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Fußnoten

1

Hierbei handelt es sich nicht um Dialoge im Sinne des Gedankenaustauschs gleichberechtigter Gesprächspartner, die nach Antworten auf philosophische Fragen suchen. Senecas Schriften sind in dem Sinne ›dialogisch‹, als sie zur Verlebendigung einen ungezwungenen Gesprächston anschlagen. Dies geschieht u. a. durch konkrete Bezugnahmen auf den Adressaten oder fiktive Einwände und Kommentierungen, auf die Seneca scheinbar spontan reagiert.

2

Tochter des unter Kaiser Tiberius (1437 n. Chr.) vom Prätorianerpräfekten Sejan in den Tod getriebenen Aulus Cremutius Cordus.

3

Sicherlich findet die Todesthematik etwa auch in Senecas Tragödien Verarbeitung, diese werden jedoch bewusst ausgeklammert, da in ihnen nicht unmittelbar Einstellungen zum Tod thematisiert werden, sondern Senecas Todesvorstellung eher indirekt in ihre Konzeption miteinfließt, was ein knappes Zitieren einzelner Passagen ohne nähere Interpretation schwierig macht.

4

Philosoph aus Athen (470399 v. Chr.); aufgrund seiner philosophischen Aufklärungsbemühungen wird er der Verführung der Jugend und der Gotteslästerung angeklagt und zum Suizid durch Gift verurteilt.

5

Cato der Jüngere (Marcus Porcius Cato Uticensis, 9546 v. Chr.); nach dem Sieg Caesars über Pompeius und seine Nachfolger begeht der unbeugsame Verteidiger der republikanischen Werte in Utica (Nordafrika) Selbstmord. Seneca inszeniert ihn des Öfteren als leuchtendes Beispiel für einen heldenhaften Freitod (so als Buchhöhepunkt am Ende von De providentia).

6

Gemeint ist der den Eingang zur Unterwelt bewachende, dreiköpfige Kerberos. Seneca zitiert hier (wie öfter in den Epistulae morales) aus Vergils (7019 v. Chr.) Aeneis, dem Nationalepos der Römer: Verg. Aen. 6,400401; 8,296.

7

Ein kynischer Philosoph aus Korinth.

8

Seneca lässt seinen Zeitgenossen Aufidius Bassus (Historiker, Anhänger Epikurs und äußerst abgeklärt im hohen Alter) als Sprecher auftreten.

9

Ab dem 16. Geburtstag durften römische Jugendliche in der Regel das Kleidungsstück der Erwachsenen tragen: eine rein weiße Toga (toga virilis).

10

Vgl. Anm. 5.

11

Vgl. Anm. 8.

12

Bei Hauseinstürzen und Gichtanfällen.

13

Die in der Antike verbreitete Wasseruhr (›Klepshydra‹) funktioniert nach dem Prinzip heutiger Sanduhren. Eine Zeitspanne ist vorüber, wenn das letzte Sandkorn bzw. der letzte Wassertropfen vom oberen Gefäß ins untere gefallen ist.

14

Seneca spricht von einer Lesefrucht: Am Ende der ersten 30 Briefe seiner Epistulae morales greift er jeweils auf Zitate diverser Philosophen zurück, mit Vorliebe aus der Schule Epikurs, der auch Lucilius gewogen ist. Indem Seneca so immer auch diese mit der Stoa konkurrierende Philosophenschule miteinbezieht, unterstreicht er seine Offenheit, sich mit anderen Lehren auseinanderzusetzen. Auch schwächt er ganz kalkuliert die Lehren der Stoa ab, um den Leser nicht sofort durch harte stoische Regeln abzuschrecken und erst einmal für die Philosophie an sich zu begeistern. Die gewählten Zitate unterstützen Senecas Argumentation, denn in seinen Augen kann auch Epikur in Notlagen durchaus passende Ratschläge bereitstellen. Während sich Seneca zu Beginn seines ›Lehrgangs‹ der Epistulae morales also tolerant gegenüber Epikur zeigt, bezieht er im weiteren Verlauf der 124 Briefe immer klarer gegen ihn Stellung.

15

Gemeint ist die Vergangenheit.

16

Der in enger Verbindung zum Prinzeps Augustus stehende Maecenas unterstützte in seinem Maecenaskreis finanziell literarische Größen wie Vergil (7019 v. Chr.) und Horaz (658 v. Chr.). Seine eigene Dichtkunst wird nicht nur von Seneca negativ bewertet.

17

Gemeint ist ›Einer, der gestorben ist‹. Konkret bezieht sich Seneca auf Marcias Sohn, über dessen Verlust seine Schrift hinwegtrösten soll.

18

Es spricht die Seele des Menschen.

19

Gemeint sind Mondmonate von 28 Tagen.

20

Es handelt sich erneut um ein Zitat Epikurs am Briefende.

21

Heraklit von Ephesus (ca. 540480) ist neben Thales von Milet einer der bekanntesten Vorsokratiker. Diese haben sich v. a. dem Ursprung der Welt gewidmet. Als tiefgründiger Denker lehnte er nahezu alle damals geltenden Weltvorstellungen ab und legte in kryptisch-rätselhafter Orakelsprache (sog. ›Gnomen‹) seine eigene Welterklärung dar; daher sein Beiname »der Dunkle«.

22

Wohl 2132 n. Chr. Statthalter in Syrien; Anhänger eines falschen, lustbestimmten Epikureismus (Hedonismus).

23

Das im Original zitierte altgriechische βεβίωται ist ein Perfekt im Passiv (»Das Leben ist gelebt«) und betont die Folge für die Gegenwart, also: jetzt kann/braucht/muss man nicht mehr leben.

24

Vgl. Anm. 8.

25

Vgl. Anm. 5.

26

Quintus Caecilius Metellus Pius Scipio; kämpfte im Bürgerkrieg gegen Caesar und beging 46 v. Chr. nach dessen Sieg über die Pompeianer bei Thapsus Suizid.

27

Oft wurden verurteilte Verbrecher als Tierkämpfer in die Arena geschickt.

28

Seneca lässt hier Gott selbst – gemeint ist natürlich nicht der Gott der Christen – als Sprecher auftreten, der auf den fiktiven Einwand bzw. Kommentar antwortet.

29

Seneca meint Polybius’ toten Bruder. Leicht lässt sich hier jedoch an jede andere, einem nahestehende Person denken.

Einleitung

»Niemand ist derart weltfremd, dass er nicht weiß, dass er irgendwann einmal sterben muss.« Bereits vor 2000 Jahren stellte das Seneca im 77. Brief seiner Epistulae morales (Briefe über die Ethik) fest, in denen er sich typisch menschlichen Grundgegebenheiten und philosophischen Problemen widmete. Trotz der Einsicht, dass das Sterben von Natur aus zum Leben dazugehört, ist der Tod seit jeher ein großes Tabuthema. Jeder, der einen lieben Menschen verloren hat, weiß, wie schmerzhaft es ist, diesen Verlust zu akzeptieren, und wie lange es dauern kann, bis man die Phase des Trauerns überwunden hat. Doch selbst in solchen Situationen, in denen wir unmittelbar mit dem Tod konfrontiert sind, denken wir meist nur kurzzeitig an unsere eigene Sterblichkeit. Es scheint leichter, den Tod auszublenden, als sich bewusst mit ihm auseinanderzusetzen.

Ganz selbstverständlich legen wir den Fokus unseres täglichen Lebens nur auf das Leben. Hierfür plant man, hierfür nimmt man Kredite auf: Der eine will in zwei, drei Jahren heiraten und seine eigenen vier Wände bauen; der andere träumt von einer Luxusweltreise, sobald in einigen Jahren endlich die Lebensversicherung fällig wird. Man malt sich etwas in den schönsten Farben aus, doch dann kommt alles oft ganz anders, als man denkt. Seneca rät uns, anstatt in ausgiebige Planungen lieber in die Gegenwart zu investieren, denn sie allein können wir beeinflussen. Was dagegen in der Zukunft geschieht, ist reine Spekulation. Manche wiederum leben von Tag zu Tag, wollen noch vieles ausprobieren, sich zigmal umorientieren und geben sich nie mit dem Erreichten zufrieden: Wankelmut ist in Senecas Augen eines der schlimmsten Übel. Denn dem, der stets auf der Suche ist, wird die Lebenszeit niemals reichen. Der Großteil der Menschen nutzt die Zeit nicht so, wie man sie nutzen könnte. Der Gedanke an die eigene Sterblichkeit sollte vielmehr, so Seneca, dauernd präsent gehalten werden und unsere gesamte Lebensgestaltung beeinflussen.

Zumindest über die Lebensgestaltung unmittelbar vor dem Tod machen wir uns heute vermehrt Gedanken: Unsere Selbstbestimmung, unsere Freiheit in der Lebenswahl möchten wir auch im Moment des Sterbens gewährleistet wissen. Das Horrorszenario, ans Bett gefesselt zu sein und leidend vor sich hin zu vegetieren, möchte keiner von uns erleben. Nur zu gut nachzuvollziehen ist der Wunsch, im Ernstfall durch ein wie auch immer geartetes Arrangement eine unnötige Lebensverlängerung zu verhindern, um dann aus dem Leben scheiden zu können, wenn die Zeit reif ist. In Europa wurde in den letzten Jahren mit Nachdruck die Frage danach, was ein »guter Tod« ist, und ob man nicht jedem Menschen einen solchen ermöglichen soll, verhandelt. Deutschland hat sich im Gegensatz zu Belgien oder den Niederlanden gegen die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ausgesprochen, auch wenn die Beihilfe zum Suizid, etwa durch Bereitstellen tödlicher Mittel, für Privatpersonen straffrei ist. Doch selbst wenn man ganz legal die Chance hat, eine Zyankalikapsel zu schlucken, bevor es soweit kommt, stellt sich doch die Frage: wann ist es ›so weit‹? Wenn der Körper definitiv nicht mehr zu retten ist? Beim ersten Anzeichen auf geistigen Verfall? Zu fließend sind die Übergänge. Zu wenig prognostizierbar Krankheitsverläufe. Zu leicht verpasst man den entscheidenden Moment, um dem Leid noch bei völliger Zurechnungsfähigkeit ein Ende setzen zu können.

Auf einigen Internetseiten, auf denen Befürworter der aktiven Sterbehilfe die Rückschrittlichkeit aktueller Gesetze monieren, wird mitunter auf Seneca als fortschrittlichen antiken Denker verwiesen. In der Tat stellt er etwa das Recht eines jeden Menschen auf den Freitod heraus, den man nur vor sich selbst zu rechtfertigen hat. Ein solches Menschenrecht wurde jüngst erst in der Schweiz etabliert. Überblickt man Senecas Gesamtwerk, so wird das Phänomen, das wir heute als aktive Sterbehilfe bezeichnen, nur beiläufig und in aller Kürze behandelt, z. B. in De ira (Über die Wut), wo ohne moralische Bedenken ganz selbstverständlich davon die Rede ist, dass man als Arzt einem Patienten ohne Hoffnung auf Besserung beim Sterben hilft. Deutlich mehr Interesse zeigt Seneca für den vor der Entscheidung stehenden ›Patienten‹ selbst, der unter gewissen Umständen durchaus den Freitod wählen darf.

Der vorliegende Band möchte die Lesefrüchte, die man aus Senecas Gesamtwerk zum Thema ›Tod‹ sammeln kann, bündeln, strukturieren und sie vor dem philosophischen Gedankengebäude verstehen, das sich Seneca aus verschiedenen Philosophenschulen (d. h. ›eklektisch‹) zusammenstellt und mit eigenen Impulsen anreichert. Die dargebotenen Passagen wurden neu übersetzt. Absichtlich wurde mitunter eine das Textverständnis im Deutschen erleichternde Übertragung gewählt, die beispielsweise Satzteile des Originals umstellt oder typische Füllwörter hinzufügt. Auslassungen sind durch »[…]« gekennzeichnet.

Senecas philosophisches Werk besteht insbesondere aus den sog. Dialogi (›Dialogische Schriften‹).1 Erst nachträglich wurden hierbei 12 Bücher zu einer Einheit zusammengefügt, die um zwei Themenkomplexe kreisen, nämlich ›Schicksalsbewältigung‹ (wir werden öfter aus De providentia – Über die Vorsehung zitieren) und ›Der Mensch auf dem Weg zu seinem persönlichen Glück‹ (man beachte v. a. De tranquillitate animi – Über die Seelenruhe und De brevitate vitae – Über die Kürze des Lebens). Hinzukommen drei Trostschriften (consolationes), besonders diejenige an Marcia2, die um ihren früh verstorbenen Sohn trauert. Als Hauptquelle dienen Senecas ca. 6264 n. Chr. verfasste 20 Bücher der Epistulae morales (Briefe über Ethik), bestehend aus 124 Briefen. Seneca schreibt hier seinem ca. zehn Jahre jüngeren, philosophieinteressierten Freund Lucilius. Man geht jedoch davon aus, dass es sich hier nicht um echte Briefe handelt, die den historischen Lucilius in dieser Form erreicht haben, sondern um Kunstbriefe (Lucilius wird von seinem Freund Seneca also als Widmungsträger geehrt). Seneca hat für seine Schriften die Briefform gewählt, um – anders als bei einer wissenschaftlichen Abhandlung – seinen Lesern auf Augenhöhe begegnen, ihnen im Plauderton von Freund zu Freund Tipps geben zu können und dabei die Möglichkeit zu haben, ungeniert persönliche Erfahrungen miteinzubeziehen, ohne philosophische Themen systematisch abhandeln zu müssen. Die Briefe bauen aufeinander auf, wodurch sich eine Art Lehrgang mit spürbar steigendem Schwierigkeitsgrad ergibt.3 All die Aspekte der Todesthematik, die für Seneca von besonderem Interesse sind, lassen sich textübergreifend immer wieder finden: So hat z. B. die grundlegende Feststellung, dass der Mensch zu spät an seinen eigenen Tod denkt, obwohl um ihn herum tagtäglich Leichenzüge durch die Straßen ziehen, sowohl in den Epistulae morales und den Trostschriften an Marcia und Polybius als auch in De tranquillitate animi ihren Platz.

Bei der Zusammenstellung relevanter Textausschnitte hat man als Herausgeber zwei Möglichkeiten: man könnte einzelne längere Briefe bzw. Buchkapitel in Gänze vorstellen, wodurch man den Text ohne Zerstückelung im (komplexen) Originalkontext wiedergeben kann. Allerdings bietet ein solches Vorgehen keinen schnell verständlichen, geordneten Überblick über Senecas häufigste Aussagen zum Tod. In diesem Band folge ich daher der zweiten Möglichkeit: ich gruppiere entscheidende Passagen zum Tod unter thematischen Überpunkten. Das hat den Vorteil, dass man nicht von vornherein Stellen ausklammern muss, an denen die Todesthematik besonders treffend, aber eben nur in ein oder zwei Absätzen behandelt wird. Denn bei Seneca ist das durchaus der Regelfall: weniger als zehn der Epistulae morales sind ausschließlich dem Tod gewidmet und Senecas Schriften zeichnen sich gerade durch ihren Assoziationsreichtum aus. So wird im vorliegenden Band z. B. Senecas 24. Brief nicht als Einheit präsentiert, sondern in wichtige Passagen mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten aufgespalten. Eine findet sich im Kapitel VI (in »Gegen den Suizid aus bloßem Lebensüberdruss«), eine andere ergänzt in Kapitel II (in »Die Länge des Lebens ist irrelevant«) die Vorstellung, dass jeden Tag ein Teil von uns stirbt, und eine wurde dem Kapitel zur Todesfurcht zugeordnet. Dieses Vorgehen wird jedoch nur in dem Maße betrieben, wie es noch zweckdienlich erscheint: Es sollen ja noch Texte präsentiert werden, keine Kurzzitate; natürlich muss man sich bewusst sein, dass thematische Überlappungen nicht völlig auszuschließen sind und manche Passagen nicht einer einzigen Kategorie zugeordnet werden können.

An den Buchanfang wurde ein Kapitel zur Todesfurchtlogosadiaphoron