Hugo Bettauer

Der Frauenmörder

Hugo Bettauer

Der Frauenmörder

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
3. Auflage, ISBN 978-3-943466-75-1

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Inhaltsverzeichnis

Au­tor

Die Mül­ler, Möl­ler, Jen­sen und Pfeif­fer

Joa­chim von Den­gern, ali­as Krau­se

Vier Mäd­chen ohne An­hang

Sel­ma Co­hen als Fünf­te

»Idyl­le an der Ha­vel«

Der blon­de Herr mit dem Knei­fer

Tho­mas Hart­wig

Im Li­te­ra­ten-Café

Lot­te Fröh­lich

»Über­führt!«

Un­ter­hal­tung mit ei­nem Mör­der

Kämp­fen­de See­len

»Drei Men­schen«

Das große Rät­sel

Der große Pro­zess

Die Sen­sa­ti­ons­pre­mie­re

Die Bom­be platzt!

Aus dem Dun­kel em­por!

Dan­ke

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Autor

Hugo Bet­tau­er (✳ 18. Au­gust 1872 in Ba­den bei Wien; † 26. März 1925 in Wien; ei­gent­lich Ma­xi­mi­li­an Hugo Bett­hau­er ), war ein ös­ter­rei­chi­scher Schrift­stel­ler.

Ma­xi­mi­li­an Hugo Bet­tau­er wur­de als Sohn des Bör­sen­mak­lers Ar­nold (Sa­mu­el Aron) Bet­tau­er aus Lem­berg1 und des­sen Ehe­frau Anna geb. We­cker ge­bo­ren. Sein Mit­schü­ler Karl Kraus galt Zeit sei­nes Le­bens auch als sein schärfs­ter Kri­ti­ker.

1890 kon­ver­tier­te Bet­tau­er vom jü­di­schen zum evan­ge­li­schen Glau­ben und än­der­te sei­nen Na­men von Bett­hau­er in Bet­tau­er.Im sel­ben Jahr ging er als Ein­jäh­rig-Frei­wil­li­ger zu den Kai­ser­jä­gern. Der Re­li­gi­ons­wech­sel hängt ver­mut­lich da­mit zu­sam­men, dass es für jü­di­sche Sol­da­ten ohne Adel kaum mög­lich war, Kar­rie­re zu ma­chen.

Un­mit­tel­bar nach dem Krieg ar­bei­te­te Bet­tau­er als Kor­re­spon­dent für New Yor­ker Zei­tun­gen und star­te­te ein Hilfs­pro­gramm in den USA für die Wie­ner Be­völ­ke­rung.

Hugo Bet­tau­er, heu­te bei­na­he ver­ges­sen, war ein eben­so un­be­que­mer wie idea­lis­ti­scher Schrift­stel­ler und Jour­na­list. Er schrieb eine Rei­he von Ro­ma­nen, in de­nen es ihm ge­lang, bri­san­te ge­sell­schaft­li­che The­men in Tri­vi­al­li­te­ra­tur zu ver­pa­cken und so ein brei­tes Pub­li­kum zu er­rei­chen. 1924 grün­de­te Hugo Bet­tau­er die Zeit­schrift »Er und Sie«, in der er die so­zia­len Be­din­gun­gen und die Un­ter­drückung von Frau­en an­pran­ger­te und ver­such­te, ein Forum für al­ter­na­ti­ve Le­bens­for­men zu schaf­fen. Schon nach der fünf­ten Num­mer wur­de die Zeit­schrift als sit­ten­ge­fähr­dend be­schlag­nahmt.

Hugo Bet­tau­er wur­de 1925 von ei­nem fa­na­ti­schen Na­tio­nal­so­zia­lis­ten er­mor­det.


  1. Lem­berg, pol­nisch: Lwów ist eine Stadt in der west­li­chen Ukrai­ne, Haupt­stadt des gleich­na­mi­gen Be­zirks Oblast Lwiw und mit rund 735.000 Ein­woh­nern die siebt­größ­te Stadt der Ukrai­ne.  <<<

Die Müller, Möller, Jensen und Pfeiffer

»Lie­ber Krau­se, Sie müs­sen Klar­heit in die Sa­che brin­gen! Nur läp­pi­scher Zu­fall? Ne, das glau­be ich nicht und Sie glau­ben es auch nicht, so­weit ich aus Ihrem wie­der ein­mal to­tal ver­stei­ner­ten Ge­sicht le­sen kann! In­ner­halb von sechs Wo­chen ver­schwin­den un­ter Hin­ter­las­sung ih­rer Hab­se­lig­kei­ten vier Mäd­chen, alle zwi­schen zwei­und­zwan­zig und sechs­und­zwan­zig Jah­ren, alle vier hei­rats­toll und mit je ei­nem frag­wür­di­gen Bräu­ti­gam be­haf­tet — ne, lie­ber Krau­se, da liegt kein däm­li­cher Zu­fall vor, son­dern ein Ver­bre­chen!

Und dem müs­sen wir auf die Spur kom­men.«

Krau­se sah den Chef der Ber­li­ner Kri­mi­nal­po­li­zei, Dr. Clu­si­us, aus was­ser­hel­len, ver­schla­fe­nen, mü­den und leb­lo­sen Au­gen be­we­gungs­los an und sag­te, wäh­rend es ner­vös um sei­ne dün­nen, blut­lee­ren, bart­lo­sen Lip­pen zuck­te:

»Herr Dok­tor sind sehr auf­ge­regt! Und das ist nicht gut, denn wenn Herr Dok­tor auf­ge­regt sind, ge­lingt es Ih­nen nicht, mir ein kla­res Bild zu ge­ben. Darf ich also bit­ten, mir nun in al­ler Ruhe zu sa­gen, was Herrn Dok­tor zu der An­nah­me ge­bracht hat, dass ein grau­en­haf­ter Un­hold sein We­sen treibt und Mäd­chen ver­schleppt?«

Die Schmis­se im run­den Ge­sicht des ho­hen Kri­mi­nal­be­am­ten färb­ten sich rot, weil er aus den Wor­ten des Krau­se eine lei­se Iro­nie her­aus­zu­hö­ren glaub­te. Er strich sich has­tig durch die schüt­teren, ein we­nig an­ge­grau­ten Haa­re und blät­ter­te in den Pa­pie­ren, die vor ihm la­gen.

»Sie sind heu­te wie­der un­aus­steh­lich, Krau­se! Aber mei­net­hal­ben! Ma­chen Sie sich Ihre No­ti­zen und ich wer­de al­les ge­nau er­zäh­len.«

Krau­se rühr­te sich nicht.

»Herr Dok­tor be­lie­ben zu ver­ges­sen, dass ich mir nie­mals No­ti­zen ma­chen muss, weil ich Ge­le­gen­heit ge­nug hat­te, mein Ge­dächt­nis zu schär­fen.«

Dr. Clu­si­us er­hob sei­ne Stim­me.

»Ja­wohl, Herr von Krau­se, ich ge­stat­te­te mir, einen Au­gen­blick Ihre Bio­gra­fie zu ne­gli­gie­ren. Also gut, schrei­ben Sie nicht auf, aber set­zen Sie sich und brin­gen Sie mich nicht zur Verzweif­lung.

Ich habe Ih­nen ge­sagt, dass dem Po­li­zei­prä­si­di­um in­ner­halb ei­ni­ger Wo­chen vier Ver­mis­st­an­zei­gen zu­ge­gan­gen sind. Es han­delt sich um fol­gen­de Fäl­le: Ein Mäd­chen, laut Mel­de­schein Tru­de Mül­ler aus Ber­lin, drei­und­zwan­zig Jah­re alt, hat am ers­ten Juli bei der Wit­we Wend­ler, Wa­ter­loo-Ufer sechs, ein Zim­mer ge­mie­tet. Die jun­ge Dame mach­te einen gu­ten, ver­trau­ens­wür­di­gen Ein­druck, gab an, Leh­re­rin zu sein und dem­nächst hei­ra­ten zu wol­len. Die Mie­te für das Zim­mer zahl­te Tru­de Möl­ler für einen Mo­nat im vor­hin­ein. Am sechs­ten Juli er­zähl­te sie ih­rer Wirts­frau, dass sie mit ih­rem Bräu­ti­gam eine klei­ne Rei­se un­ter­neh­men müs­se. Er wol­le ein Be­sitz­tum an der Ha­vel un­weit von Ket­zin er­wer­ben und es vor Kau­fab­schluss mit ihr be­sich­ti­gen. Sie wer­de in Ket­zin bei ei­ner Tan­te ih­res Bräu­ti­gams über­nach­ten und mor­gen, spä­tes­tens über­mor­gen wie­der zu­rück sein. Das Mäd­chen mach­te rasch eine Hand­ta­sche zu­recht und stell­te ih­ren Bräu­ti­gam, der gleich dar­auf mit ei­nem Au­to­ta­xi vor­ge­fah­ren kam, der Frau Wend­ler vor. Die­ser Bräu­ti­gam dürf­te an­geb­lich Schol­lern oder Schul­lern ge­hei­ßen ha­ben, trug einen Knei­fer und wird als ha­ge­rer, blon­der Mann in den Drei­ßi­gern ge­schil­dert. Die Mül­ler kam nicht mehr zu­rück und am sech­zehn­ten Juli er­stat­te­te Frau Wend­ler die Ab­gän­gig­keits­an­zei­ge, der das Re­vier­amt kei­ne son­der­li­che Auf­merk­sam­keit schenk­te. Der von Fräu­lein Mül­ler hin­ter­las­se­ne Holz­kof­fer ist noch un­er­öff­net und hin­ter­liegt jetzt hier im Auf­be­wah­rungs­raum des Prä­si­di­ums.

Zwei­ter Fall: Am fünf­ten Juli er­schi­en in der Pen­si­on der Frau Zin­ken­bach in der Nürn­ber­ger­stra­ße ein Mäd­chen und mie­te­te ein Zim­mer mit vol­ler Ver­pfle­gung. Die Dame zog am zehn­ten Juli ein und füll­te den An­mel­de­schein höchst flüch­tig mit Gre­te Möl­ler, ge­bo­ren in Ham­burg, fünf­und­zwan­zig Jah­re alt, Pri­va­te, aus. Schon zwei Tage spä­ter teil­te sie dem Stu­ben­mäd­chen früh­mor­gens mit, dass sie auf etwa zwei Tage ver­rei­sen wer­de, um mit ih­rem Bräu­ti­gam ein Haus in der Ha­vel­ge­gend zu be­sich­ti­gen. Den Bräu­ti­gam, der mit ei­nem Ta­xi­cab vor­fuhr, hat nie­mand als der Por­tier ge­se­hen, und die­ser kann sich nur an einen blon­den Herrn mit Knei­fer er­in­nern. Auch Fräu­lein Möl­ler ist nicht mehr zu­rück­ge­kehrt.

Drit­ter Fall: Am fünf­zehn­ten Juli mie­te­te ein Fräu­lein An­ne­ma­rie Jen­sen, eben­falls in Ham­burg ge­bo­ren, vier­und­zwan­zig Jah­re alt, ein be­schei­de­nes Zim­mer in der Frem­den­pen­si­on der Frau Les­ti­kow in der Motz­stra­ße. Sie er­zähl­te, sie sei eben aus Nord­ame­ri­ka zu­rück­ge­kehrt und su­che in Ber­lin eine Stel­le als Haus­da­me. Ei­ni­ge Tage spä­ter aber ver­trau­te sie der Frau Les­ti­kow an, einen Herrn ken­nen ge­lernt zu ha­ben, der sie zu ver­eh­ren schei­ne. Er sei sehr wohl­ha­bend, in den bes­ten Jah­ren, ein hoch­ge­bil­de­ter Mann, Na­tur­for­scher und be­ab­sich­ti­ge, sich un­weit von Ber­lin an­zu­kau­fen, um in Ruhe sei­nen For­schun­gen le­ben zu kön­nen. Am ein­und­zwan­zigs­ten Juli kam Fräu­lein Jen­sen spätabends nach Hau­se und teil­te der Frau Les­ti­kow, die noch wach war sehr er­regt mit, dass sie sich mit dem Na­tur­for­scher ver­lobt habe und am an­de­ren Tag mit ihm nach dem Ha­vel­städt­chen Ket­zin rei­sen wol­le, um dort ein in der Nähe be­find­li­ches Haus mit Gar­ten zu be­sich­ti­gen. Der Bräu­ti­gam, der an­de­ren Ta­ges ge­gen zehn Uhr vor­mit­tags Fräu­lein Jen­sen ab­hol­te, wur­de von Frau Les­ti­kow ge­se­hen und ihr als Dok­tor Schind­ler vor­ge­stellt. Er war sehr wort­karg, trieb zur Eile an, trug einen Knei­fer, war schlank und blond. Fräu­lein Jen­sen kam, ob­wohl auch sie vor­aus­ge­zahlt und ihr Ge­päck hin­ter­las­sen hat­te, nicht mehr zu­rück.

Vier­ter und letz­ter Fall: Kä­the Pfeif­fer, ge­bo­ren in Bay­ern, ohne An­ga­be des Or­tes, fünf­und­zwan­zig Jah­re alt, Kon­to­ris­tin, mie­te­te am zwan­zigs­ten Juli ein mö­blier­tes Zim­mer bei der Wit­we Klapp­holz in der Krum­men­stra­ße in Char­lot­ten­burg. Frau Klapp­holz sah ihre Mie­te­rin, die den gan­zen Tag au­ßer Haus war, nur sel­ten. Am fünf­und­zwan­zigs­ten Juli ver­ließ Kä­the Pfeif­fer um sechs Uhr mor­gens das Haus und hin­ter­ließ fol­gen­des Schrei­ben:

Wer­te Frau Klapp­holz!

Ich ver­rei­se auf zwei Tage, da mein Bräu­ti­gam eine Vil­la an der Ha­vel kau­fen soll, die ich na­tür­lich vor­her auch be­sich­ti­gen möch­te. Bin spä­tes­tens über­mor­gen wie­der hier. Bit­te auf­zu­pas­sen, dass nichts aus mei­nem Zim­mer fort­kommt. Bes­tens grü­ßend

Kä­the Pfeif­fer.

Den Bräu­ti­gam hat nie­mand ge­se­hen, Fräu­lein Pfeif­fer ist nicht mehr zu­rück­ge­kehrt und Frau Klapp­holz hat am fünf­ten Au­gust, also ge­nau vor ei­ner Wo­che, die An­zei­ge er­stat­tet.«

Dr. Clu­si­us blies vor sich hin, streck­te die Bei­ne weit aus, schob Krau­se die Zi­gar­ren zu, zün­de­te sich selbst eine an und sag­te:

»Ich bin fer­tig und wer­de wirk­lich stau­nen, wenn Sie sich al­les ge­merkt ha­ben. Und nun, lie­ber Krau­se, was hal­ten Sie da­von?«

In Krau­se kam jetzt end­lich Be­we­gung. Er stand auf, ging zum Fens­ter, warf einen Blick auf den Alex­an­der­platz, lach­te kurz und tro­cken auf, weil ihm zwei di­cke Frau­en, die ihm Ver­lauf ei­nes Trat­sches ihre Markt­kor­be ge­gen­ein­an­der schwenk­ten, ko­misch er­schie­nen, dreh­te sich dann um und sprach, wäh­rend sein ma­ge­res, ver­wit­ter­tes Ge­sicht, das mit der schar­fen Ha­ken­na­se ei­nem Schau­spie­ler, ei­nem Jock­ei, aber auch ei­nem ein we­nig de­ge­ne­rier­ten Ari­sto­kra­ten ge­hö­ren konn­te, sich in tau­send Fal­ten und Fält­chen leg­te, ton­los, ohne Er­re­gung, gleich­gül­tig, als wür­de es sich um eine Wet­ter­fra­ge han­deln:

»Ich habe mir je­des De­tail ge­merkt, und das war nicht schwer, weil die­sen aus den Po­li­zei­re­vie­ren stam­men­den Be­rich­ten eben je­des De­tail fehlt. Was ich da­von hal­te? Nun, dem An­schein nach könn­te es sich al­ler­dings um vier ganz gleich­ar­ti­ge Ver­bre­chen, be­gan­gen von ein und der­sel­ben Per­son, han­deln.«

Der obers­te Kri­mi­nal­be­am­te von Ber­lin sah den ha­ge­ren, ir­gend­wie grau er­schei­nen­den und ganz in Grau ge­klei­de­ten Mann in­ter­es­siert an.

»Sie drücken sich sehr vor­sich­tig aus, Krau­se! Dem An­schein nach und könn­te sich — — — Wol­len Sie also den Fall über­neh­men?«

»Si­cher, er ist ernst ge­nug, um mich an­zu­re­gen.«

Dr. Clu­si­us lä­chel­te und nick­te be­frie­digt.

»Was wol­len wir also zu­nächst un­ter­neh­men?«

»Ganz klar, Herr Dok­tor! Mor­gen Vor­mit­tag müs­sen hier in die­sem Zim­mer die zu­rück­ge­las­se­nen Ge­gen­stän­de der ver­schwun­de­nen Frau­en, ihre An­mel­de­schei­ne und die vier Ver­mie­te­rin­nen, bei de­nen sie ge­wohnt hat­ten, so­wie der Por­tier aus der Motz­stra­ße zur Stel­le sein. Na, vor dem Ge­quatsch der vier Wei­ber graut mir jetzt schon! Aber es muss über­stan­den wer­den und dann gehe ich los!«

Die Wor­te: »Dann gehe ich los« ge­fie­len dem Chef so au­ßer­or­dent­lich, dass er sich ver­gnügt die Hän­de rieb. Ich gehe los — das hat­te bei Krau­se zu be­deu­ten, dass er sich aus ei­nem apa­thi­schen Nörg­ler in eine Dy­na­mo­ma­schi­ne ver­wan­del­te und wirk­lich los­ging, wie ein Auto mit acht­zig Pfer­de­kräf­ten. Krau­se ging nicht im­mer los, aber wenn er los­ging, dann ar­bei­te­te er mit hun­dert Sin­nen und Ge­hir­n­en.

Joachim von Dengern, alias Krause

Wäh­rend sich Dr. Wil­helm Clu­si­us in sei­ner gan­zen Art nicht son­der­lich von an­de­ren lei­ten­den Po­li­zei­be­am­ten der Groß­städ­te un­ter­schied und sei­ne er­folg­rei­che Lauf­bahn we­ni­ger ir­gend­wel­chen her­vor­ste­chen­den Ei­gen­schaf­ten, als mus­ter­gül­ti­ger Pf­licht­treue, ta­del­lo­ser Le­bens­füh­rung und au­ßer­or­dent­li­chem Takt­ge­fühl, be­wie­sen in pein­li­chen, in den vor­nehms­ten Krei­sen spie­len­den Af­fä­ren, ver­dank­te, glich Krau­se in kei­ner Wei­se den üb­li­chen Kri­mi­nal­un­ter­be­am­ten, die man De­tek­ti­ve zu nen­nen pflegt. Und sei­ne Kar­rie­re, sei­ne Le­bens­ge­schich­te, sein Wer­de­gang wa­ren wohl ganz au­ßer­or­dent­li­cher Art. Aber so­gar die we­ni­gen Ein­ge­weih­ten wuss­ten von ihm nicht viel mehr, als dass Krau­se gar nicht Krau­se hieß, son­dern dies nur ein von ihm an­ge­nom­me­ner Name sei, und dass es ihm nicht an der Wie­ge ge­sun­gen wor­den war, der­einst höchst­per­sön­lich, nicht vom grü­nen Tisch aus, son­dern mit­telst Ein­set­zung al­ler Kräf­te Ver­bre­chern nach­ja­gen zu müs­sen. Ge­nau­es wuss­te im Ro­ten Haus am Alex­an­der­platz ei­gent­lich nur Dr. Clu­si­us, und weil er es wuss­te, so schätz­te er die­sen mit­un­ter höchst wi­der­wär­ti­gen Krau­se so sehr, ja ganz tief im In­ne­ren brach­te er ihm eine Hochach­tung und Be­wun­de­rung ent­ge­gen wie kei­nem an­de­ren Men­schen aus sei­nem Wir­kungs- und Be­kann­ten­kreis.

Krau­se war ein un­glück­li­cher Mensch und hat­te einen Knacks weg, von dem er sich nicht er­ho­len konn­te. Er hieß in Wirk­lich­keit Joa­chim von Den­gern, ent­stamm­te ei­ner we­nig be­gü­ter­ten, aber umso vor­neh­me­ren Fa­mi­lie, hat­te sein Ein­jäh­ri­gen­jahr bei den Gar­de­küras­sie­ren ab­ge­dient, war Re­ser­ve­leut­nant ge­wor­den und nach Er­lan­gung des Ju­ris­ti­schen Dok­tor­di­ploms und spä­ter des Re­fe­ren­dar­ex­amens in die Kanz­lei ei­nes der be­rühm­tes­ten Ber­li­ner Rechts­an­wäl­te, des Jus­tiz­ra­tes Ro­den­bach, ein­ge­tre­ten. Man war jung, hat­te in Pom­mern einen Bru­der Guts­be­sit­zer, der durch Hei­rat klot­zig reich ge­wor­den war, man jeu­te also ein biss­chen, gab für net­te klei­ne Mäd­chen mehr Geld aus, als man ei­gent­lich durf­te, pump­te von Zeit zu Zeit den um zehn Jah­re äl­te­ren Bru­der kräf­tig an, kam oft et­was ver­ka­tert und zu spät in das Büro oder zu Ge­richt — kurz­um, man leb­te so und nicht schlech­ter als tau­send an­de­re jun­ge Re­fe­ren­da­re, die »von« sind, als net­te, lus­ti­ge Ker­le gel­ten und gut dar­an tun, sich die Hör­ner ab­zu­sto­ßen, be­vor es un­ter das Joch der Ehe und Wür­den geht.

Bis sich ei­nes Ta­ges Furcht­ba­res und Uner­war­te­tes er­eig­ne­te. Jus­tiz­rat Ro­den­bach hat­te in ei­ner Pro­zessan­ge­le­gen­heit von ei­nem Kli­en­ten ein De­pot von et­li­chen Mil­lio­nen Mark in ba­rem Geld er­hal­ten. Die­sen Be­trag leg­te er in Ge­gen­wart sei­nes jun­gen Ge­hil­fen, Dr. Joa­chim von Den­gern, in den ei­ser­nen Kas­sen­schrank, wo­bei er sag­te, dass es ei­gent­lich recht un­vor­sich­tig sei, sol­che Sum­men zu be­hal­ten, umso mehr als der Kas­sen­schrank ver­al­tet sei und ei­nem halb­wegs ge­wieg­ten Ein­bre­cher we­nig Wi­der­stand ent­ge­gen­set­zen wur­de. Ei­ner Be­mer­kung, der Joa­chim von Den­gern pflicht­schul­dig bei­stimm­te, nicht ohne zu den­ken, dass es ge­ra­de jetzt, da der Dal­les wie­der ein­mal er­heb­lich war, sehr schön wäre, einen Teil des Gel­des zu be­sit­zen. An die­sem Tag gab es vie­ler­lei Ar­beit, man­che, die nach An­sicht des Re­fe­ren­dars hät­te lie­gen blei­ben kön­nen, nach der An­sicht des Jus­tiz­ra­tes aber un­be­dingt er­le­digt wer­den soll­te. Joa­chim von Den­gern muss­te tüch­tig Über­stun­den ma­chen und be­fand sich, nach­dem der Jus­tiz­rat sich ins kö­nig­li­che Opern­haus be­ge­ben und auch die an­de­ren, we­ni­ger in­ten­siv be­schäf­tig­ten Her­ren fort­ge­gan­gen wa­ren, noch eine Stun­de oder mehr al­lein im Büro. Er nahm da­her, wie im­mer in sol­chen Fäl­len, die zwei­ten Bü­roschlüs­sel mit sich, nach­dem er alle Tü­ren or­dent­lich ver­sperrt hat­te, wäh­rend der alte Bü­ro­die­ner Au­gust, der schon früh­mor­gens zu kom­men pfleg­te, die an­de­re Gar­ni­tur be­saß. Auch der Jus­tiz­rat hat­te na­tür­lich Schlüs­sel bei sich.

Am an­de­ren Tag fand Joa­chim von Den­gern, als er nach durch­zech­ter Nacht et­was bleich und zit­te­rig den Dienst an­trat, das Büro in chao­ti­schem Zu­stand an. Furcht­ba­res hat­te sich er­eig­net! Der Kas­sen­schrank war mit­telst pri­mi­ti­ver In­stru­men­te er­bro­chen und sei­nes kost­ba­ren In­hal­tes be­raubt wor­den. Dr. Clu­si­us, da­mals noch ge­wöhn­li­cher Kri­mi­nal­kom­mis­sär, führ­te die Un­ter­su­chung und wuss­te nach knapp ei­ner Stun­de ge­nau Be­scheid. Nur der Re­fe­ren­dar Joa­chim von Den­gern konn­te der Tä­ter sein! Er al­lein hat­te von den Mil­lio­nen im Kas­sen­schrank ge­wusst, er war al­lein im Büro zu­rück­ge­blie­ben, er wuss­te ge­nau, wo im Vor­zim­mer auf ei­nem ver­staub­ten Ak­ten­schrank ein Werk­zeug­kas­ten stand, mit­telst des­sen In­halt, wie ein­wand­frei nach­ge­wie­sen wer­den konn­te, die Heraus­stem­mung der Schloss­zun­ge er­folgt war. Au­ßer­dem: Den­gern war ver­schul­det, hat­te auf einen neu­en Pump­ver­such von sei­nem Bru­der einen deut­lich ab­win­ken­den Briet er­hal­ten, er führ­te über­haupt einen so­ge­nann­ten lie­der­li­chen Le­bens­wan­del — kurz­um, sei­ne Ver­haf­tung war ge­recht­fer­tigt. Wie sehr ge­recht­fer­tigt, er­wies sich, als man ihn ei­ner Lei­bes­un­ter­su­chung un­ter­zog und in der In­nen­ta­sche sei­nes Stadt­pel­zes ein Bün­del von Hun­dert­tau­send­mark­schei­nen fand. Un­schwer wur­de denn auch fest­ge­stellt, dass die­se Tau­send­mark­schei­ne mit je­nen über­ein­stimm­ten, die Jus­tiz­rat Ro­den­bach am Tage vor­her als De­pot er­hal­ten hat­te.

Ver­ge­bens be­teu­er­te Joa­chim von Den­gern vor dem Un­ter­su­chungs­rich­ter und spä­ter vor den Ge­schwor­nen, dass er kei­ne Ah­nung habe, wie die Tau­sen­der in sei­nen Pelz ge­kom­men sei­en, ver­ge­bens schrie er im­mer wie­der: »Ich bin un­schul­dig!« Das von Dr. Clu­si­us er­brach­te Be­weis­ma­te­ri­al war zu stark und Den­gern wur­de zu vier Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt. Ein we­nig hart, aber ei­nes auf­rech­ten, cha­rak­ter­fes­ten Man­nes durch­aus wür­dig, hat­te sich in die­ser Zeit der äl­te­re Bru­der Joa­chims be­nom­men, der auf einen jam­mer­vol­len Brief, in dem Joa­chim bei dem An­ge­den­ken an sei­ne ver­stor­be­nen El­tern und bei sei­ner Man­nes­eh­re sei­ne Un­schuld be­schwor, nur die ker­ni­gen, la­pi­da­ren Wor­te zu er­wi­dern wuss­te:

»Be­läs­ti­­­­­­­­­­­­­