Reprint des Originals von 1906.
Im Anhang einige aktuelle Bilder
der im Original gezeigten Ansichten
von Ballenstedt.
B ALLENSTEDT, die Kreisstadt des gleichnamigen Kreises des Herzogtums Anhalt liegt 220—260 m über dem Meere, am Nordhange des östlichen Unterharzes. Der ältere Stadtteil breitet sich in der Ebene aus, der neuere Stadtteil zieht sich am Berghange empor, so daß die Stadt in zwei durch den „Alexanderplatz" getrennte Abteilungen zerfällt.
Ballenstedt hat einen Bahnhof für Personen- und Güterverkehr am Ende der Bahnhofstraße im untern Stadtteil und eine Haltestelle für Personenverkehr am Ende der Friedrichstraße im obern Stadtteil. Der Bahnhof „Ballenstedt", an welchem die Hotelomnibusse halten, kommt für die von der Gegend Aschersleben—Dessau Halle her kommenden Reisenden in Betracht, die Haltestelle „Schloß Ballenstedt" ist die geeignete Station für Reisende aus der Richtung Thale—Quedlinburg — Halberstadt u. s. w. Vom „Bahnhofe Ballenstedt" gelangen wir auf der Bahnhofstraße und Marienstraße in etwa 10 Minuten zum Alexanderplatz; hier münden noch die Steinbergstraße, Poststraße, die Breitestraße (in 2 Minuten zum Neuen Rathause!), der Anger und die Schloßstraße. Gehen wir die Schloßstraße hinauf und über den Bismarckplatz, so kommen wir in „die Allee", die sehenswürdigste Straße des Ortes. Die Allee zieht sich in einer Länge von 1 km vom Bismarckplatze bis zum Aufgange zum Herzoglichen Residenzschlosse. Eine dichte Doppelreihe ehrwürdiger Kastanienbäume macht sie zu einer bequemen, schattigen und schönen Promenade, in welcher zahlreiche Ruhebänke aufgestellt sind und welche durch 12 elektrische Bogenlampen des Abends gut beleuchtet wird. Seitenstraßen der Allee sind im untern Teile die Sieskindstraße, welche in die Poststraße mündet, und der Stieg, welcher die von der Schloßstraße nach der Lindenallee führende Grünestraße durchschneidet und an der Schützenstraße vorbei nach dem Anger führt. Im obern Teile führt rechts die Friedrichstraße nach dem Schloßbahnhof und links die Luisenstraße, nachdem sie die Neuestraße und Lindenallee durchschnitten, nach dem Kurpark „die Lohden".
Im obersten Teile der Allee zweigt sich rechts die Leopold-Friedrichstraße ab, welche in die Antoinettenstraße mündet und ihre Fortsetzung bis zur obern Poststraße in der Hartrottstraße findet. Die Neuestraße ist mit der Lindenallee noch durch die Prinzenstraße und die Brinckmeierstraße verbunden. Am Ausgange der Allee oben links beginnt die Holsteinerstraße, die ihre Fortsetzung in der am Walde entlang führenden Friedrikenstraße findet.
In der obern Stadt liegen die Häuser üielfach inmitten freundlicher Gärten, Licht und Luft haben unbeschränkten Zutritt; die Nähe der unmittelbar an die Stadt grenzenden ausgedehnten Laub- und Nadelholzwaldungen macht ßallenstedt zu einem angenehmen, gesunden Aufenthalt. Die Reinlichkeit und Sauberkeit des Ortes, welcher mit allen für einen Luftkurort erforderlichen hygienischen Einrichtungen versehen ist, geben ihm sowohl im Sommer als im Winter das Gepräge eines gesunden Kurortes.
Ballenstedt hat nahezu 6000 Einwohner, es ist der Sitz einer Kreisdirektion, eines mit 3 Richtern besetzten Amtsgerichts, einer ßauverwaltung, einer Kreiskasse, eines Vermessungsamtes, eines Steueramtes, einer Forsrrevierverwaltung und eines Postamts 1. Klasse.
Die Verwaltung des Gemeinwesens untersteht dem Magistrat (Bürgermeister Wendt). Der Magistrat hat seinen Sitz in dem auf dem Neuen Markte in diesem Jahre errichteten neuen Rathause (erbaut vom Professor Messel in Berlin), welches durch seinen Kuppelturm weithin sichtbar ist und eine der ersten Zierden des Ortes bildet. Vom alten Rathause auf dem Alten Markte, welches der Sigsfeld'schen Stiftung als Damenheim abgetreten ist, ist die Fassade sehenswert.
Die Stadtverwaltung hat eine gute Trinkwasserleitung, eine elektrische Zentrale, ein Schlachthaus mu Kuhlhalle, eine Leichenhalle, in einem Teile der Stadt auch Kanalisation errichtet, regelmäßige Nahrungsmitteluntersuchungen eingeführt und ist bestrebt, allen Verkehrsverbesserungen und Fortschritten sich anzuschließen.
Von den Bewohnern Ballenstedt's besteht ein großer Teil aus Rentnern, pensionierten Beamten und Offizieren. Größere industrielle Unternehmungen fehlen in Ballenstedt gänzlich.
Mehrere Sanatorien (Kurhaus Villa Friede für Nervenkranke und Erholungsbedürftige von Dr. ßunnemann und das Sanatorium des Dr. Rosell, Naturheilanstalt), zahlreiche Töchterpensionate (Friedensheim, Fräulein Pick, Fräulein von Beulwitz, Fräulein Groß, Frau Schillig u. a.) erfreuen sich das ganze Jahr hindurch guten Besuches. Besondere Bedeutung hat die große Bibliothek (Verwalter Oberlehrer Dr. Peper), welche der Stadt von der letzten Herzogin zu Anhalt-Bernburg vermacht ist.
Unsere Stadt ist der Geburtsort von Johannes Arnd, geboren am 27. Dezember 1555, welcher als Pastor an der St. Andreas- (Markt-) Kirche in Eisleben in den Jahren 1609—1611 sein berühmtes Erbauungsbuch vom „wahren Christentum" schrieb.
Im Übrigen mag aus der Geschichte von Stadt und Schloss Ballenstedt Folgendes hervorgehoben werden:
Der Ort Ballenstedt darf sich hohen Alters rühmen. Aus der Endung „stedt" läßt sich schon mit großer Wahrscheinlichkeit schließen, daß sein Ursprung auf eine Ansiedlung der Thüringer zurückreicht, deren Königreich um das Jahr 500 den Süd- und Ostrand des Harzes umfaßte. Als die Thüringer ums Jahr 530 dem Andringen der mit den Franken verbündeten Sachsen unterlagen, wurde unser Landstrich mit dem ganzen Ostrande des Harzes sächsisches Gebiet; als aber kaum 40 Jahre später wiederum ein Teil der neuen Bewohner in Folge von Kämpfen mit ihren früheren Verbündeten das eroberte Land räumte, um sich vorüber