Philip Lehmann

Chorleiter-Coaching

1004 Wege dich, dein Dirigieren und deinen Laienchor zu optimieren

die Rationalisierung der Emotion durch Kaizen

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

Vorwort

Einleitung

Alphabetischer Inhaltsteil

Danksagung

Index

Vorbemerkung

Ich werde dich liebe Kollegin, lieber Kollege in diesem Buch duzen. Wir werden gemeinsam derart ans Eingemachte gehen, dass ich es unhöflich finden würde dich zu Siezen.

Dieses Buch zeigt dir, dass Leiten und Dirigieren eines Laienchores ein Handwerk sind – ein erlernbares Handwerk mit eigenen Techniken, Arbeitswegen und Methoden ein Produkt herzustellen: Einen glücklichen, erfolgreichen und produktiven Chor .

Das Wort Laienchor definiert nur einen Chor, der aus Sängern besteht, die fürs Singen kein Geld bekommen. Über seine Qualität sagt das Wort nichts aus. Eine tiefere Differenzierung ist terminologisch nicht möglich.

Trotzdem behandelt dieses Buch nahezu alle Aspekte der Laienchorleitung, da es spezifische Merkmale gibt, die ihn fundamental vom Profichor unterscheidet.

Diese Merkmale und Arbeitsweisen wirst du in keinem mir bekannten Studium oder Chorleitungskurs lernen, weil du sie nur durch praktische Erfahrung und Reflexion erfahren kannst. Einen Teil dieser Arbeit nehme ich dir hiermit ab, indem ich dir meine Erfahrung und Reflexion mitteile.

Ich coache dich – ich unterrichte dich nicht. Ich möchte nicht, dass du etwas unreflektiert annimmst – ich möchte, dass du dich mit der Sache auseinandersetzt.

Alles was ich dir an Lösungswegen vorschlage begründe ich, ohne dir die Lösungen aufzuzwingen. Nur weil etwas mein Weg ist, muss es nicht deiner sein. Ich bin sehr meinungsstark – meine Meinungen sind aber immer begründet. Ich helfe dir so deine Arbeitsweise und deinen Umgang mit deinem Chor und deinen Sängern zu überdenken.

Dieses Buch soll ein ständiger Begleiter und Ratgeber für jeden Laienchorleiter jeden Niveaus sein können. Sollte dir dies nicht ausreichen biete ich dir weitere Wege:

www.chorleiter-coaching.de

Buche mich für dich und deinen Chor. Lasse dich aktiv oder passiv coachen.

www.chor-mediation.de

Wenn der chorinterne Haussegen schief hängt, kann ich vermitteln.

www.chorleiter-stammtisch.org

Das kostenlose und ausdrücklich anonyme Forum für Chorleiter, alle deine Fragen und alle Antworten, die du anderen geben möchtest.

2. Auflage

2027 werde ich eine 2. Auflage dieses Buches herausbringen. Dies werde ich unabhängig von den Verkaufszahlen tun. Ich habe (verständlicherweise) keinen Verlag gefunden, der mir nach 5 Jahren alle Verlagsrechte wiedergibt, und damit garantiert eine 2. und überarbeitete Auflage ermöglicht. Deshalb musste ich den Weg über einen Book-on-Demand-Anbieter wählen, der mir erlaubt alleiniger Rechteinhaber zu bleiben. Ich darf mich so (z.B. im Forum) auch selbst zitieren und es gibt keine zahlenmäßige Auflage – das Buch wird also nie vergriffen sein.

Da dieses Buch außerdem zum größten Teil auf reflektierter Erfahrung basiert und ich in den nächsten Jahren noch viel dazulernen, bzw. auch im Austausch mit Kollegen (dir!) neue Probleme und Lösungswege kennen lernen werde, ist eine Überarbeitung und Ergänzung des vorliegenden Materials nur konsequent und auch in deinem Sinne.

Vorwort

Aufbau

Dieses Buch ist nicht nach Themen geordnet. Es ist ein Blog in Buchform.

Aspekte der Chorleitung sind in kleinen Absätzen aufgearbeitet und mit einer Überschrift versehen. Diese sind dann alphabetisch, nicht inhaltlich, geordnet.

Lese das Buch chronologisch, da seine Kapitel strategisch gesetzt sind – erst danach problembezogen. Der Index am Ende des Buches wird dir dabei helfen die für dich interessanten Themen wiederzufinden.

Einige inhaltlich verbundene Hinweise (z.B. „Neuer Chor“) sind im Buch verteilt, weil die Hinweise nicht nur in einem neuen Chor gelten. Sie sind aber unter „Neuer Chor“ im Index alle zu finden.

Spezielle inhaltliche Hinweise (z.B. nur für den Gottesdienst) sind wiederum unter „Gottesdienst“ im Buch zu finden (natürlich auch im Stichwortverzeichnis).

Es fiel mir sehr schwer nach Kapiteln (Probenvorbereitung/vor der Probe/nach der Probe/etc.) zu arbeiten, da viele der Absätze inhaltlich in mehrere Kapitel passen würden.

Manche Paragrafen haben augenscheinlich denselben, mit anderen Worten beschriebenen, Inhalt. Aber so individuell jeder Chor und Chorleiter ist , so wird auf nur in Nuancen unterschiedene Aussagen reagiert. – Auch von dir. Dieses Buch will auch dir gegenüber pädagogisch sein – das ist Coaching. Wäre dies ein Lehrbuch würde ich nur einen Paragrafen zur „Intonation“ geschrieben haben und nicht sechs. Manche Dinge, die mir selbst sehr wichtig sind, wiederhole ich inhaltlich bewusst nur in anderen Worten und unter anderer Überschrift, sodass sie im Buch verteilt immer wieder auftauchen. Wenn dir also etwas bekannt vorkommt habe ich mein Ziel erreicht – einen Wiedererkennungswert. Es sind Dinge, die ich auch im Leben andauernd wiederholen muss und dies tue, weil ich von ihnen überzeugt bin.

In den meisten Fällen sind diese ähnlichen Abschnitte durch Verweise verbunden.

Der Abschnitt Wiederholen wird dir einiges an diesem Buch erklären.

1. Ich wiederhole, um Wissen zu vermitteln.

2. Ich bin humorvoll, motivierend schnodderig, auffordernd, ehrlich, formal, provozierend und beleidigend, um in dir emotionale Reaktionen hervorzurufen.
Die z.T. durchgedrehten Überschriften sind wohlüberlegt.

Du kannst mich nach der Lektüre dieses Buches lieben oder hassen – solange du weißt, warum du es tust, hast du dich im Verhältnis zu meinen Intentionen reflektiert.

Nur dann war ich erfolgreich.

Dies ist ein Coaching-Buch. Dies ist kein Handbuch der Chorleitung. Ich gehe somit davon aus, dass du schon einen Chor leitest und eigene Erfahrungen gemacht hast.

Ich gehe davon aus, dass Folgendes grundsätzlich bekannt ist:

• Grundschläge des Dirigierens

• Akkordsymbole

• Tonarten

• Tempoangaben

• Taktarten

• Harmonielehre im Allgemeinen

Dies ist kein theoretisches Buch – alles was du hier liest kannst du, unabhängig vom Niveau, auf deinen Chor zugeschnitten anwenden. Ich helfe dir deine Arbeit zu optimieren. Dies ist ein Ergänzungsbuch zu jeder Dirigierschule. Es kann diese aber nicht ersetzen. Fängst du erst an einen Chor zu leiten, wird dir mein Buch etwas helfen, aber dich mit seiner Informationsfülle eher erschlagen. Gute Dirigierschulen habe ich im Literaturverzeichnis aufgelistet.

Alles in diesem Buch ist meine subjektive Erfahrung. Mein (angelesenes) Wissen.

Ich mache es so. Ich will es so machen.

Du musst den richtigen Weg für dich und deinen Chor finden.

Nur dann ist er authentisch und nachhaltig.

In hunderten Paragrafen beschreibe ich dir, wie ich meine Proben vorbereite, wie ich probe und die Psychologie hinter dem Laienchorleiten.

Beleidigte Leberwurst

Ich hätte es nicht gedacht, aber ich muss auch so etwas in ein Vorwort schreiben, denn heutzutage beleidigt sogar gutgemeinte Hilfe…

Wenn ich jemanden in diesem Buch durch meine Vorschläge und Anregungen, aber auch Forderungen, beleidigt haben sollte, tut mir dies nicht leid. Alles was ich hier geschrieben habe sind Vorschläge zur Optimierung – selbst ich kann nicht alle erfüllen.

Eine übermäßig negative Reaktion auf einen Vorschlag wurzelt meist in dem Wissen, dass man ihn befolgen sollte, aber es entweder nicht kann oder Angst davor hat.

Jeder Dirigent muss reflektieren, welche Wege für ihn in Frage kommen, ohne dass er seine Persönlichkeit aufgeben soll (denn das geht nun mal nicht) – d.h. es ist unmöglich von einem normalerweise sachlich arbeitenden Dirigenten zu erwarten, dass er nun jede Probe mit einem Witz beginnt (bitte niemals machen!) oder von dem unorganisierten Scherzbold, dass er jemals ohne viel zu Delegieren ein guter Gruppenleiter wird.

Wir können im Bereich unseres Charakters Techniken anwenden, um Abläufe zu optimieren und bestimmte Verhaltensweisen (auch liebgewonnene) zu überdenken. Dieses Buch will dich dazu anregen. Jeder Hinweis ist ein begründeter Impuls.

Ab und zu nutze ich Kraftausdrücke um Handlungsweisen (z.B. einen Chor a-capella mitteltönig singen zu lassen) als das darzustellen was sie für mich sind. Wenn du dich davon persönlich angesprochen fühlst, bedenke, dass wir uns nicht kennen und ich dich nicht persönlich gemeint haben kann. Frage dich dann, warum du dich beleidigt fühlst. Wenn ich soo falsch liegen sollte, kannst du mir gerne schreiben.

Coaching bedeutet deinen Weg zu finden – aber manche Sachen macht man einfach nicht – also meiner (begründeten) Meinung nach…

Genderterminologie

Ich habe mir viele Gedanken über eine gendergerechte Sprache gemacht und bin zu keiner befriedigenden Lösung gekommen.

Es ist unbestritten, dass nicht nur im Chor mehr Sängerinnen als Sänger singen, sondern es im Laienbereich auch mehr Chorleiterinnen als Chorleiter gibt.

Ich bin damit aufgewachsen, dass man Sänger, Chorleiter, Autor, Regisseur, Intendant, etc. sagt und damit gleichzeitig männliche wie auch weibliche meint.

Ich nutze im allgemeinen Sprachgebrauch das generische Maskulinum, ohne großartig darüber nachzudenken – in einem Buch ist das eigentlich etwas anderes.

Gleichzeitig verweigere ich mich solchen Wortmonstern wie „Chorleiterinnen und Chorleiter“, „Chorleiter*innen“ oder am schlimmsten: „Chorleitende“, „Singende“, „Dirigierende“. Wir leben in einer spannenden Zeit und ich als Mann bin ‚natürlich‘ der Meinung, dass man gerne beim generischen Maskulinum bleiben kann – man weiß doch wer gemeint ist… Das ist ja soo leicht von mir zu sagen, da mich die maskuline Bezeichnung Dirigent oder Sänger ja meint.

Die Problematik wurde mir bewusst, als ich einen ZEIT-Artikel über die Frage las, wie Astronautinnen im All aufs Klo gehen.

Es hat eine Seite gedauert, bis ich verstanden hatte, dass der Autor (männlich) nicht nur Frauen, sondern auch die Männer unter dem Begriff „Astronautinnen“ zusammenfasste. Der gemischte Chor ist eine letzte Bastion echter Gendertrennung. Nur im Tenor und Alt gibt es ab und zu Überschneidungen – wobei der Anteil der Tenösen den der männlichen Altisten bei weitem übersteigt – letzteres ist mir noch nie passiert.

Wenn ich mit dir über Sängerinnen rede – denkst du da an den Bass? Und die Sänger des Chores – denkst du da nur an die Männerstimmen?

Auch das neue „divers“ ist im Chorzusammenhang nicht zielführend, da z.B. der Genderbegriff „Männerstimme“ klangphänotypisch gemeint ist und mit der sexuellen Einstellung nichts zu tun hat.

Ein als transgender identifizierender Mann wird, da die Ausbildung der Stimmlippen in der Pubertät vollzogen wurde, im gemischten Chor in der Männerstimme singen (müssen). Umgekehrt ist es aber möglich, dass als transgender identifizierende Frauen ihre Stimmen durch Testosteronzufuhr tiefer bekommen (dies bedeutet aber nicht zwingend, dass Tenösen grundsätzlich mehr Testosteron haben als Sopräne).

So leid es mir tut, aber das generische Maskulinum ist im chorbezogenen Sprachgebrauch verankert und wird da auch nicht so schnell verschwinden. Mit dieser Feststellung werde ich mit Sicherheit irgendwelche Empörungen auslösen und würde zwar auch gerne meinen Teil zum Verschwinden beitragen, habe aber gemerkt, dass ich noch nicht so weit bin und keine für mich befriedigende Lösung gefunden habe.

Ich habe sogar versucht bei allen Paragrafen im Buchstaben A nur weibliche Generika und im Buchstaben B nur männliche usw. zu nutzen. Auch das fühlte sich erzwungen an. Das grundlegende ‚Problem‘ ist, dass der Text dieses Buches meine Umgangssprache ist. Ich spreche mit dir. Darunter leidet nicht nur die etwas umgangssprachliche Kommasetzung…

Eine praktische (sic!) Idee zur gendergerechten (Schrift-) Sprache bringt der Germanist Thomas Kronschläger in Anlehnung an den Künstler Hermes Phettberg mit in die Diskussion: Hänge einfach bei Personenbezeichnungen ein „y“ an den Wortstamm, und setze ein neutrales „das“ davor, schon fühlen sich alle (m/w/d) mitgemeint.

Um das Plural zu bilden, wird ein „s“ angehängt.

Aus der/die Sänger*in wird das Sängery – plural: die Sängerys.

Aus der/die Chorleiter*in wird das Chorleitery – plural: die Chorleiterys.

Aus der/die Stimmbildner*in wird das Stimmbildnery – plural: die Stimmbildnerys.

Aus der/die Zuhörer*in wird das Zuhörery – plural: die Zuhörerys.

Aus der/die Dirigent*in wird das Dirigenty – plural: die Dirigentys.

Aus der/die Kolleg*in wird das Kollegy – plural: die Kollegys.

Ob auch innerhalb von Wörtern gegendert werden soll, stellt Kronschläger frei.

Die Vorteile liegen allerdings auf der Hand: Ein Wortungeheuer wie der/die Chorleiter*innenausbilder*innengehilf*innen schnurrt auf das Chorleiteryausbilderygehilfy zusammen. Man spart drei Kunstpausen beim Sprechen, beim Schreiben fast die Hälfte der Anschläge und hat womöglich sogar ein paar Lachys auf seiner Seite.

[aus „Spiegel Online“ URL: https://www.spiegel.de/politik/deutschland/gendergerechte-sprache-leichter-gendern-mit-phettberg-kolumne-a-ae5da027-0002-0001-0000-000176418810 (Abgerufen: 21. März 2021, 09: 21 UTC)]

Im Jahr 2027 gibt es die zweite überarbeitete Auflage dieses Buches.

Ich hoffe dann eine für mich praktische Lösung gefunden zu haben und entschuldige mich bis dahin.

Weitere Terminologien

Ich wechsle den Terminus Dirigent und Chorleiter ab. Sie sind für mich gleichbedeutend. Orchesterleiter ist ein Spezialbegriff.

Gruppenleiter nutze ich nur, wenn die zugehörige Handlungsanweisung universell für Gruppenleiter gelten kann (chorunabhängig).

Abkürzungen für Chorstimmen: Sopran (S), Alt (A), Tenor (T), Bass (B).

Taktangaben: T5ff = Takt 5 und Folgende.

Verweise zu anderen Kapiteln zeige ich so: (s.a. Wiederholen)

Personennamen habe ich mit Lebensdaten versehen. Fehlen diese Daten habe ich sie nicht finden können.

Ich nutze folgendes Tonnamensystem in diesem Buch und im normalen Leben:

Gesangstechnik

Alle Hinweise zur Gesangstechnik sind ergebnisbezogen. D.h. wenn Sänger eine bestimmte Technik anwenden, wird ein bestimmtes Klangergebnis erreicht. Dies kann in einem Chor ohne Einzelstimmbildung immer nur nahezu funktionieren. Deshalb müssen wir im Laienchor Anweisungen nutzen, die bei den meisten Sängern zu richtigen Ergebnissen führen.

Das von mir im Buch geforderte „freundliche Gesicht“ muss nicht bei jedem Sänger helle Vokale produzieren, tut es aber bei den meisten.

Die Zungenspitze beim Singen an den unteren Schneidezähnen zu belassen, lässt die Zunge hinten nicht zwangsläufig flacher werden und damit einen oberen Resonanzraum schaffen – tut es aber bei den meisten.

Ich behaupte nicht, dass meine Stimmbildungshinweise die besten sind – aber „they get the job done“.

Die individuelle Ausprägung der Techniken musst du an deinem Chor ausprobieren. Deshalb beschränke ich mich auch auf Grundsätzlichkeiten und gebe sonst nur Hinweise.

Artikel zur Funktion und Anatomie der Stimme bestehen hauptsächlich aus Verweisen auf Wikipediaartikel. Der Grund ist einfach: die moderne Technik. Sei es nur die der Animation oder auch MRT-Aufnahmen von der Stimme, welche ich natürlich nicht in einem Buch darstellen kann.

Die menschliche Klangerzeugung ist sehr komplex. Um alle notwendigen Aspekte abzudecken, wurden schon andere dicke Bücher geschrieben. Ich will dir Wege zeigen. Nehme dir einfach mal einen Nachmittag und lerne das Instrument deiner Sänger (und auch von dir) näher kennen. Ich glaube jeder Geiger weiß mehr über den Aufbau seiner Geige als wir Sänger über den Aufbau unserer Stimme. Ändere das.

Kommunikationstechniken

Manche Ratschläge bezüglich der Befindlichkeiten der Sänger wirken vielleicht kalt, sachlich und wenig empathisch.

Das Gegenteil wird das Befolgen der Ratschläge erreichen. Mein Ziel ist es, dass Sänger sich in deinem Chor wohlfühlen, und da ist der Hinweis einem schwer erkrankten Sänger nicht nur „gute Besserung“, sondern auch „viel Kraft“ zu wünschen vielleicht berechnend, aber vor allem ein Augenöffner dahingehend, wieviel kleine Änderungen im Sprachgebrauch große Effekte und Wärme hervorrufen.

Ich werde dir zeigen, auf welche Situationen du noch achten solltest und wie du mit ihnen umgehst, damit deine Sänger deine Empathie wahrnehmen.

Manche Hinweise in diesem Buch wirken wiederum wie aus einer ‚Kuschelpädagogik‘. Du hast es allerdings mit Menschen zu tun, die auch jederzeit in einen anderen Chor gehen können. D.h. solange deine Sänger sich wohlfühlen, bleiben sie auch.

Lesende Chorsänger

Lieber lesender Chorsänger. Dies ist kein Buch für dich.

Du wirst damit hinter den Vorhang schauen.

Wenn du also einfach gute Chorproben erleben willst, lese nicht weiter!

Wenn du wissen willst wie (meiner Meinung nach) Chorproben besser geleitet werden können, darfst du nachher nicht sauer sein, wenn du dich in Proben manipuliert fühlst. Du wirst nämlich manipuliert – aber bei korrekter Ausführung immer zu deinem Besten.

Rechtliches

Alle rechtlichen Hinweise und Behauptungen sind von mir nach bestem Wissen und Gewissen gemacht worden. Eine Gewähr gebe ich auf diese nicht und empfehle dir dringend dich von Fall zu Fall selbst zu informieren. Sie spiegeln alle nur eine Meinung dar.

Alle Tatsachenbehauptungen, Vorgehensweisen der Allgemeinbildung, die nicht mit einer Quellenangabe versehen sind, entstammen meiner eigenen Erfahrung. Ich gebe keine Garantie auf ihre Richtigkeit. Im Falle der Quellenangaben liegt die Verantwortung bei der Quelle, deren Korrektheit zu überprüfen ist.

Beispielhafte Chorsituationen sind gänzlich anonymisiert und inhaltlich verfremdet.

Alle Ähnlichkeiten mit lebenden und verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt, selbst wenn sie spezifiziert wirken.

Einleitung

Laienchorleitung

Laienchorleitung ist ein schöner Beruf – ob haupt- oder nebenberuflich.

Leider sind alle mir bekannten Lehrformate für Laienchorleitung nicht realitätsnah, da sie schlicht nicht auf die Arbeit mit Laienchören ausgerichtet sind.

Das Hauptproblem: Die Schüler und Studenten müssen sich in den praktischen Übungen nur mit Kommilitonen oder Kollegen auseinandersetzen.

Der Laienchorleiter ist im Gegensatz zum Dirigenten eines professionellen Chores oder Orchesters kein kleines Rädchen im System, sondern maßgeblich für die Qualität, die Ausrichtung und Zufriedenheit der Sänger seines Chores verantwortlich.

Er ist das Zentrum, um das sich alles dreht.

Mit deiner Qualität steht und fällt die des Chores. Du hast dadurch signifikant mehr Macht als deine ‚professionellen‘ Kollegen – aber damit auch mehr Verantwortung.

Deshalb muss bei jedem Fehler des Chores oder im Ablauf die Frage von dir an dich gehen, was du falsch gemacht hast. In deiner verantwortungsvollen Position hast du zuerst zu fragen was du besser machen kannst, bevor du fragst, was die anderen besser machen können. Das ist nicht einfach – den Weg dahin zeige ich dir.

Im Laienbereich besteht ein ganz anderes Vertrauensverhältnis zwischen Chor und Sänger als im Profibereich. Profisänger wissen, wann sie falsch gesungen haben. Sie brauchen keine Stimmbildungstipps. Sie müssen nicht auf eine gute Haltung hingewiesen werden. Mit ihnen musst du keine Töne pauken oder die Intonationsgrundsätzlichkeiten klären. Dort bist du für die musikalische Gestaltung zuständig. Mehr nicht. Du bist absolut ersetzbar.

Ein Profichor könnte auch ohne Dirigenten noch verhältnismäßig gut singen.

Im Laienchor brauchen die Sänger dich, um als Chor überhaupt zu funktionieren.

Du wirst diese Machtposition aber nur gut ausfüllen können, wenn die Sänger ihre Unterwürfigkeitsposition nicht spüren, sondern das Gefühl bekommen, Anteil an der Entstehung der Musik zu haben. Auch hierfür lernst du Techniken in diesem Buch.

Dirigieren ist keine Zauberei.

Man kann es (eine gewisse Führungspersönlichkeit vorausgesetzt) lernen.

Woran viele von uns scheitern ist der Glaube, dass Dirigieren im Laienbereich, wie im Studium gelernt, einfache Mathematik ist: Wenn ich das mache/fordere, passiert das.

Bei den Profis ist das auch (meistens) so. Ich sage: „Takt 25 leiser“ oder zeige das sogar nur an, und es passiert. Dirigieren im Laienbereich ist aber höhere Mathematik – es ist Wahrscheinlichkeitsrechnung. Wenn ich das mache, passiert wahrscheinlich das.

Leider gehen alle mir bekannten Dirigierschulen von höchst willigen und fähigen Sängern aus. Wir alle wissen aber, dass dem nicht so ist.

Dieses Buch schließt die Lücke zwischen dem technischen Dirigieren und dem Leiten einer Gruppe von musikalischen Laien jeden Niveaus.

Es ist für den Anfänger bis zum studierten Profi geschrieben.

Denn wo es dem Anfänger an Sachkompetenz fehlt, fehlt es dem Profi an Sozialkompetenz. Für beides bietet das Buch Handlungsanweisungen, Tipps und Vorschläge, die die Arbeit und den Umgang mit einem Laienchor optimieren.

Es hilft dir ein Dienstleister an deinen Sängern und deinem Chor zu werden, ohne daran kaputt zu gehen. Du wirst schließlich einen funktionierenden Chor, zufriedenere Sänger und bessere Konzerte erreichen.

Der Fisch fängt immer am Kopf an zu stinken. Deshalb musst du dich selbst ändern, bevor sich dein Chor ändern kann: zufrieden werden und bereit sein immer dazu zu lernen.

Dieses Buch wird dir leider ohne Eigenleistung nicht helfen können. Ich zeige dir zwar eine Menge Wege, wie du deine Arbeit effektiver gestalten kannst und weniger Probleme bekommst, aber kein Chor gleicht dem anderen. Einige Tipps funktionieren bei jedem Chor und gehören quasi zum Grundrepertoire, bzw. zu deinem Fundament.

Viele Wege musst du aber erst versuchsweise beschreiten, um herauszufinden, ob sie etwas für deinen Chor sind oder nicht und ob sie etwas für dich sind.

Wenn du nicht bereit bist deine Arbeit und deinen Chor zu reflektieren, brauchst du im Prinzip nicht mehr weiterlesen.

Die Rationalisierung der Emotion

Alle Menschen in allen Kulturkreisen singen.

Leider ist in der Historie zum großen Teil nur der sakrale Gesang aufgezeichnet worden. Auch aus dem griechischen Theater gibt es nur rudimentäre Überlieferungen.

Das Volkslied gab es schon immer. Es wurde aber nur mündlich überliefert.

Ein singender Mensch tut dies nicht um anderen zu gefallen – er tut dies für sich selbst. Er tut es, um seine Arbeit erträglicher zu machen. Ein Kind in den Schlaf zu wiegen. Seine Freude auszudrücken, seine Wut, aber auch seine Angst (der Pfeiffer im Walde). Singen und Emotion sind untrennbar miteinander verbunden – auch im Chor.

Singen ist damit immer intrinsisch und emotional. Deshalb hat der singende Laie das Gefühl er gebe etwas Intimes von sich preis.

Es ist die Aufgabe des Chorleiters diese Verbindung zur tiefen Emotionalität konstruktiv und sensibel aufzubrechen, um das Singen für den Sänger zu einer steuerbaren und formbaren Tätigkeit werden zu lassen.

Er muss die Emotionen rationalisieren.

Ein Chorsänger, der sich mit seinem Individualgesang einer Gruppe unterordnen soll, braucht eine Führung, die ihn in seiner emotionalen Ausdrucksweise nicht verkrüppelt, sondern ihm Werkzeuge gibt seine singende Ausdrucksweise zum Wohl der Gruppe, und zu seinem eigenen, zu steuern.

Ein schlechter Laienchorleiter wird seine Sänger wie bezahlte Profis behandeln, deren emotionale Bindung zum Chor und zu der Musik nicht an erster Stelle stehen müssen. Ein guter Laienchorleiter wird in dem Verständnis um die emotionale Heterogenität seiner Sänger Wege finden diese zu homogenisieren und die meisten seiner Sänger emotional in dieselbe Richtung zu bewegen.

Dies wird er aber nur schaffen, wenn er selbst rational bleibt, ohne kalt zu sein.

Er muss fühlender Mensch bleiben. Seine Methodik und Didaktik darf trotzdem nur von klaren Gedanken und Rechtfertigungsfähigkeit (nicht Rechtfertigungszwang) geprägt sein. Er muss sich immer erklären können, ohne es zu müssen. Nur wenn er auf eine eigene unsachliche Meinung verzichtet, ist er für jeden Sänger ansprechbar.

Sein Profil ist darüber definiert – es gibt keine Überraschungen.

Coaching

Dies ist ein Coachingbuch. Es setzt voraus, dass du schon einige Zeit einen Chor leitest. Coaching ist Interaktion. Du und ich finden deine Lösung.

Das ist mit einem Buch natürlich nicht zu leisten.

Wenn du es falsch machen willst, nimmst du dir ein paar markige Sprüche und ein paar Probenmethoden aus dem Buch, setzt sie um, erzählst von ihnen und ersetzt mit ihnen eine praktische Wirkung. – Denn du tust ja schon was. Du änderst dich ja. Problem erkannt – Gefahr gebannt – aber nur punktuell.

Der richtige Weg ist, niemandem zu erzählen, was du anders machst. Mach es einfach. Sei du selbst und finde deinen Weg. Nur du kannst auf ihm gehen.

Ich gebe dir kleine Hilfsmittel und Wegweiser, soweit es ohne einen persönlichen Kontakt möglich ist. Ich zeige dir Alternativen. Du musst dir deinen Weg selbst suchen. Wenn du dich aber entscheidest auf dem Weg zu bleiben, den du jetzt gerade gehst, dann tust du es über die Auseinandersetzung mit meinen begründeten Vorschlägen informiert und selbstbegründet.

Es kann sein, dass dir die Hälfte der Tipps nichts bringen, da sie nicht zu deiner Lebenssituation passen, dir oder deinem Chor.

Das bedeutet aber, dass du diese Tipps reflektiert, und dich informiert gegen ihre Umsetzung entschieden hast. Das ist eben so viel Wert wie ihre Umsetzung.

Wenn dir persönliche Änderung schwerfällt, wirst du versucht sein wegen einzelner Dinge, die du nicht umsetzen kannst, alles an diesem Buch für nicht umsetzbar zu halten. Dann hast du das Ziel leider missverstanden. Solange du eine informierte Entscheidung triffst, ist sie korrekt – für dich.

Ein Beispiel: Ich würde niemals vor der Probe ein gutes Essen zu mir nehmen.

Du möchtest vielleicht nicht darauf verzichten mit deiner Familie zu Abend zu essen.

Es zu tun oder zu lassen hat Vor- und Nachteile. So lange du dann in der Probe nicht rumjaulst, wie schwer doch dein Magen ist, sondern zufrieden an das schöne gemeinsame Essen denkst und mit dem vollen Magen trotzdem deine Arbeit machen kannst (oder gerade weil, da du nun keine Schuldgefühle gegenüber deiner Familie hast) ist alles ok. Dein Weg – mein Ziel: Gute Probe durch zufriedenen Chor und Chorleiter.

Eventuell wusstest du gar nicht, dass es da noch andere Wege gibt, wo du immer schön geradeaus gegangen bist. Eventuell warst du zu faul oder einfach uninformiert. Vielleicht dachtest du, du gehst den richtigen Weg. Vielleicht gehst du auch deinen richtigen Weg. Dann weißt du das jetzt auch und denkst es nicht nur. Das ist das Ziel dieses Buches.

Ich will dich dazu bringen, dass du dich für deinen Weg entscheidest.

Ich gebe ihn dir nicht vor. Ich zeige dir nur welche Wege du gehen kannst und welche Wege ich für die besseren halte. Den Weg gehen musst du selbst.

Sehr häufig wirst du bei Aufzählungen „etc.“ oder „usw.“ lesen. Das liegt weniger daran, dass mir nichts mehr einfällt, als eher, dass meine Aufzählung eine Basis definieren soll, auf der du die Liste aus deiner Erfahrung und Situation heraus weiterführen kannst. Dieses Buch ist ein Werkzeugkasten. Ich gebe dir in ihm Werkzeuge, um deine Aufgabe zu erfüllen. Es ist aber deine Aufgabe die Werkzeuge aus dem Kasten zu nehmen.

Du hast die Wahl: Schaust du einmal in den Kasten und stellst ihn dann in die Ecke oder wirst du für die entsprechende Situation das richtige Werkzeug nutzen? Für manche Situationen wirst du kein Werkzeug finden, aber du wirst dir dann dein eigenes bauen können.

Ich werde damit deine Resilienz fördern.

Durch Techniken und durch Wissen wirst du ruhiger und mit einer gesunden Spannung deinen Chor führen können. Die Probleme, die dich vorher emotional berührt haben bleiben bestehen – du lernst aber einen gesunden Umgang mit ihnen.

Coaching kann nur individuell geschehen. Ich habe auf den letzten 2 Seiten auf unterschiedlichste Weise erklärt, dass du deinen Weg finden musst und ich dir dabei helfen werde. Diese Wiederholung eines Grundthemas mit anderen Worten und Beispielen ist eines der Grundprinzipien dieses Buches. Ich möchte dich ansprechen – aber unabhängig von deiner Lebens- und Arbeitssituation.

Kaizen

Kaizen – gesprochen mit stimmhaftem „s“; jap. kai „Veränderung, Wandel“, zen „zum Besseren“; „Veränderung zum Besseren“, bezeichnet sowohl eine japanische Lebensund Arbeitsphilosophie als auch ein methodisches Konzept, in deren Zentrum das Streben nach kontinuierlicher und unendlicher Verbesserung steht.

Die Verbesserung erfolgt in einer schrittweisen, punktuellen Perfektionierung oder Optimierung eines Produktes oder Prozesses.

Im engeren Sinne ist eine stetig-inkrementelle Verbesserung gemeint, in die Führungskräfte, wie Mitarbeiter, einbezogen werden.

Gemäß der Philosophie des Kaizen weist nicht die sprunghafte Verbesserung durch Innovation, sondern die schrittweise erfolgende Perfektionierung des bewährten Produkts den Weg zum Erfolg. Dabei wird davon ausgegangen, dass der wirtschaftliche Erfolg das Ergebnis von Produkten und Dienstleistungen ist, die mit ausgezeichneter Qualität höchste Kundenzufriedenheit erzielen.

Aus dieser Überzeugung leitet sich die stetige Suche nach Verbesserung auf allen Ebenen eines Unternehmens als Kernfunktion eines Kaizen-Programms bzw. kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) ab.

Dazu gehören zum Beispiel:

• Perfektionierung des betrieblichen Vorschlagswesens

• Investition in die Weiterbildung der Mitarbeiter

• Mitarbeiterorientierte Führung

• Prozessorientierung

• Einführung eines Qualitätsmanagements

Insgesamt soll durch Kaizen bzw. durch einen KVP eine höhere Identifikation der Mitarbeiter mit dem Unternehmen erreicht werden, was zu einer stetigen Verbesserung der Wettbewerbsposition beitragen soll. Eine nicht-kontinuierliche, sondern sprunghafte Verbesserung wird auch als Re-Engineering bezeichnet.

[Seite „Kaizen“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 11. Februar 2020, 07: 23 UTC.

URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kaizen&oldid=196713312 (Abgerufen: 25. März 2020, 06: 26 UTC)]

Um Kaizen auf einen Chor zu übertragen, muss man den Chor als Produkt erkennen. Das mag sich technisch anhören, vor allem da der Laienchor an sich auf Emotionen aufgebaut ist. Damit diese aber möglich werden ist es deine Aufgabe als Chorleiter diese Emotionen zuerst zu rationalisieren.

Dieses Buch wird, ohne es weiterhin explizit zu erwähnen die 5 Grundlagen des Kaizen auf die Leitung eines Laienchores übertragen. Sie sind meine Handlungsgrundlagen.

An ihnen orientiere ich mich.

1. Prozessorientierung
Zu häufig leiten wir unseren Chor ausschließlich ergebnisorientiert (Auftritt). Aber nur über die Analyse der Probe, dem Aufarbeiten und ziehen von Konsequenzen wirst du ein gutes Ergebnis nachhaltig erhalten und damit wiederholen können.
Frage nicht: „War dieser Auftritt gut/schlecht?“
Sondern: „Was habe ich dafür getan, dass der Auftritt gut war, und was kann ich davon zum Standard für das Proben anderer Stücke machen?“
Später erst: „Was war nicht gut und was ist mein Anteil daran?“

2. Kundenorientierung
Kaizen bedeutet die Unterteilung in interne und externe Kunden.
Externe Kunden sind in erster Linie die Zuhörer.
Wenn ich ständig Stücke singen lasse, die keiner hören will/
wenn ich schlechte Pressearbeit mache und somit keiner von Auftritten weiß/
wenn ich die Eintrittspreise zu hoch ansetze/
wenn ich meinen Chor ungenügend vorbereite und die Auftritte schlecht sind/ etc., dann darf ich mich nicht beschweren, wenn meine externen Kunden von meiner Existenz nichts wissen oder unzufrieden sind und meine Konzerte nicht besuchen.
Interne Kunden sind deine Chorsänger.
Nur wenn du verstehst, dass du ohne Sänger kein Dirigent bist, kannst du erfolgreich einen Laienchor leiten. Sie müssen nämlich nicht bei dir bleiben.
Du verkaufst ihnen ein Produkt: Dich und den Inhalt, den du bietest.
Zur Qualitätssicherung musst du bei deinen internen Kunden ansetzen.
Wenn deine internen Kunden zufrieden sind (mit dir, deiner Probenarbeit, deiner Programmauswahl, deiner Menschlichkeit aber auch Führungsstärke), dann werden auch die externen Kunden glücklich und zufrieden. Ich habe noch nie erlebt, dass Zuhörer mit einem Chor und seiner Leistung unzufrieden waren, wenn der Chor selbst stolz auf seine Leistung und Qualität war, weil er 100% seiner Möglichkeiten abrufen und präsentieren konnte.

3. Qualitätsorientierung
Nur wenn du dich ständig weiterbildest und jeden Fehler als Chance zum Lernen verstehst, wirst du besser und damit auch dein Chor. In diesem Beruf wirst du ewig lernen und deine Standards ständig anpassen müssen. Deshalb funktioniert die Denkweise des Kaizens in der Chorleitung so gut.
Dein Chor besteht aus einer heterogenen Masse von Menschen, dessen Zusammensetzung und Stimmung einem ständigen Wandel unterworfen ist. Wenn du meinst bei einer Dirigiermethode bleiben zu können, ohne über ihre Optimierung nachdenken zu müssen, bist du nicht qualitätsorientiert.
Die Qualitätsorientierung kann sich nur über eine ständige Anpassung an die Situation und den unbedingten Willen zur Optimierung der Prozesse äußern.

4. Kritikorientierung
Im Kaizen wird Kritik als Chance zur ständigen Verbesserung gesehen.
Kritik ist ein Hinterfragen. Hinterfragt werden die Abläufe die funktionieren, um aus ihnen zumindest kurzzeitig Standards zu machen.
Hinterfragt werden die Abläufe die nicht funktionieren, um sie zu verbessern. Dies kannst du nicht allein.
Deshalb wird im Kaizen Kritik von Mitarbeitern gewünscht und gefördert.
Deine Sänger müssen sich trauen dich und deine Arbeit zu kritisieren. Das kann nerven. Du wirst aber bald lernen alles, was du tust, erklären zu können.
Das wird dir eine tiefe innere Ruhe geben und dich gleichzeitig in einen positiven Spannungszustand versetzen, der Gleichgültigkeit verhindert.
Wenn du alles begründen kannst, wirst du vorher darüber nachgedacht haben und keine emotionalen Entscheidungen treffen. Du wirst deine Arbeit rationalisiert haben.
Wenn du vorher kritisiert wurdest, wurden emotionale Entscheidungen von dir kritisiert. Du wurdest kritisiert. Hast du dann emotional reagiert, trauten sich Sänger nicht mehr dich zu kritisieren. Das bedeutet Stillstand.
Wird dagegen eine rationale Entscheidung von dir kritisiert, wird eine Begründung kritisiert, über die diskutiert werden kann. So wird ein Ablauf verbessert werden.
Du darfst nur selten persönliche Entscheidungen treffen – du musst logische und durchdachte Entscheidungen treffen, die du begründen kannst.
Das beinhaltet auch die Vorbereitung der Probe.
Gewöhne dir diesen Zyklus an:

• Planung (Vorbereitung der Probe/Konzert/Programmauswahl)

• Tätigkeit (Probe/Auftritt)

• Kontrolle (Was war gut – nicht gut)

• Verbesserung

 So analysierst und verbesserst du dich und deinen Chor ständig. Das schaffst du allerdings nur mit Hilfe der Selbstreflexion und der sachlichen Kritik und Auseinandersetzung mit deinen Sängern.
Nur wenn du deine Arbeitsweise begründen kannst, dich nicht primär von Emotionen steuern lässt und deinen Sängern die Werkzeuge – also die Technik und das Wissen – gibst, um gut zu singen und das eigene Singen objektiv analysieren zu können, werdet ihr alle kritikfähig.
Nur so kannst du mit deinen Sängern auf einer Sachebene diskutieren und auch ihre Meinungen, die ja dann auch begründet sein müssen und dürfen, annehmen. „Ich will das so!“ ist keine Begründung.

5. Standardisierung
Wenn du eine Verbesserung für einen Detail oder einen systematischen Ablauf wie z.B. dein „Run for Cover“ (s.a.) gefunden hast, versuche dies zu formulieren. Nichts anderes ist dieses Buch.
Es ist meine Auseinandersetzung mit Kaizen in Verbindung mit der Chorleitung. Im Gegensatz zu Fabriken oder Produktionsprozessen in der Automobilindustrie, wo Kaizen häufig zur Anwendung kommt, ist ein Chor ein lebendiges Produkt, das ständiger Veränderung unterliegt.
Es ist sehr wichtig sich Standards anzueignen, auf die man im Notfall zurückgreifen kann. Gleichzeitig müssen diese Standards kaizengetreu ständiger Anpassung unterliegen.

Kaizen bedeutet, dass alle Menschen im Chor nach ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten in die Abläufe eingebunden werden.

Die meisten Chorleiter müssen lernen zu delegieren.

Delegieren heißt Vertrauen zu haben und Menschenkenntnis zu besitzen.

Nur dieses Delegieren, indem Verantwortung unter denen verteilt wird, die sie übernehmen wollen und können, sorgt für Zufriedenheit und bessere Qualität.

Solange du bewusst Verantwortung abgibst, aber auch Rechenschaft einforderst und diese Haltung auch nach außen aktiv vertrittst wird niemand auf die Idee kommen, du würdest es aus Unvermögen oder Faulheit tun.

Lenke unmusikalische Abläufe im Hintergrund und musikalische kommunizierend diktatorisch.

Schlussbemerkungen

Habe ich ein Thema vergessen?

Habe ich eine Frage nicht beantwortet?

Habe ich ein Problem nicht ausführlich genug behandelt?

Hast du selbst bessere Lösungen oder Erfahrungen die anderen helfen können?

Schreibe mir eine Mail unter kontakt.p.lehmann@gmail.com oder nutze das Forum www.chorleiterstammtisch.org.

Ich möchte gerne mit dir in Kontakt treten.

Beachte hiermit auch den rechtlichen Hinweis, dass ich im Jahr 2027 eine überarbeitete 2. Auflage dieses Buches herausbringen werde. Diese wird durch Zuschriften und im Forum besprochene Probleme, die ich (soweit es mir möglich ist) anonymisiere und verfremde, erweitert, um Kolleginnen und Kollegen noch besser helfen zu können.

Warnung: Jede Kontaktaufnahme mit mir kann dazu führen, dass in der nächsten Auflage ein von uns besprochenes Problem (und seine Lösung) auftaucht.

Bitte versteh das nicht falsch: Ich will niemanden ausbooten oder vorführen. Ich kann mir aber jetzt schon nur mit klaren Hinweisen in meinen Notizen merken, welche Situationen ich selbst erlebt habe und welche mir von anderer Seite zugetragen wurden. Mit einem gewissen zeitlichen Abstand verschwimmen die Details, vor allem wenn sie mich emotional berühren.

Kontaktiere mich also mit Fragen und/oder Anregungen nur, wenn du damit grundsätzlich einverstanden bist.

Dieses Buch herauszubringen ist für mich ein Minusgeschäft (fiskal – nicht nur in Bezug auf unbezahlte Arbeitszeit). Ich tue dies nur, um dir und anderen zu helfen.

Ich wünsche dir viel Erfolg und hoffe, ich kann dir helfen deine Arbeit noch besser und befriedigender für alle zu gestalten.

Philip Lehmann