Gary Small, Gigi Vorgan

Als ich die nackte
Dame im
Kopfstand fand

Ein Psychiater erzählt

Übersetzung aus dem
amerikanischen Englisch von
Dr. Brigitte Döbert

BASTEI ENTERTAINMENT

Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die an
einer psychischen Störung litten und die Kraft
hatten, sich Hilfe zu suchen.

 

VORWORT

 

Wie kann eine Frau so wütend werden, dass sie plötzlich vollkommen verstummt? Warum reißt ein Mann sich vor lauter Nervosität jedes Haar einzeln aus, bis er eine Glatze hat? Wieso wird eine Zwölfjährige ohnmächtig, nur weil sie einen Mitschüler bewusstlos umfallen sieht? Solche Fragen haben mich stets fasziniert. Dass ich mich nach meinem Medizinstudium auf Psychiatrie spezialisierte, überraschte daher niemanden, und ich habe die Wahl nie bereut. Nach drei Jahrzehnten als praktizierender Psychiater habe ich Patienten behandelt, deren Verhalten zu seltsam war, als dass ich es vergessen könnte. Einzelne Vorgänge im Gehirn treiben Menschen manchmal zu extremen Handlungen, und meine Aufgabe als Psychiater ist es – so hat man es mir beigebracht –, diese Menschen wieder von dort zurückzuholen.

In diesem Buch will ich von meinen ungewöhnlichsten Patientinnen und Patienten berichten und davon, wie ich ihnen den Weg vom Rande des Wahnsinns zurück in einen normalen Alltag weisen konnte. Gleichzeitig werde ich meine Gefühle, Gedanken und Reaktionen beschreiben, denn als Psychiater und Neurologe begibt man sich mit jedem Patienten nicht nur auf eine berufliche, sondern immer auch auf eine persönliche Reise. Ich werde die Herausforderungen schildern, die ich im jeweiligen Einzelfall zu meistern hatte, um zu zeigen, wie ich die Geheimnisse hinter den psychischen Problemen meiner Patienten lüftete und durch meine wachsende Erfahrung zu einem besseren Arzt geworden bin.

Die Fälle sind chronologisch – von meiner Ausbildung bis heute – geordnet, genauso, wie sie mich als Psychiater geformt haben. Im Rahmen meiner Schilderungen erörtere ich verschiedene Dynamiken, insbesondere solche, die erklären, wie der Geist den Körper krank machen kann, aber auch, wie der Körper es mitunter schafft, den Geist aus dem Gleichgewicht zu bringen. Bei meiner Arbeit mit Patienten nutzte ich verschiedene Ansätze, die auch unter dem Begriff »eklektischer« Psychiatrie-Stil zusammengefasst werden. Das heißt, ich behandelte sowohl gemäß der physischen wie der psychischen Erklärungsmodelle für psychologische Probleme – mal mithilfe von Gesprächstherapie, mal mit Tabletten, mal mit Gesprächstherapie und Tabletten.

In den letzten Jahren rückte die Erforschung und Prävention von Demenz und Alzheimer in den Mittelpunkt meiner Arbeit. Während ich meinen Patienten half, ihr Gedächtnis nicht zu verlieren, fiel mir auf, dass viele von ihnen einige ihrer Erinnerungen nur allzu gern vergessen würden, verbargen sich dahinter doch ungelöste psychologische Probleme, konfliktreiche Beziehungen und scheinbar unüberwindliche Herausforderungen, die sie ein ums andere Mal vor der Realität fliehen ließen. Zum Wohl der Menschen, die Probleme mit der Erinnerung haben, ist es mindestens genauso wichtig, ihnen bei der Überwindung ihrer seelischen Nöte zur Seite zu stehen, wie ihnen dabei zu helfen, ihr Gedächtnis zu bewahren.

Es überrascht mich nicht, dass viele Menschen die Psychiatrie immer noch fürchten und sich nicht trauen, sich in Behandlung zu begeben, selbst wenn sie sich von ihren seelischen Leiden extrem eingeschränkt fühlen. Das Stigma, zuzugeben, dass man ein Problem hat und einen »Seelenklempner« konsultiert, schreckt viele ab. Teilweise herrscht auch dank der Medien ein übertriebener Pessimismus gegenüber dem, was die Psychiatrie bewirken kann, und das hindert viele Menschen daran, sich dringend benötigte Hilfe zu holen. Psychiater werden manchmal als eine Art Seelenpolizei verstanden, die das Denken eines Patienten eher dirigiert als kuriert. Mit diesem Buch hoffe ich derartige Missverständnisse aufzuklären und die Behandlung der Geisteskrankheiten zu entmystifizieren.

In den Vereinigten Staaten erkrankt jährlich schätzungsweise ein Viertel der Erwachsenen1 an einer psychischen Störung. Ungeachtet der in der Öffentlichkeit herrschenden negativen Vorstellung kann psychiatrisches Eingreifen nachweislich die Symptome von Psychosen, Depressionen und Ängsten lindern, oft sogar vollständig beseitigen; trotzdem haben viele Menschen einfach keinen Zugang zu einer derartigen Gesundheitsversorgung oder suchen, obwohl sich ihre Lebensqualität durch eine Behandlung deutlich verbessern ließe, nie einen Spezialisten auf.

Ich habe die Ereignisse so beschrieben, wie ich sie erlebt habe, unmittelbar aus meiner Sicht. Ohne meine Koautorin und Ehefrau Gigi Vorgan wäre dieses Projekt sicher misslungen. Sie half mir, meine Erlebnisse so zu schildern, dass der Leser den Sachverhalt ebenso wie die dahinter stehende wissenschaftliche Theorie begreifen kann.

Die im Folgenden beschriebenen Charaktere und die Situationen, in denen sie sich jeweils befinden, basieren auf wahren Begebenheiten. Die Einzelheiten entstammen den Krankenakten und meiner Erinnerung; dennoch, viele konkrete Angaben wurden natürlich so verändert, dass die Privatsphäre von Kollegen, Patienten und deren Angehörigen gewahrt bleibt. Die Fälle wurden so genau wie möglich rekonstruiert, um ein realistisches Abbild meiner Erfahrungen zu erzeugen. Einige Dialoge, Orte und Situationen wurden verändert oder erfunden, Charakterzüge mancher Patienten mit denen von anderen verschmolzen, um Rückschlüsse auf konkrete Personen auszuschließen. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind nicht beabsichtigt.

Ich hoffe, das Buch bietet eine unterhaltsame Lektüre und wird Betroffene dazu anregen, ihre Angst zu überwinden und im Bedarfsfall Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Dr. Gary Small

Los Angeles, Kalifornien

 

DANKSAGUNG

 

Wir möchten sowohl den Patienten und Ratgebern danken, die uns zum Schreiben dieses Buches inspiriert haben, als auch den Freunden und Kollegen, die ihre Energie und ihr Wissen beigesteuert haben, darunter Rachel Champeau, Michela Gunn, M. D., Jeff Gandin, M. D., Melinda Gandin, Robert Gandin, D. D. S., Jonathan Hiatt, M. D., Shirley Impellizeri, Ph.D., Don Seigel und Lawrence Warick, M. D., Ph.D.

Dieses Buch wäre ohne die Unterstützung und die Beiträge unserer langjährigen Lektorin und Freundin, Mary Ellen O’Neill, nicht möglich gewesen, und ebenso wenig ohne Sandra Dijkstra, ebenfalls eine liebe Freundin und zugleich unsere Literaturagentin. Danken wollen wir außerdem unseren beiden Kindern Rachel und Harry, aber auch unseren Eltern, Dr. Max und Gertrude Small, sowie Rose Vorgan und Fred Weiss, für ihre Liebe und ihren Zuspruch.

Dr. Gary Small

Gigi Vorgan