Titel der Originalausgabe: »The Wisdom of the Zen Masters«. Copyright © 2007 by The Zen Trust, London.

Deutsche Rechte: Copyright © Werner Kristkeitz Verlag, Heidelberg 2011. Alle Rechte für sämtliche Medien und jede Art der Verbreitung, Vervielfältigung, Speicherung oder sonstigen, auch auszugsweisen Verwertung bleiben vorbehalten.

ISBN (eBook) 978-3-932337-75-8

ISBN (gebundenes Buch) 978-3-932337-46-8

www.kristkeitz.de

Inhalt

Vorwort

Einleitung
 von Christmas Humphreys

I
Die Weisheit der Zen-Meister

II
Geschichten und Aussprüche

Die Autorin

Vorwort

Bevor man den Versuch unternimmt, die seltsamen, aber doch faszinierenden Aussprüche der Zen-Meister zu verstehen, unter denen Frau Dr. Schlögl hier eine derartig bewundernswerte Auswahl getroffen hat, mag es hilfreich sein, die besondere Stellung der Zen-Schule innerhalb des Buddhismus zu betrachten, die im gesamten Bereich der Religion wohl nicht ihresgleichen hat.

Gautama der Buddha lebte im sechsten Jahrhundert v. u. Z. im Nordosten Indiens. Traditionsgemäß versammelten sich seine Schüler nach seinem Tod und einigten sich aufgrund Ihrer gemeinsamen Erinnerung über ein umfangreiches Korpus seiner Ansprachen. Diese wurden danach niedergeschrieben und bilden seitdem den Pāli-Kanon, das sind die Schriften des Theravāda oder der Südlichen Schule, wie sie heute in Śrī Laṅkā, Birma und Thailand vertreten ist. Dies ist die älteste Schu­le des Buddhismus, die überlebt hat, und sie bietet in jedem Fall eine großartige sittliche Philosophie oder Lebensweise.

Aber schon bald gab es Aufspaltungen, wie es bei allen Religionen vorkommt, sei es wegen bestimmter Details in der Lehrmeinung selbst, oder sei es wegen wesentlicher Weiterentwicklungen verschiedener Aspekte der Lehre. Diese Entwicklung vollzog sich in unterschiedlichen, manchmal sogar entgegengesetzten Richtungen, doch entstammen all die Schulen, die sich auf diese Weise innerhalb der nächsten tausend Jahre bildeten, von der Erleuchtung des Buddha ab, und die grundlegenden Prinzipien sind wohl allen gemeinsam.

Die tiefgründigste Entwicklung stützt sich auf Nā­gār­juna (2. Jh. u. Z.), einen der größten Geister des Buddhismus. Seine Mā­dhyamika-Schule, ein «mittlerer Weg» zwischen den Extremen Nihilismus und Eternalismus, zerstört schonungslos den Glauben an irgendein getrenntes Ding und beweist, dass alles im Saṃsāra, der Welt, in der wir leben, leer, hohl und insgesamt Nichts ist. Alle Dinge existieren im gewöhnlichen Sinn des Begriffes, aber kein Ding existiert eigenständig.

Diese Lehre, die in der berühmten Literatur «der transzendenten Weisheit» niedergelegt ist, bildet den meta­physischen Hintergrund der Zen-Schule, geht aber weit über bloße philosophische Diskussion hinaus. Sie basiert auf der spirituellen Erfahrung von Menschen, die bis zum Ende des Denkens dachten und dann weit darüber hin­ausgingen. Hier ist der geistige Ausgangspunkt, von dem der Zen-Anhänger, durch das intensive Üben unter seinem Meister angespornt, ins Unbekannte hineinspringt und – das Selbst im Inneren findet. Und wenn er sich selbst findet, entdeckt er, dass er auch alle anderen ‹Selbste› ist, die alle auf die gleiche Weise eins sind mit demselben Buddha-Herzen, und dass es tatsächlich «keine anderen gibt». Wie wir es in Die Stimme der Stille von H. P. ­Blavatsky lesen können: «Schau nach innen, du bist Bud­dha.»

Aber auch diese hohe Ebene des Bewusstseins muss in Gedanken und Begriffen und den daraus entstehenden Schriften ausgedrückt – und daher auch eingegrenzt – werden. Gleichwohl war die Erleuchtung des Buddha in ihrem Kernpunkt ein Ausbrechen aus diesem Bereich der Begriffe mit seinen Fesseln der Dualität. Gautama wurde schließlich der Buddha, als er mit dem Bereich jenseits der Begriffe verschmolz, mit der Nichts-heit, die gleichzeitig All-heit ist, mit dem lebendigen Ganzen, das er «das Ungeborene, Anfangslose, Ungeformte» nannte, welches tausende von Namen hat, aber kein Dasein, das unser Geist verstehen könnte.

Es kam die Zeit, da diese Grundgedanken und ihre ­Auswirkungen auf die spirituelle Entwicklung des Menschen von Indien nach China gelangten. Nach der Über­lieferung geschah es im 6. Jh. u. Z., dass Bodhidharma, ein ­berühmter indischer Weiser, in der Hauptstadt Chinas ankam und als berühmter Gelehrter an den Hof des Kaisers geladen wurde. Die daraufhin folgende Unterredung war ­sicherlich eine der dramatischsten der Religionsgeschichte.

Der Kaiser fragte seinen Besucher: «Seit Beginn meiner Herrschaft habe ich sehr viele Tempel errichtet, viele heilige Bücher abschreiben lassen und sehr viele Mönche unterstützt. Was mag Eurer Meinung nach mein Verdienst sein?»

«Überhaupt kein Verdienst, Majestät», antwortete der Weise.

«Wieso?», forschte der Kaiser erstaunt nach.

«All das sind lediglich geringwertige Taten», antwor­tete Bodhidharma, «die dazu führen, dass ihr Urheber in den himmlischen Welten oder auf dieser Erde wiederge­boren wird. Sie zeigen noch Züge von Weltlichkeit … Eine wirklich verdienstvolle Tat ist voll von reiner Weisheit, und ihre wirkliche Natur liegt jenseits dessen, was die menschliche Intelligenz erfassen kann …»

Dann fragte der Kaiser seinen Gast: «Welches ist das erste Prinzip der heiligen Lehre?»

«Weite Leere», lautete die Antwort, «und nichts Heiliges ist in ihr!»

«Und wer steht mir dann hier gegenüber?»

«Das weiß ich nicht, Majestät», sprach Bodhidharma.

Diese seltsame und ungestüme Haltung war die direkte Antithese zu den damaligen indischen Buddhisten, aber die Chinesen liebten das. Warum sollte man in einem ganzen Buch beschreiben, was dem Geist mit einem einzigen Wort eingeprägt werden kann, oder auch nur durch eine Geste oder einen Schlag mit einer Fliegenklatsche?

Ein Schüler, der vom Polospielen erschöpft war, kam zum Haus seines Meisters. «Bist du müde?», fragte der Meister. «Ja, Meister.» – «Waren die Ponys müde?» – «Ja, Meister.» – «War der Torpfosten müde?» … Es dauerte bis Mitternacht, bis es der Schüler plötzlich «kapierte», und er weckte seinen Meister auf, um es ihm zu berichten. Der Meister war erfreut. Dies war für den chinesischen Geist wesentlich effektiver als ein Buch voller Predigten, um zu beweisen, dass das Leben eins und unteilbar ist!

Bodhidharmas grundlegende Thesen bezüglich der Übermittlung der Wahrheit unabhängig von Worten und Schriften und der Forderung, «direkt und unmittelbar auf die Seele oder das Selbst (den ‹Herz-Geist›) des Menschen» hinzudeuten, war für die Chinesen durchaus einleuchtend, auch wenn es der von der Logik geprägten westlichen Mentalität wenig sinnvoll erscheinen mag. Welches auch immer die Verdienste anderer Schulen des Buddhismus mit ihren jeweiligen Schriften und ausgearbeiteten Lehren sein mögen, die Zen-Meister in China und Japan machten eine komplette Kehrtwendung zurück zur Quelle der Buddhalehre, zur Erleuchtung, und bemühten sich von da an voll und ganz um diese Erleuchtung, die bereits in jedem Herzen vorhanden, wenn auch noch durch Täuschung und Illusion verschleiert ist.

Die Auswirkungen von Nāgārjunas Lehre sind in der Religionsgeschichte einzigartig. Da in jedem Herzen eine Flamme der Erleuchtung Buddhas brennt, gibt es nichts, was man suchen oder erwerben müsste. Wir sind erleuchtet, und alle Worte der Welt werden uns nicht das geben, was wir bereits haben. Der Zen-Mensch ist daher nur um eines bemüht, nämlich dessen gewahr zu werden, was er bereits ist, des Selbst im Inneren, seiner unverletzlichen Einheit mit dem ganzen Buddha-Herzen.

Zwischenzeitlich ist dieser Geist mit Denken und Fühlen verbunden, und ein jedes von ihnen ist traurigerweise durch das Verlangen nach einem Selbst getrübt, der bösartigsten aller Täuschungen. Diese Gedanken und Wünsche wirken im Bereich der Dualität in Begriffen und Vorstellungen, die selbst in die Gussform von Worten hineingepresst werden. Als solche können sie niemals die Wahrheit enthalten, noch weniger sie ausdrücken, und nicht einmal der schärfste Verstand kann jemals wissen. Er kann jeweils die Gegensätze studieren, aber niemals mit Denken allein den Zustand vor der Teilung erreichen, wo Gegensätze noch ungeteilt, als Ganzes und gleichzeitig Beides gesehen werden. So sieht der erleuchtete Geist Wahres und Falsches als zwei Aspekte der Wahrheit ; Häss­liches und Schönes als zwei Arten der Schönheit ; Gutes und Böses im Guten zusammengefasst. Und diese gelten wahrlich als dreifacher Aspekt dessen, was allein für immer ist, der Fülle /Leere, des Absoluten.

Wie kann man diesen Zustand vor der Zweiteilung, von der auch Dr. Suzuki spricht, erlangen? Wie kann das illusionäre Selbst wieder in das Selbst zurückkehren, das wirklich ist? Die Antwort lautet: durch die Entwicklung der Fähigkeit, mit der allein jeder menschliche Geist die Dinge «sehen» wird, wie sie wirklich sind, also im Sinn des wahren Sehens des Zen. Dies ist spirituelles Gewahrsein, wenn nämlich das Sehen mit dem gesehenen Objekt eins ist. Jeder Meister hat seine eigenen Methoden, die Intuition wachzurufen, den Geist «aufzuwecken», um nirgendwo zu verweilen, frei zu sein von den Fesseln der Vorstellung und ihrer falschen Dualität.

Aber auf der reinen Grundlage einer vernünftigen Sittlichkeit, mit weitgehend von der eigenen Person gereinigten Motiven, wird der Schüler mit der Zeit und enormer Anstrengung erkennen, «dass es nichts Unendliches gibt, was von endlichen Dingen getrennt ist», und dass tatsächlich, wie Meister Hui-Neng sagte, «alle Unterscheidungen fälschlicherweise angenommen werden». Hier gibt es einen Vorgeschmack auf den «zeitlosen Augenblick» des Satori, der Erfahrung der Nicht-Dualität. Dies ist der Beginn des wahren Zen-Weges.

Für Zen-Schüler wird Dr. Irmgard Schlögl bald ein gängiger Name sein. Mit ihrer soliden Kenntnis der Aufzeichnungen chinesischer und japanischer Meister und etwa zwölfjähriger Schulung unter zwei Rinzai-Zenmeistern in Kyōto hat sie eine große Karriere vor sich. Durch Übersetzungen, eigene Arbeiten und persönliches Unterrichten in der Zen-Tradition wird sie helfen, das wahre Ziel der Zen-Schule des Buddhismus bekannt zu machen. Dieser neue Band, klein im Umfang, aber von großem Wert, wird dabei helfen, ihr zunehmendes Ansehen zu etablieren, und er ist ein wertvoller Beitrag zu der kleinen Bibliothek authentischer Zen-Literatur aus der Feder westlicher Autoren. Ich bin dankbar dafür, dass mir die Gelegenheit zum Helfen geboten ist, dieses Werk der westlichen buddhistischen Welt vorzulegen.

Christmas Humphreys

The Buddhist Society, London 1975

Einleitung

Man hat mich gebeten, ein kleines Buch über «Die Weisheit der Zen-Meister» zu verfassen, vergleichbar Thomas Mertons Weisheit der Wüste. Ich nahm diese Aufgabe mit einer Mischung aus Bedenken und Freude an. Ersteres, weil ich nur zu gut weiß, wie unzulänglich ich bin, und Letzteres, weil es mir eine Möglichkeit bietet, der langen Reihe der Zen-Meister und meinen beiden Lehrern mit meinen beschränkten Möglichkeiten meine tiefe Dankbarkeit auszudrücken. Mögen sie nun bereits verstorben sein oder noch leben, so waren es doch ihre Lebendigkeit, Direktheit und Zuverlässigkeit, die mich in den zwölf ­Jahren der Schulung als Laienschülerin in einem traditionellen Rinzai-Zenkloster in Japan nachhaltig beeindruckt haben.

Die getroffene Auswahl der Aussprüche und Geschichten ist gänzlich subjektiv, obwohl sie einem gängigen Mus­ter folgen. Sie umfasst chinesische und japanische Meis­ter der Vergangenheit und Gegenwart, sowohl gelesene als auch gehörte. Wenn englischsprachige Übersetzungen zur Verfügung standen, habe ich sie benutzt. Mein Dank gebührt folgenden:

A First Zen Reader, kompiliert und übersetzt von Trevor Leggett, Tuttle 1972, für alle Zitate von Meister Sessan,

The Ox and His Herdsman, übersetzt von Tsujimura-­Trevor, Hokuseido Press, für alle Zitate von Meister O­tsu,

Zen and Zen Classics, 3 Bände., übersetzt von R. G. Blyth, Hokuseido Press, für kurze Zitate verschiedener Meister,

Zen: Poems, Prayers, Sermons, Anecdotes, Interviews, hrsg. u. übers. v. L. Stryk und T. Ikemoto, Doubleday Anchor, für die Geschichte des armen Samurai,

The Cat’s Yawn, First Zen Institute of America, New York, für das Zitat von Meister Sokei-an über Zen als eine Religion der Stille.

Danken möchte ich Trevor Leggett und Christmas Hum­phreys für das Lesen des Manuskriptes und ihre vielen hilfreichen Anregungen.

Zu guter Letzt gebührt mein Dank erneut Christ­mas Humphreys, der freundlicherweise zustimmte, das Vorwort zu schreiben. Im Lauf von etwa fünfundzwanzig Jahren ist er mir ein zweiter Vater gewesen, ohne den ich niemals daran gedacht hätte, zum Zen-Training nach Japan zu gehen. Meine Dankbarkeit ist wirklich groß.

I
Die Weisheit der Zen-Meister

Was ist Zen und wer sind die Zen-Meister? Was für ein Boden lieferte ihnen Nahrung in einem kultu­rel­len Umfeld, das zu dem Unsrigen so unterschiedlich ist?

Zen ist in Mode gekommen, und wir neigen dazu, darüber in einer Art und Weise zu sprechen, als ob es ein Ding sei: Irgendetwas sei «Zen» oder «im Stil des Zen». Dies zeigt aber nur, dass unser westlicher Geist von einem Wort, einem Begriff fasziniert ist und diese jetzt in seinem eigenen Bezugssystem verwendet. Es gibt aber kein derartiges Ding namens «Zen»; wenn es überhaupt etwas ist, dann könnte man es als einen Vorgang, einen Prozess bezeichnen.

Das Wort «Zen» leitet sich von dem Sanskritbegriff Dhyāna her, das in chinesischer Transkription zu ‹Chan› und in japanischer Aussprache zu ‹Zen› wurde. Es bedeutet Meditation, Kontemplation, Überdenken. So steht «Zen» für die Meditationsschule des Buddhismus. Wie alle Definitionen ist aber auch diese irreführend, denn Meditation ist nicht das einzige, ja nicht einmal das hauptsächlich verwendete Schulungsmittel.

Als buddhistische Schule basiert Zen ganz eindeutig auf den grundlegenden buddhistischen Lehren, die alle der­artigen Schulen gemeinsam haben. Dies sind die Drei ­Daseinsmerkmale: Vergänglichkeit, Nicht-Ich und Leiden. Wir tragen eine unnütze Last des Leidens mit uns ­herum, weil wir die Vergänglichkeit und das Nicht-Ich nicht ak­zeptieren können. Dies gelingt uns nicht, weil die Drei ­Feuer in uns brennen: Begehren, Hass und Nicht-Wissen. Die Vier Edlen Wahrheiten, die auf diesen Vor­aus­setzungen beruhen, sind die folgenden: Es gibt Leiden, ­körperliches und mentales Unwohl-Sein; es gibt eine Ur­sache für dieses Leiden (s. oben); diese Ursache kann man herausfinden und zu einem Ende bringen, denn was auch ­immer einen Anfang hat, muss zwangsläufig auch ein Ende ­haben. Es gibt einen Ausweg, eine Erlösung von diesem ­Leiden durch das Begehen des Edlen Achtfachen Pfades.