Elizabeth Eulberg

Wie wir einen Sommer (vergeblich)
versuchten, uns nicht zu verlieben

Aus dem Amerikanischen
von Anne Markus

Elizabeth Eulberg

wuchs in Wisconsin auf, studierte an der Syracuse University
und lebt für ihre Musik und ihre Romane. Sie hat mehrere
Jugendbücher geschrieben. Dies ist der erste Roman,
der von ihr auf Deutsch erscheint. Während des Schreibens
hat sie versucht, den Männern abzuschwören – vergeblich.

 

Für meinen geliebten EEC.
Und Dav Pilkey –
der mich als Erster ermutigt hat zu schreiben.
Das hier ist alles seine Schuld.

 

Deutsche Erstausgabe
1. Auflage als Arena Taschenbuch 2013
© 2010 by Elizabeth Eulberg
Published by Arrangement with Elizabeth Eulberg
Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel The Lonely Hearts Club
bei Point, einem Imprint von Scholastic Inc., New York
Deutschsprachige Ausgabe © 2013 Arena Verlag GmbH, Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen
Aus dem Amerikanischen von Anne Markus
Umschlaggestaltung: Frauke Schneider unter Verwendung eines Fotos
von Andreka Photograph und Dmitriy Shironosov © shutterstock
Umschlagtypografie: knaus. büro für konzeptionelle
und visuelle identitäten, Würzburg
ISSN 0518-4002
ISBN 978-3-401-80521-4

www.arena-verlag.de
Mitreden unter forum.arena-verlag.de

 

 

Ich, Penny Lane Bloom, schwöre hiermit feierlich, nie mehr mit einem Jungen auszugehen, solange ich lebe.

Gut, vielleicht überleg ich’s mir noch mal. In zehn Jahren oder so – wenn ich nicht mehr in Parkview in Illinois wohne oder auf die McKinley High gehe. Aber im Moment bin ich durch mit Jungs, diesen Lügnern und Betrügern. Dem Abschaum der Menschheit.

Ja, jeder einzelne von ihnen. Satan ist nichts dagegen. Klar, es gibt ein paar, die auf den ersten Blick ganz nett sind, aber in dem Moment, in dem sie bekommen, was sie wollen, verlassen sie dich und kümmern sich um ihr nächstes Opfer.

Mir reicht’s.

Keine Dates mehr.

The End.

Yesterday

»Love was such an easy game to play…«

 

1.

Mit fünf Jahren stand ich mit dem Mann meiner Träume vor dem Traualtar.

Okay, macht daraus einen Jungen. Er war auch fünf.

Ich kannte Nate Taylor quasi von Geburt an. Unsere Väter waren so wie wir schon als Kinder befreundet gewesen und jedes Jahr verbrachten Nate und seine Eltern den Sommer mit unserer Familie. Mein Babyalbum ist voller Fotos von Nate und mir – wir baden zusammen in der Wanne als Kleinkinder, spielen im Garten im Baumhaus – und mein Lieblingsfoto: verkleidet als Mini-Braut und -Bräutigam bei der Hochzeit meiner Cousine. (Ich hab das Foto von mir in meinem weißen Kleid und Nate in seinem Smoking gleich danach stolz an meiner Wand aufgehängt!)

Alle haben ständig Witze gemacht, dass wir eines Tages tatsächlich einmal heiraten würden. Nate und ich haben das damals auch geglaubt. Wir dachten, wir wären das perfekte Paar.

Mir hat es nichts ausgemacht, mit ihm Räuber und Gendarm zu spielen, und er hat sogar mit meinen Puppen gespielt (obwohl er das nie zugeben würde).

Er hat mich auf der Schaukel angestoßen und ich habe ihm dabei geholfen, seine Action-Figuren zu sortieren.

Er fand, dass ich mit meinen Rattenschwänzen hübsch aussah, und ich fand ihn süß (sogar in seiner pummeligen Phase).

Ich mochte seine Eltern und er mochte meine Eltern. Ich wollte eine Bulldogge, er einen Mops haben. Mein Lieblingsgericht waren überbackene Makkaroni. Seins auch. Was will man mehr von einem Mann?

Vorfreude auf die Sommerferien hieß, dass ich mich auf Nate freute. Und so viele meiner Erinnerungen sind mit ihm verknüpft:

Mein erster Kuss (in meinem Baumhaus, als wir acht waren; ich gab ihm eine Ohrfeige und heulte dann los).

Das erste Mal, dass ich Händchen hielt (als wir uns bei einer Schnitzeljagd in der dritten Klasse verirrt hatten).

Meine erste Valentinskarte (ein rotes Papierherz mit meinem Namen drauf).

Mein erster Campingurlaub (als wir zehn waren, hatten Nate und ich in unserem Garten ein Zelt aufgebaut und haben dort die gesamte Nacht alleine verbracht).

Das erste Mal, dass ich meine Eltern mit Absicht angelogen habe (das war letztes Jahr, ich bin allein mit dem Zug nach Chicago gefahren, um Nate zu besuchen; meinen Eltern hatte ich gesagt, dass ich bei meiner besten Freundin Tracy übernachten würde).

Unser erster echter Kuss (mit vierzehn; diesmal ließ ich das mit der Ohrfeige).

Nach diesem Kuss zählte nur noch eins für mich: der Sommer. Wir taten nicht mehr so, als ob. Unsere Gefühle waren echt, sie waren anders. Es ging nicht mehr um ein Herz aus Papier. Es ging um ein lebendiges Herz, es schlug… es war echt.

Wenn ich an den Sommer dachte, dachte ich an Nate. Wenn ich an Liebe dachte, dachte ich an Nate. Woran auch ich immer dachte, ich dachte an Nate.

Ich wusste, dass es diesen Sommer passieren würde. Nate und ich würden zusammenkommen.

Die letzten vier Schulwochen waren kaum auszuhalten. Ich zählte die Tage bis zu seiner Ankunft. Ich ging mit meinen Freundinnen shoppen, um mir »Nate-Klamotten« zu kaufen. Sogar meinen ersten Bikini kaufte ich für ihn. Ich machte einen Plan, damit mein Ferienjob in der Zahnarztpraxis meines Vaters mit Nates Arbeitszeiten im Country Club zusammenfiel. Ich wollte nicht, dass irgendetwas zwischen uns stand.

Und dann war es so weit.

Er war hier.

Er war größer.

Er war älter.

Er war nicht mehr süß – er war sexy.

Und er gehörte mir.

Er wollte mich. Und ich wollte ihn. Es schien das Einfachste auf der Welt. Schon bald waren wir zusammen. Endlich. Wirklich zusammen.

Aber das Märchen, das ich mir erträumt hatte, stürzte zusammen wie ein Kartenhaus.

Weil sich Typen nämlich verändern.

Sie lügen.

Sie trampeln auf deinem Herzen herum.

Ich musste auf die harte Tour lernen, dass es so etwas wie Märchen und die wahre Liebe nicht gibt. Genauso wenig wie den perfekten Jungen.

Und dieses hinreißende Foto von der unschuldigen Mini-Braut mit dem Jungen, der eines Tages ihr Herz brechen würde? Das existierte auch nicht mehr.

Ich schaute dabei zu, wie es in Flammen aufging.

2.

Es ging alles so schnell.

Es fing wie jeden Sommer an. Die Taylors kamen und das Haus war voller Leute. Nate und ich flirteten ununterbrochen… das war in den letzten paar Jahren schon zur Gewohnheit geworden. Nur diesmal schwang da noch etwas anderes mit. So etwas wie Begehren. Oder Zukunft. Oder Sex.

Alle meine Träume wurden wahr. In meinen Augen war Nate perfekt. An ihm maß ich alle anderen. Er war der Junge, der mein Herz schneller klopfen ließ und die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Tanzen brachte.

Und in diesem Sommer erwiderte er endlich meine Gefühle. Es fing mit ein paar Dates an, nichts Großartiges. Bloß Kino, essen gehen und so.

Unsere Eltern hatten keinen Schimmer, was sich abspielte. Nate wollte ihnen nichts sagen und ich schloss mich an. Er meinte, dass sie wahrscheinlich überreagieren würden, und ich widersprach ihm nicht. Obwohl wir von unseren Eltern immer als zukünftiges Paar angesehen wurden, war ich mir nicht sicher, ob sie schon jetzt damit klarkommen würden. Ganz besonders, wenn Nate unten im Hobbykeller schlief, der schalldicht war.

Es war einfach perfekt. Nate sagte all die Dinge, die ich hören wollte. Wie schön ich sei und wie vollkommen und dass ihm die Luft wegblieb, wenn ich ihn küsste.

Ich war im siebten Himmel.

Wir küssten uns. Wir küssten uns und wir küssten uns. Dann küssten wir uns noch einmal. Aber bald reichte das nicht mehr. Schon bald fingen die Hände an zu wandern, unsere Kleidung fiel zu Boden. Auf das alles hatte ich ja gewartet… aber es schien so schnell zu gehen. Zu schnell. Egal, was ich machte, er wollte mehr. Und ich wehrte mich dagegen. Alles, was wir taten, glich einem permanenten Ringkampf, der darauf hinauslief, wie weit ich ihn gehen ließ.

Es hatte so lange gedauert, an diesen Punkt zu kommen, und ich wollte nichts überstürzen. Ich konnte nicht verstehen, warum wir nicht einfach das, was wir hatten, genießen konnten. Das Zusammensein. Warum wollte er gleich einen Schritt weiter?

Und mit dem Schritt weiter meine ich Sex.

Über unsere Beziehung oder unsere Gefühle sprachen wir dagegen deutlich weniger.

Ein paar Wochen später fing Nate davon an, dass ich die Eine für ihn sei, seine wahre Liebe. Wie unglaublich es für uns sein könnte, wenn er mir nur seine Liebe wirklich zeigen dürfte.

Das hier war es doch, was ich schon immer wollte. Das, wovon ich so lange geträumt hatte. Ich dachte also: Ja, ich werde es tun. Weil es mit ihm sein wird. Und darauf kommt es an.

Ich beschloss, ihn zu überraschen.

Ich beschloss, ihm zu vertrauen.

Ich beschloss, die Sache in die Hand zu nehmen.

Ich hatte alles geplant, alles passte. Unsere Eltern waren ausgegangen und würden erst spät wiederkommen. Wir hatten das Haus für uns.

»Bist du dir ganz sicher, Pen?«, fragte mich Tracy an jenem Morgen.

»Ich bin mir sicher, dass ich ihn nicht verlieren will«, entgegnete ich.

Deshalb tat ich es. Für Nate. Es hatte nichts mit mir zu tun und meinen Wünschen. Es war alles nur für ihn.

Ich wollte, dass die Sache spontan aussah. Er sollte völlig ahnungslos sein und dann total überwältigt, wie perfekt es (ich) sein würde. Er wusste nicht einmal, dass ich zu Hause war; ich wollte ihn im Glauben lassen, dass ich an diesem Abend verabredet sei, damit die Überraschung noch größer wurde. Ich wollte ihm zeigen, dass ich bereit war. Dass ich es wollte. Dass ich es konnte. Ich hatte alles genau geplant, außer, was ich anziehen sollte. Ich schlich ins Zimmer meiner Schwester Rita und durchwühlte ihre Schubladen, bis ich ein weißes Seidentop gefunden hatte, das nicht viel Spielraum für Fantasie ließ. Ich schnappte mir auch noch ihren roten Seidenmorgenmantel mit Spitzenbesatz.

Als ich endlich so weit war, schlich ich die Treppe hinunter in Nates Zimmer in unserem Keller. Auf dem Weg löste ich den Gürtel des Morgenmantels. Ich war einerseits voller Vorfreude, andererseits furchtbar nervös. Ich konnte kaum erwarten, wie er mich ansehen würde. Ich konnte es kaum erwarten, ihm zu beweisen, was ich für ihn empfand, damit er endlich auch dasselbe für mich empfinden würde.

Ich lächelte, als ich das Licht anmachte. »Überraschung!«, rief ich.

Nate schoss mit panischem Gesichtsausdruck vom Sofa hoch.

»Hi …«, sagte ich unsicher, während ich den Morgenmantel auf den Boden fallen ließ.

Dann tauchte plötzlich ein zweiter Kopf auf.

Ein Mädchen.

Mit Nate.

Ich erstarrte, konnte nicht glauben, was ich da sah. Sie fischten hastig nach ihren Klamotten, während ich immer noch dastand. Endlich erwachte ich, bückte mich nach dem Morgenmantel und zog ihn über, versuchte, so viel wie möglich von mir zu bedecken.

Das Mädchen fing an zu kichern. »Ich dachte, du hättest gesagt, deine Schwester wäre heute den ganzen Abend weg!«

Seine Schwester? Nate hatte keine Schwester. Ich versuchte, mir einzureden, dass es eine Erklärung für das gab, was ich hier sah. Völlig unmöglich, dass Nate mir so etwas antun würde. Noch dazu in unserem Haus. Vielleicht hatte dieses Mädchen direkt vor unserem Haus einen Unfall und Nate hatte sie mit hineingenommen, um sie… zu trösten. Oder die beiden probten bloß eine Szene aus einem Sommertheaterstück… Romeo und Julia nackt. Oder vielleicht war ich eingeschlafen und das alles war nur ein Albtraum…

Leider nicht.

Das Mädchen war inzwischen angezogen und Nate brachte sie nach oben. Meinem Blick wich er aus. Der perfekte Gentleman.

Nach einer gefühlten halben Ewigkeit kam er wieder. »Penny«, sagte er und legte seine Arme um meine Hüfte. »Es tut mir leid, was du da erleben musstest.«

Ich versuchte, etwas zu sagen, aber meine Stimme versagte.

Er legte seine Hände auf meine Schultern und streichelte mich durch den Stoff des Morgenmantels. »Es tut mir leid, Penny. Es tut mir ja so leid. Du musst mir glauben, dass das total bescheuert von mir war. Ich bin ein Idiot. Ein Vollidiot.«

Ich schüttelte den Kopf. »Wie konntest du bloß?« Die Worte konnte ich gerade mal flüstern, mein Hals war wie zugeschnürt.

Er beugte sich über mich. »Ganz ehrlich, das wird nie wieder vorkommen. Ich meine, es ist wirklich nichts passiert. Nichts. Es war nichts. Sie war nichts. Du weißt, wie viel du mir bedeutest. Du bist diejenige, mit der ich zusammen sein will. Du bist diejenige, die ich liebe.« Er streichelte mit seinen Händen über meinen Rücken. »Sag mir, was ich tun soll, Penny. Ich würde dich nie verletzen.«

Der Schock ließ langsam nach und ich verspürte plötzlich eine unbändige Wut. Ich riss mich von ihm los. »Wie konntest du bloß?«, sagte ich. »WIE KONNTEST DU BLOSS?« (Inzwischen brüllte ich.)

»Aber ich habe mich doch entschuldigt.«-

»Du hast dich ENTSCHULDIGT?«-

»Penny, es tut mir ja so leid.«

»Es tut dir LEID?«

»Bitte lass das und hör mir einfach nur zu. Ich kann das alles erklären.«

»Ach so?« Ich setzte mich aufs Sofa. »Dann erklär mal.«

Nate warf mir einen nervösen Blick zu. Er hatte ganz offensichtlich nicht damit gerechnet, dass ich mich tatsächlich hinsetzen und ihm zuhören würde.

»Penny, das Mädchen bedeutet mir überhaupt nichts.«

»Sah aber nicht so aus.« Ich zog den Gürtel meines Morgenrocks fester und griff nach einem Sofakissen, um meine Beine zu bedecken.

Nate seufzte. Aus tiefstem Herzen. »Oh und jetzt kommt die Szene, oder?«, sagte er. Dann setzte er sich mit verschränkten Armen neben mich. »Na schön. Wenn du meine Entschuldigung nicht annimmst, dann weiß ich auch nicht weiter.«

»Entschuldigung?« Ich lachte. »Glaubst du, ein simples ›Tut mir leid‹ schafft das aus der Welt? Du hast gesagt, ich sei etwas Besonderes.« Ich schaute zu Boden und bereute, dass ich das überhaupt erwähnt hatte.

»Penny, du bist etwas Besonderes. Aber mal ehrlich, was, glaubst du, wäre denn passiert?« Nates Gesicht wurde feuerrot. »Ich meine, so sieht’s doch aus. Du und ich… wir sind… wir sind… na ja, so sieht’s nun mal aus…«

Ich traute meinen Ohren nicht. Der Nate, den ich noch vor wenigen Tagen gekannt hatte, war verschwunden und irgendein… Scheusal hatte seinen Platz eingenommen. »Was soll das jetzt heißen?«

»Himmel!« Nate stand von der Couch auf und fing an, auf und ab zu wandern. »Genau das meine ich damit! Schau dich an! Wie du da sitzt, genau wie damals, als wir klein waren und du deinen Willen nicht bekommen hast. Okay, ich wünsche mir, mit dir zusammen zu sein. Schon ziemlich, ziemlich lange habe ich mir das gewünscht. Aber auch wenn du dir einbildest, dass du mit mir zusammen sein willst, in Wirklichkeit stimmt das nicht. Du willst die Sandkastenfreund-Version von mir. Den Händchen-halten-Küsschen-auf-die-Wange-Nate. Aber tja, dieser Nate ist erwachsen geworden. Vielleicht solltest du das auch mal werden.«

»Aber ich…«

»Was? Du tust was? Ziehst dir das Nachthemd deiner Schwester an? Das ist doch Kinderkram, Penny. In deinem Kopf spielt sich ein Hochzeitstag ohne Ende ab. Die Flitterwochen fallen weg. Das Hochzeitskleid wird nicht ausgezogen. Nichts davon. Aber rate mal. Leute haben Sex. Ist gar nicht so viel dabei.«

Ich zitterte am ganzen Körper. Seine Worte fühlten sich an wie Schläge.

Nate schüttelte den Kopf. »Ich hätte es besser wissen und mich erst gar nicht mit dir einlassen sollen. Aber was soll ich sagen? Ich war gelangweilt und es war so viel einfacher, deine kleine Fantasie mitzuspielen, als mich dagegen zu wehren. Und ich muss wirklich zugeben, du hast diese ›süßes kleines Vorstadtmädchen‹-Nummer echt gut drauf… Ich hätte bloß nie gedacht, dass das alles Spielchen sind und du mich ja doch nur hinhalten willst.«

Mir wurde übel. Tränen begannen, mein Gesicht herunterzulaufen.

»Na, komm schon.« Nate setzte sich hin und legte seinen Arm um mich. »Brüll mich einfach noch ein bisschen an. Dann geht’s dir besser und wir können das hier vergessen.«

Ich riss mich los und rannte nach oben.

Weg von Nate.

Weg von den Lügen.

Weg von allem.

Aber ich konnte nicht davonlaufen. Er würde noch zwei Wochen bei uns bleiben. Jeden Morgen musste ich ihm gegenübertreten. Ihm zusehen, wie er das Haus verließ, in dem Wissen, dass er wahrscheinlich etwas mit ihr unternehmen würde. In dem Wissen, dass er woanders suchte, was ich ihm nicht bieten konnte. Er würde mich eben nie »so« sehen.

Jeden Tag wurde ich daran erinnert, was für eine Versagerin ich war. Wer hätte gedacht, dass etwas, das ich mir schon seit Jahren gewünscht hatte, mich letztendlich mehr verletzen würde, als ich mir je hätte vorstellen können?

Meine große Schwester Rita war die Einzige in der Familie, die ich einweihte, und sie musste mir schwören, dass sie es niemandem verraten würde. Ich wollte nicht die lange und enge Freundschaft unserer Eltern beschädigen. Es war einfach nicht fair, wenn Nate auch das noch zerstören würde. Außerdem war es mir unerträglich peinlich. Meine Eltern sollten nicht herausfinden, wie dumm ich gewesen war.

Rita versuchte, mich zu trösten. Sie drohte sogar, Nate umzubringen, wenn er sich mir in einem Umkreis von weniger als drei Metern nähern würde. Aber selbst dreißig Meter wären noch zu nahe gewesen.

»Penny, das wird schon wieder«, versprach mir Rita und nahm mich in die Arme. »Uns allen stellt sich mal das eine oder andere Hindernis in den Weg.«

Aber mir hatte sich kein Hindernis in den Weg gestellt. Ich war gegen eine Mauer gedonnert.

Und ich wollte nie wieder so verletzt werden.

3.

Ich war am Ende. Ich wollte mich einfach nur verstecken. Flüchten.

Es gab nur einen Weg, den Schmerz zu ertragen. Ich verließ mich auf die einzigen vier Jungs, die mich noch nie im Stich gelassen hatten. Die einzigen vier Jungs, die mir nie das Herz gebrochen, die mich nie enttäuscht hatten.

John, Paul, George und Ringo.

Das wird jeder verstehen, der sich irgendwann schon einmal an einen Song wie an einen musikalischen Rettungsring geklammert hat. Oder einen Song aufgelegt hat, um ein Gefühl oder eine Erinnerung wieder aufleben zu lassen. Oder einen Soundtrack in seinem Kopf hat abspielen lassen, um eine Unterhaltung oder eine Szene auszublenden.

Zurück in meinem Zimmer, völlig am Boden zerstört, weil Nate mich abgewiesen hatte, drehte ich die Lautstärke meiner Anlage so hoch, dass mein Bett anfing zu wackeln. Die Beatles waren schon immer mein Kuscheltierersatz gewesen. Sie waren Teil meines Lebens gewesen, bevor ich überhaupt auf der Welt war. Tatsache ist, ohne die Beatles wäre ich nie geboren worden.

Meine Eltern hatten sich an dem Abend, als John Lennon erschossen wurde, an einem hastig errichteten Schrein in einem Park in Chicago kennengelernt. Beide waren ihr Leben lang Beatles-Fans gewesen und später waren sie sich einig, dass sie ihre drei Töchter nach Beatles-Songs benennen würden: »Lucy in the Sky with Diamonds«, »Lovely Rita« und »Penny Lane«. Meine älteren Schwestern hatten noch Glück. Mich hingegen straften meine Eltern mit der vollen Lennon/McCartney-Version ab: Penny Lane. Außerdem wurde ich auch noch am siebten Februar geboren, dem Jahrestag, an dem die Beatles zum ersten Mal in die USA kamen. Ich glaube nicht, dass das ein Zufall war. Es wäre meiner Mutter durchaus zuzutrauen, die Presswehen exakt bis zu diesem Tag hinausgeschoben zu haben.

Unsere Ferien verbrachten wir fast immer in Liverpool in England. Jede Weihnachtskarte zierte eine Neugestaltung der verschiedensten Beatles-Plattencover. Eigentlich hätte ich die Beatles hassen müssen. Das hätte meine Form des Widerstands sein sollen. Stattdessen wurden die Beatles ein Teil von mir. Egal, ob ich glücklich oder traurig war – ihre Worte und ihre Melodien waren für mich da.

Und nun versuchte ich, Nates Worte mit einem bombastischen »Help!« zu übertönen. Gleichzeitig griff ich nach meinem Tagebuch. Der Ledereinband fühlte sich schwer in meinen Händen an. All die Gefühle, angesammelt über die vergangenen Jahre, wogen eine Tonne. Ich schlug das Buch auf und überflog die Einträge. Die meisten davon bestanden aus Texten der Beatles. Jeder andere hätte darin bloß Gedankengänge gesehen, die keinen Sinn ergaben, für mich aber bedeuteten die Texte so viel mehr als ihr Wortlaut. Es waren Schnappschüsse aus meinem Leben: das Gute, das Schlechte und alles, was mit Jungen zu tun hatte.

So viel Liebeskummer. Ich dachte an meine früheren Beziehungen. Dan Walker, Zwölftklässler, und Tracy zufolge ein »total heißer Typ«. Wir waren vier Monate lang Anfang der Zehnten ein Paar gewesen. Es war am Anfang ganz nett – wenn man jeden Freitagabend Kino und anschließend Pizza mit allen anderen Pärchen der Stadt als nett bezeichnen kann. Irgendwann fing Dan an, mich mit diesem Mädchen aus dem Film Almost Famous – Fast berühmt zu verwechseln, die auch Penny Lane hieß. Sie war ein umschwärmtes Groupie und Dan, der Idiot, bildete sich ein, dass ich mit ihm ins Bett gehen würde, wenn er auf seiner Gitarre »Stairway to Heaven« spielte. Aber der einzige Effekt war, dass mir schnell klar wurde: Gutes Aussehen macht nicht unbedingt einen akzeptablen Gitarristen aus. Als Dan begriff, dass mein Höschen anbleiben würde, zog er andere Saiten auf.

Dann war da noch Derek Simpson, der (da war ich mir ziemlich sicher) nur deshalb mit mir zusammen war, weil er dachte, dass meine Mutter ihm als Apothekerin Drogen beschaffen könnte.

Darren McWilliams war nicht viel besser. Wir wurden vor den Sommerferien ein Paar, kurz bevor diese Nate-Besessenheit anfing. Er schien ganz süß zu sein, bis er etwas mit Laura Jaworski anfing, die zufällig eine gute Freundin von mir war. Es endete damit, dass er sich mit uns beiden am selben Tag verabredete. Er war gar nicht auf die Idee gekommen, dass Laura und ich über unsere Dates redeten.

Dan, Derek und Darren – und das war nur in der Zehnten gewesen! Ich wurde betrogen, angelogen und ausgenutzt. Die Lehre, die ich daraus gezogen hatte? Halte dich von Typen fern, deren Vorname mit D anfängt. Sie sind alle dämonische Teufel!

Vielleicht hieß Nate in Wirklichkeit »Dante«, der Zerstörer aller Träume. Denn er war zehnmal schlimmer als alle drei anderen D zusammen.

Ich legte mein Tagebuch zur Seite. Ich war stocksauer auf Nate, klar. Aber hauptsächlich war ich auf mich selbst wütend. Warum hatte ich mich darauf eingelassen? Was hatte ich von all diesen Beziehungen außer einem gebrochenen Herzen? So dumm war ich doch gar nicht. Ich hätte es besser wissen müssen. Gab es irgendjemanden auf der Welt, der es überhaupt wert war, dass ich mich in ihn verliebte?

Nate, so dachte ich, aber da hatte ich mich getäuscht. Ich stand auf, um Tracy anzurufen – geteiltes Leid ist halbes Leid –, als mir etwas ins Auge fiel. Ich ging zu meinem Lieblingsposter der Beatles und strich mit den Fingern über die Buchstaben: Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band.

Ich hatte mir dieses Poster in den letzten sieben Jahren jeden Tag angeschaut. Ich hatte mir das Album dazu, eines meiner Lieblingsalben, zigmal angehört. Mir war es immer wie ein einziges langes Wort vorgekommen: Sgt. Peppers’s Lonely Hearts Club Band. Jetzt aber hoben sich drei Wörter ab und ich sah in ihnen etwas total Neues.

Lonely.

Hearts.

Club.

Und da passierte es.

Etwas, was mit diesen Worten zu tun hatte.

Lonely. Hearts. Club.

Rein theoretisch hätte es deprimierend klingen können. Aber die Beatles-Songs hatten überhaupt nichts Deprimierendes an sich. Nein, dieser Lonely Hearts Club war das absolute Gegenteil von deprimierend. Er war voller Leben.

Die Antwort lag die ganze Zeit direkt vor meiner Nase. Es gab einen Weg, wie man verhindern konnte, betrogen, belogen und ausgenutzt zu werden. Ich würde mich nicht mehr mit Versagern abgeben. Statt mir das alles weiter anzutun, würde ich die Vorzüge des Singlelebens genießen. Ich würde zur Abwechslung mal mich in den Mittelpunkt stellen. Die Elfte würde mein Jahr werden. Alles würde sich nur um mich drehen: Penny Lane Bloom, alleiniges Mitglied und Gründerin des Lonely Hearts Clubs.

Come Together

»... you’ve got to be free…«

 

4.

Mit Jungs war ich durch. Die Frage war nur: Warum war ich nicht eher darauf gekommen? Ich wusste, dass die Idee genial war. Aber es wäre nett gewesen, wenn meine beste Freundin es geschafft hätte, mich nicht so anzustarren, als wäre ich frisch aus der Klapse entsprungen.

»Pen, du weißt ja, dass ich dich über alles mag, aber…«

Die alte Leier.

Weniger als eine Stunde nach meinem Geistesblitz saßen wir schon in unserem Stammcafé bei einem Notfalltreffen zusammen (mit den obligatorischen Käsepommes, die dazugehörten, wenn jemand Schluss gemacht hatte). Tracy nippte an ihrem Milchshake und hörte sich meine Tiraden über meine jahrelangen Jungs-Probleme an. Ich war noch nicht einmal beim Club angekommen und meinem Beschluss, mich nicht mehr auf Jungs einzulassen.

»Ich weiß, dass du stinksauer bist, und du hast auch alles Recht dazu«, sagte Tracy. »Aber nicht alle Jungs sind der Inbegriff des Bösen.«

Ich verdrehte die Augen. »Ach wirklich? Sollen wir mal deine Listen der letzten beiden Jahre durchgehen?«

Tracy sackte in ihrem Stuhl zusammen. Jedes Jahr notierte sie auf einer Liste die Namen der Jungs, für die sie schwärmte. Sie verbrachte die gesamten Sommerferien damit, die Vor- und Nachteile abzuwägen. Dann erst stellte sie ihre aktuelle Liste für das Schuljahr zusammen, auf der jeder Junge je nach Aussehen, Beliebtheit und… Aussehen einen Rang zugeteilt bekam.

Die Liste sorgte definitiv für mehr Liebeskummer, als sie es wert war. Tracy war bisher noch mit niemandem ausgegangen, der auf der Liste stand. Tatsache ist, dass sie noch nie einen Freund hatte. Warum, war mir schleierhaft. Sie war hübsch, lustig, klug und eine der treusten und zuverlässigsten Freundinnen, die man sich nur wünschen konnte. Aber – als würde ich wirklich noch einen weiteren Grund brauchen, warum Typen zum Kotzen waren – keiner der Jungen an der McKinley schien das Gefühl zu haben, dass sie zur Freundin taugte.

Die Glückliche, dachte ich. Aber sie sah das anders.

»Meine Listen der letzten Jahre? Keine Ahnung, wovon du redest«, sagte sie.

»Klar doch. Oder willst du mir weismachen, dass du keine neue Liste hast?«

Tracy schob ihre Handtasche auf den Platz neben sich.

Natürlich hatte sie eine neue Liste. Es waren nur noch ein paar Tage, bis die Schule wieder anfing und wir in die Elfte kommen würden.

»Wie auch immer«, schnaubte sie. »Vermutlich sollte ich die Liste einfach wegwerfen, weil deiner Meinung nach ja alle Männer Idioten sind.«

Ich lächelte. »Jetzt kommen wir der Sache schon näher. Lass sie uns verbrennen!«

Tracy stöhnte. »Jetzt spinnst du total. Kannst du mal für eine Sekunde ernst sein?«

»Ich meine es ernst.«

Jetzt war es Tracy, die die Augen verdrehte. »Also bitte, nicht jedes einzelne männliche Wesen auf diesem Planeten ist grauenhaft. Was ist mit deinem Dad?«

»Was ist mit Thomas Grant?«, schoss ich zurück.

Tracys Kinnlade klappte herunter.

Okay, vielleicht war das ein bisschen fies. Thomas war im letzten Schuljahr auf der Liste gewesen. Tracy hatte ein ganzes Halbjahr damit verbracht, mit ihm im Chemieunterricht zu flirten. Irgendwann hatte er sie dann endlich mal gefragt, ob sie am Wochenende etwas vorhätte. Tracy war im siebten Himmel… bis er ihr eine Stunde vor dem Date eine SMS geschickt hatte: Ihm sei etwas dazwischengekommen. Danach hatte er sie für den Rest des Schuljahres links liegen gelassen. Keine Erklärung, keine Entschuldigung, nichts.

Typisch Mann.

»Und Kevin Parker?«, bohrte ich.

Tracy starrte mich wütend an. »Hey, ist ja schließlich nicht meine Schuld, wenn er nicht mal weiß, dass ich existiere.«

Ganz oben auf Tracys Liste stand immer nur ein Name – Kevin Parker, Footballstar aus der Abschlussklasse. Unglücklicherweise hatte Kevin tatsächlich noch nie zur Kenntnis genommen, dass Tracy überhaupt existierte. Als ich noch mit Derek zusammen war, hatte ich Kevin und seine Freunde zu mir nach Hause eingeladen. Nur damit Kevin Tracy kennenlernen konnte. Er hatte sie gar nicht beachtet.

Tracys Besessenheit war überhaupt einer der Gründe gewesen, warum ich es so lange mit Derek ausgehalten hatte.

Als ich an diese Liste dachte und wie sehr sie Tracys Leben bestimmte, hätte ich sie am liebsten aus ihrer Handtasche gezogen und zerrissen. Weil ich wusste, wie viel Tränen es deswegen noch geben würde: Tracy würde die Namen einen nach dem anderen durchstreichen müssen.

Tracy seufzte und riss sich dann zusammen. »Dieses Schuljahr wird anders«, schwor sie. »Keine Ahnung, warum, aber ich hab echt ein gutes Gefühl.« Sie zog ihre Liste heraus und fing an, sehnsüchtig die Namen der diesjährigen Kandidaten zu betrachten.

Hatte ich ernsthaft geglaubt, dass Tracy verstehen würde, warum ich den Jungs abschwor? Sie hatte nichts anderes im Kopf als Jungs.

Ich gab auf… vorläufig.

Doch Tracy war nicht die Einzige, die dem kommenden Jahr mit Spannung entgegensah.

5.

Erster Schultag. Ich war noch nicht mal in der Schule und wurde bereits mit dem Feind konfrontiert. Nicht Nate – der war abgereist. Aber jemand von der gleichen Sorte.

»Nicht zu glauben, mein kleiner Bruder geht schon auf die Highschool.« Tracy deutete über die Schulter auf die Rückbank, wo ihr Bruder Mike mit seinem lärmenden iPod hockte. »Und weißt du, was, Pen, ich kann noch keine Hörner auf seinem Kopf entdecken.«

»Noch nicht«, feixte ich.

Der kleine Mikey Larson kam in die Neunte… ein Typ… einer von ihnen.

Ich fragte mich, wann er anfangen würde, sich wie alle anderen Jungs auf der McKinley zu benehmen. Gab es irgendein geheimes Schulfach, in dem Jungs beigebracht wurde, wie man zu einem Macho wird?

Als Mike aus Tracys Auto stieg, fiel mir auf, wie sehr sich die beiden ähnelten – mehr denn je – mit ihren dunkelblonden Haaren, hellbraunen Augen und herzförmigen Gesichtern.

Tracy musterte mich von oben bis unten. »Pen, diese Schuhe sind hinreißend. Du siehst heute absolut umwerfend aus.« Sie trug eine neue Schicht Lipgloss auf. »Und, wer ist der Glückliche?«

Ich stöhnte auf. »Niemand. Ich wollte einfach bloß gut aussehen, nur für mich selber.«

Tracy warf mir einen Blick zu, der zeigte, dass sie mir kein Wort glaubte. Mir war das egal. Das hier war der Start eines großartigen Schuljahres. Ich öffnete die Schultür und freute mich darauf, einen neuen Anfang zu machen – ohne den ganzen Jungs-Wahnsinn.

Das Lächeln verging mir schnell. Der Erste, den ich sah, war Dan Walker. Er hatte die Letterman-Jacke an, die ich mir immer ausgeliehen hatte, als wir noch zusammen gewesen waren. Wie passend, dass ich gleich zur Begrüßung an meine grauenhafte Exfreunde-Vergangenheit erinnert wurde. Ich war nur dankbar, dass Nate meilenweit weg in Chicago war. Schnell bog ich um die Ecke, um von Dan wegzukommen, nur um auf Kevin Parker zu treffen, der anscheinend immer noch zu cool war, um Tracy auch nur die Uhrzeit zu sagen.

Ich wurde immer frustrierter, je mehr Klassenkameraden ich sah. Diese Flure war ich schon zigtausend Mal entlanggegangen, aber ich hatte das Gefühl, als würden mir erst jetzt die Augen geöffnet. Überall Mädels, die sich überschlugen, um mit Typen zu flirten, Pärchen, Hand in Hand, und Jungs, die sich… na ja, wie Jungs benahmen: laut, unerträglich, egoistisch. Sie blieben, wo sie waren, die Mädchen kamen zu ihnen.

Meine Tasche vibrierte, ich zog mein Handy raus – und blieb wie angewurzelt stehen.

Brian Reed rannte in mich rein. »Pass doch auf!«, brüllte er, während seine Freundin Pam mir einen bösen Blick zuwarf. Gott, wenn die beiden mal nicht rund um die Uhr Händchen halten konnten!

Ich erwachte wieder aus meiner Erstarrung. Das musste ein Irrtum sein, ganz bestimmt. Aber nein, das Handy bestätigte die grausame Wahrheit: eine SMS von Nate. War ja klar, dass er einen Weg finden würde, mich weiter zu quälen, selbst wenn er nicht da war.

Hab einen schönen ersten Schultag!

Wie bitte?!

Erstens wusste er, dass ich nicht mit ihm sprach. Zweitens war es erst zwei Wochen her. Bildete er sich ein, dass ich alles vergessen hätte? Drittens, hätte er noch einfallsloser sein können? Ich löschte die SMS und stopfte mein Handy wieder zurück in die Tasche.

Nate Taylor würde nicht noch einen Tag meines Lebens zerstören!

»Du steckst ja so was von in Schwierigkeiten, Bloom.« Ryan Bauer lehnte an seinem Schließfach, die Arme verschränkt, ein breites Grinsen auf seinem Gesicht.

Na super. Ich war so was von nicht in der Stimmung, mich mit diesem Müll abzugeben. »Worum geht’s?«, fragte ich kurz angebunden, während ich mein Schließfach öffnete, drei Spinde von seinem entfernt.

Ryan sah mich verwirrt an. »Ach, egal.« Er schnappte nach dem Stundenplan auf meinem Bücherstapel.

Ryan Bauer war einer dieser Typen mit einer Freundin, die quasi nur für ihn lebte. Er selbst war ein einziges Klischee: ein Starathlet mit guten Noten, der ganz zufällig auch noch fabelhaft aussah. Er war über ein Meter achtzig groß, schlank, er hatte wundervolle blaue Augen; und er fuhr sich ständig mit der Hand durch sein schwarzes, lockiges Haar.

Und klar, natürlich waren alle Mädels an unserer Schule hinter ihm her. Bisher war ich auf seine Flirtversuche immer eingegangen, aber jetzt hatte ich kein Bedürfnis, seinem Ego weiter zu schmeicheln. Er war ein Junge. Ein Junge-Junge. Wenn man mich fragte, hatte er wahrscheinlich die Leichen kleiner Kinder und Welpen in seinem Spind versteckt.

Ich hätte ihn ohne Diane Monroe, die ihm normalerweise immer wie ein Schatten folgte, beinahe nicht erkannt. Ryan und Diane waren schon seit Ewigkeiten zusammen. Na ja, in Wirklichkeit seit der Siebten, aber in der Highschool waren das Ewigkeiten. Diane war die klassische Freundin für solch einen Überflieger wie Ryan: glänzende lange blonde Haare, helle kristallblaue Augen, den Körper eines Models und immer, immer perfekt gestylt – der übliche Cheerleader/Schulsprecherinnen-Typus.

»Mann, sieht aus, als hätten wir bloß Geschichte zusammen«, sagte Ryan jetzt zu mir. »Todd ist auch in diesem Kurs. Mist.«

»Ja, was ein Mist.« Ich gab mir nicht einmal Mühe, die Ironie in meiner Stimme zu verbergen.

»Hey!«

Ich blickte den Flur hinunter und sah niemanden anders als Miss Diane Monroe, die mit einem breiten Lächeln im Gesicht auf uns zukam. Sie hatte wahrscheinlich irgendeine Art von sechstem Sinn, der sie warnte, wenn Ryan sich mit einem anderen Mädchen unterhielt. Ich gab mir Mühe, nicht die Augen zu verdrehen, während ich begann, meine Bücher aus dem Schließfach zu holen.

»Schönen ersten Schultag!«, sagte sie.

Ich knallte meine Spindtür zu und wollte los, in den Spanischunterricht – aber der Weg wurde mir von Diane versperrt, die sich vor mir aufgebaut hatte. Ihr Lächeln war noch breiter geworden, was mich ziemlich beunruhigte.

»Hi Penny«, sagte sie. »Wie waren die Sommerferien?« Ihre Augen funkelten derart vor Begeisterung, dass mir fast schlecht wurde.

Ich sah sie verwirrt an. Was wollte sie von mir? Schon seit Ewigkeiten hatten wir kein Wort miteinander gewechselt. »Äh, hi Diane.« Wieso mussten nur alle am ersten Schultag nach den Sommerferien fragen? Das war so was von ätzend. Der Sommer war vorbei. Es gab keinen Grund mehr, daran zu denken. Nie wieder.

»Na, fällt dir irgendetwas auf?« Diane fing an, sich im Kreis zu drehen. Alles an ihr schrie perfekt – also nichts, was einem auffallen könnte – und so zuckte ich bloß mit den Schultern.

»Penny!« Diane sah verblüfft aus. »Meine Klamotten, erinnerst du dich nicht mehr?« Ich ließ meinen Blick über ihre Kleidung wandern: eng anliegender Jeansblazer mit einer mit Pailletten besetzten schwarzen Bluse darunter, rosa Minirock und rosa Riemensandaletten mit zehn Zentimeter hohem Absatz. Ich zuckte mit den Schultern. Woran sollte ich mich erinnern?

»Penny!« Diane öffnete ihren Blazer, sodass man das Beatles-Logo auf ihrer Paillettenbluse sehen konnte. »Erinnerst du dich jetzt? Wir haben doch immer am ersten Schultag ein Beatles-T-Shirt getragen.«

Die Kinnlade klappte mir herunter. Klar, als wir zehn waren… und noch miteinander gesprochen hatten. »Tut mir leid«, sagte ich. »Das ist schon so lange her.«

Diane ließ die Schultern hängen. Offenbar hatte sie eine andere Antwort erwartet.

Aber welche? Das letzte Mal hatte ich mich in der achten Klasse an diese Tradition gehalten. Das war der Tag gewesen, an dem ich zu spät kam, weil Diane mich nicht wie sonst von zu Hause abgeholt hatte. Das war der Tag gewesen, an dem meine beste Freundin vergessen hatte, ihr Beatles-T-Shirt anzuziehen. Und es stellte sich heraus, dass es auch der Tag war, an dem mir endlich klar wurde, dass unsere Freundschaft vorbei war. Wir waren fast zehn Jahre lang beste Freundinnen gewesen. Unsere Mütter hatten sich in einem Lesezirkel getroffen, als wir noch Windeln trugen, und von da an spielten wir immer zusammen. Ihre Mutter holte uns von der Schule ab und fuhr mit uns in den Park oder wir gingen zu mir nach Hause und spielten im Garten.

Aber das alles hatte keinen Wert mehr. Nichts hatte einen Wert mehr für Diane, nachdem Ryan auf der Bildfläche erschienen war.

Diane hatte beschlossen, dass nur eine Person in ihrem Leben Platz hatte.

Sie musste sich zwischen ihrer besten Freundin und ihrem Freund entscheiden.

Ratet mal, wen sie gewählt hat.

6.

Ich eiste mich von Diane und Ryan so schnell wie möglich los, bevor sie sich mitten im Flur in DianeundRyan verwandeln konnten. Aber Dianes Name kam wieder beim Lunch auf.

»Ratet mal, wer versucht hat, mit mir in Bio und Französisch zu quatschen, als wären wir befreundet?«, fragte Tracy, als wir nach den ersten Stunden in die Cafeteria gingen. »Diane Monroe. Ist das zu fassen? Ich glaube, sie ist auf Stimmenfang für die Wahl zur Ballkönigin beim Homecoming-Ball.«

»Ja, sie benimmt sich seltsam«, stimmte ich zu.

»Boah, ich kann sie einfach nicht ertragen.«

Tracy war nie ein großer Fan von Diane gewesen. Kaum ein Mädchen an der Schule war das. Vielleicht lag es an ihrem perfekten Aussehen oder der Tatsache, dass ihr alles nur so zuflog. Aber das waren nichts als harmlose Eifersüchteleien.

In Wirklichkeit gab es nur einen Menschen an der McKinley, der einen triftigen Grund hatte, Diane Monroe zu hassen.

Ich.

Schlimm genug, dass sie ein erstklassiges Beispiel für eine dieser »Für meinen Typen gebe ich alles auf«-Mädels war – sie hatte auch mich aufgegeben. Ich hatte es schon immer armselig gefunden, wenn Mädchen ihre Freundinnen sausen lassen, sobald sich ein Junge für sie interessiert. Als aus mir aber eine dieser Freundinnen wurde, wurde mir erst klar, wie sehr das verletzte.

Bloß ein weiteres Beispiel, was Jungs getan hatten, um mein Leben zu zerstören. Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, mich wie Dreck zu behandeln, stahlen sie mir auch noch meine Freundinnen.

Ich hasste es, wie sich Tracy mit ihrer Liste quälte, trotzdem war ich insgeheim froh darüber, wenn sie letztendlich keinen Erfolg bei den Jungs auf der Liste hatte. Ich wollte Tracy niemals so verlieren, wie ich Diane verloren hatte.