Oscar Wilde

Das Bildnis des Dorian Gray

Oscar Wilde

Das Bildnis des Dorian Gray

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019
Herausgeber: J. Schulze
Übersetzung: Hedwig Lachmann, Gustav Landauer
EV: Insel-Verlag, Leipzig, 1914
3. Auflage, ISBN 978-3-954180-84-4

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Inhaltsverzeichnis

Vor­wort zu Do­ri­an Gray

Das Buch

Ers­tes Ka­pi­tel

Zwei­tes Ka­pi­tel

Drit­tes Ka­pi­tel

Vier­tes Ka­pi­tel

Fünf­tes Ka­pi­tel

Sechs­tes Ka­pi­tel

Sie­ben­tes Ka­pi­tel

Ach­tes Ka­pi­tel

Neun­tes Ka­pi­tel

Zehn­tes Ka­pi­tel

Elf­tes Ka­pi­tel

Zwölf­tes Ka­pi­tel

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel

Neun­zehn­tes Ka­pi­tel

Zwan­zigs­tes Ka­pi­tel

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Vorwort zu Dorian Gray

Der Künst­ler ist der Schöp­fer schö­ner Din­ge.

Die Kunst zu of­fen­ba­ren und den Künst­ler zu ver­ste­cken ist die Auf­ga­be der Kunst.

Der Kri­ti­ker ist der, der sei­nen Ein­druck von schö­nen Din­gen in eine neue Form oder ein neu­es Ma­te­ri­al über­tra­gen kann. Die höchs­te wie die nie­ders­te Form der Kri­tik ist eine Art Selbst­bio­gra­fie.

Wer häss­li­chen Sinn in schö­nen Din­gen fin­det, ist ver­derbt, ohne An­mut zu ha­ben. Das ist ein Feh­ler.

Wer schö­nen Sinn in schö­nen Din­gen fin­det, ge­hört zum Rei­che der Kul­tur. Für ihn ist Hoff­nung.

Die sind die Au­ser­wähl­ten, de­nen schö­ne Din­ge ein­zig Schön­heit be­deu­ten.

So et­was wie ein mo­ra­li­sches oder un­mo­ra­li­sches Buch gibt es nicht. Bü­cher sind gut ge­schrie­ben oder schlecht ge­schrie­ben, wei­ter nichts.

Das Miss­fal­len des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts am Rea­lis­mus ist die Wut Ka­li­bans, der sein ei­ge­nes Ge­sicht im Spie­gel sieht.

Das Miss­fal­len des neun­zehn­ten Jahr­hun­derts an der Ro­man­tik ist die Wut Ka­li­bans, der sein ei­ge­nes Ge­sicht nicht im Spie­gel sieht.

Das mo­ra­li­sche Le­ben des Men­schen bil­det einen Teil des Stoff­ge­biets des Künst­lers, aber die Mora­li­tät der Kunst be­steht im voll­kom­me­nen Ge­brauch ei­nes un­voll­kom­me­nen Mit­tels.

Kein Künst­ler will et­was be­wei­sen. Selbst Wahr­hei­ten kön­nen be­wie­sen wer­den.

Kein Künst­ler bat ethi­sche Sym­pa­thi­en. Eine ethi­sche Sym­pa­thie bei ei­nem Künst­ler ist eine un­ver­zeih­li­che Ma­nie­riert­heit des Stils.

Kein Künst­ler ist je de­ka­dent. Der Künst­ler kann al­les aus­drücken.

Den­ken und Spre­chen sind für den Künst­ler Mit­tel ei­ner Kunst.

Las­ter und Tu­gend sind für den Künst­ler Ma­te­ri­al ei­ner Kunst.

Vom Stand­punkt der Form ist das Ur­bild al­ler Küns­te die Kunst des Mu­si­kers. Vom Stand­punkt des Ge­fühls ist das Hand­werk des Schau­spie­lers das Ur­bild.

Alle Kunst ist zu­gleich Ober­flä­che und Sym­bol. Wer un­ter die Ober­flä­che geht, tut es auf ei­ge­ne Ge­fahr.

Wer das Sym­bol deu­tet, tut es auf ei­ge­ne Ge­fahr.

Den Be­schau­er und nicht das Le­ben spie­gelt die Kunst in Wahr­heit.

Mei­nungs­ver­schie­den­heit über ein Kunst­werk zeigt, dass das Werk neu, viel­fäl­tig und be­deu­tend ist.

Wenn die Kri­ti­ker un­eins sind, ist der Künst­ler ei­nig mit sich selbst.

Wir kön­nen ei­nem Men­schen ver­zei­hen, dass er et­was Nütz­li­ches ge­macht hat, so­lan­ge er es nicht be­wun­dert. Die ein­zi­ge Ent­schul­di­gung da­für, dass ei­ner et­was Nutz­lo­ses ge­macht hat, ist, dass man es sehr be­wun­dert.

Al­le Kunst ist völ­lig nutz­los.
Os­car Wil­de

Das Buch

Für den Mü­ßig­gän­ger Do­ri­an Gray wird der ewi­ge Mensch­heits­traum wahr: Er kann nicht al­tern. Statt­des­sen al­tert sein ge­mal­tes Por­trät.

Sein Aus­se­hen eb­net ihm den ge­sell­schaft­li­chen Er­folg, Jahr ums Jahr zieht ins Land, aber Do­ri­an Gray bleibt der be­geh­rens­wer­te, blen­dend aus­se­hen­de Jüng­ling. Wäh­rend er im­mer maß­lo­ser und grau­sa­mer wird, bleibt sein Äu­ße­res jung und ma­kel­los schön.

Nur der Ma­ler sei­nes Bil­des schöpft Ver­dacht, zu wun­der­lich scheint ihm Grays Al­ters­lo­sig­keit. Das Ge­heim­nis droht ent­deckt zu wer­den.

„Das Bild­nis des Do­ri­an Gray“ („The Pic­ture of Do­ri­an Gray“) ist der ein­zi­ge Ro­man des iri­schen Schrift­stel­lers Os­car Wil­de. Das sei­ner­zeit als an­rü­chig gel­ten­de Werk war auch Ge­gen­stand des Un­zucht­pro­zes­ses ge­gen Wil­de.

Der Ro­man gilt als Os­car Wil­des Haupt­werk und ist ein Klas­si­ker der Welt­li­te­ra­tur.

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Erstes Kapitel

Star­ker Ro­sen­duft durch­ström­te das Ate­lier, und als ein leich­ter Som­mer­wind die Bäu­me im Gar­ten hin und her wieg­te, kam durch die of­fe­ne Tür der schwe­re Ge­ruch des Flie­ders oder der fei­ne­re Duft des Rot­dorns.

Von dem Per­ser­di­wan, auf dem er lag und nach sei­ner Ge­wohn­heit un­zäh­li­ge Zi­ga­ret­ten rauch­te, konn­te Lord Hen­ry Wot­ton ge­ra­de die süß­duf­ten­den und ho­nig­far­be­nen Blü­ten ei­nes Gold­re­gen­strauchs ge­wah­ren, des­sen zit­tern­de Zwei­ge die Last ei­ner so flam­men­den Schön­heit kaum tra­gen zu kön­nen schie­nen; und hie und da flitz­ten die fan­tas­ti­schen Schat­ten vor­bei­flie­gen­der Vö­gel über die lan­gen bast­sei­de­nen Vor­hän­ge des großen Fens­ters und brach­ten eine Art ja­pa­ni­sche Au­gen­blicks­wir­kung her­vor, so­dass ihm die blas­sen, ne­phrit­far­be­nen Ma­ler To­ki­os ein­fie­len, die ver­mit­telst ei­ner Kunst, die nicht an­ders als un­be­weg­lich sein kann, den Ein­druck der Rasch­heit und Be­we­gung her­vor­zu­ru­fen su­chen. Das sum­men­de Mur­ren der Bie­nen, die in dem lan­gen un­ge­mäh­ten Gras hin und her tau­mel­ten oder mit ein­tö­ni­ger Hart­nä­ckig­keit die stau­big­gol­de­nen Blü­ten­t­rich­ter des wu­chern­den Geiß­blatts um­kreis­ten, schie­nen die Stil­le noch drücken­der zu ma­chen. Das dump­fe Ge­tö­se Lon­d­ons klang wie das Schnarr­werk ei­ner ent­fern­ten Or­gel.

In der Mit­te des Ge­ma­ches stand auf ei­ner hoch auf­ge­rich­te­ten Staf­fe­lei das le­bens­große Por­trät ei­nes un­ge­wöhn­lich schö­nen jun­gen Man­nes, und ihm ge­gen­über, et­was ent­fernt da­von, saß der Künst­ler, der es ge­malt hat­te, Ba­sil Hall­ward, des­sen plötz­li­ches Ver­schwin­den vor ei­ni­gen Jah­ren das Pub­li­kum er­regt und so vie­le selt­sa­me Ver­mu­tun­gen er­weckt hat.

Als der Ma­ler auf die an­mu­ti­ge Ge­stalt blick­te, die er so schön in sei­ner Kunst ge­spie­gelt hat­te, über­flog ein Lä­cheln der Freu­de sei­ne Züge und schi­en auf ih­nen ver­wei­len zu wol­len. Aber er fuhr plötz­lich auf, schloss die Au­gen und drück­te die Li­der mit den Fin­gern zu, wie wenn er einen ab­son­der­li­chen Traum, des­sen Er­wa­chen er fürch­te­te, im Hir­ne ge­fan­gen hal­ten woll­te.

»Es ist dei­ne bes­te Ar­beit, Ba­sil, das Bes­te, was du je ge­macht hast«, sag­te Lord Hen­ry mit mü­der Stim­me. »Du musst es be­stimmt nächs­tes Jahr ins Gros­ve­nor schi­cken. Die Aka­de­mie-Aus­s­tel­lung ist zu groß und zu ge­wöhn­lich. Je­des Mal, wenn ich hin­ging, wa­ren ent­we­der so vie­le Men­schen da, dass ich die Bil­der nicht se­hen konn­te, und das war schreck­lich, oder so vie­le Bil­der, dass ich die Men­schen nicht se­hen konn­te, und das war noch schlim­mer. Das Gros­ve­nor ist wirk­lich der ein­zi­ge Ort, der in Fra­ge kommt.«

»Ich den­ke nicht dar­an, es über­haupt aus­zu­stel­len«, ant­wor­te­te der Ma­ler und warf den Kopf in der be­son­de­ren Art zu­rück, über die sei­ne Freun­de in Ox­ford so oft ge­lacht hat­ten. »Nein, ich stel­le es nir­gends aus.«

Lord Hen­ry zog die Brau­en hoch und blick­te ihn durch die dün­nen blau­en Rauch­gir­lan­den, die sich in fan­tas­ti­schen Win­dun­gen aus sei­ner schwe­ren, opi­um­ge­tränk­ten Zi­ga­ret­te em­por­kräu­sel­ten, er­staunt an. »Nir­gends aus­stel­len? Mein Lie­ber, warum? Hast du einen Grund? Was ihr Ma­ler für ku­rio­se Ker­le seid! Ihr tut al­les in der Welt, um be­rühmt zu wer­den. So­wie ihr es seid, scheint ihr des Ruhms über­drüs­sig. Das ist dumm von dir, denn es gibt nur ein Ding in der Welt, das schlim­mer ist, als dass über einen ge­re­det wird, näm­lich, dass nicht über einen ge­re­det wird. Ein Por­trät wie die­ses muss dich weit über alle jun­gen Leu­te in Eng­land he­ben und die Al­ten ganz nei­disch ma­chen – wenn alte Leu­te über­haupt ei­ner Ge­müts­be­we­gung fä­hig sind.«

»Ich weiß, du wirst mich aus­la­chen«, er­wi­der­te je­ner, »aber ich kann es wirk­lich nicht aus­stel­len. Ich habe zu viel von mir selbst hin­ein­ge­bracht.«

Lord Hen­ry streck­te sich auf dem Di­wan aus und lach­te. »Ja, ja, das wuss­te ich, aber es ist völ­lig wahr, trotz­dem.«

»Zu viel von dir soll dar­in sein! Auf mein Wort, Ba­sil, ich wuss­te nicht, dass du so ei­tel bist; ich kann wahr­haf­tig nicht die ge­rings­te Ähn­lich­keit zwi­schen dir mit dei­nem ecki­gen stren­gen Ge­sicht und dei­nen kohl­schwar­zen Haa­ren und die­sem jun­gen Ado­nis fin­den, der aus­sieht, als sei er aus El­fen­bein und Ro­sen­blät­tern ge­macht. Nein, lie­ber Ba­sil, er ist ein Nar­cis­sus, und du – nun, na­tür­lich hast du geis­ti­gen Aus­druck und so wei­ter. Aber Schön­heit, wah­re Schön­heit hört auf, wo geis­ti­ger Aus­druck an­fängt. Geist ist an sich eine Art Über­trie­ben­heit und zer­stört das Eben­maß je­des Ge­sichts. So­wie man sich ans Den­ken macht, wird man ganz Nase oder ganz Stirn oder der­art Gräss­li­ches. Be­trach­te die Män­ner, die in ir­gend­ei­nem ge­lehr­ten Be­ruf Er­folg hat­ten. Wie vollen­det häss­lich sind sie! Aus­ge­nom­men na­tür­lich die Män­ner der Kir­che. Aber in der Kir­che den­ken sie eben nicht. Ein Bi­schof bleibt da­bei, mit acht­zig Jah­ren das­sel­be zu sa­gen, was man ihm als acht­zehn­jäh­ri­gem Jun­gen bei­ge­bracht hat, und die na­tür­li­che Fol­ge ist, dass er im­mer ganz won­nig aus­sieht. Dein ge­heim­nis­vol­ler jun­ger Freund, des­sen Na­men du mir nie ge­sagt hast, des­sen Bild mich je­doch wahr­haft be­zau­bert, denkt nie­mals. Das ist mir ganz si­cher. Er ist so ein hirn­lo­ses, schö­nes Ge­schöpf, das wir im Win­ter im­mer ha­ben soll­ten, wenn es kei­ne Blu­men gibt, auf die wir bli­cken kön­nen, und im­mer im Som­mer, wenn wir et­was zur Ab­küh­lung un­se­res Geis­tes brau­chen. Schmeich­le dir nicht, Ba­sil: du hast nicht die min­des­te Ähn­lich­keit mit ihm.«

»Du ver­stehst mich nicht, Har­ry«, ant­wor­te­te der Künst­ler. »Na­tür­lich habe ich kei­ne Ähn­lich­keit mit ihm – das weiß ich sehr wohl. Ich wäre so­gar trau­rig, wenn ich so aus­sä­he wie er. Du zuckst die Ach­seln? Ich sage dir die Wahr­heit. Es schwebt ein Ver­häng­nis um alle kör­per­li­che und geis­ti­ge Aus­zeich­nung; die Art Ver­häng­nis, die in der gan­zen Ge­schich­te den schwan­ken­den Schrit­ten der Kö­ni­ge auf dem Fuße zu fol­gen scheint. Es ist bes­ser, sich nicht von sei­nen Ge­nos­sen zu un­ter­schei­den. Die Häss­li­chen und die Dum­men sind in die­ser Welt am bes­ten dar­an. Sie kön­nen be­hag­lich da­sit­zen und sorg­los dem Spiel zu­schau­en. Wenn sie nichts von Sie­gen wis­sen, so ist ih­nen da­für auch er­spart, Nie­der­la­gen ken­nen zu ler­nen. Sie le­ben, wie wir alle le­ben soll­ten: sorg­los, gleich­gül­tig und ohne Un­ru­he. Sie brin­gen über an­de­re kein Ver­der­ben und emp­fan­gen es auch nicht aus frem­den Hän­den. Dein Rang und dein Reich­tum, Har­ry; mein Hirn, wie es nun schon ist – mei­ne Kunst, sie mag wert sein, was sie will – Do­ri­an Grays schö­nes Äu­ße­re: wir wer­den alle drei un­ter dem lei­den, was uns die Göt­ter ge­ge­ben ha­ben, schreck­lich lei­den.«

»Do­ri­an Gray? So heißt er?« frag­te Lord Hen­ry und ging durch das Ate­lier auf Ba­sil Hall­ward zu.

»Ja, so heißt er. Ich woll­te dir den Na­men nicht nen­nen.«

»Aber warum nicht?«

»Oh! Ich kann das nicht er­klä­ren. Wenn ich einen Men­schen un­mä­ßig lieb habe, sage ich nie je­man­dem sei­nen Na­men. Es ist, als über­gä­be man da­mit einen Teil von ihm. Ich bin dazu ge­kom­men, das Ge­heim­nis zu lie­ben. Das scheint al­lein im­stan­de zu sein, das Le­ben un­se­rer Zeit für uns zum Mys­te­ri­um oder zum Wun­der zu ma­chen. Das ge­meins­te Ding ist vol­ler Schön­heit, wenn man es nur ver­steckt. Wenn ich die Stadt ver­las­se, sage ich den Men­schen nie mehr, wo­hin ich gehe. Täte ich es, so büß­te ich all mei­nen Ge­nuss ein. Es ist eine tö­rich­te Ge­wohn­heit, ich gebe es zu, aber ir­gend­wie scheint da­durch viel Ro­man­tik ins Le­ben zu kom­men. Ver­mut­lich hältst du mich dar­um für schreck­lich ver­rückt?«

»Nicht im ge­rings­ten«, er­wi­der­te Lord Hen­ry, »nicht im ge­rings­ten, lie­ber Ba­sil. Du scheinst zu ver­ges­sen, dass ich ver­hei­ra­tet bin, und die Ehe hat den einen Reiz, dass sie bei­den Tei­len ein Le­ben der Täu­schung völ­lig zur Not­wen­dig­keit macht. Ich weiß nie, wo mei­ne Frau ist, und mei­ne Frau weiß nie, was ich trei­be. Wenn wir zu­sam­men sind – wir sind manch­mal zu­sam­men, wenn wir mit­ein­an­der ein­ge­la­den sind oder zum Her­zog aufs Land fah­ren –, er­zäh­len wir uns die ver­rück­tes­ten Ge­schich­ten mit der ernst­haf­tes­ten Mie­ne. Mei­ne Frau ver­steht sich treff­lich dar­auf – ei­gent­lich bes­ser als ich. Sie bringt ihre Da­ten nie durch­ein­an­der; und ich im­mer. Aber wenn sie mich er­tappt, macht sie kei­nen Lärm dar­über. Ich wünsch­te manch­mal, sie täte es; aber sie lacht mich bloß aus.«

»Die Art, wie du über dein Ehe­le­ben sprichst, ist mir ver­hasst, Har­ry«, sag­te Ba­sil Hall­ward und ging lang­sam zu der Tür, die in den Gar­ten führ­te. »Ich glau­be, du bist in Wahr­heit ein sehr gu­ter Ehe­mann, schämst dich je­doch hef­tig über dei­ne ei­ge­ne Tu­gend­haf­tig­keit. Du bist ein ab­son­der­li­cher Bur­sche. Du sagst nie et­was Mora­li­sches, und du tust nie et­was Schlech­tes. Dein Zy­nis­mus ist le­dig­lich Pose.«

»Na­tür­lich­sein ist le­dig­lich eine Pose, und die är­ger­lichs­te, die ich ken­ne«, rief Lord Hen­ry und lach­te; und die bei­den jun­gen Leu­te gin­gen mit­ein­an­der in den Gar­ten und setz­ten sich in dem Schat­ten ei­nes großen Lor­beer­bu­sches auf ein lan­ges Bam­bus­so­fa. Das Son­nen­licht glitt über die glän­zen­den Blät­ter. Im Gra­se zit­ter­ten wei­ße Gän­se­blüm­chen. Nach ei­ner Pau­se zog Lord Hen­ry sei­ne Uhr. »Ich fürch­te, ich muss gleich ge­hen, Ba­sil«, brumm­te er, »und ehe ich gehe, be­ste­he ich dar­auf, dass du mir die Fra­ge be­ant­wor­test, die ich vor­hin an dich rich­te­te.«

»Was denn?« frag­te der Ma­ler, ohne auf­zu­bli­cken.

»Du weißt schon.«

»Nein, Har­ry.«

»Nun, dann will ich dirs sa­gen. Du sollst mir er­klä­ren, warum du Do­ri­an Grays Bild­nis nicht aus­stel­len willst. Ich ver­lan­ge den wirk­li­chen Grund zu wis­sen.«

»Ich sag­te dir den wirk­li­chen Grund.«

»Nein, das ta­test du nicht. Du sag­test, der Grund sei, weil zu viel von dir in dem Bil­de sei. Nun, das ist kin­disch.«

»Har­ry«, sag­te Ba­sil Hall­ward und schau­te ihm ge­ra­de ins Ge­sicht, »je­des Por­trät, das mit Emp­fin­dung ge­malt ist, ist ein Por­trät des Künst­lers, nicht des­sen, der ihm sitzt. Der ist bloß der An­lass, die Ge­le­gen­heit. Nicht er wird vom Ma­ler of­fen­bart; es ist eher der Ma­ler, der auf der far­bi­gen Lein­wand sich sel­ber of­fen­bart. Der Grund, warum ich die­ses Bild nicht aus­stel­len will, ist, dass ich fürch­te, ich habe in ihm das Ge­heim­nis mei­ner ei­ge­nen See­le auf­ge­deckt.«

Lord Hen­ry lach­te. »Und das wäre?« frag­te er.

»Ich will es dir er­klä­ren«, sag­te Hall­ward; aber ein Aus­druck der Rat­lo­sig­keit leg­te sich über sei­ne Züge.

»Ich bin ganz Er­war­tung, Ba­sil«, fing sein Ge­fähr­te wie­der an und sah zu ihm hin.

»Oh! Es ist wirk­lich nicht viel zu er­zäh­len, Har­ry«, ant­wor­te­te der Ma­ler, »und ich fürch­te, du wirst es kaum ver­ste­hen. Vi­el­leicht wirst du es kaum glau­ben.«

Lord Hen­ry lä­chel­te; dann bück­te er sich, pflück­te ein rot ge­färb­tes Gän­se­blüm­chen aus dem Gras und be­trach­te­te es. »Ich be­zweifle gar nicht, dass ich es ver­ste­hen wer­de«, gab er zu­rück und blick­te an­hal­tend auf das klei­ne gol­de­ne, weiß­ge­fie­der­te Rund in sei­ner Hand; »und was das Glau­ben an­geht, so kann ich al­les glau­ben, vor­aus­ge­setzt, dass es un­wahr­schein­lich ge­nug ist.«

Der Wind schüt­tel­te ein paar Blü­ten von den Bäu­men, und die schwe­ren Ster­nen­bü­schel des Flie­ders schwank­ten in der schwü­len Luft hin und her. Eine Gril­le fing an der Mau­er zu zir­pen an, und wie ein blau­er Fa­den schweb­te eine lan­ge, dün­ne Li­bel­le auf ih­ren brau­nen Ga­ze­flü­geln durch die Luft. Lord Hen­ry war es, als könn­te er Ba­sil Hall­wards Herz klop­fen hö­ren, und war ge­spannt, was er hö­ren soll­te.

»Die Ge­schich­te ist ein­fach die«, sag­te der Ma­ler nach ei­ner Wei­le. »Vor zwei Mo­na­ten ging ich ein­mal zu ei­nem Ge­sell­schafts­rum­mel bei Lady Bran­don. Du weißt, wir ar­men Künst­ler müs­sen uns von Zeit zu Zeit in der Ge­sell­schaft se­hen las­sen, bloß um dem Pub­li­kum ins Ge­dächt­nis zu ru­fen, dass wir kei­ne Wil­den sind. Mit ei­nem Ge­sell­schafts­an­zug und ei­ner wei­ßen Bin­de, wie du mir ein­mal sag­test, kann je­der, selbst ein Bör­sen­mak­ler, in den Ruf ei­nes Ge­bil­de­ten kom­men. Nun, ich war etwa zehn Mi­nu­ten da und plau­der­te mit um­fang­rei­chen, über­la­de­nen, vor­neh­men Wit­wen und lang­wei­li­gen Aka­de­mi­kern, als mir plötz­lich ins Be­wusst­sein kam, dass mich je­mand an­sah. Ich dreh­te mich halb um und er­blick­te zum ers­ten Mal Do­ri­an Gray. Als uns­re Au­gen sich tra­fen, fühl­te ich, dass ich blass wur­de. Ein selt­sa­mes Ge­fühl des Ban­gens über­kam mich. Ich spür­te, ich stand ei­nem von An­ge­sicht zu An­ge­sicht ge­gen­über, des­sen blo­ße Er­schei­nung so be­zau­bernd war, dass sie, wenn ich es ihr ge­stat­te­te, mei­ne gan­ze Na­tur, mei­ne gan­ze See­le und so­gar mei­ne Kunst an sich rei­ßen muss­te. Ich brauch­te in mei­nem Le­ben kei­ner­lei Ein­wir­kung von au­ßen. Du weißt selbst, Har­ry, wie un­ab­hän­gig ich von Na­tur aus bin. Ich bin im­mer mein ei­ge­ner Herr ge­we­sen; war es zum min­des­ten ge­we­sen, bis ich Do­ri­an Gray ge­trof­fen habe. Dann – aber ich weiß nicht, wie ich es dir er­klä­ren soll. Ich hat­te ein Vor­ge­fühl, dass ich un­mit­tel­bar vor ei­ner furcht­ba­ren Kri­se in mei­nem Le­ben ste­he. Ich hat­te die selt­sa­me Emp­fin­dung, das Schick­sal hal­te er­le­se­ne Freu­den und er­le­se­ne Schmer­zen für mich in Be­reit­schaft. Mich schau­der­te, und ich wand­te mich zum Ge­hen. Es war nicht das Ge­wis­sen, was mich dazu trieb; es war eine Art Feig­heit. Ich rech­ne es mir nicht zur Ehre an, dass ich zu flie­hen ver­such­te.«

»Ge­wis­sen und Feig­heit sind in Wahr­heit ein und das­sel­be. Ge­wis­sen ist der ein­ge­tra­ge­ne Name der Fir­ma, wei­ter nichts.«

»Ich glau­be das nicht, Har­ry, und ich glau­be, auch du nicht. In­des­sen, das oder je­nes mag mein Mo­tiv ge­we­sen sein – viel­leicht war es Stolz, ich bin im­mer sehr stolz ge­we­sen –, ge­wiss ist, dass ich die Tür er­rei­chen woll­te. Dort na­tür­lich prall­te ich mit Lady Bran­don zu­sam­men. ›Sie wer­den doch nicht so früh weg­lau­fen wol­len, Herr Hall­ward?‹ schrie sie. Du kennst ihre selt­sam gel­len­de Stim­me?«

»O ja, die Dame ist, von der Schön­heit ab­ge­se­hen, ein Pfau«, sag­te Lord Hen­ry und zer­zupf­te mit sei­nen lan­gen, ner­vö­sen Fin­gern das Gän­se­blüm­chen.

»Ich konn­te mich nicht von ihr los­ma­chen. Sie pro­du­zier­te mich kö­nig­li­chen Ho­hei­ten und Leu­ten mit Ster­nen und Ho­sen­bandor­den und ält­li­chen Da­men mit rie­sen­haf­ten Dia­de­men und Pa­pa­gein­asen. Sie sprach von mir als von ih­rem bes­ten Freund. Wir hat­ten uns ein ein­zi­ges Mal vor­her ge­se­hen, aber sie hat­te es sich in den Kopf ge­setzt, mich als be­rühm­ten Mann zu be­han­deln. Ich glau­be, ir­gend­ein Bild von mir hat­te ge­ra­de großen Er­folg ge­habt, oder es war we­nigs­tens in den Abend­blät­tern da­von ge­schwatzt wor­den, und das ist der Uns­terb­lich­keits­maß­stab uns­res Jahr­hun­derts. Plötz­lich be­fand ich mich dem jun­gen Man­ne ge­gen­über, des­sen Er­schei­nung mich so son­der­bar er­schüt­tert hat­te. Wir wa­ren ein­an­der ganz nahe und be­rühr­ten uns fast. Uns­re Au­gen tra­fen sich wie­der. Es war un­be­dacht von mir, aber ich bat Lady Bran­don, mich ihm vor­zu­stel­len. Vi­el­leicht war es, al­les er­wo­gen, nicht so un­be­dacht. Es war ein­fach un­ver­meid­lich. Wir hät­ten an­ge­fan­gen, mit­ein­an­der zu spre­chen, auch ohne jede Vor­stel­lung – des­sen bin ich si­cher. Do­ri­an sag­te es mir spä­ter. Auch er hat­te das Ge­fühl, dass wir dazu be­stimmt wa­ren, ein­an­der ken­nen zu ler­nen.«

»Und was für eine Be­schrei­bung gab Lady Bran­don von die­sem wun­der­ba­ren Jüng­ling?« frag­te sein Ge­fähr­te. »Ich weiß, es ist ihre Art, von al­len ih­ren Gäs­ten einen kur­z­en Abriss zu ge­ben. Ich er­in­ne­re mich, sie stell­te mich ein­mal ei­nem schau­der­haf­ten rot­ba­cki­gen al­ten Herrn vor, der über und über mit Or­den und Bän­dern be­deckt war, und zisch­te mir da­bei mit ei­nem tra­gi­schen Ge­flüs­ter, das je­der im Zim­mer voll­kom­men deut­lich hö­ren muss­te, die er­staun­lichs­ten De­tails ins Ohr. Es blieb mir nichts üb­rig, als weg­zu­lau­fen. Ich kom­me den Men­schen gern von mir selbst auf den Grund. Aber Lady Bran­don be­han­delt ihre Gäs­te ge­nau wie ein Auk­tio­na­tor sei­ne Wa­ren. Sie er­klärt sie ent­we­der voll­stän­dig fort, oder er­zählt ei­nem al­les von ih­nen, mit Aus­nah­me des­sen, was man wis­sen möch­te.«

»Arme Lady Bran­don! Du bist hart ge­gen sie, Har­ry«, sag­te Hall­ward in zer­streu­tem Ton.

»Lie­ber Jun­ge, sie woll­te einen Sa­lon grün­den, aber es ge­lang ihr nur, ein Re­stau­rant zu er­öff­nen. Wie könn­te ich sie be­wun­dern! Aber, sage mir, wie sprach sie über Herrn Do­ri­an Gray?«

»Oh, etwa: ›Ein rei­zen­der jun­ger Mensch – die arme Mut­ter und ich ganz un­zer­trenn­lich. Ver­gaß ganz, was er tut – fürch­te, er – tut gar nichts – ach ja, er spielt Kla­vier – oder war es Gei­ge, Herr Gray?‹ Wir muss­ten bei­de la­chen, und wir wur­den so­fort Freun­de.«

»La­chen ist für eine Freund­schaft noch lan­ge nicht der schlech­tes­te An­fang, und ist weitaus das bes­te Ende für sie«, sag­te der jun­ge Lord und pflück­te ein neu­es Gän­se­blüm­chen.

Hall­ward schüt­tel­te den Kopf. »Du ver­stehst nicht, was Freund­schaft ist, Har­ry«, mur­mel­te er, »und eben­so­we­nig, was Feind­schaft ist. Du magst alle Welt; das heißt, dir sind alle gleich­gül­tig.«

»Wie schreck­lich un­ge­recht von dir!« rief Lord Hen­ry, schob sei­nen Hut zu­rück und blick­te zu den Wölk­chen em­por, die wie ver­wirr­te Sträh­nen glän­zen­der wei­ßer Sei­de über das Tür­kis­ge­wöl­be des Som­mer­him­mels da­hin­trie­ben.

»Ja, schreck­lich un­ge­recht von dir. Ich un­ter­schei­de sehr zwi­schen den Men­schen. Ich wäh­le mei­ne Freun­de nach ih­rem gu­ten Aus­se­hen, mei­ne Be­kann­ten nach ih­rem gu­ten Cha­rak­ter und mei­ne Fein­de nach ih­rem gu­ten Ver­stand. Man kann nicht vor­sich­tig ge­nug in der Aus­wahl sei­ner Fein­de sein. Ich habe kei­nen ein­zi­gen er­langt, der dumm ist. Es sind al­les Leu­te von ei­ner ge­wis­sen geis­ti­gen Stär­ke, und da­her schät­zen sie mich alle. Ist das sehr ei­tel von mir? Ich glau­be, es ist ein biss­chen ei­tel.«

»Ich glau­be auch, Har­ry. Aber nach dei­ner Ein­tei­lung kann ich bloß ein Be­kann­ter von dir sein.«

»Mein lie­ber al­ter Ba­sil, du bist viel mehr als ein Be­kann­ter.«

»Und viel we­ni­ger als ein Freund. Eine Art Bru­der ver­mut­lich?«

»Oh, Bru­der! Ich ma­che mir nichts aus Brü­dern. Mein äl­tes­ter Bru­der denkt nicht ans Ster­ben, und mei­ne jün­ge­ren schei­nen nichts an­de­res zu tun.«

»Har­ry!« rief Hall­ward und run­zel­te die Stirn.

»Lie­ber Jun­ge, ich rede nicht ganz ernst­haft. Aber ich kann mir nicht hel­fen. Ich ver­ab­scheue mei­ne Ver­wand­ten. Ich ver­mu­te, das ist der Tat­sa­che zu­zu­schrei­ben, dass kein Mensch an­de­re Men­schen aus­ste­hen kann, die die­sel­ben Feh­ler wie er selbst ha­ben. Ich ver­ste­he den Zorn der eng­li­schen De­mo­kra­tie ge­gen das, was sie die Las­ter der obe­ren Stän­de nen­nen, voll­kom­men. Die Mas­sen füh­len, dass Trun­ken­heit, Dumm­heit und Un­mo­ral ihre ei­ge­ne Do­mä­ne sein soll­ten, und dass je­mand von uns, der sich bloß­stellt, auf ih­ren Jagd­grün­den wil­dert. Beim Ehe­schei­dungs­pro­zess des ar­men Southwark war ihre Ent­rüs­tung ganz pracht­voll. Und doch möch­te ich be­haup­ten, dass nicht zehn Pro­zent im Pro­le­ta­ri­at vor­schrifts­ge­mäß le­ben.«

»Ich stim­me kei­nem ein­zi­gen Wort zu, das du da ge­sagt hast, und was mehr ist, Har­ry, ich bin si­cher, du auch nicht.«

Lord Hen­ry strich sei­nen brau­nen Spitz­bart und klopf­te mit sei­nem zier­li­chen Eben­holz­stock ge­gen die Spit­ze sei­nes ele­gan­ten Stie­fels. »Wie eng­lisch du bist, Ba­sil! Zum zwei­ten Mal hast du jetzt die­se Be­mer­kung ge­macht. Wenn man ei­nem rich­ti­gen Eng­län­der eine Idee vor­trägt – schon an sich eine Toll­kühn­heit –, denkt er nie dar­an, zu er­wä­gen, ob die Idee rich­tig oder falsch ist. Das ein­zi­ge, was ihm von Be­deu­tung scheint, ist, ob man selbst dar­an glaubt. Aber der Wert ei­ner Idee hat nicht das min­des­te mit der Auf­rich­tig­keit des Men­schen zu tun, der sie vor­bringt. In Wahr­heit ist es wahr­schein­lich, dass, je un­auf­rich­ti­ger der Mensch ist, umso mehr rein geis­tig die Idee sein wird, da sie in die­sem Fall we­der von sei­nen Be­dürf­nis­sen und Wün­schen noch von sei­nen Vor­ur­tei­len ge­färbt sein wird. In­des­sen habe ich nicht die Ab­sicht, Po­li­tik, So­zio­lo­gie oder Me­ta­phy­sik mit dir zu trei­ben. Ich ma­che mir mehr aus Per­so­nen als aus Prin­zi­pi­en, und nichts lie­be ich mehr als Per­so­nen ohne Prin­zi­pi­en. Er­zäh­le mir mehr von Herrn Do­ri­an Gray. Wie oft siehst du ihn?«

»Je­den Tag. Ich wäre un­glück­lich, wenn ich ihn nicht täg­lich sähe. Er ist mir ganz und gar ein Be­dürf­nis.«

»Wie un­ge­wöhn­lich! Ich hät­te ge­dacht, du küm­mer­test dich um nichts als dei­ne Kunst.«

»Er ist mir jetzt mei­ne gan­ze Kunst«, sag­te der Ma­ler ernst.

»Ich den­ke manch­mal, Har­ry, es gibt in der Welt­ge­schich­te nur zwei Pe­ri­oden von Be­deu­tung. Die ers­te ist das Auf­tre­ten ei­nes neu­en Kunst­mit­tels, und die zwei­te ist, eben­falls für die Kunst, das Auf­tre­ten ei­nes neu­en Men­schen­ty­pus. Was die Er­fin­dung der Öl­ma­le­rei für die Ve­ne­zia­ner war, das ist das Ant­litz des An­ti­nous für die spät­grie­chi­sche Skulp­tur ge­we­sen, und das wird ei­nes Ta­ges das Ant­litz des Do­ri­an Gray für mich sein. Es ist nicht bloß, dass ich nach ihm male, zeich­ne, skiz­zie­re. Na­tür­lich habe ich all das ge­tan. Aber er ist für mich viel mehr als ein Mo­dell oder ein Mensch, der mir sitzt. Ich möch­te nicht sa­gen, dass ich un­zu­frie­den mit dem bin, was ich aus ihm ge­macht habe, oder dass sei­ne Schön­heit der­art ist, dass die Kunst sie nicht aus­drücken kann. Es gibt nichts, was die Kunst nicht aus­drücken kann; und ich weiß: was ich ge­macht habe, seit ich Do­ri­an Gray ken­nen ge­lernt, ist gute Ar­beit, ist die bes­te Ar­beit mei­nes Le­bens. Aber auf selt­sa­me Wei­se – ich glau­be kaum, dass du mich ver­stehst – hat sei­ne Er­schei­nung in mir eine neue Art mei­ner Kunst wach­ge­ru­fen, eine völ­lig neue Stil­form. Ich sehe die Din­ge an­ders, ich den­ke an­ders über sie. Ich kann jetzt das Le­ben in ei­ner Wei­se ge­stal­ten, die mir vor­her ver­bor­gen war. ›Ein Traum von Form in den Ta­gen des Den­kens‹ – wer hat das ge­sagt? Ich habe es ver­ges­sen; aber das ist Do­ri­an Gray für mich ge­wor­den. Das blo­ße sicht­ba­re Da­sein die­ses Jüng­lings, der fast noch ein Kna­be ist – so er­scheint er, ob­wohl er in Wirk­lich­keit über zwan­zig ist – sein blo­ßes sicht­ba­res Da­sein – ah! ich glau­be nicht, dass du dir vor­stel­len kannst, was al­les dar­in liegt! Ohne es zu wis­sen, bil­det er für mich das Li­ne­a­ment ei­ner neu­en Schu­le, ei­ner Schu­le, die be­stimmt ist, alle Lei­den­schaft des ro­man­ti­schen Geis­tes, alle Voll­kom­men­heit des grie­chi­schen in sich zu fas­sen. Die Har­mo­nie der See­le und des Kör­pers – wie viel das ist! Wir in un­serm Wahn­sinn ha­ben die zwei ge­trennt und ha­ben einen Rea­lis­mus er­fun­den, der ge­mein ist, und einen Idea­lis­mus, der leer ist. Har­ry! wenn du nur wüss­test, was Do­ri­an Gray für mich ist! Erin­nerst du dich an die Land­schaft, für die Ag­new mir einen so un­ge­heu­ren Preis bot, von der ich mich aber nicht tren­nen woll­te? Sie ist eins der bes­ten Stücke, die ich je ge­macht habe. Und warum? Weil, wäh­rend ich sie mal­te, Do­ri­an Gray ne­ben mir saß. Ir­gend­ein fei­ner Ein­fluss ging von ihm zu mir, und zum ers­ten Mal in mei­nem Le­ben sah ich in der ein­fa­chen Wald­land­schaft das Wun­der, nach dem ich im­mer aus­ge­blickt und das ich nie ge­fun­den hat­te.«

»Ba­sil, das ist et­was Au­ßer­or­dent­li­ches! Ich muss Do­ri­an Gray se­hen.«

Hall­ward stand auf und ging im Gar­ten hin und her. Nach ei­ner Wei­le kam er zu­rück. »Har­ry«, sag­te er, »Do­ri­an Gray ist für mich le­dig­lich ein künst­le­ri­sches Mo­tiv. Vi­el­leicht sähst du nichts in ihm. Ich sehe al­les in ihm. Er ist in mei­ner Ar­beit nie mehr ge­gen­wär­tig, als wenn kein Ab­bild von ihm dar­in ist. Er ist, wie ich sag­te, eine An­re­gung zu ei­ner neu­en Art in der Kunst. Ich fin­de ihn in den Schwin­gun­gen ge­wis­ser Li­ni­en, in dem Zau­ber und der zar­ten Tö­nung ge­wis­ser Far­ben. Das ist es, und das ist al­les.«

»Wa­rum willst du dann aber sein Por­trät nicht aus­stel­len?« frag­te Lord Hen­ry.

»Weil ich, ohne es zu wol­len, einen ge­wis­sen Aus­druck all die­ser ab­son­der­li­chen künst­le­ri­schen Ab­göt­te­rei hin­ein­ge­legt habe, von der ich na­tür­lich zu ihm nie spre­chen woll­te. Er weiß nicht dar­um. Er soll nie dar­um wis­sen. Aber die Welt könn­te es er­ra­ten; und ich will mei­ne See­le ih­ren ober­fläch­li­chen, spä­hen­den Au­gen nicht ent­blö­ßen. Mein Herz soll nie un­ter ihr Mi­kro­skop kom­men. Es ist zu viel von mir in dem Ding, Har­ry – zu viel von mir!«

»Die Dich­ter sind nicht so pein­lich wie du. Sie wis­sen, wie nütz­lich es ist, Lei­den­schaft zu pu­bli­zie­ren. Heut­zu­ta­ge bringt es ein ge­bro­che­nes Herz zu vie­len Auf­la­gen.«

»Ich has­se sie dar­um«, rief Hall­ward. »Ein Künst­ler soll­te schö­ne Din­ge schaf­fen, soll­te aber nichts von sei­nem ei­ge­nen Le­ben hin­ein­tun. Wir le­ben in ei­ner Zeit, wo die Men­schen die Kunst be­han­deln, als ob sie be­stimmt wäre, eine Art Selbst­bio­gra­fie zu sein. Wir ha­ben den Sinn für ab­so­lu­te Schön­heit ver­lo­ren. Ei­nes Ta­ges wer­de ich der Welt zei­gen, was Schön­heit ist, und aus die­sem Grun­de soll sie nie mein Por­trät Do­ri­an Grays sehn.«

»Ich glau­be, du hast un­recht, Ba­sil, aber ich will nicht mit dir strei­ten. Nur die geis­tig Ent­erb­ten fin­den Ge­fal­len am Strei­ten. Sag mir, hat Do­ri­an Gray dich sehr lieb?«

Der Ma­ler über­leg­te ein paar Au­gen­bli­cke. »Er hat mich gern«, ant­wor­te­te er nach ei­ner Wei­le, »ich weiß, dass er mich gern hat. Na­tür­lich schmeich­le ich ihm schreck­lich. Ich fin­de ein schreck­li­ches Ver­gnü­gen dar­an, Din­ge zu ihm zu sa­gen, von de­nen ich weiß, dass sie mir spä­ter leid tun wer­den. In der Re­gel ist er rei­zend zu mir, und wir sit­zen im Ate­lier und plau­dern von tau­sen­der­lei Din­gen. Hie und da je­doch ist er schreck­lich ge­dan­ken­los und scheint eine rich­ti­ge Freu­de dar­an zu fin­den, mir weh zu tun. Dann füh­le ich, Har­ry, dass ich mei­ne gan­ze See­le an einen hin­ge­ge­ben habe, der sie be­han­delt, als ob sie eine Blu­me fürs Knopf­loch wäre, eine klei­ne De­ko­ra­ti­on, sei­ner Ei­tel­keit da­mit zu schmei­cheln, ein Schmuck für einen Som­mer­tag.«

»Im Som­mer, Ba­sil, zie­hen sich die Tage manch­mal lan­ge hin«, er­wi­der­te Lord Hen­ry. »Vi­el­leicht wirst du frü­her müde wer­den als er. Es ist eine trau­ri­ge Sa­che, wenn man es be­denkt, aber es ist kein Zwei­fel, dass das Ge­nie län­ger dau­ert als die Schön­heit. Das er­klärt die Tat­sa­che, dass wir alle uns so da­mit quä­len, uns mit Bil­dung voll­zu­stop­fen. In dem wil­den Kampf ums Da­sein wol­len wir alle et­was ha­ben, das dau­ert, und so fül­len wir un­sern Geist mit Schund und Tat­sa­chen in der tö­rich­ten Hoff­nung, un­sern Platz zu be­haup­ten. Der durch­aus wohl­un­ter­rich­te­te Mann – das ist das Ide­al un­se­rer Zeit. Und um den Geist des durch­aus wohl­un­ter­rich­te­ten Man­nes ist es et­was Schreck­li­ches. Er ist wie ein An­ti­qui­tä­ten­la­den, in dem es Aus­ge­bur­ten al­ler Art und Staub gibt und je­des Ding über sei­nen wirk­li­chen Wert aus­ge­zeich­net ist. Ich glau­be, du wirst trotz­dem zu­erst müde wer­den. Ei­nes Ta­ges wirst du dei­nen jun­gen Freund an­sehn, und er wird dir ein biss­chen ver­zeich­net vor­kom­men, oder du magst sei­nen Far­ben­ton nicht oder so was. Du wirst ihm in dei­nem Her­zen bit­te­re Vor­wür­fe ma­chen und ernst­haft der Mei­nung sein, er be­neh­me sich sehr schlecht ge­gen dich. Wenn er dich das nächs­te Mal be­sucht, wirst du völ­lig kalt und gleich­gül­tig sein. Es wird sehr scha­de sein, denn es wird dich än­dern. Was du mir er­zählt hast, ist völ­lig ein Ge­dicht, ein Ge­dicht von der Kunst möch­te man es nen­nen, und das Schlimms­te dar­an, ein Ge­dicht ir­gend­ei­ner Art er­lebt zu ha­ben, ist, dass es einen so un­poe­tisch zu­rück­lässt.«

»Har­ry, sprich nicht so. So­lan­ge ich lebe, wird die Er­schei­nung Do­ri­an Grays Herr in mir sein. Du kannst mei­ne Emp­fin­dung nicht nach­füh­len. Du wan­delst dich zu oft.«

»Ah, lie­ber Ba­sil, ge­nau dar­um kann ich sie nach­füh­len. Men­schen, die treu sind, ken­nen nur die ge­mei­ne Sei­te der Lie­be: die Treu­lo­sen sind es, die die Tra­gö­di­en der Lie­be er­fah­ren.« Und Lord Hen­ry zün­de­te an ei­ner wert­vol­len sil­ber­nen Büch­se ein Streich­holz an und be­gann mit selbst­be­wus­s­ter und zu­frie­de­ner Mie­ne, als ob er die Welt auf einen Satz ge­bracht hät­te, eine Zi­ga­ret­te zu rau­chen. Es war ein Lär­men von zwit­schern­den Sper­lin­gen in den Blät­tern des Efeus, die von grü­nem Lack über­zo­gen glänz­ten, und die blau­en Wol­ken­schat­ten jag­ten wie Schwal­ben über das Gras. Wie lieb­lich war es in dem Gar­ten, und wie rei­zend die Emp­fin­dun­gen an­de­rer Leu­te! – viel rei­zen­der als ihre Ide­en, schi­en es ihm. Des Men­schen ei­ge­ne See­le und die Lei­den­schaf­ten sei­ner Freun­de, – das wa­ren im Le­ben die fes­seln­den Din­ge. Er mal­te sich in stil­ler Ver­gnüg­lich­keit das lang­wei­li­ge Früh­stück aus, um das er ge­kom­men war, weil er sich so lan­ge mit Ba­sil Hall­ward ver­weilt hat­te. Wäre er zu sei­ner Tan­te ge­gan­gen, so wür­de er si­cher dort Lord Good­bo­dy ge­trof­fen ha­ben, und die gan­ze Un­ter­hal­tung hät­te sich um die Er­näh­rung der Ar­men und um die Not­wen­dig­keit ge­dreht, Mus­ter­ar­bei­ter­häu­ser zu er­rich­ten. Men­schen von al­ler­lei Art hät­ten über die Wich­tig­keit ge­ra­de der Tu­gen­den ge­pre­digt, für die sie in ih­rem ei­ge­nen Le­ben kei­ne Ver­wen­dung hat­ten. Der Rei­che hät­te vom Wert der Spar­sam­keit ge­spro­chen, und der Fau­le wäre über die Wür­de der Ar­beit zum Red­ner ge­wor­den. Es war präch­tig, al­le­dem ent­gan­gen zu sein. Als er an sei­ne Tan­te dach­te, schi­en ihm ein Ein­fall zu kom­men. Er wand­te sich zu Hall­ward und sag­te: »Mein Lie­ber, ich er­in­ne­re mich jetzt.«

»Woran er­in­nerst du dich, Har­ry?«

»Wo ich den Na­men Do­ri­an Grays ge­hört habe.«

»Wo war es?« frag­te Hall­ward mit leich­tem Stirn­run­zeln.

»Blick nicht so är­ger­lich drein, Ba­sil. Es war bei mei­ner Tan­te Lady Aga­tha. Sie er­zähl­te mir, sie habe einen präch­ti­gen jun­gen Men­schen ent­deckt, der ihr im East-End hel­fen woll­te, und er hei­ße Do­ri­an Gray. Ich muss al­ler­dings sa­gen, dass sie mir nie mit­teil­te, er sei schön. Frau­en ha­ben kei­nen Sinn für Schön­heit, we­nigs­tens gute Frau­en nicht. Sie sag­te, er sei sehr ernst und habe eine edle See­le. Ich mal­te mir für mich ein Ge­schöpf mit ei­ner Bril­le und her­ab­hän­gen­dem Haar aus, des­sen Ge­sicht furcht­bar mit Som­mer­spros­sen über­sät war und der auf rie­si­gen Fü­ßen ein­her­trat. Ich woll­te, ich hät­te ge­wusst, dass er dein Freund ist.«

»Ich bin sehr froh, dass du es nicht wuss­test, Har­ry.«

»Wa­rum?«

»Ich will nicht, dass du ihn ken­nen lernst.«

»Du willst nicht, dass ich ihn ken­nen ler­ne?«

»Nein.«

»Herr Do­ri­an Gray ist im Ate­lier«, sag­te der Die­ner, der in den Gar­ten her­austrat.

»Jetzt musst du mich vor­stel­len«, rief Lord Hen­ry la­chend.

Der Ma­ler wand­te sich zu dem Be­dien­ten, der blin­zelnd in der Son­ne stand. »Bit­ten Sie Herrn Gray, er möch­te war­ten, Par­ker; ich wer­de in ein paar Au­gen­bli­cken kom­men.« Der Mann ver­beug­te sich und ging ins Haus.

Dann schau­te der Künst­ler Lord Hen­ry an. »Do­ri­an Gray ist mein liebs­ter Freund«, sag­te er. »Er hat eine ein­fa­che und edle See­le. Dei­ne Tan­te hat­te mit dem, was sie von ihm sag­te, ganz recht. Verdirb ihn nicht! Ver­su­che nicht, Ein­fluss auf ihn zu üben! Dein Ein­fluss wäre schlimm. Die Welt ist weit und birgt vie­le wun­der­vol­le Men­schen. En­treiß mir nicht den ein­zi­gen Men­schen, der mei­ner Kunst al­len Zau­ber gibt, den sie be­sitzt: mein Le­ben als Künst­ler hängt von ihm ab! Denk dar­an, Har­ry, ich ver­las­se mich auf dich.« Er sprach sehr lang­sam, und die Wor­te schie­nen ihm ge­gen sei­nen Wil­len ent­presst zu wer­den.

»Was für einen Un­sinn du re­dest«, sag­te Lord Hen­ry lä­chelnd, nahm ihn un­term Arm und führ­te ihn ins Haus.

Zweites Kapitel

Sie tra­ten ein und er­blick­ten Do­ri­an Gray. Er saß am Kla­vier, wen­de­te ih­nen den Rücken und blät­ter­te in ei­nem Ban­de mit Schu­manns Walds­ze­nen. »Die musst du mir lei­hen, Ba­sil«, rief er. »Ich will sie spie­len ler­nen. Sie sind ganz ent­zückend!«

»Das hängt ganz da­von ab, wie du heu­te sitzt, Do­ri­an.«

»Oh, ich habe das Sit­zen satt, ich brau­che kein le­bens­großes Bild von mir«, ant­wor­te­te der jun­ge Mann und dreh­te sich nach Art ei­nes ei­gen­wil­li­gen, lau­ni­schen Kna­ben auf dem Kla­vier­stuhl her­um. Als er Lord Hen­ry ge­wahr­te, färb­te ein schwa­ches Rot einen Au­gen­blick sei­ne Wan­gen, und er sprang auf. »Ich bit­te um Ent­schul­di­gung, Ba­sil, aber ich wuss­te nicht, dass je­mand bei dir ist.«

»Das ist Lord Hen­ry Wot­ton, Do­ri­an, ein al­ter Freund von mir aus Ox­ford. Ich habe ihm eben er­zählt, wie fa­mos du sitzt, und jetzt hast du al­les ver­dor­ben.«

»Mein Ver­gnü­gen, Sie ken­nen zu ler­nen, ha­ben Sie nicht ver­dor­ben, Herr Gray«, sag­te Lord Hen­ry, in­dem er auf ihn zu­ging und die Hand aus­streck­te. »Mei­ne Tan­te hat mir oft von Ih­nen ge­spro­chen. Sie sind ei­ner ih­rer Günst­lin­ge und ich fürch­te, auch ih­rer Op­fer.«

»Ich ste­he zur­zeit bei Lady Aga­tha im schwar­zen Buch«, ant­wor­te­te Do­ri­an und mach­te ein ko­misch buß­fer­ti­ges Ge­sicht. »Ich ver­sprach ihr, letz­ten Diens­tag mit ihr in einen Klub in Whi­techa­pel zu ge­hen, und ich habe es in der Tat völ­lig ver­ges­sen. Wir hät­ten zu­sam­men vier­hän­dig spie­len sol­len – drei Stücke, glau­be ich. Ich weiß nicht, was sie zu mir sa­gen wird. Ich fürch­te mich hin­zu­gehn.«

»Oh, ich wer­de Sie mit mei­ner Tan­te ver­söh­nen. Sie ist Ih­nen über­aus ge­wo­gen, und ich glau­be nicht, dass es in Wahr­heit et­was aus­macht, dass Sie nicht dort wa­ren. Die Zu­hö­rer dach­ten ver­mut­lich, es sei vier­hän­dig. Wenn Tan­te Aga­tha sich ans Kla­vier setzt, macht sie völ­lig ge­nug Lärm für zwei Per­so­nen.«

»Das ist recht ab­scheu­lich ge­gen sie und nicht sehr hübsch ge­gen mich«, er­wi­der­te Do­ri­an und lach­te.

Lord Hen­ry sah ihn an. Ja, er war si­cher wun­der­bar schön mit sei­nen fein ge­schwun­ge­nen Pur­pur­lip­pen, sei­nen treu­her­zi­gen blau­en Au­gen und sei­nem ge­well­ten Gold­haar. Es lag et­was in sei­nen Mie­nen, das so­fort Ver­trau­en her­vor­rief. Al­ler Schim­mer der Ju­gend war da, und eben­so all die lei­den­schaft­li­che Keusch­heit der Ju­gend. Man fühl­te, er hat­te sich in sei­ner Un­be­fleckt­heit vor der Welt be­wahrt. Kein Wun­der, dass Ba­sil Hall­ward ihn an­be­te­te.

»Sie sind zu hübsch, um sich mit Wohl­tä­tig­keit zu be­fas­sen, Herr Gray – viel zu hübsch.« Und Lord Hen­ry warf sich auf den Di­wan und nahm eine Zi­ga­ret­te.

Der Ma­ler hat­te sich da­mit be­schäf­tigt, sei­ne Far­ben zu mi­schen und sei­ne Pin­sel zu­rechtzu­ma­chen. Er sah ge­quält aus, und als er Lord Hen­rys letz­te Be­mer­kung hör­te, sah er ihn an, zö­ger­te einen Au­gen­blick und sag­te dann: »Har­ry, ich möch­te die­ses Bild heu­te fer­tig be­kom­men. Fän­dest du es sehr grob von mir, wenn ich dich bäte fort­zu­gehn?«

Lord Hen­ry lä­chel­te und schau­te Do­ri­an Gray an. »Soll ich gehn, Herr Gray?« frag­te er.

»Oh, bit­te nein, Lord Hen­ry. Ich sehe, Ba­sil ist wie­der ein­mal schlecht auf­ge­legt, und ich kann ihn gar nicht lei­den, wenn er ver­dros­sen ist. Au­ßer­dem möch­te ich Sie gern fra­gen, warum ich mich nicht mit Wohl­tä­tig­keit be­fas­sen soll?«

»Ich weiß nicht, ob ich Ih­nen das sa­gen soll, Herr Gray. Es ist ein so lang­wei­li­ges The­ma, dass man ernst­haft dar­über re­den müss­te. Aber si­cher wer­de ich nicht fort­gehn, nach­dem Sie mir er­laubt ha­ben zu blei­ben. Du bist doch nicht im Ernst da­ge­gen, Ba­sil, nicht wahr? Du hast mir oft ge­sagt, es sei dir recht, wenn die, die dir sit­zen, einen ha­ben, mit dem sie plau­dern kön­nen.«

Hall­ward biss sich auf die Lip­pen. »Wenn Do­ri­an es wünscht, musst du na­tür­lich blei­ben. Do­rians Lau­nen sind für je­den Ge­setz, au­ßer ihm selbst.«

Lord Hen­ry griff nach Hut und Hand­schu­hen. »Trotz dei­ner dring­li­chen Auf­for­de­rung, Ba­sil, fürch­te ich, ich muss gehn. Ich habe ver­spro­chen, je­man­den im Or­leans zu tref­fen. Adieu, Herr Gray! Bit­te, be­su­chen Sie mich ein­mal nach­mit­tags in Eur­zon Street. Um fünf Uhr bin ich fast im­mer zu Hau­se. Schrei­ben Sie mir, an wel­chem Tage Sie kom­men. Es täte mir leid, wenn Sie mich ver­fehl­ten.«

»Ba­sil«, rief Do­ri­an Gray, »wenn Lord Hen­ry Wot­ton geht, gehe ich auch. Du machst nie den Mund auf, so­lan­ge du malst, und es ist schreck­lich er­mü­dend, auf ei­nem Po­di­um zu stehn und sich Mühe zu ge­ben, hübsch aus­zu­se­hen. Bit­te ihn zu blei­ben. Ich be­ste­he dar­auf!«

»Blei­be, Har­ry, du machst Do­ri­an ein Ver­gnü­gen da­mit und mir auch«, sag­te Hall­ward, ohne von sei­nem Bild auf­zu­schau­en. »Es ist völ­lig wahr, ich rede nie wäh­rend der Ar­beit und höre eben­so­we­nig zu, und das muss für die Un­glück­li­chen, die mir sit­zen, schreck­lich lang­wei­lig sein. Ich bit­te dich, bleib!«

»Aber was ma­che ich mit mei­nem Mann im Or­leans?«

Der Ma­ler lach­te. »Ich glau­be, das wird kei­ner­lei Schwie­rig­kei­ten ma­chen. Setz dich wie­der, Har­ry. Und nun, Do­ri­an, geh auf das Po­di­um und be­we­ge dich nicht zu viel und ach­te nicht auf das, was Lord Hen­ry sagt. Er hat einen sehr schlech­ten Ein­fluss auf alle sei­ne Freun­de, mich al­lein aus­ge­nom­men.«

Do­ri­an Gray ging mit der Mie­ne ei­nes jun­gen grie­chi­schen Mär­ty­rers die Stu­fen zum Po­di­um hin­auf und stieß ge­gen Lord Hen­ry einen leich­ten, drol­li­gen Seuf­zer aus. Er ge­fiel ihm gut. Er war so an­ders als Ba­sil. Sie bil­de­ten einen rei­zen­den Kon­trast. Und er hat­te so eine schö­ne Stim­me. Nach ein paar Au­gen­bli­cken sag­te er zu ihm: »Üben Sie wirk­lich einen sehr schlech­ten Ein­fluss aus, Lord Hen­ry? So schlecht, wie Ba­sil sagt?«

»So et­was wie gu­ten Ein­fluss gibt es nicht, Herr Gray. Je­der Ein­fluss ist un­mo­ra­lisch – un­mo­ra­lisch im wis­sen­schaft­li­chen Sin­ne.«

»Wa­rum?«

»Weil, wer einen Men­schen be­ein­flusst, ihm sei­ne ei­ge­ne See­le gibt. Er denkt nicht sei­ne na­tür­li­chen Ge­dan­ken und glüht nicht in sei­nem na­tür­li­chen Feu­er. Sei­ne Tu­gen­den ge­hö­ren nicht wirk­lich ihm. Sei­ne Sün­den, wenn es so et­was wie Sün­den gibt, sind ge­borg­te. Er wird ein Echo der Mu­sik ir­gend­ei­nes Frem­den, Schau­spie­ler ei­ner Rol­le, die nicht für ihn ge­schrie­ben wur­de. Das Ziel des Le­bens ist Selbs­t­ent­fal­tung. Sei­ne ei­ge­ne Na­tur voll­kom­men zu ver­wirk­li­chen – da­für ist je­der von uns da. Die Men­schen von heut­zu­ta­ge ha­ben Angst vor sich selbst. Sie ha­ben die höchs­te al­ler Pf­lich­ten ver­ges­sen, die Pf­licht, die man sich selbst ge­gen­über hat. Na­tür­lich sind sie wohl­tä­tig. Sie näh­ren den Hung­ri­gen und klei­den den Bett­ler. Aber ihre ei­ge­nen See­len ster­ben Hun­gers und sind nackt. Der Mut ist un­serm Ge­schlecht ver­lo­ren ge­gan­gen. Vi­el­leicht ha­ben wir ihn nie wirk­lich be­ses­sen. Die Furcht vor der Ge­sell­schaft, die die Grund­la­ge der Moral ist, die Furcht vor Gott, die das Ge­heim­nis der Re­li­gi­on ist – das sind die zwei Din­ge, die uns be­herr­schen. Und doch …«

»Bit­te, dre­he den Kopf ein we­nig mehr nach rechts, Do­ri­an, sei so lieb!« sag­te der Ma­ler, der tief in sei­ne Ar­beit ver­senkt war und nur ge­wahr­te, dass ein Zug in das Ge­sicht des Jüng­lings ge­kom­men war, den er vor­her nie dar­in ge­se­hen hat­te.

»Und doch«, fuhr Lord Hen­ry mit sei­ner sanf­ten, wohl­klin­gen­den Stim­me und mit der an­mu­ti­gen Hand­be­we­gung fort, die so be­zeich­nend an ihm war und die er schon sei­ner­zeit in Eton ge­habt hat­te, »ich glau­be, wenn ein ein­zi­ger Mensch sein Le­ben völ­lig und ganz aus­le­ben woll­te, je­der Emp­fin­dung Form, je­dem Ge­dan­ken Aus­druck, je­dem Traum Wirk­lich­keit ge­ben woll­te – ich glau­be, die Welt er­hiel­te einen sol­chen Schwung von Freu­dig­keit, dass wir all das Siech­tum aus den Zei­ten des Mit­tel­al­ters ver­gä­ßen und zum hel­le­ni­schen Ide­al zu­rück­kehr­ten – viel­leicht zu et­was, das in­ti­mer und rei­cher wäre als das hel­le­ni­sche Ide­al. Aber der Tap­fers­te un­ter uns hat Angst vor sich sel­ber. Die Selbst­ver­stüm­me­lung der Wil­den lebt in tra­gi­scher Wei­se in der Selbst­ver­leug­nung fort, die un­ser Le­ben ver­stüm­melt. Wir wer­den für un­ser Ver­leug­nen ge­straft. Je­der Trieb, den wir er­sti­cken möch­ten, wühlt sich im Geis­te fort und ver­gif­tet uns. Der Kör­per sün­digt nur ein­mal und hat die Sün­de ab­ge­tan, denn das Tun ist eine Art Rei­ni­gung. Es bleibt nichts üb­rig als die Erin­ne­rung an eine Lust oder der köst­li­che Schmerz, dass sie vor­bei ist. Der ein­zi­ge Weg, eine Ver­su­chung los­zu­wer­den, ist, ihr nach­zu­ge­ben. Wi­der­ste­he ihr, und dei­ne See­le wird krank vor Sehn­sucht nach den Din­gen, die sie sich sel­ber ver­bo­ten hat, vor Ver­lan­gen nach dem, was ihre un­ge­heu­er­li­chen Ge­set­ze zu et­was Un­ge­heu­er­li­chem und Ge­setz­wid­ri­gem ge­macht ha­ben. Man hat wohl ge­sagt, die größ­ten Ge­scheh­nis­se in der Welt er­eig­ne­ten sich im Hir­ne. Im Hir­ne, und ein­zig und al­lein im Hir­ne er­eig­nen sich auch die großen Sün­den der Welt. Sie, Herr Gray, Sie sel­ber mit Ih­rer ro­si­gen Ju­gend und Ih­rer Kna­be­nun­schuld, die wie wei­ße Ro­sen ist, Sie ha­ben Lei­den­schaf­ten ge­habt, die Ih­nen ban­ge mach­ten, Ge­dan­ken, die Sie in Schre­cken setz­ten, Träu­me bei Tag und Träu­me im Schlaf, die, wenn Sie nur dar­an den­ken, das Blut der Scham in Ihre Wan­gen ja­gen …«

»Hal­ten Sie ein!« rief Do­ri­an Gray mit ver­sa­gen­der Stim­me, »hal­ten Sie ein, mir wird wirr von Ihren Re­den. Ich weiß nicht, was ich sa­gen soll. Es gibt eine Ant­wort auf Ihre Wor­te, aber ich kann sie nicht fin­den. Spre­chen Sie nicht! Las­sen Sie mich nach­den­ken. Oder lie­ber, las­sen Sie mich den Ver­such ma­chen, nicht nach­zu­den­ken.«

Fast zehn Mi­nu­ten lang stand er da, ohne sich zu re­gen, mit ge­öff­ne­ten Lip­pen und ei­nem selt­sa­men Glanz in den Au­gen. Er war sich un­deut­lich be­wusst, dass völ­lig neue Ein­flüs­se in ihm am Wer­ke sei­en. Je­doch schie­nen sie ihm in Wahr­heit aus ihm selbst ge­kom­men. Die paar Wor­te, die Ba­sils Freund zu ihm ge­spro­chen hat­te – Wor­te, die ohne Zwei­fel von un­ge­fähr und mit ab­sicht­li­cher Pa­ra­do­xie ge­spro­chen wa­ren –, hat­ten eine ge­hei­me Sai­te be­rührt, die zu­vor nie be­rührt wor­den war, die er aber jetzt zit­tern und in selt­sa­mer Wild­heit rau­schen hör­te.

Die Mu­sik hat­te ihn so ähn­lich er­regt. Die Mu­sik hat­te ihn oft wirr ge­macht. Aber die Mu­sik war un­be­stimmt. Sie er­zeug­te in ei­nem nicht eine neue Welt, son­dern eher ein neu­es Cha­os. Wor­te! blo­ße Wor­te! Wie furcht­bar sie wa­ren! Wie deut­lich und le­ben­dig und grau­sam! Man konn­te ih­nen nicht ent­rin­nen. Und was war doch in ih­nen für eine fei­ne Ma­gie! Sie schie­nen im­stan­de, ge­stalt­lo­sen Din­gen plas­ti­sche Ge­stalt zu ge­ben und eine Mu­sik in sich zu ber­gen, die so süß war wie die der Brat­sche oder der Lau­te. Blo­ße Wor­te! Gab es denn ir­gen­det­was, das so wirk­lich war wie Wor­te?

Ja: es hat­te in sei­nem Jüng­lings­kna­ben­tum Din­ge ge­ge­ben, die er nicht ver­stan­den hat­te. Er ver­stand sie jetzt. Das Le­ben wur­de für ihn plötz­lich feu­er­far­ben. Ihm schi­en, er sei in leib­haf­tem Feu­er ge­wan­delt. Wa­rum hat­te er es nicht ge­merkt?

Mit sei­nem fei­nen Lä­cheln be­ob­ach­te­te ihn Lord Hen­ry. Er ver­stand sich auf den fei­nen psy­cho­lo­gi­schen Mo­ment, wo es galt, nicht zu re­den. Er war stark in­ter­es­siert. Er war über den plötz­li­chen Ein­druck er­staunt, den sei­ne Wor­te her­vor­ge­bracht hat­ten; er er­in­ner­te sich an ein Buch, das er mit sech­zehn Jah­ren ge­le­sen, ein Buch, das ihm vie­les of­fen­bart hat­te, was er zu­vor nicht ge­kannt, und so war er neu­gie­rig, ob Do­ri­an Gray jetzt ein ähn­li­ches Er­leb­nis hät­te. Er hat­te nur einen Pfeil in die Luft ge­schos­sen. Hat­te er ins Schwar­ze ge­trof­fen? Wie be­zau­bernd der Jun­ge war!

Hall­ward mal­te mit sei­nem wun­der­vol­len küh­nen Pin­sel­strich, der die wah­re Fein­heit und voll­kom­me­ne Zart­heit an sich hat­te, die, in der Kunst je­den­falls, nur aus der Kraft kommt, drauf los. Er merk­te nichts von dem Schwei­gen.

»Ba­sil, ich habe ge­nug ge­stan­den!« rief Do­ri­an Gray plötz­lich. »Ich muss hin­aus­gehn und mich in den Gar­ten set­zen. Die Luft hier ist zum Er­sti­cken.«

»Mein Lie­ber, das tut mir sehr leid. Wenn ich beim Ma­len bin, kann ich an nichts an­de­res den­ken. Aber du hast nie bes­ser ge­ses­sen. Du warst völ­lig ru­hig. Und ich habe den Ef­fekt er­hascht, den ich brauch­te, die halb of­fe­nen Lip­pen und den Glanz in den Au­gen. Ich weiß nicht, was Har­ry zu dir ge­sagt hat, aber si­cher hat er be­wirkt, dass du den wun­der­volls­ten Aus­druck hast. Ich ver­mu­te, er hat dir Schmei­che­lei­en ge­sagt. Du musst kein Wort von al­lem, was er sagt, glau­ben.«

»Er hat mir ge­wiss kei­ne Schmei­che­lei­en ge­sagt. Vi­el­leicht glau­be ich dar­um nichts von al­lem, was er ge­sagt hat.«

»Sie wis­sen, dass Sie es al­les glau­ben«, sag­te Lord Hen­ry und sah ihn mit sei­nen träu­me­ri­schen, lo­cken­den Au­gen an. »Ich kom­me mit Ih­nen in den Gar­ten. Es ist furcht­bar heiß im Ate­lier. Ba­sil, ver­schaf­fe uns ein Eis­ge­tränk, mit Erd­bee­ren dar­in.«

»Gern, Har­ry. Drücke nur auf die Klin­gel, und wenn Par­ker kommt, wer­de ich ihm sa­gen, was ihr ha­ben wollt. Ich bin jetzt mit dem Hin­ter­grund hier be­schäf­tigt und wer­de also spä­ter zu euch kom­men. Hal­te Do­ri­an nicht zu lan­ge auf! Ich bin nie bes­ser zum Ma­len auf­ge­legt ge­we­sen als heu­te. Das wird mein Meis­ter­werk wer­den! Wie es da­steht, ist es mein Meis­ter­werk!«

Lord Hen­ry ging in den Gar­ten hin­aus und fand Do­ri­an Gray, wie er sein Ge­sicht in den großen küh­len Flie­der­blü­ten­bü­scheln ba­de­te und fie­brig ih­ren Duft schlürf­te, als wäre er Wein. Er trat nahe zu ihm hin und leg­te ihm die Hand auf die Schul­ter. »Sie tun ganz recht dar­an, es so zu ma­chen«, sprach er lei­se. »Nichts kann die See­le hei­len als die Sin­ne, ge­ra­de wie nichts die Sin­ne hei­len kann als die See­le.«

Der Jüng­ling fuhr zu­sam­men und trat zu­rück. Er war bar­häup­tig, und die Zwei­ge hat­ten sei­ne wi­der­spens­ti­gen Lo­cken ver­wirrt und ihre gol­de­nen Sträh­nen in Un­ord­nung ge­bracht. Es war ein furcht­sa­mer Aus­druck in sei­nen Au­gen, wie ihn Men­schen ha­ben, die man plötz­lich ge­weckt hat. Sei­ne fein ge­bau­ten Nüs­tern beb­ten, und ir­gend­ein ver­steck­ter Nerv riss lei­se an sei­nen Pur­pur­lip­pen, so­dass sie in ei­nem Zit­tern blie­ben.

»Ja«, fuhr Lord Hen­ry fort, »das ist eins der großen Ge­heim­nis­se des Le­bens: die See­le mit­telst der Sin­ne, und die Sin­ne mit­telst der See­le zu hei­len. Sie sind ein präch­ti­ges Men­schen­kind! Sie wis­sen mehr, als Sie den­ken, ge­ra­de wie Sie we­ni­ger wis­sen, als Ih­nen zu wis­sen not­tut.«

Do­ri­an Gray run­zel­te die Stirn und wand­te den Kopf ab. Er muss­te den jun­gen Mann, der groß und an­mu­tig ne­ben ihm stand, lieb­ha­ben. Sein ro­man­ti­sches, oli­ven­far­be­nes Ge­sicht und der müde Aus­druck dar­in in­ter­es­sier­ten ihn. Es war et­was in dem mü­den Ton sei­ner Stim­me, was völ­lig be­zau­ber­te. Auch sei­ne küh­len, wei­ßen, blu­men­haf­ten Hän­de hat­ten einen be­son­de­ren Reiz. Sie be­weg­ten sich wie Mu­sik, wenn er sprach, und schie­nen eine ei­ge­ne Spra­che zu ha­ben. Aber er fühl­te Angst vor ihm und schäm­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­