Bisher erschienen in dieser Reihe (Deutsch/Griechisch)

Mykonos Crime 1 Die Bestie von Mykonos

Mykonos Crime 2 Rache

Mykonos Crime 4 Der Drei-Sterne-Mord

Mykonos Crime 5 Tattoo

Mykonos Crime 6 Skalpell

Mykonos Crime 7 Hass

Mykonos Crime 8 Sturm über Mykonos

Mykonos Crime 9 Die Maske

Mykonos Crime 10 Abseits

Mykonos Crime 11 Glut

Mykonos Crime 12 Putsch

Mykonos Crime 13 Royals

Mykonos Crime 14 Trauma

Mykonos Crime 15 Khaled

Mykonos Crime 16 Spione

Mykonos Crime 17 Botschafter (Frühj. 2020)

Mykonos Crime 18 Sisa (Frühj. 2020)

Andere Mykonos-Bücher siehe Buchende

Impressum

Titelbild: istockphoto, Innenteil Shutterstock

Copyright Paul Katsitis 2020

ISBN 9783750439283

Druck Books on Demand GmbH

Jeder Band behandelt einen abgeschlossenen

Fall, sodass die Bände nicht in der Reihenfolge

gelesen werden müssen.

Alle Bücher der Serie wurden in Griechenland

gesetzt. Da griechische Setzer keine deutschen

Fehler erkennen können, finden sich in dem Buch

sicher mehr Fehler als in einem normalen Buch.

Aber so bleiben wenigstens ein paar Euro in

Griechenland.

Passagen, die mit * markiert sind, werden im

Anhang näher erklärt.

Angelos Nikakis, 30, war Hauptkommissar in Thessaloniki. Während eines Urlaubs auf Mykonos traf er

Alexandros Nikakis (früher Galis), 36, den leitenden Kommissar auf Mykonos.

Eine Woche nach ihrem Kennenlernen heirateten sie.

Ein Jahr später wurde Angelos Nikakis zum Bürgermeister gewählt. Der erste schwule Bürgermeister Griechenlands.

Alles lief perfekt – bis …

Khaled Al-Massawi, 25, zu einem Kurzurlaub auf Mykonos eintraf. Khaled war Kronprinz eines kleinen Emirats und verliebte sich unsterblich in Angelos, der plötzlich nicht mehr wusste, zu wem er gehört. Letztlich trennen sich Alex und Angelos – und Khaled und Angelos werden ein Paar.

Anmerkung

Wer als Urlauber meint, Mykonos wäre eine ruhige Insel, der täuscht sich. Nachstehende Nachricht vom September 2019 zeigt, dass die Anwesenheit von vielen (mitunter dubiosen) Reichen, die auf einer Partyinsel üblichen Drogengeschäfte und der Trubel das perfekte Umfeld für Kriminelle darstellen – und dies bei einer Polizeistärke von zehn Mann:

Mehr als 30 Jahre nach einer spektakulären Flugzeugentführung hat die griechische Polizei nach eigenen Angaben einen der mutmaßlichen Täter festgenommen. Für den Mann lägen zwei von Deutschland beantragte europäische Haftbefehle vor, teilten die griechischen Behörden am Samstag mit. Die Festnahme erfolgte demnach schon am Donnerstag auf der Insel Mykonos. Wen der Terrorist dort treffen wollte, ist bisher nicht bekannt.

Der Flug TWA 847 war im Juni 1985 mit 153 Passagieren und acht Besatzungsmitgliedern an Bord auf dem Weg von Athen nach Rom gekapert worden. Bei den beiden Entführern handelte es sich um Angehörige der Hisbollah. Am Ende starb ein Passagier.

Inhaltsverzeichnis

1

E mre Ayhan stand auf der Dachterrasse des „Café Orient“ im Istanbuler Stadtteil Galata und blickte dem Mann hinterher, mit dem er gerade ein halbstündiges Gespräch geführt hatte.

Der Mann lief dicht an der Hauswand und Ayhan musste sich über die Brüstung lehnen, um ihm folgen zu können.

Ayhan lächelte innerlich. Antrainiertes Verhalten eines Agenten, das man nie abschalten kann. „Ich verstehe nicht, was er hier wollte“, fragte Ayhans Stellvertreter Burak Demiral. „Nichts, was er uns präsentierte, war etwas Neues. Die Pläne der Amerikaner, die Kurden massiv aufzurüsten, wenn wir die jetzige Grenze des Korridors nach Süden überschreiten, sind uns bekannt. Und selbst wenn nicht, hätte er uns die Information über die normalen Quellen zukommen lassen können. Die Reise hätte er sich sparen können!“ Emre Ayhan, Chef des türkischen Geheimdienstes MIR, musste ihm zustimmen.

Darüber hinaus wirkte Victor Blochin mehr als nervös. Die Informationen rechtfertigten nun wirklich keine Aufregung. Es musste etwas anderes dahinterstecken. Aber ich habe keinerlei Ahnung, was es sein könnte. Das Verhältnis zu den Russen war zwiespältig. Einerseits halfen sie in Nord-Syrien, die Kurden faktisch zu vertreiben und im Gegenzug erwarb Ankara Dutzende von Raketensystemen. Dennoch musste man immer im Gedächtnis haben, dass Russland seit 300 Jahren den Zugang zum Schwarzen Meer kontrollieren wollte und in den letzten Jahren haben die U-Boot-Zwischenfälle im Marmara-Meer zugenommen. Man traute sich nicht.

Und der große Sultan in Ankara hatte seinen geistigen Zenit schon längst überschritten. Man wusste nach einer Besprechung nie, ob seine Meinung am nächsten Tag noch die gleiche sein würde. Also hatte es sich Ayhan zur Gewohnheit gemacht, die Gespräche aufzuzeichnen. Die Detektoren im lächerlich überdimensionierten Palast stammen von uns und Ayhan hatte die Anweisung erteilt, sie etwas zu modifizieren. Nicht, dass der Sultan auf die Idee käme, sich meiner zu entledigen, dachte Ayhan.

Was zum Teufel will Blochin hier?

Den ganzen Weg von Moskau nach Istanbul wegen ein paar lächerlicher Papiere. Sicher, dass man sich in diesen Kreisen mitunter traf, um ein gewisses Vertrauen aufzubauen, war so unüblich nicht. Dennoch passt es nicht zum SWR*, dem russischen Auslandsgeheimdienst. Auslandsreisen höchster Offiziere waren mehr als nur selten. Ayhan drehte sich um und wand sich an Demiral: „Viel seltsamer finde ich, dass er zu Fuß kommt. Kann sich die russische Residentur* keinen Wagen mehr leisten?“

Außer, sie wissen nichts von dem Besuch. Und ein Taxi meidet man besser auch, denn die haben meist Kameras im Inneren. Zumindest in Istanbul erhalten nur derartig aufgerüstete Taxis eine Lizenz.

Aber Blochin kam und ging zu Fuß und zeigte das typische Verhalten einer Person, die glaubt, verfolgt zu werden. Und er hatte ein wenig zu viel geschwitzt während des Treffens. Gut, ein Russe schwitzt überall, aber bei 13 Grad?

„Was machen wir, Chef?“, fragte Demiral.

„Was wohl? Ihn beschatten. Und wehe, ihr vergeigt es!“

2

U nd tatsächlich schwitzte Victor Blochin. Alles andere wäre auch nicht normal, denn ein Agent im Einsatz muss alle seine Sinne schärfen, sich anstrengen, sich entweder nicht zu schnell oder aber im Pfeiltempo fortzubewegen. Heute musste sich Blochin zwingen, möglichst normal zu laufen.

Denn sicher schaute ihm dieser Bastard Ayhan hinterher. Deswegen hatte er auch das Café mit Ausblick ausgewählt.

Blochin verachtete – wie die meisten Russen – alles Türkische. Sie waren der eigentliche Hauptfeind und das seit 300 Jahren. Außerdem stand ihr Gehabe in groteskem Gegensatz zur Größe ihres Landes. Russland hingegen! Aber weitere gedankliche Ausflüge gestatte sich Blochin nicht. Er musste zusehen, dass er unbemerkt diesen dreckigen Moloch Istanbul verlassen konnte. Alles war sorgfältig geplant und das seit über einem Jahr. Anfangs war Blochin – wie fast jedes Mitglied der Geheimdienste SWR und FSB froh ob der Machtübernahme durch den „neuen Zaren“, weil er Russlands alte Größe wiederherstellen wollte. Aber schon bald war erkennbar, dass die neue Herrschaft tatsächlich der des alten Zarenreichs glich. Eine kleine Clique profitierte, der Rest darbte. Darüber konnten auch die schönen Boutiquen und Hochhäuser nicht hinwegtäuschen. Die Eroberung der Krim erkannte Blochin als das, was es war: ein Propaganda-Pflaster, das die normalen Menschen von ihrer Misere ablenken sollte.

Und als Blochin bei der Beförderung übergangen wurde, war das Maß voll. Er, einer der fähigsten Hacker des Landes, bekam einen jungen Mann vorgesetzt, der schon bei simplen Quellcodes ins Strudeln kam, dessen Vater aber einer der Freunde des Zaren war.

Nur ich hätte den Posten des Leiters verdient. Des Büros für Digitalisierung im SWR. Und sie waren erfolgreich. Viel mehr als die Amerikaner oder die Chinesen. Während die noch im Internet surften, saßen wir Russen schon in ihren Rechnern, dachte Blochin lächelnd. Die Herren in Washington und Langley dachten, sie hätten die geballte Kompetenz im Silicon Valley versammelt und der Rest der Welt arbeite noch mit Commodore-Computern. Victor Blochin verachtete daher die Amerikaner, dennoch hatte er erkannt, dass er in Moskau am Ende der Leiter angelangt war. Sein Alter, 45, lag im Bereich Informatik bereits über der Vergreisungsgrenze. In Amerika würde es anders sein. Dort würde man ihn brauchen, respektieren und gut bezahlen. So sehr er das neureiche Getue der Moskauer Oberschicht auch verachtete, der Grund hierfür war: er konnte sich ein derartiges Leben nicht leisten. Die erste Eigenschaft, mit der Gott den Menschen ausgestattet hatte: Neid.

Endlich erreicht er den Parkplatz des Lidl-Supermarktes am südlichen Stadtrand von Istanbul. Er tat so, als müsse er sich die Schnürsenkel binden und konnte so unauffällig nach einem etwaigen Semtex-Geschenk schauen, auch wenn es nicht sein konnte, denn noch galt er nicht als „desertiert“.

Er startete den Motor.

Victor, nun startet die wichtigste Reise deines Lebens!

Er hatte den Parkplatz gewählt, da er nur 300 Meter entfernt von der nächsten Autobahnabfahrt lag. Er bog rechts ab und fuhr auf die O-5 auf.

Dann passierte er das Schild: Izmir 480 Kilometer.

3

D as Verfolgerfahrzeug hatte 50 km südlich von Istanbul auf ihn gewartet. Ayhan hatte zu Recht vermutet, dass jemand, der nach Süden läuft, dann auch nach Süden fährt. Und Izmir als Ziel schien logisch. Von dort waren es nur wenige Kilometer bis in den Westen, denn die ersten griechischen Inseln lagen nur wenige Hunderte Meter vor der türkischen Küste. Ein permanentes Ärgernis, das seit 1923 bestand. Im Vertrag von Lausanne wurde entschieden: das Festland kommt zur Türkei (vorher war es griechisch), dafür erhält Griechenland alle Inseln.* Blochin könnte also selbst hinüberschwimmen, was immer auch sein tatsächliches Ziel sein mochte. Natürlich könnte er auch ein Rendezvous mit einem russischen Schiff geplant haben. Weiteres Ziel: unbekannt. Ist er in einem Einsatz oder flüchtet er? Es war diese Frage, die Ayhan zögern ließ, Herrn Blochin zu einer kurzen Unterbrechung seiner Reise einzuladen. Im schlimmsten Falle könnte Moskau verstimmt sein und der Sultan würde einen seiner gefürchteten Wutanfälle bekommen.

Ayhan hatte einen brillanten Einfall. Er ließ seinen Stellvertreter zu sich ins Büro kommen.

„Burak, gut, dass Sie kommen. Ich glaube nicht, dass Blochin irgendetwas im Schilde führt. Also hängen wir das Ganze etwas tiefer. Die Begleitung soll an ihm dranbleiben, aber nicht eingreifen. Sie übernehmen und erstatten mir Bericht. Das wär´s!“

Burak Demiral trollte sich wieder, aber er kannte den Alten nur zu gut. Erwächst aus dem mysteriösen Vorgang ein veritables Desaster, so bleibt es an mir kleben und der feine Herr ist sauber raus, dachte Demiral.

4

V ictor Blochin hatte alles sorgfältigst geplant und war daher im Vorteil gegenüber seinen Verfolgern, die nicht einmal wussten, warum sie dem Wagen folgten. Und sie waren sicher von einer Unterabteilung oder freie Mitarbeiter. Für eine professionelle Observierung hätte es eines gewissen Vorlaufes bedurft, aber die Mitteilung kam zu kurzfristig, um ein Profi-Team loszuschicken.

Und so dauerte es auch nicht lange, bis Blochin den unauffälligen Ford bemerkte. Die Herren begingen den ultimativen Fehler. Sie überholten zunächst, um zu sehen, ob das Zielobjekt auch im Wagen saß und ließen sich dann wieder zurückfallen. Welcher normale Autobahnbenutzer tut so etwas? Ist man schneller und überholt, ist man weg. Basta. Blochin lächelte. Idiotenpack. Es mussten die Türken sein, so dilettantisch würde der SWR nie vorgehen. Nun, er hätte eine Überraschung für die Herren.

Kurz hinter Soma gab es einen Parkplatz. Blochin blieb hinter einem LKW, scherte plötzlich links aus, gab Vollgas, am LKW vorbei, und scherte dann nicht nur wieder rechts ein, sondern wechselte auf die Einfahrtspur des Parkplatzes. Der Fahrer des LKW musste abbremsen, sodass das Verfolgungsteam zu tun hatte, um nicht im Heck des Trucks zu landen. Auch der Ford scherte nun aus und passierte nicht nur den LKW, sondern auch den Parkplatz, ohne Blochin überhaupt bemerkt zu haben.

Groß war das Erstaunen, als sich vor dem LKW nur ein Volkswagen befand. Es dauerte eine Weile, bis die beiden Verfolger realisierten, dass irgendetwas passiert sein musste.

„Dreh um!“, brüllte Emre.

„Natürlich! Auf der Autobahn!!“, schrie Mehmet zurück.

„Dann auf den Standstreifen und rückwärts!“

Doch sie hatten kein Glück.

Ein Wagen der Autobahnpolizei näherte sich und die Beamten empfanden beim Anblick eines rückwärtsfahrenden Wagens das Bedürfnis, den Fahrer zu fragen, ob er noch ganz bei Trost sei. Als Emre und Mehmet aussteigen mussten, fuhr ein schwarzes Motorrad an ihnen vorbei.

Und Emre hatte das Gefühl, der Fahrer hätte ihnen zugewinkt.

Ihr Chef, Ayhan, würde sie ins hinterste Anatolien versetzen. Aber woher hätten sie ahnen sollen, dass auf dem Parkplatz bei Soma ein Motorrad stehen würde. Klar war jedenfalls eines: Blochin wollte unter keinen Umständen Zeugen dabeihaben – was immer er auch tat.

Blochin musste lachen, als er die betröppelten Gesichter sah. Doch Vorsicht, ab jetzt würden es keine Amateure mehr sein, die ihm nachstellen würden, sondern Experten, die ihn nach Moskau oder ins Jenseits befördern würden. In spätestens zwölf Stunden würde in Moskau die Hölle los sein, wenn der MIT nicht schon vorher Alarm schlägt. Da sie aber nichts Konkretes in der Hand hatten, hielt Blochin dies für unwahrscheinlich.

Sich penibel an das Tempolimit haltend, näherte er sich Izmir, dem früher griechischen Smyrna. Er hatte sich stundenlang den Plan der Stadt eingeprägt. Altmodisch, aber ohne Spuren. Denn weder auf dem Computer noch auf seinem Handy sollte irgendetwas zu finden sein.

Als Schutz vor Leuten wie mir, dachte Blochin und grinste innerlich.

Erfreulicherweise liegt der Hafen Izmirs im Norden der Stadt, wo auch die O5 endet. Über die Liman Road fuhr er zum Hafeneingang und dann zu Pier zwölf.

Vor einem Schuppen in der zweiten Reihe hielt er an. Bodrum Exports. Er hupte nicht, sondern wartete. Nach nur wenigen Sekunden öffnete sich das Tor und Blochin fuhr in die Halle.

„Shalom“, sagte der drahtige Mitdreißiger im T-Shirt.

Blochin mochte zwar keine Juden, aber eines musste man ihnen lassen: ihr Geheimdienst, der zwar überall als Mossad bezeichnet wird, in Wirklichkeit aber nur die Namen „der Dienst“ oder „das Institut“ trug, war gnadenlos effektiv. Und nicht infiltriert, was man von den anderen Geheimdiensten nicht behaupten konnte.

Blochin hatte darauf bestanden, dass die Israelis die Aktion leiten, ansonsten hätte er den Amerikanern abgesagt. Und bis hierher hatte alles wie am Schnürchen geklappt. Auch auf den weiteren Etappen sollte der Dienst federführend sein.

Blochin stieg aus dem Wagen.

Er lächelte und sagte:

„Ein One-way-Ticket nach Mykonos, bitte!”

5

A ngelos und Khaled lagen am Pool ihres eigenen Hauses. Seit zwei Tagen nun wohnten sie in ihrem neuen Domizil, auf dem Berg über Ornos, mit einem fantastischen Blick über den Ort hinweg auf die offene Ägäis. Dreht man sich etwas nach rechts, hatte man freie Aussicht auf die innere Bucht, den Kite-Surfer-Strand und auf den Hafen.

Eine Toplage.

Und es war genau das, was Angelos eigentlich nicht wollte. Er und Khaled hatten vereinbart, ein „normales“ Häuschen zu kaufen, auch wenn Angelos klar war, dass jemand, der sein Leben nur in Palästen und Resorts verbracht hatte, was man einem Kronprinzen schlecht vorhalten kann, eine gänzlich andere Vorstellung von einem „normalen Haus“ hatte. Komplett unempfänglich für oberflächliche Dinge wie Luxus oder Geld, hatte Angelos aber eigesehen, dass er Khaled nicht überfordern durfte.

Er hat alles, wirklich alles, für mich aufgegeben: Familie, Titel und grenzenlosen Luxus. Und Khaled gab sich größte Mühe. Vor zwei Tagen versuchte er sogar, Angelos zum Frühstück Rührei zu präsentieren. Bürgermeister und Kommissar Angelos Nikakis hatte sich gefreut, auch wenn man die Eier als Frisbeescheibe hätte benutzen können. Die Geste zählte.

Der Umzug verlief unspektakulär. Ganze vier Kisten hatte Angelos bei seinem früheren Ehemann Alex abgeholt. Er wollte Alex ein leergeräumtes Haus ersparen. Alex litt ohnehin schon genug unter dem Umstand, dass sein Angelos nicht mehr da war. Außerdem hatte Khaled genug Geld, um das Haus einzurichten. Der jetzige Emir, sein Bruder Raschid, hatte ihm 50 Millionen überwiesen, unter der Bedingung, dass er nie mehr nach Fudscheirah zurückkehrt (das wollte er sowieso nicht) und sich in der Öffentlichkeit zurückhielt (das wiederum hatten Angelos und Khaled ohnehin vor). Die beiden Herren wollten ihre Ruhe, nachdem sie wochenlang in den Schlagzeilen waren. Angelos räkelte sich gerade, als es an der Tür klingelte.

„Wer zum Teufel stört uns denn jetzt wieder?“, knurrte Angelos.

Es war Alex mit einer weiteren Kiste.

„Entschuldige, aber ich dachte, du brauchst noch einige Küchengeräte, nachdem seine Königliche Hoheit wohl Kochen lernen muss“, sagte Alex grinsend.

„Seine Königliche Hoheit grillt dich als Erstes“, sagte Khaled, der unbemerkt vom Balkon ins Haus gegangen war. „Hallo, Alex!“

„Entschuldige!“

„Gestern hat er selbständig Rührei gemacht“, bemerkte Angelos.

„Essbar?“

„Sagen wir es so: es sah interessant aus“, erwiderte Angelos.

„Macht euch nur über mich lustig. Woher soll ich es können?“

Angelos ging zu Khaled und küsste ihn.

„Schon in Ordnung. Dafür kannst du andere Dinge besser als ich!“

Khaled überlegte, was das wohl sein könnte, es fiel ihm aber nichts ein.

„Komm mit auf den Balkon, Alex“, sagte Angelos.

„Das ist natürlich das Paradebeispiel für ein normales Haus. Ich meine, jeder fährt auf dieser Insel mit seinem SUV durch Küche und Wohnzimmer zum Balkon“, stichelte Alex. „Stänkern oder Espresso?“, fragte Angelos.

„Letzteres bitte“, nahm sich Alex etwas zurück.

„Ich frage nicht, was der Palast gekostet hat“, rutschte ihm dennoch heraus.

„Er war ein Schnäppchen“, antwortete Khaled.

„In der Lage mit einem Glas-Pool?“

„Gute Frage, Alex. Ich weiß es bisher auch nicht“, sagte Angelos. „Also, Khaled?“

Khaled dreht den Kopf nach links und sagte:

„So um die drei Millionen!“

Angelos lachte.

„Das Schöne an dir ist, dass du mir beim Lügen nicht in die Augen schauen kannst“, sagte Angelos grinsend. „Du hast noch einen Versuch!“ Khaled drehte sich zu Angelos und meinte lapidar:

„8 Millionen. Gefällt es dir nicht? Dann verkaufe ich es sofort wieder!“

„Beruhige dich. Ich bräuchte es zwar nicht so groß, aber wer Kochen lernen muss, der braucht einen gewissen Ausgleich“, erwiderte Angelos lachend.

„Wir bleiben hier?“, fragte Khaled ungläubig.

„Aber natürlich. Du musstest von deinem bisherigen Leben so viel abgeben und ich ehrlich gesagt nichts. Du solltest dich mir anpassen und das ist nicht richtig“, sagte Angelos.

Khaled strahlte. Nicht wegen des Hauses, sondern deswegen, weil Angelos es bemerkt hatte, wie sehr er sich angestrengt hatte, auf ein normales Leben umzuschalten.

„Da musst du dich daran gewöhnen, Khaled. Er macht leider fast immer alles richtig“, sagte Alex. „Deswegen mögen ihn ja fast alle. Apropos: nicht nervös wegen der Wahl morgen? Nicht wegen des Ergebnisses. Das ist eh schon klar. Aber du musst bei der Verkündigung am Rathaus sein!“ Alex wusste um Angelos´ Abneigung gegenüber Massenaufläufen.

„Erinnere mich nicht daran“, knurrte Angelos. „Witzig fand ich das Plakat!“, sagte Alex. Das wiederum fand Angelos gar nicht. Sein einziger Gegenkandidat, Panourgias von der rechtsradikalen „Goldenen Morgenröte“ hatte Plakate kleben lassen. Auf denen war auf Angelos´ Kopf ein Turban montiert und darunter stand: „Wir sind eine Demokratie und kein Emirat!“ Eine Anspielung auf Angelos´ Spitznamen „Emir“, der von seinem bestimmenden Regierungsstil herrührte und nichts mit Khaled zu tun hatte. Auch wenn die Rechten natürlich homophob und ausländerfeindlich sind – wie überall.

Am folgenden Tag war auf allen Plakaten der Text so zusammengestrichen worden, dass dort nur noch stand: „Wir sind ein Emirat“. Hinzugefügt wurde: „Und das ist gut so!“

Die ganze Insel hatte gelacht. Wer hinter der Umgestaltung stand, wusste niemand. Angelos war es jedenfalls nicht. Er machte schlicht keinen Wahlkampf. „Wer meint, es sei gut gelaufen, wählt mich ohnehin. Der Rest hat die letzten Jahre wohl verpasst.“

Was stimmte, denn Angelos hatte alles angepackt, was über Jahre liegengeblieben war, hatte die Hoteliers, die früher das Sagen hatten, das Fürchten gelehrt und so manche Fördergelder aus Athen ergattert, weil er mit dem Premierminister auf gutem Fuß stand. Oder besser gesagt: er hatte ihn am Wickel, weil er von einem dunklen Fleck in dessen Vorgeschichte wusste. Angelos erpresste den Regierungschef nicht, er wies nur immer darauf hin, „dass es sein könnte…“ „Schäbiger Erpresser“, nannte ihn PM Migiakis mitunter, aber im Grunde mochte er Angelos ob dessen ungewöhnlicher Methoden und außerdem wusste Migiakis: Nikakis ist einer der wenigen, die weder korrupt noch gierig sind, geschweige denn, dass er das Geheimnis tatsächlich öffentlich machen würde.

„Ich finde es eine Unverschämtheit, dass ich meinen eigenen Mann nicht wählen darf.

Saubere Demokratie“, murrte Khaled.

„Noch ist er mein Mann. Und außerdem bist du kein Grieche“, antwortete Alex.

„Jemand, der Nikakis heißt, ist kein Grieche?“, fragte Khaled.

„Doch, aber noch heißt du nicht so! Und außerdem wird bei euch das Volk überhaupt nicht gefragt“, antwortete Alex.

„Ja, weil das Volk dumm ist“, sagte Khaled mit unschuldigem Blick und ohne Arroganz.

Angelos lachte.

„Da hat er einen Punkt“, sagte er. „Demokratie und Intelligenz passen irgendwie nicht zusammen!“

„Deswegen ist jeder vernünftige Staat ein Emirat.

Funktioniert zuhause gut, funktioniert hier gut. Oder hast du deinen Emir etwa nicht gewählt?“

„Ich habe Angelos gewählt und keinen Emir“, knurrte Alex.

„Das ist das oder der Gleiche“, gab Khaled zurück.