Unter dem Galgenbaum: Das Haus Leupolth, Anno 1633

Tomos Forrest

Published by Uksak Sonder-Edition, 2020.

Inhaltsverzeichnis

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Das Haus Leupolth, Anno 1633 | Unter dem Galgenbaum | Historiensaga | von Tomos Forrest | Klappentext:

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Die Personen der Handlung:

1.

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3.

4.

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About the Publisher

Das Haus Leupolth, Anno 1633

Unter dem Galgenbaum

Historiensaga

––––––––

von Tomos Forrest

––––––––

Klappentext:

Die Bürger in Nürnberg blicken auf eine schreckliche Zeit zurück. Die Wirren des dreißig Jahre lang andauernden Krieges werden das Leben der Bevölkerung sowie alle Geschäfte der Kaufleute noch für lange Zeit bestimmen. Jetzt beginnt jedoch wieder der Alltag, und auch der ist nicht sonderlich einfach.

Es leben bisher unentdeckte Verräter in der Stadt, die die feindlichen Truppen mit Lebensmitteln beliefert haben, und es gibt offenbar einen geheimnisvollen Bund, der noch immer seine Fäden zieht.

Jobst zu Leupolth, der mächtige Tuchhändler, wird plötzlich in eine Sache hineingezogen, die ihn seine gesellschaftliche Stellung und noch viel mehr kosten kann. Auch sein Neffe Tönges zu Leupolth, Offizier bei den Nürnbergern, bekommt alle Hände voll zu tun, als eines Tages ein verhängnisvolles Schriftstück entdeckt und wenig später eine Leiche sowie die abgeschlagene Hand einer weiteren Person in einem Misthaufen gefunden werden. Und schließlich ist da noch die halbverrückte Malle, genannt Hillebille, um die es ein Geheimnis zu geben scheint, das einige Jahre in der Vergangenheit zu finden ist ...

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Alfred Bekker

© Roman by Author /

© Cover: Nach Motiven mit Steve Mayer, 2020

© Logo: Steve Mayer, 2020

Lektorat/Korrektorat: Kerstin Peschel

DAS HAUS LEUPOLTH, ANNO ... – Created by Jörg Martin Munsonius

Based on the Characters and Storyline by Thomas Ostwald & Jörg Martin Munsonius

© dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Die Personen der Handlung:

Jobst zu Leupolth, Tuchhändler, Patrizier in Nürnberg

› Teresia seine Frau

› Jacob, ihr Sohn

› Tönges zu Leupolth, Neffe, Hauptmann/Major einer Kompanie Nürnberger

› Bürgerwehr, vom Rat mit Sonderaufgaben betraut

› Esther von Schellenbach, seine Verlobte

› Malle, genannt Hillebille, eine seltsame Frau aus der Vergangenheit von Jobst

› Jan Leukkenkerk, Arzt aus Amsterdam

› Gisal, Zigeunerin und Magd

› Bauer Jeremias Schulzhorn

› Pfarrer Johann Ising aus Fürth

› Malte Friedrichs, Posenschaber/Federschneider

› Meister Franz, Henker von Nürnberg

› Nobiles Norimbergenses, Ratsherren des Inneren Rates, mit einigen schwarzen Schafen darunter

***

1.

Haus Leupolth, Tuchgasse, Nürnberg 1633

Die alte Frau war nicht mehr gut zu Fuß.

Immer wieder strauchelte sie und wäre zu Beginn der Tuchgasse um ein Haar in einen großen Misthaufen gestürzt, der hier, wie an allen Ecken der Stadt, sich seit langer Zeit auftürmte und einen unangenehmen Geruch verströmte. Aber die Schar der Gassenjungen ließ ihr keine Ruhe. Gerade hatte sie Halt an der Mauer gefunden und verschnaufte, als die johlende Schar wieder hinter ihr auftauchte und ihren Spott mit der Alten trieb.

„Hillebille, lutscht die Nille!“, schrien und kreischten die dreckigen Jungen, die zumeist barfuß und nur in Lumpen gehüllt waren. Ihre langen, dreckigen und verfilzten Haare hingen ihnen bis auf die Schultern, und das Ungeziefer krabbelte in großer Anzahl darin herum. Aber das störte weder die Jungen noch viele der Erwachsenen in diesen Tagen, in denen es drunter und drüber ging und jeder froh war, wenn er den nächsten Tag noch erlebte.

Die alte Hille raffte ihren schmutzigen Rock etwas, um schneller laufen zu können, doch vergeblich. Sie war gerade vor der Haustür des mittleren, prächtigen Hauses angelangt, als sie ein dicker Schlammklumpen am Kopf traf. Erschrocken wandte sie sich um, bemerkte eine Pfütze von dem heftigen Regen des Vortages nicht rechtzeitig und lag im nächsten Augenblick lang ausgestreckt mitten im dicksten Dreck. Schon flogen weitere Schlammklumpen, als die Haustür aufgerissen wurde und ein kräftiger Mann mit einem mächtigen Lederkoller über der Brust und einem Degen in der Hand heraussprang.

„Ich werde euch gleich helfen, eine alte Frau so zu behandeln! Verfluchte Bande!“

Kreischend und lachend stoben die Kinder davon, aber das Erscheinen des beeindruckenden Majors hatte ihnen doch einen gehörigen Schrecken eingejagt. Mitleidig starrte er auf die alte Frau, die sich jetzt langsam erhob und ihn anlächelte.

Himmel, was für ein Gesicht!, durchzuckte ein Gedanke Tönges zu Leupolth, Major der neu aufgestellten Bürgergarde Nürnbergs. Die ist ja nicht ganz richtig und würde doch wohl kaum in einer solchen Lage – holla, was wird das?

Die Frau war einen Schritt auf Tönges zugetreten, und jetzt bemerkte er den strengen Geruch, den ihr Körper ausströmte. Es war eine Mischung von saurem Wein und Körperausdünstungen, und in den langen, strähnigen weißen Haaren der Alten wimmelte das Ungeziefer, sodass Tönges sofort damit begann, sich zu jucken.

„Ich danke dir, edler Herr, das war nicht recht von den Kindern, mich so zu behandeln!“

„Ja, ich werde das auch nicht dulden, wenn ich so etwas sehen muss. Hier, ist ein Pfennig für dich, kauf dir etwas zu essen davon, du siehst aus, als könntest du es vertragen!“

Tönges sah zu, dass er der Alten die Münze in die Hand fallen ließ, ohne sie zu berühren. Die lachte schrill auf und deutete auf seine Hose.

„Leg noch einen dazu, mein Süßer, und ich nehme ihn in den Mund, dass dir Hören und Sehen vergeht! Glaub mir, Hille weiß noch immer, was Männern Freude macht!“ Erneutes Kichern, und als sie noch einen Schritt auf den Major zumachte, hätte nicht viel gefehlt, und er hätte sie angeekelt in den Schlamm zurückgestoßen. So aber drehte er sich brummend ab und ging davon, ohne sich noch ein einziges Mal nach der widerlichen Alten umzusehen. Am Ende der Gasse wäre er fast mit einem sehr vornehm gekleideten Herrn zusammengestoßen, der schwungvoll einbog und dabei dem Misthaufen auswich.

„Heda, Tönges, bist du auf der Flucht?“, lachte sein Onkel, Jobst zu Leupolth, laut heraus.

„Ja, bin ich, vor dieser verrückten Alten da hinten. Sieh dich vor, dass sie dir nicht in die Hose greift, Jobst!“

Der vornehme Kaufmann klopfte Tönges lachend auf die Schulter.

„Na, da gratuliere ich dir, wenn du der alten Hillebille entgangen bist! Zum Glück wackelt sie gerade in die andere Richtung davon!“

„Du kennst sie?“, erkundigte sich Tönges misstrauisch und starrte der Alten nach.

„Nur vom Sehen und Hörensagen. Eine arme Irre ohne jeglichen Verstand. Sie hat früher ihren Lebensunterhalt als Schankmaid verdient, dann als Hure, bis sie niemand mehr bezahlen wollte, so, wie sie aussah und stank. Die Kinder rufen ihr Hillebille, lutsch die Nille nach und wenn das schon die Gassenjungen kennen, dann weißt du Bescheid.“

Tönges starrte seinen Verwandten nur seltsam an, und dann erklärte der unter erneutem, heftigem Lachen: „Ach, du verstehst diesen Vers nicht? Die Alte wird Hille genannt, ein anderer Name ist gar nicht bekannt. Bille ist der Arsch, und eine Hillebille wird oft auch als Hexe bezeichnet. Na, und was mit der Nille gemeint ist, wirst du ja wohl wissen, wenn sie dir an die Hose wollte!“

„Pfui Deibel!“, rief der Major angewidert. „Darauf muss ich erst einmal ein Bier trinken, ich habe ihren Gestank noch immer in der Nase!“

„Wo wolltest du denn gerade hin? Zum Dienst?“

„Nein, zur Bratwurst, Jobst, etwas essen, mir knurrt der Magen. Das heißt – jetzt eigentlich nicht mehr!“

„Du stehst hier direkt an diesem Misthaufen ja auch sehr günstig! Lass uns ins Haus gehen, die Teresia hat gestern frisch brauen lassen. Ich komme übrigens gerade von einer Ratssitzung, wo ich mich über die zahlreichen Misthaufen in der Stadt beklagt habe. Man verspricht Abhilfe, aber ich glaube, niemand will das Problem wirklich in Angriff nehmen. Angeblich aus Sorge vor der Pest!“

Tönges bekreuzigte sich rasch.

„Rede nicht vom Schwarzen Tod, Jobst, das steckt mir noch in den Gliedern!“

„Na, was redest du denn da? Ich dachte, du hättest seit dem vergangenen Jahr mehr als genug Tote gesehen, um dir die Angst vor der Pest zu nehmen!“

Jobst spielte darauf an, dass im vergangenen Juni die Bürgerwehr aufgestellt wurde. Gustav Adolf lagerte mit seinem Heer vor Nürnberg und hatte sein Hauptquartier bei Lichtenhof aufgeschlagen. Gemeinsam kämpften die geworbenen Nürnberger unter dem Oberkommando von Johann Jakob Tetzel, dem Kriegsverordneten des Rates und Landpfleger.

„Der Tod auf dem Feld kann hart und sehr grausam sein, Jobst. Aber diese Beulen, die den Körper überziehen und dann aufbrechen, der Gestank und der Eiter, dieses Dahinsiechen – das ist schlimmer als alles andere!“, antwortete ihm der Major mit finsterer Miene.

„Hast du schon von dem Haus in der Rosengasse gehört?“

„Nein, was ist damit?“

Jobst lachte fröhlich.

„Wir haben da diesen Doktor aus Amsterdam für uns gewinnen können, Jan Leukkenkerk. Er hat gute Mittel, um die verseuchten Häuser wieder herrichten zu lassen!“

„Hm, trotzdem möchte ich nicht darin wohnen müssen!“, entgegnete Tönges mürrisch.

„Musst du ja auch nicht. Komm mit herein und leere einen Krug von unserem guten Nürnberger Löwenbräu, oder willst du lieber einen Wein?“

„Ist schon gut, das Bier reicht mir. Zum Teufel mit der alten Hille, die steckt mir noch in allen Gliedern. Und du mit deinen Pestgeschichten trägst auch nicht gerade zur Aufheiterung bei!“, brummte Tönges missgelaunt, als er hinter dem Kaufmann ging und beide gleich darauf in die Diele des Hauses traten.

„Ich bin wieder zurück und habe Tönges mitgebracht!“, rief Jobst in die Stille, und als ihm Teresia aus einem Raum, dessen Tür nur angelehnt war, antwortete: „Tönges? Der war doch eben noch hier?“, lachte der nun wieder fröhlich auf.

„Da wusste ich noch nicht, dass ich einer alten Vettel aus dem Straßenkot aufhelfen musste und sie mir dafür die Nille verwöhnen wollte!“, sagte Tönges in seiner rauen Art.

Seine Tante steckte den Kopf aus der Tür und warf ihm einen seltsamen Blick zu.

„Was wollte sie?“

„Ach, Teresia, nun hör doch nicht auf dieses Landsknechtgewäsch! Unser Neffe hat einen anderen Umgangston, seit er als Major dient. Am besten, du hörst ihm überhaupt nicht zu. Ist der Knecht bei dir? Schick ihn doch mal nach einer Kanne Bier für uns, wir sind im Comptoir!“

„Nille, ja? Und eine Kanne Bier! Ich glaube, ihr wollt mich zur Verzweiflung treiben!“, antwortete sie im gespielten Zorn, wandte sich um und rief in den Raum: „Hans, lass das mit dem Kamin jetzt mal sein, der Herr ist zurück und wünscht eine Kanne Bier! Und wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich mich eilen, denn er sowie mein lieber Neffe scheinen sehr durstig zu sein! Und sag in der Küche, dass sie ein paar Bratwürste in das Comptoir bringen!“

„Sofort, Herrin!“, antwortete der Knecht, lief hinüber in die Küche, um eine Kanne zu holen und sie im Keller mit dem Bier zu füllen. Die anwesenden Küchenmägde erhielten den Auftrag, eine Portion Bratwürste zuzubereiten und ins Comptoir zu bringen. Für manchen Bürger in der noch immer von Flüchtlingen überfüllten Stadt wäre es ein Wunder gewesen, eine Bratwurst auf dem Teller vorzufinden.

Not und Hunger herrschten noch immer, Monate nach der Schlacht an der Alten Veste, bei der keine der verfeindeten Seiten einen Vorteil gewonnen hatte. Aber für den Tuchhändler Jobst zu Leupolth, der für das riesige Heer Gustav Adolfs mit allen ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln aus dem gesamten Umland Getreide und Schlachtvieh besorgt hatte, gab es immer noch Möglichkeiten. Und so waren die Vorratskammern in seinem Haus sowie die inzwischen scharf bewachten Speicherhäuser gefüllt. Doch inzwischen wurde Nürnberg nicht mehr von der Armee Wallensteins bedroht, sondern von Hunger, Krankheiten und Seuchen. Doch die beiden wollten davon heute nichts mehr hören, ein einziger kurzer Gang durch die Stadt erinnerte jedermann an das herrschende Elend. Da war die halb verrückte Hille keine Ausnahme.

Onkel und Neffe gingen lachend in das Comptoir, sie hatten alles, was vor ihrer Haustür lag, verdrängt. Knecht Hans ging die Treppe mit den ausgetretenen Steinstufen hinunter und wunderte sich darüber, dass bei den Fässern ein Licht brannte. Gerade überlegte er noch, ob er es wohl selbst dort vergessen hatte, als ihn die Geräusche, die an sein Ohr drangen, stutzig machten. Er blieb wie gebannt auf der vorletzten Stufe stehen und lauschte.

Kein Zweifel, da vergnügten sich zwei Menschen neben den Fässern, und offensichtlich ging es dabei hoch her, denn während die männliche Stimme sich überwiegend in keuchenden Geräuschen äußerte, vernahm er kleine, spitze Schreie einer weiblichen Stimme. Hans hatte für das Bierholen ein Licht aus der Küche mitgenommen, das er gleich am Herdfeuer entzündet hatte. Jetzt hielt er es so, dass es ihn nicht blendete, und stand damit grinsend neben dem Paar, das ihn noch immer nicht bemerkt hatte. Doch plötzlich stieß die Frau einen Warnruf aus, und im Nu sprang ihr Partner auf, zog die Hose hoch und hielt sie mit einer Hand fest.

„Meine Güte, Hans, hast du mir einen Schrecken eingejagt! Wieso kommst du um diese Zeit in den Keller herunter?“

„Dein Vater schickt mich, Jacob, weil er zusammen mit dem Major von dem frischen Bier probieren möchte!“

Der Knecht musterte unverhohlen die nackte Magd, die sich vergeblich bemühte, mit ihrem Kleid ihre Blöße zu bedecken. Schließlich kroch sie hinter das große Fass, um es sich über den Kopf zu streifen.

„Das ist die Leni, stimmt’s, Jacob?“

„Und was geht es dich an?“, fuhr ihn der junge Mann an, der nicht nur aufgrund der unerwarteten Störung verärgert war, sondern auch, weil es der Knecht bei seiner Anrede an jeder Form des erforderlichen Respektes mangeln ließ.

„Die möchte ich mir auch mal vornehmen!“

„Was? Bist du völlig verrückt geworden?“

„Ich könnte ja sonst mal mit dem Herrn reden, dass du schon wieder mit der Magd ...“

Weiter kam er nicht, denn Jacob hatte ihm ohne jede Vorwarnung die Faust mitten ins Gesicht geschlagen. Sofort floss das Blut heraus und besudelte das Hemd des Knechtes. Jacob krallte seine Hand in den Stoff und riss den Knecht zu sich heran, die geballte Rechte drohend erhoben.

„Hör mir zu, du Hundsfott! Noch eine solche Unverschämtheit, und ich prügele dir die Seele aus dem Leib! Sprichst du mich noch einmal so unverschämt an, hänge ich dich hier unten über Nacht an den Beinen auf. Und wenn du die Leni auch nur falsch ansiehst, schneide ich dir die Eier ab und stopfe sie dir in dein Maul, verstanden?“

Hans presste sich eine Hand auf die Nase und hoffte, das Blut damit zu stoppen.

„Ja, Herr!“, antwortete er gedämpft, und als ihn Jacob von sich stieß, beeilte er sich, die Kanne unter den Zapfhahn zu stellen und sie zu füllen. Als er zur Treppe eilte, zischte Jacob hinter ihm: „Kein Wort zu irgendjemand, oder ...!“

Rasch eilte der Knecht die Treppe hinauf und brachte die Kanne mit dem Bier in das Comptoir. Verwundert musterte ihn Jobst, der sofort das Blut im Gesicht und auf dem Hemd bemerkt hatte.

„Was ist denn mit dir passiert, Hans? Kannst du noch nicht mal eine Kanne Bier aus dem Keller holen?“

„Es war dunkel und ich ... bin gegen die Wand ...“

Jobst lachte gutmütig.

„Schon gut, ist ja deine Nase. Was ich sagen wollte – wird das Schwein erst noch geschlachtet?“

„Das Schwein, Herr?“, antwortete Hans verständnislos.

„Die Bratwürste! Der Major hat Hunger, und ich bin auch nicht abgeneigt, ein zweites Frühstück einzunehmen!“

„Sofort, Herr, ich eile!“

Jobst lachte über das komische Gesicht des Knechtes, der Mühe hatte, das noch immer laufende Blut zu stoppen. Er hatte bei den letzten Worten die Nasenflügel zusammengedrückt und dadurch mit gepresster Stimme gesprochen.

„So, jetzt aber mal im Ernst, Herr Major!“, begann Jobst, als sie wieder allein waren. „Ich vermute mal, du kennst die Lage vor den Toren Nürnbergs weitaus besser als ich. Der Boden rund um unser geliebtes Nürnberg ist einfach zu sandig, nicht ertragreich genug, und das schwedische Heer muss verköstigt werden. Was wir Kaufleute dazu beitragen können, versuchen wir mit aller Kraft, aber Geld lässt sich dabei kaum verdienen.“

„Schon klar, Jobst. Wir müssen nur mal durch die Straßen der Stadt gehen, dann machen wir uns ein getreues Bild der Lage! Die Bürger marschieren schon am frühen Morgen hinaus, um die Schanzarbeiten auszuführen, die der König von ihnen verlangt. Dafür schleppen uns die Schweden täglich neue Kranke in die Stadt, die hier gepflegt werden müssen. Allein in zwei Vierteln sind Seuchen ausgebrochen, die den Bewohnern verbieten, in den nächsten Wochen ihre Häuser zu verlassen!“

„Da sind wir wieder bei meinem Thema, Tönges. Das Haus in der Rosengasse ist vom Arzt und seinen Helfern wiederhergerichtet worden. Wir hätten in den nächsten Wochen gar keine Möglichkeit dazu gehabt, wenn ich den Holländer nicht gut kennen würde!“ Der Kaufmann machte dabei eine eindeutige Geste, indem er Daumen und Zeigefinger aneinander rieb. „War nicht ganz preiswert, der Herr Doktor!“

„Und was ist so wichtig an diesem Haus, Jobst? Ich dachte, du wolltest mir ankündigen, dass du Unmengen von Getreide aufgekauft hast und nach Nürnberg bringen lässt. Und du willst von mir erfahren, welches der Stadttore geöffnet ist, um unnötige Umwege zu sparen?“ Tönges grinste breit über sein sonnengebräuntes Gesicht. Der Major trug, wie auch sein erheblich vornehmer gekleideter Onkel, die Haare schulterlang, dazu einen kräftigen Bart. Jobst dagegen hatte Schnur- und Kinnbart sorgfältig geschnitten und war, weil er schon zu früher Stunde beim Rat war, in kostbare Gewänder gekleidet. Insbesondere die weit ausladende Schlumperhose sorgte bei Tönges immer für spitze Bemerkungen. Erst kürzlich hatte er sie mit zwei Kissen verglichen, zwischen denen sich ein Loch befand, mit dessen Hilfe man sie anzog.

„Eins nach dem anderen, Herr Major!“, antwortete ihm sein Onkel. „Und da kommen erst einmal die Bratwürste. Lass uns essen, und danach reden wir über die Geschäfte weiter. Und im Übrigen dachte ich, dass du zusammen mit Esther in die Rosengasse ziehen wolltest.“

„Mmh. Kannst du noch einmal Bier kommen lassen?“

„Hans! Die Kanne ist leer!“, rief Jobst dröhnend, und der Knecht, der sein Gesicht inzwischen gesäubert hatte, aber noch immer ein blutverschmiertes Hemd trug, eilte herbei. „Und zieh dir gefälligst ein sauberes Hemd an! Du siehst ja aus, als hättest du dem Metzger geholfen!“

Als die beiden ihre Mahlzeit verzehrt hatten und sich fröhlich einem weiteren Humpen widmeten, sagte Jobst zu Leupolth aufgeräumt: „Nun, sieh doch mal an, Herr Major, wie schnell es uns im alten Nürnberg wieder gut geht! Noch vor einem Jahr war hier etwas ganz anderes und täglich starben die Menschen wie die Fliegen weg!“

„Ich erinnere mich nur zu gut, Jobst!“, antwortete sein Neffe und verzog das Gesicht. „Schon allein die Arbeiten an der Stadtmauer, und dann die Erlasse, dass niemand mehr bei Tage in ein Wirtshaus gehen darf! Das war schon stark!“

„Ja, und wir werden noch Jahre benötigen, bis wir uns von den Schweden wieder erholt haben. Noch heute fressen uns die Zinsen die Haare vom Kopf, weil wir uns für Gustav Adolf verschuldet haben.“

Sinnend starrte der Major in seinen Krug, während die Bilder der vergangenen Monate an ihm vorüberzogen.

„Was mich am meisten ärgert, Jobst, ist der Handel einiger Herren mit dem Kaiserlichen Lager. Ich habe einige Hinweise gefunden, dass selbst Mitglieder des Inneren Rates sich nicht gescheut haben, mit Wallensteins Leuten Geschäfte zu machen.“

Jobst schlug auf die Tischplatte.