»Schmeißfliegensalat …!«, nörgelte Pampe angewidert und schob seinen Salatteller zurück zur Tischmitte. »Jede Woche Schmeißfliegensalat …«
»Tja«, freute sich sein Zwillingsbruder Palme hämisch, »dann gibt’s für dich wohl auch keinen Quallenpudding zum Nachtisch – und da Polly so was bekanntlich nicht isst, gehört der jetzt auch noch mir.«
Prospera Rottentodd sah ihre beiden Söhne mit eisigem Blick an. Ihre tiefschwarzen stark geschminkten Augen funkelten gefährlich. Sie stützte langsam die Ellbogen auf den Tisch und verschränkte ihre mit goldenen Ringen verzierten, dürren Finger so ineinander, dass sich die langen spitzen Fingernägel in ihre Handrücken bohrten. Dann reckte sie ihr Kinn leicht in die Höhe, ihre dabei deutlich hervortretenden Wangenknochen waren kein gutes Zeichen. Die kleine Küche der dunklen Altbauwohnung schien plötzlich bedrückend eng. Da Frau Rottentodd ihre drei Kinder stets mit vollem Namen ansprach, sagte sie jetzt leise und mit drohendem Unterton: »Mein teurer Pamphilius! Ich bereite diesen Salat seit nunmehr 300 Jahren zu. Und das aus gutem Grund: Schmeißfliegensalat hat nämlich einen außergewöhnlich hohen Gehalt an pechschwarzem Eiweiß und ist außerdem reich an den lebenswichtigen Vitaminen QQ2 und Y7.
Das wiederum bedeutet, dieser Salat ist nicht nur gesund …«, sie machte eine kurze, gewichtige Pause, beugte sich leicht nach vorne und fügte dann vorwurfsvoll hinzu: »… sondern er schmeckt auch hervorragend!«
Pampe zuckte mit den Schultern und zog den alten, trüben Glasteller mit dem vitaminreichen Salat zu sich. »Polly muss ihn aber auch nicht essen.«
Frau Rottentodd seufzte einmal tief, steckte sich eine besonders fette Schmeißfliege in den Mund und antwortete genervt: »Bitte, nicht wieder dieses Thema! Pollyxenia ist nun mal nicht wie wir, das können wir nicht ändern. Eine Laune der Natur.«
Sie holte mit ihren spitzen Fingernägeln ein Fliegenbein aus ihrem Mund, sah es prüfend an und streifte es an einer Serviette ab. Dann wandte sie sich ihrer Tochter zu. »Das bedeutet natürlich nicht, dass wir dich weniger lieben als Pamphilius und Palmatius, mein Kind. Nur weil du tragischerweise so rasend schnell alt wirst, genau wie diese Menschen, mit denen du so viel gemein hast.«
»Na, so rasend schnell kommt mir das nicht gerade vor«, erwiderte Polly und rollte einige der eigens für sie zubereiteten Spaghetti mit ihrer Gabel auf. »Ich hätte überhaupt keine Lust, so alt zu werden wie ihr. Und das auch noch im Schneckentempo.«
»Bei dir ist halt mit 80 Ende«, meinte Palme. »Da werde ich doch lieber 800!«
»Vielleicht werde ich ja auch über 90«, entgegnete Polly. »Das ist mir allemal lieber, als 800 Jahre lang Schmeißfliegensalat essen zu müssen!«
»Pollyxenia!«, rief ihre Mutter und schlug mit der Hand auf die Tischplatte, dass die Teller klapperten. »Wir können stolz darauf sein, dass wir Rottentodds aus einer sehr langen Linie von Hexen, Zauberern und allerlei anderen Wesen abstammen, und uns glücklich schätzen, wie die meisten unserer Ahnen älter als 700 Jahre zu werden. Und auch wenn wir im Laufe der letzten Jahrhunderte bedauerlicherweise unsere magischen Fähigkeiten verloren haben …«, sie stutzte einen Augenblick, »… jedenfalls wüsste ich nicht, welche wir noch haben könnten …«, jetzt lächelte Prospera Rottentodd wieder versöhnlich, »… unsere Essgewohnheiten haben wir zum Glück beibehalten – der vielen Vitamine wegen und natürlich aufgrund des guten Geschmacks. Und unsere große Vorliebe für alles Dunkle, Alte …«
»Jaja«, unterbrach Polly den Vortrag ihrer Mutter und stöhnte gelangweilt auf. Im selben Moment klingelte es schrill an der Wohnungstür – und es hätte Polly nicht gewundert, wenn auch das eine Folge des Wutausbruchs ihrer Mutter gewesen wäre.
Doch es war der Briefträger.
»Ein Einschreiben für Herrn und Frau Rottentodd«, sagte er wichtigtuerisch, nachdem Prospera ihm die Tür geöffnet hatte. »Pa…trizius und Pro…spera«, fügte er stotternd hinzu.
»Ein Einschreiben?«, staunte Frau Rottentodd. »Da brauchen Sie sicher meine Unterschrift, nicht wahr?« Sie forderte den Postboten mit einer Handbewegung auf ihr in die Küche zu folgen.
Der junge Mann ging mit forschem Schritt zum Esstisch, während er Frau Rottentodd einen Kugelschreiber und das Formular übergab. Dabei fiel sein Blick auf die noch halb volle Salatschüssel. Er hielt mitten in der Bewegung inne, öffnete ungläubig seinen Mund und verzog schließlich angeekelt das Gesicht.
»Schmeißfliegensalat«, flötete Polly. »Darf ich Ihnen einen Teller anbieten? Reich an Vitaminen QQ2 und Y7.«
Der Briefträger erstarrte. Und noch bevor Frau Rottentodd ihren Namen an die richtige Stelle setzen konnte, entriss er ihr Stift und Formular. Dann nestelte er nervös den Brief aus seiner Umhängetasche, ließ ihn auf den Tisch fallen und eilte grußlos durch die offene Wohnungstür davon.
»Hat auch einen hohen Gehalt an pechschwarzem Eiweiß!«, rief Polly ihm hinterher und schob sich die Spaghetti in den Mund, während Frau Rottentodd auf den Absender schaute.
K. A. Zwickenkopp
Notar
Sie pickte mit der Gabel eine weitere leblose, blau schimmernde Fliege auf.
»Willst du ihn denn nicht öffnen?«, fragte Polly.
»Ach, er ist von irgendeinem Notar. Sicher was Amtliches für das Bestattungsinstitut eures Vaters.«
»Aber dann wäre der Brief doch dorthin geschickt worden«, widersprach Polly. »Und außerdem steht auch dein Name drauf.«
Frau Rottentodd überlegte kurz, bevor sie die Gabel mit der aufgespießten Fliege auf dem Teller ablegte und den Umschlag öffnete. Sie faltete das Schreiben bedächtig auseinander und las. Zunächst bildeten sich tiefe Falten auf ihrer hohen Stirn. Dann schnellten die zu perfekten kleinen Bögen gezupften Augenbrauen in die Höhe und die schmalen Lippen formten sich zu einem lautlosen »Oh«.
»Jetzt sag schon!«, drängte Polly neugierig.
Palme hatte aufgehört zu essen, Pampe hatte noch gar nicht damit angefangen.
Ihre Mutter hob langsam den Kopf, sah alle drei der Reihe nach an und verkündete schließlich ernst und feierlich: »Onkel Deprius ist gestorben. Er hat uns als Erben benannt. Die Testamentseröffnung ist übermorgen bei Notar Zwickenkopp.«
Patrizius Rottentodd hatte seinen traurigsten schwarzen Bestattungsanzug an, in dessen oberstem linkem Knopfloch wie immer eine künstliche weiße Nelke steckte. Sein tiefschwarzes öliges Haar war akkurat gescheitelt und der kleine Spitzbart ordentlich gekämmt.
Bei seinen Söhnen Pamphilius und Palmatius war der Versuch, das krause, ebenfalls schwarze Haar ordentlich zu scheiteln, kläglich gescheitert. Ganz im Gegensatz zu ihren Eltern sahen sie etwas ungepflegt aus, woran auch die dunklen Anzüge, in denen sie steckten, nichts ändern konnten – zumal die Hosenbeine bereits über ihren Knöcheln endeten und die alten Turnschuhe mehr als unpassend waren.
Und da auch Frau Rottentodd nicht nur tiefschwarzes Haar hatte, sondern auch einen dem Anlass angemessenen schwarzen Hosenanzug trug, war Pollyxenia, also Polly, mit ihren blonden schulterlangen Haaren, ihrer Jeans und dem knallroten T-Shirt wie immer der Farbklecks der Familie.
Herr Rottentodd drückte feierlich die Klingel über dem goldfarbenen Schild mit der Aufschrift »Kanzlei K. A. Zwickenkopp« und straffte die Schultern. Herr Zwickenkopp saß viel beschäftigt hinter seinem altersschwachen Schreibtisch, auf dem sich ein großer Berg verstaubter Akten stapelte. Hinter ihm hing ein riesiges Gemälde mit dickem Goldrahmen, das einen ernst dreinschauenden älteren Herrn mit Monokel zeigte, der ihm auffallend ähnlich sah.
Als Familie Rottentodd eintrat, blickte der Notar verstört über die randlose Lesebrille auf seiner Nasenspitze und gab ein leises Hüsteln von sich.
»Haben die Herrschaften einen Termin?«, fragte er seine Sekretärin, die im Türrahmen stehen geblieben war.
»16 Uhr, Familie Rottentodd«, antwortete Herr Rottentodd an ihrer Stelle und trat einen Schritt vor.
»Oh! Aha!« Zwickenkopp erhob sich, kam um seinen Schreibtisch herum und reichte jedem umständlich die Hand. »Familie Toddenrott, nehmen Sie doch Platz!«
»Rottentodd«, verbesserte Herr Rottentodd den Notar und setzte sich als Erster auf einen der unbequem harten Holzstühle, die um einen kleinen Tisch gruppiert waren.
»Selbstverständlich«, murmelte der Notar und wartete höflich, bis alle saßen. Dann durchsuchte er aufgeregt seinen Aktenstapel, wobei ein heilloses Durcheinander von einzeln umherflatternden Papieren entstand, die er eilig wieder zu einem neuen Stapel aufschichtete. Schließlich zog er eine der untersten Akten heraus, setzte sich ebenfalls und betrachtete die Papiere. »Tja!«, sagte er schließlich mit betrübter Miene, öffnete die Akte und überflog schnell den Inhalt. »Verehrte Familie Toddenrott …« Er räusperte sich.
»Rottentodd!«, verbesserte Herr Rottentodd zum zweiten Mal. »Rottentodd, natürlich! Zunächst darf ich Ihnen mein aufrichtiges Beileid zum Tode Ihres Onkels, Herrn …«
»Danke«, unterbrach Frau Rottentodd ihn mit einem breiten Lächeln. »Was hat uns Onkel Deprius hinterlassen?«
Notar Zwickenkopp machte ein etwas verstörtes Gesicht. »Ähm …« Er blätterte zwei Seiten weiter und begann dann etwas widerwillig aus dem Testament vorzulesen: »Mein gesamtes Anwesen vermache ich im Falle meines Todes meiner geliebten Nichte Prospera Toddenrott … also, ich meine natürlich … Rottentodd, unter der Voraussetzung, dass sie meinen Butler, meinen Gärtner und meine Köchin weiterbeschäftigt. Des Weiteren trägt sie Sorge für das Wohlergehen von Hannibal.«
»Hannibal?«, fragte Polly. »Wer ist Hannibal?«
Notar Zwickenkopp überflog schnell die restlichen Zeilen, schüttelte den Kopf und nuschelte so etwas wie: »Tut mit sehr leid … das geht aus meinen Unterlagen nicht hervor … keine weiteren Fakten. Aber Ihr Onkel hinterlässt Ihnen, gnädige Frau, außerdem noch ein beträchtliches Barvermögen.«
»Geld?!«, stieß Frau Rottentodd aufgeregt hervor.
»In der Tat!«, antwortete Notar Zwickenkopp. »Wenn Sie sich vergewissern wollen …« Er reichte Frau Rottentodd das Testament und deutete dabei auf den Betrag.
Prospera Rottentodd hielt die Luft an, bevor sie auf die Summe schaute. Sie wurde bleich, zwinkerte dreimal mit den stark geschminkten dunklen Augen, räusperte sich und sagte dann würdevoll: »Ich nehme das Erbe an!«
ISBN eBook: 978-3-649-66865-7
© 2017 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG,
Hafenweg 30, 48155 Münster
Alle Rechte vorbehalten, auch auszugsweise
Text: Kai Lüftner,
vertreten durch: Literatur Agentur Hanauer, München
Illustrationen: Fréderic Bertrand
Lektorat: Jutta Knollmann
www.coppenrath.de
Das Buch (Hardcover) erscheint unter der ISBN 978-3-649-61909-3
Kai Lüftner, geb. 1975 in Berlin, studierte Sozialpädagogik, arbeitete als Streetworker, Kabarettist, Bauhelfer, Pizza-Fahrer, Türsteher, Liedtexter, Comedy- Autor, Konzertveranstalter, Komponist und Musiker, Radio redakteur sowie in Alten- und Kinderheimen.
Heute verdient er sein Geld als Hörbuchbearbeiter, Regisseur und Kinderbuchautor. Er ist Vater eines großartigen Sohnes und lebt in Berlin-Köpenick. In seiner Freizeit macht er Kampfsport, lässt sich tätowieren, engagiert sich im Tierschutz, liest so viel wie möglich, hört und macht Musik, sammelt Münzen, geht auf Schatzsuche und mit dem Hund Gassi.
Fréderic Bertrand wurde 1981 in Minden zum Leben erweckt und schon kurz darauf von allen guten Geistern verlassen. Er spukt nun schon seit einigen Jahren auf den Friedhöfen Berlins, wo er in seiner schaurigen Atelier-Gruft bei kreischenden Orgelklängen an grauenerregenden Bildern herumkritzelt und dabei zusehends versteinert. Neben dem Zeichnen schraubt er gern nächte lang an rostigen Gefährten, mit denen er dann rumpelnd und qualmend durchs düstere Umland kutschiert, um dort die Krokodile zu füttern.
Kai Lüftner
Die Finstersteins
Einfach nicht totzukriegen
Wehe, wer die Toten weckt |
Ich weiß nicht, wer von euch auf dem Laufenden ist, was Orks in der Schule, zum Leben erweckte, jahrhundertealte Statuen einer Köpenicker Adelsfamilie, durchgedrehte Väter von Klassenkameraden und riesige frei laufende Leistenkrokodile und so was angeht. Keine Ahnung, ob ihr wisst, wie ich mich im ersten Teil dieser Geschichte zum Hannes gemacht hab, zum Jungen vom Fredhof, zum Ober-Freak, und wie ich alles andere als ein Held war. (Auch wenn mein einziger Kumpel Franz meint, dass ich doch voll der Held gewesen bin. Ein paar gewisse lebendig gewordene Statuen nennen mich sogar »Erwecker«. Aber lassen wir das lieber. Das ist mir nämlich wirklich sehr, sehr unangenehm.)
Jedenfalls hatte es Redebedarf zwischen Baba und mir gegeben. Meine Mutter ließ mir viel durchgehen, aber sie erwartete eben auch gewisse Gegenleistungen. Und Ehrlichkeit war eine davon. Also fasste ich mir einige Tage nach diesen ungeheuerlichen Ereignissen ein Herz und erzählte ihr alles. Dass ich ein paar Tage damit wartete, hatte nur den Grund, dass ich selbst noch immer vollkommen überfordert mit der Situation war. Erst stammelte ich ziemlich herum, dann sprudelte es irgendwann nur so aus mir heraus: vom Pergament, das nun sicher in meinem Geheimfach im Schreibtisch lag und dem Franz durch seine unglaublichen detektivischen Fähigkeiten diesen ominösen Zauberspruch abgerungen hatte. Von meinem Impuls, diesen Spruch vor der Gruft der von Finstersteins aufzusagen. Von dem Leistenkrokodil Peppi, das in der Schule aufgetaucht war, und von jedem einzelnen Familienmitglied der von Finstersteins. Da waren Graf Grolian, seine Frau Rosalinde, die Zwillinge Julius und Anton und Onkel Bende, der Druide. Und natürlich Sina, die für mich allerdings immer noch Sinaista hieß. Aber das ist eine andere Geschichte. Und eine peinliche dazu.
»Aha!«, sagte Baba, als ich gerade mit Adelbert Bärbach und dem nächtlichen Showdown auf dem Friedhof geendet hatte, und ich konnte absolut nicht heraushören, ob sich dieses Aha! auf meine letzte Aussage bezog oder auf alles, was ich ihr in den vergangenen dreißig Minuten so um die Ohren gepfeffert hatte.
»Ähm, Baba, willst du mich veräppeln?«, fragte ich sicherheitshalber.
»Ist ja lustig, dass du mich das fragst. Die Frage müsste ich wohl eher dir stellen!«
Tja, was sollte ich darauf erwidern? Irgendwie hatte sie ja recht.
»Alles echt passiert, Mama.« Ich sagte äußerst selten Mama zu Baba und entsprechend reagierte sie auch. Ihr Blick wurde weich und sie streichelte meinen Arm.
»Und du glaubst wirklich, dass dieser Herr Bärbach … na ja, dass er tiefer in die ganze Sache verstrickt ist? Ich meine, das alles klingt schon ziemlich schräg und irgendwie … verrückt, aber dass der Vater einer deiner Mitschüler auch noch … ähm, wie war das? Ist er verwandt mit dem, der die Finstersteins verzaubert hat? Und Chef von einem Geheimbund ist er auch noch?«
Ich nickte und hob gleichzeitig die Schultern, was Baba mit einem Lächeln registrierte. »Ist ja auch egal«, sagte sie. »Das werden wir schon noch herauskriegen!«
Sie zwinkerte mir aufmunternd zu, und ich konnte wieder einmal nur dankbar dafür sein, die beste Mutter der Welt zu haben. Es gab wohl wenige, die nach so einer Geschichte dermaßen cool blieben wie sie. Sie war der wichtigste Mensch für mich – na gut, abgesehen von einer anderen Person, die mein Herz im Augenblick des Öfteren zum Stolpern brachte. Was an allem lag – an ihrer Persönlichkeit und nicht zuletzt an der Art und Weise, wie sie in mein Leben getreten war. Und an ihren krass grünen Augen natürlich. Vor allem aber daran, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, wo sie sich momentan befand.
Fünf Tage, über 120 Stunden, waren die Finstersteins und mit ihnen Sinaista nun verschwunden, und weder Franz noch ich hatten den geringsten Plan, wo sie sich befanden.
Dazu kam, dass die Polizei im Laufe der letzten Tage noch zweimal da gewesen war und uns über allerlei Dinge im Zusammenhang mit den Begebenheiten auf dem Friedhof befragt hatte – weil Adelbert Bärbach, der oben bereits genannte durchgedrehte Vater des Klassen-Orks Aaron, nicht müde wurde, von Peppi und den Finstersteins zu erzählen.
Leider hatten sie Bärbach nur eine Nacht in Gewahrsam behalten, dann konnte er sich, offenbar durch gute Beziehungen oder Geld, freikaufen.
Ich gebe zu, dass ich bereits die ganze Woche Angst hatte, mit ihm oder seinem Sohn zusammenzutreffen. Zum Glück war es bisher nicht dazu gekommen. Denn zu meinem Erstaunen hatte Baba mir erlaubt, dass ich einige Tage zu Hause bleiben durfte. Um den Schock zu überwinden, um mich auszuruhen und auch, um nicht gleich wieder den Orks ausgesetzt zu sein. Sie ging mit mir zu einem Arzt nach Spindlersfeld, flirtete ein bisschen mit ihm und dann hatte ich kurzerhand eine Krankschreibung wegen Grippe. Ein bisschen Ruhe und viel Schlaf verordnete er und zwinkerte noch mehrmals Baba zu. Oh Mann, man hatte es echt nicht leicht mit so einer hübschen Mutter.
Na ja, zur Ruhe kam ich nicht, wenn ich ehrlich bin, egal wie ich versuchte, mich abzulenken und runterzufahren. Ich zockte ein bisschen am Computer, las ein paar Bücher und chattete oder telefonierte mit Franz. Ansonsten dachte ich an Sinaista von Finsterstein. Von früh bis spät. Und danach auch noch. Immer wenn Baba mich auf den Polizeieinsatz auf dem Friedhof ansprach, gab ich vor, dass mich das Ganze noch zu sehr aufwühlte, auch wenn mir klar war, dass sie mir nicht glaubte. Ich wusste, dass ich über kurz oder lang mit ihr reden musste. Aber ich wollte dem Gespräch aus dem Weg gehen.
Und nun, am Abend bevor ich wieder in die Schule würde gehen müssen, hatte ich ihr also endlich alles gebeichtet, und es war, als würde eine Riesenlast von mir abfallen. Warum hatte ich das verdammt noch mal nicht eher gemacht?
Es war bereits kurz nach neun Uhr. Baba und ich hatten noch ein wenig über den Verbleib der von Finstersteins spekuliert und wir wollten gerade ins Bett gehen, da klingelte es.
Ich war schon im Schlafanzug, als ich leicht grummelig in den Flur taperte und vorsichtig durch unseren neu eingebauten Türspion schaute. Nichts. Ich renkte mir fast das Auge aus, beim Versuch, so viel wie möglich vor der Tür zu überblicken.
»Wer ist es?«, fragte Baba aus dem Bad und ihr seltsam scheinheiliger Unterton ließ mich aufhorchen. Wahrscheinlich erwartete sie Ante, ihren Förster, der in den letzten Tagen verdächtig häufig vorbeikam.
»Niemand!«, sagte ich knurrig. Da klingelte es noch einmal.
Wieder spähte ich vergeblich durch den Spion. Baba tauchte hinter mir auf, und dafür, dass sie behauptet hatte, ins Bett gehen zu wollen, war sie ziemlich aufgebrezelt. Sie zuckte die Schultern, als ich mit gehobenen Augenbrauen auf ihren geschminkten Mund schaute.
»Lass mich mal«, sagte sie und drängelte sich leicht errötend an mir vorbei. Doch auch sie schien nichts durch den Spion erkennen zu können, deshalb fragte sie: »Wer ist denn da?«
Keine Antwort.
Zu meiner Überraschung lächelte sie und öffnete dann einfach. »Ante, du verrückter Kerl, du sollst doch nicht …« Sie sprach nicht weiter, sondern brachte sich mit einem Aufschrei und einem hektischen Schritt nach hinten in Sicherheit. Entschlossen griff sie nach dem Regenschirm, der ihr schon beim unangemeldeten Besuch von Adelbert Bärbach als Waffe gedient hatte.
»Kscht!«, machte sie und pikste mit dem Schirm Richtung Tür. Es sah alles andere als überzeugend aus. Ich schälte mich hinter ihrem Rücken hervor, und was ich sah, ließ mich erschaudern und aufjuchzen zugleich. Peppi, das Leistenkrokodil, lag vor der Tür und grunz-schnaub-schniefte bei meinem Anblick.
Ich lief, ohne zu zögern, auf ihn zu und ging in die Knie. Baba gab einen erstickten Atmer von sich, als ich begann, Peppis Schnauze zu streicheln. »Wo ist Sina, Peppi? Wo sind die anderen?«