Klaus Möckel
Die seltsame Verwandlung des Lenny Frick
Fantastische Erzählungen
ISBN 978-3-86394-820-7 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1985 im Verlag Das Neue
Berlin. Einige Erzählungen erschienen nur in zeitschriften oder Anthologien.
Die Roboterweisheiten und Planetensprüche wurden dem Buch "Wer zu Mörders
essen geht..." von Klaus Möckel, erschienen 1993 bei Frieling &
Partner GmbH Berlin, entnommen.
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2012 EDITION digital®
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Eines Tages, die Menschheit war trotz allen Geredes über Ufos und das Leben auf fremden Planeten im Grunde nicht auf eine solche Begegnung vorbereitet, landeten in Cap Canaveral Außerirdische.
Es geschah völlig überraschend. Signale der Annäherung eines unbekannten Raumfahrzeugs waren erst wenige Tage vor der Ankunft registriert und zunächst noch nicht einmal ernst genommen worden. Dann, als das Unglaubliche, noch nie Dagewesene immer wahrscheinlicher wurde, stellte man auf die Schnelle ein Begrüßungskomitee zusammen. Die berühmtesten Politiker und Gelehrten der führenden Industrienationen waren darin vertreten, daneben ein paar Diplomaten kleinerer Länder und last but not least zwei Fantastikschriftsteller.
Zugleich wurden allerlei Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Während man weniger an eine eventuell notwendige medizinische Hilfe dachte, galt der Abwehr hinterhältiger Viren und Bakterien größte Aufmerksamkeit. Vor allem aber wurde das atomare und sonstige Waffenpotential in höchste Alarmbereitschaft versetzt. Man war zwar gewillt, die Abgesandten einer fremden Zivilisation herzlich und freundschaftlich aufzunehmen, musste aber auch gegen unerwartete Gefahren gewappnet sein.
Als das Raumschiff dann, von Licht- und Funksignalen geleitet, tatsächlich landete, hatten sich weitere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Wirtschaft eingefunden, außerdem natürlich Medienvertreter aus aller Welt. Obwohl man versucht hatte, die Nachricht von der Ankunft der Fremden geheim zu halten, hatte sie sich wie ein Lauffeuer verbreitet und eine unübersehbare Menschenschar angelockt. Sie war nur mühsam durch Bereitschaftspolizei und Absperrungen im Zaum zu halten.
Das Raumschiff selbst hatte etwas Vertrautes an sich. Es glich zwar genauso wenig den amerikanischen Spaces-Shuttles wie den russischen Kosmonautenkapseln, hätte aber ohne weiteres in einen Science-Fiction-Streifen der siebziger und achtziger Jahre gepasst. Niemanden hätte es deshalb überrascht, wenn ein Herkules mit kupfernem Stirnband, eine gut gebaute junge Dame in eng anliegendem Glanzkostüm der sich öffnenden Luke entstiegen wäre. Doch diese Vorstellungen erfüllten sich nicht. Wie erstaunt war die in Ehrfurcht und Neugier erstarrte Menge, als dem Gleiter lediglich einige in hauchdünne Skaphander gehüllte Tiere entstiegen.
Doch damit noch nicht genug. Wenn man die Körperformen, die Köpfe mit den langen Ohren, die Hufe und Schwänze betrachtete, waren es sogar eindeutig Esel.
Man kann sich die Verblüffung der Menge und des Empfangskomitees vorstellen. Ein Raunen erhob sich und füllte das Rund. Mancher der Politiker oder Wissenschaftler musste all seinen Anstand bemühen, um nicht in ein völlig unangebrachtes, unhöfliches Grinsen oder gar in ein Gelächter zu verfallen.
Das Erstaunen wurde jedoch sofort durch ein noch größeres abgelöst, das diesmal sehr positiv war. Die Esel, zunächst auf räumlichen Abstand bedacht, machten sich nämlich über eine Art Mobilfunk sehr gut verständlich. Sie sprachen ein Kauderwelsch aus Englisch, Spanisch, Russisch und Chinesisch, in das sich sogar ein paar deutsche Brocken mischten. Mit Hilfe von Dolmetschern konnte man ohne weiteres Kontakt zu ihnen aufnehmen.
Zur allgemeinen Erleichterung verhielten sich die Tiere auch durchaus vernünftig. Sie erklärten, sie kämen in friedlicher Absicht, waren mit einer Quarantäne einverstanden und zeigten sich insgesamt als aufgeschlossene humane Wesen, wenn man das bei Eseln einmal so nennen darf.
Eine äußerst aufregende Zeit begann für alle Beteiligten. Konferenzen wurden durchgeführt, die Gäste besichtigten Betriebe und Einrichtungen, informierten sich über die verschiedensten Wissensgebiete, besuchten die schönsten und auch einige unwirtliche Landstriche der Erde. Dabei hatte ein Reiseplanungsbüro sorgsam darauf zu achten, dass sie keine Zoos oder gar Schlachthöfe zu Gesicht bekamen, nicht zufällig von grausamen Tiertransporten hörten. Überhaupt vermied man alles, was das Verhältnis zwischen Mensch und Tier berührte. Die Gäste selbst hielten sich in dieser Hinsicht übrigens zurück, berichteten mehr allgemein von ihrer fernen Galaxis und der weiten Reise, die sie hinter sich hatten.
Fast hatten sich die Erdenbewohner an das sonderbare Äußere der Fremden gewöhnt, als die Wissenschaftler eine eigenartige Entdeckung machten. Anhand von Aufnahmen aus der Heimat der Außerirdischen mussten sie erkennen, dass diese zu Hause offenbar nicht als Vierbeiner herumliefen. Vielmehr waren sie durchaus von menschenähnlicher Gestalt. Niemand konnte sich diese Tatsache erklären.
Nach einigem Zögern fasste sich einer der Begleiter ein Herz und fragte die Gäste nach den Gründen für ihr derzeit so ganz anderes Aussehen.
Die Antwort war ein langes verlegenes Schweigen. Endlich raffte sich eins der Tiere auf und erwiderte: "Nun ja, uns ist da ein bedauerlicher Fehler unterlaufen. Wir haben uns, bevor wir zu unserer Weltraumfahrt aufbrachen, natürlich über die verschiedenen Planeten informiert. Über die Erde konnten wir jedoch leider nicht viel erfahren. Die Computer sagten uns lediglich, dass dort sehr sonderbare Wesen leben müssten. Sie würden ihren Himmelskörper, der ihnen als einziger in ihrer Galaxis die Bedingungen für menschliches Lebe erlaubte, wider besseres Wissen in rasendem Tempo selbst zerstören. Sie würden Landschaften vernichten, die Luft verpesten, Kriege führen und überhaupt alles tun, um künftigen Generationen eine Existenz unmöglich zu machen. Mit einem Wort, sie wären rechte Esel, denn nur so könne ihr Verhalten erklärt werden. Der Anschaulichkeit halber zeichneten die Computer ein Bild von diesen Tieren. Wolle man sich mit ihnen verständigen, meinten sie, wäre es wohl das Beste, auf der Erde die Gestalt dieser Vierbeiner anzunehmen.
Unser Irrtum, oder genauer gesagt, bereits der unserer Forschungscomputer bestand also darin, dass sie diese unglaubliche Verhaltensweise den echten Eseln zuschrieben, Tieren, die völlig schuldlos daran sind. Wie hätten wir aber auch - verzeihen Sie - annehmen können, dass Menschen hier leben und so etwas Dummes, Verbohrtes tun."
Und der Gast schloss höflich mit den Worten: "Bitte verübeln Sie uns unsere Offenheit nicht, wir wissen ja alle, die Wahrheit tut oft weh. Nehmen Sie aber gleichzeitig freundlichst zur Kenntnis, dass wir uns hiermit aufrichtig bei alle echten Eseln auf der Erde für diese Verwechslung entschuldigen!"
Till Markhausen
1055 Berlin
Schönhauser Allee 2oo
An die
Automatenvermittlung
108 Berlin
Zentralpark 13-16
Berlin, den 8.5.2011
Sehr geehrte Herren!
Mit meinem Schreiben beziehe ich mich auf Ihre Rechnung vom 7. Mai, die mich sehr verwundert hat. Hier liegt offenbar ein Missverständnis vor - gestatten Sie, dass ich die Dinge kurz richtigstelle. Sie verlangen, dass ich 68,23 Mark für eine Leistung bezahle, die ich einerseits nicht angefordert, andererseits im Grunde selbst erbracht habe. Lassen wir die Tatsachen sprechen. Vor drei Wochen, am Freitag, dem 16.4., hatte ich in Ihrem Kundendienst eine Fensterputzmaschine bestellt. Sie wurde mir für Mittwoch, den 28. 4., 9 Uhr morgens, zugesichert. Am angegebenen Tag - ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass schönes, fürs Scheibensäubern günstiges Wetter war - wartete ich zunächst vergebens. Gegen 11.30 Uhr klingelte es an der Tür, und zu meiner Freude stand ein Automat draußen. Ich ließ ihn ein, da ich annahm, es sei der gewünschte Glasreiniger. Er hatte aber nur ein Damespiel mit und setzte sich sofort an den Tisch. Da ich merkte, dass es sich um eine Verwechslung handelte, versuchte ich ihm den Irrtum klarzumachen. Ich sagte, ich hätte keinen Unterhaltungsautomaten bestellt, sondern einen Fensterputzer, und er solle wieder gehen. Doch dazu ließ er sich nicht bewegen. Nun weiß ich zwar, dass Roboter ihrem Programm folgen müssen, im Allgemeinen beugen sie sich aber, wenn der Kunde inzwischen seinen Willen geändert hat. Dieser, mit der Bezeichnung D 874, wollte dagegen nicht einmal einsehen, dass ich ihn nicht angefordert hatte. Ich konnte ihn nicht loswerden, und da ich noch immer auf den Reinigungshelfer hoffte, tat ich ihm schließlich den Gefallen. Ja, ich gebe es zu, ich spielte mit ihm Dame, doch müsste eigentlich ich dafür bezahlt werden. Zumal dieser D 874 eigenartige Manieren hatte. Er lachte hämisch, wenn ich einen Fehler beging, und bezeichnete mich mehrmals als Anfänger.
Einmal, als ich versehentlich einen Stein hinunterwarf, den ich nicht gleich wieder finden konnte, riss er einen schwarzen Knopf von meiner überm Stuhl hängenden Jacke und fügte den in die Partie ein. Mein Protest half nichts. Nach fünf Stunden erst gelang es mir, die Maschine abzuschieben - der Fensterputzer war nicht aufgetaucht
Ich habe Ihnen wegen dieser sonderbaren Vorgänge am 30. 4. einen Brief geschrieben, auf den ich bisher keine Antwort erhielt. Stattdessen diese Rechnung. Wäre ich nicht ein Mensch, der über Humor verfügt, würde ich eine Entschädigung verlangen.
Ich hoffe, dass die Angelegenheit damit bereinigt ist, wenn meine Fenster vorläufig auch noch vor sich hin schmutzen. Hochachtungsvoll!
Till Markhausen
Automatenvermittlung
108 Berlin
Zentralpark 13-16
An Herrn
Till Markhausen
1055 Berlin
Schönhauser Allee 200
Berlin, den 20.5.2011
Sehr geehrter Herr Markhausen!
Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 8.5. d.J. bestätigen wir die Richtigkeit Ihrer Darlegungen und bitten vielmals um Entschuldigung. Ein bedauerlicher Irrtum unsererseits; wir lassen den Automaten D 874 umgehend überprüfen. Um die Angelegenheit in Ordnung zu bringen, werden wir Ihnen für Mittwoch, den 26.5., 9 Uhr, den richtigen Automaten schicken. Bitte rufen Sie uns an, wenn Sie einen anderen Termin wünschen.
Immer zu Diensten!
Ihre Automatenvermittlung
Chef-Ky Dr. Elek Tron
Till Markhausen
1055 Berlin
Schönhauser Allee 200
An die
Automatenvermittlung
108 Berlin
Zentralpark 13-16
Berlin, den 27.5.2011
Geehrter Herr Dr. Tron!
Wieder liegt eine Rechnung auf meinem Tisch, aber nicht nur deswegen möchte ich mich beschweren. Ich hätte bei Ihnen angerufen, wären die beiden im Branchenverzeichnis angegebenen Videonummern nicht ständig besetzt. Wie gesagt, ich bin ein Mensch mit Humor, doch das geht zu weit. Nach Ihrem Entschuldigungsbrief vom 20. Mai hatte ich wirklich etwas anderes erwartet. Wenn ich mich schon zum zweiten Mal darauf einlasse, von der Arbeit zu Hause zu bleiben, um die Fenster geputzt zu bekommen, darf ich doch wohl endlich mit dem versprochenen Service rechnen. Aber nein, man täuscht mich erneut. Man schickt mir keine Reinigungskraft, sondern jemanden, den ich im Traum nicht angefordert hätte - einen Knöpfeannäher! Der sich fast mit Gewalt Zutritt zur Wohnung verschafft und in meinen Schränken herumwühlt. Ich wusste nicht einmal, dass solche Maschinen zu Ihrem Sortiment gehören. Da er außer einem lockeren Häkchen an einer Weste nichts fand - den von Ihrem D 874 entfernten Jackenknopf hatte ich bereits selbst ersetzt -, betätigte er sich zunächst als Zerstörer. Mit ungeheurer Geschwindigkeit trennte er sämtliche Reißverschlüsse aus meinen Pullovern und riss wahllos die Knöpfe von den übrigen Kleidungsstücken. Vielleicht können Sie sich mein Entsetzen vorstellen. Mein energischer Widerspruch nützte jedoch nichts, er fuchtelte so gefährlich mit Nadel und Schere in der Gegend herum, dass mir nichts anderes blieb, als ihn gewähren zu lassen. An jedem Mantel, jedem Hemd machte er sich zu schaffen, er war direkt knopfbesessen. Fehlte nur, dass er sich an den Knöpfen des Panoramafernsehers und des Gefrierschranks versuchte. Zum Glück setzte er sich dann hin und nähte alles wieder an. Und zwar richtig - ich hätte es bei dem entstandenen Durcheinander nicht für möglich gehalten. Aber meine Zeit und vor allem meine Nerven strapazierte dieser K 266 mit seinem Vorgehen aufs äußerste. Und nun eine Rechnung von 300,12 Mark! Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Dass meine Fenster ungeputzt geblieben sind, brauche ich wohl nicht ausdrücklich zu erwähnen. Ich erwarte eine unverzügliche Erklärung.
Achtungsvoll!
Till Markhausen
Automatenvermittlung
108 Berlin
Zentralpark 13-16
An Herrn
Till Markhausen
1055 Berlin
Schönhauser Allee 200
Berlin, den 15.6.2011
Sehr geehrter Herr Markhausen!
Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 27.5. d.J. bestätigen wir die Richtigkeit Ihrer Darlegungen und bitten vielmals um Entschuldigung. Ein bedauerlicher Irrtum unsererseits; wir lassen den Automaten K 266 umgehend überprüfen. Um die Angelegenheit in Ordnung zu bringen, werden wir Ihnen für Donnerstag, den 24. 6., 9 Uhr, den richtigen Automaten schicken. Bitte rufen Sie uns an, wenn Sie einen anderen Termin wünschen.
Immer zu Diensten!
Ihre Automatenvermittlung
Chef-Ky Dr.Elek Tron
Till Markhausen
1055 Berlin
Schönhauser Allee 200
An die Automatenvermittlung
108 Berlin
Zentralpark 13-16
Berlin, den 25.6.2011
Werter Dr.Tron!
Zum dritten Mal beschwere ich mich bei Ihnen, und nun ist es kein Spaß mehr! Oh, ich hätte durch das, was bis dahin passiert war, gewarnt sein müssen! Aber ich bin in meiner Vertrauensseligkeit selbst schuld, ich wollte Ihnen noch eine Chance geben und habe meinen bereits formulierten Absagebrief zerrissen.
Für Sie dürfte es wohl ohne Interesse sein, dass ich eine gute Freundin zu Besuch erwartete, der ich den Anblick verrußter Fensterscheiben zu ersparen hoffte. Nun, jetzt bin ich klüger - dies wäre das kleinere Übel gewesen. Denn natürlich (ich gebrauche dieses Wort bewusst) erschien auch diesmal kein Fensterputzer bei mir, sondern ein Elektroniker, der sich über meinen Panoramafernseher hermachte. Ich ließ ihn ein, weil er im Gegensatz zu seinem Vorgänger sehr höflich war und ein Staubtuch im Greifer hielt. Damit wischte er allerdings nur einmal kurz über die Milchglasscheibe des Geräts, das er dann auseinanderzunehmen begann. Angeblich hätte ich gefordert, die Bedienungsknöpfe zu erneuern, außerdem seien Unstimmigkeiten im Tiefenbild zu entdecken. Ich sagte ihm, dass ich mit dem Apparat sehr zufrieden sei und nichts verändert haben möchte, doch das hielt ihn keineswegs zurück. Na, das kannte ich ja schon. Der Roboter war zwar diesmal nach außen hin freundlich, aber sonst genauso stur wie seine Vorgänger. Als er das Gerät völlig in seine Einzelteile zerlegt hatte, rollte er in die Küche und nahm sich den Kühlschrank vor. Er war durch nichts zu bremsen. Ich überlegte, ob ich ihn mit ein paar Hammerschlägen zur Strecke bringen sollte, doch wer hätte mir dann den Fernseher wieder zusammengesetzt. Denn in Erinnerung an Ihren unmöglichen Knöpfeannäher, den K 266, hoffte ich zu diesem Zeitpunkt noch, dass auch der Elektroniker wieder in Ordnung bringt, was er zerstört hat. Zumal er mir ständig versicherte, ich brauche keine Sorge zu haben. Keine Sorge, dass ich nicht lache! O ja, er hat mir sowohl den Gefrierschrank als auch den Panofernseher wieder zusammengebaut, aber fragen Sie nicht wie. Vom Bildschirm weht mir seither eisige Kälte entgegen, und im Kühlschrank kann ich Reklame über gegrillte Würste anschaun.
Mein Kompliment, die Sendboten Ihres Dienstleistungsbetriebes handeln von Mal zu Mal effektvoller. Der erste gab sich mit einem Spielchen zufrieden, der zweite brachte den Schaden, den er angerichtet hatte, noch recht und schlecht in Ordnung, der dritte, ein so genannter E-Spezial Nr. 59, machte meine Geräte unbrauchbar. Die Rechnung von sage und schreibe 999,98 Mark ließ er diesmal gleich da. Das sind Kosten, wie sie mein Nachbar nicht einmal für die Instandsetzung seiner verrotteten Klimaanlage aufzubringen hatte. Instandsetzung, nicht Zerstörung! Ich war über diese Unverschämtheit so empört, dass ich Ihrem E hinterher wollte und mir dabei auf der Treppe böse den Fuß verstauchte. Weshalb ich im Bett liegen muss und Ihnen meine Entrüstung nicht persönlich ins Gesicht schleudern kann.
Nun, nach alldem brauche ich wohl nicht mehr zu erwähnen, dass ich keinen Pfennig zu bezahlen gedenke, sondern im Gegenteil eine Ausgleichsumme für die entstandenen Zeit- und Krankheitskosten verlange. Außerdem fordere ich einen neuen Kühlschrank Modell Luxus Ia und ein Panoramafarbfernsehgerät mit Druckluftbetätigung. Und glauben Sie nicht, mir wieder mit einem Ihrer billigen Entschuldigungsbriefe kommen zu können. Nur die Tatsache, dass der juristische Weg Monate in Anspruch nehmen würde, hindert mich, Anklage gegen Ihren Betrieb zu erheben.
Grußlos
Till Markhausen
Automatenvermittlung
1080 Berlin
Zentralpark 13 – 16
An Herrn
Till Markhausen
1055 Berlin
Schönhauser Allee 200
Berlin, den 16.7.2011
Sehr geehrter Herr Markhausen!
Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 25. 6. d.J. bestätigen wir die Richtigkeit Ihrer Darlegungen und bitten vielmals um Entschuldigung. Ein bedauerlicher Irrtum unsererseits; wir lassen den Automaten E-Spezial 50 umgehend überprüfen. Um die Angelegenheit in Ordnung zu bringen, werden wir Ihnen für Dienstag, den 27. 7., 10 Uhr, den richtigen Automaten schicken. Bitte rufen Sie uns an, wenn Sie einen anderen Termin wünschen.
Immer zu Diensten!
Ihre Automatenvermittlung
Chef-Ky Dr. Elek Tron
Till Markhausen
1055 Berlin
Schönhauser Allee 200
An die
Automatenvermittlung
108 Berlin
Zentralpark 13 -16
Berlin, den 27.7.2011
Dr. Tron!
Nein, ich will Sie nicht mehr mit wert oder gar geehrt ansprechen, ich möchte wissen, weshalb ich überhaupt noch schreibe, aber ich liege hier mit meinem geschwollenen Fuß und muss mir irgendwie Luft schaffen! Ich frage mich und Sie, ob es Ihr Betrieb darauf abgesehen hat, mich zu ruinieren. Reichten denn die bisherigen Schäden nicht aus, genügte es nicht, dass ich inzwischen an Seele und Gliedern krank bin? Gleich als Sie mir Ihren neuen Entschuldigungsbrief schickten, der, die Termine ausgenommen, den beiden vorherigen bis in die Formulierung hinein wie ein Ei dem anderen glich, bekam ich es mit der Angst zu tun und bat meinen Nachbarn, persönlich bei Ihnen vorstellig zu werden; es sollte nicht wieder etwas schief gehen. Er kam mit der beruhigenden Nachricht zurück, diesmal habe man vorgesorgt. Ein Q-S., ein Qualitätsspezialist, werde mich aufsuchen, und bei ihm sei ein Irrtum ausgeschlossen. Vorsichtshalber hatte sich mein Nachbar die Nummer des Automaten nennen lassen, der ihm diese Information gab, es war ein I 12. Und tatsächlich, die Maschine, die heute bei mir auftauchte, trug das Q-S sowie die Zahl 4 auf der Stirn über den stieren Knopfaugen. Nur dass von Qualität und Spezialist nicht die Rede sein kann, Quacksalber oder Quarksabberer sollte man diese Karikatur von einer Reparaturmaschine nennen. Aber der Spott bleibt mir im Hals stecken, zu übel wurde mir mitgespielt. Ob K 266, E 59 oder Q-S 4, das sind keine Dienstautomaten, sondern irre gewordene Zerstörungsroboter. Dieser kam zu mir, um meine bisher gut funktionierende Klimaanlage völlig durcheinanderzubringen. Den Kühlschrank und den Panoramafernseher hat er nicht durch neue Geräte ersetzt oder wenigstens in brauchbaren Zustand gebracht, dafür darf ich jetzt innerhalb weniger Minuten tropische Hitze und klirrenden Frost in unvorhersehbarem Wechsel erleiden. Und das Schlimmste: Ich kann die Anlage nicht mehr abschalten. Ich liege ausgedörrt von Wüstenglut in der Badehose auf dem Sofa und krieche fünf Minuten später, in den Pelzmantel gehüllt, unters Federbett, das noch von meiner Urgroßmutter stammt, während sich Reif an meinen Wimpern bildet. In meiner Not habe ich den Havariedienst anzurufen versucht, doch in meinem Videofon scheinen die Drähte geschmolzen oder vor Kälte gebrochen zu sein. Mein Nachbar aber ist seit gestern verreist; ich kann im Augenblick nur hoffen, dass die Leute über oder unter mir nach Hause kommen und mir aus meiner katastrophalen Lage heraushelfen. Immerhin wurde mir, als Ihr entsetzlicher Q-S die Rechnung von 2006,28 Mark auf den Nachttisch legte (die ich ihm zusammengeknüllt an den Kopf warf), plötzlich das Prinzip Ihrer Heimsuchungen klar. Als ich den Fensterputzer bestellte, hatte ich gesagt, dass es mir zu einem früheren, von Ihnen vorgeschlagenen Termin nicht passe, weil ich mit meinem Nachbarn zum Damespiel verabredet sei; im Brief vom 8. Mai hatte ich den abgerissenen Knopf erwähnt und in späteren Schreiben Bemerkungen über meinen Kühlschrank, den Fernsehapparat und die Klimaanlage fallen lassen. Diese nebenbei, in völlig anderem Zusammenhang geäußerten Details haben Sie stets benutzt, mir Ihre Höllenmaschinen ins Haus zu schicken. Da ich trotz allem, was geschehen ist, nicht annehmen will, dass Sie aus Bosheit so handeln (ich kann mir einfach keinen Grund dafür denken), vermute ich einen absolut desolaten Zustand Ihres Maschinenparks und werde mich deswegen beim Ministerium für Dienstleistungen beschweren. Denn ich habe Ihre unmögliche Art endgültig satt. Mit der Reparatur meiner Geräte beauftrage ich einen anderen Betrieb, ich leite die Rechnungen an Sie weiter. Um zu verhindern, dass Sie nochmals auf die Idee verfallen, einen Ihrer defekten Roboter auf mich loszulassen, erwähne ich zusätzlich keinen einzigen Gegenstand aus meiner Wohnung, keine noch so geringe Nebensächlichkeit. Und damit Sie Bescheid wissen: Sollte dennoch ein Automat bei mir aufkreuzen, gehe ich trotz meines lädierten Beines mit der Axt auf ihn los.
Till Markhausen
Automatenvermittlung
108 Berlin
Zentralpark 13-16
An Herrn
Till Markhausen
1055 Berlin
Schönhauser Allee 200
Berlin, den 6.8.2011
Sehr geehrter Herr Markhausen!
Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 7.7. d.J. bestätigen wir die Richtigkeit Ihrer Darlegungen und bitten vielmals um Entschuldigung. Ein bedauerlicher Irrtum unsererseits; wir lassen den Q-Spezial 4 umgehend überprüfen. Um die Angelegenheit in Ordnung zu bringen, werden wir Ihnen für Mittwoch, den 18.8., 10.30 Uhr, den richtigen Automaten schicken. Bitte rufen Sie uns an, wenn Sie einen anderen Termin wünschen.
Immer zu Diensten!
Ihre Automaten Vermittlung
Chef-Ky Dr. Elek Tron
Till Markhausen
1055 Berlin
Schönhauser Allee 200
An das
Ministerium für Dienstleistungen
108 Berlin
Unter den Linden 1
Berlin, den 18.8.2011
Sehr geehrter Herr Minister!
Vor zwei Tagen, am 16. 8. 2011, übersandte ich Ihnen ein Hilfeersuchen, weil mir die Automatenvermittlung erneut den Besuch eines ihrer grauenvollen Roboter ankündigte. Ich erhielt bisher keine Antwort, beziehe mich aber auf mein Schreiben, um nicht noch einmal alle Geschehnisse im Einzelnen darlegen zu müssen. Ich habe dazu weder die Kraft noch die Zeit, ich sitze völlig deprimiert in meiner ausgeräumten Wohnung und muss nun um das Letzte fürchten, das mir geblieben ist, um mein Leben. Zwar ist die Maschine, die heute kommen sollte, aus dem Haus, doch was weiß ich, wen dieses kriminelle Unternehmen noch schicken wird. Und kein Gedanke, etwas dagegen zu tun: Der Roboter vorhin war ein mit einem Riesenbeil ausgerüsteter Koloss, ich konnte nur auf die Treppe ausweichen, um seiner Zerstörungswut zu entgehn. Er zertrümmerte mein gesamtes Mobiliar und vernichtete in blinder Gefühllosigkeit auch die erst vorgestern durch eine andere Firma instand gesetzten Geräte einschließlich der Klimaanlage. Die Rechnungen sind noch nicht bezahlt! Danach transportierte er die Trümmer ab, wenigstens die größeren Stücke, und ließ eine Kostenaufstellung da, die ich als Beweis beilege. Für die Vandalentätigkeit ihres Kybers verlangt die Automatenvermittlung runde 4000 Mark!
Sie sehen, sehr geehrter Herr Minister, es ist unglaublich und doch wahr, mehr als eine Unverschämtheit - ein Verbrechen. Ich allein aber bin machtlos. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, nein, flehe ich Sie an, mir unverzüglich zu helfen. Verhindern Sie das Ärgste, indem Sie Dr. Tron und sein so genanntes Dienstleistungsunternehmen stoppen, ziehn Sie ihn zur Rechenschaft und gewähren Sie mir Schutz. Ich erwarte Ihre Antwort mit verzweifelter Ungeduld.
Hochachtungsvoll!
Till Markhausen
Träger des Abzeichens "Grüne Akazie" (Verliehen für dreizehn
Freiwilligeneinsätze im Volkspark)
Automatenvermittlung
108 Berlin
Zentralpark 13-16
An Herrn
Till Markhausen
1055 Berlin
Schönhauser Allee 200
Berlin, den 22.8.2011
Sehr geehrter Herr Markhausen!
Gestern erhielten wir eine Anfrage des uns übergeordneten Ministeriums, die sich auf Ihre Beschwerde über unseren Betrieb bezog. Obwohl Ihre Kritik nicht die großen Leistungen berücksichtigt, die wir im Dienste des Kunden in den Jahren unseres Bestehens vollbracht haben, müssen wir sie in diesem Einzelfall anerkennen. Wir entschuldigen uns deshalb für das Verhalten unserer Automaten und möchten die Missverständnisse erklären. Infolge enormer Arbeitsüberlastung war unser Chef-Kyber für einige Monate außer Kontrolle geraten und hat mehrere Maschinen falsch gesteuert. Er hat sich einen Namen (Dr. Elek Tron) zugelegt, den er als Roboter nicht zu tragen berechtigt ist, und den Briefwechsel mit verschiedenen Kunden selbsttätig durchgeführt. Nachdem wir nun den Fehler bemerkt haben, werden wir den Chef-Kyber reparieren lassen. Wir hoffen auf Ihr Verständnis, wenn wir Ihre Fenster noch nicht säubern konnten. Wegen der entstandenen Schäden wenden Sie sich bitte an unsere Versicherung, 1020 Berlin, Gartenstraße 3. Wir bitten aber um etwas Geduld, da durch die Urlaubszeit einiges liegen geblieben ist. In der Überzeugung, Sie von Ihren Sorgen befreit zu haben, stehen wir:
Immer zu Diensten!
Ihre Automatenvermittlung
Karl-Heinz Schönfließ, Direktor
P. S.: Wir bitten Sie höflichst, bis spätestens 26. 8. d. J. die ausstehenden Rechnungen Nr. 119 über 68,23 M; Nr. 211 über 300,12 M; Nr. 327 über 999,98 M; Nr. 412 über 2006,28 M und Nr. 489 über 4011,03 M; insgesamt 7385,64 Mark zu begleichen. Andernfalls sehen wir uns leider genötigt, den Betrag durch unseren automatischen Justitiar, J 11, eintreiben zu lassen.
Ich weiß nicht, ob ich diese Kleinigkeit überhaupt speichern sollte, aber der Sprechchip ist nun mal mein Hobby, und sonst hat sich in der letzten Zeit ja nicht viel getan. Früher führten die Leute Tagebuch, wenn sie etwas festhalten wollten, dann war es das Tonband, und nun sind's diese kleinen Kästchen, in denen man so viel unterbringen kann. Das ganze Leben und das seiner Kinder dazu. Falls man welche hat. Ein Fingernageldruck, und die Erlebnisse vergangener Jahre werden lebendig. Die Jugend, die Kindheit. Für mich hat das etwas Faszinierendes. Wichtig natürlich, dass man Unwesentliches weglässt und das Richtige eingibt. Deshalb hab' ich in diesem Fall auch überlegt. Aber kurios ist die Sache schon. Und wenn sie sich als gar zu nebensächlich erweisen sollte, kann ich die Aufzeichnung immer noch löschen.
Also, es war gestern gegen vier, während der Entspannungsphase. Wir saßen im kleinen Arbeitsraum, hatten die Chemoanlagen ab-, die biologischen Erfrischer angeschaltet und unterhielten uns, da tauchte Riefstahl auf. Überraschend, er gehört ja zur Dritten Abteilung, die sich mit den mathematischen Komponenten der menschlichen Natur befasst. Aber er geht bei den Moralpsychologen ein und aus und war extra gekommen, uns eine brandheiße Nachricht von dort zu bringen. Unter der Hand natürlich, für die Öffentlichkeit sei sie nicht bestimmt, weil sich die zuständigen Stellen noch nicht über die Konsequenzen im Klaren wären. Professor Morus habe eine höchst bedeutsame Erfindung gemacht. Niemand habe gewusst, dass er an so einer Sache sitze. Dabei sei er bereits über das Versuchsstadium hinaus und könne beweisen, dass sein Verfahren funktioniere.
Riefstahl ist ein Wichtigtuer, der überall zeigen will, wie gut er informiert ist, aber immer nur ungefähr Bescheid weiß. Auch diesmal sagte er nicht, worum es genau ging, schilderte vielmehr ausführlich das Drumherum. Was geredet würde und wie aufgeregt alle wären. Von uns gedrängt, gab er schließlich den geheimnisvollen Satz von sich: "Morus kann verlorengegangenes Gewissen reproduzieren." Das war der Kernpunkt seiner Neuigkeit. Konkreteres war nicht aus ihm herauszuholen.
Na, man kann sich unsere Verblüffung und unsere Enttäuschung vorstellen. Es stimmt schon, der große M., wie er allgemein genannt wird, ist Spezialist an unserem Psycho-Humano-Institut, und man darf von ihm nicht die Lösung des Energieproblems oder der Ernährungsfrage erwarten. Aber da gäbe es wohl noch andere Themen. Die Emanzipation des Schulkindes, den Glücksanspruch des Nacktbaders, was weiß ich. Wenn es sich nicht um Morus gehandelt hätte, der höchste Staatspreise und dreizehn internationale Diplome hat, wären wir in lautes Gelächter ausgebrochen. So hoben wir nur die Schultern und widmeten uns wieder den Erfrischern. Lediglich die kleine Lelia Keller konnte sich nicht zurückhalten. Sie sagte sarkastisch: "Na ja, große Geister dürfen sich eben mit jedem Quatsch befassen. Von uns dagegen verlangt man harte Arbeit, das war von jeher so."
Riefstahl zog beleidigt ab: Er hatte eine andere Reaktion auf seine Nachricht erhofft, wir waren seiner nicht wert. Als er weg war, tauschten wir unsere Meinungen aus. Verlorenes Gewissen reproduzieren, was für ein Unsinn.
Gestern Abend war ich dann mit Yella im Musikzentrum, und in der Konzertpause - sie spielten so ein neues Stück, wo jeder mitdirigieren kann - erzählte ich ihr von dieser angeblichen Erfindung. Yella, aufgekratzt, sagte: "Da hätte er bei dir ganz schön zu tun." Ich lachte, sie lachte gleichfalls, und wir gingen wieder in den Saal. Wir kamen nicht mehr auf die Angelegenheit zu sprechen, aber wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass mich die Bemerkung meiner Freundin geärgert hat. Hält sie mich wirklich für so gewissenlos? Vielleicht weil ich Conni verlassen habe. Yella weiß doch, dass ich es ihretwegen tat. Sie hat mich damals selber dazu gedrängt. Mag sein, dass ich etwas schnell und nach außen hin kalt vorging, aber besser ein Ende mit Schock als ein endloses Hin und Her. Bei Gelegenheit jedenfalls muss ich nochmals auf diesen Punkt zurückkommen. Wenn das mit Morus vergessen ist. Wahrscheinlich handelt es sich bei dieser Erfindung trotz des Geredes von Riefstahl nur um ein Hirngespinst.
Vierzehn Tage sind seit meiner letzten Aufzeichnung vergangen, und was vor kurzem kaum glaubhaft schien, ist offenbar doch mehr als Fantasterei. Natürlich könnte ich auch über andere Dinge berichten, zum Beispiel haben wir Yellas Eltern am Gelben See besucht, und dann ist es mir gelungen, Kraudenz die Winterkur wegzuschnappen, auf die wir beide scharf waren. Aber die Sache mit Morus macht von sich reden. Vor ein paar Tagen traf ich auf der Straße Bellmann, der einen Draht nach oben hat, und er sagte mir, es würde eine Kommission gebildet. Nicht um zu ermitteln, ob das Verfahren des großen M. wirklich anwendbar sei - darüber gäbe es keinen Zweifel -, sondern um das Für und Wider abzuwägen. Einige Versuchspersonen würden sehr gut einschlagen. Mit erneuertem, gewissermaßen reinem Gewissen wären sie Vorbild für jedermann. Im Umgang miteinander und bei der Arbeit, Vor allem das letztere sei ein Grund, ernsthaft in Erwägung zu ziehen, ob diese Erfindung nicht allgemein zugänglich gemacht werden könne. Man denke an eine Massenbasis.
Bellmann ist verlässlicher als Riefstahl, und was er erzählt, nicht so leicht abzutun. Was mich aber .noch mehr überzeugt hat als seine Worte, ist ein Erlebnis, das ich kürzlich mit Brand hatte. Brand arbeitet als Lagerist im Turm, durch seine Hände geht jegliches Material, das chemische, mineralische, biologische etc., und ohne ihn hätte manches außerplanmäßige Unternehmen der Vergangenheit, das später wichtig für die Erfolgsbilanz des ganzen Instituts wurde, nicht stattfinden können. Ich ging also zu Brand, weil ich für meine Abteilung einige Mengen zusätzlicher Alkyle brauchte, fast eine Routineangelegenheit, und ich dachte nicht im Traum daran, dass so etwas zum Problem würde. Aber da hatte ich mich geirrt. Schon als ich das Wertetui hervorzog, um ihm die sechs Silberblättchen zu überreichen, die ihm als Prämie von unserem letzten "Geschäft" zustanden, reagierte er völlig ungewöhnlich: "Nein, Doktor Lanett, das nehme ich nicht an, ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren."
"Aber, Heino, genauso war's abgesprochen. Unsre Erfolge sind deine Erfolge. Zur Brigade gehörst du nicht, deshalb müssen wir es auf diese Art machen."
"Was abgesprochen war, gilt nicht mehr. Nicht für mich. Ich denke jetzt anders darüber."
"Damit schadest du dir nur selbst."
"Ich kehre zur Ehrlichkeit zurück. Das hilft allen. Ihr werdet es auch noch begreifen."
Ich war einigermaßen schockiert. "Und was soll mit den Silberblättchen geschehen?", fragte ich.
"Zahlen Sie's aufs Umweltkonto ein."
Ich steckte die Blättchen weg, natürlich dachte ich nicht daran, sie irgendwo einzuzahlen, vielleicht überlegte Heino es sich in den nächsten Tagen anders, und wenn nicht, würde sich schon eine Verwendung finden. "Meinetwegen", erwiderte ich, "wie du willst. Zwar begreif ich dich nicht, es ist ja nicht das erste Mal, dass ich dir deinen Anteil bringe, doch es liegt mir fern, dich zu deinem Glück zu zwingen. Sprechen wir jetzt über die künftige Arbeit. Wie sieht's mit zwei kleinen Fässern A aus?"
Der Lagerist schlug sein Ausgangsbuch auf, was er bei solcher Gelegenheit noch nie getan hatte, und antwortete: "Chemo-Labor, Doktor Lanett. Ihre Abteilung hat für dieses Halbjahr den Fonds bereits ausgeschöpft."
"Heino", sagte ich sanft, "das kann nicht dein Ernst sein. Wir haben stets mehr gebraucht. Deshalb war unsere Abteilung schließlich so erfolgreich."
"Das sind unechte Erfolge. Sie gehen auf Kosten anderer Bereiche."
"Anderer? Die verstehn sich bloß nicht aufs Organisieren, das ist ihre eigene Schuld."
"Wie man's immer betrachtet", erwiderte fest der Lagerist, "für die Alkyle ist eine Ausnahmegenehmigung erforderlich."
Wir stritten hin und her, oder besser, ich stritt, er blieb bei allem ruhig und höflich, aber am Ende zog ich ohne auch nur eine Flasche A ab. Ich kochte vor Wut, ich hätte eine Bombe in den Turm schmeißen können, ich wusste überhaupt nicht, wie ich es den Kollegen beibringen sollte. Wenn wir den Lageristen nicht noch umstimmten, würden wir auf keinen Fall zurechtkommen. Wir würden den Plan nicht erfüllen, geschweige denn die zusätzlichen Prozente bringen.
Ich behielt die Sache zunächst für mich, zu diesem Zeitpunkt konnte ich mir Brands Verhalten noch nicht erklären, dachte, man hätte ihm, ohne uns zu informieren, einen Kontrolleur beigegeben. Mittags aber saß ich in der Kantine zufällig mit "Hühnchen" am Tisch, einer Sekretärin aus der dritten Abteilung. Ohne konkret zu werden, sprach ich von den Eigenheiten Heinos in den letzten Wochen, und sie sprang gleich darauf an. Sie erzählte mir, Brand sei Versuchsperson bei Morus gewesen. Eine der schwierigsten, man habe ihn ziemlich überreden müssen, sich zur Verfügung zu stellen, doch der große M. habe in ihm als Lageristen ein besonders interessantes Testobjekt gesehen und sei in seiner Erwartung auch nicht enttäuscht worden.
Nach dieser Information und Bellmanns Worten wurde mir einiges klar. Noch zweifle ich, noch will ich es nicht wahrhaben. Aber wenn stimmt, was man mittlerweile allerorts hört, wird es Folgen haben, die nicht abzusehen sind.
Im Institut wird nur noch von der Erfindung M. gesprochen. Technisch soll es relativ einfach sein, das verlorene Gewissen zurückzugeben. Man musste nur, heißt es, auf den Dreh kommen, ein bestimmtes Zentrum im Hirn und einige Punkte in der Brust herauszufinden, die zuständig für die Beweggründe unseres Handelns sind. Mittels grüner Lichtströme, erzeugt durch Beschuss eines bestimmten Elements, werden bereits abgebaute Gewissenszellen sichtbar und regenerierfähig gemacht. Dann erfolgt Schlafbeschallung und Bestrahlung mit Körperwärme. Eine ausgeklügelte Mischung, an der Morus seit Jahren gearbeitet haben soll.
Der große M. hat ein Patent für sein Verfahren bekommen, man munkelt, er wird den Goldenen Wissenschaftspreis mit zwei Spangen erhalten. Möchte bloß wissen, was der mit seinem hohen Silberblattkonto macht. Ach was, Silber, der hat längst sein Platin auf der Bank. Während unsereiner sein bisschen Wohlstand mit täglicher Schufterei und raffinierter Organisation mühsam zusammenhält, sitzt er eine halbe Stunde vor seinem Computer, und schon regnet's Goldfasern. Na ja, Köpfchen hat er, das muss man ihm lassen. Wie er damals das Problem der Femsehneurotiker löste, indem er den schmerzenden Film einführte - alle Achtung! Vielleicht ist diese Gewissenserneuerung wirklich zu was gut. Kürzlich sprach ich mit Yella darüber, und sie sagte: "Stell dir vor, du gehst zum Zeitungshaus, verlangst dein geliebtes Journal 'Der tönende Chip' und kriegst es. Ohne fünfmaliges Nachfragen, ohne dass du 'Die Kurve' und 'Die frohe Familie' dazu nimmst, ja sogar ohne Anstehn. Die Verkäuferin, von ihrem reparierten Gewissen geleitet, hält nichts zurück, verscherbelt nichts. Wäre das keine feine Sache?"
"Natürlich wäre sie das", erwiderte ich. "Aber du vergisst, dass es am wenigsten an der Verkäuferin liegt. Die Auflage des 'Tönenden Chip' ist einfach zu niedrig."
"Du musst ja auch weiterdenken. Dem im Ministerium oder sonst wo für die Auflagenhöhe zuständigen Menschen schlägt plötzlich das Gewissen. Bisher hat er's hingenommen, aber nun begreift er: Es geht nicht, dass sich tagtäglich Millionen Leser wegen so einer Kleinigkeit ärgern, aufregen und ihre Zeit verplempern. Es geht nicht, dass die Korruption auf diese Art gefördert wird. Ein unmöglicher Zustand ist das. Er beginnt sich Gedanken zu machen: Wie wär's, wenn wir 'Die frohe Familie', 'Die Kurve' etwas reduzierten. Er macht sich Gedanken, andere machen sich Gedanken. Vielleicht gibt's eine bessere Lösung. Es kommt was in Bewegung, verstehst du?"
"Ich glaube, das ist eine Illusion. Gewissen kann Materialmangel nicht ausgleichen. In unserm Fall den an Zeitungsfolie."
Yella, von ihren Überlegungen mitgerissen, trippelte im Zimmer hin und her. "Mag sein, aber wo Gewissen ist, sind auch Wege. Was den 'Tönenden Chip' betrifft, so sind nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Die so großzügig entscheiden, dass es nicht anders geht, haben ihn wahrscheinlich abonniert oder bekommen ihn anderweitig in die Hand. Sonst würden sie sich wenigstens bemühen, den Leuten die Sache zu erklären."
Die Worte meiner Freundin leuchteten mir ein; herrlich wäre es schon, den "Chip" oder "Das freie Foto" einfach am Pressestand kaufen zu können. Manchmal tragen die kleinen Dinge mehr zum Wohlbefinden bei, als man sich zugesteht. Natürlich erzählte ich Yella nichts von meinen erst kürzlich getroffenen Abmachungen im Zeitungshaus, der Verkäuferin ab und an ein paar Videoplatten zu besorgen. Dafür soll ich regelmäßig meine Gazetten bekommen, vom "Freien Foto" sogar zwei Exemplare, eins für den Plattenonkel mit. Meine Freundin, so realistisch sie sonst denkt, würde es fertig bringen und verlangen, dass ich diese Absprache rückgängig mache. Jetzt, wo das Gewissen der Leute aufgefrischt werden soll. Sie meint nämlich, das komme auf uns zu wie der nächste Monat, und je weniger zu erneuern sei, umso besser. Morus hätte bereits Lehrgänge abgehalten, für die Psychologen in den Bezirken; alle neurologischen Zentren würden mit den notwendigen Geräten ausgerüstet. Wenn das stimmt, scheint man die G-Rückerstattung wirklich in großem Stil betreiben zu wollen.
Ich habe mit Yella auch noch mal über einige Dinge gesprochen, die meine Person betreffen, und es stellte sich heraus, dass sie mein Verhalten gegenüber Conni tatsächlich falsch fand. Egoistisch, wie sie sagt. Die Trennung sei natürlich notwendig gewesen, aber wie ich mit ihr um jedes Möbelstück gefeilscht hätte, einigermaßen widerlich. Ja, sie gebrauchte das Wort "widerlich". Dabei hat Conni gefeilscht, nicht ich. Das versuchte ich Yella klarzumachen, und wir stritten uns richtig. Meinen Vater, für den ich angeblich keine Zeit hätte, brachte sie gleichfalls ins Spiel. Ich würde immer zuerst an mich denken. Na, ich habe ihr bewiesen, wie wenig Zeit mir tatsächlich bleibt. Zumal ich meine Stunden ja auch ihr widme. Als ich das erwähnte, ist Yella wütend aus dem Haus gerannt. Ich sei ein Stiesel, der überhaupt nichts begreife, hat sie geschrien, und sie würde sich einen andern suchen. Ich war ebenfalls wütend. Jetzt tut mir das alles leid, wer weiß, was uns diese Gewissenskorrektur noch an Zweifelhaftem bringt.
Die Regierung hat ein Gesetz erlassen, und die G-Kommission - jeder nennt sie so - einen Stufenplan aufgestellt, der über Pano-Video publik gemacht wurde. Das Gesetz: Innerhalb von zwölf Monaten muss jeder Bürger sein Gewissen "heilen" lassen (das ist der offizielle Ausdruck). Der Stufenplan: Durch Reihenuntersuchungen wird der Grad des Verschleißes bestimmt, damit später die Regenerierung eingeleitet werden kann. Man spricht von vier Kategorien: A - die moralisch kaum Geschädigten, B - die normal Geschädigten, C - die schwer Geschädigten, D - die Skrupellosen. Mit der Reproduktion des Gewissens jener vierten Kategorie soll begonnen werden, denn diese Leute, meint man, hätten es am nötigsten. Morus setzt voraus, dass selbst sie noch einen Rest von Gewissen besitzen, auf dem man aufbauen kann. Völlig "schwarze Seelen", behauptet er, gäbe es so wenig wie völlig "weiße".
Nach der Kategorie D soll die Kategorie C aufgefrischt werden und so weiter. Allerdings gibt es schon jetzt Diskussionen darüber, ob es berechtigt ist, die Skrupellosen überhaupt mit einem neuen Gewissen auszustatten. Nehmen wir an, jemand hat einen Menschen umgebracht, eine Frau vergewaltigt, ein Kind halbtot geprügelt, plötzlich steht er wieder rein und jungfräulich da. Ist das gerecht? Begreift er dann noch, weshalb er seine Strafe verbüßen muss? Morus meint, er begreife es ganz und gar, denn er erinnere sich ja genau an sein Verbrechen. Seine Reue sei jetzt sogar übermäßig, es bestehe eher die Gefahr, dass er an seiner Schuld zerbreche. Deshalb müsse man sich mit der Kategorie D besondere Mühe geben. Aber das, da bin ich sicher, wird schärfsten Widerspruch hervorrufen.
Mit Yella habe ich mich übrigens wieder ausgesöhnt, sie rief an und sagte, das mit dem Stiesel nehme sie zurück, und dass ich gewissenlos sei, habe sie nie behauptet. Nur ein bisschen ichbezogen, das ärgere sie manchmal. Ich hab' versprochen, mich zu bessern, und ihr erklärt, dass ich sie liebe. Für heute Abend haben wir uns zum Musikpunsch verabredet.
Trotzdem liegt ein Schatten auf unserer Beziehung, ich spüre es. Ihr Vorwurf trifft mich kaum, über die Zeit bin ich längst hinaus, aber völlig rehabilitiert werde ich mich erst fühlen, wenn wir beide unsere Kategorie wissen. Ich habe nie etwas mitgehen lassen, nie über die Stränge geschlagen, sie dagegen war in ihrer Jugend ein ziemliches Früchtchen. Das hat sie mir selber erzählt. Mit den Jungs ist sie los, in fremde Gärten und Bungalows eingestiegen, einmal sogar in eine Wohnung. Um sich Schnürjeans zu holen, so was Blödes. Erst als man sie ertappte und von der Schule schmiss, besserte sie sich. Und kürzlich gestand sie mir, dass sie noch heute in den Parks Blumen klaut, wenn ihr danach ist und es in den Umweltläden keine zu kaufen gibt.
Yella hat allerhand hinter sich, auch mit Männern, sie macht gar kein Geheimnis daraus. Im Gegensatz zu mir, der ich mit solchen Informationen zurückhaltend bin - braucht ja nicht jeder vom Partner alles zu wissen. Schwer geschädigt ist ihr Gewissen vielleicht nicht, aber an der Grenze zur Kategorie C liegt sie bestimmt. Ich glaube, der Tag ist nicht fern, da klar bewiesen wird, wer von uns beiden den andern kritisieren könnte.
Wenn ich in meine Aufzeichnungen der letzten Wochen hineinhöre - nichts als diese Geschichte. Verwunderlich ist das allerdings kaum, das ganze Land wird davon in Atem gehalten. Eine breite Aufklärungskampagne hat eingesetzt; über Pano-Video, Video und Funk, aber auch durch Artikel in den Folio-Zeitschriften wird jeder auf die Vorzüge der neuen Erfindung aufmerksam gemacht. Man erwartet eine sensationelle Erhöhung der Lebensqualität. Ein Zaubermittel, es soll nicht nur die Kriminalität zum Verschwinden bringen,