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© 2.Auflage: 2020

Gabi Haug

Illustration: Gabi Haug

Umschlaggestaltung: Gabi Haug

Layout: Gabi Haug

Hinweis: Die Personen und Namen in dieser Geschichte sind frei erfunden und entstammen meiner Fantasie. Ähnlichkeiten mit Orten oder heute noch lebenden und realen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-7504-3951-1

Mein großer Dank geht an …

meine liebe Heike-Renate,

für die geopferte Freizeit als Korrekturleserin.

Ebenso geht ein solcher Dank

an meine liebe Lektorin,

für die wertvolle Unterstützung.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Lidwina Haberers Lebensweg war ihr schon von Geburt vorgezeichnet. Ihre Mutter Silewa war die Tochter eines Bettelmanns gewesen und diese hatte den Scharfrichter Gilbert Haberer der kleinen Grafschaft Lumbach zum Gatten genommen, nachdem dieser sie in einem sehr kalten Winter vor dem Erfrierungstod gerettet hatte. So war die kleine Lidwina als Tochter eines Henkers geboren worden, und wurde – wie auch ihre Eltern – wegen des Makels des väterlich unehrlichen Berufes, von der Dorfgemeinschaft als Ausgestoßene behandelt. Das Volk war abergläubisch und hatte Angst vor Befleckung. Daher wollte auch niemand etwas mit dem Scharfrichter Gilbert und seiner Familie zu tun haben, obwohl Gilbert nur die Urteile als Vollstrecker des Richtherrn vollzog. Allerdings gestaltete sich diese soziale Ausgrenzung in ihrer Region nicht ganz so schlimm, wie in anderen Orten Deutschlands. Denn in manchen Gegenden führte schon die Berührung – selbst unabsichtlich – eines Scharfrichters bei ehrlichen Leuten zur sogenannten Befleckung und so galt der Berührende lebenslang als unehrlich.

Interessant war für die Bürger aller Orten natürlich, wenn ein Scharfrichter so wie Gilbert sein Handwerk ausübte. Dabei sah das Volk selbstverständlich gerne zu, denn so eine Hinrichtung mit dem Strang, dem Schwert, dem Rad, mit Feuer oder durch Wasser, versprach Abwechslung im eintönigen Dasein der Bewohner, so auch derer von Lumbach. Darüber hinaus machte ihr Vater Gilbert seine Arbeit gut, denn er selbst gehörte einer sogenannten Schelmensippe an.

Ihr Vater hatte den unkündbaren Beruf des Henkers von seinem Vater vererbt bekommen. Lidwina wusste jedoch, dass der Großvater das Amt als Sträfling aufgezwungen bekommen hatte. Er war aus irgendeinem Grund mit zwanzig Jahren eingekerkert worden, war nach kurzer Haft dann vor die Wahl gestellt worden, entweder das Amt des Henkers zu besetzen oder im Kerker zu verschmachten, bis er dort sein Ende fand.

Dies Vorgehen der Obrigkeit war oft eine Methode, um an einen Scharfrichter zu kommen. Auf diese Weise waren im mittelalterlichen Mitteleuropa im Laufe der Zeit ganze Dynastien von Scharfrichter entstanden.

Der Vater von Gilbert hatte sich zu seiner Amtszeit noch Freymeister genannt und die Tochter eines Abdeckers geehelicht.

Lidwina hatte jedoch auch schon kurz nach dem fünften Geburtstag ihre Mutter verloren, so standen der Vater und sie nach dem schweren Verlust ohne weitere Verwandte da. Denn die Großeltern waren alle schon vor Lidwinas Geburt verstorben.

Durch das alleinige Großziehen der Tochter, hatte sich für Gilbert eine ganz besondere Situation ergeben. Durch die gesellschaftliche Ächtung fand sich auch niemand im Umland, der sich um die kleine Lidwina kümmern wollte. So musste der fürsorgliche Vater Lidwina zu seiner Arbeit mitnehmen und sie lernte daher auch schon früh sein blutiges Handwerk kennen.

Als Kind war die kleine Lidwina immer sehr einsam gewesen. Sie wohnten nicht im Ort wie die anderen Lumbacher, sondern abseits am Rande des Dorfes der Grafschaft, in der Nähe des Waldes. Dort war der Schelmenfamilie ein Haus zur Verfügung gestellt worden, das von der Familie Haberer schon seit zwei Generationen bewohnt wurde.

Es ist einsam dort, und wenn in den Nächten die Nebelschwaden über die Büsche woben, hallte der gezogene Huuhu-huhuhuhuu Ruf des Jagenden Käuzchens, geisterhaft über die Landschaft.

Mit den Dorfkindern durfte Lidwina nicht spielen, da diese und deren Eltern sie einfach nicht in ihrer Nähe haben wollten. So waren die Freunde ihrer Kinderjahre und Jugendzeit, ein Rabe, der als Junges aus dem Nest gefallen war und anderes Kleingetier gewesen.

Als Lidwina ihren Vater einmal fragte, warum denn keiner etwas mit ihnen zu tun haben wollte, antwortete dieser, wir gelten als unehrlich. Darum dürften sie auch in der Kirche nur eine Bank ganz hinten nutzen und ihnen sei das Recht verweigert, eigenen Grund zu erwerben.

Doch als Kind verstand sie dieses unehrlich und die Ausgrenzung aus der Gemeinschaft nicht, denn Lidwina pflegte nicht zu lügen. Sie war darüber traurig und verzweifelt gewesen, doch je älter sie wurde, umso mehr amüsierte es sie, wenn die ach so braven Bürger ihr auswichen, denn schließlich war schon das Nebeneinanderherlaufen neben einem Scharfrichter oder auch dessen Tochter, etwas Unehrenhaftes. Also betrachtete sie es so, dass sie und ihr Vater eben etwas Besonderes waren. Um dieses auch für jeden sichtbar zu machen, war ihr Vater auffällig gewandet. Er trug ein Weinrotes Wams mit Messingknöpfen und an den Armen ockerfarbene Bänder und eine ockerfarbene Kappe auf dem Haupt, wenn er ins Dorf oder zum Richtplatz ging. So tat sie es ihm gleich, trug zum Rock eine weinrote Bluse und band sich ebenfalls ockerfarbene Bänder an die Arme und setzte eine ockerfarbene Kappe oder ein ockerfarbenes Kopftuch auf. Es sollte ruhig jeder sehen, wer da kam!

Ein Vorteil hatte es allerdings an Markttagen einer Scharfrichterfamilie anzugehören, denn da durften sie von den Ständen so viel nehmen, wie sie in beiden Händen halten konnten. Die Verkäufer waren davon allerdings nicht gerade begeistert, wenn Unehrliche ihre Waren berührten, denn danach wollte niemand mehr etwas von ihrem Marktstand kaufen. So hatte man sich zum Gebrauch einer zu Händen geschnitzten Holzkelle geeinigt, um dem Problem aus dem Wege zu gehen.

Erst Jahre später hatte Lidwina dann aber wirklich begriffen, was das Amt des Vaters für Nachteile für sie mitbrachte. Unehrliche Leute, waren Menschen die durch bestimmte Handwerke mit Schmutz, Strafe und Tod zu tun hatten. Dazu gehörten Totengräber, Abdecker, sogar der Nachtwächter und die Fahrenden. Diese sogenannte Unehrlichkeit war somit nicht mit Unredlichkeit gleichzusetzen.

Lidwina wusste mittlerweile auch zu gut von der heuchlerischen Haltung ihnen gegenüber, denn genau die ehrenwerten Bürger, die sie als unehrlich im höchsten Masse betitelten und mieden, die schlichen des Nachts, wenn sie oder ihr Vieh erkrankt waren, aus dem Dorf zu ihrem Haus hin, um sich Medizin bei ihnen zu holen oder den Vater – so wie diese sie später auch aufsuchten, um sich auch einmal einen Arm einrenken oder einen Zahn ziehen zu lassen. Dabei hatten sie dann merkwürdigerweise keine Angst in ihrer Nähe oder der ihres Vaters zu sein. Auch das Anfassen lassen vom Scharfrichter war dann plötzlich keine Schande mehr. Lidwina verachtete oft diese heuchlerische Haltung ihnen gegenüber. Doch auch wenn ihr ein solches Verhalten schweren Verdruss bereitet, half sie, wie auch der Vater, den Menschen lieber, als sie wegen ihrer Sünden ins Jenseits befördern zu müssen. Ihr war darüber hinaus bewusst, dass diese Heildienste dem Vater und ihr als wichtigste Einnahmequelle den Lebensunterhalt sicherten.

Doch es gab noch weitere Einnahmequellen für sie. Schon als Kind kletterte Lidwina Baumstämme meterhoch hinauf, um Honig aus wilden Bienenstöcken zu sammeln. Sie trug bei dieser Arbeit eine robuste grünliche Lederjacke, eine enganliegende Hose aus dickem gelblichem Wollstoff, dazu einen breitrandigen Hut mit einem Schleier aus handgeflochtenem Pferdehaar, um sich vor den Stichen der Bienen zu schützen. Aus den geernteten Wachswaben stellte sie Kerzen her. Der Vater verwendete diese auch zur Herstellung von Arzneien, und braute aus Honig und Wasser Met, bis Lidwina alt genug dazu war, um es selbstständig zu tun. Auch sammelte Lidwina Baumharz, das sehr kostbar war. So trug sie schon früh zum Lebensunterhalt bei.

Lidwinas Vater hatte seine Tochter von klein auf schon im Umgang mit der Heil- und Kräuterkunde unterwiesen. Was ihrem späteren Heilwissen sehr zu Gute kam. So war auch über Generationen das Wissen über die Anatomie des Menschen und die der Heilkunde, von einem Scharfrichter an dessen Kinder weitergegeben worden. Auch das Lesen und Schreiben hatte der Vater ihr beigebracht, denn er war ein gebildeter Mann. Er selbst hatte Lesen und Schreiben wiederum von seinem Vater erlernt.

Gelegentlich war ihr Vater, als sie ihr dreizehntes Lebensjahr erreicht hatte, mit ihr auch auf die Wolfsjagd gegangen, denn andere Wildtiere durfte ein Henker nicht erlegen. Wenn in der Grafschaft aber das Vieh von den Wölfen gerissen wurde, oder wenn es die Herrschaft befahl, dann war es eben immer der Scharfrichter, der die gottlosen Bestien zu beseitigen hatte. Aber auch das eigene Vieh, das auf eigens ihnen überlassenem Weideland graste, da man auch diese Tiere auf der Gemeindeweide nicht haben wollte, durfte er durch die Tötung eines Wolfes schützen.

Wenn Lidwina sich jedoch hätte frei entscheiden und nach ihrem Herzen hätte leben können, dann wäre sie zu gerne Heilerin geworden. Ein Heiler konzentriert sich auf das Erlernen und Anwenden von Heilungstechniken, um anderen das Leben zu erhalten oder zu erleichtern. Doch sie musste den ihr von Gott bestimmten Pfad als Grenzgängerin zur Heilung über das Henken folgen, um durch den Tod Verurteilter, die großen Zusammenhänge des Körpers verstehen zu lernen.

Die Bewohner des Dorfes sahen ihren Kräutergarten als einen verwunschenen Ort an und jene, die sie darum baten, denen erteilte sie Rat in gesundheitsfragen. Man sprach ihr auch magische Kräfte zu, da sie sich mit Heilpflanzen und ihrer Wirkungsweise besonders gut auskannte und dennoch wurde sie von diesen Menschen ihrer Abstammung wegen gleichzeitig verachtet.

Es ist eine harte und intensive Schule, hatte ihr Vater des Öfteren gesagt, um die eigenen Heilfähigkeiten erkennen und ausbauen zu können. Nur wer sich der Vergänglichkeit des Wesens bewusst ist, der kann wirklich zu einem guten Heiler werden. Mit jedem Körper, an dem wir forschen können, wenn er denn schon sterben musste, sollte unser Gedanke darauf abzielen anderen durch deren Tod helfen zu können. Ein abgetrenntes Glied war zuvor mit dem zentralen Nervensystem verbunden und um deren Verbindung zu verstehen, dazu braucht man einen Körper, muss ihn öffnen können, denn nur so verschafft man sich ein vollständiges Bild. Die Toten dienen so uns Lebenden – und wir können ihnen nur dankbar dafür sein. Durch diesen Wissensdrang eignete sich ihr Vater erstaunliche Kenntnisse über den menschlichen Körper an. Dieses Wissen ermöglichte ihm die Ursachen von Krankheiten zu erkennen, und er gab diese Kenntnisse, ebenso wie die als Scharfrichter, an Lidwina weiter. Der Vater sagte immer, es sei wichtig zu wissen, was man einem Körper antun kann, bevor dieser stirbt. Der Verdächtige darf auf keinen Fall vor seiner wahrscheinlichen Hinrichtung sterben. Auch muss man seine Wunden, die bei der Folter entstehen, bis zu seiner Hinrichtung versorgen, damit sie wieder einigermaßen verheilen.

Lidwina hatte so viel über die einzelnen Körpersysteme und deren wichtigen Funktionen gelernt. Sie wusste das sich Herz, Gehirn, Leber, Lunge und Magen aus verschiedenen Geweben zusammensetzten. Dass das Herz ein spezieller Muskel aus zwei Hälften bestehend ist, etwa so groß wie eine Faust und für die Durchblutung des Körpers sorgt. Dass das Gehirn umgeben von Hirnhaut, bestehend hauptsächlich aus Nervengewebe, es die Bewegungsabläufe steuert und dass es aus mehreren Arealen besteht. Dass die Leber bestehend aus zwei Lappen, dazu dient, giftige Stoffe verschwinden zu lassen, die schlecht für den Körper sind. Dass die Nieren dafür sorgen, dass das Blut gereinigt wird und sie für das Ausscheiden des Urins zuständig sind. Dass die Lunge aus zwei Lungenflügeln besteht und durch Ein- und Ausatmen für den Luftaustausch sorgt. Der rechte Lungenflügel hingegen aus drei, der linke aus zwei Lungenlappen besteht, wobei die linke Lungenseite kleiner ist als die rechte, da auf der linken Seite im Körper auch das Herz sitzt, das dort Platz beansprucht. Dass der Magen mit der Magensäure für die Verarbeitung von Nahrung zuständig ist und im Zusammenhang mit der Verdauung im Darm wichtige Inhaltsstoffe zur Versorgung des Körpers liefert. Dass das menschliche Knochengerüst aus über 200 Knochen besteht. Fast alle Knochen durch Gelenke, Knorpel, Bänder oder Muskeln miteinander verbunden sind und die Form jedes einzelnen Knochens sich nach seiner Funktion richtet. All solche Informationen hatte man in ihrer Familie über Jahre notiert und durch Zeichnungen ergänzt, die auch sie geflissentlich ergänzte.

Lehre des blutigen Handwerks