Die Autorinnen

Prof. Dr. jur. Dorothee Frings ist seit 1997 Professorin für Verfassungs-, Verwaltungs- und Sozialrecht an der Hochschule Niederrhein, Fachbereich Sozialwesen, und seit 2017 im Ruhestand und freiberuflich als Referentin und Gutachterin tätig. Von 1983 bis 1997 war sie als selbständige Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Migrationsrecht tätig.
Ihre wissenschaftlichen Schwerpunkte und Publikationen liegen im Bereich des deutschen und Europäischen Sozial-, Migrations- und Antidiskriminierungsrechts.

Prof. Dr. iur. Daniela Schweigler ist seit 2021 Professorin für Sozialrecht und Bürgerliches Recht an der Universität Duisburg-Essen. Ihr Studium absolvierte sie in Leipzig und München, ihr Referendariat in München. Ab 2008 war sie Doktorandin und später Post-Doc am MPI für Sozialrecht und Sozialpolitik in München und ab 2016 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Von 2015 bis 2021 war sie als Rechtsanwältin in einer Fachkanzlei für die Sozialwirtschaft in Darmstadt tätig.
Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen unter anderem im Recht der Teilhabe sowie im Verfahrens- und Finanzierungsrecht, jeweils unter dem Gesichtspunkt der effektiven Verwirklichung sozialer Rechte.
Daniela Schweigler ist Mitautorin dieses Buches ab der 5. Auflage (2021).

Dorothee Frings Daniela Schweigler

Sozialrecht für die Soziale Arbeit

5., überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

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5., überarbeitete Auflage 2021

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

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ISBN 978-3-17-039814-6

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Vorwort zur Reihe

Mit dem so genannten »Bologna-Prozess« galt es neu auszutarieren, welches Wissen Studierende der Sozialen Arbeit benötigen, um trotz erheblich verkürzter Ausbildungszeiten auch weiterhin »berufliche Handlungsfähigkeit« zu erlangen. Die Ergebnisse dieses nicht ganz schmerzfreien Abstimmungs- und Anpassungsprozesses lassen sich heute allerorten in volumigen Handbüchern nachlesen, in denen die neu entwickelten Module detailliert nach Lernzielen, Lehrinhalten, Lehrmethoden und Prüfungsformen beschrieben sind. Eine diskursive Selbstvergewisserung dieses Ausmaßes und dieser Präzision hat es vor Bologna allenfalls im Ausnahmefall gegeben.

Für Studierende bedeutet die Beschränkung der akademischen Grundausbildung auf sechs Semester, eine annähernd gleich große Stofffülle in deutlich verringerter Lernzeit bewältigen zu müssen. Die Erwartungen an das selbständige Lernen und Vertiefen des Stoffs in den eigenen vier Wänden sind deshalb deutlich gestiegen. Bologna hat das eigene Arbeitszimmer als Lernort gewissermaßen rekultiviert.

Die Idee zu der Reihe, in der das vorliegende Buch erscheint, ist vor dem Hintergrund dieser bildungspolitisch veränderten Rahmenbedingungen entstanden. Die nach und nach erscheinenden Bände sollen in kompakter Form nicht nur unabdingbares Grundwissen für das Studium der Sozialen Arbeit bereitstellen, sondern sich durch ihre Leserfreundlichkeit auch für das Selbststudium Studierender besonders eignen. Die Autor/innen der Reihe verpflichten sich diesem Ziel auf unterschiedliche Weise: durch die lernzielorientierte Begründung der ausgewählten Inhalte, durch die Begrenzung der Stoffmenge auf ein überschaubares Volumen, durch die Verständlichkeit ihrer Sprache, durch Anschaulichkeit und gezielte Theorie-Praxis-Verknüpfungen, nicht zuletzt aber auch durch lese(r)-freundliche Gestaltungselemente wie Schaubilder, Unterlegungen und andere Elemente.

Prof. Dr. Rudolf Bieker, Köln

Zu diesem Buch

Sozialrecht ist Grundlage und Handwerkszeug für die Soziale Arbeit.

Sozialarbeiterinnen erbringen persönliche Hilfen überwiegend zur Erfüllung sozialrechtlicher Leistungsansprüche und benötigen daher Kenntnisse des Sozialrechts als Kriterium für ihr richtiges und zulässiges Handeln.

Gleichzeitig ist jede klientenorientierte Soziale Arbeit darauf gerichtet, verfügbare Ressourcen bestmöglich nutzbar zu machen. Neben den Kompetenzen jedes einzelnen Menschen und seinen sozialen Bezügen gehören Ansprüche auf Sozialleistungen als finanzielle Ressourcen zu den wichtigen Ressourcen von Menschen in prekären Lebenslagen. Diese zu erschließen, gehört zu den Basisaufgaben Sozialer Arbeit. Sozialrechtsberatung wird den Fachkräften der Sozialen Arbeit zunehmend in allen Arbeitsfeldern abverlangt, weil die Bedingungen und Verschränkungen der verschiedenen Sozialleistungen für den Bürger nicht mehr durchschaubar sind und von den Behörden oft nicht genug Informationen und Unterstützungen zu erhalten sind. Für die Einschaltung von Rechtsanwälten gibt es im Bereich des Sozialrechts erst ab dem Widerspruchsverfahren öffentliche Hilfen (Beratungshilfe).

Dieses Lehrbuch vermittelt einen Überblick über die Bereiche des Sozialrechts, die in der Sozialen Arbeit eine besondere Rolle spielen, erhebt aber nicht den Anspruch auf eine vollständige Darstellung des Sozialrechts. Ein besonderer Schwerpunkt wird auf den Zugang zu den Leistungen gelegt sowie auf die Rechte und Pflichten der Bürger gegenüber den Sozialleistungsbehörden. Deshalb wird das Verfahrensrecht dem materiellen Sozialrecht vorangestellt; die anschließende Darstellung der einzelnen Sozialleistungen kann so immer wieder auf die allgemeinen Regelungen und Verfahrensvorschriften Bezug nehmen.

Im Übrigen folgt die Darstellung der Aufteilung der Leistungen in die vier Bereiche Vorsorge, Entschädigung, Förderung und Grundsicherung. Einzelne Leistungsgesetze werden dabei sehr knapp behandelt (z. B. Rentenversicherung) oder auch übergangen (Kriegsopferfürsorge), weil sie im Berufsalltag der Sozialen Arbeit nur eine geringe Rolle spielen. Andere Bereiche (Pflegeversicherung, Grundsicherung nach SGB II, Familienleistungen) werden detaillierter und auch in ihren Bezügen zu anderen Rechtsgebieten dargestellt, da die Kenntnis dieser Leistungen zum unverzichtbaren Handwerkszeug jeder Sozialarbeiterin gehört.

Die Leistungen für Menschen mit Behinderung werden in einem gesonderten Kapitel unabhängig von ihrer Zuordnung zu den verschiedenen Bereichen des Sozialrechts behandelt, weil in diesem Bereich die Anspruchsgrundlagen nicht aus dem Bedarf allein ermittelt werden können, sondern die Ursachen der Behinderung und die Rangfolge der verpflichteten Leistungsträger mit zu beachten sind. Was also in den Sozialgesetzen verstreut und fragmentiert geregelt ist, soll in der Darstellung für die Praxis zusammengeführt werden.

Nicht behandelt wird der Bereich des Kinder- und Jugendhilferechts nach SGB VIII; ihm widmet sich zusammen mit dem Familienrecht ein eigener Band des »Grundwissens Soziale Arbeit«.

Bewusst versteht sich dieser Band nicht als reines Wissenskompendium, sondern auch als ein Methodenbuch. Sozialarbeiterinnen können sich die Technik der Prüfung eines Leistungsanspruchs aneignen und diese Technik an verschiedenen Beispielen einüben. Eine sichere Methodenkompetenz in der Anwendung von Rechtsnormen kann nur erreicht werden, wenn stets auch die angegebenen Gesetzestexte herangezogen werden und ihr genauer Wortlaut studiert wird. Angesichts der schnellen Veränderungen im Sozialrecht empfiehlt sich die Überprüfung insbesondere der konkreten Euro-Beträge anhand der aktuellen Gesetzesfassung (http://www.gesetze-im-internet.de). Die angegebenen Gerichtsentscheidungen können über die Datenbanken juris oder beck-online (kostenpflichtig, daher nur über die Hochschulen zugänglich), zum Teil aber auch frei zugänglich im Internet abgerufen werden.

Die Geschlechterformen werden in diesem Band in unsystematischem Wechsel verwendet; es sind stets alle Geschlechter gemeint. Auch wird der Begriff des »Bürgers« nicht im Sinne von Staatsbürger, sondern im Sinne des Menschen als Gegenüber einer Behörde oder Institution verwendet; er umfasst also sowohl deutsche wie nichtdeutsche Staatsangehörige.

Frühjahr 2021
Dorothee Frings & Daniela Schweigler

Inhalt

  1. Vorwort zur Reihe
  2. Zu diesem Buch
  3. 1 Grundlagen des Sozialrechts
  4. 1.1 Der Begriff des Sozialrechts
  5. 1.2 Sozialschutz als Grundrecht
  6. 1.3 Struktur des Sozialrechts
  7. 1.4 Europäisches Sozialrecht
  8. 1.5 Sozialleistungsansprüche
  9. 1.5.1 Vorbehalt des Gesetzes
  10. 1.5.2 Prüfung von Sozialleistungsansprüchen
  11. 1.5.3 Handlungsspielräume der Sozialleistungsträger (Ermessen)
  12. 1.6 Das Verhältnis zwischen öffentlichen und freien Trägern bei der Erbringung von Sozialleistungen
  13. 1.6.1 Begriffe: freie – gemeinnützige – gewerbliche Träger – Leistungserbringer
  14. 1.6.2 Gesamtverantwortung und Trägerpluralität
  15. 1.6.3 Subsidiaritätsprinzip
  16. 1.6.4 Trägerautonomie
  17. 1.6.5 Sozialrechtliches Dreiecksverhältnis
  18. 1.6.6 Auftrag und Vergabeverfahren
  19. 1.7 Grundzüge der Finanzierung Sozialer Arbeit
  20. 1.7.1 Zuwendungsfinanzierung (auch Subventions- finanzierung)
  21. 1.7.2 Entgeltfinanzierung
  22. 2 Das Sozialverwaltungsverfahren
  23. 2.1 Der Antrag
  24. 2.1.1 Form
  25. 2.1.2 Zuständigkeit
  26. 2.1.3 Inhalt
  27. 2.1.4 Handlungsfähigkeit (§ 36 SGB I)
  28. 2.1.5 Entgegennahme und Weiterleitung (§ 16 SGB I, § 20 Abs. 3 SGB X)
  29. 2.1.6 Amtssprache (§ 19 SGB X)
  30. 2.1.7 Stellvertretung und Beistände (§ 13 SGB X)
  31. 2.2 Informationspflichten der Leistungsträger
  32. 2.2.1 Aufklärung (§ 13 SGB I)
  33. 2.2.2 Beratung (§ 14 SGB I)
  34. 2.2.3 Auskunft (§ 15 SGB I)
  35. 2.3 Prüfung des Antrags
  36. 2.3.1 Amtsermittlungsgrundsatz (§§ 20–23 SGB X)
  37. 2.3.2 Fürsorgepflichten
  38. 2.3.3 Mitwirkungspflichten (§§ 60–64 SGB I)
  39. 2.3.4 Akteneinsicht (§ 25 SGB X)
  40. 2.3.5 Anhörungspflicht (§ 24 SGB X)
  41. 2.4 Entscheidung/Verwaltungsakt
  42. 2.5 Vorläufige Leistungen
  43. 2.5.1 Vorschuss nach § 42 SGB I
  44. 2.5.2 Vorwegzahlung
  45. 2.5.3 Vorläufige Leistungen nach § 43 SGB I
  46. 2.6 Wegfall des Anspruchs
  47. 2.6.1 Verjährung (§ 45 SGB I)
  48. 2.6.2 Aufrechnung und Verrechnung (§§ 51, 52 SGB I)
  49. 2.6.3 Auszahlung bei Verletzung der Unterhaltspflicht (§ 48 SGB I)
  50. 2.6.4 Pfändung (§ 54 SGB I)
  51. 2.7 Rechtsbehelfe gegen einen Verwaltungsakt
  52. 2.7.1 Wirksamkeit des Verwaltungsaktes
  53. 2.7.2 System der förmlichen Rechtsbehelfe gegen einen Verwaltungsakt
  54. 2.7.3 Widerspruch
  55. 2.7.4 Aufschiebende Wirkung des Widerspruchs
  56. 2.7.5 Rechtsanwälte und Beratungshilfe
  57. 2.7.6 Gerichtliches Verfahren
  58. 2.7.7 Beschwerden und verwaltungsinterne Kontrolle
  59. 2.8 Aufhebung bestandskräftiger Verwaltungsakte
  60. 2.8.1 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes (Überprüfungs- antrag, § 44 SGB X)
  61. 2.8.2 Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes (§ 45 SGB X)
  62. 2.8.3 Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauer- wirkung bei Änderung der Verhältnisse (§ 48 SGB X)
  63. 2.9 Transparenz und Datenschutz
  64. 2.9.1 Datenschutz bei den Sozialleistungsträgern
  65. 2.9.2 Datenschutz bei den freien Trägern
  66. 2.9.3 Die strafrechtliche Schweigepflicht für Sozialarbeiter
  67. 3 Sozialversicherung
  68. 3.1 Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherungen (SGB IV)
  69. 3.1.1 Beschäftigung
  70. 3.1.2 Geringfügige Beschäftigung
  71. 3.1.3 Einzug der Sozialversicherungsbeiträge
  72. 3.2 Rentenversicherung
  73. 3.3 Krankenversicherung
  74. 3.3.1 Versicherte
  75. 3.3.2 Leistungen
  76. 3.3.3 Zuzahlungen
  77. 3.3.4 Verhältnis zu anderen Leistungen
  78. 3.4 Pflegeversicherung
  79. 3.4.1 Versicherte
  80. 3.4.2 Leistungen der SPV
  81. 3.4.3 Finanzierung der nicht gedeckten Kosten
  82. 3.4.4 Pflegezeitgesetz (PflegeZG) und Familien- pflegezeitgesetz (FPfZG)
  83. 3.4.5 Pflegeberatung und Pflegestützpunkte (§§ 7a–7c SGB XI)
  84. 3.5 Arbeitslosenversicherung und Arbeitsmarktintegration
  85. 3.5.1 Überblick
  86. 3.5.2 Die Lohnersatzleistungen für Versicherte
  87. 3.5.3 Leistungen der Arbeitsmarktintegration (aktive Arbeitsförderung)
  88. 3.6 Unfallversicherung
  89. 4 Soziale Entschädigung
  90. 4.1 Grundsätze der Sozialen Entschädigung
  91. 4.2 Das Opferentschädigungsgesetz
  92. 5 Soziale Förderung
  93. 5.1 Kindergeld (§§ 62 ff. EStG)
  94. 5.1.1 Kindergeld als Steuerleistung
  95. 5.1.2 Anspruchsvoraussetzungen
  96. 5.1.3 Höhe des Kindergeldes
  97. 5.1.4 Antrag auf Kindergeld
  98. 5.1.5 Verhältnis zu anderen Leistungen
  99. 5.2 Kinderzuschlag
  100. 5.2.1 Anspruchsvoraussetzungen
  101. 5.2.2 Antragstellung
  102. 5.3 Elterngeld/Elternurlaub
  103. 5.3.1 Anspruchsberechtigte
  104. 5.3.2 Varianten des Elterngeldes
  105. 5.3.3 Mehrlingszuschlag und Geschwisterbonus
  106. 5.3.4 Antrag und Zuständigkeit
  107. 5.3.5 Elternzeit
  108. 5.4 Unterhaltsvorschuss
  109. 5.5 Wohngeld
  110. 5.6 Ausbildungsbeihilfen
  111. 5.6.1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG)
  112. 5.6.2 Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz (genannt: »Meister-BAföG«)
  113. 6 Grundsicherung und Hilfen in sonstigen Lebenslagen
  114. 6.1 Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)
  115. 6.1.1 Leistungsgrundsätze
  116. 6.1.2 Übersicht über die Anspruchsvoraussetzungen (§§ 7, 19 Abs. 1 SGB II)
  117. 6.1.3 Arbeitslosengeld II bei Erwerbsfähigkeit
  118. 6.1.4 Sozialgeld bei fehlender Erwerbsfähigkeit
  119. 6.1.5 Hilfebedürftigkeit (§ 9 SGB II)
  120. 6.1.6 Gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland und Er- reichbarkeit (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, Abs. 4a SGB II)
  121. 6.1.7 Antrag (§ 37 SGB II)
  122. 6.1.8 Leistungsausschlüsse (§§ 7, 8 Abs. 2 SGB II)
  123. 6.1.9 Leistungen zum Lebensunterhalt(§§ 19–30 SGB II)
  124. 6.1.10 Bedarfs- und Haushaltsgemeinschaft (§§ 7 Abs. 3, 9 Abs. 5 SGB II)
  125. 6.1.11 Einkommens- und Vermögensanrechnung (§§ 11–13 SGB II)
  126. 6.1.12 Beispiel mit Bearbeitungsskizze
  127. 6.1.13 Arbeitsmarktintegration (§§ 14–18e SGB II)
  128. 6.2 Sozialhilfe (SGB XII)
  129. 6.2.1 Überblick
  130. 6.2.2 Leistungsprinzipien der Sozialhilfe
  131. 6.2.3 Hilfe zum Lebensunterhalt (§19 Abs. 1, § 27 SGB XII)
  132. 6.2.4 Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (§19 Abs. 2, § 41 SGB XII)
  133. 6.2.5 Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei Leistungen zum Lebensunterhalt (§§ 82 ff. SGB XII)
  134. 6.2.6 Hilfen zur Gesundheit (§§ 19 Abs. 3, 47 ff. SGB XII)
  135. 6.2.7 Hilfe zur Pflege (§19 Abs. 3, § 61 Abs. 1 SGB XII)
  136. 6.2.8 Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (§19 Abs. 3, § 67 SGB XII)
  137. 6.2.9 Hilfe in anderen Lebenslagen (§§ 19 Abs. 3, 70–74 SGB XII)
  138. 6.2.10 Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei den Leistungen in besonderen Lebenslagen (§§ 82 ff. SGB XII)
  139. 6.2.11 Rückgriff auf unterhaltsverpflichtete Angehörige (§ 94 SGB XII)
  140. 6.3 Asylbewerberleistungsgesetz
  141. 7 Leistungen für Menschen mit Behinderung
  142. 7.1 Was ist eine Behinderung?
  143. 7.2 Das Gesetz über die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung (SGB IX)
  144. 7.3 Leistungsansprüche und Leistungsträger
  145. 7.4 Die einzelnen Rehabilitationsträger
  146. 7.4.1 Träger der Unfallversicherung (SGB VII)
  147. 7.4.2 Versorgungsämter
  148. 7.4.3 Rentenversicherung (SGB VI)
  149. 7.4.4 Krankenkassen (SGB V)
  150. 7.4.5 Bundesagentur für Arbeit (SGB III, SGB II)
  151. 7.4.6 Jugendämter (SGB VIII)
  152. 7.4.7 Träger der Eingliederungshilfe (SGB IX)
  153. 7.5 Überblick über die Leistungen zur Rehabilitation und Teilhabe
  154. 7.5.1 Leistungen der medizinischen Rehabilitation
  155. 7.5.2 Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
  156. 7.5.3 Ergänzende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
  157. 7.5.4 Leistungen zur Sozialen Teilhabe
  158. 7.5.5 Teilhabe an Bildung
  159. 7.5.6 Werkstätten für behinderte Menschen
  160. 7.5.7 Persönliches Budget
  161. 7.6 Schwerbehindertenrecht (Teil 3 SGB IX, §§ 151 ff.)
  162. Literaturverzeichnis
  163. Abkürzungsverzeichnis
  164. Stichwortverzeichnis

1          Grundlagen des Sozialrechts

Was Sie in diesem Kapitel lernen können

Das erste Kapitel zeigt, wie sich das Sozialrecht in das Verfassungsrecht (Grundgesetz), in die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und in die Regelungen der Europäischen Union einordnet. Es skizziert den Inhalt und die Aufteilung des Sozialrechts und erläutert, wie man prüfen kann, ob und welche sozialrechtlichen Ansprüche vorliegen. Auch die Besonderheiten der Leistungserbringung durch freie Träger und die Grundstrukturen ihrer Finanzierung werden in einem kurzen Überblick dargestellt.

1.1       Der Begriff des Sozialrechts

Soziale Rechte dienen in einem Gemeinwesen dem Ausgleich oder der Abmilderung sozialer Ungleichheiten, die sich aus der unterschiedlichen Stellung der Personen in der Gesellschaft und damit in der Regel am Markt ergeben und die zumeist auch mit einem Machtgefälle einhergehen. Beispiele hierfür sind die Verhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Vermieterinnen und Mieterinnen, Warenproduzenten und Verbraucherinnen, aber auch allgemein vermögenden und bedürftigen Menschen. Der staatliche Auftrag ist darauf gerichtet, durch den Ausgleich der sozialen Gegensätze den gesellschaftlichen Fortschritt und Zusammenhalt zu gewährleisten und zugleich die Würde jedes einzelnen Menschen zu schützen, der sich – aus welchen Gründen auch immer – in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Unterschieden wird zwischen

•  sozialem Recht in einem weiten Sinn, welches alle Regelungen umfasst, die dem Ausgleich sozialer Ungleichheit dienen; dazu gehören auch Regelungen des Zivilrechts wie etwa das Arbeitsrecht, der Mieter- und Verbraucherschutz, aber auch weite Teile des Steuerrechts;

•  dem Sozialrecht im engeren Sinn, welches ausschließlich öffentlich-rechtliche Regelungen enthält, die Ausdruck der staatlichen Verantwortung für den Ausgleich sozialer Gegensätze sind. Es stellt ein System von Leistungsansprüchen zur Verfügung, welches den einzelnen Bürger von Lebensrisiken entlastet, die er aus eigenen Kräften nicht bewältigen kann, und ihm die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht.

Im vorliegenden Buch soll es ausschließlich um das Sozialrecht im engeren Sinn gehen.

1.2       Sozialschutz als Grundrecht

Als individuelle Grundrechte gelten in einem modernen Staat zunächst die Bürgerrechte, die dem Einzelnen die Freiheit seiner Handlungen und seines Privatlebens einschließlich des Eigentumsschutzes garantieren. Davon unterschieden werden die sozialen Grundrechte (z. B. Recht auf Arbeit, auf Wohnung, auf Bildung und auf Gesundheit), die oft als zweite Dimension der Menschenrechte bezeichnet werden.

Die Entwicklung der Grund- und Menschenrechte ist eng verbunden mit dem Übergang vom Feudalismus zur kapitalistischen Warengesellschaft im 18. Jahrhundert. Diese grundlegende ökonomische Umgestaltung wäre ohne die garantierten Freiheitsrechte des Einzelnen nicht denkbar gewesen. Erst der Schutz des Eigentums, die Kapitalbildung, das Recht auf Freizügigkeit, die Mobilität des Unternehmers mit seinen Produktionsstätten und die Handlungsfreiheit der Bürger ermöglichten die Entwicklung eines Marktes, der nicht durch die Obrigkeit gesteuert wurde.

Gleichzeitig zeigte sich schnell, dass die Arbeiter in der Industrieproduktion vollständig davon abhängig waren, ihre Arbeitskraft verkaufen zu können, und ohne Besitz oder Recht auf Land dem ständigen Risiko der Verarmung ausgesetzt waren. So drängten sie während der Französischen Revolution erstmals auf die Formulierung expliziter sozialer Grundrechte. In der französischen Verfassung von 1793 (Jakobinerverfassung) hieß es beispielsweise in Art. 21:

»Die öffentliche Unterstützung der Bedürftigen ist eine heilige Verpflichtung. Die Gesellschaft unternimmt den Unterhalt der ins Unglück geratenen Bürger, sei es nun, dass sie ihnen Arbeit gibt oder denjenigen, welche arbeitsunfähig sind, die Mittel ihres Unterhalts zusichert.«

Diese Verfassung ist nie in Kraft getreten. Die Frage nach der sozialen Verantwortung des Staates aber beschäftigt seit der Französischen Revolution Staatsrechtler und Philosophen. Wichtige theoretische Grundlagen für ein Sozialstaatsmodell finden sich bei dem deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831), der nach Antworten auf die extreme Ungleichverteilung des Eigentums in der kapitalistischen Gesellschaft sucht. Die Freiheit des Eigentums und des Warenverkehrs sollen dabei nicht beschnitten werden, allein der »sittliche« (im Sinne von gerechte) Staat soll durch vielerlei Maßnahmen, die möglichst diskret und ohne Störungen der Wirtschaftsabläufe auszuführen sind, auf soziale Problemlagen reagieren. Hegel zeichnet das Schreckgespenst des »Pöbels«, der aufständischen Massen, als konsequente Folge der Eigentumsverteilung und der Verelendung der Arbeiter im Zusammenhang mit der industriellen Produktionsweise. Die private Wohltätigkeit lehnt er als unzureichend ab, zumal der Staat sich über die Gewährung von Armenhilfe auch die Disziplinierungsgewalt sichert (Hegel 1821, § 238 ff.).

In diesen frühen Überlegungen zum Sozialstaat finden sich bereits alle wesentlichen Elemente des heutigen liberalen Sozialstaatskonzepts, d. h. so wenig wie möglich Eingriffe in die freie Marktwirtschaft bei gleichzeitiger Ausrichtung der staatlichen Armutspolitik auf die Absicherung eines Existenzminimums und auf staatlich organisierte Arbeitsbeschaffung und Beschäftigungsmaßnahmen, die sowohl der Rückkehr in Arbeit als auch der Disziplinierung durch Arbeit dienen.

In praktische Politik umgesetzt wurde die Sozialstaatsidee in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts. Kaiser Wilhelm I proklamierte in seiner Kaiserlichen Botschaft vom 17. November 1881 die politische Notwendigkeit, soziale Konflikte nicht ausschließlich durch Repressionen (die Arbeiterbewegung war durch das 1878 verabschiedete Sozialistengesetz kriminalisiert worden) einzudämmen, sondern den inneren Frieden im Lande auch durch ein Unterstützungssystem »zur Heilung der sozialen Schäden« zu wahren. Geboren war die Idee vor allem aus der Angst vor »englischen Verhältnissen«, da in der damaligen Zeit die »Trade Unions« (Gewerkschaften) in England gewaltigen Einfluss unter den Arbeitern erlangten und die Massenstreiks und Aufstände das gesamte Wirtschaftsgefüge zu bedrohen schienen. Auf der Grundlage der Kaiserlichen Botschaft führte Reichskanzler Otto von Bismarck das System der Sozialversicherungen ein. Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlten Beiträge in eine staatliche Versicherung ein, die Ende des 19. Jahrhunderts zunächst das Risiko von Krankheit (Krankenversicherung 1883), Arbeitsunfällen (Unfallversicherung 1884) und Armut im Alter (Rentenversicherung 1889) absicherte. Ende der 1920er Jahre kam die Arbeitslosenversicherung (1927) hinzu und erst in den 1990er Jahren die Pflegeversicherung (1995). Das Konzept der Sozialversicherung verband den Gedanken der Selbsthilfe, die mangels Ressourcen der Beschäftigten ohne Hilfe von außen kein funktionierendes System ergeben konnte, mit dem Verursacherprinzip, durch welches die Produzenten, die sich die Arbeitskraft der Beschäftigten zu Nutze machten, an den Kosten der sozialen Risiken beteiligt wurden. Die Sozialversicherung verband so die öffentliche Absicherung typischer Lebensrisiken mit der Entlastung des Staates von sozialen Kosten.

Das System der Sozialversicherungen ist im Kern bis heute in seinen damals geschaffenen Strukturen erhalten geblieben und bildet in Deutschland das Grundgerüst der gesamten sozialen Vorsorge.

Während die Systeme eines funktionierenden Sozialstaats entwickelt wurden, traten die sozialen Grundrechte als garantierte Bürger- und Menschenrechte gegenüber den Freiheitsrechten für lange Zeit in den Hintergrund. Nach dem Ende des Nationalsozialismus betonten die Mütter und Väter der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland die dem Einzelnen verbürgten und durchsetzbaren Freiheitsrechte, konnten sich aber nicht zur expliziten Aufnahme sozialer Rechte in den Grundrechtskatalog durchringen. Lediglich das Sozialstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 1 GG verpflichtet die Bundesrepublik auf das Konzept des Sozialstaats. Was dies jedoch im Einzelnen bedeutet, war und ist bis heute umstritten. Eine grobe Einteilung lässt drei verschiedene Sozialstaatstheorien erkennen:

a)    Das Sozialstaatsprinzip der Verfassung erteilt dem Gesetzgeber einen Auftrag, dem Bürger ein soziales Sicherungssystem zur Verfügung zu stellen. Die Gestaltung dieses Systems liegt allein in der Hand des demokratisch gewählten Gesetzgebers (der Parlamente). Die Verfassung verpflichtet weder zu bestimmten Leistungen noch zu einem bestimmten Schutzniveau (Bachof, VVDStRL 12 (1954), S. 39, 43).

b)    Das Sozialstaatsprinzip erhält seinen Wesensgehalt erst durch die enge Verzahnung mit der Verpflichtung allen staatlichen Handelns auf die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und die übrigen Freiheitsrechte. Nach diesem Ansatz werden die sozialen Grundrechte als notwendige Voraussetzung für die Verwirklichung der Freiheitsrechte gesehen (Böckenförde 1991, S. 146, 149) und der Sozialstaat dieser Verwirklichung verpflichtet (Freiheitsfunktionalität des Sozialstaats, siehe Heinig 2008, S. 222).

c)    Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Gesetzgeber zu einer »Befähigungsgerechtigkeit«. Unter Bezugnahme auf den Capability Approach von Amartya Sen soll es in der Verantwortung des Staates liegen, möglichst optimale Bedingungen für den Einzelnen zu schaffen, um entsprechend seinen Fähigkeiten ein gutes Leben führen zu können (Nussbaum 2007, S. 159 f.; Wapler, VVDStRL 78 (2019), S. 53, 68 ff.).

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist den Weg des freiheitsfunktionalen Sozialstaatsverständnisses (b) gegangen und hat damit den Mangel an ausdrücklichen sozialen Grundrechten in der Verfassung kompensiert. Der berühmte Verfassungsrechtler Günter Dürig formulierte in einer Kommentierung aus dem Jahr 1958:

»die Menschenwürde als solche ist auch getroffen, wenn der Mensch gezwungen ist, ökonomisch unter Lebensbedingungen zu existieren, die ihn zum Objekt erniedrigen.« (Dürig 1958, Art. 1 I Rn. 43)

Das freiheitsfunktionale Verständnis des Sozialstaats grenzt sich einerseits ab gegen ein ordnungsrechtlich motiviertes »staatsfunktionales« Verständnis von sozialer Sicherheit und andererseits von einem paternalistischen Wohlfahrtsstaat, der den Bürger auf eine »gute Lebensführung« verpflichtet.

Die Konsequenz aus der engen Anbindung des Sozialstaatsprinzips an die Grundrechte und insbesondere an die Menschenwürde war zunächst die Ausstattung des Einzelnen mit Rechtsansprüchen auf Sozialleistungen, durch die der Mensch vom dankbar empfangenden Untertan zum eigenverantwortlich handelnden Bürger wird (BVerwG v. 24.6.1954 – V C 78.54). Deutlichster Ausdruck der gestärkten Rechtsposition des Einzelnen gegenüber dem Staat war 1962 die Ersetzung des vom Almosenprinzip geprägten Fürsorgerechts durch das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) mit individuellen Rechtsansprüchen auf Geldleistungen. Ein verfassungsrechtlich gesicherter Anspruch auf ein bestimmtes Niveau sozialer Absicherung war damit noch nicht verbunden. Erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt sollte sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Anspruch des Einzelnen auf eine der Menschenwürde entsprechende finanzielle Existenzsicherung entwickeln (BVerfG v. 29.5.1990 – 1 BvL 20/84; BVerfG v. 9.2.2010 – 1 BvL 1/09). In der sog. Hartz-IV-Regelsatz-Entscheidung stellt das BVerfG fest:

»Art. 1 Abs. 1 GG erklärt die Würde des Menschen für unantastbar und verpflichtet alle staatliche Gewalt, sie zu achten und zu schützen (vgl. BVerfGE 1, 97 <104>; 115, 118 <152>). Als Grundrecht ist die Norm nicht nur Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates. Der Staat muss die Menschenwürde auch positiv schützen (vgl. BVerfGE 107, 275 <284>; 109, 279 <310>). Wenn einem Menschen die zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins notwendigen materiellen Mittel fehlen, weil er sie weder aus seiner Erwerbstätigkeit noch aus eigenem Vermögen noch durch Zuwendungen Dritter erhalten kann, ist der Staat im Rahmen seines Auftrages zum Schutz der Menschenwürde und in Ausfüllung seines sozialstaatlichen Gestaltungsauftrages verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die materiellen Voraussetzungen dafür dem Hilfebedürftigen zur Verfügung stehen. Dieser objektiven Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 GG korrespondiert ein Leistungsanspruch des Grundrechtsträgers, da das Grundrecht die Würde jedes individuellen Menschen schützt (vgl. BVerfGE 87, 209 <228>) und sie in solchen Notlagen nur durch materielle Unterstützung gesichert werden kann.« (BVerfG v. 9.2.2010 – 1 BvL 1/09)

Die Leistungen müssen aber keine vollständige gesellschaftliche Inklusion umfassen, vielmehr genügt es, wenn über das physische Existenzminimum hinaus ein Mindestmaß sozialer Teilhabe gewährleistet wird (BVerfG v. 9.2.2010 – 1 BvL 1/09).

Aus der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG und der Bindung des Staates an das Sozialstaatsprinzip leitet sich ein Anspruch auf Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums und auf ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe ab (soziale Sicherheit).

Auch eine grundsätzlich zulässige Unterscheidung zwischen deutschen und nicht deutschen Staatsangehörigen findet ihre absolute Grenze im Respekt vor der Menschenwürde.

»Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m Art. 20 Abs. 1 GG begründet einen Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums als Menschenrecht; es steht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu …. Migrationspolitische Erwägungen können eine geringere Bemessung der Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge nicht rechtfertigen. Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.« (BVerfG v. 18.7.2012 – 1 BvL 10/10)

Allerdings, so das BVerfG in der sog. Hartz-IV-Sanktionen-Entscheidung, darf der Gesetzgeber Sozialleistungen zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums an die Mitwirkung der Leistungsberechtigten koppeln und die Verletzung von Mitwirkungspflichten bis zu einem gewissen Grade auch durch Leistungsminderungen sanktionieren.

»Das Grundgesetz steht auch einer Entscheidung des Gesetzgebers nicht entgegen, von denjenigen, die staatliche Leistungen der sozialen Sicherung in Anspruch nehmen, zu verlangen, an der Überwindung ihrer Hilfebedürftigkeit selbst aktiv mitzuwirken oder die Bedürftigkeit gar nicht erst eintreten zu lassen. … Das Grundgesetz steht der Entscheidung nicht entgegen, nicht nur positive Anreize zu setzen oder reine Obliegenheiten zu normieren. Der Gesetzgeber kann für den Fall, dass Menschen eine ihnen klar bekannte und zumutbare Mitwirkungspflicht ohne wichtigen Grund nicht erfüllen, auch belastende Sanktionen vorsehen« (BVerfG v. 5.11.2019 – 1 BvL 7/16).

Neben der Menschenwürde bildet der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) den zweiten zentralen Maßstab für die Gestaltung des Sozialstaats. Die Gewährung von Sozialleistungen muss sich stets an gerechten Verteilungsgrundsätzen orientieren. Alle Unterscheidungen bei der Zuweisung von Hilfen benötigen sachgerechte Kriterien. Bestimmte Gruppen dürfen nur dann anders behandelt werden als andere Gruppen, wenn die Unterschiede in ihren Lebenslagen so gewichtig sind, dass sich – gemessen an den Zielen des Sozialgesetzes – die Benachteiligung oder Bevorzugung daraus rechtfertigen lässt. So werden etwa bestimmte Leistungen in Abhängigkeit von den Einkommensverhältnissen erbracht (z. B. Wohngeld, Ausbildungsförderung), weil die Gesetze der Zielsetzung folgen, die Auswirkungen geringer finanzieller Ressourcen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft auszugleichen oder zu mindern. Der Gleichheitssatz beinhaltet nicht nur das Gebot, Gleiches gleich zu behandeln, sondern ebenso die Verpflichtung, Ungleiches ungleich zu behandeln. Der Anspruch auf Gleichbehandlung steht also dem Solidaritätsprinzip nicht entgegen, welches u. a. dazu führt, dass gesetzlich Krankenversicherte alle denselben Leistungsumfang erhalten (abgesehen vom Krankengeld), obwohl sie Beiträge in ganz unterschiedlicher Höhe zahlen.

Beispiele

Die Arbeitgeberbeiträge und die eigenen Beiträge von Anton zur Gesetzlichen Krankenversicherung belaufen sich auf ca. 750 € monatlich. Sein ganzes Leben wird er jedoch relativ gesund bleiben und Leistungen nur in Höhe von durchschnittlich 500 € im Jahr in Anspruch nehmen. Kalle ist dagegen als Geringverdiener nur mit einem Beitrag von ca. 170 € versichert. Er wird jedoch auf Grund von chronischen und akuten Erkrankungen durchschnittlich Leistungen im Umfang von 5000 € im Jahr benötigen. Hier wird nicht auf eine Kongruenz zwischen Beitrag und Leistung abgestellt, sondern auf der Grundlage des Solidaritätsprinzips werden die Beiträge nach dem Erwerbseinkommen festgelegt und bei den Leistungen auf das aus medizinischer Sicht Erforderliche abgestellt.

Mia und Marlene verfügen über das exakt gleiche Nettoeinkommen. Mia erhält Wohngeld, Marlene nicht. Mia hat drei Kinder, Marlene hat keine Kinder. Die Lebenslage ist unterschiedlich, deshalb wird die Hilfe nicht unterschiedslos gewährt.

Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder Sozialgesetze für verfassungswidrig erklärt, weil bestimmte Gruppen zu Unrecht ungleich oder aber auch zu Unrecht gleich behandelt wurden.

Beispiele

Der Ausschluss von nicht erwerbstätigen Ausländerinnen (mit humanitären Aufenthaltstiteln) vom Elterngeld verstößt gegen den Gleichheitssatz, weil ihre Lebensbedingungen mit denen deutscher Familien vergleichbar sind und Frauen durch diesen Ausschluss mittelbar wegen ihrer Mutterschaft benachteiligt werden (BVerfG v. 10.7.2012 – 1 BvL 2/10).

Die Festsetzung des Beitragssatzes in der Pflegeversicherung in gleicher Höhe für Versicherte mit und ohne Kinder erklärte das BVerfG für verfassungswidrig. Der Gleichheitssatz gebiete hier eine Ungleichbehandlung, weil die Erziehung von Kindern einen Beitrag zum Generationenvertrag darstelle (BVerfG v. 3.4.2001 – 1 BvR 1629/94).

Es bestehen weitere Regelungen im Sozialrecht, bei denen die Unterscheidungskriterien verfassungsrechtlich zweifelhaft sind, z. B.:

•  die Anrechnung des Elterngeldes für nicht Erwerbstätige auf die Leistungsansprüche nach SGB II, SGB XII und Kinderzuschlag, nicht aber auf BAföG und andere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts;

•  härtere Sanktionen im SGB II für Leistungsberechtigte unter 25 Jahren als für solche ab 25 Jahren (Stellungnahme des Deutschen Vereins zum Regierungsentwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung, BR-Drs. 66/16, vom 16. März 2016, NDV 2016, 193 ff.; Janda, SGb 2015, 301 ff.; in seiner sog. Hartz-IV-Sanktionen-Entscheidung BVerfG v. 5.11.2019 – 1 BvL 7/16 – hat sich das BVerfG dazu ausdrücklich nicht geäußert).

Aus dem Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG leitet sich die Verpflichtung des Staates und der individuelle Anspruch des Bürgers auf eine gerechte Gestaltung des Sozialrechts ab (soziale Gerechtigkeit).

Auch aus dem Zusammenspiel des Sozialstaatsprinzips mit der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und dem Recht aus Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) können sich mittelbar Leistungsansprüche ergeben.

»Es ist mit den Grundrechten aus Art. 2 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und aus Art. 2 Abs 2 Satz 1 GG nicht vereinbar, einen gesetzlich Krankenversicherten, für dessen lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung eine allgemein anerkannte, medizinischem Standard entsprechende Behandlung nicht zur Verfügung steht, von der Leistung einer von ihm gewählten, ärztlich angewandten Behandlungsmethode auszuschließen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht« (BVerfG v. 6.12.2005 – 1 BvR 347/98).

Da die Verfassung keine expliziten sozialen Grundrechte enthält, bleiben dem Gesetzgeber bei der Gestaltung der sozialen Sicherungssysteme weitgehende Freiheiten, solange ein menschenwürdiges Dasein für alle gewährleistet ist. Allerdings muss sich der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Sozialrechts am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen. Danach muss bei Eingriffen in die Rechte des Bürgers unter verschiedenen Maßnahmen, mit denen ein bestimmtes staatliches Ziel erreicht werden kann, immer der mildeste Eingriff gewählt werden; es besteht ein Übermaßverbot. Geht es aber um die Gestaltung von Leistungen, so wird der Gesetzgeber auf ein Mindestmaß an sozialem Schutz verpflichtet; es besteht ein Untermaßverbot (BVerfG v. 28.5.1993 – 2 BvF 2/90). Nur in seltenen Fällen kann aber unmittelbar aus der Verfassung ein Anspruch auf eine bestimmte Leistung abgeleitet werden.

Während die sozialen Grundrechte in Deutschland nur auf Umwegen (insbesondere über den Schutz der Menschenwürde, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit und das Sozialstaatsprinzip) eine begrenzte Geltung beanspruchen können, wurden sie auf internationaler Ebene zum festen Menschenrechtsbestand. Der Einstieg erfolgte durch die »Allgemeine Erklärung der Menschenrechte« der Vereinten Nationen von 1948, in deren Art. 25 es heißt:

»Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen, sowie das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.«

Eine weitere Ausgestaltung und Konkretisierung erhielten die sozialen Grundrechte im »Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte« der Vereinten Nationen von 1966, der in Deutschland als Gesetz gilt (Bundesgesetzblatt 1973 II, S. 1569). Der Pakt enthält ein Recht auf Arbeit, auf Arbeitsschutz, auf einen angemessenen Lebensstandard, Wohnen, Gesundheit und Bildung. In Art. 7 wird z. B. das Recht auf ein Arbeitsentgelt anerkannt, welches Arbeitnehmerinnen einen angemessenen Lebensstandard für sich selbst und ihre Familien sichert. Soziale Rechte mit dem Fokus auf Kinder enthalten auch die Art. 26, 27 des »Übereinkommens über die Rechte des Kindes« (UN-Kinderrechtskonvention, KRK), das seit 1992 für Deutschland verbindlich ist (Bundesgesetzblatt 1992 II, S. 990).

In Deutschland gab es im Jahresdurchschnitt 2019 rund 120.000 Menschen, die durch die Ausweitung von Niedriglohn- und Leiharbeit zusätzlich zu einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen mussten. Insgesamt ist rund ein Viertel aller erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger erwerbstätig (BA Statistik, Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II, Erwerbstätige erwerbsfähige Leistungsberechtigte, Monats- und Jahreszahlen): im Jahresdurchschnitt 2019: 26 %). Sie können ihre Rechte aus dem Pakt aber nicht vor einem deutschen Gericht einklagen, weil in ihm nur die Verpflichtungen der Staaten festgehalten sind, nicht aber Rechtsansprüche der einzelnen Bürgerin.

Bereits 1946 wurde die International Labour Organisation (ILO), die 1919 zum Schutz der sozialen Rechte der Arbeiter gegründet worden war, als erste Sonderorganisation der Vereinten Nationen anerkannt. Deutschland ist Mitglied dieser Organisation und hat alle sog. Kernarbeitsnormen ratifiziert, die sich u. a. auf das Diskriminierungsverbot, die Vereinigungsfreiheit und das Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit beziehen.

Ende 2009 ist auch die Grundrechte-Charta der Europäischen Union (GRC) in Kraft getreten und gilt für die Bereiche, in denen die EU die Kompetenz zur Rechtsetzung hat. Im Unterschied zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) werden in der Charta auch soziale Grundrechte gewährleistet (Art. 27–38 GRC). Viele der Rechte auf Sozialleistungen sind jedoch sehr allgemein gehalten und oft auch mit dem Zusatz versehen: »nach Maßgabe des Unionsrechts und der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten«. Trotz dieser Einschränkungen entnimmt der EuGH diesen Regelungen verbindliche Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten, so etwa den Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub aus Art. 31 Abs. 2 GRC (EuGH v. 30.6.2016 – C-178/15 »Sobczyszyn«).

1.3       Struktur des Sozialrechts

Nicht alle rechtlichen Regelungen, die dem Ausgleich sozialer Unterschiede und Belastungen dienen (soziales Recht), sind zugleich auch Sozialrecht im formellen Sinne. Hierunter fallen nur die Gesetze, die im Sozialgesetzbuch zusammengefasst werden. Überwiegend handelt es sich dabei um Leistungsansprüche gegenüber öffentlichen Trägern, dazu gehören aber auch Eingriffsrechte, wie etwa die Inobhutnahme in § 42 SGB VIII, und die Regelungen über die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Leistungsträgern und privaten Leistungserbringern in den verschiedenen Sozialgesetzen. Das Sozialrecht lässt sich wie folgt in das deutsche Rechtssystem einordnen ( Abb. 1):

1.  Das Sozialrecht gehört zum öffentlichen Recht (im Unterschied zum Privatrecht).

2.  Das Sozialrecht ist Teil des Verwaltungsrechts.

3.  Das Sozialrecht ist überwiegend im Sozialgesetzbuch geregelt. Die Entschädigungsleistungen, ein Teil der Ausbildungsbeihilfen, die Familienleistungen und das Wohngeld sind allerdings nicht im SGB, sondern in gesonderten Einzelgesetzen (z. B. BAföG) beschrieben. In § 68 SGB I wird jedoch bestimmt, dass diese Einzelgesetze als besondere Teile des SGB gelten. Die Bereiche, die dem Sozialrecht zugeordnet werden, sind in §§ 18 bis 29 SGB I aufgeführt.

Abb. 1: Einordnung des Sozialrechts in die deutsche Rechtsordnung

Das Sozialrecht lässt sich in verschiedene Bereiche aufteilen; die neuere Sozialrechtslehre (so etwa Eichenhofer, 2019, S. 9 ff.) verwendet dafür überwiegend folgende Kategorien ( Tab. 1).

Tab 1: Kategorien der Sozialrechtslehre

VorsorgeEntschädigungFörderung und soziale Hilfen

Hinweis

Das Kindergeld ist für die Regelfälle im Einkommensteuergesetz (EStG) geregelt. Für alle steuerpflichtigen Personen ist es als negative Einkommensteuer ausgestaltet (zu den Details Kap. 5.1). Nur ersatzweise, wenn keine steuerpflichtigen Elternteile in Deutschland leben, wird auf das sozialrechtliche Bundeskindergeldgesetz (BKGG) zurückgegriffen.

Übersicht über wichtige Gesetze

AdVermiG

Adoptionsvermittlungsgesetz

AFBG

Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz

AsylbLG

Asylbewerberleistungsgesetz (Asylbewerber, Geduldete und be- stimmte humanitäre Aufenthalte)

BAföG

Bundesausbildungsförderungsgesetz

BBiG

Berufsbildungsgesetz

BEEG

Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz

BerHG

Beratungshilfegesetz

BFDG

Bundesfreiwilligendienstgesetz

BKGG

Bundeskindergeldgesetz (gilt nur für den Kinderzuschlag und für Kinder ohne steuerpflichtige Eltern im Bundesgebiet)

BVG

Bundesversorgungsgesetz (Kriegsopfer)

FPfZG

Familienpflegezeitgesetz

IfSG

Infektionsschutzgesetz

JFDG

Jugendfreiwilligendienstgesetz

KSVG

Künstlersozialversicherungsgesetz

MuSchG

Mutterschutzgesetz

OEG

Opferentschädigungsgesetz (bei Straftaten mit Körperschäden)

PflegeZG

Pflegezeitgesetz

ProstSchG

Prostituiertenschutzgesetz

SchKG

Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten

SGB I

Allgemeine Vorschriften für alle Sozialrechtsbereiche

SGB II

Grundsicherung für Arbeitsuchende (bzw. für Erwerbsfähige und ihre Familienangehörigen)

SGB III

Arbeitsförderung (Arbeitslosenversicherung, Arbeitsmarktintegration, Berufsausbildungsbeihilfe)

SGB IV

Gemeinsame Vorschriften über die Sozialversicherung

SGB V

Gesetzliche Krankenversicherung

SGB VI

Gesetzliche Rentenversicherung

SGB VII

Gesetzliche Unfallversicherung

SGB VIII

Kinder- und Jugendhilfe

SGB IX

Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen

SGB X

Sozialverwaltungsverfahren und Datenschutz

SGB XI

Gesetzliche Pflegeversicherung

SGB XII

Sozialhilfe

SGB XIV

Soziale Entschädigung (ab 2024)

SGG

Sozialgerichtsgesetz

UVG

Unterhaltsvorschussgesetz

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

WGG

Wohngeldgesetz

1.4       Europäisches Sozialrecht

Der Europäischen Union wird durch den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), in Kraft seit Dezember 2009, erstmals ein klares Mandat für die Rechtsetzung im Bereich des Sozialrechts zugewiesen. Ein Eingriff in die recht unterschiedlichen, historisch gewachsenen sozialen Sicherungssysteme der Mitgliedstaaten ist damit aber nicht beabsichtigt (Art. 153 Abs. 2 und Abs. 4 AEUV).

Gleichzeitig setzt die Europäische Union zahlreiche gezielte Steuerungsmechanismen ein, um die soziale Absicherung der Bürgerinnen in der Union weiterzuentwickeln und auch zu vereinheitlichen. Zum einen geschieht dies durch die »offene Methode der Koordinierung im Bereich Sozialschutz und soziale Eingliederung«. Koordiniert wird durch nationale Strategieberichte und den Austausch von Praxisbeispielen untereinander. Als weiteres Steuerungsinstrument wird der Europäische Sozialfonds eingesetzt, um gezielt für jeden Staat unterschiedliche Fördermaßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und Einkommensarmut zu finanzieren und die konzeptionelle Entwicklung im sozialen Bereich zu unterstützen.

Einen weiteren wichtigen Bereich des Europäischen Sozialrechts bildet das Koordinationssystem zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten (VO 883/2004). Die Koordinierungsregelungen haben Vorrang vor den Regelungen des § 30 SGB I, nach der in Deutschland der Anspruch auf Sozialleistungen in der Regel an den gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz im Inland gebunden ist. So können etwa Gesundheitsleistungen in jedem anderen Mitgliedstaat in Anspruch genommen werden, soweit sie während eines Aufenthalts in diesem Staat erforderlich werden (Europäische Krankenversicherungskarte). Auch werden Rentenansprüche aus verschiedenen Staaten zusammengerechnet und das Arbeitslosengeld (Alg) kann in einem anderen Mitgliedstaat bezogen werden ( Kap. 1.4). Steuerfinanzierte Leistungen wie das Kindergeld oder das Elterngeld können von den deutschen Leistungsträgern bezogen werden, wenn zwar der Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat liegt, die Beschäftigung aber in Deutschland ausgeübt wird. Soweit allerdings im Wohnsitzstaat vergleichbare Leistungen gewährt werden, werden diese von den deutschen Leistungsträgern bis zur Höhe der hiesigen Leistungen aufgestockt.

Beispiel

Agniezka lebt mit zwei Kindern in Polen und bezieht ein Kindergeld in Höhe von 240 € monatlich. Der Vater der Kinder lebt und arbeitet in Deutschland. Agniezka kann von der deutschen Familienkasse – zuständig ist für Anträge aus Polen immer die Familienkasse Sachsen in Bautzen – Kindergeld in Höhe von 198 € (2 x 219 € = 438 € abzüglich 240 €) monatlich erhalten.

Im Bereich der Koordinierung von Leistungen gibt es noch viele weitere Regelungen für Menschen, die in einem Bezug zu mehr als einem EU-Staat stehen, sie gelten grundsätzlich auch für Angehörige von Drittstaaten, die innerhalb der EU wandern.

Nicht alle Sozialleistungen können jedoch beliebig auf dem Gebiet der Europäischen Union in Anspruch genommen werden, so lassen sich Ansprüche auf Sachleistungen bislang nicht in einen anderen EU-Staat exportieren.

Beispiel

Die pflegebedürftige Rentnerin Else möchte ihren Lebensabend in Spanien verbringen. Sie kann von der deutschen Pflegeversicherung Pflegegeld bekommen, nicht aber Leistungen bei Unterbringung in einer stationären Pflegeeinrichtung, weil diese nach deutschem Recht nicht an die pflegebedürftige Person selbst gezahlt werden können, sondern nur unmittelbar an die Pflegeeinrichtung und zwar nur an eine Einrichtung in Deutschland (EuGH v. 16.7.2009 – C-208/07, »von Chamier-Glisczinski«; SG Düsseldorf v. 16.7.2017 – S 5 P 281/13).

Auch verpflichtet das EU-Recht nicht zu steuerfinanzierten existenzsichernden Sozialleistungen an Personen, die nur zum Zweck des Leistungsbezugs einreisen (EuGH v. 11.11.2014 – C-333/13 »Dano«) oder auf Arbeitsuche sind (EuGH v. 15.9.2015 – C-67/14 »Alimanovic«). Die darauf beruhenden Ausschlussklauseln im SGB II und SGB XII werden unter 6.1.8 erläutert.

1.5       Sozialleistungsansprüche

Das Sozialrecht regelt individuelle Rechtsansprüche auf Sozialleistungen in Form von Geld-, Sach- oder Dienstleistungen (§ 11 SGB I). Geschuldet werden diese Leistungen von öffentlichen Leistungsträgern (z. B. Agentur für Arbeit, Krankenkasse, Kommune).

1.5.1     Vorbehalt des Gesetzes

Vorbehaltdes GesetzesObjekt staatlichen Handelns