Beth St. John

City Vampire

Frankfurt im Morgengrauen

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Weiterlesen: Romantische Mystery mit Biss

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Kapitel 1

 

Das Heulen der Sirenen dröhnte in seinem Kopf. Sie waren sehr nah. Er schlug die Augen auf und stöhnte leise. Es schmerzt. Seine Sinne waren hundertmal schärfer als die gewöhnlicher Menschen, was es noch unerträglicher machte. Langsam setzte er sich auf, stieg aus dem Bett und schob den schweren, dunklen Vorhang seines Schlafzimmerfensters beiseite. Die Sonne war noch nicht ganz untergegangen, doch die schwere winterliche Dämmerung zog bereits herauf und tauchte alles in ein seltsam kaltes Licht. Die blaue Stunde, dachte Janus.

Grelle Blitze drangen von weit unten zu ihm herauf und zerstörten das sanfte, malerische Leuchten des verblassenden Tages. Drei Streifenwagen mit flackerndem Blaulicht standen am Straßenrand, etliche Polizisten rannten hektisch durcheinander und riefen sich etwas zu. Janus starrte durch die Fensterscheibe nach unten. Sie standen direkt vor dem Haupteingang.

Er war nicht der einzige, der in diesem Gebäude lebte. Er bewohnte eine Penthousewohnung des modernen Hochhauses und er war nur eines der Mitglieder einer größeren Eigentümergemeinschaft. Allesamt wohlhabende Menschen, die wie Janus die Anonymität der Großstadt schätzten. Und aus gutem Grund wollte er weder Aufsehen erregen noch in irgendetwas hineingezogen werden – auch nicht am Rande. Ein lautes, nachdrückliches Klopfen an seiner Wohnungstür bestätigte seine bösen Vorahnungen.

Herr von Marten?“, erklang eine männliche Stimme von draußen. „Sind Sie zu Hause? Hier ist die Polizei. Bitte öffnen Sie die Tür.“

Janus knirschte mit den Zähnen. Hervorragend, dachte er, steckte den Kopf aus dem Schlafzimmer und rief in Richtung Tür: „Einen Moment bitte!“

Eilig griff er sich eine Jeans und ein weißes Hemd aus dem Kleiderschrank und schlüpfte zügig hinein. Dann ging er zur Wohnungstür und öffnete.

Zwei Beamten warteten im Flur, einer uniformiert, der andere trug Zivilkleidung. Zivil trugen nur die höheren Dienstgrade. Kein gutes Zeichen.

Bitte entschuldigen Sie die Störung“, sagte der Mann in Zivil. Er war kleiner als sein deutlich jüngerer Kollege, mit wirrem, ergrauendem Haar. Er trug einen beigefarbenen Trenchcoat, der vom Nieselregen an den Schultern durchgeweicht war und mit Sicherheit schon bessere Tage gesehen hatte.

Mein Name ist Klaus Schmidt, ich bin Kommissar der Frankfurter Mordkommission. Das hier ist mein Kollege Stefan Pfarr.“ Er zeigte seinen Ausweis, dem Janus jedoch keine Beachtung schenkte. „Hier im Haus wurde eine Frau tot aufgefunden. Ermordet. Dürfen wir Ihnen ein paar Fragen stellen?“

Janus blinzelte verwirrt. „Ermordet? Wer?“

Das wissen wir noch nicht.“

Ich habe kaum Kontakt zu meinen Nachbarn“, erwiderte Janus wahrheitsgemäß durch die halb offen stehende Tür. „Ich kenne nicht einmal alle. Auch nicht auf dieser Etage.“

Die Tote lag auf dem Flur hier. Quasi vor Ihrer Wohnungstür.“

Wie bitte?“ Janus war sichtlich überrascht.

Kommissar Schmidt war dadurch nicht zu beeindrucken. „Wir müssen mit Ihnen reden. Dürfen wir hereinkommen?“

Eigentlich nicht, dachte Janus, doch er trat beiseite und zog die Tür weiter auf. „Natürlich. Bitte sehr.“

Die Beamten traten ein. Janus entging nicht, wie ihre Blicke prüfend durch sein Refugium wanderten. Unwillig kniff er die Augen zusammen und führte die beiden in sein Wohnzimmer.

Nehmen Sie Platz.“ Er zeigte mit einer eleganten Handbewegung auf die breite Ledercouch vor der Fensterfront, bot den Beamten aber bewusst nichts zu trinken an. Besser, sie blieben nicht lange.

Die Männer setzten sich auf die Couch und Janus nahm den breiten Sessel gegenüber.

Also gut. Was wollen Sie wissen?“ Seine Stimme war höflich, aber distanziert.

Kommissar Schmidt kam ohne Umschweife zur Sache. „Haben Sie heute irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt? Seltsame Geräusche vielleicht? Oder ist Ihnen eine Person aufgefallen, die nicht hierher gehört?“

Nein“, antwortete Janus und das entsprach der Wahrheit. Er war am frühen Morgen zurückgekehrt, hatte noch ein wenig Musik gehört und sich schließlich schlafen gelegt. Dann hatten ihn die Polizeisirenen geweckt. Wenn ein Schuss gefallen wäre – nein, unmöglich. Seine Ohren nahmen Stecknadeln wahr, die zu Boden fielen, und zwar buchstäblich.

Wie wurde das Opfer denn … ermordet?“, wollte er wissen.

Man hat sie erschossen. Mit einer Kugel ins Herz“, kam der jüngere Polizist dem älteren zuvor. Er hatte helle blonde Haare, die kurz geschnitten und akkurat nach hinten frisiert waren.

Hm“, Janus wusste nicht, was er dazu hätte sagen sollen.

Nun, das trifft es nicht genau“, warf Kommissar Schmidt jedoch ein. „Die Leiche hatte zudem eine Bisswunde am Hals. Wir können noch nicht sagen, was von beiden die Todesursache war.“

Janus’ Miene erstarrte und glich nun dem Gesicht einer Statue. „Wie bitte?“, fragte er heiser. Ein Schauer durchfuhr ihn.

Ja, das ist wirklich grausig. Wir vermuten, dass man das Opfer andernorts getötet und dann hier abgelegt hat“, ergänzte der Kommissar.

Aha.“ In Janus’ Kopf wirbelten die Gedanken nur so umher.

Eine gebissene Leiche. In diesem Haus. Sogar auf dieser Etage. Vor seiner Tür.

Das war eine Katastrophe.

Sie verstehen sicher, dass wir Sie fragen müssen, wo Sie heute Vormittag zwischen neun und zwölf Uhr gewesen sind.“ Trotz der höflichen Wortwahl hatte Janus nicht das Gefühl, dass Klaus Schmidt sonderlich wohlwollend ihm gegenüber war.

Ich war hier“, meinte Janus knapp. „Ich habe geschlafen.“

Den ganzen Vormittag?“, fragte Pfarr überrascht und zog die Augenbrauen hoch.

Ich wüsste nicht, was mein Lebenswandel mit Ihrer Mordermittlung zu tun hat“, entgegnete Janus kühl. Seine Stimme bekam einen scharfen Unterton.

Nichts, sofern Sie mir ein glaubwürdiges Alibi für die Tatzeit liefern können.“ Schmidt fixierte Janus mit zusammengekniffenen Augen. „Gibt es irgendjemanden, der bezeugen kann, dass Sie Ihre Wohnung nicht verlassen haben?“

Janus atmete einmal tief durch. „Nein“, erwiderte er schließlich. „Aber wäre es nicht ziemlich dumm von mir, jemanden irgendwo zu töten und die Leiche dann hierher zu bringen und vor meine Tür zu legen?“

Wer sagt denn, dass der Mord nicht hier geschehen ist?“, meldete sich Pfarr zu Wort. „Im Affekt. Der Mörder könnte Angst bekommen und die Leiche einfach liegen gelassen haben.“

Janus sog scharf die Luft ein. Sie verdächtigten ihn tatsächlich. „Ihr werter Kollege Schmidt hat es selbst gesagt“, entgegnete er. Sein Gesicht war hart wie Stein. Er drehte den Kopf und sah Schmidt unverwandt an. „Nicht wahr? Sie sagten, die Frau sei wahrscheinlich woanders umgebracht und dann hier abgelegt worden.“

Schmidt lächelte eisig. „Sie haben gut zugehört. Bitte verzeihen Sie meinem ungestümen Kollegen. Nicht nur Sie sind verdächtig, jeder auf dieser Etage ist es. Wir müssen Ihnen diese Fragen stellen.“

Ich verstehe.“ Natürlich verstand er. Die meisten anderen Bewohner dürften allerdings ein Alibi haben – sie waren zum Zeitpunkt der Tat auf der Arbeit gewesen. Er konnte nichts dergleichen vorweisen.

Und Schmidt mochte ihn nicht, das spürte er. Janus wusste, dass er ganz hoch oben auf seiner Liste der Tatverdächtigen stand.

Besitzen Sie eine Schusswaffe?“ Schmidt machte weiter mit seiner Fragenliste.

Nein.“

Nun gut.“ Schmidt erhob sich und Pfarr tat es ihm gleich.

Falls Ihnen noch irgendetwas einfällt, rufen Sie uns bitte an.“ Er reichte Janus seine Visitenkarte.

Selbstverständlich.“ Janus nahm die Karte entgegen, ohne einen Blick darauf zu werfen und ließ sie in die Brusttasche seines Hemdes gleiten.

Die beiden Beamten gingen zur Tür und Janus folgte Ihnen. „Einen schönen Tag noch“, nuschelte Schmidt, als sie die Wohnung verließen und Janus nickte kurz.

Kapitel 2


Janus blieb noch einen Moment in der geöffneten Tür stehen und sah den beiden Männern nach. Am Ende des Ganges stand eine Traube von Menschen – weitere Polizisten und Männer der Spurensicherung. Sie drängten sich umeinander, machten Fotos, nahmen allerlei Proben. Ein paar Schaulustige waren aus ihren Wohnungen gekommen, um den Grund für das Aufgebot zu erfahren; die Beamten schickten sie jedoch weg und bemühten sich, den Blick auf den Tatort zu versperren.

Schließlich schloss Janus die Tür. Einen Moment lang starrte er einfach nur das weiß gestrichene Holz der Wohnungstür an. Die Gedanken rasten nur so durch seinen Kopf – die ganze Sache war weit mehr als bloß unangenehm. Er wollte auf keinen Fall noch tiefer in diese Ermittlung hineingezogen werden. Er wusste, dieser Schmidt hatte ihn auf dem Kieker und wenn sie nur tief genug gruben, würden sie mit Sicherheit die eine oder andere Ungereimtheit in seinem Leben entdecken.

Janus hatte stets darauf geachtet, so unauffällig und anonym wie möglich zu leben. Genau aus diesem Grund war er nach Frankfurt gezogen und genau aus diesem Grund lebte er in einem modernen Hochhaus. Anonymität. Niemand scherte sich hier darum, was er tat, wovon er seinen Lebensunterhalt bestritt, warum er in der Regel nur des Nachts das Haus verließ. Diese Mordermittlung drohte alles zu zerstören. Er könnte die Zelte abbrechen, alles aufgeben, wie er es alle paar Jahrzehnte tat. Doch es war zu früh, jetzt schon zu gehen. Und zu auffällig. Allerdings – wenn man ihn verhaftete, ihn gar in Untersuchungshaft steckte … Janus schüttelte den Kopf. Daran durfte er gar nicht denken. Er hätte keine Chance, sein wahres Ich geheim zu halten. Sie würden merken, dass er kein normales Essen zu sich nahm – und er würde immer schwächer werden, da das, was er wirklich zum Überleben brauchte, ihm nicht zur Verfügung stehen würde. Irgendwann würde es so schlimm werden, dass er sich nicht mehr unter Kontrolle hätte. Er würde jemanden angreifen, einen Wärter oder einen Mithäftling vielleicht.

Und dann würden sie ihn sehen.

Ihn, den Vampir.


Janus musste alle Willenskraft aufbieten, um seine sich verselbstständigende Phantasie zu bändigen. Ganz ruhig, sagte er sich, so weit ist es noch lange nicht. Bisher haben sie bloß kurz mit dir gesprochen.

Er drehte sich abrupt um und ging in sein Wohnzimmer.

Er besaß eine sehr schöne Penthousewohnung – die Decken waren hoch, die Räume hell und weitläufig. Er hatte sich modern eingerichtet, ohne dass es steril wirkte. Die Möbel waren massiv, aus weiß lackiertem Holz, die Böden aus hochwertigem Parkett. Ein Vorteil seines langen Lebens war es, dass er reichlich Zeit gehabt hatte, ein ordentliches Vermögen aufzubauen. Er hatte die Weltkriege erlebt, aber auch den Wirtschaftsaufschwung und er hatte schon immer ein Gespür für Zahlen gehabt und es verstanden, gut zu investieren. Mittlerweile verwaltete er nur noch sein Vermögen. Dieser Umstand und auch die Anonymität der Stadt, in der er lebte, ermöglichten es ihm, völlig unbehelligt und unerkannt unter den Menschen zu leben. Bei seiner nächtlichen Jagd nach Blut verletzte er selten jemanden und tötete niemals. Zumindest nicht mehr – als junger Vampir hatte er sich nicht immer so gut unter Kontrolle gehabt. Aber damals wie heute achtete er die Menschen. Niemals hatte Janus vergessen, dass er einst zu ihnen gehörte. Seit seiner Erschaffung hatte sich vieles verändert: Die Welt war kleiner geworden, kaum jemand glaubte noch an das Übernatürliche und es gab einige moderne Errungenschaften, die ihm das Überleben ungemein erleichterten – wie zum Beispiel Blutbanken. Sein Vorrat an Blut war also stets gesichert. Im Grunde war das Überleben für Vampire leichter geworden und Janus hatte alles um sich herum perfekt organisiert.

Doch nun das.

Einen Moment lang stand er einfach so da, mitten in dem riesigen Raum und starrte ins Nichts, dann griff er nach seinem Mobiltelefon und rief einen Kontakt aus seinem Telefonbuch an. Nach nur zweimaligem Klingeln wurde abgehoben.

„Hey“, erklang eine angenehme männliche Stimme, „du bist ja früh auf heute!“ Ein kehliges Lachen erklang.

„Können wir uns treffen?“, fragte Janus ohne Umschweife. „Ich habe ein Problem.“

„Natürlich.“ Die Stimme wurde schlagartig ernst. „Was ist denn los?“

Janus zögerte. „Ich möchte lieber nicht am Telefon darüber reden.“

„Okay“, sagte der andere. „Ich bin in etwa einer halben Stunde zu Hause. Komm doch vorbei.“

„Danke. Bis gleich.“ Janus legte auf.

Kai Westphal war ein Mensch – und sein bester Freund. Nun, genau genommen war Kai sein einziger Freund. Es war für die meisten Vampire recht schwierig, längerfristige zwischenmenschliche Beziehungen aufrecht zu erhalten, ohne dass die Menschen irgendwann bemerkten, dass etwas nicht stimmte. Die Abneigung gegen Sonnenlicht zum Beispiel. Wie alle Vampire konnte auch Janus zwar in gewissem Maße UV-Licht ertragen und an dunklen, bewölkten Tagen sogar das Haus verlassen, aber es schwächte ihn. Es raubte seine Kraft. Außerdem aß er nicht. Er alterte nicht. Und er war nie krank.

Seine Freundschaft mit Kai hatte eine besondere Basis: Dessen Familie wusste schon seit Generationen über Vampire Bescheid und pflegte freundschaftliche Kontakte mit ihnen. Man half sich gegenseitig, sozusagen. Die Vampire sorgten für Schutz und Wohlstand, die Menschen kümmerten sich um gewisse Probleme. Vor Kai brauchte er sich nicht zu verstecken.

Janus ging hinüber zum Garderobenschrank, zog ein Paar elegante kalbslederne Stiefel an und griff nach seinem Mantel. Nicht, dass er im Winter frieren würde. Aber wenn er jetzt nur mit einem Hemd bekleidet hinaus ins frostige Frankfurt ging, würde es Aufsehen erregen. Janus hielt noch einen Moment inne, entschied sich dafür, noch einen Schal umzulegen und machte sich dann auf den Weg. Er öffnete seine Wohnungstür und blickte hinaus auf den breiten Flur. Diesen Kommissar Schmidt konnte er nirgends entdecken, wahrscheinlich befragte er gerade einen der übrigen Hausbewohner. Die Polizisten, an denen er beim Verlassen seiner Wohnung vorbei musste, beachteten ihn nicht weiter. Als Janus die mit Absperrband gekennzeichnete Stelle passierte, wo der Leichnam gelegen hatte, sog er unmerklich ein wenig tiefer die Luft ein – der faulige Geruch des Todes hing wie ein Schleier im Hausflur, für menschliche Nasen nicht wahrnehmbar. Aber das war alles. Janus kniff die Augen zusammen. Das war nicht das Werk eines Vampirs gewesen. Er hätte die Essenz eines Artgenossen gespürt, wenn es so gewesen wäre.

Kapitel 3


„Hey, mein Freund! Verdammt, du siehst nicht gut aus.“ Kai Westphal klopfte Janus zur Begrüßung herzlich auf die Schulter und zog die Tür weiter auf. „Komm erst mal rein.“

Janus brachte ein schwaches Lächeln zustande und trat über die Schwelle in die offene Halle. Kais Familie war zwar wohlhabend, doch er selbst war als Hauptaktionär eines großen Software-Konzerns, den er vor einigen Jahren gegründet hatte, regelrecht reich. Er lebte allein in einer kleinen Villa am Stadtrand, in der vor wenigen Monaten eine rauschende Party gefeiert wurde: Kais dreißigster Geburtstag. Janus musste sich ein Lächeln verkneifen, wenn er an das Fest dachte. Er hatte niemals zuvor so viele exakt gleich aussehende – natürlich überaus attraktive – Blondinen an einem Ort gesehen wie an diesem Tag. Ganz klar: Kai war ein Playboy und vielleicht manchmal ein bisschen zu großspurig, aber er hatte das Herz am rechten Fleck. Janus mochte ihn sehr.

Kai führte Janus in sein privates Arbeitszimmer, einen weitläufigen, mit schweren, dunklen Möbeln ausgestatteten Raum, der von einem großen Schreibtisch an der Südwand dominiert wurde.

„Setz dich doch“, forderte Kai seinen Besucher auf und deutete auf einen schwarzen Ledersessel. Janus ließ sich in die schweren Polster sinken, während Kai zwei Gläser und eine Glaskaraffe von einem kleinen silbernen Tisch nahm.

Er reichte Janus eines der Gläser, öffnete die Karaffe und goss Janus eine klare Flüssigkeit ein. Dann füllte er sein eigenes Glas und stellte die Karaffe beiseite. Der Geruch des Grappas stieg Janus sofort in die Nase. Er roch Muskatellertrauben, frisches duftendes Heu, Himbeeren und den Kupferkessel, in dem der Grappa destilliert wurde.

„Auf die Gesundheit!“ Kai streckte Janus sein Glas entgegen.

Janus verzog amüsiert den Mund. „So langsam müsstest du der Unsterblichkeit gefährlich nahe kommen“, lachte er leise und deutete auf Kais Portrait an der Wand hinter dem Schreibtisch, welches ihn in einer Siegespose vor einem Hintergrund voller Bits und Bytes abbildete.

„Dann hätte ich es besser getroffen als du, meinst du nicht?“ Auch Kai lachte. Sie tranken und Kai setzte sich neben Janus in einen der schwarzen Ledersessel. Der schelmische Funke, der wie immer in seinen blauen Augen glomm, wich für einen Moment einem ernsten Ausdruck. „Also gut. Schieß los. Was hast du für ein Problem?“

„Die Polizei“, raunte Janus grimmig.

Kai zog die Augenbrauen hoch. „Wie bitte? Du willst mir doch nicht erzählen, dass du mit dem Gesetz in Konflikt geraten bist, oder?“ Janus mochte ein Vampir sein, was ihn zu einigen Geheimnissen in seinem Leben zwang, aber er besaß in Kais Augen eine gute Seele. „Bist du zu schnell gefahren?“

Janus schnaubte. „Ich wünschte, es wäre so einfach.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein. So wie es aussieht, bin ich einer der Verdächtigen bei einer Mordermittlung.“

Kai starrte ihn an. In seinem Gesicht regte sich kein Muskel. „Quatsch“, sagte er schließlich. „Das ist doch ein Scherz?“

Janus sah ihm in die Augen. „Nein, kein Scherz. Die Polizei war eben bei mir und hat mich – verhört.“

Endlich hatte Kai seine Mimik wieder im Griff. „Um Gottes Willen, wen sollst du denn ermordet haben?“

Janus zuckte in einer hilflosen Geste die Schultern. „Keine Ahnung. Die Tote wurde noch nicht identifiziert.“

„Und warum verdächtigen sie gerade dich?“

„Ich denke, vorerst verdächtigen sie jeden, der im selben Haus wohnt wie ich. Dort wurde die Leiche nämlich gefunden – im Hausflur. Vor meiner Tür. Und der Ermittler, der bei mir war, hat mich auf dem Kieker. Ich konnte es spüren.“ Janus nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas und seufzte. „Aber du weißt das Schlimmste noch nicht: Die Leiche hatte eine Bisswunde am Hals.“

Kais Gesicht hatte die Farbe einer kalkgetünchten Wand angenommen. „Du meinst, der Mörder war ein Vampir? Aber welcher Artgenosse wäre so dumm, ein Opfer praktisch direkt vor deiner Haustür …“ seine Stimme erstarb mitten im Satz. „Es sei denn, genau das war sein Ziel.“

„Es wird noch vertrackter“, erklärte Janus mit Grabesstimme. „Es war kein Vampir. Ich habe es gespürt. Aber scheinbar wollte jemand, dass es so aussieht.“

„Was haben die Beamten gesagt? Was ist ihre Theorie? Ich meine, so schnell haben sie sich doch wohl nicht auf die Vampirgeschichte eingelassen, oder?“

„Sie gehen davon aus, dass das Opfer woanders ermordet und schließlich dort abgelegt wurde.“

Kai schwieg eine ganze Weile. „Das ist ernst“, gab er schließlich zu. „Sehr ernst. Sollten sie dich in Untersuchungshaft stecken …“

Janus hob abwehrend die Hände. „Bitte, sag es nicht. Was glaubst du, warum ich dich um Hilfe bitte?“

„Gut. Nein, nicht gut, aber … Vielleicht wäre es ein schlauer Plan, der Polizei ein wenig auf die Sprünge zu helfen – was die Suche nach dem wahren Mörder angeht.“

Janus verzog den Mund. „Ich fürchte, meine Fähigkeiten als Tatortermittler halten sich in Grenzen. Außerdem möchte ich mich so weit wie möglich entfernt halten vom Radar dieses Kommissars Schmidt. Wenn ich mich in die Angelegenheiten der Polizei einmische …“

„Nein“, fiel Kai ihm ins Wort. „Nicht du! Du hast vollkommen recht, du solltest dich in der nächsten Zeit so bedeckt wie nur irgend möglich halten. Aber“, er stand auf, ging um seinen Schreibtisch herum und zog eine der Schubladen auf der Rückseite auf, „ich weiß da jemanden.“ Kai kramte einen Moment in der Schublade herum und fand schließlich, was er suchte. Ein triumphierendes Lächeln umspielte seine Lippen und er schob die Schublade wieder zu. „Hier“, sagte er, kam zurück und reichte Janus eine Visitenkarte. „Sie ist eine der Besten ihres Fachs. Du kannst ihr vertrauen.“

Janus nahm die Karte entgegen. Das hellblaue Büttenpapier fühlte sich schwer und hochwertig an. „Lara Winter“, murmelte er. „Privatdetektivin.“ Er hob den Blick und sah seinen Freund zweifelnd an. „Ernsthaft?“

„Ernsthaft.“ Kai schien sehr überzeugt von seinem Vorschlag. „Wenn jemand die Aufmerksamkeit der Polizei in eine andere Richtung lenken kann, dann sie.“