Magdeburger Ehrenmal, Eichenholz, 1928/29
255 X 154 X 75 cm
Dom zu Magdeburg 1929-1933, danach auf Antrag des Gemeinderates abgebrochen und magaziniert, später von Freunden zurückerworben, seit 1949 in der Staatlichen Galerie Moritzburg in Halle/Saale, seit 1956 wieder im Dom
1906–1937
Hier soll, wie ich wohl einschieben muß, nicht philosophisch abgehandelt werden, es soll nur von meiner Vorstellung vom überzeugten Handeln die Rede sein, die ich, ein Teil des Ganzen, in dem Gehege meiner Seßhaftigkeit gefunden habe, mit dem Bewußtsein allerdings, im Teil das Ganze zu erfahren, aus der Enge in die Weite der Gesamtheit schließen zu dürfen. ... Es fiel das Wort von dem eigenherrlich-schöpferischen Ledigsein von Grund, Beweis und Ziehen von Folgerungen, das Lob des Irrationalen scheint erschallen zu sollen, aber von nichts weniger ist die Rede, und das kantige Stück in meinem Kopfe, die Frage nach dem Verlaß auf Überzeugungen und Einsichten, wälzt sich hin und her, rhythmisch auflebend und die Bestürzung ob der leidigen Unruhe steigernd, dennoch nicht ohne Segen aus solchen Vorgängen zu gewähren.
Barlach: Künstler zur Zeit, 1933
Detail aus dem Magdeburger Mal: Rechte untere Halbfigur
ie Gedankenwelt des Plastischen ist an die solidesten Begriffe des Materials, des Steins, des Metalls, des Holzes, fester Stoffe gebunden. Das Gebirge, der Baum, haben die Gefühlswelten in sich, die herausgearbeitet werden können. Die absolute Bestimmtheit, die Umgrenztheit des Gefühls sind ihr Reich, das in Ruhe und Majestät Himmelsstürmerische, der Trotz der Titanen, die Schroffheit, Weltabgeschiedenheit des innigstvertieften Weltgefühls. Keine Wolke, kein Wind, kein Licht und kein Dämmer geben ihm Nahrung. Es gestattet kein Schwanken und kein Schillern, kein Zittern und kein fürchtendes Hoffen. Es will. Im Plastischen findet die Menschenseele den Ausdruck ihrer Urgestalt, wie sie das Gebirge dem Denkenden darbietet. Die Möglichkeit, das Letzte herauszustoßen. Das schlechthin Erhabene der Überzeugung zu predigen, das Bewußtsein des absoluten Ichs zu entblößen, nicht zu verhüllen.
Aus dem Charakter des Steins, der Bronze heraus ist die Formgebung des Bildhauers abzuleiten. Material-Begriffe werden zu Anschauungs-Normen; nach den Maßen von Erz und Stein wird die darstellbare Welt gemessen, auf Eigenschaften, die Stein und Erz entsprechen, geprüft. Die bildhauerische Anschauung reißt wie ein Sturm alle krause Sinnliche lichkeit und alles Zufallsspiel, allen Überfluß und Ornamentluxus vom Knochenbau der Welt.
Nicht leicht wird der plastische Blick zum freudigen Schauen. Den meisten erscheint es ernüchternd, und mir will erscheinen, als ob es gerade diejenigen wären, die vor den Werken der Plastik nicht ihre Echtheit, sondern ihre Unechtheit bewundern. In die nicht durch das Mittel des Kunstwerks der innere Ernst von Stein und Erz hineinschauert wie eine kühle, klare, tröstliche Offenbarung, wie beruhigende Absolutheit.
Der plastische Blick sieht, auf die Natur gerichtet, Zeit und Ewigkeit zugleich; er sieht im Boden den Knochenbau der Erde eher als die vielen Härchen, die über ihre Haut gesät sind und ihre Klarheit verwischen, er sieht in der Luft den Atem aus der Brust des großen Raums und erst später oder gar nicht die vielen Spielwirbel von tausenderlei Farben und Tönen, sieht in Baum und Strauch individuelle Gestalten als Kinder der Rasse des Bodens anstatt wie die Kamera tausend Allerlei, was auch da ist wie der Schaum auf den Wellen.
Wie der Bildhauer mit der Faust, räumen wir mit dem Gefühl den Schutt wichtigtuerischer Nichtigkeiten vom Lebensbilde hinweg, das wir für unser Inneres schöpferisch umgestalten; nicht die Welt sehen, wie sie scheint, sondern wie sie ist – vor unsern naiv zutappenden, aber immer nach dem Knochenbau und dem Muskelwerk tastenden Fingern. Die Federn der Erscheinungsvögel mögen einstweilen stieben, bis wir ihren Bau architektonisch begriffen und den Umkreis ihrer Flugkraft ausgemessen haben. Daß ihr Gefieder dann prächtig in der Sonne blitzt, wenn sie sich aufschwingen und als lebendige Spiele köstlicher Formen den Himmel beleben, soll uns dann so freuen, wie wir bei den Werken der Plastik die zarten Ziselierungen der Oberfläche oder die mattglänzende Hautfläche des Marmors mitgenießen.
Frierende Alte (Die alte Gewittersche), Teakholz, 1937
55 X 34 X 39 cm
1937 als »entartete Kunst« in der Berliner Galerie Buchholz vom »Reichsbeauftragten für künstlerische Formgebung«, Schweitzer, beschlagnahmt Barlach-Nachlaßverwalrung Güstrow (Heidberg)
Wie der Dramatiker am absoluten Maßstab mißt und nun, mit dem Bewußtsein dieses Maßstabs in der Brust, gestaltet und erhöht, schlichtet und klärt, so lebt in der Seele des Plastikers das Bewußtsein einer fordernden Notwendigkeit, die ihn zwingt, seine Absicht mit den Plänen einer heldenhaften Großzügigkeit, einer Freude am Unkleinen, am Überwinden des Peinlichen und Gestalten des Unfreien zum Selbstverständlichen zu tränken. Die Gesetze, denen er gehorcht, sind nicht mehr die kleinlichen der Vernünftigkeit, sondern die großen der willkürlichen Vernunft, die andere Gesetze hat als jene.