem Päcklein mit den Zigaretten und holt auch das Feuerzeug heraus. Dann lümmelt er sich auf sein Sofa und schmiedet Pläne für den Abend. Gern legt er dabei Hand an seine Ehefrau. Heute quillt die Bademanteltasche über, der Luftikus zieht ein Gebilde hervor. Wat is dat denn, fragt er jovial. (Die Mundart ist eine Unart von mir, stellt sich der Luftikus bei anderen Gelegenheiten vor.) In der Hand hält er einen zur Hälfte aufgeblasenen grünen Luftballon. Mit was drinne? staunt er. Die Ehefrau lächelt verschmitzt. Sie gehört zu der Generation von Frauen, in der sich die Damen für die Nacht bedanken.

Der Luftikus weiß nicht recht, was er von dem Angebinde halten soll. Beinahe fängt er schon an, am Knoten des Ballons zu fummeln, da fällt ihm zum Glück der Gordische ein. Er nimmt also den Luftballon in die linke Hand und schüttelt ihn, eine Babyrappel, prustet er. Dann hält er sein Feuerzeug an das Gummi und läßt es platzen. Kleine weiße Bällchen purzeln heraus, Champagnertrüffel, sie fallen dem Luftikus in den Schoß oder kullern unter den Tisch oder kommen, leicht demoliert, anderweitig zu Fall. Die Ehefrau strahlt. Ihr ist noch keine Überraschung mißglückt.

Der Luftikus fragt sich, wie sie diese nun wieder bewerkstelligt hat. Er weiß, sie wird ihr Geheimnis nicht preisgeben. Diese ist tougher als andere, das schätzt er an ihr. (Die Ehefrau arbeitet als Arzthelferin bei einem Gynäkologen, da hat sie vielleicht Mittel und Wege gefunden.) Der Luftikus hebt ein Trüffelchen auf und steckt es seiner Ehefrau in den Mund. Dann schickt er sich zum Kusse an. Darling, sagt er, das hat noch immer gewirkt.

 

Vor dem Schlafengehen blättert der Luftikus die Post auf seinem Schreibtisch durch. Früher waren die Stapel höher, aber seit seiner Heirat haben die Fanbriefe stetig abgenommen. Immerhin verirrt sich doch noch der eine oder andere zu ihm, meist an die alte Bude, die ja nur einen Katzensprung vom neuen Leben entfernt liegt, adressiert und von der Briefträgerin, die jene Adresse ebenfalls nach Feierabend kannte, eigenhändig umgeleitet. (Nach Feierabend? verbessert die Postillionin. Von wegen. Zum und für den Feierabend natürlich.) Manchmal erlaubt sich die Briefträgerin einen kleinen Scherz und setzt einen persönlichen Gruß an den Rand. Etwa, Briefträger lauf, der Luftikus wartet drauf! oder andere Sprüche, deren Kenntnis sie gelegentlicher Lektüre ihrer Zustellpost verdankt. Manchmal weiß es die Briefträgerin so einzurichten, daß sie dem Luftikus zufällig über den Weg läuft, wenn sie fahrradschiebend ihre Runden dreht. Von Ferne grüßt sie mit Verschwörermiene. Der Luftikus weiß ihre Diskretion zu schätzen.

Die Getreuen, die dem Luftikus die Stange gehalten haben und weiter halten möchten, ahnen oftmals nicht, daß ihr Geliebter geheiratet hat. Aber selbst wenn sie es hörten, es machte ihnen nichts aus. Sie sind ja selbst gelegentlich gebunden. Aus Erfahrung glauben sie zu wissen, daß sich die Ehefrau abnutzen wird und vorher schon ihr Neuigkeitseffekt. Ihnen ist es schließlich auch mal so ergangen, deshalb halten sie sich an den Luftikus. Nun schicken sie ihm Urlaubsgrüße von den Reisen, die sie mit ihren Ehemännern unternehmen. Liebe Grüße aus Moskau sendet Marion, und »Hamburger mochte ich stets am liebsten«, schreibt Anna-Ina aus New York. Sie lassen sich etwas einfallen, die Damen, das muß der Luftikus ihnen lassen. Er läßt es ihnen in der Regel aber nicht, denn ungelesen wandern ihre Grüße in den Abfalleimer. (Darin folgt er aber nicht der Ehefrau, das hat er früher auch schon so gehalten.)

Päckchen, Pakete und Telegramme sind etwas anderes. Sie heben sich positiv von der Menge ab. Sie könnten etwas Wichtiges enthalten oder unterbreiten. Ein dienstliches Angebot etwa oder die Nachricht über einen Treffer in einem der Preisausschreiben, an denen sich der Luftikus mit für ihn ungewohntem Fleiß beteiligt. Heute ist so ein Glückstag, unter allerlei Reklamesendungen und Rechnungen liegt ein Päckchen, das allein schon aufgrund seiner neutralen Verpackung ins Auge sticht. Der Luftikus nimmt seinen Brieföffner zur Hand, den Finnendolch, und schlitzt die Verpackung auf. Er könnte sich natürlich auch der Mühe unterziehen, die sieben Heftklammern am oberen Rand herauszuziehen, aber er hält es lieber mit Alexander dem Großen. Außerdem besitzt er selbst keinen Heftklammernzieher und müßte sich das Gerät aus dem Stübchen der Ehefrau holen. Er muß sie auch um ihre Nagelfeile, Pinzetten oder Stempelkissen bitten, wenn er dergleichen benötigt. Vor allem aber ist der Luftikus zu faul, um jetzt noch aufzustehen. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, denkt er, der Mohr kann kaum noch gehen. Er schlitzt also seitwärts auf, ritsch, ratsch, und sticht in Weichteile. Die Öffnung ist aber noch zu klein, es läßt sich nichts Genaues ausmachen. Der Luftikus stochert zuversichtlich, er pfeift vergnügt.

 

Der Briefumschlag hat sich in ein Außen- und ein Innenleben aufgelöst. Grauweiche Flocken sind aus der Hülle herausgequollen und haben den Luftikus, die Schreibtischplatte und den Bademantel leicht bestäubt. Den Luftikus stört das nicht. Scheißspiel, flucht er zwar, aber nur so, aus Lust. Er findet sich in seinem Element. Er fördert gern Entdeckungen zutage. Das Staubsaugen soll ihn nicht kümmern, er hat eine Putzfrau. Er hat Geld genug, um neue Briefumschläge zu kaufen, er muß nicht die an ihn gerichteten noch einmal verwenden. Der Luftikus prorkelt weiter.

Plötzlich steigt ihm ein Duft in die Nase, er muß sogleich die Luft anhalten. In diesen Dingen ist er empfindlich, schließlich ist er Ästhet. Ich habe doch nicht – denkt der Luftikus, da fließt ihm aus dem Umschlag etwas entgegen. Etwas Weiches, ja, aber nicht mehr grau und keinesfalls staubtrocken. Unwillkürlich greift der Luftikus hinein, er will es stoppen, will die Schreibtischplatte schonen, es tropft ihm jetzt schon auf den Bademantel. Der Luftikus kann es gar nicht fassen. Und noch dazu der merkwürdige Geruch, nicht eigentlich wie, ja wie – Der Luftikus schnuppert und runzelt die Stirn. Es riecht nach Nuß, nicht eigentlich unangenehm. Das ist doch wohl das Letzte, platzt es dann aus ihm heraus. Er schlägt mit der flachen Rechten auf den Tisch. Er starrt auf den oliv-grünlichen Abdruck, den Handfläche und Finger hinterlassen. Scheiß-Spiel, sagt er ganz langsam, ganz verwundert und ganz ungläubig. Käme jetzt die Ehefrau ins Zimmer, sie würde ihren Luftikus für die Dauer dieser drei Sekunden, schwankend zwischen -ei- und -iieh-, nicht wiedererkennen. Seine Ehefrau. Die soll die Bescherung bloß nicht mitkriegen, denkt der Luftikus. Nicht, daß es ihr etwas ausmachen würde. Vermutlich würde sie es fertigbringen zu lachen, die Ehefrau. Aber das wäre es gerade, was er im Moment lieber nicht ertragen will.

Der Luftikus (gerne führe er sich jetzt mit der Hand durchs Haar) schleicht sich in die Küche, er öffnet die Türen mit dem Ellenbogen, er wischt sich die Hände am Bademantel ab. In der Küche läßt er das Frotteestück von sich gleiten und steckt es eigenmächtig in die Waschmaschine.

Er hat leider keine Zeit mit Händewaschen oder Neuankleiden zu verlieren, es könnte die Ehefrau animieren, aus ihrem Stübchen zu ihm zu stoßen. Er muß nach Handfeger und Feudel suchen. (In der Besenkammer? Unter der Spüle? Als Hamburger kennt er immerhin das Wort, feudaler Feudel, so hat er mal eine Bekannte genannt.) Der Luftikus ergreift eine Plastiktüte und huscht in sein Zimmer zurück. Er stopft Graues, Weiches und Grünes gleichermaßen in die Tüte hinein. Es hat ja wohl kein Brief dabei gelegen? fragt er sich unwirsch. Egal, er wird nicht eigens nach dem Schreiben suchen. Wenn ihm jemand etwas mitzuteilen hat, denkt der Luftikus, soll er (gefälligst, denkt der Luftikus) damit herausrücken.

Der Luftikus steht nackt in der Mitte des Zimmers. In der einen Hand hält er Handfeger und Kehrblech, in der anderen den Feudel und die Plastiktüte. Fühlte er sich nicht so abgeschmackt lächerlich, er müßte lachen. Käme jetzt aber die Ehefrau herein – oh, what a great splish-splash that would be, murmelt der Luftikus. Irgend etwas muß der Mensch ja sagen.

Kapitel III.