Ralf Isau
Fantastischer Roman – Teil 3 der Neschan-Trilogie
Roman
Die Bath-Narga lief noch am gleichen Tag aus dem Hafen von Gedor aus. Bar-Hazzat hatte ausreichend Gelegenheit gehabt, alle Vorbereitungen zu treffen, weil, wie er sagte, Geschan sich zu einem Fehler hatte hinreißen lassen. Ungefähr sechs Wochen zuvor hatte der junge Richter den Stab Haschevet benutzt und dadurch Bar-Hazzat seinen Aufenthaltsort verraten. Auf irgendeine Weise war es Geschan dann doch gelungen, eines der sechs Augen des dunklen Herrschers zu vernichten. Kein Wunder, dass Bar-Hazzat unruhig wurde. Die Zeit war äußerst knapp. Geschan, der letzte Richter von Neschan, musste zur Strecke gebracht werden.
Wenigstens hatte diese Sorge des Herrschers von Témánah auch ihr Gutes: Sethur war wieder frei. Dreieinhalb Jahre war er lebendig begraben gewesen, ein Jäger im Turm, dessen Zeit glanzvoller Siege längst vergessen schien. Doch Bar-Hazzat hatte sich seiner erinnert. In der Stunde der Not hatte er ihn wieder geholt, so wie man sich beim ersten Anzeichen der Gefahr seines alten Schwertes erinnert. Er sollte seinem Gebieter dankbar sein. Endlich konnte er die eine Aufgabe erfüllen. Nur die Hoffnung, sich bewähren zu können, hatte ihn so lange am Leben erhalten.
Die „Tochter der Narga“ war ein schlanker Fünfmaster, wie man sie nur in Témánah baute: pechschwarz vom Kiel über die Segel bis zum Groß-Flaggen topp, filigran wie eine Gottesanbeterin und mindestens ebenso tödlich. Sie ähnelte von Bau und Größe her ihrer Vorgängerin, der Narga, die einst vor dem Südkamm vom Weißen Fluch verschlungen worden war.
Schiffe wie die Bath-Narga waren so konstruiert, dass sie große Strecken in kürzester Zeit zurücklegen konnten. Ihre Ladung bestand aus Waffen und Kriegern. An Bord von Sethurs Schiff befanden sich zweihundertvierzig Männer, die meisten von ihnen erfahrene Kämpfer, eine schlagkräftige Truppe.
Kirzath, der Kapitän des schwarzen Seglers, hatte mit Geschan noch eine Rechnung zu begleichen. Vor dreieinhalb Jahren hatte er das Kommando auf der Narga innegehabt. Für ihn gab es nur einen einzigen Schuldigen an der Katastrophe vor dem Südkamm, der sein geliebtes Schiff zum Opfer gefallen war: Geschan, den siebten Richter, der sich damals noch Yonathan nannte. Mit der Ehre Sethurs war nun auch die des Kapitäns wieder hergestellt. Bar-Hazzat kannte Kirzaths tief verwurzelten Hass, er schätzte diese Eigenschaft bei seinen Dienern.
Geschan war knapp fünf Monate vom Garten der Weisheit bis nach Har-Liwjathan unterwegs gewesen. Das hieß, er würde beinahe ebenso lange benötigen, um das Auge in Abbadon zu erreichen – Zeit genug für die Bath-Narga, den Lurgon hinaufzusegeln, über verborgene Täler und Pässe in die südliche Mara einzudringen und bis zur verfluchten Stadt vorzustoßen. Dort konnte Sethur dann in aller Ruhe abwarten, bis Geschan erschien.
So lautete der Plan.
Aber bereits am Morgen des dritten Tages nach dem Auslaufen erschütterte ein unnatürlicher Schmerzensschrei das Gefüge Neschans, bei dem sich für einen Augenblick der Himmel über Témánah zu verfinstern schien. Sethur wusste, was geschehen war: Geschan hatte das zweite Auge zerstört. So schnell!
Ein grimmiges Lächeln huschte über seine Lippen. Dieser Richter, der fast noch ein Knabe war, hatte noch nie das getan, was man von ihm erwartete. Ihn zum Feind zu haben, war eine schwere Bürde.
An diesem Morgen blickte Sethur früher als gewöhnlich in seine Schale der Offenbarungen. Dieses unscheinbare kleine Messinggefäß mit den beiden Henkeln diente dem Jäger dazu, mit seinem Gebieter in Kontakt zu treten. Ein wenig Wasser in das Becken, dazu ein paar beschwörende Worte und schon begann, sich die dunkle Oberfläche der Flüssigkeit zu kräuseln. Das Spiegelbild dessen, der hineinblickte, verschwand, bald darauf nahmen Dinge Form an, die jedem Sterblichen besser auf immer verborgen geblieben wären. Sethur benutzte die Schale nur widerwillig. Doch Bar-Hazzat bestand darauf, dass sein Jäger ihm regelmäßig Bericht erstattete.
Ein unangenehmes Kribbeln lief über Sethurs Rücken, als das Wasser glatt und glänzend wie eine polierte Kupferscheibe wurde; nichts konnte es jetzt noch in Wallung bringen. In seiner geräumigen Kajüte breitete sich ein fahles Licht aus, ein kränklicher roter Schimmer, der die Konturen der Gegenstände im Raum fast aufzulösen schien.
„Du weißt, was sich zugetragen hat!“ Eine körperlose Stimme erfüllte den Jäger, während ihn drei rot glühende Kohlen aus der Schale anblickten.
„Das zweite Auge ...“
„Er hat es zerstört!“, zischte Bar-Hazzat. Hass und unbändiger Zorn schlugen Sethur entgegen. „Geschan muss Garmok, den Drachen, für sich gewonnen haben. Aber das wird ihm nichts nützen!“
Sethur hatte nicht das Gefühl, dass sich Bar-Hazzat in diesem Punkt wirklich sicher war. „Wie lautet Euer Befehl, mein Gebieter?“
„Du machst sofort kehrt. Geschan weiß, wo sich meine Augen befinden – bestimmt war es Benel, der Bote Yehwohs, der ihn damals auf dem Weg nach Gan Mischpad an drei von ihnen vorbeiführte. Selbst die Bannsteine in Cedanor und im Verborgenen Land werden wahrscheinlich nicht zu bewahren sein. Zu schnell und zu beweglich ist der Richter durch die Hilfe des Drachen geworden, als dass wir ihm hier zuvorkommen könnten. Deshalb bleibt uns nur ein Plan.“
Eine unangenehme Pause entstand. Die drei glühenden Punkte des schattenhaften Gesichts, das Sethur aus der Schale ansah, schienen heißer zu brennen. Sethur hätte nur allzu gern seine Augen abgewandt, aber weder konnte noch durfte er es. Endlich sprach Bar-Hazzat weiter.
„Ich werde Geschan eine Flotte entgegensenden, um ihn aufzuhalten. Du jedoch segelst sofort zur Insel des Lebensbaumes. Dort wartest du auf ihn. Aber sei vorsichtig! Geschans Macht ist groß geworden. Er könnte deine Anwesenheit spüren. Nähere dich ihm nicht, bevor er gegen den Hüter meines Auges angeht. Sollte er den Kampf gewinnen, dann musst du, mein Jäger, ihn zur Strecke bringen. Versuche nicht mehr, Geschan umzustimmen – es ist zwecklos. Bereite ihm einen schönen Hinterhalt und töte ihn, ehe er überhaupt gewahr wird, dass sein größter Widersacher noch lebt.“
Sethur hatte die Tage gezählt. Jeden Einzelnen. Seit jenem Morgen, als Geschan das Auge von Abbadon vernichtete, war die Sonne vierundvierzigmal aufgegangen. Die Bath-Narga hatte sofort kehrtgemacht, war den Lurgon hinabgesegelt, ohne Halt an Gedor vorbei und durch die weite Bucht, an der die témánahische Hauptstadt lag, direkt aufs offene Meer hinaus. Lange noch hatte er die Spitze des Schwarzen Turmes gesehen, hatte gespürt, dass Bar-Hazzats glühende Augen ihn verfolgten.
Mit Kurs Nordwest war die Bath-Narga Tag und Nacht am Wind gesegelt und hatte ihr Ziel schließlich nach drei Wochen erreicht. Während dieser Zeit ließ sich Sethur nur selten an Deck blicken, alle seine Gedanken waren auf die Begegnung mit Geschan gerichtet.
Kirzath sorgte dafür, dass es weder der Besatzung noch den Soldaten langweilig wurde. Er vergab Arbeiten, ließ Gefechtsübungen ansetzen und versprühte seinen Hass gleichmäßig über das ganze Schiff. Eines schien klar zu sein: Bar-Hazzats kleine Streitmacht würde Geschan und jedem seiner Begleiter den Tod bringen, sollten sie ihrer nur habhaft werden.
Zunächst jedoch galt es, zu warten. Die Sonne strahlte heiß vom Firmament, Tage verwandelten sich in Wochen, die Deckswachen gingen ihrem ewig gleichen, eintönigen Geschäft nach, drehten ihre Runden und widerstanden dem Schlaf. Während der ganzen Zeit lag die Bath-Narga wie ein Flusskrokodil bewegungslos auf der Lauer. Man hatte eine versteckte Bucht gewählt, die vom Meer aus nicht eingesehen werden konnte. Auf eine Anhöhe setzte Sethur einen Beobachtungsposten. Normalerweise hätte auf der Insel kein Menschenherz mehr als dreimal schlagen können, aber schließlich stammte der Zauber, der über diesem vergessenen Flecken Land lag, von Bar-Hazzat, und Sethur war mit der nötigen Macht ausgestattet, den Bann wenigstens in einem kleinen Gebiet und für eine begrenzte Zeit aufzuheben.
Was dem einstigen Heerobersten Témánahs wirkliches Kopfzerbrechen bereitete, war Kirzaths unbändiger Hass. Die glühende Sonne am Himmel schien seinen Durst nach Rache ebenso zu fördern wie den nach kühlendem Wasser. Sethur wusste, wie gefährlich unterdrückte Gefühle sein konnten. Wenn der siebte Richter kam, durfte er die Falle auf keinen Fall zu früh bemerken. Alles hing vom richtigen Augenblick ab. Alles!
Das grüne Glühen des Traumfeldes hatte einen winzigen Makel. In der Mitte gab es einen Fleck, eine dunkle Stelle, ähnlich der nächtlichen Silhouette eines Vogels vor der silbernen Scheibe des Mondes.
„Beim letzten Mal ist mir diese Stelle gar nicht aufgefallen“, sagte Yomi. „Sind das Altersflecken?“
Yonathan konnte sich nur schwer von dem faszinierenden Anblick der langsam dahingleitenden Lichtinsel lösen. „Entschuldige bitte, was hast du gesagt? – Ach ja.“ Yonathan musste schmunzeln. „Der Schatten, den du da siehst, ist die Weltwind.“
„Die ...?“
„Ist dir eigentlich schon mal aufgefallen, Yonathan, dass alle deine Freunde ziemlich schleimig sind?“, setzte Gimbar die Unterhaltung da fort, wo es Yomi die Sprache verschlagen hatte.
Yonathan runzelte die Stirn. „Was soll denn das nun schon wieder heißen?“
„Na ja: Riesenschnecken, wabernde Traumfelder ...“
„Ja? Und was noch?“
„Du weißt schon, was ich meine.“
„Du meinst kletterwütige Seeleute, neschanische Richter, biegsame Behmische, Feuer spuckende Drachen und ehemalige Piraten?“
„Vergiss, was ich gesagt habe.“
„Jedenfalls werden wir uns unheimlich nasse Füße holen, um an Bord der Weltwind zu kommen“, meldete sich Yomi wieder.
„So schlimm wird es nicht werden, Kleines“, sagte Din-Mikkith und wandte sich an Yonathan: „Könntest du den Keim hervorholen?“
„Du willst mit Rakk-Semilath reden?“
„Wir zusammen werden es tun. Schließlich hast du das Traumfeld gerufen; ich war dir dabei nur behilflich.“
Yonathan und Din-Mikkith standen sich gegenüber und umfassten den grün schimmernden Keim mit ihren ungleichen Händen. Das Gespräch, das sie nun führten, war für Yomi und Gimbar nicht zu hören.
„Galal, bist du da?“
„Natürlich bin ich da.“
Yonathan atmete auf. Die Verständigung zwischen ihm und dem Traumfeld basierte nicht auf dem Austausch von Lauten, also der Sprache. Sie bediente sich einer tieferen Ebene des Verstehens, eines Stroms von Eindrücken, Bildern, Farben und anderem mehr. Er hatte nicht verlernt, sie zu gebrauchen.
„Ich freue mich, dich zu sehen.“
„Wie sehe ich denn aus?“
„Gut. Sehr gut! Und ziemlich grün.“
„Was ist grün?“
„Ich habe dir jemanden mitgebracht, Galal. Du erinnerst dich doch? Als wir uns das erste Mal trafen, fragtest du mich, ob wir ihn besuchen würden, und ich sagte, dass es nicht möglich sei, weil wir zunächst nach Cedanor reisen müssten.“
„Natürlich weiß ich das noch. Du bist wirklich lieb, Yonathan. Die ganze Zeit habe ich mich schon auf ihn gefreut. Er ist bei dir, nicht? Ich spüre ihn.“
„Ich bin hier, Rakk-Semilath. Auch für mich ist es eine große Freude.“ Din-Mikkiths Gedanken waren wie in weiche Farben getaucht, wie Töne voll von Zuneigung und Ehrfurcht.
„Fast hatte ich befürchtet, nie mehr einen von euch über das Meer tragen zu können. Die Schiffsmenschen auf meinem Rücken sind nicht so nett wie die Behmische.“
„Ich hoffe, es geht der Besatzung gut?“, fragte Yonathan besorgt.
„Sie mögen mich nicht. Aber ich habe sie trotzdem noch nicht ersäuft. Weil du mich darum gebeten hattest.“
„Das ist wirklich sehr anständig von dir, Galal.“
„Schon gut.“
„Galal?“
„Ja?“
„Kannst du ganz dicht ans Ufer heranschwimmen, damit wir zu dir übersetzen können?“
„Na klar. Wenn ich nicht hängen bleibe.“
Galal schaffte es. Das inselgroße Geschöpf – von dem Yonathan nie erfahren sollte, ob es nun ein einziges Lebewesen war oder aber aus einer Zweckgemeinschaft von vielen bestand, die mit einer „Stimme“ sprachen – trieb langsam auf den felsigen Strand zu. In Gedanken gab Yonathan Gimbar Recht, denn das sich nähernde Traumfeld sah wirklich „schleimig“ aus. Eine gallertartige, zähe Masse, die ihre Form beliebig ändern konnte, erstreckte sich über eine ausgedehnte Meeresfläche und vollzog jede Hebung und Senkung des Wellengangs mit. Sie leuchtete in einem phosphoreszierenden grünlichen Licht, einem riesigen Schwarm von Glühwürmchen gleichend, die sich auf die See herabgesenkt hatten.
Als die äußeren Körperpartien Galals an den Strand flossen, verdeckten sie die schroffen Felsbrocken, die das Bild der Küstenlinie bestimmten. Yonathan und seine Gefährten konnten wie auf einem weichen Teppich auf das Meer hinausgehen, direkt auf die Weltwind zu. Kaum waren sie dem großen Dreimaster nahe genug, ertönte auch schon eine knarrige Stimme von der Reling her.
„Yomi? Bist du das?“
„Wieso? Hast du noch eine Verabredung mit einem anderen, Vater?“
Kaldeks Antwort wurde von einem gewaltigen Jubelschwall ertränkt. Über Wochen hinweg hatten Ungewissheit und unterschiedlichste Befürchtungen die Männer der Weltwind in Anspannung gehalten. Doch jetzt fiel all das in einem einzigen Augenblick von ihnen ab.
„Gott sei Dank!“, brachte der Kapitän endlich hervor. „Wir hatten schon befürchtet, euch sei etwas zugestoßen. Und jetzt, als wir plötzlich vier statt der erwarteten drei Personen kommen sahen, dachten wir schon, Bar-Hazzat schicke uns ein paar seiner schwarzen Gespenster vorbei.“
„Keine Angst, Kaldek“, antwortete Yonathan an Yomis Stelle.
„Vorerst bleibt Euch eine solche Begegnung erspart. Aber wie wär’s, wenn Ihr uns erst einmal an Bord bittet? Hier auf dem Rücken unseres leuchtenden Freundes ist es nämlich ziemlich feucht.“
„Kommt nur, kommt. Was dieses Traumfeld betrifft, habe ich sowieso noch ein Hühnchen mit Euch zu rupfen.“
Die Lagebesprechung in der Kapitänskajüte fiel eher wie eine zwanglose Feier alter Freunde aus. Gimbar hatte sich in den einzigen Sessel fallen lassen – eine der wenigen Neuerungen seit der letzten Generalüberholung der Weltwind. Kaldek und Yomi saßen am Tisch in der Mitte des Raumes, Din-Mikkith hatte sich mit abenteuerlich ineinander verschränkten Beinen auf der Truhe neben dem Bett niedergelassen, und Yonathan lief rastlos zwischen allen Anwesenden hin und her.
„Nun setz dich endlich zu uns“, sagte Yomi nicht zum ersten Mal. „Dadurch, dass du hier herumläufst wie ein aufgescheuchter Pinguin, bringst du uns nicht weiter.“
Yonathans Schritte verharrten am Tisch. Seine Finger ließen vom rechten Ohrläppchen ab, und er hob die Hände in einer hilflosen Geste. „Aber es ist doch wirklich zum Verzweifeln! Ich dachte, Galal wüsste genau, wohin es uns zu bringen hat, und nun sind wir doch nur auf Vermutungen angewiesen.“
„Ich habe diesem grünen Leuchtklumpen nie so richtig getraut“, brummte Kaldek.
Die Weltwind erzitterte jäh. Ein beunruhigendes Knarren drang durchs ganze Schiff. Kaldek erbleichte.
„Ich wäre an Eurer Stelle vorsichtig mit solchen Äußerungen“, sagte Yonathan, nachdem sein Geist das Traumfeld wieder beruhigt hatte. „Galal ist sehr empfindsam.“
„Wollt Ihr damit etwa sagen, dieses ... na, Ihr wisst schon, was ich meine, hört jedes Wort mit, das wir hier sprechen?“
Yonathan schmunzelte. „Hören trifft es vielleicht nicht ganz, Kapitän, aber im Prinzip habt Ihr Recht. Galal ist beinahe wie ein kleines Kind: zwar von schlichtem Gemüt, manchmal auch ein wenig bockig, wenn man es ärgert, aber im Grunde lammfromm.“
„Davon habe ich bisher noch nichts bemerkt. Als uns dieses Ding aufgabelte, dachte ich, die Weltwind würde mitten entzweibrechen, und seitdem scheint es mit uns zu spielen wie ein Schwertwal mit einer Seerobbe.“
„Nur mit dem Unterschied, dass der Wal die Robbe am Schluss frisst. Galal wird etwas Derartiges bestimmt nicht tun. Das Traumfeld ist im Grunde herzensgut.“
„Das wird sich noch zeigen.“
„Darf ich Euch daran erinnern, Kaldek, dass wir all das an Felins Tafel in Cedanor besprochen haben und Ihr dem Plan zustimmtet? Ich bin Euch für Eure Bereitwilligkeit, uns zu unterstützen zu großem Dank verpflichtet, aber was Eure jetzige ablehnende Haltung gegenüber unserem großen Freund angeht, glaube ich, dass sie wohl kaum mit seiner angeblichen Gefährlichkeit zusammenhängt.“
„Was soll das heißen? Jeder Seemann wird Euch sagen können, dass man sich vor diesen Biestern in Acht nehmen muss.“
Wieder ging ein Beben durchs Schiff.
Es dauerte einen Moment, bis Yonathan das Traumfeld erneut besänftigt hatte. Als er sich endlich wieder dem Kapitän zuwandte, sah er sehr ernst aus. „Kann es sein, dass Ihr Euch in der Berufsehre getroffen seht, weil Ihr nicht mehr selbst den Kurs Eures Schiffes bestimmt, Kaldek, und dass Ihr darüber vergessen habt, worum es wirklich geht?“
Yonathan blickte den Kapitän fest an. Er war nicht mehr der Halbwüchsige, den Kaldek vor vier Jahren an Bord genommen hatte. Trotz seines Alters schien er erwachsen geworden zu sein, wusste, was er wollte. Er war der siebte Richter Neschans und darüber hinaus in der Lage, Gedanken zu lesen.
Der Kapitän drehte sich halb zur Seite und sagte: „Ihr habt vielleicht Recht. Aber ich bin Kapitän dieses Schiffes ... Zweifelt Ihr an meinem Eifer für die gemeinsame Sache, Richter Geschan?“
„Das wollte ich damit nicht ausdrücken, Kaldek. Ich bitte Euch einfach, dem Traumfeld noch ein wenig Zeit zu geben. Ihr werdet sehen: Es wird Euch nicht enttäuschen. Und im Übrigen bin und bleibe ich Yonathan für Euch; dieser Richter-Titel verkompliziert alles nur unnötig. Ich brauche Euch, Kaldek! Werdet Ihr uns weiterhin unterstützen?“
Der Kapitän schaute ihn wieder direkt an. Sein Gesicht wirkte starr, nur die Augen funkelten. Er schien nachzudenken. Doch dann lockerten sich seine Züge und er sagte: „Natürlich helfe ich Euch. Ich stehe zu meinem Wort. Ihr seid Yomis engster Freund, Yonathan, und Ihr habt ihn mir heil zurückgebracht. Manchmal mag ich ein sturer alter Seebär sein, und wenn einem das nicht ab und zu gesagt wird, merkt man es nicht einmal.“
„Dann ist Galal also in unsere Gemeinschaft aufgenommen?“, fragte Yonathan.
Kaldek lachte, doch diesmal klang es befreit. „Ja doch! Galal und natürlich auch dieser kleine verschrumpelte Behmisch, der sich nicht entscheiden kann, welche Farbe er annehmen soll.“
Din-Mikkith kicherte. „Wartet nur ab, Kapitän. Noch ein paar Jahre und ihr werdet genauso klein und schrumpelig sein wie ich.“
Jetzt breitete sich ausgelassenes Lachen in der ganzen Kajüte aus, und Yonathan fühlte, dass der Panzer der Vorbehalte Kaldeks endlich durchbrachen war. Jetzt galt es, eine andere Frage zu klären.
„Lasst uns auf das eigentliche Problem zurückkommen.
Weder Din-Mikkith noch Galal können sich erinnern, wo die ehemalige Heimatinsel der Behmische liegt. Ich schlage vor, wir nennen sie deshalb einfach die Vergessene Insel.“
„Vermutlich hat es Bar-Hazzat auf irgendeine Weise geschafft, unsere Erinnerungen auszulöschen“, warf der Behmisch nachdenklich ein.
Yonathan nickte. „Das glaube ich auch. Trotzdem gibt es Anhaltspunkte, über die ich Euch bitte, nachzudenken. Ich habe Vermutungen, aber ich möchte gerne Eure Meinung dazu hören. Zunächst wären da die Erinnerungen aus Din-Mikkiths Keim. Ich habe sie in der Nacht gelesen, als wir zum ersten Mal Galal trafen. Die Insel der Behmische war einst ein warmes, grünes Paradies. Sie wurde überragt von einem Berg, der eines Tages begann, Lava zu spucken – einen auffällig gefärbten Strom.“
„Das kommt mir alles sehr bekannt vor“, merkte Gimbar an.
„Ich schätze, dass der Vulkan aussah wie unser Glühender Berg und dass die Farbe der Lava Karminrot war.“
„Sehr schlau, Gimbar. Halten wir also fest: Ein Berg an einem verlassenen Ort, karminrotes Licht – das alles sind Merkmale, die für die Verstecke von Bar-Hazzats Augen typisch sind. Der Drachenberg, der Schwarze Tempel auf der Anhöhe im Herzen von Abbadon ...“
„Aber nicht das Auge in Cedanor“, unterbrach Yomi die Aufzählung. „Von der Hauptstadt des Reiches kann man nicht gerade sagen, dass sie ein unheimlich verlassener Ort wäre.“
„In gewisser Weise doch, Yo.“ Yonathan lächelte wissend.
„Das Auge befand sich auch hier in einem Berg – dem Palastberg –, aber diesmal an dessen Wurzeln, so tief in der Erde versteckt, dass nur ganz wenige überhaupt von dem unterirdischen Flusslauf wussten.“
„Also doch ein verlassenes Ort“, sagte Din-Mikkith.
Yonathan nickte. „Genau. Der Glühende Berg passt sehr gut zu dieser Aufzählung. Die vergessene Heimat der Behmische könnte also durchaus Bar-Hazzats Vorliebe für einsame Höhen entsprechen. Was meint ihr?“
„Das klingt vernünftig“, sagte Kaldek. Die anderen nickten.
„Fragt sich nur, wie wir eine Insel mit einem Berg, irgendwo im weiten Meer, finden sollen. Selbst, wenn wir ihre ungefähre Position wüssten, könnten wir dicht daran vorbeisegeln, ohne sie zu sichten.“
„Vielleicht kann man sie schon aus großer Entfernung sehen“, widersprach Yonathan. Die anderen bemerkten den zuversichtlichen Klang in seiner Stimme und blickten ihn erwartungsvoll an.
„Nun spann uns nicht länger auf die Folter, Yonathan“, forderte ihn Gimbar ungeduldig auf. „Du weißt doch etwas, oder?“
„Sagen wir, ich habe eine Vermutung. – Yomi.“ Er wandte sich dem Seemann zu. „Erinnerst du dich an die Weltwind-Legende, auf den ersten Seiten eures Logbuchs?“
Yomi runzelte die Stirn. „So ziemlich.“
„Es kommt auf jede Einzelheit an“, meinte Yonathan.
„Hol einfach das Buch her“, sagte Kaldek, „und lies uns allen die Geschichte vor. Dann können wir vielleicht gemeinsam herausfinden, worauf Yonathan hinauswill.“
Yomi nahm das Schiffslogbuch aus der Truhe, die Din-Mikkith als Sitzgelegenheit diente, und schlug es am Tisch auf. Seine Augen überflogen die ersten Zeilen. Für einen Moment war nur das leise Knarzen der Schiffsplanken zu hören, dann räusperte er sich und begann, die alte Seemannslegende vom Weltwind mit übertriebener Betonung vorzutragen.
Als die Zeit noch nicht geboren war und nur wenige Dinge einen Namen hatten, sprach Oßéh, der Vater aller Götter, zu seinen Söhnen:
„Webt mir ein Tuch aus dem Lichte der Sterne und deckt es über den Tartaros, auf dass er nicht mehr länger mein Antlitz betrübe mit seiner dunklen Pein.“
Da gingen die Götter daran und schufen ein Gewebe, so fein wie das Licht der Sterne und so fest wie das Wort ihres Vaters. Und sie deckten es über den Tartaros, den Dunklen Ort der Strafe, den der karminrote Strom des ewigen Feuers bewacht.
Und Oßéh hob wiederum an und sprach: „Ihr habt wohl getan. Der Dunkle Ort ist nun unseren Augen verborgen. Doch seht, die brennende Hitze des Flusses, der ihn umgibt, strahlt noch immer herauf zu mir und lässt mich nicht vergessen die üble Stätte. Geht hin und errichtet einen Ring aus Bergen. Ihre Wurzeln sollen reichen bis an den Grund des Tuches aus Licht, und ihre Gipfel sollen uns dienen als Schemel für unsere Füße. Auch füllt Wasser in das steinerne Rund, damit es uns diene als Schutz vor dem tobenden Feuer des Stroms.“
Wiederum taten Oßéhs Söhne, wie ihnen geheißen. Als die Götter ihr Werk beendet hatten, kehrten sie zu ihrem Vater zurück und sprachen:
„Siehe, was du uns auftrugst, schufen wir: das Gespinst aus dem Lichte der Sterne, den Ring aus Bergen und das Meer im steinernen Rund. Nun wird dein Herz nicht länger trauern über die abtrünnigen Söhne, die da schmachten am verfluchten Platze.“
Doch Oßéh sprach: „Wie könnte ich ihn vergessen, diesen Dunklen Ort? Meinen Augen ist er zwar entzogen, auch seine Hitze spüre ich nicht mehr. Doch der felsige Ring und das Meer gemahnen mich immerzu an ihn. Mein Herz ist schwer ob all der Söhne, die verloren sind. So wendet euren Eifer dem ehernen Reif zu und ein jeder schaffe dort, was mein Herz erfreuen mag und mich vergessen lässt des Tartaros’ Pein.“
Und die Söhne Oßéhs gingen von ihrem Vater, ein jeder für sich, um mit den Händen zu erschaffen, was schöner noch wäre als die Werke der Brüder. Ein Gott legte Land in die Mitte des Meeres, einer brachte Bäume und Gräser hervor, ein weiterer füllte die Wasser mit Fischen und anderem Getier. Ein Sohn setzte Vögel in die Lüfte und ein anderer rief die Tiere zum Leben, die da bevölkern sollten das noch junge Land. Als ein jeder sein Werk vollendet hatte, kehrten sie zurück, um zu zeigen dem Vater ihrer Arbeit Frucht.
Einer nach dem anderen traten sie vor Oßéh und brachten ihm ihre Schöpfungen dar. Als der Vater das Land, die Pflanzen und die Tiere gewahrte, begann, sein Herz zu frohlocken und er sprach: „Dies wird mich endlich vergessen lassen den Ungehorsam meiner Söhne, die an dem Dunklen Orte ihre Strafe verbüßen.“
Noch waren die Worte nicht verhallt, trat Sevel her zu. Vor Oßéh stellte er sich und hob an, großtuerisch zu sprechen: „Siehe, mein Vater, all die Taten meiner Brüder sind prächtig und werden dir zur Freude gereichen. Doch das, was ich geschaffen, ist wohlgestalteter als alle jene Dinge: Es sind unsere Ebenbilder. In Fleisch und Blut wandeln sie auf dem Lande, das da erwuchs inmitten des Meeres.“
Und Oßéhs Augen ruhten auf dem ganzen Werk, das seine Söhne ihm gegeben, und er erkannte die Wesen. Und siehe, sie erwiesen sich äußerlich als schön, doch innerlich waren sie böse und schlecht. Neid, Habgier und Hass herrschten unter ihnen. Auch töteten sie einander und handelten verderblich in jeder nur erdenklichen Weise.
Es zeigte sich dann, nach einer kurzen Zeit, dass deren Kinder die wirkliche Gestalt ihres verderbten Geistes offenbarten. All ihre bösen Taten spiegelten sich wider in ihren Leibern, die der göttlichen Vollkommenheit Hohn sprachen. Ihr Anblick war Schrecken, und die Nachkommen handelten schlimmer als je die Väter und Mütter in all ihrer Schlechtigkeit.
Und Oßéh geriet in Zorn über diesen Frevel, den Sevel, sein Sohn, an ihm begangen. Er schalt ihn mit Worten: „Wer bist du, Sevel, dass du die Augen deines Vaters beleidigst mit diesen beklagenswerten Geschöpfen, die du uns, den Göttern, gleichstellst? Ich bin Oßéh, der Erschaffer, dies ist mein Name. Wie kann etwas mir gleich sein, das zerstört und tötet? Nicht länger mehr sollst du im Kreise deiner Brüder weilen, auf dass du nicht vergiftest ihre Herzen, so wie das deine vergiftet ist – denn wie könnte ein reines Herz solchen Unrat hervorbringen? So soll denn dein Name sein, von nun an bis auf unabsehbare Zeit: Unrat, Mist, Kot. Das sind die Dinge, an die denken soll, wer deinen Namen, Sevel, je hören wird unter den Göttern und ihren Geschöpfen.“ Da ergriff Oßéh seinen Sohn und schleuderte ihn hinab in den Tartaros, durch das Meer, durch das Gespinst, gewoben aus Sternenlicht, direkt in den Dunklen Ort der ewigen Strafe.
Und die übrigen Söhne Oßéhs waren betrübt über die schändliche Tat, die ihres Vaters Zorn heraufbeschworen, und über die Arglist des Bruders. Sie hoben an und sprachen zu Oßéh wie aus einem Munde:
„Sollen wir die Wesen, die unser verfluchter Bruder geschaffen hat, mit Feuer vertilgen von dem Lande, damit es wieder rein werde?“
Doch Oßéh antwortete ihnen: „Ein Gott hat diese Wesen hervorgebracht, und wie ein Gott ewig währt, so sollen auch seine Werke sein.“ Und Oßéh weinte über den Verlust seines Sohnes, über dessen böses Tun und über dessen verfluchte Geschöpfe. So kam es, dass einige von Oßéhs Tränen auf die Welt fielen, das Werk der Hände seiner treuen Söhne. Und sie netzten die entarteten Wesen Sevels, worauf viele von ihnen geheilt wurden von irrendem Geist und hässlichen Körpern. Dort, wo die Tränen des Göttervaters den Erdboden berührten, erwuchsen die schönsten Blumen; auch geschahen andere wundersame Dinge, welche bis auf den heutigen Tag nicht gefasst werden können vom Geist der lebenden Wesen.
Als Oßéh nun die Welt betrachtete, die einst als Balsam dienen sollte für sein Herz und zuletzt Anlass geworden war für noch größere Trauer, rief er seine Söhne, erhob seine Stimme und sprach: „Diese Welt soll ‚Neschan‘, die Tränenwelt, genannt werden, denn meine Tränen habe ich vergossen um sie, die meinem Herzen Freude bringen sollte. Die Geschöpfe Sevels jedoch, die gereinigt wurden durch meiner Tränen Nass, nenne man ‚Menschen‘. Mögen sie die Wunden heilen, die Sevel geschlagen hat, und mögen sie herrschen über Neschan, auf dass nie mehr die verderbten Kinder Sevels die Oberhand gewinnen und Neschan erneut in die Dunkelheit des Bösen werfen.“
Fortan schwieg Oßéh, nachdem er gelobt hatte, erst wieder zu sprechen, wenn Friede auf der ganzen Tränenwelt eingekehrt sei.
Dort jedoch, wo Sevel in den Tartaros versank, blieb ein Loch im Meer zurück und im Gewebe aus Sternenlicht. Seitdem fallen die Wasser in fortwährendem Sturze hinab in den Abgrund und treffen auf den rot glühenden Strom, der da wacht über den Tartaros und seine verfluchte Schar. Sobald sich Wasser und Feuer jedoch vereinen, verwandeln sie sich und entsteigen als karminrote Wolkensäule aus dem Schlunde in die Himmel der Welt, die nach Oßéhs Tränen benannt ist. Dort vermischen sich Säule und Luft und fließen als ewiger Weltwind über Neschans Meere und Land. Schließlich fallen sie hernieder als Regen, der die Flüsse speist, welche sich ergießen in das Meer an seinem Gestade. Die Wasser des Meeres aber suchen von neuem das Weltenloch und stürzen hinab. Die Kraft jedoch, welche da ausgeht von der emporgeschleuderten Wolkensäule, drängt das Meer fort vom Weltenloch, so lange, bis sie ihm entstiegen ist, die dampfende Gischt. Doch sogleich kehren die Wasser der See wieder zurück, damit entstehe der immerwährende Wechsel von Ebbe und Flut.
So zeigt selbst der Fluch Oßéhs und die Verdammnis Sevels noch einen Segen für Neschan: den Weltwind und die Gezeiten, auf dass sich immer bewahrheite das Wort, welches von Anbeginn der Zeit an lautet:
Wandle gemäß Oßéhs Taten,
denn seine Taten sind Gesetz,
und sein Gesetz ist gut,
weil er allezeit nur das vollbringt
was vortrefflich ist.
Yomi blickte erwartungsvoll auf. „Und das soll uns weiterhelfen?“
„Du hast diese Geschichte einmal sehr ernst genommen“, erinnerte Yonathan seinen Freund. „Damals – wir hatten uns hier, auf der Weltwind, gerade erst kennengelernt – sagte ich zu dir, dass allen Legenden ein wahrer Kern innewohnt.“
„Ich weiß. Du hattest mir erklärt, dass der Gott Oßéh für Yehwoh steht und Sevel für Melech-Arez. Yehwoh hat die entarteten Geschöpfe Neschans geheilt, damit sie bis zur Weltentaufe ihre Entscheidung frei treffen können, welchem Gott sie dienen wollen. Aber ich verstehe immer noch nicht, wie uns die Legende bei der Suche nach der Vergessenen Insel weiterhelfen soll.“
„Das ist gar nicht so schwer. Ich bin auf diesen Gedanken gekommen, weil die Legende besagt, es gebe einen ‚karminroten Strom des ewigen Feuers‘, der den Dunklen Ort der Verdammnis begrenzt. Fällt euch dabei nichts auf?“
„Das passt sehr gut zur Farbe von Bar-Hazzats Augen“, sagte Gimbar.
„Mich erinnert es außerdem an die Lava des Glühenden Berges“, erkannte jetzt auch Yomi.
„Und an das rote Glühen, das meine Vorfahren von der Vergessenen Insel vertrieb“, wisperte Din-Mikkiths zischelnde Stimme.
Yonathan nickte. „Genau daran habe ich auch gedacht. Die Weltwind-Legende scheint mir erstaunlich gut unsere wirkliche Welt zu beschreiben. Es würde mich nicht wundern, wenn der Dunkle Ort der Schwarze Turm in Gedor wäre. Um dorthin zu gelangen, muss man erst den glühenden Strom überqueren. Ein treffender Vergleich, was die karminroten Augen Bar-Hazzats betrifft: Erst wenn sie überwunden sind, können wir ins Zentrum seiner Macht vordringen.“
Kaldek brummte etwas Unverständliches, bevor er sagte:
„Nachdem Ihr jetzt mein Weltbild durcheinander gebracht habt, Yonathan, solltet Ihr uns wenigstens verraten, wie wir die Vergessene Insel aus großer Entfernung erkennen können. Darum ging es doch schließlich, oder?“
„Ganz einfach“, erwiderte Yonathan lächelnd. „Der Weltwind wird uns helfen.“
Alle blickten ihn verdutzt an.
„Der Weltwind?“, fragte Kaldek. „Für so glaubwürdig halte ich die alten Legenden nun doch nicht.“
„Warum nicht, Kapitän. Sie schmücken vieles aus, dichten einiges hinzu. Aber man kann durchaus von ihnen lernen.“
„Und was, wenn ich fragen dürfte?“
„Die Dampfwolke, von der die Weltwind-Legende spricht. Ich bin mir fast sicher, dass es sie wirklich gibt.“ Yonathan bemerkte die fragenden Blicke der Gefährten und fügte hinzu: „Die Insel wird offenbar von einem Vulkan überschattet, und dort, wo es Vulkane gibt, steigt oft Wasserdampf zum Himmel empor. Bei mir zu Hause, nur ein wenig nördlich von Kitvar, ereignet sich das tagtäglich.“
Die Mienen der anderen hellten sich auf.
„Das wäre ein gutes Erklärung“, meinte Din-Mikkith.
„Wie man es nimmt.“ Kaldek war noch immer nicht zufrieden.
„Wir müssten trotzdem wenigstens in die Nähe der Insel gelangen. Selbst, wenn die Dampfwolke in hundert Meilen Entfernung gesichtet werden kann, ist das Meer trotzdem zu groß, um es einfach im Zickzackkurs abzusuchen.“
„Ein guter Einwand!“, sagte Yonathan.
Kaldek zeigte ein mürrisches Gesicht.
„Nein, nein. Ich meine es ernst, Kapitän. Besitzt Ihr noch die Neschan-Karte, die ich einmal bei Euch gesehen habe?“
Din-Mikkith musste sich ein zweites Mal von der Truhe erheben. Schließlich beugten sich alle gespannt über den Tisch, auf dem Yomi die Landkarte ausbreitete, ein altes, bräunliches Pergament, das schon an mehreren Stellen eingerissen war.
Yonathan nahm einige Trinkgefäße und fixierte damit die Ecken der Rolle. Dann bat er den Kapitän um einen Messstab und begann seine Erläuterungen.
„Warum hat Bar-Hazzat die sechs Bannsteine, seine Augen, in die Welt gesetzt? Nun, wir haben ja schon darüber gesprochen: um seine Macht zu festigen. Sinnvollerweise hat er die Augen so platziert, dass sie ihren verheerenden Einfluss möglichst auf alle Gegenden der Länder des Lichts ausüben können. Aber das ist sicher nur die halbe Wahrheit. Das Herz dieser Regionen, nach denen er seine Klauen ausgestreckt hat, ist Cedanor ...“
„Deshalb auch das Auge unter dem Palastberg“, merkte Gimbar an.
„Richtig. Die anderen Bannsteine gruppieren sich um die Stadt herum: Nördlich von ihr liegt der Glühende Berg, im Osten der Drachenberg, südlich der Schwarze Tempel von Abbadon ...“
„Und im Westen die Vergessene Insel“, unterbrach ihn diesmal Kaldek.
„Ihr seid ein Fuchs, Kapitän“, meinte Yonathan lächelnd.
„Immerhin schlau genug, um zu bemerken, dass Ihr Euch über mich lustig macht. Sagt lieber endlich, wo im Westen wir mit der Suche beginnen sollen.“
Yonathan blickte in die Runde seiner Gefährten. „Hier“, sagte er dann und stach mit seinem Zeigefinger mitten ins Meer.
„Und warum gerade da?“, wollte Kaldek wissen.
Yonathan legte den Messstab so auf die Karte, dass dessen gerade Kante schräg von rechts oben nach links unten verlief.
„Hier“, er deutete in die obere Ecke, „befindet sich Har-Liwjathan, der Drachenberg. Und hier“, der Finger wanderte zur Mitte des Stabes, „liegt Cedanor. Wenn wir nun die gleiche Entfernung weiter nach Südwesten wandern, dann kommen wir hierher.“ Der Finger hatte die Stelle im Meer wiedergefunden.
Kaldek sah zuerst seinen Adoptivsohn an und dann reihum die anderen Anwesenden. Er nickte. „Das klingt vernünftig – vernünftiger jedenfalls als alles, was mir zu diesem verrückten Thema eingefallen wäre. Wahrscheinlich hat sich noch nie ein Schiff so weit aufs Meer hinausgewagt, aber irgendwann muss ja immer jemand den Anfang machen.“
„Eure Antwort gefällt mir“, erwiderte Yonathan. „So spricht ein Mann, der das Herz am rechten Fleck hat.“
Kaldek runzelte die Stirn. „Ich kann mir nicht helfen, aber ich werde den Eindruck nicht los, Ihr treibt Euren Scherz mit mir.“
Das Gefühl, endlich der Lösung des Rätsels um das fünfte Auge auf die Spur gekommen zu sein, versetzte Yonathan in eine Art Hochstimmung. Vielleicht hatte er in seiner Euphorie wirklich nicht ganz den richtigen Ton gegenüber dem Kapitän getroffen. Er entschuldigte sich später dafür, denn er war dem erfahrenen Seemann wirklich dankbar für dessen Unterstützung. Darüber hinaus wäre eine solch weite Seereise auf dem Rücken Galals ohne den Schutz einer Kajüte, in die man sich zurückziehen konnte, so gut wie unmöglich gewesen.
In den nächsten fünfzehn Tagen genoss er den Komfort der Weltwind. Gemeinsam mit Gimbar zog er zu Yomi in dessen Kajüte. Sie war zwar klein, aber dafür trocken. Din-Mikkith und Girith erhielten die winzige Kammer, die Yonathan bei seiner ersten Fahrt auf der Weltwind bewohnt hatte. Die beengten Verhältnisse an Bord störten jedoch niemanden wirklich. Zu Beginn der Reise hatten Stürme das Meer gepeitscht, so dass die Gefährten die meiste Zeit in der Kapitänskajüte verbrachten. In den letzten fünf Tagen aber hatte sich das Wetter zusehends gebessert. Eine frische Brise trieb nur noch einzelne Wolkenhäufchen wie versprengte Schafe über den Himmel. Die Augenjäger konnten die Stunden des Tages an Deck verbringen, sich den frischen Wind um die Nase wehen lassen und die Seeleute bei ihrer Arbeit beobachten.
So war es auch an diesem Morgen, als plötzlich eine Stimme vom Ausguck herab ertönte. „Schiffe voraus!“
Yonathan und seine Gefährten standen gerade beim Kapitän, auf dem Achterdeck. Kaldek schien sich über die Nachricht wenig zu freuen. Er fragte den Mann im Mastkorb, ob es sich nicht um einen Irrtum handeln könne, vielleicht eine Insel, deren Berge aus dem Meer aufragten. Aber der Späher verneinte, er könne jetzt ganz deutlich eine Vielzahl von Segeln unterscheiden, von mindestens zwei Dutzend Schiffen.
Kaldek sah nun ziemlich mürrisch aus. „Eine Flotte zu dieser Zeit und in diesen Gewässern, das gefällt mir überhaupt nicht.“
„Vielleicht sollten wir uns nach der Farbe der Segel erkundigen“, schlug Yomi vor.
Die Antwort aus dem Krähennest lähmte die Mannschaft für einen Augenblick.
„Schwarz!“, rief der Späher. „Sie sind schwarz wie die Nacht.“
„Das habe ich befürchtet“, brummte Kaldek. „Ein témánahischer Flottenverband.“
„Vielleicht Schiffe, die Garmoks Feuer entkommen konnten“, vermutete Gimbar.
Yonathan gefiel dieser Erklärungsversuch nicht. „Möglicherweise kreuzen sie auch in diesen Gewässern, weil sie uns suchen; das hieße, wir befinden uns auf dem richtigen Kurs.“
„Da! Da kommen noch mehr!“, rief der Mann vom Ausguck aufgeregt und deutete nach achtern.
Auch von Deck aus konnten die Freunde jetzt schon die Segel von mindestens sechs Schiffen erkennen, die sich im Norden über den Horizont schoben.
„Das sieht mir verdächtig nach einem Hinterhalt aus“, knirschte Kaldek. „Ihr habt recht, Yonathan. Sie müssen gewusst haben, dass wir hier vorbeifahren werden. Wir sind vielleicht auf dem rechten Kurs, doch das nützt uns wenig. Die témánahischen Kriegsschiffe werden nicht hier sein, um uns Geleitschutz zu geben.“
Bald schon tauchten im Westen und im Osten schwarze Segel auf. Die Manöver der Schiffe zeigten deutlich, dass sie der Weltwind nachjagten.
„Kann Galal uns nicht helfen?“, schlug Yomi vor.
„Galal?“, rief Yonathan im Geist. „Hast du Yomis Frage verstanden?“
„Natürlich. Ich bin doch nicht taub.“
„Und?“
„Was: und?“
„Du hast uns doch schon einmal geholfen, Verfolgern zu entkommen.“
Galal schien diese Bemerkung zu amüsieren. Es versprühte bunte, explodierende Gedankenbilder. „Euer Menschenschiff damals war klein. Mit dem jetzigen geht dies nicht. Ich kann es nicht zudecken und untertauchen, ohne es kaputt zu machen.“
„Und wenn du ... ich meine ... die anderen Schiffe ein wenig durchschaukelst?“
„Das mach ich nicht.“
Yonathans Zuversicht schmolz allmählich dahin. „Warum denn nicht, Galal? Es ist wirklich wichtig für uns.“
„Ich kenne die schwarzen Schiffe. Sie piken mich.“
„Aber du bist doch groß, so schlimm wird es nicht sein!“
„Doch.“
„Galal!“
„Zu viele schwarze Menschenschiffe kommen. Ein paar würden mir nichts ausmachen. Aber wenn alle mich piken, dann tut es wirklich weh. Ich könnte sterben.“ Es trat eine kurze Pause ein.
„Galals sterben nicht gerne, Yonathan.“
„Das verstehe ich“, erwiderte jener sanft. Doch seine Unruhe wandelte sich in Verzweiflung.
Kapitän Kaldek protestierte energisch, als Yonathan ihm den Vorschlag unterbreitete, er solle auf die Masten verzichten. Die Weltwind müsse manövrierfähig bleiben, auch ohne das Traumfeld.
„Niemals!“, wetterte Kaldek zum wiederholten Mal. „Wegen diesem Sethur mussten wir das Schiff schon einmal zerlegen. Kann Galal uns nicht zwischen den Angreifern hindurchschleppen?“
„Nicht über Wasser, Kapitän. Seht doch selbst.“ Yonathan zeigte in die Runde. Während an Bord beratschlagt worden war, wie man fliehen könnte, hatte sich ein Kreis von schwarzen Schiffen gebildet, der für Galals inselgroßen Körper kein Schlupfloch ließ. „Wir würden nicht nur unseren Freund, sondern auch die Weltwind gefährden, wenn wir versuchten, durchzubrechen. Es gibt nur einen Weg: Galal muss die Takelage abbrechen, um wenigstens den Rumpf des Schiffes zu retten.“
„Niemals!“
Der Ring zog sich weiter zusammen. Auf den gegnerischen Decks waren bereits Einzelheiten zu erkennen. Der schwarze Flottenverband bestand aus vielen Dreimastern, sieben oder acht Galeeren, einigen kleineren Begleitschiffen und einem großen Fünfmaster.
„Wir müssen eine Entscheidung treffen, Kapitän!“, drängte Yonathan. „Es wird nicht mehr lange dauern, und wir sind in Reichweite ihrer Katapulte.“
„Kann das Traumfeld nicht wenigstens einen Durchbruch versuchen? Wenn es schnell genug ist, dann greifen uns höchstens zwei oder drei Schiffe gleichzeitig an. Vielleicht rechnen sie nicht damit, und uns gelingt die Flucht nach vorn.“
Yonathan verhandelte erneut mit Galal, und schließlich fand man einen Kompromiss.
„Unser Freund wird es einmal probieren. Nicht öfter! Nur ein einziges Mal.“
Kaldek atmete erleichtert auf. Sofort rief er der Besatzung knappe und präzise Kommandos zu. Jeder hatte seinen Posten. Man war auf das Schlimmste gefasst.
Galal wählte die vermutlich schwächste Stelle des Rings: Ein Kutter lief hier zwischen zwei Fregatten – vergleichsweise kleine Schiffe also. Doch sobald die Absicht der lebenden Insel erkennbar wurde, stürzten sich die nächstgelegenen Schiffe wie Haie auf die flüchtende Beute. Die Situation wurde kritisch. Die schwarzen Segler waren sehr wendig, flogen geradezu heran. Schon konnte man die Besatzungen der Schiffe deutlich erkennen: bronzehäutige Männer mit gezückten Waffen und versteinerten Gesichtern. Dann sirrten die ersten Pfeile der Standarmbrüste durch die Luft.
Die témánahischen Waffen galten als die wirkungsvollsten und zerstörerischsten auf ganz Neschan. Einige der pfahldicken und mindestens zehn Ellen langen Geschosse trafen die Weltwind, zwei durchschlugen glatt das Schanzkleid. Und trotzdem schien die Trefferquote bei der Vielzahl der Pfeile relativ gering zu sein. Dem Ganzen lag jedoch eiskalte Berechnung zugrunde, denn Ziel war nicht in erster Linie das Schiff von Kapitän Kaldek gewesen.
Galal erzitterte. Einige Lanzen hatten sich tief in seinen Körper gebohrt. Wasser spritzte auf. Die Sparren und Planken der Weltwind ächzten unter dem Beben des Traumfeldes.
„Es hat keinen Zweck“, rief Yonathan verzweifelt. „Galal hat große Schmerzen. Wenn es jetzt vor Schreck abtaucht, dann würde das die Weltwind nicht überleben.“
Kaldeks Gesicht war weiß wie eine Kalkwand. Endlich gab er seine Zustimmung – Galal sollte die Masten der Weltwind kappen und dann untertauchen, Schiff und Besatzung in einer riesigen Luftblase, umschlossen von seinem gewaltigen Körper.
Der südliche Rand der Insel begann, sich zuerst zu heben. Wasser tropfte in Strömen von dem aufsteigenden Körper. Das Traumfeld wollte eine Kante formen, über der es die Masten abknicken konnte. Aber dann sirrten weitere Geschosse durch die Luft, und Galals Bewegung kam zum Stillstand. Das ganze Traumfeld erzitterte unter Schmerzen.
„Da!“, rief plötzlich einer der Seeleute, die dicht bei Kaldek standen. „Seht, Kapitän.“
Nicht nur Kaldeks Augen folgten dem ausgestreckten Arm. Gegenüber von Galals aufragendem Körperwulst waren die témánahischen Schiffe in Unordnung geraten. Ihr Angriff wirkte nicht mehr zielstrebig, sondern schien buchstäblich aus dem Ruder gelaufen zu sein. Einige der Segler krängten so gefährlich, dass sie zu kentern drohten. Andere waren auf einen Kurs eingeschwenkt, der sie immerzu im Kreis führte.
„Sind die alle verrückt geworden?“, rief Yomi.
„Galal?“, sandte Yonathan seine Gedanken aus. „Hast du etwas damit zu tun?“
„Nein, ich nicht.“
„Bedeutet das, du weißt, warum diese Schiffe so merkwürdig manövrieren?“
„Natürlich.“
„Nun spann mich nicht auf die Folter. Was ist der Grund dafür?“
„Meine Freunde.“
„Andere Galals?“
„Nein, andere Bolemiden.“
Ehe Yonathan diese Nachricht richtig verarbeiten konnte, spritzte plötzlich Wasser über die Schiffsbrüstung, als wäre eine kleine Welle gegen sie angebrandet. Im nächsten Moment hingen drei fremdartige Geschöpfe über der Reling: Sie besaßen die Größe von Menschen, glichen aber weichhäutigen, grüngelben Ameisen. Anstelle von Beinen verfügten sie über zahlreiche Tentakeln mit Saugnäpfen und im oberen Bereich einer kopfähnlichen Verdickung befanden sich jeweils vier große Augen, die, getrennt voneinander, gleichzeitig in verschiedene Richtungen blicken konnten.
„Aller Friede Neschans sei mit Euch, Geschan“, sagte die mittlere der drei Gestalten. Die Worte des seltsamen Wesens wurden von zahlreichen Schmatzlauten begleitet, waren aber dennoch gut zu verstehen.
„Aller Friede sei auch mit Euch“, erwiderte Yonathan. „Ihr seid wirklich im letzten Moment gekommen, mein Freund. Wie heißt Ihr? Und was hat Euer Volk mit der témánahischen Flotte angestellt?“
Das von Yonathan angesprochene Wesen spritzte aus einer schmalen Hautfalte unterhalb der Augen einen Schwall Wasser hervor – vermutlich die bolemidische Form eines Lachens. „Ich bin Schachusch, Sohn der Königin Schsch, und was die schwarzen Schiffe betrifft: Wir haben ihnen die Ruder abgerissen.“
Yonathan schaute den Bolemiden-Prinzen mit offenem Mund an und musste schließlich lachen. „Natürlich! Deshalb diese unsinnigen Manöver!“ Aus den Augenwinkeln nahm er dabei wahr, wie ein témánahischer Dreimaster mit wehenden Flaggen in die Tiefe rauschte. Yonathans Heiterkeit verflog genauso schnell, wie sie gekommen war. Er blickte aufs Meer hinaus. Immer mehr Schiffe nahmen Wasser auf und bekamen Schlagseite. „Wie mir scheint, habt Ihr Euch nicht auf die Ruder beschränkt, Prinz Schachusch.“
„Meine Kämpfer verstehen sich nicht besonders auf den pfleglichen Umgang mit Menschenschiffen. Beim Entfernen der Ruder müssen sie unter der Wasserlinie wohl das ein oder andere Loch gerissen haben.“
„Aber die Südländer werden ertrinken, Prinz!“
„Das ist ihr Problem. Sie hätten frühzeitig lernen sollen, besser zu schwimmen. Témánah ist unser Feind, seit Yehwohs Tränen die Welt geheilt haben. Wir haben uns sogar mit den anderen Menschen verbündet, um sie im Kampf gegen den dunklen Herrscher zu unterstützen. Ihr dürft kein Mitleid für die Sklaven des Melech-Arez von mir erwarten. Sie haben ihre Strafe verdient.“
Yonathan wusste, dass Prinz Schachusch die Wahrheit sagte.
Aber die Schreie der témánahischen Schiffsleute wurden immer lauter, und er fühlte die eisige Kälte, mit der das Grauen sein Herz umfangen hielt. Ehe er etwas erwidern konnte, wurde das Schiff von einem neuen Zittern geschüttelt. Die drei Bolemiden sprangen von der Reling.
„Was ist jetzt wieder los?“, rief er ihnen nach. Er hatte das Gefühl, die Dinge entglitten nun völlig seiner Kontrolle.
„Galal ist getaucht“, antwortete Gimbar, der zu der Stelle gelaufen war, an der die drei Wesen eben noch mit ihren Saugnäpfen geklebt hatten, „und die Bolemiden auch.“
Jetzt, wo die Weltwind nicht mehr von dem Traumfeld getragen wurde, dümpelte sie in der leicht bewegten See. Ringsum bot sich ein Bild der Verwüstung. Die Bolemiden hatten ausnahmslos alle Schiffe der témánahischen Flotte unschädlich gemacht, einige waren bereits untergegangen, andere kenterten und wieder andere standen in Flammen. Das Wasser war angefüllt mit Männern, die in schweren Waffenröcken gegen das Ertrinken ankämpften. Sie schrien. Der Tod lag wie ein alles verschlingender Nebel über dem Schauplatz.
Dann konnte man plötzlich ein merkwürdiges Rauschen vernehmen, schwach wie das Brausen des Blutes in den Ohren. Kurz darauf schien sich die Meeresoberfläche unter den Schiffbrüchigen leicht abzusenken und begann, dabei zu brodeln. Die Schreckensrufe wurden lauter. Und dann sahen Yonathan und die ganze Weltwind-Besatzung das Unfassbare: Ein graugrüner Kraterring hob sich aus dem Wasser, in seiner Mitte befanden sich zwanzig oder mehr der Ertrinkenden gefangen, der Rand zog sich über den Eingeschlossenen zusammen und die Erscheinung tauchte unter.