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Storytelling im UX-Design

Mit Heldenreise, Storyboards und dem
roten Faden zu erfolgreichen Produkten

Anna Dahlström

Deutsche Übersetzung von
Isolde und Christoph Kommer

Anna Dahlström

Übersetzung: Isolde Kommer, Christoph Kommer

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

ISBN:

1. Auflage 2021

Authorized German translation of the English edition of Storytelling in Design ISBN 9781491959428

Dieses Buch erscheint in Kooperation mit O’Reilly Media, Inc. unter dem Imprint »O’REILLY«.

Hinweis:

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 |Geschichten sind wichtig

Wie alles begann

Die Rolle von Erzählungen im Laufe der Geschichte

Storytelling-Medien

Die Rolle des persönlichen Storytellings im Alltag

Storytelling in der heutigen Zeit

Storytelling als Überzeugungstechnik

Die Rolle des Storytellings beim Produktdesign

Zusammenfassung

2 |Die Anatomie einer guten Geschichte

UX und Architektur

Aristoteles’ sieben goldene Regeln des Geschichtenerzählens

Die drei Teile einer Geschichte

Die Kunst der Dramaturgie

Was uns Dramaturgie über Produktdesign lehrt

Die zyklische Natur digitaler Produkterfahrungen

Fünf wichtige Lektionen zum Storytelling

Zusammenfassung

3 |Storytelling für das Produktdesign

Jedes Gerät ist Ihr Ausgangspunkt – überall und jederzeit

Wie sich traditionelles Storytelling verändert

Wie sich die Produktdesign-Landschaft ändert

Die Erwartungen der Verbraucher ändern sich

Zusammenfassung

4 |Die emotionale Seite des Produktdesigns

Den Sprachassistenten anschreien

Die Rolle von Emotionen beim Storytelling

Die Rolle von Emotionen im Produktdesign

Emotionen und unsere verschiedenen Bedürfnisebenen

Emotionen verstehen

Situationen, in denen Emotionen im Design eine Schlüsselrolle spielen können

Was wir vom Storytelling über Emotionen im Produktdesign lernen können

Zusammenfassung

5 |Nutzererfahrungen durch Dramaturgie definieren und strukturieren

Den Produktlebenszyklus verstehen und definieren

Die Bedeutung der dramaturgischen Arbeit für das Storytelling

Die Rolle der Dramaturgie im Produktdesign

Interpretationen der Drei-Akt-Struktur

Sequenzierung und Mini-Storys in der Produktentwicklung

Der Unterschied zwischen Akten, Sequenzen, Szenen und Einstellungen

Wendepunkte verstehen

Wendepunkte im Produktdesign

Typische Erfahrungsstrukturen der häufigsten Produktlebenszyklen

Mit Dramaturgie und Wendepunkten die Erzählstruktur von Produkterfahrungen festlegen

Zusammenfassung

6 |Charakter-Entwicklung im Produktdesign

Zurückhaltender Einsatz von Personas

Die Rolle von Charakter und Charakter-Entwicklung im Storytelling

Die Rolle von Charakteren und Charakter-Entwicklung im Produktdesign

Diese Akteure und Charaktere sollten Sie beim Produktdesign berücksichtigen

Die Wichtigkeit der Charakter-Entwicklung

Was uns traditionelles Storytelling über Charaktere und Charakter-Entwicklung lehrt

Charakterdefinition, Charakter-Entwicklung und Charakterwachstum

Werkzeuge zur Charakterdefinition und -entwicklung im Produktdesign

Zusammenfassung

7 |Das Umfeld und den Kontext Ihres Produkts bestimmen

Einmal heißt nicht immer

Die Rolle von Einstellung und Kontext beim Storytelling

Die Rolle der Umgebung und des Kontexts beim Produktdesign

Ein Blick auf den Kontext im Produktdesign

Kontextbasierte Produkte und Context-Aware Computing

Den Kontext erfassen

Die Komplexität des Kontexts berücksichtigen

Faktoren und Elemente des Kontexts im Produktdesign

Was wir vom Storytelling über Umgebung und Kontext lernen können

Zusammenfassung

8 |Der Einsatz von Storyboards im Produktdesign

Alles in einem Dokument erfassen

Die Rolle von Storyboards in Film und Fernsehen

Die Rolle von Storyboards im Produktdesign

Anhand von Storyboards das unsichtbare Problem und/oder die unsichtbare Lösung identifizieren

Storyboards anlegen

Möglichkeiten zum Einbinden von Storyboards in den Produktdesignprozess

Zusammenfassung

9 |Die Produkterfahrung visualisieren

»Die Website kennt mich und weiß, was ich will«

Erzählstrukturen

Die Formen der Erfahrung

Zwei Möglichkeiten, die Form einer Erfahrung zu bestimmen

Wann und wie Sie eine Erfahrung visualisieren

Zusammenfassung

10 |Haupt- und Nebenhandlungen auf User Journeys und Flows anwenden

Die ideale User Journey

Die Rolle von Haupt- und Nebenhandlungen in der traditionellen Erzählkunst

Die Rolle von Haupt- und Nebenhandlungen im Produktdesign

Arten von Nebenhandlungen

Was uns das Storytelling über die Arbeit mit Haupt- und Nebenhandlungen lehrt

Zusammenfassung

11 |Themen- und Storyentwicklung im Produktdesign

Reale Inhalte verwenden

Die Bedeutung von Thema und rotem Faden im Storytelling

Die Bedeutung von Thema und rotem Faden im Produktdesign

Die Entwicklung der Erzählung im traditionellen Storytelling

Was uns Storytelling über Thema und Entwicklung Ihrer Produktgeschichte lehrt

Zusammenfassung

12 |Choose-Your-Own-Adventure-Storys und modulares Design

Eine Seite für jeden Athleten

CYOA-Bücher und modulare Geschichten

CYOA und Produktdesign

Modularität im Produktdesign

Wir müssen uns auf die Bausteine konzentrieren, nicht auf die Seite oder die Ansicht

Gemeinsame Muster in auswahlbasierten Geschichten

Schlüsselprinzipien aus CYOA-Strukturen auf das Produktdesign anwenden

Was Produktdesigner von CYOA lernen können

Zusammenfassung

13 |Szenenstruktur auf Wireframes, Designs und Prototypen anwenden

Was nicht über den Falz passte

Die Rolle von Szenen und Szenenstruktur im Produktdesign

Die Bestandteile einer Szene

Elemente, die helfen, die Geschichte einer Seite oder Ansicht zu erzählen

Was uns Szenen über die Definition von Seiten oder Ansichten lehren

Zusammenfassung

14 |Ihre Geschichte präsentieren und teilen

Wie Storytelling den Tag rettete

Die Rolle des Storytellings für die Präsentation Ihrer Erzählung

Was uns traditionelles Storytelling über die Präsentation Ihrer Erzählung lehren kann

Zusammenfassung

Index

Über die Autorin

Kolophon

Vorwort

Alles beginnt mit »Es war einmal …«

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der immer Geschichten erzählt wurden. Mein Vater Ingvar ist Schriftsteller, und Lesen und Schreiben spielten in meiner Kindheit eine große Rolle. Ich erinnere mich, wie ich neben meinem Vater auf dem Sofa saß, einer meiner Brüder saß auf der anderen Seite. Dad las uns die Mumin-Bücher vor, die Chroniken von Narnia, die Gebrüder Grimm, Hans Christian Andersen und Astrid Lindgren, und wir saßen völlig vertieft da.

Die Geschichten, die er vorlas, schickten uns auf Reisen an Orte, von deren Existenz wir nichts wussten. Sie schufen Welten in unseren Köpfen und regten unsere Fantasie an, indem sie uns Dinge zeigten, die wir nie zuvor gesehen hatten. Wie bei einem Traum, aus dem man nicht aufwachen möchte, wollten wir, dass diese Vorlesesitzungen nie aufhörten. Wir wollten wissen, was als Nächstes passieren würde, wie alles begann und wie es enden würde. Abend für Abend rückten wir der Auflösung einen Schritt näher, bis die letzte Seite umgeblättert wurde und es Zeit war, ein neues Kapitel zu beginnen, manchmal auch ein neues Buch.

Viele klassische Märchen aus unserer Kindheit – Schneewittchen, Rumpelstilzchen und Hänsel und Gretel – beginnen mit einem der bekanntesten Sätze der Welt: »Es war einmal …« Laut dem Oxford English Dictionary wird der Satz in dieser oder ähnlicher Form seit mindestens 1380 verwendet, um Erzählungen von vergangenen Ereignissen einzuleiten, typischerweise in Form von Märchen und Volkserzählungen. In den 1600er-Jahren wurde er häufig verwendet, um mündliche Erzählungen zu beginnen, und diese endeten oft mit »… und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende.«

Heute gibt es eine Reihe moderner Varianten von »Es war einmal …«, vor allem in Film und Fernsehen. Eine der bekanntesten ist »Vor langer Zeit in einer weit entfernten Galaxie …«, mit der die Krieg-der-Sterne-Filme beginnen. Andere bekannte Variationen sind »In einem Land der Mythen und einer Zeit der Magie …«, das die Eröffnungszeile der TV-Serie Merlin ist, und »In der Zeit vor der Zeit …« aus dem Film Bionicle. Ob das klassische »Es war einmal …« oder eine der modernen Varianten, diese Eröffnungssätze signalisieren, dass es Zeit ist, sich zurückzulehnen, denn in der einen oder anderen Form wird eine Geschichte folgen. Dieses Buch ist die Geschichte der Rolle, die das Storytelling im Produktdesign spielt: Geschichten mit unserer Arbeit zu erzählen, ist essenziell für die Menschen und Kontexte, für die wir heute gestalten.

Die Kunst des Erzählens

Die Erzählkunst war schon immer eine hochgeschätzte Fähigkeit, und wer großartige Geschichten erzählen konnte, war oft eine wichtige Person in der Gemeinschaft. Große Storyteller waren schon immer besonders begabt darin, einprägsam und effektiv zu kommunizieren und nicht nur eine Abfolge von Ereignissen zu vermitteln, sondern auch Emotionen bei den Zuhörern hervorzurufen. So konnten sie sicherstellen, dass der Inhalt der Geschichte – sei es ein Krieg, eine Heldentat oder ein Ereignis – nicht in Vergessenheit geriet und weitergegeben werden konnte. Heute haben Technologie und Druck die Herausforderung der Informationsweitergabe gelöst, aber großartige Storyteller sind heute noch genauso wichtig wie früher.

Im Jahr 2014 veröffentlichte Raconteur einen Artikel und eine Infografik mit dem Titel »The World’s Greatest Storytellers«. Beides war das Ergebnis einer Umfrage, bei der fast fünfhundert Autoren, Journalisten, Redakteure, Studenten sowie Medien- und Marketingfachleute befragt wurden, wen sie für einen großen Geschichtenerzähler halten. Zu den Top Five gehörten William Shakespeare, J. K. Rowling, Roald Dahl, Charles Dickens und Stephen King, aber die Antworten und die Gründe für die jeweilige Wahl waren sehr unterschiedlich. Die Vorschläge erstreckten sich über Kontinente, Genres, Disziplinen und Medien. Einige wählten einflussreiche Personen in ihrem eigenen Bereich. Andere wählten Familienmitglieder, die ihre Liebe zum Schreiben und zur Geschichte beeinflusst hatten. Wieder andere begründeten ihre Entscheidung mit ihrer eigenen Definition von »großartig«. Sie alle einte, dass die Geschichten auf die eine oder andere Weise bei ihnen ins Schwarze getroffen hatten.1

Dies verdeutlicht einige der wichtigsten Aspekte einer guten Geschichte. Wie auch immer wir eine Geschichte erzählen oder entwickeln, alle guten Geschichten erwecken die Aufmerksamkeit des Publikums und finden bei ihm Resonanz. Manchmal sind sie geradezu fesselnd und ziehen uns so sehr in ihren Bann, dass wir gar nicht anders können, als weiterzublättern, um zu erfahren, was als Nächstes passiert. In anderen Fällen versetzt uns eine emotionale Erzählung in Aufregung oder sogar in Wut – »Das kann nicht richtig sein«, »Wie konnten sie das zulassen?« Alle Beispiele für gutes Storytelling beinhalten ein bisschen Magie. Der Erzähler zieht das Publikum in eine andere Welt hinein und hält es gewissermaßen gefangen, indem er die Neugier darauf weckt, wie die Geschichte enden wird.

Warum ich dieses Buch geschrieben habe

Während viele Geschichten in Film, Fernsehen, Theater und Büchern mit einem Happy End abschließen, bewegt sich das Storytelling zunehmend außerhalb seiner traditionellen Form. Eine schnelle Suche bei Google nach »Storytelling« und »Business« liefert rund 122 Millionen Ergebnisse, und es besteht kein Zweifel, dass Storytelling in den letzten Jahren zu einem Schlagwort in der Geschäftswelt geworden ist – wie dieses Buch zeigt, nicht ohne Grund. Geschichten haben die Kraft, uns zum Nachdenken zu bringen, uns emotional zu bewegen und zum Handeln aufzufordern und uns dazu zu bringen, Fakten zu verarbeiten und uns zu erinnern. Geschichten gehören zu dem, was uns menschlich macht.

Als Business-Tool ist Storytelling ebenfalls unglaublich wichtig. Wir alle haben wahrscheinlich schon grauenhafte Präsentationen erlebt, bei denen wir am liebsten den Raum verlassen hätten. Andererseits waren viele von uns schon einmal von jemandem beeindruckt, der eine großartige Präsentation abgeliefert und den ganzen Saal in seinen Bann gezogen hat. Heutzutage ist es eine zunehmend gefragte Kompetenz, ein guter Kommunikator zu sein, und das bedeutet vor allem, ein guter Storyteller zu sein. Sie wirkt sich auf unsere Fähigkeit aus, mit Kunden, Teammitgliedern und internen Stakeholdern zu kommunizieren, ob wir nun alltägliche Gespräche führen oder großartige Präsentationen erstellen und halten. Ein guter Geschichtenerzähler zu sein, spiegelt sich auch in der von uns produzierten Arbeit wider. Es wird auch immer wichtiger, wenn wir nach einer neuen Rolle suchen – von unserem persönlichen Branding bis hin zu der Präsentation unserer Person und unserer Arbeit, genauso in jedem Portfolio. Bei der Arbeit können wir alle profitieren, wenn wir wissen, wie man eine gute Geschichte erzählt.

Was unterscheidet also eine großartige Geschichte von einer durchschnittlichen oder auch einer guten Geschichte? Was macht Krieg der Sterne und Die Verurteilten zu Kassenschlagern und Harry Potter zu einem solchen Pageturner? Und warum werden bestimmte TED-Talks zu den meistgesehenen aller Zeiten?

Die Frage, was eine gute Geschichte ausmacht, war der Ausgangspunkt für die Entstehung dieses Buchs. Es ist eine Frage, die ich meinem Vater stellte, als ich mich auf meinen allerersten Vortrag zum Thema Storytelling vorbereitete. Ich wollte herausfinden, ob es außer einem Anfang, einer Mitte und einem Ende vielleicht ein magisches Rezept oder eine Formel gibt, die man anwenden kann. Ich erwartete zwar keine Antwort wie »Ja, die gibt es!«, aber die Antwort meines Vaters und die damit verbundenen Nachforschungen erwiesen sich als viel interessanter, als ich es mir hätte vorstellen können. Überall, wo man hinschaut und wo man hingeht, gibt es eine Geschichte zu erzählen. Was genau eine gute Erzählung ausmacht und wie diese mit dem Produktdesign zusammenhängt – diese Geschichte möchte ich Ihnen in diesem Buch erzählen.

Da die Welt, für die wir gestalten, immer komplexer und automatisierter wird, verschieben sich die Anforderungen an uns als UX-Designer, Product Owner, Strategen, Gründer, Marketing-Fachleute und so weiter. Nicht nur, dass sich unsere T-Form – eine Metapher, die verwendet wird, um Menschen mit Querschnittskompetenzen zu beschreiben, die über Fachwissen in mindestens einem Bereich (vertikaler Balken) verfügen und sich auch in verwandten Bereichen auskennen (horizontaler Balken) – etwas weiter ausdehnen muss, sondern wir tragen auch mehr Verantwortung. Mit den Worten des Produktdesigners Wilson Miner:

Wir entwickeln nicht nur hübsche Benutzeroberflächen, sondern eine Umgebung, in der wir für den Rest unseres Lebens den größten Teil unserer Zeit verbringen werden. Wir sind die Designer, wir sind die Konstrukteure, wie soll sich diese Umgebung anfühlen? Wie wollen wir uns fühlen?2

Um großartige Produkterfahrungen zu entwickeln und zu gestalten, die sowohl dem Benutzer als auch dem Unternehmen nützen, müssen wir Walt Disneys Fähigkeit beherrschen, sowohl das große Ganze als auch die kleinen Details richtig zu erkennen. Wir müssen auch eine wachsende Anzahl von Eventualitäten und beweglichen Teilen berücksichtigen, die definiert und gestaltet werden müssen, damit sie alle zusammenpassen. Genau wie eine gute Geschichte. Indem wir uns dem traditionellen Storytelling zuwenden, können wir auf Werkzeuge, Prinzipien und Methoden zurückgreifen, die uns dabei helfen – von der Charakterentwicklung (um alle beteiligten Akteure zu identifizieren und zu definieren, die eine Rolle spielen) bis hin zu Erzählstruktur, Haupthandlung und Nebenhandlungen, um alle Eventualitäten zu definieren und zu gestalten. Glückliche und unglückliche. Hinzu kommt natürlich noch das Set-, Szenen- und Einstellungs-Design, das uns hilft, bestimmte Teile eines Produkts oder einer Dienstleistung zum Leben zu erwecken. All dies trägt dazu bei, dass die Menschen, die unsere Produkte und Dienstleistungen nutzen oder nutzen werden, zu den Helden unserer Geschichten und der von gestalteten Erfahrungen werden.

Wie dieses Buch aufgebaut ist

In diesem Buch geht es nicht darum, neue Werkzeuge und Techniken zu entwickeln, um diejenigen zu ersetzen, mit denen wir und unsere Kunden gewohnheitsmäßig arbeiten. Stattdessen möchte ich Methoden, Werkzeuge und Prinzipien aus dem traditionellen Storytelling übernehmen und nutzen, um die von uns bereits verwendeten Techniken zu ergänzen und zu verbessern. Es gibt immer mehr Überschneidungen zwischen den verschiedenen am Produktdesign beteiligten Disziplinen und Rollen, und jedes Teammitglied beeinflusst das Projekt, das Produkt und die Erfahrung dessen auf unterschiedliche Weise. Da unsere Produkte und Dienstleistungen nicht mehr nur am Bildschirm, sondern zunehmend auch offline erfahren werden können, profitieren wir, wenn wir über den Tellerrand hinausschauen. Hier kann die Hinwendung zum traditionellen Storytelling Einblicke, Inspiration und praktische Werkzeuge liefern, die uns helfen, anders an das Produktdesign heranzugehen.

Dieses Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil liefert Hintergrund und Kontext rund um die Erzählungstheorie, ihre Relevanz für das Produktdesign, was wir beim aktuellen Stand der digitalen Erfahrungen beachten müssen und wohin wir uns entwickeln. Er ist weniger praktisch als theoretisch und bildet die Grundlage des Buchs. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie einige oder alle Themen dieses Teils bereits kennen, blättern Sie zu Teil 2.

Kapitel 1: Geschichten sind wichtig

In diesem Kapitel betrachten wir die Rolle von Erzählungen im Laufe der Geschichte als Mittel zur Weitergabe von Informationen, zur Vermittlung moralischer Werte und des hochangesehenen Berufs des Storytellers. Wir sehen uns auch an, wie sich das Medium des Storytellings entwickelt hat, welche Rolle Storytelling in unserem täglichen Leben spielt, bevor ich mit der heutigen Rolle des Storytellings im Produktdesign schließe.

Kapitel 2: Die Anatomie einer guten Geschichte

Hier beschäftige ich mich mit den Theorien, die hinter großartigen Geschichten stehen. Dazu gehören die sieben goldenen Regeln des Aristoteles, die Kunst der Dramaturgie, die Drei-Akt-Struktur des Aristoteles und die Freytag-Pyramide. Wir werfen auch einen ersten Blick darauf, was Produktdesigner von der Dramaturgie lernen können, bevor ich mit fünf wichtigen Lektionen aus verschiedenen Arten des Storytellings abschließe.

Kapitel 3: Storytelling für das Produktdesign

Im dritten Kapitel geht es zunächst um sieben Bereiche, in denen sich das traditionelle Storytelling verändert – von der Verlagerung auf On-Demand bis hin zum transmedialen Storytelling. Danach richte ich den Fokus auf die sich verändernde Produktdesign-Landschaft und deren Konsequenzen für die Beteiligten.

Im zweiten Teil des Buchs sehen Sie sich explizit an, was Sie vom traditionellen Storytelling lernen und diese Lektionen auf das Produktdesign anwenden können. Da ich selbst User-Experience-Designerin bin, geht es in jedem Kapitel dieses Teils um einen wichtigen Aspekt des UX-Designs und Parallelen zu traditionellen Storytelling-Prinzipien, -Tools und -Techniken.

Kapitel 4: Die emotionale Seite des Produktdesigns

Der Kern einer guten Geschichte ist die emotionale Verbindung, die sie mit ihrem Publikum herstellt. Ohne diese interessiert uns die Erzählung nicht. In dieser Verbindung liegt auch die Überzeugungskraft des Storytellings. In diesem Kapitel sehen wir uns an, warum Emotionen im Design immer wichtiger werden und was wir davon lernen können, wie traditionelles Storytelling Emotionen bei Lesern, Zuhörern und Zuschauern hervorruft.

Kapitel 5: Nutzererfahrungen durch Dramaturgie definieren und strukturieren

Genau wie jede gute Geschichte eine gute Struktur braucht, benötigt auch ein sorgfältig durchdachtes Produkt oder eine Dienstleistung eine gute Struktur. Die Anwendung der Dramaturgie auf unsere Produkte und Dienstleistungen ist ein einfaches, aber wirkungsvolles Werkzeug, um Ist und Soll zu analysieren. Sie hilft uns, die gewünschte Erzählung des Produkts oder der Dienstleistung, an der wir arbeiten, zu definieren. Das Kapitel zeigt Ihnen, wie es geht.

Kapitel 6: Charakterentwicklung im Produktdesign

Charaktere bilden zusammen mit der Handlung den wichtigsten Teil jeder guten Geschichte. Wenn Sie es nicht schaffen, Ihre Charaktere glaubhaft darzustellen, bleibt die Geschichte eindimensional. Machen Sie Ihre Hauptfigur – den Protagonisten – zum Helden und achten Sie auch auf die Entwicklung aller anderen Charaktere. Dann wird Ihre Geschichte mit größerer Wahrscheinlichkeit überzeugen. In diesem Kapitel sehen wir uns an, was wir vom traditionellen Storytelling lernen können, wenn es darum geht, die Menschen zu charakterisieren, für die wir unser Produkt oder unsere Dienstleistung entwickeln. Sie sehen auch, wie Storytelling hilft, all die anderen Charaktere und Akteure zu ermitteln, die zunehmend ein Teil unserer Produkt- und Service-Erfahrungen werden, zum Beispiel Bots und VUIs (Voice User Interfaces; sprachgesteuerte Benutzerschnittstellen).

Kapitel 7: Das Umfeld und den Kontext Ihres Produkts bestimmen

Das Umfeld ist eines der Hauptelemente des traditionellen Storytellings. In diesem Kapitel untersuchen wir, was Umfeld und Kontext bedeuten, welche Rolle sie im traditionellen Storytelling spielen und wie sich dies auf die Umgebung und den Kontext der Produkterfahrung übertragen lässt.

Kapitel 8: Der Einsatz von Storyboards im Produktdesign

Storyboards sind in Film und Fernsehen weit verbreitet, und bis zu einem gewissen Grad werden sie auch im Produktdesign genutzt. Hier beschäftigen Sie sich mit Storyboarding und erfahren, wie Sie Storyboards in den Produktdesignprozess einbinden können.

Kapitel 9: Die Produkterfahrung visualisieren

Die meisten Geschichten auf der ganzen Welt folgen einem von wenigen bekannten Handlungssträngen. In diesem Kapitel sehen wir uns an, was wir von den Formen und Strukturen typischer Geschichten über das Produktdesign lernen können. Die Darstellung der visuellen Form der Erfahrung mit unseren Produkten und Dienstleistungen kann uns nicht nur helfen, bessere Produkte zu konzipieren und zu gestalten, sondern auch die Akzeptanz für unsere Projekte zu erhöhen.

Kapitel 10: Haupt- und Nebenhandlungen auf User Journeys und Flows anwenden

Traditionelle Geschichten werden meist von mehreren Handlungssträngen durchzogen, die die Erzählung bilden. In diesem Kapitel betrachten Sie die Rolle von Haupt- und Nebenhandlungen im traditionellen Storytelling und erfahren, warum und wie Haupt- und Nebenhandlungen im Produktdesign angewendet werden können.

Kapitel 11: Themen- und Storyentwicklung im Produktdesign

In allen guten Geschichten geschehen die Dinge aus einem bestimmten Grund. Zu dem Kitt, der eine Geschichte zusammenhält, gehört ihr Thema. In diesem Kapitel betrachten wir das Thema im traditionelle Storytelling sowie im Produktdesign. Hier untersuchen wir auch, wie Sie Ihre Geschichte entwickeln können.

Kapitel 12: Choose-Your-Own-Adventure-Storys and modulares Design

In Choose-Your-Own-Adventure(CYOA)-Büchern ist der Leser ein aktiver Teilnehmer, der Entscheidungen über die Entwicklung der Geschichte trifft. In diesem Kapitel erfahren Sie, welche Ähnlichkeiten dies mit dem Produktdesign hat und was Sie von CYOA im Zusammenhang mit modularem Design lernen können.

Kapitel 13: Szenenstruktur auf Wireframes, Designs und Prototypen anwenden

Jedes BuchKapitel und jede Episode einer Fernsehserie ist eine Geschichte für sich, und das gilt auch für die Seiten und Bildschirme in den Produkten und Dienstleistungen, die wir gestalten. In diesem Kapitel beschäftigen wir uns damit, wie Sie mithilfe von Storytelling-Prinzipien das Layout von Seiten und Ansichten über verschiedene Geräte und Größen hinweg entwickeln und alles mit den in den vorherigen Kapiteln beschriebenen Werkzeugen zusammenführen.

Der dritte Teil umfasst das letzte Buchkapitel und bietet eine Einführung in die Bedeutung des Erzählens und Präsentierens Ihrer Geschichte.

Kapitel 14: Ihre Geschichte präsentieren und teilen

Im letzten Kapitel befasse ich mich mit der Rolle des zielgerichteten Storytellings. Ich zeige, wie wir Storytelling einsetzen können, um zu inspirieren, um sicherzustellen, dass wir für unsere Produkte und Dienstleistungen Zustimmung erhalten, und als Möglichkeit, die richtige Geschichte hinter den Daten zu finden und zu erzählen. Außerdem wissen großartige Storyteller, wie sie ihre Erzählung an das Publikum anpassen können. Damit wir am Arbeitsplatz die gewünschte Wirkung erzielen, sollten wir unsere Story-Präsentationen ebenfalls an unser Publikum anpassen, von Kunden über Teammitglieder bis hin zu internen Stakeholdern. Ich zeige Ihnen, wie Sie das anstellen, und Sie erhalten einige wichtige Tipps für visuelle und verbale Präsentationen.

Wer sollte dieses Buch lesen

Ich habe dieses Buch mit einem Zielpublikum aus UX-Designern und Praktikern wie mir im Hinterkopf geschrieben. Auch wenn dieses Buch vor allem UX-Designer ansprechen wird, sind Projekte und Produkte in der heutigen Zeit immer das Ergebnis des Zusammenwirkens vieler Menschen und Disziplinen. Wir alle, egal ob irgendwo in unserer Berufsbezeichnung »UX« vorkommt, haben einen Einfluss auf die User Experience der Produkte und Dienstleistungen, an denen wir arbeiten. Wie das Buch deutlich macht, ist alles eine Erfahrung, und die behandelten Werkzeuge, Methoden und Theorien sind wertvoll für Dienstleistungs-Designer, Produktverantwortliche, Strategen, visuelle Designer, Entwickler, Marketing-Fachleute und Start-ups. In der Tat sind sie für jede Art von Erfahrung wertvoll, nicht nur für digitale.

Das Buch wird vor allem für diejenigen von Interesse sein, die schon einige Jahre Berufserfahrung haben, aber es bietet auch Menschen mit weniger Erfahrung oder Neulingen im digitalen Bereich eine wertvolle Lektüre mit nützlichen Werkzeugen. Durch die Verweise auf traditionelles Storytelling und die neuesten technologischen Entwicklungen bietet das Buch hoffentlich auch all denjenigen eine interessante Lektüre, die sich für die Schnittmenge dieser beiden Bereiche interessieren.

So nutzen Sie dieses Buch

Obwohl die Kapitel aufeinander aufbauen und idealerweise in der richtigen Reihenfolge durchgearbeitet werden sollten, müssen Sie sie nicht auf diese Weise lesen; Sie können mit dem Kapitel beginnen, das Sie gerade interessiert.

Übung

Dieses Kastenelement zeigt eine Übung an. Die im ganzen Buch eingestreuten Übungen setzen das gerade Gelesene in Beziehung zu den Produkten und Dienstleistungen, an denen Sie arbeiten oder die Sie regelmäßig nutzen. Verwenden Sie die Übungen als Kontrollpunkte oder als Möglichkeit, Ihre Produkterfahrung zu überprüfen, zu bestimmen oder zu verbessern.

Da kein Projekt dem anderen gleicht, bietet dieses Buch keinen allgemeingültigen Rahmen, den Sie von Anfang bis Ende durcharbeiten können. Stattdessen zeigen die Kapitel einige der wichtigsten Schritte, die Sie normalerweise in einem Projekt finden, und bieten Werkzeuge, die vom traditionellen Storytelling inspiriert sind und die Sie direkt verwenden oder besser noch so anpassen können, dass sie zu Ihrem konkreten Projekt passen.

Als ergänzende Ressource habe ich unter storytellinguxdesign.com eine Website zum Thema erstellt. Hier finden Sie Fallstudien, Beispiele, nützliche Links, Arbeitsblätter und Vorlagen zum Download und vieles mehr.

So erreichen Sie uns

Kommentare und Fragen zu diesem Buch richten Sie bitte an: kommentar@oreilly.de

Wir haben eine Webseite für dieses Buch eingerichtet, auf der wir Errata, Beispiele und alle zusätzlichen Informationen auflisten. Sie finden sie auf Englisch unter https://oreil.ly/storytelling-in-design und auf Deutsch unter: https://oreilly.de/produkt/storytelling-im-ux-design

Sie finden uns auf Facebook (https://www.facebook.com/oreilly.de),

Twitter (https://twitter.com/oreillyverlag) und

Instagram (https://www.instagram.com/oreillyverlag).

Danksagungen

Dieses Buch hätte es nicht gegeben, wenn mein Vater nicht gewesen wäre, der mich zum Schreiben inspiriert hat, seit ich ein kleines Mädchen war. Er gab auch den Anstoß für das Thema dieses Buchs und half mir, die Verbindung zwischen traditionellem Storytelling und UX-Design zu erkennen.

Ein großes Dankeschön an alle bei O’Reilly und Nick Lombardi, der mich angesprochen und auf die Idee gebracht hat, ein Buch zu diesem Thema zu schreiben, was ich zunächst mit einem »Wer, ich?« abtat. »Keine Chance!« Mein besonderer Dank gilt meiner Lektorin Angela Ruffino, die an mich geglaubt hat und so viel Geduld hatte. Ein großes Dankeschön auch an Katherine Tozer, meine Produktionslektorin, Kim Cofer, meine Lektorin, und Sharon Wilkey, meine Korrektorin. Sie haben alle dazu beigetragen das Buch zu dem zu machen, was Sie jetzt in Ihren Händen halten. Ich möchte auch Jose Marzan Jr. und der Grafikabteilung von O’Reilly danken, deren Zeichnungen dieses Buch richtig zum Leben erweckt haben.

Aufgrund verschiedener Ereignisse im meinem Leben hat die Fertigstellung dieses Buchs länger gedauert, als ich es mir vorgestellt hatte. Ohne die Unterstützung meiner Familie und Freunde und insbesondere meines Partners Dion (im Folgenden D.) wäre es nicht möglich gewesen, dieses Buch zu schreiben. Angefangen damit, dass sie mir den Raum und die Zeit zum Schreiben gegeben haben, bis hin zur physischen und mentalen Unterstützung in verschiedenen Formen, Füttern, Zuhören, Umarmen und Anfeuern – vielen Dank. Ich danke meiner Schwester und ihrem Partner dafür, dass sie uns ihre BabyBjörn-Wippe geliehen haben, was die Umstrukturierung des Buchs mit einem schlafenden Neugeborenen immens erleichtert hat.

Ein großer Dank geht auch an die erste Gruppe von Gutachtern, Christian Manzella, Christian Desjardins und Ellen DeVries, die sich die Zeit genommen haben, die sehr frühe und nicht sehr gute erste Entwurfsversion durchzulesen und mir ihr unschätzbares Feedback zu geben. Genauso an die zweite Gruppe – Ryan Harper, Christy Ennis Kloote, Frances Close und Ellen Chisa –, die mir geholfen haben, die endgültige und notwendige Neustrukturierung vorzunehmen, und die mir unschätzbare Anregungen gegeben haben.

Danke an alle in der UX-Community, die mir geholfen haben, Kontakte für die Fallstudien der Website zu knüpfen oder das Buch zu promoten, sei es durch Mundpropaganda oder über die sozialen Medien. Danke an die Organisatoren der SXSW Interactive, die mich 2017 nicht nur zu einer, sondern gleich zu zwei »Lese«-Sessions bewegt haben, und an alle Konferenzteilnehmer. Und ein großes Dankeschön an die Organisatoren der folgenden Konferenzen und Meet-ups, die mich eingeladen haben, Vorträge zu halten und Workshops zu leiten, die dazu beigetragen haben, die Werkzeuge und Gedanken in diesem Buch zu destillieren und in die Praxis umzusetzen: UCD London (wo ich meinen ersten Storytelling-Vortrag hielt), Digital Pond, Design + Banter, UX Oxford, Digital Dumbo, Breaking Borders, Amuse, Bulgaria Web Summit, Funkas Tillgänglighetsdagar, UX London, Conversion Hotel, DXN Nottingham, SXSW, ConversionXL Live, Click Summit, UXLx, IIex Europe, CXL, Conversion World, NUX Camp, Conversion Elite, UX Insider, Digital Growth Unleashed, Agile Scotland, InOrbit und Webbdagarna. Vielen Dank an alle, die zu meinen Vorträgen und Workshops gekommen sind und danach mit mir geplaudert haben.

Zu guter Letzt möchte ich mich bei allen bedanken, die dieses Buch gekauft haben und es nun in den Händen halten, und bei allen, die die Vorabversion gekauft und sich nach dem Buch erkundigt haben, als es eigentlich hätte veröffentlicht werden sollen. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. Ich hoffe, dass das Buch Ihnen gefällt und dass sich das Warten gelohnt hat. Nun, es war einmal …

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Geschichten sind wichtig

Wie alles begann

Jede gute Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende. Und die Geschichte, wie es zu diesem Buch kam, folgt dem gleichen Muster. 2013 wurde ich als Rednerin zu einer Konferenz in London eingeladen und sollte über Design und Storytelling sprechen. Mein Vater und ich unterhielten uns oft über unsere jeweiligen Berufsfelder und bei diesen Gesprächen war ich immer wieder verblüfft, wie sehr die schriftstellerische Tätigkeit meines Vaters meiner Arbeit an digitalen und physischen Produkterfahrungen ähnelte. Als ich dann meinen Storytelling-Vortrag vorbereiten wollte, rief ich Dad an und fragte ihn, was für ihn als Buchautor die wichtigsten Elemente seiner Tätigkeit seien. Sie kennen den Ausspruch »aller guten Dinge sind drei« – und er meinte, dass in einer guten Geschichte drei Elemente vorhanden sein sollten:

Als Erstes, so mein Vater, sollte eine gute Geschichte Ihre Vorstellungskraft beflügeln. Genau wie die Bücher, die Dad uns vorlas, als wir klein waren, uns an unbekannte Orte entführten, sollte eine gute Geschichte mitreißen, Ihre Vorstellungskraft sollte Bilder in Ihrem Kopf produzieren. Brad Fulchuk, der Co-Autor der Fernsehserie American Horror Story sagt: »Wenn man sich selbst in dieser Situation vorstellen kann, ist es unendlich viel gruseliger.«1 Auch wenn man dem Publikum einige Dinge zeigt, sollte man den Rest der Vorstellung überlassen. Ob es sich um eine Horrorgeschichte oder ein Märchen handelt – zu der Kraft einer guten Geschichte gehört die Magie, uns die Geschehnisse sehen zu lassen.

Zweitens, so mein Vater, ist die Dynamik der Geschichte wichtig. Jede Geschichte enthält Ereignisse und Personen, die sie zusammenhalten. Die Dynamik der Geschichte liegt darin, wie sich diese vom Anfang bis zum Ende der Erzählung entwickeln. Beginnt die Geschichte mit einem Rückblick oder spielt sie in der Gegenwart oder vielleicht gar in der Zukunft? Egal, wie sie anfängt, in einer guten Geschichte geschieht alles aus einem guten Grund. Es gibt miteinander verflochtene Beziehungen, und ein roter Faden oder ein Thema zieht sich durch die Erzählung und verknüpft alles miteinander. Sowohl das alles umschließende Thema der Geschichte als auch die kleinen Details sind entscheidend für das große Ganze.

Als letztes und drittes Element einer guten Geschichte sah mein Vater das Element der Überraschung. Fulchuk drückt es perfekt aus:

Im Allgemeinen sollte es eine Grundidee geben, wohin sich die Geschichte entwickelt, aber nicht für jeden Charakter. Man weiß nicht, wer sterben wird und wer immer wichtiger wird. Vom Gesamtbild her betrachtet gibt es eine Grundidee, aber es sind auch einige Überraschungen nötig. Es ist, als ob man von New York nach L.A. fährt: Man weiß, man wird in L.A. ankommen, aber es gibt 10 verschiedene Wege, die man nehmen kann.

Dieses Zitat bringt alle drei Elemente einer guten Geschichte auf den Punkt. Beim bloßen Lesen können Sie sich vorstellen, wie Sie im dunklen Kino sitzen und den gruseligen Film sehen, über den er spricht. Ihr Herz schlägt etwas schneller als normal. Die Musik ist intensiv und Ihre Hand geht sich zwischen der Popcorntüte und Ihrem Mund hin und her. Sie wissen, dass gleich etwas geschehen wird und dass sehr wahrscheinlich gleich jemand sterben wird. Ob Sie wollen oder nicht, Sie fangen an, sich vorzustellen, wer es wohl ist und wie es passieren könnte. Sie kennen die Grundhandlung der Geschichte und während sich die Erzählung abspielt, wird die Dynamik deutlich. Sie beginnen, die kleinen Details zu erkennen, die den roten Faden ausmachen. Stück für Stück wird Ihre Idee deutlicher, wie sich die Geschichte entwickeln wird, aber Sie wollen nicht wissen, wer getötet wird oder wer der Mörder ist, auf jeden Fall noch nicht jetzt.

Als mein Vater und ich uns weiter darüber unterhielten, was eine gute Geschichte ausmacht, fielen mir die vielen Parallelen zwischen seiner Arbeit als Schriftsteller und meiner als UX-Designerin auf. In unserem täglichen Job als UX-Designer müssen wir die Vorstellungskraft und die Aufmerksamkeit der Menschen, für und mit denen wir arbeiten, und der Nutzer, für die wir gestalten, einfangen. Natürlich versuchen wir nicht, unsere Nutzer und Kunden zu erschrecken, aber unsere Produkte und Dienstleistungen werden erfolgreicher, wenn sie sich vorstellen können, wie sie sie nutzen können, und wenn sie sich mit der von uns erzählten Geschichte identifizieren können.

Die Fähigkeit, die Vorstellungskraft zu beflügeln, ist auch der Schlüssel zur Entwicklung von Empathie bei den Nutzern, für die wir gestalten, und um Kunden und internen Stakeholdern unsere Ideen zu verkaufen. Diese Kompetenz ist unverzichtbar, damit sie den von uns angebotenen Benefit und unsere Vision erkennen können und unsere verbalen und visuellen Präsentationen gelingen.

Im Hinblick auf die Dynamik und den roten Faden muss alles, was wir gestalten, eine deutliche Erzählung und Struktur bieten. Jeder Inhalt und jedes Feature sollte aus einem bestimmten Grund existieren. Wie Sie in Kapitel 11 sehen werden, sollten diese Elemente einem ganz bestimmten Zweck dienen und den Nutzer zu einer Handlung auffordern.

Und zuletzt zum Überraschungsmoment: Obwohl der rote Faden und die Struktur alles durchziehen sollten, sollten wir nicht jeden einzelnen Call-to-Action als solchen kennzeichnen oder die Möglichkeit, Erfahrung zu sammeln, zu stark einschränken. Stattdessen sollten wir die Nutzer ihren eigenen Weg finden lassen. Eine großartige Möglichkeit besteht darin, Überraschungselemente in unsere Produkte und Dienstleistungen einfließen zu lassen, um den Nutzer zurückzuholen und seine Aufmerksamkeit beim Scrollen auf der Seite zu erhalten oder um einen üblicherweise mühsamen Vorgang wie eine An- oder Abmeldung in eine angenehme Überraschung zu verwandeln.

Dies waren nur ein paar der Gedanken, die mir nach dem Gespräch mit meinem Varer kamen. Nachdem ich traditionelle Storytelling-Techniken erforscht hatte, wurde mir klar, was für ein machtvolles Werkzeug das Storytelling ist. So viele Aspekte – vom Sinn des Geschichtenerzählens bis zu den verschiedenen Möglichkeiten, sie zu strukturieren, zu erzählen und zum Leben zu erwecken – können auf verschiedene Aspekte des Designs und der Arbeit mit digitalen Produkten und Erfahrungen angewandt werden.

In diesem Kapitel beschäftigen wir uns mit der Bedeutung des Storytellings im Laufe der Geschichte, verschiedenen Medien des Geschichtenerzählens und der Rolle, die es heute noch spielt. Wenn Sie die Geschichte des Storytellings kennen, können Sie gerne bis zum Ende des Kapitels vorblättern, dort schreibe ich über die heutige Rolle des Storytellings und seine Bedeutung für das Produktdesign.

Die Rolle von Erzählungen im Laufe der Geschichte

Wenn Sie in der Geschichte zurückblicken, erkennen Sie, dass Erzählungen schon immer ein wichtiger Teil unseres Lebens waren. In diesem Abschnitt werfe ich einen Blick auf einige Aufgaben des Storytellings.

Storytelling als Mittel zur Verknüpfung und Weitergabe von Informationen

Lange bevor das geschriebene Wort ungefähr um 3200 v. Chr. in Mesopotamien erfunden wurde,2 erzählte man sich Geschichten über den Mond und die Sterne, Schlachten, die verloren und gewonnen wurden, und über die Welt da draußen, die wir noch nicht entdeckt hatten. Storytelling war unsere Möglichkeit, Informationen an andere Generationen weiterzugeben, damit Geschichte, Fakten und Traditionen nicht verloren gingen, zum Beispiel, wie man in der Natur überlebt. Geschichten halfen uns auch, die Welt um uns herum zu verstehen.

Sie halfen uns zu erklären, was wir nicht verstanden, die Dinge, die wir fürchteten und die wir begehrten. Geschichten halfen uns, unsere Erfahrungen greifbarer zu machen, förderten und erhielten das Gemeinschaftsgefühl, indem sie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbanden. Durch Geschichten konnten wir anderen Einblick in das Geschehene geben und unsere Ansichten über die Welt, in der wir lebten, teilen.

Storytelling als Möglichkeit, moralische Werte zu vermitteln

Während Storytelling in der Frühzeit hauptsächlich benutzt wurde, um Informationen zu erklären und weiterzugeben, sind Fabeln – prägnante, erfundene Geschichten in Prosa oder Versform, die Tieren, Pflanzen und mystischen Kreaturen menschliche Züge verleihen – ein Beispiel dafür, wie Erzählungen im Laufe der Geschichte genutzt wurden, um moralische Werte zu vermitteln. Auch heute lehren uns Aesops Fabeln, eine Sammlung von Fabeln, die dem Sklaven Aesop, der zwischen 620 und 564 v. Chr. in Griechenland lebte, zugeschrieben wird, Lektionen über das Leben. Fabeln wurden jedoch auch für andere Zwecke genutzt.

Im Mittelalter wurden sie als Weg genutzt, um sich über gesellschaftliche Ereignisse lustig zu machen und um sie zu parodieren, ohne Repressalien zu riskieren. Auch im alten Griechenland und in römischen Zeiten bestanden die ersten Progymnasmata – Trainingsübungen, die sich auf das Verfassen von Prosa und öffentlicher Reden konzentrierten – aus Fabeln. Die Studenten wurden angewiesen, eine Vielzahl Fabeln zu erlernen, sie zu vertiefen, selbst welche zu ersinnen und sie dann in überzeugenden Argumenten zu nutzen. Das steht in einem engen Zusammenhang mit der Bedeutung, die das Storytelling heute in Design und der Arbeitswelt allgemein einnimmt, egal ob bei Präsentationen, bei einem Vortrag oder bei der Vorstellung von Arbeitsergebnissen.

Storytelling als Beruf

Ob der Umsatz gesteigert werden oder ein Bestseller entstehen soll – Storytelling in jeder Form ist eine wahre Kunst. Im Mittelalter waren Geschichtenerzähler sehr angesehen und ihr Beruf galt als einer der besten überhaupt. Troubadoure oder Barden reisten von Ort zu Ort und waren als Unterhalter und Lehrer sehr gefragt. Geschichtenerzähler verschiedener Stämme veranstalteten sogar Wettbewerbe, wer die spannendste und fesselndste Geschichte erzählen konnte.

Klein Dytham Architecture