Inhalt
DER ZOMBIE VON LANDAU
RÜCKKEHR AUS DEM TOTENREICH
IM BANN DER VAMPIRE
DIE STUFEN ZUR VERDAMMNIS
JENSEITSGESÄNGE
DAS ZEICHEN DER ANGST
DER SCHRECKENSTURM DER VAMPIRE
DIE BROCKEN-HEXEN
DIE SCHRECKENSFAHRT
KREATUR DER DUNKELHEIT
TERROR STORYS
Herausgeber:
ROMANTRUHE-Buchversand
Cover: Del Nido
Satz und Konvertierung:
DigitalART, Bergheim.
© 2019 Romantruhe.
Alle Rechte vorbehalten.
Die Personen und Begebenheiten der
Romanhandlung sind frei erfunden;
Ähnlichkeiten mit lebenden oder
verstorbenen Personen sowie mit tatsächlichen
Ereignissen sind unbeabsichtigt.
Abdruck, auch auszugsweise,
Vervielfältigung und Reproduktion sowie
Speichern auf digitalen Medien zum
Zwecke der Veräußerung sind untersagt.
Internet: www.romantruhe.de
Kontakt: info@romantruhe.de
Produced in Germany.
Box 1 – Story 1
Miami hatte bedeutend mehr zu bieten, als lediglich die Schauplätze von Miami Vice, Alligatoren oder die Sümpfe. Es war eine Metropole, die sich in Teilen vom typischen Amerika abhob, in anderen Teilen jedoch anzunähern suchte.
Auf jeden Fall aber war Miami ein beliebtes Ausflugsziel für Amerikaner und ein noch beliebterer Ort für Touristen, die aus der ganzen Welt hierher kamen, um die Temperaturen, das Meer oder einfach nur die Hotels zu genießen.
Auch jetzt, gegen Ende des Jahres war es in Miami noch angenehm warm. Hier kannte man keinen richtigen Winter. Nun, im Grunde kannte man nicht mal einen Herbst, denn gerade wenn die Einwohner Floridas zu frösteln begannen, zogen sich die Touristen noch immer die Pullover aus. Selbst an Weihnachten zeigte das Thermometer warme 24 Grad, um in der Stillen Nacht auf knapp 17 Grad zu fallen.
Kein Wunder also, dass Santa Claus hier nicht in dickem, roten Mantel und einer langen Zipfelmütze auftauchte, sondern eher in typischer Surf-Kleidung.
Doch noch war es nicht soweit, noch war Santa und das Weihnachtsfest nicht mehr als ein Werbeslogan in der Glotze oder ein riesiger Süßwarenstand im Supermarkt. Die Menschen gingen ihrer Arbeit nach, genossen die warmen Temperaturen oder fuhren an den Wochenenden mit ihren Booten raus in die Everglades.
Für Peter Riegel und seine drei Freunde ging eine weitere Nacht im sonnigen Florida zu Ende, als sie gegen drei Uhr am Morgen aus einer Striptease-Bar kamen. Sie hatten dort getrunken und gelacht, den Frauen bei ihren Tänzen zugesehen und über zwei Stunden lang versucht, eine von ihnen – eine dunkelhäutige Schönheit – dahingehend zu bewegen, mit ihnen Sex zu haben.
Vergebens.
In den USA – das mussten sie feststellen – gab es Prostitution und es gab Nightclubs, in denen getanzt wurde. Beides zusammen allerdings gab es nicht, und wenn man eine Nutte an der Straße traf oder über den Hostessen-Service buchte, war es mehr oder weniger illegal. Kein Wunder, dass die Begleitagenturen in ihren Annoncen schrieben, dass dies kein Angebot für sexuelle Dienstleistungen sei, sondern lediglich „Begleitservice“, und dass alles, was jenseits der regulären Arbeit ablief, unentgeltlich und aus freien Stücken der Bediensteten geschah.
Jeder wusste, dass dies ein Haufen Scheiße war. So wie jeder wusste, dass sich in den Flaschen in den braunen Papiertüten natürlich Alkohol befand und sich die Leute gerade einen genehmigten. Doch so lange die Flasche in der Tüte blieb, verstieß der heimliche Zecher nicht gegen das Gesetz, welches den Konsum von Alkohol auf der Straße verbot. Und so lange die Begleitagenturen ihren Standard-Text unter die Anzeige schrieben, war es okay. Es sei denn, die Sitte führte ein paar Stichproben durch – dann fielen die Frauen auf, wurden vor Gericht gestellt und irgendwo eröffnete eine neue Agentur.
Peter Riegel und seine Freunde waren frustriert. Sie hatten den Schuppen aufgesucht, weil es dort angeblich anders sein sollte als in den anderen Läden in Miami. Hier, so hatte ihnen der Taxifahrer geflüstert, würden die Frauen mit ihren Gästen ins Separee gehen, um dort etwas Spaß zu haben. So lange der Preis stimmt, hatte der Latino noch hinzugefügt. Doch dies verstand sich ja fast von selbst.
Nun standen sie vor der Tür des Etablissements und wussten, dass man sie einmal mehr über den Tisch gezogen hatte. Teurer Eintritt, teure Getränke und teure Mädels, die zwar ihre Hüllen hatten fallen lassen – mehr aber auch nicht. Vermutlich kassierte der Taxifahrer kräftig ab, war anteilsmäßig an den Einnahmen beteiligt. Du bringst die Kunden – wir geben dir ein Stück vom Kuchen. Die alte Leier und eigentlich überall gleich.
„Mist“, fluchte Hans Zumdick. „Die hat sich ja geziert, wie die Jungfrau vom Lande. Wackelt mit ihrem Hintern vor unserem Gesicht herum, aber sobald man sie anfassen will …“
„Das nächste Mal schenken wir uns den Flug und das teure Hotel“, ereiferte sich Wim Wagner, der Dritte im Bunde. „Da steigen wir in einem Hotel in Frankfurt ab, erzählen unseren Frauen nichts davon und vögeln uns von dem Geld durch die Clubs. Da kommt man wenigstens zum Schuss. Anders als hier.“
Linus Mahler, der vierte und ruhigste der vier Kumpel, nickte lediglich knapp. Ihm hatte gefallen, wie die Frau tanzte. Etwas mehr, Hautkontakt wäre schön gewesen – doch dies war für ihn keine Pflicht.
„Ach wisst ihr, wir sind doch nicht nur nach Miami gekommen, um mit einer Tänzerin zu schlafen. Das Meer und das Hotel ...“
„Um mit einer Tänzerin zu schlafen? Scheiße Linus – was hast du denn getrunken? Natürlich sind wir hier, um zu poppen“, ereiferte sich Riegel. „Schon die ganze Zeit freue ich mich darauf, so eine kleine Schwarze zu „vögeln“.“
„Und deine Frau? Ich meine – die sitzt zu Hause, und denkt, wir schauen uns Krokodile an. Was würde sie wohl sagen, wenn …“
„Linus – halt die Klappe. Noch ein Wort, und du fliegst aus unserem Safari-Club raus. Dann kannst du nächste Woche mit deiner Alten in den Schwarzwald fahren.“
Linus hielt die Klappe. Er mochte das Macho-Gehabe seiner Freunde nicht sonderlich, doch mit seiner Frau in die Schwarzwaldhütte zu fahren mochte er noch weniger. Also schwieg er, ließ ihnen ihr pubertäres Geschwätz und zuckte nur mit den Schultern.
„Und jetzt?“, fragte Zumdick. Er schaute auf die Uhr. Es war drei durch, doch noch war er viel zu aufgeputscht, um ans Schlafen zu denken. Der Alkohol und die Erinnerung an die Tänzerin ließen ihn unter Strom stehen. „Noch ein anderer Club? Oder schauen wir mal, ob wir irgendwo eine Nutte aufreißen können? Hier muss doch irgendwo der Strich sein.“
„In Frankfurt hätten wir längst einen weggesteckt“, knurrte Wagner. „Aber hier …“
Niemand reagierte auf ihn. Auch nicht Riegel, der angestrengt über die Straße zu einem kleinen Park schaute.
Da war doch was gewesen.
Er legte den Kopf schief, starrte angestrengt ins Dunkel und nickte schließlich zufrieden. Dort am Eingang des Parks lehnte wirklich eine junge Frau auf ihrem Fahrrad. Der Hautfarbe nach, die im Licht einer Laterne schimmerte, war sie eine Mulattin. Sie war noch jung, kaum achtzehn Jahre alt, wie es aussah. Lange, schlanke Beine und ein hübsches Gesicht. Ihre Haare hatte sie zu einem Zopf gebunden, der sie noch hübscher machte. Eine enge Blue-Jeans sowie ein knappes Shirt rundeten das Bild ab.
„Jetzt schau sich einer diese Kleine an. Was macht die denn mitten in der Nacht an einem Park? Ich wette, das ist ’ne Nutte.“
Zumdick griente.
„Da könntest du Recht haben, Alter. So ne Kleine sollte eigentlich im Bett liegen. Stattdessen treibt sie sich hier in der Gegend rum. Klar ist das eine Nutte. Und wie.“
Wagner war bereits unterwegs zu ihr. Die junge Frau sah ihn kommen, schaute fragend erst zu ihm, dann zu den anderen Männern, die ihm folgten und spürte, dass die Sache schief laufen konnte. Sie wollte weiterfahren, doch da war Wagner bereits bei ihr und hielt den Lenker fest.
„Hallo, Süße.“ Sein Englisch war nicht gut, aber dafür reichte es. „Wie viel kostet es denn?“
„Kostet was?“ Die Mulattin versuchte, ihren Lenker aus dem Griff des Mannes zu drehen, um davon zu radeln. „Ich bin keine Prostituierte.“
„Ach nein?“, höhnte Riegel, der gemeinsam mit seinen Kumpels aufgeschlossen hatte. „Und was machst du dann um diese Zeit noch am Park?“
Sie deutete auf ihren Rucksack, aus dem ein paar Zeitungen schauten. Sie hatte ihn auf den Gepäckträger geschnallt, um es leichter zu haben.
„Also schön, dann fährst du eben diese Blätter aus“, grummelte Riegel. „Aber du hast doch sicher nichts dagegen, dir etwas Geld dazu zu verdienen. Also – was hältst du von 400 Dollar?“
„Für was?“
Die unschuldige Frage sowie der fast ängstliche Blick der jungen Frau amüsierten die deutschen Touristen.
„Na, für was wohl? Wir nehmen dich mit auf unser Hotelzimmer und haben dort etwas Spaß. 400 Dollar sind doch eine schöne Summe, oder? Dafür müsstest du viele Zeitungen ausfahren.“
Wagner und Zumdick lachten schallend, während sich Mahler kopfschüttelnd abwendete. Ging sie mit – okay. Dann war sie eben eine kleine Schlampe. Aber darauf wettete er nicht. Sie sah nicht aus, als würde sie es für Geld tun. Seiner Meinung sah sie eher aus, als hätte sie es überhaupt noch nicht getan. So, wie es die First Lady predigte – kein Sex vor der Ehe und in der Ehe nur, um Kinder zu zeugen. Kein Wunder also, dachte Mahler, dass Clinton seine Frau betrügt.
„Ich bin doch keine Nutte“, ereiferte sich die junge Frau derweil. „Ihr Schweine solltet lieber in euer Hotel gehen und kalt duschen, ehe ich die Polizei rufe. Also wirklich …“
Sie zerrte an ihrem Rad, um es aus Wagners Griff zu befreien. Riegel aber, dem die Beleidigung gar nicht gefallen hatte, wurde wütend.
„Schweine?“, fragte er dabei drohend. „Wir waren nett zu dir und können wohl erwarten, dass du nett zu uns bist. Aber wenn du uns beleidigst …“
Er griff nach ihrem Arm, um sie fest zu halten. Hart gruben sich seine Finger in ihre Schulter. Sie riss sich los – mit dem Erfolg, dass ihr Shirt zerriss.
„Verdammt“, fluchte sie und wollte absteigen, um zu fliehen. Meinetwegen konnten sie ihr Rad haben oder auch die Zeitungen. So lange sie nur weg kam von ihnen. Sie roch den Alkohol und wusste, dass die Männer dicht davor waren, die Beherrschung zu verlieren.
Sie kannte solche Situationen.
Während des Spring Break, einem feucht-fröhlichen Wochenende in Florida zur Feier des Frühlings-Anfangs, kam es immer mal wieder zu Übergriffen. Stets war Alkohol im Spiel.
„Es tut mir leid“, murmelte sie daher. Es war besser, nichts zu riskieren. Sie war bereits runter vom Rad, ging ein paar Schritte und wandte sich schließlich noch einmal um. Die Männer, die erst jetzt begriffen, dass die junge Frau gehen wollte, schleuderten wütend das Fahrrad zur Seite. Es schepperte über den Boden, bevor es liegen blieb. Die Zeitungen verteilten sich über den Asphalt.
„Bleib gefälligst da, Süße. Wir sind noch nicht fertig. Du willst unser Angebot also ablehnen? Nennst uns Schweine?“
Riegel redete sich in Rage. Er machte ein paar Schritte, was die Mulattin veranlasste, endgültig die Flucht zu ergreifen. Sie lief los, und dies weckte den Jagdinstinkt der Männer.
Sie setzten ihr nach.
Ein Stück hetzten sie den Gehweg entlang, ehe die Fliehende einen groben Fehler beging – sie glaubte, die Männer im Park abschütteln zu können. Dass es sich bei ihnen um Touristen handelte, war ihr klar. Im Park kannte sie sich aus – ihre Verfolger hingegen nicht. Also nahm sie einen kleinen Weg, um diesen aber nach ein paar Metern zu verlassen und sich in die Büsche zu schlagen.
Riegel, Zumdick und Wagner folgten, während Linus Mahler zurück blieb. Er fand widerlich was geschah, wollte seinen Freunden aber den Spaß lassen. Zumal Mahler nicht glaubte, dass sie allzu weit gehen würden.
„Da ist die kleine Schlampe“, rief Riegel, der noch am ehesten mit der Flüchtenden mithalten konnte. „Die greifen wir uns.“
Die Mulattin lief. Panik hatte sie ergriffen, doch kein Laut verließ ihre Lippen. Sie wusste, dass ihr eh niemand zur Hilfe kommen würde. Nicht in diesem Teil von Miami. Es war wirklich nicht die beste Gegend, in der sie mit ihrer Mutter wohnte. Aber was Besseres konnten sie sich eben nicht leisten.
In diesem Moment jedoch wünschte sie sich, in der Villengegend zu wohnen, denn dort patrouillierten ständig Polizisten.
Anders als hier, denn im Moment ließ sich keiner blicken. Andererseits schlugen sich die Beamten auch nicht durch die Büsche, wie sie es gerade tat.
Hinter ihr brach Riegel durch die Zweige, gefolgt von seinen beiden Kumpanen. Die junge Frau glaubte, den Atem ihres Verfolgers im Genick spüren zu können. Sie wandte sich um, übersah eine Wurzel – und schlug der Länge nach hin.
Noch ehe sie sich wieder aufrappeln konnte, waren die Hände da. Sie drückten sie zu Boden, andere rissen ihr das Shirt und dann die Hose vom Leib.
Jemand hielt ihr den Mund zu.
Ihr Slip wurde zerrissen.
Die junge Frau wollte schreien. Dass sie noch Jungfrau sei und sie ihr bitte nichts antun sollten. Sie war sogar bereit, ihnen Geld zu geben, sofern sie sie nur nicht vergewaltigten.
Doch Riegel und seine Freunde wollten kein Geld.
Sie wollten Sex.
Und den bekamen sie – wenn auch mit Gewalt.
Die junge Frau – ihr Name lautete Serena Camea – schloss die Augen, als Riegel hart und brutal in sie eindrang. Ihre Hände und Füße wurden gehalten, ebenso wie eine Hand auf ihrem Gesicht ruhte und ihr kaum die Luft zum Atmen ließ – geschweige denn, um zu schreien.
Sie spürte, wie ihr Hymen durchstoßen wurde. Wie ihre Peiniger sich wieder und wieder an ihr vergingen, sich in sie ergossen und sie schlugen.
„Du hättest 400 Dollar haben können“, grunzte Riegel auf Deutsch, während er sich von Serena wälzte, um seinen Kumpel Zumdick dran zu lassen. „Aber nein, du wolltest ja nicht. Jetzt bekommst du, was du verdienst.“
Zumdick lachte hässlich, während seine schwieligen Hände hart die zarten Brüste seines Opfers kneteten. Serena spürte den Schmerz. Sie hielt die Augen geschlossen – so, als könne sie auf diese Art dem Grauen entgehen, welches ihr widerfuhr.
Noch immer hielt ihr eine nach Nikotin stinkende Hand Mund und Nase zu. Sie wusste nicht, wem sie gehörte. Erst, als eine Stimme erklang, fast kreischend etwas zeterte und jemand den Peiniger von ihr runter riss, schaute sie wieder auf. Sie sah die drei Männer, die sie der Reihe nach vergewaltigt hatten. Sie sah aber auch den Vierten der Gruppe, der voll Wut auf seine Freunde einredete. Noch kniete einer der Typen neben ihr, schaute fast verschämt zu seinen Kumpanen.
Es war Riegel.
Serena, die keinen der Namen kannte, konnte sich wieder bewegen. Ihr Körper fühlte sich zerschunden an, jede Kraft schien aus ihren Muskeln gewichen zu sein.
Sie hob ihren Arm, wühlte eine Hand in die Haare von Riegel und zog an ihnen.
„Du Schwein“, presste sie dabei hervor. Auch wenn es gefährlich war, diesen Mann erneut zu reizen, ihn zu beleidigen, musste sie ihrem Schmerz und ihrer Qual einfach Luft verschaffen.
Serena spürte, dass sie ihm einen ganzen Büschel Haare ausriss. Ihre Hand hielt sie umklammert, während Riegel vor Schmerzen jaulte, ausholte und zuschlug. Mit der Faust, direkt in ihr Gesicht. Noch einmal waren die Männer wie entfesselt. Sie hatten sich an ihr vergangen und befriedigt – nun schlugen und traten sie auf die junge Frau ein.
„Du Schlampe“, zischte ihr Riegel auf Englisch ins Gesicht, während er mit seiner Faust in ihren Unterleib hieb, „du reißt mir nicht noch einmal meine Haare aus.“
Serena spürte, wie die Schläge auf ihren Körper niederprasseln. Auch wenn sie litt wie ein Hund, war es ihr in diesem Moment lieber, als wieder vergewaltigt zu werden.
Erneut war es Linus, der eingriff und die Männer von ihrem Opfer wegzog. Er sah das blutende, wimmernde Bündel auf der Erde liegen, besudelt mit Speichel und Samen.
Ekel erfasste ihn. Purer Ekel. Er schrie seine Freunde an, schubste sie von der Frau weg und versuchte, sie wieder zur Vernunft zu bringen. Auch wenn es anfangs nicht so schien, als habe er damit Erfolg, gelang es ihm schließlich, die Männer in Richtung Park-Ausgang zu lenken, während Serena liegen blieb. Sie fürchtete, einer von ihnen könnte zurückkehren, um sie zu töten.
Aber dies geschah nicht.
Die Männergruppe kehrte ins Hotel zurück. Anders als es Linus erwartet hatte, waren seine Kumpels weder niedergeschlagen noch zerknirscht. Mehr noch – sie beglückwünschten sich, lachten über die kleine Mulatten-Fotze und redeten sich erneut in einen Rausch. Sie wussten, dass ihnen kaum etwas geschehen konnte. Schon am nächsten Tag würden sie in einer Maschine sitzen, und nach Los Angeles fliegen. Noch einmal eine Woche Urlaub, ehe es nach Hause ging. Auch wenn sie ihr Sperma sowie ihren Speichel auf der Kleinen hinterlassen hatten, käme ihnen die Polizei kaum auf die Schliche.
Keine Zeugen.
Kein Vergleichsmaterial für eine DNA-Untersuchung.
Nicht einmal ihre Namen kannte ihr Opfer – falls es die Nacht überhaupt überleben würde. Sie fühlen sich befreit von allen moralischen Zwängen, von allen Regeln und auch von allen Konsequenzen.
Serena hingegen harrte in dem Gebüsch aus. Nackt, verprügelt und vergewaltig lag sie auf der harten Erde und bebte innerlich. Erst als sie die Stimmen zweier Frauen hörte, wagte sie es, aus dem Gebüsch zu kriechen. Die Sonne war inzwischen aufgegangen, um den Park herum tobte das normale Leben eines Tages in Miami.
„Bitte … helft mir …“, brachte sie noch hervor. Sie sah die entsetzen Blicke der Frauen, sah auch, dass eine nach ihrem Mobiltelefon griff, während die andere zu ihr eilte. Mehr aber erlebte sie nicht mehr bewusst mit, denn plötzlich sackte ihr Geist weg. Ein Blackout, der ihr alles Weitere ersparen wollte. Einzig die Haare, welche sie einem ihrer Peiniger ausgerissen hatte, hielt sie krampfhaft in der rechten Hand.
Sie hielt diese noch, als Rettungswagen und Polizei eintrafen, um sich um sie zu kümmern. Selbst als ihre Mutter, herbeigerufen von den Streifenbeamten, an das Krankenbett trat, in dem sie lag, hielt sie die Haare in Händen. Nicht einmal den Ärzten und Schwestern im Hospital war es gelungen, ihr diese wegzunehmen.
*
„Wie meinen Sie das – Sie haben keine Ahnung, wer meiner Tochter das angetan hat? Ich dachte, die Experten hätten so viele Spuren gefunden.“
Die Stimme der schon älteren Frau überschlug sich fast.
Seit sie in den 60er Jahren als junges Mädchen in die USA gekommen war, hatte sie schon viel Mist erlebt. Mist, den sie ihrer Tochter Serena hatte ersparen wollen.
Aber nun war diese zum Opfer eines Verbrechens geworden, welches bei weitem schlimmer war als alles, was sie selbst hatte durchmachen müssen. Weder die Einwanderungsbehörde konnte hier mithalten, noch ihr Mann, der sie ab und an schlug. Nicht einmal ihr Chef im Supermarkt, in dem sie schuftete – obwohl auch er ein ausgemachter Widerling war.
Aber Serenas Mutter wusste, dass das, was ihrer Tochter widerfahren war, das Leben und die Seele ihres Lieblings zerstören konnte.
„Miss Camea, ich weiß, wie schlimm das ist. Für Sie und vor allem auch für Ihre Tochter. Doch die Spuren, die wir fanden, die sind …“
„Nein“, rief die Mutter wütend, „Sie wissen nicht, wie schlimm das ist. Sie haben keine Ahnung, sondern dreschen nur leere Phrasen. Welche Spuren haben Sie denn?“
Lieutenant Smith, der ermittelnde Polizist, verzog kurz den Mund. Er wusste, dass das, was er der Frau nun zu sagen hatte, für einen weiteren Schock bei ihr sorgen würde.
„Ähm … Miss Camea, wir fanden den Samen und damit die DNA von drei Männern bei Ihrer Tochter. Das heißt, sie wurde von drei …“
Er musste nicht weiter sprechen, denn die Frau verstand. Drei Männer hatten sich an meiner Tochter vergangen. Drei Männer!
„Wenn Sie doch die DNA haben“, schluchzte sie, „dann müssen Sie doch auch wissen, wer es war. Ich verstehe das nicht.“
„Sehen Sie, Miss Camea“, erklärte Seargant Will Kinkle, der Partner von Lieutenant Smith, „DNA-Spuren sind wie ein Memory-Spiel. Wir haben nun eine Karte – die Spuren der Täter. Aber erst wenn wir die zweite Karte haben, jene mit den Namen, können wir jemanden verhaften. Diese Täter sind jedoch nicht in unserer Datenbank erfasst. Darum haben wir keine Zuordnung und die Karte, die uns zu den Verbrechern führt, liegt noch im großen Stapel all der anderen Karten, die da draußen rumlaufen.“
„Also können wir nur darauf hoffen, dass diese Täter irgendwann einmal wieder eine Frau vergewaltigen. Gott, das ist so grausam.“
Misses Camea brach in Tränen aus. Die Vorstellung, dass die Täter ungestraft davon kommen könnten, ließ sie schier verzweifeln.
„Nun ja – wir haben keine Augenzeugen und auch sonst keine Hinweise, welche uns zu den Tätern führen würden. Niemand hat etwas gesehen oder gehört. Es könnten Touristen gewesen sein. Die Kollegen haben erfahren, dass eine Gruppe Deutsche einen Nightclub ganz in der Nähe besuchten und etwa zur Tatzeit das Lokal verließen. Aber weder kennen sie ihre Namen, noch konnten sie die Männer sonderlich gut beschreiben.“
Plötzlich veränderte sich der Gesichtsausdruck der Frau. Die Trauer und Verzweiflung verschwand für einen Moment, bevor sie mehr zu sich als zu den Beamten nickte.
„Also schön. Wenn Sie hilflos sind, dann machen wir es eben auf unsere Art. Ist ja nicht das erste Mal, dass wir auf uns gestellt sind.“
„Es wäre leichter, Miss Camea, wenn Ihre Tochter mit uns sprechen würde. Doch seit diesem Abend schweigt sie. Kein Wort kam über ihre Lippen, und dies ist doch sehr … kontraproduktiv. Außerdem raten wir dringend davon ab, irgendwelche Privatermittler zu engagieren. Das sind oftmals Scharlatane und ihr Geld nicht wert.“
„Wir engagieren keine Privatermittler. Dies könnten wir uns auch gar nicht leisten. Zudem weiß ich, dass meine Tochter nicht spricht. Sie spricht auch nicht mit mir. Nein, wir werden Hilfe in unserer Religion suchen. Sie ist der einzig verlässliche Anker in einer Welt, die von reichen, weißen Männern regiert wird.“
„Ähm“, murmelte Lieutenant Smith. „Nun ja – dies ist immer ein guter Rat. Beten Sie für Ihre Tochter und dafür, dass sie all das überstehen wird.“
„Ich werde mehr tun als das. Viel mehr. Und nun – entschuldigen Sie mich bitte.“
Damit wandte sie sich ab und machte deutlich, dass die Besuchszeit für die Polizisten abgelaufen war. Die beiden Männer hatten schon viel gesehen, doch diese Vergewaltigung ging sogar ihnen an die Nieren. Eine junge Frau, die von drei Männern missbraucht wird – das kam nicht gerade häufig vor.
„Denkst du“, murmelte Kinkle, während sie die Treppen des Mehrfamilienhauses hinab gingen, in dem die Familie Camea wohnte, „sie geht in die Kirche, um dort eine Kerze anzuzünden? Ich meine – sie wirkte gar nicht religiös.“
Smith lachte laut.
„Eine Kerze anzünden? Kumpel – die kommt aus Haiti. Da rennt man nicht in die Kirche. Da schlachtet man ein Huhn und ruft den großen Macumba an.“
„Kommt Macumba nicht aus Brasilien?“
„Keine Ahnung“, erwiderte Smith gereizt.
„Ist mir auch egal. Die bastelt sich jetzt ein haitianisches Voodoo-Püppchen, steckt ein paar Nadeln rein und hofft, dass irgendwo auf der Welt der Schuldige tot umfällt. So läuft das bei denen.“
Kinkle lachte.
„Nun ja – wenn du meinst. Und was machen wir? Ich meine – wenn die Kleine nicht redet, wir keine Spuren haben und sich kein Zeuge meldet, sieht es finster aus.“
„So ist es, Kumpel. Dann sieht es finster aus. Wir legen die Sache beiseite, bis sich ein Polizeipsychologe mit Serena unterhalten hat. Mal sehen, ob sie ihm Rede und Antwort steht. Wenn nicht …“
„Wenn nicht, soll die Mambo sehen, was sie erreicht. Diese Püppchen können ja ganz niedlich sein.“
Beide Beamte lachten, während sie zu ihrem Wagen gingen. Oben, in der dritten Etage des Mehrfamilienhauses schaute Misses Camea aus dem Fenster. In ihren Zügen spiegelte sich grimmige Entschlossenheit.
Sie war eine Mambo, machte jedoch sehr wenig Gebrauch von ihrem Wissen, da sie sich anderen Voodoo-Gemeinden in Miami angeschlossen hatte. Nun aber wurde es für sie Zeit, das alte Wissen noch einmal zu beleben.
Ja, sie würde eine Puppe basteln und dazu jene Haare benutzen, die Serena einem ihrer Peiniger ausgerissen hatte.
Und ja – es sollte eine Zeremonie geben an deren Ende sie hoffen würde, dass irgendwo ein Mann tot umfiel.
Doch dies allein sollte noch nicht das Ende ihrer Rache sein.
Oh nein – ihr Zorn ging weiter. Drei Männer hatten Serena vergewaltigt, sie geschlagen und ihr jede Freude am Leben genommen.
Also mussten auch drei Männer sterben.
Ihr war klar, dass sie in die Tiefen der schwarzen Magie eintauchen musste, um ihr Ziel zu erreichen. Die Mambo musste Bereiche des Voodoo berühren, die keine Priesterin und kein Priester je berühren sollte. Ein Teil entstammte dem brasilianischen Macumba, ein Teil ihren haitianischen Wurzeln.
Es war gefährlich und konnte das Unheil über sie bringen. Für Serena jedoch war sie bereit, dieses Risiko einzugehen.
*
Das Weihnachtsfest stand vor der Tür. Noch zwei Wochen, ehe das heiligste aller Feste nach seinem Recht verlangte.
Gewiss, in der christlichen Tradition stand Ostern höher als Weihnachten, doch der Hype um das Christfest war ungleich größer. Die Werbung, die Auslagen, die schon im Oktober mit den Nikoläusen lockten und auch die Sender in der Glotze, die auf das himmlische Fest hinwiesen. So sehr sich der Osterhase auch anstrengen mochte – gegen den Nikolaus hatte er keine Chance.
Peter Riegel saß zufrieden in seinem Wohnzimmer und starrte auf die Mattscheibe. Die Nachrichten waren durch, nun stand der Film an. Ein Thriller, wie es hieß, der in Miami spielte.
Mit einem leichten Lächeln dachte er an sein eigenes Erlebnis dort. Die Kleine hatte bekommen, was sie verdiente – nicht mehr. Noch immer fühlte er sich nicht schuldig oder gar schlecht. Sie alle hatten an diesem Abend Sex gewollt. Aufgegeilt durch die Tänzerinnen im Nightclub waren sie vor die Tür gegangen und hatten sich eben abreagiert. Wäre die kleine mit ihnen gegangen – alle hätten ihren Spaß gehabt.
Aber nein.
Die junge, kakao-braune Frau hatte ja zicken müssen. Mehr noch – sie hatte sie als „Schweine“ bezeichnet. Und das war ein Fehler, den sie ihr einfach nicht hatten durchgehen lassen können.
„Das Bier ist alle.“
„Dann hol dir selbst eines. Du weißt doch – ich habe Kartenabend mit meinen Freundinnen. Bin schon fast weg.“
Peter Riegel verzog den Mund. Einmal die Woche traf sich seine Frau mit ein paar Freundinnen, um Karten zu kloppen. Kein Skat, wie er es am Stammtisch spielte, sondern Rommee und Canasta.
Er mochte die Freundinnen seiner Frau nicht. So wenig, wie sie seine Freunde vom „Safari-Club“ mochte. Sie argwöhnte, dass es bei der Sache nicht um wilde Tiere ging, sondern ganz profan darum, die Ehefrauen zu betrügen. Andererseits konnten er sich seine Extravaganzen wie die Reise einmal im Jahr leisten. So, wie sie sich auch ihre Extravaganzen leisten konnten.
Der Kegelausflug im Juni etwa, bei dem es auch nicht allein ums Kegeln ging. Andere Frauen hatten ebenfalls hübsche Söhne. Hübsche – und auch junge.
Mürrisch erhob sich Riegel, um eine frische Flasche Bier aus dem Kühlschrank zu holen. Er wollte sich beeilen, um nicht den Anfang des Krimis zu verpassen. Was war ein Thriller schließlich Wert, wenn man gleich zu Beginn die Leiche versäumte?
Wie wenig ahnte er, dass es an diesem Abend einen Horror-Thriller geben würde, bei dem er die Hauptrolle spielte.
*
Viele tausend Kilometer entfernt saß Salma Camea auf dem Boden einer kleinen, abgelegenen Hütte. Mit dem noch warmen Blut eines Huhns hatte sie einen Kreis um sich gezogen, an verschiedenen Stellen Kerzen aufgestellt, die nun das Innere des Raumes erleuchteten, und auch die Wände mit magischen Symbolen des Voodoo bemalt. Sie selbst trug ein schlichtes Kleid, unter dem ihre nackten Beine und Füße hervor schauten.
Ihr Blick schien entrückt, während sie eine kleine Puppe aus einem einfachen Karton nahm. Sehr vorsichtig legte sie das kleine Püppchen vor sich.
Es war keine großartige Bastelarbeit. Arme, Beine und ein flacher Rumpf. Kleine Knopf-Stecker dienten als Augen, Nase und Mund. Einzig die Haare waren eine Besonderheit, denn es waren jene, die Serena ihrem Peiniger hatte ausreißen können. Die Mambo hatte sie kunstvoll um den Kopf der Puppe geflochten, so dass sie sehr natürlich wirkten.
Wochen waren vergangen, ohne dass die Polizei auch nur den geringsten Hinweis auf die Identität der Täter hatte finden können. Serena war längst aus der Klinik entlassen, die Rechnung des Hospitals mithilfe zahlloser Spenden aus der Gemeinde bezahlt.
Der Körper des Mädchens war geheilt.
Ihre Seele nicht. Dies sah Salma, denn ihre Tochter wohnte dem Zeremoniell bei. Die Mutter brauchte ihrer Tochter nur in die Augen zu schauen um zu wissen, wie sehr diese noch immer litt.
Die Voodoo-Priesterin hoffte, dass sich dies mit dem Ritual ändern würde. Ihre Tochter sollte sehen, dass der Schuldige bestraft wurde. Dies, so sagte sich die Mambo, sollte Serenas Seele beruhigen und heilen lassen.
Die Kerzen flackerten, denn die Wände der Hütte waren rissig. Wind drang von außen ein. Dennoch war es nahezu dunkel. Die beiden Frauen hatten zuvor sämtliche Fenster verhängt, um die Sonne auszuschließen. Nur die Kerzen brannten, das musste reichen.
So sah es das Ritual vor, welches sie ausführen wollten. Es sollte nicht einfach den Schuldigen töten. Mehr noch als das sollte es vor allem die Seele und den Körper des Täters zu einem Instrument ihrer Rache machen.
Salma begann.
Sie murmelte Worte, die nur ihr bekannt waren. Serena saß ihr nahezu steif gegenüber, beobachtete ihre Mutter bei dem, was sie tat.
Die Mambo redete schneller. So, als würde sie sich in die Sache hineinsteigern, kamen ihr die Worte über die Lippen. Fremde Worte, für Serena völlig unverständlich.
Dennoch zeigten sie Wirkung, denn plötzlich war es, als würde das vergossene Blut in einem tiefen Lila fluoreszieren. Es leuchtete regelrecht, so dass sich die Konturen der verwendeten Symbole noch deutlicher vom weißen, schmutzigen Putz der Wände abhoben.
Serena spürte Angst in sich aufkeimen. Das, was hier geschah sollte zwar dazu dienen, das ihr zugefügte Unrecht zu sühnen. Die Methoden waren ihr jedoch fremd und suspekt, ängstigten sie über alle Maßen.
Ein Zittern lief durch ihren Körper, doch sie schaffte es nicht, aufzustehen und den Raum zu verlassen. Tiefer als die Angst saß der Wille, diese Männer zu bestrafen.
Darum blieb sie.
Ihre Mutter redete noch immer. Sie hielt die Puppe in der einen Hand, eine Silbernadel mit blutrotem Kopf in der anderen. Die Stimme der Priesterin steigerte sich zu wütendem Gekreische, wurde zu einem lauten Singsang und plötzlich, als sei die Zeit reif, stieß sie die Nadel in den Leib der Puppe. Salma hatte dabei vage auf die Brust gezielt, diese aber verfehlt und den Magen getroffen.
*
In Deutschland stand Peter Riegel in der Küche, hielt eine Flasche Bier in der Hand und starrte noch immer mürrisch zu seiner Frau. Diese trug inzwischen ihren Mantel, hatte die Hände in einem Muff vergraben und drehte sich vor dem Spiegel.
„Willst du Karten spielen gehen, oder fremdgehen?“
„Karten spielen. Nur Karten spielen, geliebter Mann. Dennoch sollte eine Lady stets hübsch aussehen. Findest du nicht?“
„Eine Lady – ja“, erwiderte Riegel schlagfertig. „Aber du …?“
Für einen Moment überlegte sich Frieda Riegel, ob sie über diesen Witz lachen oder lieber hinweggehen sollte. Irgendwo, tief in ihrem Inneren gab es noch so etwas wie Liebe für ihren Gemahl. Doch darüber lag ein dichter Wust aus Verachtung, Kränkungen, nicht zu Ende geführten Streitigkeiten und gegenseitigen Schuldzuweisungen an diesem oder jenem. Plötzlich aber, noch bevor sie eine Entscheidung getroffen hatte, wurde all dieser Ballast beiseite geschleudert und ihre Liebe kam hervor.
Peter Riegel stöhnte nämlich auf. Laut, viel lauter als sonst, wenn ihn ein Zipperlein plagte, stöhnte er. Die Flasche mit dem Bier glitt zwischen seinen Fingern hindurch, fiel zu Boden und das Getränk lief dort aus. Beide Hände krümmte er auf seinen Leib. Ihm war, als habe ihm jemand einen Dolch in den Magen gerammt.
„Was ist denn?“, schrie Frieda entsetzt. „Peter, was ist?“
Ihr Mann antwortete nicht. Der Schmerz schien ihm den Atem geraubt zu haben. Dann, von einer Sekunde auf die andere, war es vorbei.
Er richtete sich auf, atmete tief durch und starrte zu Frieda, die nicht begriff.
Wie hätte sie auch können?
„Ich glaube“, wisperte er, „meine Gallensteine sind wieder da. Das war eine Kolik.“
Schweiß lief ihm über die Stirn. Er zitterte, machte ein paar Schritte und stapfte dabei durch den ausgelaufenen Gerstensaft. Doch der war ihm im Moment völlig egal. So lange nur dieser Schmerz nicht zurückkehrte.
„Soll ich bleiben? Wer weiß, was daraus noch entsteht. Ich rufe nur rasch meine Freundinnen an. Warte mal.“
Sie zog den Muff aus, schlüpfte aus dem Mantel und griff zum schnurlosen Telefon, welches auf dem Schuhschrank lag.
In Miami hielt die Mambo die Nadel in Händen, ihr Gesicht zu einer grimmigen Grimasse verzogen. Sie wusste, dass ihr Ritual funktionierte. Tief in ihrem Kopf war der Schrei des Mannes erklungen, den sie hatte treffen wollen.
Aber dies war erst der Anfang,
Wieder stimmte sie eine Formel an, riss die Nadel hoch und bohrte sie in die rechte Brustseite der Puppe.
*
Peter Riegel schrie.
Er saß in seinem Sessel, bäumte sich jedoch darin auf und griff sich diesmal an die Brust.
Das Herz, schoss es ihm durch den Kopf. Dann fiel ihm jedoch ein, dass das Herz auf der linken Seite der Brust saß, und nicht so weit rechts.
Die Lunge. Verdammt – es muss die Lunge sein.
Seine Frau kam aus dem Flur geeilt, das Telefon noch in der Hand. Statt ihre Freundinnen zu informieren, wählte sie die 1-9-2-2-2 – die Nummer der Notrufzentrale.
Peter Riegel, der noch immer von Schmerzen durchflutete wurde, krümmte sich im Sessel. Er hatte keine Erklärung für diesen unglaublich intensiven Schmerz.
Schweiß troff von seiner Stirn, während sich seine Hände krampfhaft öffneten und schlossen. Er wimmerte, stöhnte und wandte sich, um eine einigermaßen erträgliche Position zu finden, welche ihm die Schmerzen nahm.
Die irrwitzigsten Gedanken jagten ihm durch den Kopf.
Meine Frau hat mich vergiftet. Ich habe mich in Miami mit einer Krankheit infiziert. Es ist Krebs. Ja, bestimmt ist es ein Tumor.
Der Schmerz verschwand, kaum dass die Mambo die Nadel zurückgezogen hatte. Peter Riegel sackte in seinem Sessel zusammen, während seine Frau hektisch die Adresse ihrer Wohnung durchgab. Der Mann in der Notrufzentrale versprach, sofort einen Rettungswagen zu schicken – hatte aber sonst keinen anderen Rat als jenen, dass sich ihr Mann auf den Boden legen sollte.
Sie hängte ein, ging besorgt zu ihrem Mann und sah sofort, wie sehr er litt. Sein Gesicht war rot angelaufen. Schweiß hatte seine Kleidung durchnässt und in der Lehne des Sessels klaffte ein Loch im Stoff. Seine Finger mussten sich derart hart hineingekrallt haben, dass er es bei seiner Schmerzattacke zerrissen hatte.
„Schatz – der Notarzt kommt gleich. Bitte – du sollst dich hinlegen. Es wäre besser, meinte der Mann am Telefon.“
Riegel nickte. Er hätte alles getan, um einen neuerlichen Schmerzanfall zu verhindern. Niemals zuvor hatte ihn etwas derart gequält. Selbst der Zahnarzt – Quelle seiner größten Furcht – war ein Witz im Vergleich zu dieser Pein.
*
„Und nun – sieh, wer dir all das antut. Sieh und stirb.“
Die Mambo stieß die Nadel ein letztes Mal in die Puppe. Diesmal traf sie die linke Brustseite, drang exakt dort ein, wo bei einem Menschen das Herz saß.
*
Riegel schrie auf. Er stand gerade vor seinem Sessel, als es ihn traf. Sein Schrei gellte zwischen den Wänden des Wohnzimmers wider, während er fiel. Beide Hände auf die Herzgegend gepresst, den Mund weit aufgerissen schlug er der Länge nach hin.
Ein Beben lief durch seinen Körper. Er hörte das Blut durch seine Adern rauschen, hörte seinen eigenen Herzschlag.
Regelmäßig, aber viel zu schnell.
Dann ein Stottern.
„Es ist das Herz. Oh Gott, ich glaube, ich sterbe“, presste er hervor. Friede Riegel kreischte. Sie ging neben ihrem Mann in die Knie, zerrte an seinem Shirt, um ihm Luft zu verschaffen und klammerte sich schließlich an ihn, als seine Lider zu flattern begannen.
„Nein, Peter. Bitte – halte durch, der Rettungswagen ist …“
Ihr Ehemann hörte sie nicht mehr. Auch wenn er noch lebte, war sein Geist bereits auf dem Weg in einer andere Welt. Und dort, zwischen Leben und Tod in einem Reich, welches man besser niemals sehen sollte, begegnete er Serena. Er erkannte die junge Frau, sah ihr boshaftes Lächeln – und plötzlich gab es für ihn keine Zweifel mehr.
Er begriff. Nicht nur, dass er nun sterben würde. Nein, ihm wurde auch klar, dass dies nicht das Ende war.
Verdammt, schoss es wie ein Blitz durch seinen Verstand. Ich bin verdammt. Sie werden …
Eine weitere Frau tauchte auf. Älter als sein Opfer, aber von verblüffender Ähnlichkeit. Die Mutter. Die Mambo.
Peter Riegel hatte sich noch niemals zuvor mit Voodoo befasst, aber in diesem Augenblick, als sein Geist das Jenseits erreichte, wusste er Bescheid. Ein unseliges Wissen, welches ihn nichts mehr nutzte.
In den Armen seiner Frau starb Peter Riegel. Zumindest sein Körper, denn sein Geist war längst in andere, dunkle Sphären geglitten.
„Peter? Oh nein, Peter – geh nicht. Der Notarzt …“ Es klingelte, es klopfte laut an der Tür. Aber Frieda Riegel wusste – die Männer des Roten Kreuzes kamen zu spät.
Alle Wiederbelebungsversuche scheiterten.
Peter Riegel war tot. Und doch sah er seine Frau trauern, sah er die Männer an ihm arbeiten. Ehe er eine Stimme hörte, die ihn tiefer in das Dunkel befahl.
Komm her, zu mir. Gib deinen Geist auf. Dies ist noch lange nicht das Ende. Aufträge warten auf dich. Du bist von nun an mein Werkzeug, denn ich bin die Mambo des Macumba, die Herrin der dunklen Kräfte.
*
Das Labyrinth zog sich dahin. Hohe, aus sich selbst leuchtende Wände, verwinkelte Nischen sowie ein schlüpfriger Steinboden, auf dem man jederzeit ausrutschen konnte.
In der Ferne erklang ein schauriges Heulen. Ein Geräusch folgte, welches einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte.
Knochen, die knackend brachen.
Der Schrei eines Sterbenden.
Das Schmatzen eines Tieres, das gerade fraß.
Langsam schlich ich weiter, die Waffe im Anschlag. Ein Gewehr, geladen mit einer speziellen Munition, die nicht nur Löcher riss.
Ein Treffer und der Gegner wurde zerfetzt. Schrecklich, sie gegen Menschen einzusetzen doch die Monster hier unten in diesem Labyrinth hatten es nicht besser verdient. Ganz zu schweigen davon, dass es keine andere Methode gab, sie zu erledigen. Normale Munition griff hier nicht. Wer schwarzes Blut in seinen Adern hatte, ließ sich von etwas Blei nicht beeindrucken. Ohne Kopf jedoch sah es auch für einen Werwolf oder Zombie finster aus. Entsprechend froh war ich um diese ganz spezielle Waffe.
Wieder eine Biegung. Der Gang verjüngte sich, ließ mir kaum eine Chance, als mich seitwärts durch den Schlupf zu zwängen. Lauerte nun ein Wesen auf der anderen Seite, war es um mich geschehen.
Das Glück jedoch, war auf meiner Seite. Zwar blieb der Gang verflucht eng, doch zumindest erfolgte kein unmittelbarer Angriff. Ein Zustand, der sich jederzeit ändern konnte – dies war mir durchaus klar. Hinter mir, nur einen Schritt entfernt, kroch meine Partnerin Conny durch den Schlupf. Sie hielt ebenfalls ihre Waffe schussbereit, war dafür zuständig, uns den Rücken zu sichern.
„Hier waren wir noch nie“, zischte sie. Anspannung sprach aus ihrer Stimme, die kaum mehr als ein Wispern war. Wir mussten höllisch aufpassen, nicht aufzufliegen. Ein lauter Ruf, und schon riskierten wir entdeckt zu werden.
„Da vorne wird es wieder breiter. Warte – gleich sind wir da. Dann …“
Mir blieb das Wort förmlich im Halse stecken, denn plötzlich tauchte die Bestie auf.
Ein Zombie.
Ein Untoter, der nur eines wollte – unser Fleisch. Gierig schnappte er nach mir, sein Hieb erwischte mich, noch bevor es mir gelang, auf ihn zu feuern.
Die Pistole fiel scheppernd zu Boden, Conny fluchte und schon war das Chaos perfekt. Das Biest heulte auf, als ich ihm mit einem geweihten Dolch zusetzte. Auch Conny wollte feuern, doch irgendwie gelang es dem Vieh, mich zwischen meiner Partnerin und sich zu bekommen.
Dann, noch bevor ich es verhindern konnte, kam der finale Hieb. Die Krallen blitzten vor meinen Augen auf, seine Zähne waren da, gruben sich in meinen Hals … Blut floss… Ich ging zu Boden … Was nützte es da, dass Conny schießen konnte und dem Biest den Schädel von den Schultern fetzte? Mein Blut breitete sich einer Lache gleich aus, die Schwärze griff nach mir. Dann …
Game Over.
Wütend schob ich die Tastatur beiseite, streckte mich etwas und stand auf, um ans Fenster unseres Büros zu gehen.
Schnee war gefallen.
Er verzuckerte Landau, ließ die Häuser und Gärten unter einer dichten Schicht verschwinden.
Friede hielt mich umfangen. Ein Friede, wie ich ihn sonst das ganze Jahr über nicht spürte. Als Kriminalhauptkommissar wird man selten mit friedlichen Szenen konfrontiert. Vor allem, wenn man sich mit Gewaltverbrechen herumschlagen muss.
Körperverletzungen, Totschlag oder auch Mord. Unser Einzugsgebiet war groß, die Verbrechen mannigfaltig. Ausländerhass, aber vor allem Eifersucht und Habgier. Es waren die immer gleichen Gründe, aus denen Menschen zu Verbrechern wurden. Vom Drama über handfeste Thriller spielte sich in unserer Amtsstube einfach alles ab. Fern von TV-Romantik, aber doch aus dem prallen Leben.
Da war zum Beispiel diese Frau gewesen, die ihren Mann aus einer Nichtigkeit heraus erstochen hatte.
So zumindest schien es.
Im weiteren Verlauf der Ermittlungen stellte sich dann heraus, dass der ach so treue und liebe Ehemann sein Weib über Jahrzehnte verprügelt, gedemütigt und erniedrigt hatte. Was einer S/M-Ehe gut getan hätte, führte hier zu einem Totschlag, der für die Täterin mit vier Jahren in der JVA endete, für ihn auf dem städtischen Friedhof.
„Und? Freust du dich auf den Urlaub?“
Conny, meine Kollegin trat hinter mir ans Fenster. Es war wenig los im Büro. Auch daran merkten wir, dass es auf die Festtage zuging, sie quasi schon vor der Tür standen. Noch zwei Tage, bis wir Geschenke auspackten, Likörfässchen aus Schokolade aßen und uns der seligen Feierlaune hingaben. Oder dem seligen Besoffensein – je nachdem, wie viele Likörfässchen es wurden.
„Als Urlaub würde ich es nun wahrlich nicht bezeichnen. Die paar freien Tage über die Jahre sind nur abgefeierte Überstunden – sonst nichts.“
„Wie bei mir“, erklärte meine Kollegin. „Der Jahresurlaub aus diesem Jahr kommt dann im Frühjahr des nächsten … bla, bla.“
„Du gehst vor mir in Urlaub, oder?“
Betrübt nickte sie.
„Wenn ich zurückkomme, gehst du. Dann bleibt der Stress an mir hängen, und du hast es gut. Ungerecht, sag ich dir. Wohin geht es denn?“, fragte sie mich.
Lachend kehrte ich zu meinem Platz zurück, um das Spiel auf dem Rechner neu zu starten. Es gab einen merkwürdigen Laut von sich, der Startschirm erschien. Nun musste sich nur noch Conny einklinken, was sie auch kurz darauf tat.
„Ich wollte in die Dominikanische Republik, aber Nadine plädierte für eine Bildungsreise. Da sie Expertin für Kelten und all das ist, fahren wir nach England. Glastonbury, Stonehenge und Hadrianswall.“
Conny schüttelte den Kopf. Weder konnte sie verstehen, warum ich überhaupt mit Nadine zusammen war, noch begriff sie, warum ich meinen Urlaub nach deren Wünschen ausrichtete, und nicht auf Dom-Rep bestand. Insgeheim glaubte ich eh, dass Conny ein Auge auf mich geworfen hatte. Doch zum einen liebte ich Nadine, zum andere waren wir Partner im Dienst. Liebeleien hätten nie funktioniert.
Sie wusste es, und ich wusste es. Also ließen wir es. Während sie sprunghaft durch die Betten turnte, blieb ich meiner Nadine, der Historikerin mit den liebevollen Augen, treu.
Das Match begann. Das Labyrinth, die Geräusche und die Monster – schon waren wir in einer anderen Welt.
„Du weißt, dass wir verdammt viel Ärger bekommen können, wenn jemand das Programm auf unseren Rechnern findet? Das dürften wir gar nicht haben.“
„Ich weiß. Aber was will man tun – das Ding macht süchtig. Außerdem herrscht hier ausnahmsweise tote Hose. Die bösen Buben und Mädels da draußen wollen es sich nicht mit dem Weihnachtsmann verscherzen.“
„Das wird es sein. Und ich dachte schon, alle Menschen seien plötzlich lieb und gut und brüderlich. Hatte Angst, wir müssten umschulen.“
Wir lachten, doch dann tauchte ein Werwolf auf. Er forderte all unsere Konzentration.
Wieder schafften wir es bis zu jenem Schlupf, kamen noch durch und waren diesmal auf den Zombie gefasst, als unser Spiel jäh unterbrochen wurde. Das Telefon klingelte mit seinem widerlichen Ton. Ein Geräusch, dem man keine drei Mal zuhört, sondern viel früher den Hörer von der Gabel reißt.
„KHK Schwarz?“
„Chris?“, hörte ich die vertraute Stimme eines Kollegen. „Wir haben den ersten Selbstmord für dieses Weihnachtsfest.“
„Ist noch kein Weihnachten“, knurrte ich.
„Mag sein“, erwiderte der uniformierte Kollege. „Ist wie bei den Geschenken – manche können einfach nicht warten, bis es Heilig Abend ist. Die einen packen früher aus, die anderen früher ein und suizidieren sich. Kommt ihr?“
„Klar, gib mal die Adresse.“
Kurz darauf hatten wir beide unsere Jacken an, die Computer gesichert und die Waffen aus den Schubladen genommen.
„Wohin müssen wir?“
„Mühlstraße 7 in Lingenfeld. Offenbar ein Selbstmord. Die genauen Umstände müssen wir vor Ort klären.“
„Shit. Dachte, wir kämen um den Mist rum, wenn wir über Weihnachten Frei nehmen. Aber nein – als ob es jemand geahnt hätte …“
*
„Dritter Stock. Sie ist im Badezimmer. Wir haben alles so belassen, wie es war.“
Ein Kollege – es war jener, der uns angerufen hatte – wies uns ein. Seufzend machten wir uns daran, die Stiegen hinauf zu steigen, beobachtet von den neugierigen, misstrauischen Augen der restlichen Hausbewohner. Fünf Parteien auf drei Stockwerken. Älterer Bau, Holztreppe und Risse in den Wänden.
„Badezimmer?“ sagte Conny plötzlich. Dann hat sie sich die Pulsadern aufgeschnitten. Wetten wir? Schönes, warmes Wasser und eine Rasierklinge. Der Tod der Frau, die nichts schmutzig machen will. Nur den Stöpsel raus, und das war’s.“
Wir hatten die Wohnung erreicht, waren ins Bad gegangen und Conny sah, dass sie völlig falsch lag. Die Leiche lag nicht in der Wanne und sie hatte sich auch nicht die Pulsadern aufgeschlitzt. Stattdessen hing sie an einer Stange, die auch den Duschvorhang hielt. Ein dünnes Kabel, vermutlich von einem Elektrogerät abgeschnitten, diente hier als Strick.
Der Gerichtsmediziner war ebenfalls vor Ort, hatte sich aber noch zurückgehalten. Ein Mann von der Spurensicherung schoss Bilder, zwei Journalisten lauerten vor der Wohnung auf eine gute Story. Der ganz normale Wahnsinn nach so einer Sache.
„Oh – und siehe da – sie baumelt“, flüsterte meine Kollegin. Wir sahen die Tote, die bereits älteren Semesters war. Jenseits der Fünfzig, nicht mehr sonderlich attraktiv und auf ihre Art verhärmt. Ihre Beine berührten den Wannenboden, auf Kleidung hatte sie – abgesehen von einem langen Hemd – verzichtet und zu ihren Füßen schimmerte es schmierig-gelblich.
„Sie konnte stehen“, murmelte meine Partnerin. „Wie konnte sie sich erhängen? Ich meine – wo bleibt der Selbsterhaltungstrieb?“
„Das Schmierige unter ihren Füßen ist nicht nur Urin und Kot, sondern auch Duschgel. Sie verteilte es scheinbar vorher, ihre Füße fanden auf dem rutschigen Untergrund keinen Halt – das Ende kam in der Schlinge.“
„Und ihr Hals wird lang und länger, Ihr Gesang wird bang und bänger; Jedes legt noch schnell ein Ei; und dann kommt der Tod herbei“, zitierte Conny Wilhelm Busch. „Wobei ich nicht glaube, dass sie ein Ei legte.“
„Nein“, bekräftigte der Kollege der Spurensicherung. „Als wir kamen, lief eine CD. Ein Lied in Endlos-Schleife.“
„Was denn?“, wollte ich wissen.
„Mama von Heintje.“
„Heintje? Kein Wunder, dass sie sich erhängt hat. Da würde sogar ich Selbstmord begehen. Nun ja – gab es einen Abschiedsbrief?“
„Ja, den gab es. Ein einfaches Stück Papier. Es lag auf der Toilette, damit wir es garantiert finden.“
Er reichte mir den Zettel. Viel stand nicht darauf, doch das wenige reichte bereits, um den Fall im Grunde abschließen zu können. Während die Leiche abgeschnitten wurde, überflogen wir denn Text.
Geliebter Ferdinand,
nun – da Du mich auch noch verstoßen hast, sehe ich keinen Sinn mehr im Leben. Vergiss nie – ich liebe dich von Herzen. Auch, wenn Du diese Gefühle nicht mehr erwiderst.
Deine für Dich stets treu sorgende
Mama
„Oh Mann, da bleibt kein Auge trocken. Familiendramen hasse ich. Es macht mir nichts aus, wenn sich zwei Dealer über den Haufen schießen. Aber das hier … Wie verzweifelt muss die Frau gewesen sein, und wie verletzt.“
Frust schwang in den Worten meiner Partnerin mit. Und ja, ich konnte sie gut verstehen. Dies hier war wirklich ein dicker Hund.
„Jemand muss den geliebten Ferdinand verständigen. Was sagen Sie, Doc?“
Noch während ich auf eine Antwort wartete, fiel mein Blick in den Badspiegel. Im Grunde konnte ich mit meinem Aussehen zufrieden sein. Noch keine 40, braune, kurze Haare und die Narbe an meinem Hals - Überbleibsel eines Gerangels in jungen Jahren - störte nicht weiter. Zumal sie verschwand, wenn mein Bart länger als drei Tage hatte, um zu wuchern. Auch meine Figur war dank Polizeisport und Training okay, ohne dass man mich bei der Athletik-Weltmeisterschaft angenommen hätte. Aber meine Freundin konnte zufrieden sein. Einzig meine kurz gebliebenen Finger störten mich etwas. Doch dies, so hatte mir mal ein Arzt erklärt, sei eine Anomalie, die nicht mal so selten ist. Auch ein Trost.
Der Gerichtsmediziner wandte sich uns zu.
„“