Ali Özgür Özdil
Hamburg 2020
www.alioezdil.de
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
1. Menschenbild im Islam
2. Die Seele
II. Religiöse Bedürfnisse muslimischer PatientInnen
1. Das Gebet und das Bittgebet
2. Besucher und das Gespräch
3. Das Glaubenszeugnis (Schahâda)
4. Die Koranlesung
III. Die Betreuung muslimischer PatientInnen im Krankenhaus
1. Islam und Medizin
2. Die Beachtung kultureller Besonderheiten
3. Die Aufklärung der PatientInnen über ihren Gesundheitszustand
4. Die Erfüllung religiöser Pflichten im Ausnahmezustand
4.1 Schamgefühl und Intimsphäre
4.2 Speisevorschriften im Islam
4.3 Hygiene im Islam
IV. Schlussbemerkung
V. Anhang
VI. Quellenverzeichnis
VII. Weiterführende Literatur
Zurzeit leben in der Bundesrepublik Deutschland mehr als 4 Mio. Menschen mit islamischem Hintergrund. Sie stammen aus mehr als 60 verschiedenen Ländern und befinden sich bereits in der vierten Generation. Diese sind alles potenzielle PatientInnen.
In einer pluralistischen Gesellschaft, wie unserer, kann sich keine Einrichtung erlauben, ohne interkulturelle Kompetenz zu arbeiten. Das betrifft nicht nur die Krankenhäuser, sondern auch Schulen, Kindergärten und vor allem Ausbildungsstätten, wie Universitäten.
Neben bestimmten religiöse Bedürfnissen (z.B. beten, fasten) können Menschen auch gewisse individuelle und kulturelle Bedürfnisse haben. Zusätzlich zu körperlichen Bedürfnissen in der Krankenversorgung (z.B. Medikamente, Nahrung, Hygiene), können Menschen auch geistige und seelische Bedürfnisse wie Wärme und Fürsorge haben. Nahrungs-, Hygiene-, oder Schamvorstellungen können wiederum von Kulturraum zu Kulturraum bzw. auch von Individuum zu Individuum unterschiedlich sein.
In der religions- und kultursensiblen Pflege geht es darum, den Menschen als Ganzes im Blick zu haben. Ziel ist eine schnelle Genesung fördern.
Viele Muslime in Deutschland haben einen Migrationshintergrund und sie stammen aus unterschiedlichen Kulturräumen.
Was ist demnach kulturspezifisch, was religiös und individuell? Was von alledem ist sichtbar und was ist davon verborgen (wie z.B. "Werte")? Ganz wichtig ist jedoch, dass das Individuum und seine Bedürfnisse im Vordergrund stehen.
Im Umgang mit muslimischen PatientInnen begegnet man vielleicht Sprachbarrieren, unterschiedlichen Geschlechterrollen usw. Das Buch möchte einen Überblick über die wichtigsten Aspekte im Umgang mit muslimischen PatientInnen und einen Einblick in die kulturellen und religiösen Hintergründe bestimmter Bedürfnisse und Sorgen dieser PatientInnen geben.
Sicherlich wäre es ein enormer Vorteil, wenn in jedem Krankenhaus mit muslimischen PatientInnen auch muslimische Seelsorger tätig wären, an die man sich jederzeit wenden könnte. Doch dies ist noch aufgrund der sehr wenigen und auf diesem Gebiet überwiegend ehrenamtlich tätigen Imame kaum möglich. So wird von christlichen Seelsorgern berichtet, dass, aufgrund dieses Defizits, Muslime sogar sie gelegentlich um Hilfe bitten. Es gibt aber auch Krankenhäuser, in denen Listen muslimischer Ansprechpartner aushängen, die bei Bedarf zu Hilfe geholt werden können.
So wie es für religiöse Muslime einen Sinn für ihr diesseitiges Leben gibt, erkennen sie auch einen Sinn im Tod und im jenseitigen Leben nach dem Tod. Der Tod wird als etwas Natürliches empfunden. Er gehört zum Leben dazu und es gibt keinen Weg an ihm vorbei: „Jedes Lebewesen wird den Tod kosten, und ihr werdet erst am Tage der Auferstehung euren vollen Lohn erhalten...“ heißt es unter anderem im Koran (Sure 3:186). Auf das Thema „Umgang mit Toten im Islam“ wird in diesem Text allerdings nicht ausführlich eingegangen, da dies den Umfang sprengen würde. Ich verweise jedoch auf die Literaturliste, vor allem auf meinen Beitrag: „Der Tod und das Leben nach dem Tod im islamischen Verständnis“ (Özdil, 2004).
Auch für Schmerz und Leid gibt es Erklärungen: Jede Krankheit, jeder Schmerz ist eine Sühne oder eine göttliche Prüfung. So heißt es in einem Koranvers: „Kein Unglück trifft ein, weder auf der Erde noch bei euch selber, ohne das es in einer Schrift (verzeichnet) wäre, noch ehe Wir es erschaffen“ (Sure 57:22). Der Mensch soll daher nicht den vermeintlich entgangenen Glücksgütern nachtrauern, sondern sich im Gegenteil an dem erfreuen, was ihm zuteilwurde. Dies ist im Sinne einer tätigen Annahme der gegebenen Umstände (in einer Haltung des Gottvertrauens) als eine aktive Strategie der Schicksalsbewältigung zu verstehen. Auf die Frage nach dem Wohlbefinden wird jeder Muslim unter Umständen daher antworten: „El-hamdu li-llâh (Gott sei Dank)“, d.h. es könnte auch schlimmer sein (siehe: Schwikart, 2002, S. 94).