leise gewinnt
So verschaffen sich Introvertierte Gehör
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
SO ZEIGEN SIE IHRE STILLEN STÄRKEN
Introvertierte verfügen über viele wertvolle Qualitäten, die Extrovertierte nicht im Gepäck haben. Dieses Buch hilft ihnen, ihre Stärken zu stärken und sich durchzusetzen. Das Besondere ist sein individueller Ansatz, denn introvertiert ist längst nicht gleich introvertiert!
Doris Märtins innovativer introDNA©-Test gibt Aufschluss darüber, auf welche Art Menschen leise sind. Ob M-, N-, S-, oder C-Intro: Leise gewinnt bietet ihnen Strategien, mit denen sie sich auf ihre ganz spezifische Weise Gehör verschaffen. Lauter geht leise nicht!
Intro-Typ bestimmen – Lesenavigation folgen – individuelle Empfehlungen nutzen!
Über die Autorin
Dr. phil. Doris Märtin hat Sprachen und Literatur studiert und die Suche nach den passenden Worten zum Beruf gemacht. In ihren Büchern geht es um Sprache, und Auftreten, das gute Leben und den reflektierten Umgang mit sich und anderen. Die Kommunikations- und Persönlichkeitsexpertin ist systemische Coach, Mitglied des Deutschen Knigge-Rats und als Speakerin und Impulsgeberin in den Medien präsent. Als Texterin und Beraterin für Corporate Language unterstützt sie Unternehmen, Kunden emotional intelligent anzusprechen.
Stiller Luxus: Warum Laute noch suchen, was Leise schon haben
Entschlüsseln Sie Ihren Introvertierten
Ein Begriff kommt in die Welt
Alle intro, oder was?
Die Vermessung der Stillen
Die Grundlagen der IntroDNA©
Wer bin ich, und wenn ja, wie viele: Testen Sie Ihren Intro-Typ
Masterminds: die kühlen Lenker
Supersensible: die einfühlsamen Ästheten
Nerds: die eigenbrötlerischen Genies
Cocooner: die unauffälligen Netten
Entpuppen Sie Ihre extravertierte Seite
01 Die andere Seite wahrnehmen
02 So tun als ob
03 Die Komfortzone erweitern
04 Zwischen den Polen wechseln
Entwickeln Sie Ihr Körperbewusstsein
05 Ins Gehirn blicken
06 Energiekrisen vorbeugen
07 Das Nervenkostüm stärken
08 In Form kommen
09 Mit Schmerzen und der Angst davor umgehen
Entdecken Sie Ihre Talente
10 Die Lauten entzaubern
11 Ruhe ausstrahlen
12 In die Tiefe schürfen
13 Mehr sein als scheinen
14 Gegen den Strom schwimmen
15 Das Feingefühl kultivieren
16 Ziele diszipliniert verfolgen
Entinseln Sie Ihr Schneckenhaus
17 Leiser wohnen
18 Gegen Reize abschotten
19 Gut unterwegs sein
20 Boxenstopps einlegen
Entspannen Sie Ihr Privatleben
21 Einander Raum geben
22 Liebe ausdrücken
23 Geborgenheit finden
24 Das Familienleben gestalten
25 Aneinander wachsen
26 Freundschaften pflegen
Entfalten Sie sich im Gespräch
27 Extraversisch verstehen
28 Auf Menschen eingehen
29 Beim Small Talk mithalten
30 Sich ins Gespräch bringen
31 Grenzen setzen
32 In aller Ruhe verhandeln
Entkrampfen Sie Feste und Feiern
33 Ein gefragter Gastgeber sein
34 Die richtigen Einladungen annehmen
35 Taktvoll absagen
36 Kleine Fluchten erfinden
37 Kommen und gehen
Entwickeln Sie Ihre Außenwirkung
38 Anziehungskraft entwickeln
39 Die Sprache der Kleidung nutzen
40 Präsent sein ohne Starallüren
41 Leistung zur Sprache bringen
42 Im Rummel bestehen
Entstressen Sie den Arbeitstag
43 Das Spielfeld gestalten
44 Den Tag durchstehen
45 Mit den Extros kooperieren
46 Im Team eine Rolle spielen
47 Auf Kunden eingehen
Entdecken Sie Ihre Führungsstärken
48 In Führung gehen
49 Die hellsten Köpfe um sich sammeln
50 Authentisch fördern und fordern
51 Auf der Chefetage zur Form auflaufen
52 Über den inneren Spezialisten hinauswachsen
Entwaffnen Sie Ihr Publikum
53 Sich an alles gewöhnen
54 Ein nervenschonendes Vortragsformat planen
55 Ein fesselndes Drehbuch schreiben
56 In Bestform kommen
57 Auf die Bühne gehen
58 Auf der Bühne stehen
Entfesseln Sie Ihren Introvertierten
59 M-Intros: denken und lenken
60 N-Intros: querdenken und forschen
61 S-Intros: mitfühlen und kreiern
62 C-Intros: einfühlen und ausgleichen
Stille Wasser sind im Kommen
Zum Weiterlesen, -browsen, -schauen
Lesenswerte Bücher und Artikel
Beachtenswerte Blogs
Sehenswerte TED-Talks
Anmerkungen
Wir begegnen ihnen in Literatur und Film. Goethes gefühlsintensiver Werther gehört zu ihnen, Jane Austens wortkarger Mr. Darcy, Hermione Granger aus Harry Potter und Katniss Everdeen, die logisch-besonnene Heldin aus Die Tribute von Panem. Und wir kennen sie im wahren Leben. Die Schauspielerin Emma Watson, der Golfer Martin Kaymer, die Modedesignerin Gabriele Strehle, Facebook-Gründer Marc Zuckerberg und Bundeskanzlerin Angela Merkel haben alle eines gemeinsam: Sie erreichen ihre Ziele still und leise. Sie halten ihr Privatleben unter Verschluss. Sie wirken uneitel und machen sich nicht künstlich wichtig. Sie sind erfolgreich, sichtbar und interessant und trotzdem verhalten, dünnhäutig oder sogar scheu. Introvertiert eben, nach innen gewandt, abgeleitet vom lateinischen intro = »innen« und vertere = »wenden«.
Menschen mit einer nach innen gewandten Persönlichkeitsstruktur gibt es überall. Introvertiert ist sehr wahrscheinlich:
Mit ihrem Hang zu Zurückhaltung und Rückzug sind die In-sich-Gekehrten anders als die große Masse. Sie passen nicht zum Persönlichkeitsideal unserer Zeit: kontaktfreudig, locker, kommunikativ. Das große Hallo, die spontane Rede, der prätentiöse Auftritt ist ihre Sache nicht. Diese Andersartigkeit irritiert die Extravertierten, die darin ein Defizit sehen und manchmal auch einen Affront. Als Menschen, die dafür leben, dabei zu sein und mitzumischen, erscheint ihnen das reservierte Intro-Verhalten schnell als ungesellig und sogar gehemmt. Kommt zur introvertierten Persönlichkeitsstruktur sichtbarer Erfolg oder eine spürbare Feinsinnigkeit hinzu, steht zudem der Vorwurf von Arroganz und Abgehobenheit im Raum.
Tatsächlich sind die Introvertierten, Schüchternen und Sensiblen weder freudlos noch menschenscheu. Sie sind nur anders gepolt als Extravertierte. Auch physiologisch. So zeigen sie eine von Natur aus höhere Hirnaktivität, sprechen stärker auf Reize an und reagieren empfindlicher auf Dopamin, den Botenstoff, der die Wahrnehmungsfähigkeit steigert. Im Alltag bedeutet das:
Die Anregungen und Aufregungen, die die Lauten genießen, sind stilleren Menschen schnell zu viel.
Um den Trubel des Alltags hinter sich zu lassen und ihre Akkus aufzuladen, brauchen sie viel Zeit und Raum. Wo der Extravertierte nach dem Essen mit Freunden ins Kino geht, schaut sich die Introvertierte lieber zu Hause die Bluray an. Nicht weil sie die Welt, die Menschen oder den Small Talk fürchtet. Sondern weil Privatheit ihr ein tiefes Bedürfnis ist. So wie Extros große Geburtstagsfeste und einen riesigen Bekanntenkreis als erstrebenswert ansehen, finden Intros ihr Glück bevorzugt allein, zu zweit oder in kleiner, vertrauter Runde.
So unterschiedlich nehmen Intros und Extros die Welt wahr, dass sie einander manchmal so fremd sind wie Außerirdische und Erdbewohner. Gehört man zum ruhigeren Teil der Menschheit, vermitteln viele Alltagssituationen das Gefühl, man lebe auf dem falschen Planeten. Das Handygebimmel im ICE signalisiert genau wie die drei Tage währende Hochzeit guter Freunde: Die Welt ist mehr für die umtriebigen Schrillen gemacht als für die bedächtigen Stillen.
Doch die Zeiten ändern sich. Mit den viel besprochenen Sachbüchern von Susan Cain Still und Sylvia Löhken Leise Menschen wurde der Unterschied zwischen Intros und Extros ein Thema. Parallel dazu haben es die Stillen nicht nur auf das Titelblatt des Spiegel, sondern sogar auf das Cover des Time Magazine geschafft – also dorthin, wohin normalerweise nur Größen wie Angelina Jolie oder das iPhone gelangen. Seither ahnt die Wirtschaft, dass die unauffälligen Alleinarbeiter begehrte Potenziale wie ein Mehr an Vernunft, Kreativität und Empathie in sich tragen können.
Ist introvertiert also das neue cool? Die Behauptung wäre verstiegen. Aber Intros werden mehr als früher geschätzt. Das liegt vielleicht auch daran, dass in Zeiten von Burn-out, Stress und Dauervernetzung selbst Extros entdecken:
Geistige Regeneration und inneres Glück sind die Voraussetzung für Genuss, Tiefgang und Nichtausgebranntsein.
Wunderbar selbstironisch erzählt davon die Bestsellerautorin Elizabeth Gilbert in ihrem Megaseller Eat Pray Love. Eine Frau auf der Suche nach Allem. Im indischen Ashram sieht sie ihr Heil darin, durch Schweigen und Zurückhaltung gelassener zu werden – und geheimnisvoller: »Also beschließe ich, fortan nicht mehr das Partyhäschen dieses Ashrams zu sein. Schluss mit dem Herumrennen, dem Tratsch und den Witzeleien. Ich muss weder im Rampenlicht stehen noch sämliche Gespräche an mich reißen. Oder für ein bisschen Bestätigung verbale Stepptänze aufführen. Es wird Zeit, dass ich mich ändere.«1 Auch der Starautor Paulo Coelho fasziniert ein Millionenpublikum mit der Botschaft, wie Besinnung und Rückzug das Leben positiv verwandeln.
Stillen Menschen braucht man den Reiz von Entschleunigung und Selbstbesinnung nicht auszubuchstabieren. Sie sind gern mit sich allein und machen sich, wie Georges Moustaki es sang, die Zurückgezogenheit zur unentbehrlichen Freundin, zur schönen Gewohnheit: »Je m’en suis fait presqu’une amie / Une douce habitude.« Und weiter: »Non, je ne suis jamais seul / Avec ma solitude.« Nein, ich bin nie allein in meiner Einsamkeit.
Unsere Gehirnphysiologie lässt uns Stunden und Tage der Ruhe als Genuss pur empfinden. Übernehmen wir uns trotzdem, zwingt sie uns durchaus nachdrücklich zum Innehalten. Während Extros für das Schöne, Heilsame des Alleinseins Platz im Kalender freischaufeln und es durch Internetfasten oder Schweigetage zelebrieren, gehört es bei uns Intros ganz von selbst zum Leben dazu. Die Notwendigkeit, regelmäßig aus der Betriebsamkeit auszuscheren und die Batterien aufzuladen, bringt den Stilleren viele Vorteile ein:
Intros analysieren präzise, gehen den Dingen auf den Grund, hören genau zu, vermeiden Streit, arbeiten strukturiert, erfassen Feinheiten, liefern handfeste Ergebnisse und zeigen sich oft auffällig eigenständig in ihrem Denken und Handeln. Sie umschiffen Risiken, bewahren Geheimnisse und geben sich nicht den Anschein, mehr zu sein, als sie sind.
All das ist auf sehr leise Art sehr überzeugend. Es reicht in einer lauten Welt aber nicht aus. Fast jeder Mensch ist heute gefordert, Netzwerke zu knüpfen, sich in Szene zu setzen und für sich Werbung zu machen. Dieser Extraaufwand kostet Zeit, strengt an und ist auch den Lauteren oft zu viel. Für uns Intros bedeutet der Zwang zur Selbstvermarktung: Zurückhaltend hin, in sich gekehrt her – weniger denn je kommen wir darum herum, mehr und öfter aus uns herauszugehen. Wir müssen Wege finden, so zu arbeiten, zu leben und zu kommunizieren, dass es zu uns ebenso passt wie zu unserer Welt. Sonst werden wir übertönt oder übersehen. Wissen, Sicherheit und Strategien für mehr Sichtbarkeit und Nachdruck gewinnen Sie mit diesem Buch:
Von Mahatma Gandhi stammt der Satz: »Auf leise Art kannst du die Welt verändern.« Anders als es manchmal den Anschein hat, gibt es nicht nur einen idealen Persönlichkeitstyp und man muss die Welt nicht rocken, um sie zu prägen. Das haben uns Alfred Hitchcock, Michael Jackson und Vico von Bülow alias Loriot gezeigt, das leben Sofia Coppola, J. K. Rowling oder Alanis Morissette gerade vor. Ihre Prominenz zeigt: Leise haben ihre eigene Art, Großes zu leisten. Dabei schneiden sie unter dem Strich nicht besser ab als Laute. Aber ganz eindeutig auch nicht schlechter.
Intros können wunderbare Zuhörer und empathiefreie Fachidioten sein, zartbesaitete Feingeister, wortkarge Schweiger, coole Tüftler, abstrakte Denker, graue Eminenzen, erfolgreich Schüchterne oder warmherzige Menschenversteher. Manche von ihnen verkaufen sich hoffnungslos unter Wert, andere katapultieren sich auf leisen Sohlen zum Start-up-Millionär. Schillernde Persönlichkeiten wie Karl Lagerfeld zählen sich ebenso zu ihnen wie moderne Märchenprinzessinnen von Diana bis Kate. Die Beispiele zeigen: Jeder stille Mensch ist auf seine eigene Weise introvertiert und sehr oft bekommen Außenstehende so gut wie nichts davon mit.
Der Begriff »introvertiert« wurde in den 1920er-Jahren von dem Schweizer Psychoanalytiker Carl Gustav Jung geprägt. Als Erster bezeichnete er Menschen, deren Verhalten auf die Außenwelt ausgerichtet ist, als extravertiert und Menschen, die auf ihre innere Welt ausgerichtet sind, als introvertiert. Dabei stellte er völlig klar: Niemand ist ausschließlich intro- oder extravertiert. Jeder trägt einen mehr oder weniger großen Anteil der anderen Seite in sich. In der Folge erweiterte Jung die Zweiteilung Introversion/Extraversion zu einem Modell von insgesamt acht Typen, vier introvertierten und vier extravertierten.2
Aufbauend auf der Theorie von Jung entwickelte das amerikanische Mutter-Tochter-Team Katherine Cook Briggs und Isabel Myers-Briggs den Typenindikator MBTI, einen Persönlichkeitstest, der insgesamt 16 Verhaltensstile unterscheidet, je acht introvertierte und acht extravertierte. Der MBTI gilt als das weltweit am häufigsten genutzte Instrument zur Persönlichkeitsanalyse und ist vor allem im Personalmanagement verbreitet.
Etwa zur gleichen Zeit griff der deutschstämmige britische Psychologe Hans Jürgen Eysenck das Gegensatzpaar Introversion und Extraversion auf. Er erklärte die Unterschiede im Verhalten von Extravertierten und Introvertierten biologisch und stellte die Hypothese auf, dass bei Intros das Gehirn erregbarer reagiert als bei Extros. Ergänzend führte Eysenck den Begriff des Neurotizismus ein, sodass sich vier Kategorien ergeben: emotional stabile Extros, emotional stabile Intros, emotional instabile Extros und emotional instabile Intros.
Heute gilt die Dimension Extraversion/Introversion als eines der wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale und ist in praktisch jedem Persönlichkeitstest von den Big 5 bis zum DISG-Modell berücksichtigt.
Das Wort »introvertiert« kennt jeder. Trotzdem lässt die einfache Frage »Was bedeutet eigentlich ›introvertiert‹?« heute keine einfache Antwort mehr zu. Es gibt zurzeit keine eindeutige Beschreibung oder Definition von Introvertiertheit.3 Bei Jung und Eyseneck war das noch anders. Beide machten, wie auch der Arbeitspsychologe Max Freyd, deutlich, dass Introversion (genau wie natürlich auch Extraversion) viele Facetten hat und sich unter anderem in Ungeselligkeit, Schüchternheit, erhöhter Empfindsamkeit oder einem exzentrischen Charakter ausdrücken kann.4
Einige dieser Aspekte von Introvertiertheit hat die moderne Persönlichkeitspsychologie inzwischen zu eigenständigen Forschungsthemen erhoben.
Hochsensibilität: Die Pionierin der Hochsensibilität Elaine Aron will alle, die empfindlicher auf unterschwellige Reize reagieren als die Masse, statt als introvertiert lieber als hochsensibel verstanden wissen. Dafür führt sie zwei Gründe an: Erstens: Der Begriff introvertiert sei negativ besetzt, während das Wort hochsensibel besser zum Ausdruck bringe, dass eine feine Wahrnehmung belasten und bereichern könne. Und zweitens: Nur 70 Prozent der Hochsensiblen seien introvertiert, 30 Prozent aber extravertiert.5 Kritiker spekulieren allerdings, extravertierte Hochsensible hätten einfach gelernt, ihr introvertiertes Naturell zu überspielen.
Schüchternheit: Die Autorinnen der aktuellen Sachbücher zum Thema Introvertiertheit werden nicht müde, darauf hinzuweisen: Introvertiertheit und Schüchternheit sind zwei paar Schuhe.6 Das stimmt. Längst nicht jeder introvertierte Mensch fühlt oder verhält sich Fremden gegenüber unsicher und auch Extravertierte können schüchtern sein, wie das Beispiel der Schaupielerin Barbra Streisand zeigt. Andererseits lässt der Harvard-Psychologe Jerome Kagan keinen Zweifel daran: Wer schüchtern ist, ist oft auch introvertiert. Und Schüchternheit ist ein Alltagsphänomen: Sozialpsychologen schätzen, dass fast jeder Zweite sich als schüchtern sieht.
Nerd-Syndrom: Die Neurowissenschaftlerin Jennifer O. Grimes stellt in ihren Forschungsarbeiten die These auf, dass Introvertiertheit in ihrer am stärksten ausgeprägten Form Übereinstimmungen mit dem Asperger-Syndrom aufweist. Diese leichte Form des Autismus wird unter anderem Einstein, Hitchcock oder Beethoven nachgesagt. Menschen mit Asperger fällt es typischerweise schwer, sich auf andere Menschen einzustellen. Dafür sind sie häufig besonders begabt, vor allem im mathematischen, naturwissenschaftlichen oder technischen Bereich. Manchmal wird Asperger deshalb als Nerd- oder Little-Professor-Syndrom bezeichnet.7
Einzelgängertum: Angesichts dieser neu entstehenden Erkenntnisse und Definitionen hat sich der Begriff »introvertiert« Schritt für Schritt auf das verengt, was Jennifer Grimes soziale Introversion nennt – also die Unlust auf Party, Presseball und Pistengaudi. Introvertierte wären nach dieser Definition nur die Gruppe der reservierten Einzelgänger, die keine großen Worte machen und gern mit sich und ihren Gedanken allein sind.
Es mag wissenschaftlich aufschlussreich sein, den Begriff introvertiert aufzusplitten und die verschiedenen Variationen von Insichgekehrtheit einzeln zu untersuchen. Gesellschaftlich zieht die begriffliche Ausdifferenzierung jedoch paradoxe Folgen nach sich:
Während die Welt beginnt, die nachdenklicheren Leisen und die forscheren Lauten als gleichwertig zu begreifen, grenzen sich die Stillen gegeneinander ab.
Insbesondere die Hochsensiblen organisieren sich als eigene, besondere Gruppe. Aber auch sachliche Technokraten und nerdige Fachspezialisten stehen einander eher im Weg als zur Seite – obwohl die einen wie die anderen ruhige, zurückhaltende Verhaltenszüge aufweisen. Und egal wie leise man veranlagt ist, als schüchtern möchte in unserer westlichen Kultur keiner gelten.
Fast könnte man bei so viel Differenzierung vergesessen, dass Leise aller Arten mehr gemeinsam haben, als sie voneinander trennt. Egal ob sie eher zu den Hochsensiblen, Inselbegabten, Schüchternen und oder einfach nur weniger Kontaktfreudigen gehören – sofern sie sich nicht sehr gut anpassen, werden sie in ihrer leiseren Art von der lauteren Mehrheit über einen Kamm geschert. Sie werden häufig unterschätzt, wirken in ihrer Andersartigkeit irritierend und entsprechen nicht dem, was Kerstin Kullmann in einem Spiegel-Artikel über die Kraft der Stillen den »Idealmenschen unserer Zeit« nennt.8 Auch Bernhard Weigert, Personalleiter der ZF Friedrichshafen AG Elektronische Systeme in Auerbach, betont im Gespräch: »Ob ein Bewerber eher schüchtern oder eher introvertiert ist, spielt in meiner Beurteilung kaum eine Rolle. In Auftreten und Außenwirkung sind sich beide Typen ähnlich.«
Für uns Leise heißt das: Wir dürfen uns nicht zersplittern. Um in Sachen Ansehen und Möglichkeiten mit den Extros gleichzuziehen, müssen wir uns bei allen vorhandenen Unterschieden als die Vielen wahrnehmen, die wir sind. Denn die Lauten sind zwar in der Überzahl, aber nicht sehr.9
Mindestens jeder dritte, vielleicht sogar jeder zweite Mensch zieht die leisen Töne den lauten vor.
Deshalb habe ich mich entschlossen, das Wort »introvertiert« in diesem Buch in seiner ursprünglichen, breiten Bedeutung zu verwenden. Es beschreibt nach meinem Verständnis als Dachbegriff alle Menschen, die in ihrer ruhigen, weniger vernehmlichen Art keine Extravertierten sind, keine Netzwerker, Partygänger, Alphatiere – ohne deren Fähigkeiten es aber die Formel E = mc2 genauso wenig gäbe wie Facebook, Harry Potter oder die Frühlingssinfonie.
Alle Intros stehen auf der gleichen Seite. Aber nicht alle Intros sind gleich. Zwei Unterschiede springen besonders ins Auge. Erstens: Es gibt rechtshirnige Introvertierte, die Informationen eher subjektiv-intuitiv verarbeiten, und linkshirnige Introvertierte, die Informationen eher objektiv-analytisch auswerten. Und zweitens: Es gibt Introvertierte, die im Umgang mit anderen kontaktsicher sind, und Intros, die sich damit schwerer tun. Aus dem Schnittpunkt dieser Pole ergeben sich vier grundlegende Verhaltensstile stiller Persönlichkeiten:
Die neuen Intros:
Masterminds, Supersensible, Nerds, Cocooner
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MASTERMINDS sind die kühlen Lenker unter den Stillen: vernünftig, besonnen, pflichtbewusst. Mit ihrer kühlen Logik halten sie Job und Familie auf Kurs. Ihre Ziele erreichen sie verlässlich und unbestechlich. Den Umgang mit Menschen meistern M-Intros© in der Regel situationsangemessen und souverän, auch wenn sie alles andere als Gesellschaftslöwen sind. Prominentes Beispiel für den Typus ist Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie liefert den Beweis: Man muss nicht dem Klischeebild vom Alphamenschen entsprechen, um zur mächtigsten Frau der Welt heranzuwachsen.
SUPERSENSIBLE besitzen eine Art sechsten Sinn. Mit ihrer erhöhten Wahrnehmungsfähigkeit gewinnen sie dem Leben, der Kunst und der Natur einen besonderen Reiz ab. Sie sind feine Beobachter und erspüren intuitiv die Stimmungen von Menschen und Orten. Gleichzeitig macht ihr empfindsames Nervensystem sie verletzbar. Von ihrer Umwelt werden S-Intros© deshalb manchmal als abgehoben und anstrengend wahrgenommen. Die bekannteste Vertreterin des Typus hat der dänische Schriftsteller Hans Christian Andersen erdacht: die Prinzessin auf der Erbse.
NERDS. Ihrer Umwelt erscheinen Nerds als halb genial, halb daneben. Selbst sehen sie sich als hellseherische Querdenker, die ihr Fach beherrschen und voranbringen wie niemand sonst. Doch egal wofür N-Intros© brennen, sie wollen wissen, wie Systeme funktionieren, tauchen tief in ihre Disziplin ein und durchbrechen unbekümmert Grenzen und Normen. Ein prominenter Vertreter des Typus ist Bill Gates. 2013 führt er erneut die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt an. Es ist deshalb nur schlüssig, dass das Wort Nerd gerade einen Bedeutungswandel erfährt und für Logik, Erfindungskraft und herausragende Fähigkeiten auf einem Gebiet steht.10
COCOONER nehmen persönliche Beziehungen besonders ernst und fürchten Kritik von außen. Am liebsten ziehen sie sich in den Kokon vertrauter Beziehungen zurück. Im Job bevorzugen sie ein strukturiertes Umfeld mit klar definierten Prozessen und Hierarchien. C-Intros© zeichnen sich durch Bodenständigkeit, Fürsorglichkeit und einen besonders wertschätzenden Umgang mit Menschen aus. Auch wenn man es ihrem sympathischen Auftritt nicht unbedingt anmerkt, fühlen sie sich Fremden gegenüber oft befangen, scheuen das Rampenlicht und tun alles, um ihre Privatspäre zu schützen. Prominente Beispiele sind William und Kate. Anders als die royale Generation vor ihnen werden sie an ihre Aufgaben sorgfältig herangeführt und können sich schrittweise mit ihrer Rolle vertraut machen.
Die IntroDNA© skizziert vier typische Verhaltensstile, die bei leisen Menschen zu beobachten sind. Ebenso wenig wie das DISG-Modell11 und der MBTI12, die beide für die IntroDNA© Pate standen, will es Menschen in Schubladen stecken. Dafür ist jeder, egal ob Intro oder Extro, zu individuell. Vielmehr ist es ein Bemühen, ein praxistaugliches Tool zu schaffen, mit dem leise Menschen ihre Persönlichkeitsstruktur genauer erfassen können.
Dabei ist die IntroDNA© nicht das erste Persönlichkeitsmodell, das Intros typisiert. Es ist aber das erste Modell, das speziell und ausschließlich für leise Menschen entwickelt wurde. Vor allem aber:
Es ist das erste Modell, das die verschiedenen Spielarten des Leiseseins integriert: Einzelgängertum, Hochsensibilität, Schüchternheit, Nerd-Syndrom.
Mit der IntroDNA© liegt also ein Modell vor, das leisen Menschen dabei hilft, sich und ihre Fähigkeiten klarer einzuschätzen und zielgerichtet zu entwickeln. Dementsprechend können Sie in diesem Buch direkt zu den Inhalten vorstoßen, die für Ihren Typ am nützlichsten sind. So können Sie Lebensstil, Kommunikation, Arbeitsverhalten und Selbstdarstellung genau dort optimieren, wo Sie am schnellsten Erfolge erkennen.
Mit der IntroDNA© testen Sie, auf welche Art Sie leise sind und wie Sie das meiste aus Ihrer Persönlichkeit machen. So führen Sie den Test durch: Bei vielen Tests muss man sich für eine Antwort entscheiden, obwohl ein oder zwei andere Möglichkeiten auch im eigenen Verhaltensspektrum liegen. Das ist beim IntroDNA©-Test anders. Er gibt Ihnen die Möglichkeit, für jede Antwort 1, 2, 3 oder 4 Punkte zu vergeben. Das heißt:
Wichtig: Vergeben Sie die Punkte spontan, so wie es Ihrem Fühlen und Denken entspricht – nicht so, wie es Ihnen wünschenswert oder sinnvoll erscheint.
Die Fragen
Notieren Sie sich zu jeder Antwortmöglichkeit die Punktzahl, die Ihr Verhalten oder Empfinden am meisten charakterisiert:
4 = am meisten
3 = überdurchschnittlich
2 = eher weniger
1 = am wenigsten
Frage 1: Wie sehr spricht Sie jedes der vier Wortfelder an?
Frage 2: Sie gehen zu einem Fachvortrag. Wie verhalten Sie sich vor dem Veranstaltungsbeginn?
Sie nutzen die Gelegenheit, um vor Vortragsbeginn einen Fachkollegen zu einem kniffligen Problem zu befragen. Frage 3: Small Talk ist für mich:
Frage 4: Sie sollen beim Girls’ Day Schülerinnen der 9. Klasse Ihr Fachgebiet vorstellen. Wie reagieren Sie?
Frage 5: Ihre Nachbarn haben neuerdings einen kleinen Hund. Sein Gebell weckt Sie fast jede Nacht aus dem Schlaf. Wie reagieren Sie?
Frage 6: Bei einem Teambuilding-Seminar sollen Sie sich in einem Echtzeitrollenspiel gemeinsam mit vier Kollegen aus einem abgeschlossenen Raum befreien. Welche Rolle übernehmen Sie?
Frage 7: Sie werden eingeladen, einem renommierten Gesellschaftsclub beizutreten. Was tun Sie?
Frage 8: Welche negativen Eigenschaften treffen auf Sie mehr, welche weniger zu?
Frage 9: Freunde bitten Sie, sie bei der Hochzeitsvorbereitung zu unterstützen. Welche Aufgabe passt am besten zu Ihren Talenten?
Frage 10: Mit welchem Zitat können Sie sich am besten identifizieren?
Frage 11: Denken Sie ein paar Jahre zurück. Wenn Sie beim Kindergeburtstag eingeladen waren, haben Sie …
Frage 12: Sie bekommen zufällig mit, wie Kollegen hinter Ihrem Rücken über Sie reden. Welcher Satzfetzen würde noch am ehesten auf Sie zutreffen:
Frage 13: Bei einem Grillfest Ihrer Nachbarn drehen sich die Gespräche um Themen, die Sie überhaupt nicht interessieren. Was tun Sie?
Frage 14: In Besprechungen …
Frage 15: Sie schätzen Menschen, die …
Frage 16: Damit Sie Ihre optimale Leistung erbringen können, ist es Ihnen besonders wichtig, dass …
Frage 17: Sie haben in einem Preisausschreiben gewonnen. Welcher Preis spricht Sie am meisten an?
Frage 18: Sie haben eine Praktikumsstelle zu vergeben. Welcher Bewerber beeindruckt Sie am meisten?
Frage 19: Ein Mensch mit guten Umgangsformen ist für mich
Frage 20: Welche der folgenden Skizzen spiegelt die Vorgänge in Ihrem Kopf am besten wider?13
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Auswertung
Tabelle zur Auflösung des Selbsttests: Ordnen Sie jeder Frage die Punkte zu, die Sie sich für die einzelnen Antwortmöglichkeiten notiert haben.
Antwort a | Antwort b | Antwort c | Antwort d | |
Frage 1 | S | M | N | C |
Frage 2 | M | C | S | N |
Frage 3 | N | M | S | C |
Frage 4 | N | M | C | S |
Frage 5 | N | S | C | M |
Frage 6 | M | C | S | N |
Frage 7 | S | M | N | C |
Frage 8 | C | N | M | S |
Frage 9 | C | M | S | N |
Frage 10 | C | M | N | S |
Frage 11 | S | M | C | N |
Frage 12 | S | C | N | M |
Frage 13 | N | C | M | S |
Frage 14 | C | M | N | S |
Frage 15 | M | C | S | N |
Frage 16 | M | C | S | N |
Frage 17 | N | C | S | M |
Frage 18 | M | N | S | C |
Frage 19 | S | M | N | C |
Frage 20 | C | S | M | N |
Addieren Sie nun die Punkte, die Sie für jeden Buchstaben vergeben haben.
Buchstabe | Erzielte Punkte | Verhaltensstil |
M | Mastermind | |
S | Supersensibel | |
N | Nerd | |
C | Cocooner |
Vermutlich haben Sie ein Zahlenergebnis für alle oder mehrere Verhaltensstile erzielt. Wie sich Ihr individueller Verhaltensstil zusammensetzt und wie die vier Verhaltensvorlieben bei Ihnen zusammenspielen, sehen Sie, wenn Sie die Ergebnispunktzahlen für M, S, N und C auf den Diagonalen des Flächendiagramms eintragen und die vier Punkte mit Linien verbinden.
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Der Buchstabe mit der höchsten Punktzahl repräsentiert Ihr am stärksten ausgeprägtes Verhalten; die Ergebnisse der anderen Buchstaben zeigen Ihre Verhaltenstendenzen in den anderen Bereichen der IntroDNA©. Lesen Sie deshalb die Erläuterungen auf den nächsten Seiten vor dem Hintergrund: Je stärker M, N, S oder C bei mir ausgeprägt ist, desto mehr treffen diese Aussagen auf mich zu.
Den Test können Sie sich bei folgender Adresse herunterladen:
www.campus.de/leisegewinnt
Nennen wir den Vertreter dieses Verhaltensstils Christoph. Christoph ist Jurist, seine Beratungsschwerpunkte sind das Miet- und Arbeitsrecht. Er kann viel, weiß viel und liest viel, besonders gern Biografien und politische Sachbücher. Im Gericht formuliert er eloquent, seine Schriftsätze gelten als fundiert und kenntnisreich. Schwer fällt es ihm dagegen, mit den Gefühlswallungen mancher Mandanten umzugehen. Christoph achtet deshalb darauf, sein Bedürfnis nach einer sachlichen Gesprächsführung auch einmal hintanzustellen und Mandanten Gelegenheit zu geben, ihre Erregung loszuwerden.
In seiner Freizeit vervollkommnet Christoph sein Klavierspiel, einen freien Kopf bekommt er bei den Bergtouren, die er an Wochenenden mit einem Freund unternimmt. Viel gesprochen wird dabei nicht, beide nutzen die Zeit, ihre Gedanken zu ordnen und zu sich zu kommen.