Ebook Edition
Zieht euch warm an, es wird heiß!
Den Klimawandel verstehen und aus der Krise für die Welt von morgen lernen
Unter Mitarbeit von Andreas Schlumberger
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ISBN 9783864897733
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2020
Mit Beiträgen von Andreas Schlumberger, Kira & Hermann Vinke sowie Eckart von Hirschhausen
Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin
Umschlagfotos: © Sebastian Knoth
Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich
Ein Erdbeben, ein Vulkanausbruch oder ein Asteroideneinschlag passiert schlagartig. Der Mensch hat keine Möglichkeit einzugreifen. Es handelt sich dabei schlicht um ein tragisches Schicksal, das uns allenfalls verdeutlicht, wie klein wir trotz all unserer technischen Entwicklungen und all unseres Erfindungsgeistes gegenüber der Natur weiterhin sind. Wir können in einem solchen Fall nichts anderes tun, als zu versuchen, die Überlebenden zu versorgen und den Schaden zu beseitigen.
Setzt man die Ausbreitung des Coronavirus mit einem Asteroideneinschlag gleich, so hätten wir es quasi mit einem Asteroideneinschlag in Zeitlupe zu tun. Wir sind plötzlich nicht mehr völlig machtlos, sondern haben Zeit, um mit beschränkten Mitteln einzugreifen, die Ausbreitung zu steuern und abzubremsen – »flatten the curve« ist dafür der englische Ausdruck, der nun auch Eingang in unseren Wortschatz gefunden hat. Je intelligenter wir mit dieser Zeit umgehen, desto besser das Ergebnis oder konkret, desto mehr Leben können wir retten.
Und jetzt der Sprung zum Klimawandel. Er ist in dieser Analogie ein Asteroideneinschlag in Superzeitlupe. Für unser Gefühl derart schleichend langsam, dass wir eigentlich alle Zeit der Welt hätten, um Einfluss auf ihn zu nehmen. Der Satz von eben kann also wiederholt werden: Je intelligenter wir mit dieser Zeit umgehen, desto besser das Ergebnis. Das Bedauerliche ist, dass der große Zeitvorteil leider zum Nachteil für uns wird, denn unsere Spezies ist nicht besonders begabt im Umgang mit sehr langen Zeiträumen. Haben wir viel Zeit, dann schieben wir einfach alles vor uns her. Dafür ist die Evolution verantwortlich, die dem Hier und Jetzt aus damals vernünftigen Erwägungen heraus stets den Vorrang vor der Zukunft gab. Nähert sich der Säbelzahntiger, ist es nämlich besser, eiligst davonzulaufen, als zum Beispiel unbeirrt mit dem Bau einer Behausung fortzufahren, die einen in den kommenden Jahren besser vor Regen und Wind schützen wird. Je weiter ein Ereignis in der Zukunft liegt und je weniger es damit für uns unmittelbar zu spüren ist, desto schlechter können wir ein solches Problem erkennen.
Sowohl bei Corona als auch beim Klimawandel handelt es sich um weltweite Ereignisse, die an keiner Grenze Halt machen. Aber Corona findet praktisch genau auf unserer Zeitskala statt. Die Bedrohung ist unmittelbar und konkret. Es geht um Wochen und Monate. Wir sehen die Bilder, wir wissen, dass wir selbst, unsere engsten Verwandten oder besten Freunde von heute auf morgen betroffen sein können, und hoffen ebenso, dass wir diese Krise in einer überschaubaren Zeit bewältigen können.
Beim Klima stimmt die Zeitskala für unser Empfinden nicht. Die Bedrohung ist deshalb abstrakt und diffus. Hier geht es um Jahre oder Jahrzehnte und darum funktioniert der Begriff »Krise« auch nicht mehr, dem sprachlich ein eher kürzerer Zeitraum zugeordnet wird. Wir haben es beim Klima mit einem fundamentalen Wandel zu tun, dem wir nur durch eine Transformation in vielen Bereichen unserer Gesellschaft erfolgreich begegnen können. So langsam der Klimawandel beginnt, so lange wird er dauern – wohl weit über das Lebensende von uns oder unseren Kindern hinaus. Nicht umsonst laufen Modellrechnungen und Klimaprojektionen oft bis zum Jahr 2100 oder länger. Dass sich die Klimaveränderung trotzdem – schleichend natürlich – in unserem Bewusstsein festsetzt, hat mit dem Wetter zu tun: Das wird extremer und genau das fühlen wir! Wenn man so will, fühlt sich der Klimawandel ein bisschen an wie das Blätterrauschen, das die ersten Windböen vor einem kräftigen Gewitter erzeugen. Die Wolken sind düster, die Stimmung ist sorgenvoll und man hofft, dass das Schlimmste vorbeizieht. Wir fangen gerade erst an, den Luftzug des »Klima-Asteoriden« wirklich zu spüren.
Lassen Sie uns trotz aller offensichtlichen Unterschiede versuchen, Corona einmal als »Klimawandel in kleinem Maßstab« zu lesen. Dann ist zweifellos die erste Erkenntnis, dass wir bei Corona überwiegend auf die Wissenschaft hören. Virologen ordnen das Thema ein und viele Medien nehmen sich die Zeit, deren Erkenntnisse differenziert zu vermitteln. Dabei wird akzeptiert, dass Forschung ein Entwicklungsprozess ist, bei dem Aussagen hier und dort korrigiert werden müssen und dass verschiedene Expertenmeinungen sich trotz großer Gemeinsamkeit in Nuancen unterscheiden können. In der Hoffnung, dass es bei diesem Verständnis für die Wissenschaft bleibt, lässt sich sagen: »Viel vernünftiger geht es nicht!« Deshalb zweifelt auch kaum jemand an der Sinnhaftigkeit von Maßnahmen, um dem Virus vorbeugend zu begegnen. Eine Anweisung, man solle überhaupt nichts unternehmen, ehe man nicht hundertprozentig weiß, woher dieses Virus kommt und warum es Menschenleben fordert, wäre im Licht der jüngsten Ereignisse geradezu absurd. Beim Klimawandel ist diese Akzeptanz, wie in diesem Buch ausführlich erläutert und begründet wird, keinesfalls dieselbe.
Schaut man sich die Datenlage an, so ist es ganz einfach: Länder, die den Ausbruch frühzeitig bemerkt haben und entsprechend der wissenschaftlichen Erkenntnisse schnell reagieren konnten, sind die erfolgreichen. Hier wurde das Gesundheitssystem nicht überlastet und es waren die wenigsten Toten zu beklagen – sicherlich das wichtigste Ziel bei der Bekämpfung dieser Pandemie. In Ländern, in denen die Wissenschaft ignoriert wurde und Staatschefs deshalb zu spät handelten oder die Gefahr mit völlig absurden Beiträgen verharmlosten, starben Menschen, die unter vernünftigerer Führung hätten überleben können. Wäre genau das nicht so unglaublich tragisch und abstoßend, dann wäre es fast heiter, sich anzusehen, wie diese Populisten tölpelgleich durch die Welt irrlichtern. Auch wenn es in diesem Buch nochmals wiederholt werden wird, möchte ich meinem Wunsch bereits hier Ausdruck verleihen, solche Gestalten schlicht nicht zu wählen. Sie lösen keine Probleme, sie schaffen nur welche.
Insgesamt sei aber festgestellt, wie wohltuend es ist, dass von den typischen Vereinfachern, Schuldzuweisern und Kurzdenkern in diesem Land während der Krise wenig zu hören ist. Peter Dabrock, der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, sagte in einem Interview am 7. April 2020 deshalb auch den klugen Satz, dass die Coronakrise die Stunde demokratisch legitimierter Politik sei. Es ist zu hoffen, dass im Verlauf der Krise weiterhin demokratisch und sachbezogen agiert wird. Das würde den großen und von mancher Seite längst vergessenen Wert dieser freiheitlichen Staatsform unterstreichen.
Darüber hinaus bietet sich – beide Krisen gemeinsam betrachtet – die Möglichkeit, die Generationen stärker zusammenzuführen und mehr gegenseitige Solidarität zu üben. Bei Corona müssen die jungen Menschen zum Schutz der Alten beitragen und beim Klimawandel sind die Älteren in der Pflicht, ihr Verhalten im Sinne der Jüngeren zu ändern. Hans Joachim Schellnhuber, der lange Jahre das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) geleitet hat, spricht hier von der konkreten Idee eines »Klima-Corona«-Vertrages zwischen den Generationen.
Derzeit gibt Corona alle zögerlichen Klimapäckchen, welche die Regierungen in unserem und in anderen Ländern dieser Welt geschnürt haben, der Lächerlichkeit preis. Das kleine Virus leistet hier ungleich mehr, macht aber auch den Unterschied von Freiwilligkeit und Unfreiwilligkeit deutlich sichtbar. Auch wenn es noch sehr viele Unsicherheiten gibt, wie lange diese Krise dauert und welche konkreten Auswirkungen sie auf die Wirtschaft haben wird, so gibt es doch einige Studien, die bereits jetzt zu berechnen versuchen, um welchen Anteil die CO2-Emissionen weltweit aufgrund der Coronakrise zurückgehen werden. Da wir zwar weniger reisen, aber weiterhin viel transportieren, produzieren, heizen und kühlen, sind derzeit häufig Angaben von rund 5 oder 6 Prozent für 2020 zu finden. Trotz aller Unsicherheiten gibt uns das ein Gefühl für die Größenordnung, mit der wir es ungefähr zu tun haben. Und die liegt in der Gegend dessen, was notwendig ist, um bis zum Jahr 2100 das auf der UN-Klimakonferenz in Paris im Jahr 2015 beschlossene Ziel einer maximalen Erwärmung von 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu erreichen. Hierfür wäre nämlich eine Reduktion von 7,6 Prozent – und zwar jährlich und das bis zur Mitte des Jahrhunderts – erforderlich.
Betrachtet man unseren Shutdown, so erleben wir derzeit »ganz schön viel Nichts«, und trotzdem spart dieses magere Dasein nur ein paar Prozent unserer Emissionen ein. Liefe unsere Wirtschaft nach Corona nun ohne irgendwelche Konsequenzen wieder im altem Modus, also gleichsam mit dem Hyperkonsum für eine Minderheit der Erdbevölkerung, an, so würden die bisherigen Emissionsreduktionen wie in früheren Krisen, beispielsweise der Finanzkrise 2008, wohl schnell überkompensiert. Dies auch deshalb, weil das für den Klimaschutz benötigte Geld jetzt natürlich in den – vielfach notwendigen – Rettungspaketen steckt.
Den meisten von uns ist völlig klar, dass die bedingungslose Expansion, die der Philosoph und Publizist Richard David Precht einmal als »Droge der Wertfreien« bezeichnet hat, schlicht keine Zukunftsoption ist. Erst recht keine Option ist es aber, Klimaschutz in der Weise des aktuellen Lebens mit Corona, sprich durch einen dauerhaften Shutdown, betreiben zu wollen – das käme dem absurden Wunsch nach »zurück in die Höhle« gleich. Deshalb wird an dieser Stelle fast von allein klar, dass wir jetzt und nicht in aufgeschobener Zukunft den »Green Deal« brauchen.
Corona donnert als eine regelrechte Schockwelle über unseren Planeten und die Frage ist nun, ob diese den Fortgang unserer modernen Zeit erheblich hemmen oder kräftig beschleunigen wird. Die Wahl steht uns offen: Wenn wir einsehen, dass wir durch die zu große Einmischung in weltweite Ökosysteme die Sicherheit unserer Gemeinschaftsgüter und damit viele Bereiche von unserer Gesundheit bis hin zu einem in für uns notwendigem Rahmen stabilen Klima gefährden, dann wächst auch die Bereitschaft, wirtschafts- und sozialpolitische Fehler unseres Systems ernsthaft zu korrigieren.
Am Ende schließt sich der Kreis, denn »flatten the curve« gilt für Corona und den Klimawandel gleichermaßen. Wir müssen mit aller Kraft versuchen, eine Überbelastung des Systems zu vermeiden. Bei Corona geht es darum, die Gesundheitssysteme nicht über ihre Kapazitätsgrenze hinaus zu belasten und dadurch Menschenleben zu retten. Beim Klimawandel geht es darum, die Anpassungsfähigkeit der Fauna, Flora und auch des Menschen nicht überzustrapazieren. Das rettet ebenfalls Menschenleben und verhindert obendrein das Aussterben vieler Arten. Einen großen Unterschied gibt es derzeit aber schon: Nach einem Impfstoff gegen Corona suchen wir noch fieberhaft, einen gegen den Klimawandel haben wir schon: die erneuerbaren Energien!
Springen wir nun zurück in eine Zeit vor Corona, die vielen von uns – gerade durch den trockenen April 2020 – noch sehr präsent ist: der Sommer 2018. Hitze und Dürre über Wochen, Noternten und in Teilen Deutschlands nur 30 Liter Regenwasser pro Quadratmeter – aufsummiert in Juni, Juli und August. Waldbrände in Schweden und tagelang über 30 Grad am Polarkreis. Das Gegenteil übrigens vom Sommer 2017, wo im Norden Deutschlands wochenlange Regenfälle für massive Überschwemmungen sorgten.
Sommer 2019. Der 25. Juli ist der bisher heißeste Tag in Deutschland seit Beginn der Messungen: Mehr als 60 Wetterstationen melden Temperaturen über 40 Grad im Schatten. Waldbrände in Alaska, Sibirien und Brasilien in ungeheurem Ausmaß, in Brasilien vor allem durch Brandrodung.
November 2019. Südlich der Alpen verursacht ein unbeirrt bei Korsika stehendes Tief Regenmassen ungeahnten Ausmaßes. Vom schweizerischen Graubünden über Südtirol bis in die Steiermark und im Apennin fallen teilweise 600 Liter Wasser auf jeden Quadratmeter in nur einer Woche. Mengen, die hierzulande vielerorts in einem Jahr fallen. Die Folge: zahlreiche Murenabgänge, die Gebäude oder Straßen zerstören, Leib und Leben der Bevölkerung bedrohen und unglaubliche Kosten verursachen. Venedig wird in dieser Zeit mehrmals schwer überflutet und schon im Dezember steht die Stadt erneut zu einem Großteil unter Wasser. Dazu großflächig Stürme in Frankreich, Spanien und Portugal mit ausgedehnten Überschwemmungen und Sachschäden, die mit öffentlichen Geldern beseitigt werden müssen.
Am 17. Dezember werden in Rosenheim 19 Grad gemessen, in Piding im Berchtesgadener Land sind es fast 20. Dann der Blick gen Süden: In Australien beginnt gerade der Frühsommer und ein neuer Hitzerekord jagt bereits den nächsten. Häufig hat es mehr als 45 Grad im Schatten, in Nullarbor und Eucla am 19. Dezember sogar jeweils 49,9 Grad – nicht auszuhalten! Das Ergebnis: Waldbrände in einem Ausmaß, das Australien noch nie gesehen hat. Das völlig ausgetrocknete Land brennt wie Zunder, Feuerstürme entstehen, brennende Äste wirbeln durch die Luft und entzünden neue Waldregionen. Die Brände wachsen zu riesigen Feuerfronten zusammen, denen die bis zur Erschöpfung kämpfenden Feuerwehrleute keinen Widerstand entgegenbringen können. Eine Apokalypse, die Menschenleben und 1,25 Milliarden – noch einmal: über eine Milliarde – Tiere das Leben kostet. Bis Mitte Januar sind mehr als 100 000 Quadratkilometer Wald verbrannt – eine Fläche größer als die der Schweiz und der Niederlande zusammen oder ein knappes Drittel Deutschlands. Eine solche Situation lässt sich mit Worten nicht mehr beschreiben, insbesondere wenn man bedenkt, dass Australien gleichzeitig neben den USA und Brasilien zu den Ländern gehört, deren Regierungen bei der 25. Weltklimakonferenz in Madrid verhinderten, dass ein entschlossenes Abschlusskommuniqué zustande kommt.
Die Regierung will mit Kohle eben Kohle machen. Das sichert Einnahmen und damit Wohlstand und Arbeitsplätze. In den Städten, wo bisher keine Brände vorkommen, mag man der Argumentation folgen. Anders auf dem Land, das verbrennt und verdorrt. Für Politik und Stadtmenschen stehen weder das Leid der Farmer noch deren Auskommen und Besitz im Mittelpunkt. Jeder denkt eben aus seiner Warte …
Man merkt schnell: Nicht der globale Temperaturanstieg um ein Grad in 100 Jahren, sondern extreme, oft tragische Wetterereignisse sind es, die uns nachdenklich auf das blicken lassen, was um uns herum geschieht. Wenn man so will, »weckt« uns die Atmosphäre gerade auf. Und wenn wir weiterschlafen wollen, dann wird sie immer neue Einfälle haben, uns aus unserem Schlummer wachzurütteln. In dieser Phase fragen wir uns, ob wir noch auf einem vernünftigen Kurs segeln oder ob wir längst auf ziemlich gefährliche Klippen zusteuern. Ängste auf der einen und innere Abwehrmechanismen zum Selbstschutz auf der anderen Seite ringen in uns allen miteinander und so gelangen wir in der ganzen Dynamik der täglichen und intensiven Berichterstattung schnell in einen Strudel aus »Für und Wider«, in dem wir gehörig herumgewirbelt werden, bis uns ziemlich schwindlig ist. Dieses Buch will deshalb »entschwindeln« – ein in jeder Hinsicht schönes Wort, auch wenn es nicht im Duden steht.
Suchen wir also nach Klarheit und beginnen mit unserem Einstiegsbeispiel, den Wetterextremen: Alles »nur« Wetter? Oder doch Klimawandel? Die Antwort ist klar: Wir spüren hier den Klimawandel! Warum? Weil wir bei vielen – nicht allen – Parametern, aber etwa bei Temperatur oder Niederschlag, statistisch signifikante Veränderungen erleben. Extreme Ereignisse wie Hitze, Dürre, Starkregen oder Hagel häufen und verstärken sich und verlassen damit den bisherigen typischen Schwankungsbereich ihres Auftretens. Altbekannte Abläufe scheinen verschwunden, und ein neues, extremeres Wettergeschehen spielt sich – auch direkt vor unserer Haustür – ab. Wir können einen messbaren Trend über einen langen Zeitraum beobachten, das heißt, es ändert sich die Statistik des Wetters und damit eben das Klima. Klimawandel bedeutet also nicht mehr, dass irgendwann irgendwo irgendwem auf dieser Welt irgendetwas meist Unerfreuliches passiert, sondern er ist eine Tatsache, mit der wir hier und jetzt konfrontiert sind. Die Häufung extremer Ereignisse ist dabei kein Widerspruch dazu, dass es natürlich auch früher mitunter schon extremes Wetter gab. Das ist logisch, bekannt und nicht verblüffend. Die Veränderung liegt genau in dieser Häufung und im Auftreten neuer Extrema, die es bisher noch nicht gab.
Die Klimaforschung hat uns die oben beschriebenen Szenarien schon 1990 für das Jahr 2020 vorausgesagt und bereits im Februar 1979 konnte man in der Tagesschau einen Beitrag sehen, in dem die Erwärmung der Atmosphäre, die wir jetzt erleben, auf die menschengemachten Treibhausgasemissionen zurückgeführt und die Folgen sehr treffend eingeschätzt wurden. Dafür darf man den Klimaforschern ein gutes Zeugnis ausstellen. Wir haben wohl vieles gut verstanden und mithilfe der Computermodelle schon früh wichtige Zusammenhänge vernünftig berechnet. Wäre das alles nicht der Fall gewesen, erschiene eine so gute Vorhersage für die heutige Zeit schon extrem verblüffend. »Verstehe nichts, rechne sinnlos und freue dich über das korrekte Ergebnis« ist noch unwahrscheinlicher als ein Sechser im Lotto. Ich kenne überhaupt kein Beispiel, wo das in der Naturwissenschaft geklappt hätte – kein Flugzeug würde fliegen, kein Auto fahren und kein Computer funktionieren. Auch Selbstversuche dieser Art bei Mathearbeiten in der Schule erzielten nachvollziehbarerweise wenig erfreuliche Resultate.
Kurzgefasst: Unser Wetter wird weltweit extremer und dafür verantwortlich ist der Klimawandel. Die Klimaforschung hat viel verstanden, sonst wären die Vorhersagen für heute nicht richtig. Auf dieser Grundlage werden die eingesetzten Computermodelle stets weiterentwickelt.
Wir müssen also reden. Über noch viel mehr als Extremwetter. Und zwar ganz offen. Ohne Tabus und mit sortierten Gedanken. Dafür braucht es ein umfassendes Bild des großen Ganzen. Also lautet die erste Aufgabe bei diesem komplexen Thema, das uns alle etwas angeht: Wir müssen die sprichwörtliche Ansammlung vieler Bäume zunächst einmal als Wald wahrnehmen, sonst versumpfen wir im Dickicht der Nebensächlichkeiten. Beim Thema Klimawandel heißt das, dass wir zwei große Bereiche unterscheiden müssen: einerseits den akademischen und andererseits den gesellschaftspolitischen.
Diese besteht darin, die Frage zu beantworten, was sich warum in unserer Atmosphäre und – erweitert – in unserem ganzen Erdsystem tut. Dazu werden alle relevanten Größen gemessen und unter Anwendung komplexer mathematischer Verfahren wird versucht, daraus eine Prognose der weiteren Entwicklung abzuleiten. Den unverrückbaren Rahmen dafür setzt die Physik des Systems, daher müssen wir sie als Erstes verstehen. Begreift und akzeptiert man die zugrunde liegenden Abläufe nicht, hat man schlicht Pech. Denn dieser Planet und seine Atmosphäre interessieren sich nicht im Mindesten für uns. Jacques Monod hatte es in Zufall und Notwendigkeit so formuliert: Der Mensch muss sich zurechtfinden in einem Universum, »das für seine Musik taub ist und gleichgültig gegen seine Hoffnungen, Leiden oder Verbrechen«.
Passen wir uns den Bedingungen dieses Planeten nicht an, so ist das unser Problem – und fertig! Deshalb sind Meinungen und Emotionen hier völlig uninteressant. Auch wenn mir persönlich der Aufkleber »Schwerkraft, nein danke!«, den ein paar heitere Physiker im Zuge der Diskussion über Atomkraft erfunden hatten, viel Freude bereitete: Es half nichts, die Schwerkraft blieb und wird unabhängig von unserem ironischen Protest auch immer bleiben. Es gibt eben Dinge, die wir hinnehmen müssen, unabhängig davon, ob es uns gefällt. Und so laufen auch in unserer Atmosphäre schlicht physikalische Prozesse ab, nicht mehr und nicht weniger.
Und die Dynamik dieser Prozesse verändert sich, wenn etwa der Mensch durch sein Zutun in die Zusammensetzung der Atmosphäre eingreift. Wenn er Chlor in die Luft pustet, das dort ursprünglich nicht vorhanden war, dann verändert sich in der Folge etwas – chemische Reaktionen ließen das Ozonloch entstehen. Wenn immer mehr Kohlendioxid (häufig mit CO2 abgekürzt) in die Atmosphäre gelangt, so wird diese wärmer und in der Folge verändern sich die Wetterabläufe, unter deren Bedingungen wir uns vor Hunderten oder Tausenden Jahren angesiedelt haben und an die wir bis heute gewöhnt sind. Das kann man etwa an Kapstadt beobachten. Der Metropole geht durch den ausbleibenden Regen als einer Folge des Klimawandels das Wasser aus und das bedeutet aus heutiger Klimasicht schlicht und einfach, dass die Stadt an der falschen Stelle steht. So leicht es sich schreibt, so tragisch ist dieser Umstand für die Menschen dort – aber natürlich nur für den ärmeren Teil der Bevölkerung, denn die reichen Bürger bohren sich tiefe Privatbrunnen und sind deshalb noch gut mit Wasser versorgt. Das Wort »noch« spielt allerdings eine große Rolle, denn der Grundwasserspiegel sinkt schnell. Und dieses Problem ist nicht etwa den entlegenen Regionen dieser Welt zu eigen, denn auch in Deutschland bekommen wir gerade ein veritables Problem mit der Grundwasserneubildung.
Die Klimaforschung – es seien noch mal die zutreffenden Prognosen erwähnt – ist sich heute sicher, dass der Mensch erhebliche Auswirkungen auf das Klimageschehen hat und stellt klar fest, dass die derzeitigen rasanten globalen Veränderungen unseres Klimas, die wir unbestritten beobachten können, mit rein natürlichen Prozessen nicht erklärbar sind. Hierin stimmen 99 Prozent der Wissenschaftler überein – eine Einigkeit, die sich über mehrere Jahrzehnte intensiver Forschungsarbeit mit zigtausenden Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften herausgebildet hat. So sicher, wie heute vernunftbegabte Menschen sagen, dass zwei plus zwei vier ergibt und dass die Erde eine Kugel ist, können wir auch sagen, dass der Mensch das Klima maßgeblich beeinflusst. Der letzte Satz schließt natürlich nicht aus, dass es Menschen gibt, die in Gänze an der Mathematik zweifeln, und lässt auch zu, dass heute in etwa 3 500 Menschen der »Flat Earth Society« anhängen und von der Scheibenerde überzeugt sind. An dieser Stelle müssen Sie vielleicht lachen, weil es so ein offensichtlicher Unsinn ist. Lachen befreit und glücklicherweise denken die wenigsten Menschen so. Würden wir alle in weltfremdem Irrsinn durch die Welt geistern, wären wir schon vor langer Zeit ausgestorben. Die natürliche Selektion ist ein mächtiges Korrektiv, wenn man die Realität falsch einschätzt.
Aber lacht man auch sofort über jemanden, der anzweifelt, dass der Mensch maßgeblich für den Klimawandel verantwortlich ist? Weit gefehlt! Das Thema Klimawandel wird in der Öffentlichkeit und – wie man an manchen Staatschefs sehen kann – auch in der Politik durchaus kontrovers diskutiert. Warum aber folgen wir bei diesem Thema oftmals nicht den eindeutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen? Was berechtigt uns, die Klimaforschung trotz ihrer sichtbaren Qualität offen und häufig ohne eigene physikalische Kenntnis anzuzweifeln?
Das hat mit kognitiver Dissonanz zu tun. Kognitionen sind die Erkenntnisse eines Individuums über die Realität, nachdem es die Eindrücke verarbeitet hat, die es aus unserer Wahrnehmungsrealität erhält. Da es davon aber viele gibt, können sie auch zueinander in Widerspruch stehen, und dann entsteht in uns eine Dissonanz, ein Spannungszustand. Diesen empfinden wir als nicht gerade schön, aber wir halten ihn aus, weil wir die widersprüchlichen Kognitionen am Ende unterschiedlich gewichten, um eine Handlung oder eine Haltung vor uns selbst und anderen begründen zu können. Diese Abwägung kann je nach Kontext oder den Menschen, die uns gerade umgeben, von Moment zu Moment unterschiedlich ausfallen. Ein bekanntes Beispiel für kognitive Dissonanz ist der kettenrauchende Lungenfacharzt. Den dürfte es eigentlich nicht geben, denn er hat eine positive Einstellung zum Rauchen, obwohl er sehr genau um dessen Schädlichkeit weiß. Um die Dissonanz kleinzuhalten, wird er vielleicht selektiv auf Helmut Schmidt hinweisen, der trotz intensiven Rauchens sehr alt wurde. Möglicherweise wird er auch einige Studien als nicht so glaubwürdig abtun oder sie gleich komplett ignorieren, nur um am Ende mit nicht allzu schlechtem Gewissen zu rauchen – und seinen Patienten gleichzeitig intensiv davon abzuraten.
Übertragen wir dieses Konzept auf die Klimaforschung. Wenn man ihren Ergebnissen zustimmt, stimmt man automatisch auch der Aussage zu, dass das ungebremste Wirtschaftswachstum mit der Folge der bisher ungezügelten Ausbeutung der Natur in gefährliche Zustände führt. Sir Nicholas Stern, britischer Ökonom und von 2000 bis 2003 Chefökonom der Weltbank, hat das 2007 klar formuliert: »Der Klimawandel ist das Ergebnis des größten Marktversagens, das die Welt je gesehen hat.« Genau dieses Wirtschaftswachstum hat uns, zusammen mit technologischem Fortschritt, aber auch erlaubt, seit Ende des Krieges einen beachtlichen Wohlstand zu erlangen. Dass wir heute so leben, wie wir leben, gefällt den meisten Menschen. Und jetzt: Schauen Sie auf beide Aussagen gleichzeitig. Spüren Sie es? Das ist die kognitive Dissonanz. Ich kann nicht das, was ich gut finde, gleichermaßen auch schlecht finden. Um einer Konsonanz, sprich einem inneren Gleichgewicht möglichst nahezukommen, kann ich nun entweder die Erkenntnisse der Klimaforschung als besonders bedeutend einstufen oder sie eben anzweifeln. In beiden Fällen gewinnt eine der widerstreitenden Kognitionen die Oberhand und der innere Spannungszustand wird schwächer.
Bewertet man die Erkenntnisse der Klimaforschung als korrekt, führt das automatisch dazu, dass man seine Haltung zu Klimawandel und Umwelt und damit letztendlich auch sein Verhalten ändern muss. Weist man sie hingegen zurück – was umso einfacher ist, je weniger Ahnung man von den physikalischen Prozessen in der Atmosphäre hat – muss man beides nicht tun. Kurz: Je nach Gewichtung kommt unter dem Strich entweder eine konsequente und damit mühsame Verhaltensänderung heraus oder die Gelegenheit, alte Gewohnheiten unbeirrt fortzuführen. Letzteres – wir sind nun mal Gewohnheitstiere – fällt erkennbar leichter. Um die erste, anstrengendere Variante zu wählen, muss man also entweder wirklich inhaltlich überzeugt sein oder eine konkrete Bedrohung spüren.
Der kognitive Wettbewerb zwischen Wissen und Wunsch legt das Fundament dafür, dass die wissenschaftliche und die öffentliche Diskussion völlig unterschiedlich verlaufen. Weil der Wunsch des »schönen Lebens« aber in der Kraft der Argumentation gegen den bedrohlichen Klimawandel – auch wenn es zweifellos sehr ehrlich wäre, diesen Wunsch auszudrücken – ganz schön schwach dasteht, versucht man der öffentlichen Diskussion einen »fachlichen Anstrich« und damit eine Gleichberechtigung zur akademischen Diskussion zu geben. Genau das ist die Stelle, an der die außerhalb der Wissenschaft typischerweise vorgetragenen »Kritikerargumente« ihren Weg in die »große weite Welt« finden und hier seit Jahren für Verunsicherung und teilweise Diskreditierung der Klimawissenschaft sorgen. Deshalb werden Beiträge dieser Art zur »Erweiterung unseres Horizonts« später im Buch aufgegriffen und jeweils hinsichtlich ihres physikalischen Inhaltes geprüft. Nehmen Sie zum Beispiel diesen Klassiker: »Es gibt nur 0,04 Prozent CO2 in der Atmosphäre – wie soll das denn so einen Klimawandel verursachen?« Das klingt gut und verunsichert viele auf vermeintlicher Sachebene, weil 0,04 Prozent nach wenig klingt. Der einfache Denkfehler: »Wenig macht wenig!« Das Gegenteil vom berühmten Spruch »Viel hilft viel«. Und beides stimmt eben nicht. Doch dazu später mehr im Kapitel »Kritischen Äußerungen begegnen und daraus lernen«. An dieser Stelle sei dazu nur Kurt Tucholskys sehr kluger Satz zitiert: »Plausibilität ist der größte Feind der Wahrheit.«
Dieser gefühlt fachliche Ansatz der Argumentation ist aus zwei Gründen sehr erfolgreich: Erstens, weil sich viele von uns eine Absolution für ihr nicht klimafreundliches Verhalten wünschen und hinter solchen Behauptungen Schutz suchen können, und zweitens, weil wir – Pisa lässt grüßen – zunehmend an kollektiver physikalischer Ignoranz leiden. »Physik« und »Phantasie« fangen zwar beide mit »Ph« an, enden aber doch völlig anders. Das scheint so manchem zu entgehen und darum klingt völliger Unsinn in vielen Ohren leider absolut vernünftig. Aber anstatt diesen Umstand zu betrauern, orientieren wir uns lieber an so einigen prominenten Vorbildern, die in diversen TV-Sendungen fröhlich lachend damit kokettieren, wie ahnungslos sie in allen naturwissenschaftlichen Belangen sind. Gernot Hassknecht aus der »heute-show«, als dessen großer Fan ich mich hier oute, würde mutmaßlich brüllen »Peinlich ist was anderes als lustig. Wenn ihr schon nichts wisst, haltet wenigstens die Klappe und lasst eure Kinder nicht glauben, Doofheit verdient einen Ritterschlag!« Und danach schaut er immer so freundlich …
Kurzgefasst: Die Wissenschaftler stimmen fast ausnahmslos darin überein, dass der Mensch maßgeblich für den heutigen Klimawandel verantwortlich ist. Weil uns diese Erkenntnis aber nicht passt, da sie Handeln verlangt, sind wir empfänglich für Aussagen, die uns von der Verantwortung gegenüber der Umwelt und unseren Mitmenschen befreien. Dabei hilft uns eine Fähigkeit unseres Gehirns, die wir regelmäßig zum Bestehen unseres Alltags benötigen: Der Umgang mit kognitiver Dissonanz.
So weit der akademische Teil, den inhaltlich zu erklären eines der Hauptziele dieses Buches ist. Um zunächst aber eine Übersicht über das große Ganze zu bekommen, gehen wir nun zum gesellschaftspolitischen Teil über. Hier ist nämlich die Frage zu beantworten, welche Schlüsse wir aus den erworbenen Erkenntnissen ziehen und wie wir diese zu Handlungsanweisungen verwerten. Dabei wird freilich vorausgesetzt, dass man die wissenschaftlichen Erkenntnisse auch akzeptiert. Die Option, sich wegzuducken, das Thema unter fadenscheinigen Argumenten zu ignorieren und dummdreist, aber fröhlich weiterzumachen, bis wirklich alle fossilen Energieträger verbraucht sind, ist raus, weil sie nicht unserem Intellekt entspricht, auf den wir Menschen zu Recht gerne stolz sind. Für ein sinnvolles Handeln sind wieder zwei Pfade zu betrachten. Zum einen, wie wir weitere Treibhausgasemissionen vermeiden, und zum anderen, wie wir uns an den schon existierenden Klimawandel anpassen können – etwa durch bessere Warnsysteme gegen Unwetter, besseren Hochwasserschutz, aber auch bessere Wasserspeichersysteme, um großen Dürren zu begegnen, oder mehr Grün- und Wasserflächen in den Städten, um dort im Hochsommer für erträglichere Temperaturen zu sorgen.
Die Gewichtung zwischen Vermeidung und Anpassung liegt irgendwo zwischen der Einsicht, dass wir eine weitere Erwärmung nicht vollständig verhindern können, und der Ahnung, dass wir ausschließlich auf Anpassung zu setzen nicht bezahlen können. Folgt man einer Vielzahl von Studien zu den Kosten von Klimaschutz und Klimaanpassung, führt jeder heute nicht sinnvoll in den Klimaschutz gesteckte Euro später zu Ausgaben zwischen 2 und 11 Euro. Selbst beim konservativen Wert von 2 Euro geht es also um eine Verdopplung des Kapitaleinsatzes. Ganz ehrlich: Ich kenne wenige Anlagemöglichkeiten mit solch einer quasi gesicherten Rendite.
Momentan sind wir beim Umgang mit unserer Umwelt schlicht Opfer unserer eigenen Taten. Übersetzt sind wir also gerade fleißig dabei, an dem Ast zu sägen, auf dem wir sitzen. Das ist unklug – deswegen das zugehörige Sprichwort. Aber was tun, wenn man erst einmal klar erkannt hat, dass es dumm wäre, nichts zu tun, und das von einer eindeutigen Mehrheit der Menschen auf diesem Erdball auch nicht als sinnvolle Reaktion auf das Problem gesehen wird? Leider gibt es hierfür keine Bedienungsanleitung mit der Überschrift »Der Umgang mit dem Klimawandel und die Arbeitsschritte für die daraus folgende weltweite Transformation einer Gesellschaft von 7,7 Milliarden Menschen, in der ein kleiner Teil hoch technisiert ist und ein größerer unter ärmlichen Verhältnissen lebt«. Unsere Situation gleicht eher einem Sprung in ein Bällebad, wobei jeder kleine Ball eine Handlungsoption mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen darstellt – von der weltpolitischen Bühne, wo es sinnvoll ist, eine globale Energiewende voranzutreiben, bis hinunter zum kleinsten Alltäglichen, wo es sinnvoll ist, das Licht in Räumen auszuschalten, in denen wir uns gerade nicht befinden.
Die Erkenntnis und die zugehörige Plattitüde: Alles hängt mit allem zusammen. Die Folgen dieser banalen Einsicht sind aber dramatisch. Dreht man an einer Stellschraube, verändert man leider viele andere unabsichtlich mit und weiß am Ende oft gar nicht mehr so genau, was gut und was vielleicht trotz guter Absicht kontraproduktiv ist. Und »gut« oder »schlecht« hängt zu allem Überfluss noch von der jeweiligen Sichtweise ab, die sich aus der eigenen Interessenlage generiert. Jeder Einzelne verfolgt seine Interessen – schauen Sie in eine typische vierköpfige Familie, idealerweise mit zwei pubertierenden Kindern, und versuchen Sie, zu einer gemeinsamen Meinung etwa hinsichtlich eines Ausfluges zu gelangen. Äußerst schwierig! Ähnlich wie die Familie verfolgt auch jede Firma, ob mittelständisches Unternehmen oder multinationaler Großkonzern, ihre Interessen. Selten ist dabei die eigene Verkleinerung das Ziel …
Und am Ende kommen noch die nationalen Interessen hinzu. Nationen mit großen Unterschieden hinsichtlich Wirtschaftskraft, Entwicklungsstand und kultureller Prägung treffen dabei aufeinander. Sie merken schnell, wie schwer es wird, das alles unter einen Hut zu bringen und aus dieser Gemengelage eine konstruktive, uns allen gemeinsam nützliche Handlungsoption zu basteln. Und zwar ohne Schiedsrichter, der bei nicht enden wollenden, egoistischen Diskussionen irgendwann einfach laut in seine Trillerpfeife pustet und sagt, wo es nun langgeht. Diese Macht hat niemand und den »guten Weltdiktator«, der für alle nur das Beste will und alle Probleme in einer Weise, die jeden glücklich macht, löst, gibt es nicht.
Als der Club of Rome 1972 die »Grenzen des Wachstums« veröffentlichte, wurde verschriftlicht, was sich viele von uns schon als Kinder hin und wieder überlegten und dann auch ihre Eltern fragten: Kann ein Planet von gleichbleibender Größe immer mehr Menschen ernähren und mit Energie versorgen, sodass es allen auf Dauer immer besser gehen wird? Wäre das eine Quizfrage, würden wir wohl alle erst mal den Kopf schütteln. Und dann flott ergänzen, dass man natürlich nicht genau weiß, wann und wo die Grenze erreicht ist – was unser Handeln ein Stück weit rechtfertigt. Die kognitive Dissonanz lässt grüßen.
Als in den frühen 1980ern das Ozonloch entdeckt wurde, wurden wir Menschen nervös, weil wir bemerkten, dass wir offensichtlich einen sehr großen Einfluss auf unsere Umwelt ausüben können – und zwar ganz »aus Versehen«. Der Grund für dieses Versehen ist in der Theorie der freien Güter zu suchen – einem der eminenten Denkfehler der Wirtschaftstheoretiker, da er den grundlegenden Aussagen der Physik abgeschlossener Systeme – ein solches ist unser Planet in erster Näherung – widerspricht. Nach der Definition sind freie Güter solche, »die begrenzt aber nicht knapp sind. Sie sind in einem bestimmten Gebiet zu einem bestimmten Zeitpunkt im Überfluss vorhanden und kosten deshalb grundsätzlich kein Geld.« Aus dieser Sichtweise heraus wurde und wird eben auch das freie Gut Luft, also unsere Atmosphäre, als Gratisdeponie für unsere Rückstände in Anspruch genommen. Ein Gegenentwurf dazu besteht im Emissionshandel, auf den wir später noch zu sprechen kommen.
Als erste Ergebnisse der bis dahin eigentlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit arbeitenden Klimaforschung den Weg in die Medien fanden, wurden schrille Begriffe wie etwa »Klimakatastrophe« geprägt. Die Wissenschaft musste plötzlich lernen, dass sich ihre Denk- und Arbeitsweise von der der Medien stark unterscheidet. Eine vorsichtige, abwägende und differenzierende wissenschaftliche Ausdrucksweise ist nicht gerade die Grundlage für eine knappe, reißerische Überschrift. Der Lernprozess der Wissenschaft war natürlich auch in der Lage, die eigenen Geschäftsgrundlangen zu gefährden, und so versuchte man sich schnell vor den Auswirkungen neuer Erkenntnisse zu schützen: Unsicherheiten, die es in diesem (und jedem anderen) Forschungszweig in Detailfragen zweifellos bis heute gibt und immer geben wird – darum ist Wissenschaft ja stets auch etwas, was Wissen schafft –, wurden zur Verunsicherung schnell mit Unfähigkeit und Unwissen gleichgesetzt. Und wie bringt man das besonders destruktiv in die Öffentlichkeit? Mit Geld! Wer früher Artikel gegen die Klimaforschung schrieb, bekam von so manchem Konzern große Summen bar auf die sprichwörtliche Kralle. »Berühmt« sind Koch Industries oder Scaife Affiliated Foundations, die jeweils Millionen in Skeptiker-Einrichtungen wie das Heartland Institute stecken. Da wird schon so mancher zum willfährigen Unterstützer monetärer Ziele der Wirtschaft. Im weiteren Verlauf des Buches wird genauer eingeordnet, auf welche Weisen Erkenntnisse der Klimaforschung von diversen Gruppen abgelehnt wurden.
Trotz aller Versuche aus verschiedenen Richtungen, Klima- und Umweltthemen klein- oder nichtigzureden, wuchs die weltweite Erkenntnis, dass irgendetwas aus dem Ruder läuft. So wurde im Juni 1992 der Erdgipfel von Rio – oder korrekt die »Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung« – ausgerufen. Es herrschte eine große Aufbruchsstimmung, denn die Menschheit schien eine Bereitschaft zu entwickeln, Erkenntnissen Handlungen folgen zu lassen. Ähnlich war es nochmals 1997, als das Kyotoprotokoll beschlossen wurde. Es trat 2005, also lange 8 Jahre später, in Kraft mit dem Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2012 gegenüber 1990 um 5,2 Prozent (richtig gelesen) zu reduzieren. 2015, als das Pariser Abkommen beschlossen wurde, keimte wiederum Hoffnung auf. In den vielen Jahren dazwischen und besonders in Madrid 2019 bestimmte, abgesehen von kleinen, meist nur verbalen Erfolgen, das Geschacher ums Geld die Szenerie. Im Wesentlichen zeigte jeder auf den anderen und forderte, zunächst möge man die Dinge bei sich verbessern und dann könne man gerne wieder reden – das bekannte »blame game«. Und so blieb alles wie immer, nur zeitigten die Steigerung des Lebensstandards und der damit einhergehende stark wachsende Energiebedarf sowie das Bevölkerungswachstum stetig mehr Emissionen. Derweil nahmen Unwetter und Hitzerekorde auf diesem Planten wie vorhergesagt zu.
Mittlerweile ist der Ausstoß von CO2, dem wichtigsten anthropogenen Treibhausgas, gegenüber dem Zeitpunkt des Erdgipfels von Rio um 67 Prozent (!) gestiegen. Das war sicher nicht das, was wir mit unserer Aufbruchsstimmung und dem durchaus intensiven politischen Dialog bezwecken wollten. Die Menschheit verbraucht derzeit jedes Jahr die nachwachsenden Ressourcen von nicht einer, sondern 1,75 Erden, wir Deutschen sogar die von 3, doch wissen wir qua schulischer Bildung recht genau, dass wir nur eine Erde haben. Drum finden wir den sogenannten »Earth Overshoot Day«, den Tag, an dem wir eben diese nachwachsenden Ressourcen für das Jahr verbraucht haben, mittlerweile bereits Ende Juli. Danach leben wir auf Kredit der Natur, derzeit ohne den ernsthaften Willen, diesen zurückzuzahlen. Da 1,75 größer ist als 1, ist auch die Frage der Nachhaltigkeit geklärt: Die Gattung Mensch ist nicht nachhaltig. Punkt. Natürlich gibt es viele kleine Maßnahmen, die etwa Kommunen oder auch Einzelne ergreifen, denen Umwelt, Natur und Klima sehr am Herzen liegen. Das ist erfreulich und gut, wird aber in keiner Weise ausreichen, das Problem auch nur annähernd zu lösen. Dazu braucht es nun einmal die großen Player und die überwiegende Masse der Erdbevölkerung.
Kurzgefasst: Betrachten wir die vergangenen fast 50 Jahre, so ist der Klimawandel zunehmend zum relevanten Thema geworden. Es wird viel darüber geredet, aber kaum etwas getan. Weder eine ständige Erhöhung der Dosis medialer Dramatik noch die mittlerweile 25 weltweiten jährlichen Klimakonferenzen brachten hier einen Durchbruch. Beides scheint also nicht besonders effektiv oder zumindest nicht ausreichend zu sein.
Wir müssen also offen darüber nachdenken, ob ein »Weiter so« noch akzeptabel ist. Nicht nur deshalb, weil es immer fragwürdig ist, Dinge fortzusetzen, die erkennbar wenig bringen, sondern vor allem deshalb, weil die Menschheit es in ihrer Existenz hier erstmals mit einem globalen Problem zu tun hat, für dessen Lösung sie sich nicht beliebig viel Zeit nehmen kann. Da steht jemand mit einer Stoppuhr hinter uns, den wir nicht ignorieren können! Um das in Paris vereinbarte Ziel zu halten, die globale Erwärmung auf 2 Grad zu begrenzen, passen noch rund 720 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre (eine Gigatonne ist eine Milliarde Tonnen). Da wir derzeit weltweit – leider immer noch mit steigender Tendenz – pro Jahr etwa 38 Gigatonnen emittieren, bleiben uns noch knapp 19 Jahre. Ebenso einig wie über die 2 Grad als äußersten Wert war man sich in Paris, dass wir eigentlich nur »1,5 Grad plus« erreichen sollten. Eine echte Herausforderung, für die wir noch rund 10 Jahre Zeit hätten. Was bedeutet das für jeden Einzelnen? Mittelt man weltweit den Ausstoß von CO2 pro Kopf und Jahr, so setzt jeder Mensch derzeit knapp 5 Tonnen frei. Will man das 2-Grad-Ziel einhalten, dürfen es aber nicht mehr als 2 Tonnen sein. Wir Deutschen liegen heute bei 9!
wirmüssen