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© 2016 Peter H. Kemp

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BoD - Books on Demand GmbH

ISBN 978-3-7392-6777-7

Inhaltsverzeichnis

Keine Entschuldigung

Die „Forensik“ („Forensic Science“) fasst unterschiedliche wissenschaftliche Arbeitsgebiete zusammen, die sich mit dem Aufarbeiten, chemischen Analysieren in der Rekonstruktion krimineller Handlungen beschäftigen, so in der Umwelt. Zur Forensik zählen dabei die Rechtsmedizin, die forensische Psychologie und Psychiatrie, die IT-Forensik sowie Ballistik.

Zunächst stelle ich die Frage – was Kriminalität bedeutet? Dem Internet entnahm ich, dass sich das Wort von lat. crimen „Beschuldigung, Anklage, Schuld, Verbrechen“ ableitet und sich an der juristischen Definition der Straftat orientiert. Während sich die „Straftat“ oder der materielle Verbrechensbegriff jedoch an dem individuellen Verhalten misst, werden mit „Kriminalität“ Straftaten als Gesamtphänomen bezeichnet. Kriminalität kann zudem als Teil der Rechtsethnologie aufgefasst werden, die auf Erkenntnissen von Richard Thurnwald beruht, der „Funktion der Lebensbedingungen und Kultur eines Volkes“ betrachtete. Darin werden rechtsverletzende Handlungen behandelt, die gegen Normen verstoßen – die dem Schutz der Gesellschaft und der Umwelt dienen. Die Kriminalität richtet sich gegen gesetzlich geschützte Güter (so auch die Umwelt). Gremien wie G8, EU, Interpol & das Umweltprogramm der UN haben „Umweltvergehen als Verbrechen“ anerkannt: Das sind illegaler Handel mit bedrohten „Tier- und Pflanzenarten“, der gegen das Washingtoner Artenschutzübereinkommen von 1973 verstößt; in Verkehr bringen von Substanzen, die die „Ozonschicht“ abbauen, was gegen das Montrealer Protokoll von 1987 verstößt; „Entsorgung von und verbotener Handel mit gefährlichen Abfällen“, was gegen das Basler Übereinkommen von 1989 verstößt; „Illegale Fischerei, die gegen internationale Fischereiabkommen und andere Kontrollen“ verstoßen – gegen regionalen Fischfang; „Illegale Abholzung und der damit verbundene Handel mit gestohlenem Nutzholz“, was gegen nationale Gesetze verstößt.

Die Erscheinungsformen dieser Kriminalität sind die „Verschmutzung von Gewässer, Boden, Luft“, das „Freisetzen von Strahlung – Elektrosmog: Darunter verstehen wir die Belastung der Umwelt durch die Vielzahl an elektromagnetischen Wellen – nuklearer Strahlung und Gifte“, „unsachgemäßer Umgang mit Abfällen und Gefahrenstoffen“ oder die „Gefährdung schutzbedürftiger Gebiete“.

In der Praxis der Forensisch-Chemischen-Analytik werden chemische Substanzen wie z.B. Kunststoffe, Fasern (Asbest), Drogen, Medikamente oder Metalle analytisch nachgewiesen und in Beziehung zur Tat gesetzt. Ebenso werden Biomoleküle, Metabolite – Zwischenprodukte (Intermediate) in einem meist biochemischen Stoffwechsel-Weg (Metabolismus), bestehend aus vielen einzelnen Serien enzymatischer Umsetzungen, die spezifische Produkte liefern können, analysiert und in Beziehung zur Tat gesetzt. Diese Zwischenprodukte (jedem Reaktionsschritt kommen mindestens ein Substrat sowie mindestens ein Produkt zu), werden als Metabolite bezeichnet, die mit „fortschreitender Verdünnung“ oft in der Giftigkeit zunehmen. Es verwundert nicht, wenn viele der in diesem Teilgebiet der chemischen Analytik genutzten technischen Analysenmethoden Verfahren sind, die ebenso in der Biologischen-, der Pharmazeutischen- oder Lebensmittel-Analytik Anwendung finden. Mit der Polymerase-Chain-Reaktion kann nicht nur Desoxyribonukleinsäure (DNS) untersucht werden, die an einem Tatort gefunden wurde. Diese Methode wird überall dort verwendet, wo geringe Mengen DNS vervielfältigt werden müssen. Ein weiteres Beispiel ist die Chromatographie. Diese „historische“ Aufreinigungs-Methode der Chemie wird überall dort angewendet, wo aus komplexen Stoffgemischen Einzelsubstanzen isoliert werden sollen. Diese Einzelsubstanzen werden dann über spezielle Geräte – Detektoren – nachgewiesen.

Unter Forensik (in der Umwelt) sind alle Erkenntnisse und Maßnahmen zusammengefasst, die sich mit der Anwendung und Nutzbarmachung und auf Erfahrung basierender Erkenntnisse im Hinblick auf kriminalistische Spuren beschäftigen. Hierzu gehören auch:

Formspuren (wir unterscheiden grundsätzlich zw. Formen, Materialspuren, Situationsspuren, daktyloskopische Spuren und Gegenstandsspuren; weitere Spurenarten sind fingierte Spuren),

Waffen und Munition (Entschärfung von Fliegerbomben),

Urkunden, Pässe, Maschinenschriften und Drucktechnik,

Daktyloskopie,

Handschriftenuntersuchung,

Forensische Information (IT) und Kommunikation (IuK).

Forensische Science-Information (IT) und Kommunikation sind natürliche Bestandteile der Polizeisysteme, sie sind quasi die Informations-Austausch-Plattform. Da gibt es drei Systeme: Interaktionssysteme, Organisationssysteme, Kampagnenfähigkeit.

Der Verfasser hatte eine etwas von der Norm abweichende Berufsentwicklung zur Kriminalitäts-Bekämpfung genommen: Zunächst ließ er den technischen Bereich der Druckerei einer Boulevard-Zeitung hinter sich, es folgten Gehversuche im Chemielabor der BASF, einer Ausbildung zum Chemieingenieur in Jülich-Aachen (in Kernchemie und chem. Verfahrenstechnik), in dieser Zeit arbeitete er als Pressereferent im ASTA der FH Jülich-Aachen. Eine Reise durch die Sahara brachte den Verfasser zu den Dogon in Mali, zu Kindersoldaten des Casamance-Konfliktes im Senegal (der militärischen Auseinandersetzung zwischen senegalesischer Regierung und der Mouvement des forces …) & zu Widerständlern (Kschatriya Kämpfern) nach Asien im Königreich Mustang. Als Alumni bringt der Verfasser aus einem Ghose-Institut in Kalkutta Erfahrungen der „integralen Theorie“ mit und etwas über Rechte „indigener“ Gesellschaftsgruppen, die in ihrem Leben durch Abbau von Bauxit bedroht sind (Abbaggerung von Dörfern um an das Bauxit heranzukommen, zur Herstellung von Aluminium. Die Baugruben ähneln den Braunkohle-Abbaggerungen, in der Lausitz [Brandenburg] und bedrohen Trinkwasserversorgung und stellen Verlust von Agrarflächen dar).

In West-Berlin hatte er seinen Einstieg als Chemie-Ingenieur in der Bundesanstalt für Materialprüfung/Forschung. Ein Jahr danach wird er Praktikumsleiter in Fort- und Weiterbildung sowie dem Praktikum für Mediziner an der Freien Universität Berlin. Er beginnt als FH-Absolvent ein Aufbaustudium in Chemie, Rechtsethnologie und Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Geo-Ökosysteme.

Verfasser wird nach Beendigung des Hochschulstudiums an der Freien Universität Berlin in Nepal, Libyen, Sudan, Marokko Projektleiter, danach Mitarbeiter in einem Projekt der Technischen Universität Berlin mit Thema: „Schadstoff-Einflüsse aus dem ‚nordindischen Raum’ auf Bodenkompartimente im Himalaya. An der Technischen Universität Berlin vertrat er zu guter Letzt im Fachbereich Luftchemie die Vorlesung „Umweltchemie“.

Zusammen mit Umweltingenieuren und Technikern baute er den mobilen Forensic Science-Task-Force im „Wissenschaftlich-Technischen Dienst“ des Landeskriminalamtes Berlin auf: Einer Truppe, in der Polizisten, Ingenieure/Techniker, Chemiker/eine Biologin & Juristen bei der Tatortarbeit – im ersten Angriff (Spurensicherung) zusammenwirken und die Ergebnisse gerichtsverwertbar als Behördensachverständige für das Kriminalgericht Berlin-Moabit begutachteten und vertraten. In dieser Zeit fand auch die mündliche Verteidigung seiner Doktorarbeit an der Freien Universität Berlin statt und begann in der Lehre mit Umweltrecht und Katastrophenschutz (Theodizee) sowie mehreren Vorträgen an der Polizei-Führungsakademie – Deutsche Hochschule der Polizei Münster und auf internationalen Tagungen.

Vorliegendes Buch ist eine Beobachtung, basierend auf typischen Fehlern (Kognitions-Problemen aus dem Zettelkasten), einem epigonischen Verständnis nach (nachahmerisch durch späte Nachfahren eines anachronistisch gewordenen Epochenstils). Bitte beachten Sie, dass im Buch die Literatur bzw. Themen verschiedener Autoren eingearbeitet, nicht aber einzeln nachgewiesen wurden. In der Literaturliste wurden alle entsprechenden Titel genannt.

Werdegang im Einzelnen

Als das Meisenheimer Jungvolk (kleine Stadt im Pfälzer Bergland) singend, mit Fanfaren, kleinen Trommeln und großen, schwarzweiß gemusterten Landsknecht-Trommeln, zu deren Schlägen sie gingen, von der Adolf-Hitler-Straße in die Wohnstraße einbogen, herauf marschierten, im Takt zu ihren Knobelbecherschritten – da rannten wir Buben mit Begeisterung hinterher.

Mein Vater war kein Soldat, dafür produzierte er kriegswichtiges Sohlleder in der Meisenheimer Gerberei für die Knobelbecher, das er in der Lothringer Garnison Metz der Deutschen Wehrmacht ablieferte. Zuvor fotografierte Vater Mutter und ihre Schülerinnen nackt in ihrer Steglitzer Wandervogel-Zeit, die Fotos irritierten mich als Junge. Meine Mutter und die Frauen fand ich zwar schön, die Nacktheit der Akteure/-innen war mir peinlich. Heute weiß ich, dass die Wandervogel-Ära als Zentrum aller Visionen vom Vegetarismus und der Naturheilkunde bis zur Siedlungsbewegung reichte und Zeichen waren, die auf den Arier- und Körperkult der Nationalsozialisten hinwiesen. Meine Mutter betrieb vor meiner Geburt Gymnastik mit jungen Frauen des BDM. In einem kleinen Park (dem „Greus“-Garten), der von außen nicht eingesehen werden konnte, machten sie an der frischen Luft Leibesübungen nach Bode, Duncan, Mensendieck und Rudolf Steiner.

Meiner kindlichen Begeisterung für die Pimpfe der HJ begegneten meine Eltern mit ausführlichem Vorlesen, das wir, meine Schwester und ich, neben unserem Spielen begierig aufnahmen. Singen macht das Herz frei, so sagen wir im Volksmund. Gemeinsames und lustvolles Singen führt darüber hinaus zu sozialen Resonanzphänomenen. Ebenso das Vorlesen bedeutete für Vater und Mutter nicht nur Grimms Märchen und die „Pälzisch Weltg’schicht“ vorzutragen (die Weltg’schicht darum: Weil sie „Pfälzer Heimat“ von Paul Münch aus der benachbarten Kleinstadt Kusel darstellt), sie wollten uns etwas Weites und Bleibendes vermitteln. Dazu erzählten sie uns aus den Dorfgeschichten des Berthold Auerbach – wie das „Barfüßele“. Noch als Erwachsener träumte ich hin und wieder von dem vermittelten Leben auf dem Dorf, denn ich fühle mich von dieser märchenhaften Welt gefangen (diese Geschichten höre ich heute noch bei langen Autofahrten auf CD; vorgelesen und aufgenommen von unserem Freund in der herrlichen, ländlichen Bresse in Frankreich (Bourg-en-Bresse).

Im Spätherbst 1945 wurden zwei Jahrgangsstufen, 80 Kinder, unter den strengen, französischen Blicken in die Volksschule eingeschult (Meisenheim gehörte zur französischen Besatzungszone). Ich ging schon alleine deswegen gerne hin, weil es süßen Haferflockenbrei mit frischer Butter zu essen gab. Samstags hatten wir Schule – da roch es öfters nach verbranntem Kakao, der mir zum süßen Milchweck trotzdem schmeckte. Angebranntes Essen gab’s auch im Schwarzwald – ein paar Jahre später besuchte ich die Waldorfschule in Pforzheim - eine Rudolf-Steiner-Schule, und wohnte im „Häldenhaus“ (am Häldenweg), in der anthroposophischen Familie Ullrich, die sechzehn Kinder aufnahmen. Nach meiner Mutter Worte sollte ich – „no ebbes werre“. In der Waldorfschule lernte ich Seile drehen, in Holz, Ton, Stein und mit Eisen in der Schmiede arbeiten; ich hatte Gartenepoche, lernte meinen Namen tanzen (in Eurythmie), lernte Französisch und Rechnen, Stricken und auf der Blockflöte pfeifen. Mein Raumverständnis wurde gefördert und lässt sich mit folgenden Stichworten beschreiben: Übersteigerte Streckung, materielle Reduktion, Raumgreifen – aber auch weglassen, dem menschlichen Körper Gefühle nachempfinden, einem flächigen reliefartigen Wesen ähnlich, und Zeichnen in Ebenen des dreidimensionalen Raumes.

Kurze Zeit danach, Ende der neunten, musste ich die Waldorfschule verlassen. denn der Gerberei, die seit den 20er Jahren im Besitz meines Großvaters, des Kaufmanns Bernhard Andres, war, ging in den 60er Jahren der Atem aus und sie selbst in die Pleite. Mein Opa setzte sich zur Ruhe. Und mein Vater und die Arbeiter der Gerberei wurden arbeitslos. Vater konnte meinen Aufenthalt in Pforzheim nicht mehr finanzieren. Ab da fotografierte er keine Lebensform-Nackten, sondern Einschulungen, Hochzeiten, Dorffeste für die „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen.

Zusammen mit meiner Schwester versuchte ich in einer örtlichen Handelsschule Schreibmaschine und Steno zu lernen. Meine Mutter starb in jenen Jahren; da es im Fotogeschäft meines Vaters nicht gut lief, hatte meine Schwester „typischfürs Land, auch die Familie mit zu unterstützen“ und für meine kleinen Geschwister zu sorgen.

In einem Büro bekam sie nichts, so begann sie in der Spinnerei als Schichtarbeiterin.

Ich dagegen begann eine Ausbildung mit Lithografie/Chemographie in Bad Sobernheim. Da ich nicht die Probezeit bestand, bewarb ich mich in verschiedenen Städten (Frankfurt/M., Würzburg, Nürnberg): In Nürnberg bestand ich die Eingangsprüfung für den Retuscheurberuf in einer Boulevardzeitung, dem 8-Uhr-Blatt. Mit finanzieller Unterstützung meiner Tanten in Nürnberg/Gladbeck sowie meines Patenonkels in Alzey und dem Lehrlingsgehalt konnte ich Lehre und meinen Aufenthalt finanzieren; ich wohnte im “Weinstadl“: Einem mittelalterlichen, reichsstädtischem Gebäude. Es gehört zu den wichtigsten Baudenkmälern der Nürnberger Altstadt.

In der Retuscheur-Lehre stellte ich mich geschickt an. Ich bekam ein Gespür für fotografische Umsetzung und einen künstlerisch-ästhetischen Blick für Farben, Formen und Konturen. Zunächst zeichnete ich, was ich sah. Glühbirnen, Gläser, WELT-Streichholzschachteln, schräg gestellt – für mich schwer, denn das perspektivische Sehen machte mir Schwierigkeiten (wegen einer Dysfunktion auf meinem linken Auge). Akt- und Portraitzeichnen belegte ich in einem Abendkurs. In späteren Jahren begann ich mit freiem Zeichnen – was ich fühlte und mir ausdachte. Ich war auf den Spuren der Fantasie. In einem Ferien-Aufenthalt zeichnete ich wochenlang Marc Chagalls Feen in den Lüften (in Nizza). Die Geraden und Gegenstände in den unterschiedlichen Ebenen des Raumes hatte ich bereits in der Waldorfschule zeichnen gelernt – jetzt vertiefte ich mein Wissen und Sichtweisen – die mir auch später bei gedanklichen Anordnungen molekularer Bilder in der Chemie zugutekamen. Bildvorlagen überarbeiten konnte ich bereits für den Buchdruck: Für die „Otto“-Group oder in Fotos für das 8-Uhr-Blatt. So perfektionierte ich den jungen Models auf Werbeplakaten eine perfekte Haut oder bog deren Nase gerade, gab den beworbenen technischen Produkten in Prospekten ein schnittiges Aussehen, arrangierte Gemüse makellos zum Anbeißen. Schuhe, Gläser und Porzellan korrigierte ich, denn sie wirkten auf den Fotos meistens leicht verzerrt, trotz Einsatz einer analogen Linhof-Technika.

Retuscheur-Arbeit war in den 50er Jahren Handarbeit mit speziellen Pinseln und der Airbrushpistole, einer luftdruckgesteuerten Spritzpistole mit Double-Action-Technik. Heute werden solche Arbeiten ausschließlich digital am PC erledigt.

In meiner Lehre durchlief ich auch die Druckerei, Setzerei, Typographie, Fotolabor und Redaktion. Das versetzte mich nach ein paar Berufsjahren in die Lage – vor meinem beruflichen „Finale“ in Forensic Science bei der Polizei-Behörde bereits eine „Karriere“ in der Druckerei der Boulevardzeitung zu absolvieren. Mangelnder Interesse der Kollegen, wurde ich als „Mädchen für alles“ (auch „Schweizer Degen“ genannt) im stressigen Nachtbetrieb ausgelaugt. Neben meiner technischen Tätigkeit warteten allerdings auch Aufgaben im journalistischen Bereich auf den gegautschten Gesellen Kemp: Berichterstattung über eine Ausstellung des französischen Malers und Grafikers Bernard Buffet im „Haus der Kunst“ in München, „Catch Me If You Can“-Frauenkämpfe und Konzerte von Louis Armstrong in der Nürnberger Messehalle, und ein Polit-Highlight in Bad Kreuznach, meiner Heimat: Für mich ein Mordsding! Dort sollten sich im Jahre 1962 der französische Staatspräsident Charles de Gaulle und Konrad Adenauer auf eine Institutionalisierung der besonderen Beziehung beider Länder einigen, was 1963 in den Elysee-Vertrag mündete und heute seinen 52. Jahrestag hat (auch sichtbar an den Hinweisschildern der Partnerorte an den Ortschildern in Frankreich und Deutschland).

Als 23-Jähriger wurde ich zusammen mit dem Fotografen des 8-Uhr-Blattes nach Bad Kreuznach geschickt und sollte von dem Treffen beider Politiker berichten: Toll. Im Nachhinein bin ich stolz, bei der Begegnung beider Staatsmänner im Quellenhof dabei gewesen zu sein. Und ich war von Charles de Gaulle sehr beeindruckt, vor allem erstaunte mich, wie gut er Deutsch sprach und ausführlich auf unsere Fragen einging.

Nach Berufsjahren auf Wanderschaft, so auch kurz in West-Berlin, sowie ein halbes Jahr in London an einer Sprachschule sowie in Vorlesungen des Philosophen Bertrand Russell. In britischen Buchdruckereien wurde ich nicht akzeptiert, da ich keiner englischen Gewerkschaft im Buchdruck angehörte, so arbeitete ich als Tellerwäscher im Imperial Hotel und begleitete hin und wieder deutsche Touristen zum Einkaufen zu Harrods, dem bekannten Warenhaus Londons. Zurück in Nürnberg, arbeitete ich in einer Kunst-Druckerei – aber ohne recht zu wissen, wie es in meinem Beruf für mich weitergehen sollte. Ich hatte keine Vorstellung von meiner Zukunft und verlor mehr und mehr mein anfängliches Interesse. Den „Meister“ zu machen kam für mich aus finanziellen Gründen nicht in Betracht.

Durch Zufall kamen mir Druckfahnen eines geplanten Buches von dem Chemiker und Nobelpreisträger Linus Pauling in die Hand, die mich außerordentlich fesselten. Als Auftragsarbeit hatten wir für den Chemie-Verlag in Weinheim das Buch „Einführung in die Chemie“ zu drucken. In den Druckfahnen stellte Pauling in wunderbar einfacher Weise mit interessanten Zeichnungen unsere Welt aus Molekülen und Atomen dar. Sein Kommentar: Chemie würde unser Leben in vielfältigster Weise bestimmen.

Angeregt durch diese Druckfahnen schaute ich mich um: Und stellte fest, dass wir es ja überall mit Chemie zu tun hatten. Vom Baustoff bis hin zum Hightech-Produkt in unserer Druckerei. Wir benötigten ständig Stoffe und Materialien mit neuen oder verbesserten Eigenschaften und dafür wurden Leute mit spezieller Ausbildung gebraucht – hier fing ich bereits an, die Welt mit einem Umweltblick zu betrachten.

Pauling meinte in seinen Druckfahnen, um diesen Beruf auszuüben, müssten wir nicht unbedingt Mathe- oder Physikgenies sein. Für viele Fragestellungen bräuchten wir keine großen Formeln, eher solide Grundlagen. Gefragt waren Vorstellungskraft: Wie könnte wohl dieser Stoff mit jenem, dieses Atom mit jenem Molekül reagieren usw. Intuition, Spaß beim Bearbeiten und im Umgang mit verschiedenen Materialien. Eigentlich, so glaube ich, kann das jeder, der an künstlerischen und naturwissenschaftlichen Geschehen interessiert ist, seinen Neigungen nachgehen, vor allem denke ich da an wunderschön aussehende fraktale Bilder der Mandelbrotmengen, die eine bedeutende Rolle in der molekularen Chaosforschung einnehmen – denn oft geht’s doch auch in unserem Leben um Pole – Macht und Ohnmacht – Ordnung und Chaos. Auf jeden Fall waren diese gedruckten Seiten von Linus Pauling für mich eine Offenbarung.

Ich beschloss, im darauffolgenden Sommer die Tagungen der Nobelpreisträger – Lindau Nobel Laureaten Meetings – am Bodensee zu besuchen.

Kaum zu glauben! Gleich am ersten Abend lernte ich Linus Pauling persönlich kennen und genoss mit ihm in gemütlicher Abendrunde ein ausführliches Vieraugengespräch, das meine Zukunft wesentlich beeinflussen sollte! Pauling empfahl mir, ich solle bei Prof. Heß in Erlangen die Vorlesung „Organische Chemie“ besuchen, er hatte keine Vorstellung von meiner Schuldbildung.

Noch im Herbst des gleichen Jahres belegte ich auf einer Abendschule in Nürnberg die Fächer, die ich für die Mittlere-Reife-Prüfung (Mittlerer Bildungsabschluss) benötigte. Hin und wieder stellten sie mich in der Druckerei frei und ich fuhr zur Vorlesung des Prof. Heß nach Erlangen, ansonsten lernte ich nach seinem Skript.

In der Realschule in Roth bei Nürnberg legte ich den mittleren Bildungsabschluss ab, an der Uni in Erlangen schrieb ich die Klausur über die Grundlagen der Organischen Chemie einfach mal mit: Niemand interessierte sich für (m)eine Legitimation. Erst nachdem das gute (!) Ergebnis keiner Matrikelnummer zugeordnet werden konnte, lud mich Prof. Heß zum Gespräch über einen Anschlag am Schwarzen Brett ein.

Kurz darauf versuchte ich vermessen, wie ich war, in München ohne Erfolg das sog. Begabtenreife-Abitur. Ich ärgerte mich mächtig über mich selbst, denn die gestellten Aufgaben fand ich, in Ruhe betrachtet, lösbar – aber in der Prüfungssituation baute ich körperlich und geistig ab.

Auf Anraten des Prof. Heß in Erlangen stellte ich mich bei der BASF in Ludwigshafen vor, die mich akzeptierten.

Kurzfristig wechselte ich zur BASF und begann dort als „Fachhochschul“-Anwärter. Und fühlte mich in guten Händen und wurde intensiv betreut beim Metallfeilen, dem Glasblasen (dem Kapillarenziehen), in der Apparatetechnik, dem chemischen Rechnen und der Regeltechnik.

Einem „alten Herren“, in Frack mit Eisernem Kreuz an der Brust geheftet, einem Chemiker aus alten Zeiten, wurde ich als Auszubildender zur Seite gestellt, und er kümmerte sich um mein Vorankommen. Alle paar Wochen hatte ich ihm von meinen Fortschritten in den verschiedenen Stationen der „Anilin“ zu berichten – es war stets ein gut anderthalbstündiges und intensives Gespräch im Feierabendhaus bei einem opulenten Essen mit gutem Riesling, der Tisch war stets vom Feinsten gedeckt.

Auch die Gefahren der Chemie lernte ich kennen: Im halbtechnischen Maßstab des Technikums hatte ich eine hochgiftige Reaktion in der Phosgen-Chemie zu beaufsichtigen (und Eintragungen ins Laborhandbuch zu tätigen: Temperatur, Druck und sonst eventuelle Unregelmäßigkeiten), bei der es zu einem folgenschweren Unfall kam. Ein Praktikantenkollege bezahlte ihn mit dem Leben, denn er schaffte es in der Aufregung nicht, die Atemschutzmaske richtig anzulegen. Ich kam mit dem Schrecken davon, obwohl ich vor lauter Faszination über das grün-fluoreszierend tödliche Gemisch die Sicherheitsvorschriften nicht wirklich respektiert hatte, denn ich benutzte eine Nasenklemme, bevor ich auf die Sicherheitsplattform nach draußen rannte.

Im BASF-Technikum und -Labor durchlief ich verschiedene Stationen in den Abteilungen, in denen ich Arbeiten am Kessel und Grundlagen des chemischen-technischen Arbeitens erlernte – allerdings auch Schabernack betrieb. Manchmal schämte ich mich wegen meinem Alter, ich war deutlich älter als die Lehrlinge – ich hatte aber immer viel Spaß daran und lernte besondere Leute im Sicherheitsraum, dem sogenannten Bombenraum, im Keller kennen, in denen wir ohne Aufsicht experimentierten – wir stellten Sprengstoffe und Aphrodisiaken her. Eines der „Stoffe“ wirkte wie ein bekanntes Arzneimittel zur Behandlung von sexueller Dysfunktion.

Die Tätigkeit in der BASF erzeugte bei mir Zufriedenheit als Haben. Enge soziale Kontakte und eine Balance im Leben wurden für mich wichtig, mehr als der gut bezahlte Job im graphischen Gewerbe, der mir zudem keine Freude mehr machte. Eindrucksvoll in Erinnerung an die BASF-Zeit war nicht nur die experimentelle Arbeit im Labor und Technikum, es war auch die ermöglichte Mittagsruhe nach dem Essen mit 0,1 l Riesling auf einer Liege mit Kopfkissen aus Seide und Schottendecke. Und danach im Labor einen Espresso, vorzüglich…

Das BASF-Agrarzentrum Limburgerhof im vorder-pfälzischen Ort Limburgerhof war damals die Zentrale der BASF-Forschung für Pflanzenschutz sowie Steuerungszentrale für die Aktivitäten in der Pflanzenbiotechnologie - da praktizierte ich „in Sachen Gift“ für die Natur; erfreuliches gab’s allerdings übers Wochenende: Da ritten wir in Gruppen auf Elwedritsche- Jagd. Vor Lachen oder dem Genuss des Rieslings – hatte ich in der Jagd keinen Erfolg.

Im CAVE 54, in der Heidelberger Altstadt für Jazz, erlebte ich Duke Ellington und andere Geschichten! In dem urigen Kellergewölbe mit der kultigen Wendeltreppe gab es jeden Monat ein tolles Programm, nicht nur im Jazz.

Nach nicht einmal zwei Jahren in der BASF besuchte ich die FH Fachhochschule Jülich-Aachen, mit dem Ausbildungsziel: Chemie-Verfahrens-Ingenieur zu werden.

Gleich zu Beginn trete ich der Korporation „K.D.St.V. Bergland im CV“ bei, werde Fuchs in einem Verband von Studenten und Alumni der Fachhochschule und Hochschule (TH) Aachen, der Brauchtum und gewachsene Traditionen pflegte.

Bei meinem „Alten Herren“ wurde ich hin und wieder hervorragend bewirtet und kam über ihn an attraktive Gelegenheitsarbeiten in der textilchemischen Industrie, unabdingbar für mich wegen fehlender Finanzen.

Insofern hob sich diese Korporation deutlich von den exklusiven Kappa Beta Phi ab – deren Söhne der unvorstellbar Reichen mit albern wirkenden Ritualen, griechischen Buchstaben an die von Eliteuniversitäten bekannten Studentenverbindungen sich anlehnten. Sie haben sich Wall-Street-Bruderschaften verpflichtet, „den Geist von 1928/29 wachzuhalten“, also der Zeit vor der Weltwirtschaftskrise, und nennen „Während wir leben, essen und trinken wir“ als ihren Leitspruch und ihr Motto – im Gegensatz zur bekanntesten Bruderschaft Phi Beta Kappa, die in der „Liebe zum Lernen den Schlüssel zum Leben“ sieht, ganz toll für diejenigen, die jedenfalls nicht neben dem Studium zu arbeiten brauchen.

In dieser rheinländischen Korporation werden normalerweise männliche katholische Studenten aufgenommen, wir hatten im Anzug zu erscheinen – nicht aber im Smoking wie in Amerika. Meinem Vater, der auf dem „44. Stiftungsfest 1926“ dabei war, habe ich zu verdanken, dass sie mich als evangelischen Studenten zuließen.

In der Korporation lernte ich das Trinken „aus dem Tierhorn“ – Horn der Wisenten oder Auerochsen –, das eine Kunst war. Anfangs schwappte das Bier über mich heraus. Schwierigkeiten brockte ich mir selbst ein, als ich dem Vorsitzenden in einer Sitzung den Säbel entwendete, er hatte bereits zu viel getrunken – und ich auch. Für mich und ihn wurde das eine teure, bis zum Morgengrauen dauernde Sitzung.

Ähnlich dynamisch wie mein beruflicher Wechsel gestaltete sich meine politische „Laufbahn“. Der Sprung von rechts nach links zum ASTA ging extrem fix: Der Allgemeine Studentenausschuss war in den Fachhochschulen der Bundesländer das „Geschäftsführende Organ“ (Exekutive) und das mit der Außenvertretung betraute Organ der verfassten Studierendenschaft. Er stellte quasi unsere studentische Regierung dar. Der ASTA wurde vom Studierenden-Parlament gewählt und bestand aus einem oder mehreren Vorsitzenden sowie einer Reihe von Referenten für verschiedene Aufgabengebiete, in den ich als Pressereferent mit meiner Zeitungsvergangenheit gewählt wurde.

Und was machte ich im ASTA? Mit viel Elan nahm ich die Arbeit mancher Professoren erbarmungslos aufs Korn und untergrub ihre Autorität, sehr zum Missfallen „meines alten Herren“. Angesichts der Tatsache, dass die FH-Studenten bezüglich ihrer unterschiedlichen Vorkenntnisse ein sehr heterogenes Völkchen waren – die meisten allerdings im Willen nach Veränderung, hatten die Hochschullehrer keine einfache Aufgabe, aber Nachsicht üben wollten wir natürlich auch nicht! Einer unserer Professoren kam aus den USA – ich erinnere mich heute noch an seine hervorragenden Ausführungen in Makromolekularer Chemie. Dagegen war für mich die Physikalische Chemie reine Informatik und bestand aus unären Operationen. Aber so etwas musste anscheinend halt sein – denn wir wollten schließlich in autopoietische Systeme (Schlüsselbegriff in der soziologischen Systemtheorie von Luhmann, der den Begriff auf die Betrachtung sozialer Systeme übertrug). Unser Ziel an der FH war: Qualifizierung und Anerkennung unserer Abschlüsse in der EU! – Wie vorausschauend wir waren!

Meine Freunde und ich schulten uns an Texten der Frankfurter Schule sowie beim „Sozialistischen Deutschen Studentenbund“ und der Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten zum Weltverbesserer. Die skandierte Parole „USA-SA-SS“, die den Drang von Nazi-Kindern zur Schuldverschiebung sinnfällig skandierte.

Als Frankfurter Schule wird eine Gruppe von Philosophen bezeichnet, die an die Theorien von Hegel, Marx sowie Freud anknüpften, das in Frankfurt/Main im „Institut für Sozialforschung“ seinen Lauf nahm. Sie werden auch als Vertreter der „Kritischen Theorie“ begriffen. Diese Theorie geht auf eine Theorie von Max Horkheimer aus dem Jahre 1937 zurück. Als Hauptwerk der Frankfurter gilt das von Horkheimer und Theodor W. Adorno 1944 bis 1947 gemeinsam verfasste Buch „Dialektik der Aufklärung“.

Festhalten möchte ich aber, dass meine Beschulung im SDS mir Sicherheit in der Gremienarbeit gab, ich lernte frei sprechen vor Kommilitonen und Professoren für den Allgemeinen Studentenausschuss und in Gremien der Fach- und Technischen Hochschule (Aachen).

Aus heutiger Sicht war ich wohl ein ganz schöner Idiot: Einmal hielt ich inne und begriff, dass die meisten Dozenten/Professoren bedauernswerte Kriegsversehrte waren – die gar nicht anders konnten. Diese Fachhochschul-Dozenten (einige kamen wie gesagt von der TH-Aachen), auch mit reformerischen Ideen – wurden von uns um ihren Ruhm betrogen, denn sie waren immer noch Soldaten der Wehrmacht – obwohl für uns Alt-Nazis nicht das Thema waren.

Diese „Alten“ waren einfach nicht konfliktfreudig und wenig fachkompetent. In Erinnerung bringen möchte ich, manche meiner Fachhochschul-Kommilitonen waren bereits seit Jahren im Beruf und gestandene Chemielaboranten und einige von ihnen Chemotechniker aus der Industrie, es gab zwei Kommilitonen, die besaßen ein chemisches Werk (ihres Vaters). Sicher hatten wir übertriebene und märchenhafte Vorstellungen, was dem Ingenieur-Betrieb etwas von Lächerlichkeit überstülpte.

Der Protest bedeutete für mich auch einen Schritt für mein künftiges Berufsleben, denn langfristig zogen unsere Revolten kulturelle, politische und ökonomische Reformen nach sich.

Wiederholte Aufforderungen des Rektors an uns Störer vom ASTA, z.B. die Plenarsitzung zu verlassen, wurden ignoriert. Selbst als das Direktorium mehrmals die Polizei zu Hilfe rief – empfingen wir diese mit stinkenden Überraschungen, deren Gestank sie mittels ihrer einfachen Schutzausrüstung hilflos ausgesetzt waren und sich zurückziehen mussten. Einen luftunabhängigen Vollschutz hatten diese Beamten nicht; sie waren schlecht ausgerüstet.

In dieser Zeit hätte ich die Ohren lang gezogen bekommen müssen – denn ich hatte über dieses Tun sträflich das Lernen vernachlässigt. Die Quittung erhielt ich prompt gegen Ende meiner Studienzeit, als ich nicht alle Klausuren schaffte, um zur Abschlussprüfung zugelassen werden: Das Studieren kam in meiner Revoltenzeit einfach zu kurz – und meine Studentenzeit zog sich auch in die Länge, da ich immer wieder im Forschungszentrum Jülich-Aachen (JARA, Jülich-Aachen Research Alliance) und bei Bayer in Leverkusen arbeitete, attraktive Angebote gab es bei Nachfrage.

In JARA ummantelte ich im Wirbelbettofen Urankugeln mit Kohlenstoff zur Steuerung eines Kugelhaufenreaktors – da entstand meine erste Publikation. Bei Bayer hatte ich die Aufgabe, aus einem Lösungsmittelgemisch die Einzelstoffe mittels Destillierkolonne (es war eine 10 Meter Kolonne) zu isolieren. In Leverkusen legte ich Nachtschichten ein, die Arbeit war interessant/eigenständig und die Bezahlung gut, zudem durfte ich mir Chemikalien am Schluss meiner Arbeit aussuchen und mitnehmen. Mit Eisessig (Essigsäure) verschaffte ich mir ein beträchtliches Guthaben und konnte damit Glasbruch und benötigte Chemikalien meiner Ingenieursarbeit an der Fachhochschule bezahlen. In der Ingenieursarbeit hatte ich Makromoleküle für „Stretch“ – ein elastisches Material – aus schwefelvernetzbaren Polyurethanen zu entwickeln. Das sind Kunststoffe, die aus der Polyadditionsreaktion von Zweifach-Alkoholen mit Polyisocyanaten entstehen. Charakteristisch für Polyurethane ist die Urethan-Gruppe (NH{-}CO{-}O{-}). Für mich war das eine Weiterentwicklung der Phosgen-Arbeiten in der BASF.

Das Thema der Ingenieur-Arbeit war „Einbau von Diolen in schwefelvernetzte Polyester-Urethane“. Leider fehlten mir zur Abschlussprüfung noch einige Komponenten (Klausuren), die ich später nachholen wollte.

Begegnung mit Willy Brandt

Es war die Zeit nach der Bundestagswahl im September 1969, bei der Willy Brandt in Bonn gegen den Willen Herbert Wehners und Helmut Schmidts die Regierungskoalition mit der FDP bildete (die eine Fortsetzung der Großen Koalition vorgezogen hätten). Auf „Gut Giersberg“ in Bad Münstereifel trafen sich Willy Brandt, Herbert Wehner, Egon Bahr, Klaus Schütz sowie Heinz Kühn und arbeiteten an einer Regierungserklärung. Der Bundestag wählte Brandt im Oktober 1969 zum vierten Bundeskanzler in der BR Deutschland. Wir, eine Handvoll Studenten vom ASTA in Aachen, umgingen die Polizeiabsperrung. In die Reiterstaffeln der Bereitschaftspolizei warf ich Knallfrösche, so dass die erschreckten Vierbeiner z.T. ihre Reiter absetzten, ansonsten hatten die Polizeibeamten schwere Last, ihre verstörten Tiere im Zaum zu halten. Wir beabsichtigten das Beisammensein der Politiker durch Überwindung einer Mauer zu stören: Unser Anliegen war egoistisch, ja eine bessere Anerkennung des Ingenieurabschlusses im EU-Bereich zu fordern (das Fachhochschul-Studenten zunächst nicht zuerkannt wurde). Die meisten von uns hatten nicht gegebene Voraussetzungen in der Schule – ausländische Ingenieur-Studenten in Belgien, Holland und Frankreich hatten Abiturniveau als Hochschulzugangsberechtigung, das bedeutete zwölf Jahre Gymnasium.

Willy Brandt, der Kanzler, war der Einzige, der ohne Scheu auf uns zukam – uns mit Handschlag begrüßte, uns freundlich ansprach und uns zum Sitzen aufforderte. Ich legte vor ihm alle Scheu ab, als er mich aufforderte, ihm unsere Probleme zu skizzieren. Er nickte hin und wieder und sah mich an. Er wiederholte unsere Kernpunkte, ehe er sich an Kühn wandte und ihm unser Anliegen unterbreitete. Nach 20 Minuten war unsere Anhörung beendet und wir verließen „Gut Giersberg“. Wir traten sogar zum Pol.-Führungsstab und entschuldigten uns für unser Vorgehen.

Im „Nordrheinwestfälischen Landtag“ brachte Kühn Wochen später eine entsprechende Novelle ein, die erfolgreich für unsere Belange warb, d.h. mit unserem FH-Abschluss konnten wir fachbezogen an einer Hochschule weitermachen, heute können Ingenieur-Studenten in den meisten Bundesländern alle Fächer an einer Hochschule studieren. Diesen Erfolg hatten wir Willy Brandt zu verdanken. Überhaupt war Willy Brandt für die meisten von uns und für mich ein wirklich Großer.

Bedeutung der 70er Jahre für mich

Arbeit und Politik – das lernte ich in dieser Zeit – waren feinstens zu trennen! Sicher nicht nur zu meinem Nachteil! In der Politik Willy Brandts sah ich die Wegbereitung für den Zusammenbruch der kommunistischen Regierungen in Osteuropa und die – spätere – deutsche Wiedervereinigung, die von Willy Brandt angeblich jedoch nicht beabsichtigt war. Seinerzeit wurde ihm von konservativer Seite der CDU vorgeworfen, damit eine unnötige Anerkennung/Aufwertung der DDR betrieben zu haben. Konservative Kreise sahen in der Entspannungs-Politik nichts als den Weg zum Zusammenbruch der Staaten des Ostblocks, sondern konstatierten im Ergebnis einzig die Aufwertung und Stabilisierung der DDR-Regierung.

Heute müssen wir uns vergegenwärtigen, die von Willy Brandt ausgehenden, innenpolitische Reformen in der Sozialbildungs-und Rechtspolitik, waren enorm hoch und ich befürwortete das. Mit dem Mehr-Demokratie-Wagen (dieser Satz sollte auf Günter Grass zurückgehen) sprach er mir und vielen meiner Freunde aus dem Herzen. Jedenfalls war ich mit dem einverstanden, mit dem Willy Brandt die innenpolitische Stagnation der Nachkriegszeit überwand.

Mir ist klar, dass aufgrund der Ölkrise von 1973 und des israelisch-arabischen Jom-Kippur-Krieges diese Reformen wohl nur teilweise realisiert werden konnten. Besonders der sogenannte Radikalenerlass gegen Extremisten, der 1972 bereits eingeführt wurde, ist bis heute erhalten geblieben, den betrachte ich als Blödsinn.

Arbeit und Politik lagen doch nicht so weit auseinander: Bei Bayer in Leverkusen z.B. sagten die Personaler mir, dass ich meine politische Gesinnung vor den Werkstoren lassen sollte. In Berlin wurde ich in keiner Weise auf meine Vergangenheit angesprochen, auch nicht später bei der Pol.-Behörde sowie im Bundesministerium des Innern/Bundesministerium für Umwelt in Bonn, obwohl - dort - ich erinnere mich – dass in einer Abteilung Karten von Ostpreußen und der Umgebung Breslaus im Flur hingen! In den Augen der Nachgeborenen hat so etwas ja einen nicht vertrauten Anblick, wenn auch nicht fremden Klang: Namen der ehemaligen „deutschen Gebiete“.

Tatsächlich setzten damals Ende der 60er, wie wir heute wissen, wichtige Reformen in der Bundesrepublik ein. Träger dieser Mühen sind viele von uns heute 77-Jährigen, die irgendwie mit Remigranten, Antifaschisten sowie geläuterten Nazis gemeinsame Sachen machten – zumindest im Geiste. Das für mich äußerst spannende Buch „Sexualität und Verbrechen – Beiträge zur Strafrechtsreform“ erschien und übermittelte mir „Liberales und Politisches“ als Thema. Und Ralf Dahrendorf sprach mit seinem Buch „Gesellschaft & Demokratie in Deutschland“ für mich und andere für eine neue Debattenkultur das Wort. Die Bedeutung, die sein Buch für die weltweite 68er Revolte einnehmen sollte, war damals noch nicht abzusehen. Zwar hatte sich Herbert Marcuse als Mitarbeiter des Exilinstitutes von Horkheimer/Adorno und früher Gegner des Vietnamkrieges als oppositioneller Geist profiliert, doch in Deutschland war er noch so gut wie unbekannt. Das wurde schlagartig anders, als er seine „Eindimensionalität“ und „totale Manipulation“ und „Gesellschaft ohne Opposition“ auf „Teach Ins“ im Audimax der Freien Universität Berlin erläuterte. Allein zu seinen Auftritten im Audimax kamen Hunderte, als Provinzler entfloh ich der Gruppe in Aachen, wir schliefen in Schlafsäcken auf dem Campus der FU Berlin, um in solche Veranstaltungen morgens reinzukommen. Marcuse sprach uns stark an, er war dichter an den aktionistischen Bedürfnissen unserer Bewegung als Adorno.

Noch wichtiger für mich waren allerdings die Aufbrüche der Koitusszenen im Film „Das Schweigen“ von Ingmar Bergman. Es ist für viele heute vielleicht nicht mehr zu verstehen, wie der Sittenkodex „Wortgesang“ (von der Dichtung zur Revolution, aus dem Arabischen von Rafael Sanchez herausgegeben und mit einem Vorwort von Stefan Weidner, bei Fischer, Frankfurt am Main) damit auf den Kopf gestellt wurde – und zwar total. Oswald Kolles Film „Wunder der Liebe“ und die frühe Erotik und Fetischkunstbilder von Bettie Page oder gar Egon Schieles als Tendenz des Verhässlichens des weiblichen Körpers ließ mich staunend davor stehen. Schiele und Dorothy Iannone thematisierten weniger die femme fatale, also die erotisch anziehende Frau, sondern eher den quälenden Geschlechtsakt einer nicht mehr funktionierenden Liebe, denn es war nicht nur die Vergänglichkeit unseres Körpers, den sie mir offenbarten. Für mich gelten Bettie Page und Egon Schiele heute noch als Vorreiter(in) der sexuellen Revolution. Bettie Pages Fotos spiegeln vorbehaltlos sie als eine aufgeklärte Humanistin in der Genderfrage, angesichts der Männerparole bei uns 68ern: „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.“ Empfand ich mein Leben in der Gemeinschaft einer WG als gut – obwohl ich beziehungsmäßig in einer Krise steckte, so ließ ich mich auf ein 3-tägiges Seminar mit anschließenden Übungsstunden in die transzendentale Meditation ein, das mich aus der Depression herausholte.

Im Monatsbericht des Verfassungsschutzes fehlte jeder Hinweis auf „Kristallisationskerne“ der Neuen Linken und heute können wir diesen Kräften (im Verfassungsschutz) eine Mitverantwortung an NSU-Verbrechen attestieren. Die Demonstration vom 2. Juni 1967 war gegen den Besuch des Shahs von Persien in Berlin gerichtet, der sich als von den USA begünstigter, morgenländischer Öldespot einen unangenehmen Namen gemacht hatte. Er führte ein skrupelloses Regime, hatte Zehntausende Iraner in den Gefängnissen verschwinden lassen, aus Erzählungen Puppis, einer Studienfreundin („Konföderation iranischer Studenten – National-Union, CISNU“) hörte ich vom Verschwinden ihrer Brüder und Cousins, bis diese tot außerhalb Teherans im Straßengraben aufgefunden wurden oder ins Exil nach Deutschland getrieben wurden, wie sie. Einige von ihren Verwandten studierten ebenso in Aachen. Puppi verschwand irgendwann spurlos, all ihre Sachen blieben in Aachen zurück!