Godwi

oder

Ein verwilderter Roman

Den schönen Launen

der lieblichen Minna,

dem

guten Geiste Juliens

und

dem stillen heitern Sinne

Henriettens

weihe ich dies Buch ohne Tendenz.

Ihr schönsten Launen, du guter Geist, und du heiterer Sinn, ihr seyd mein ganzes Publikum, oder wenigstens, was es bedarf, aus mir einst einen leidlichen Dichter zu machen. Neckerei, freundliche Strenge, und Duldung, können mich von allen moralischen und künstlerischen Fehlern heilen. Enthusiasmus ist in mir, ihr kennt und liebt seine schöne Quelle. Ich sagte euch ohnlängst, daß ich euch dies Buch geweiht, die Dedikazion aber vernichtet hätte, weil ich fühlte, wie sehr wenig mein Buch es verdiene. Aber seit ich einen schönen Abend in einer schönen Umgebung zubrachte, fühle ich, daß ihr alles hören dürft, was ich weiß und wußte, ja daß es mir sehr heilsam wäre, wenn ihr alles hörtet, denn ich würde mir dann Mühe geben, alles so gut zu sagen, als ich kann. Du holde Dreieinigkeit stehst also nicht hier, meinem nachlässigen Buche einen schönen Vorredner zu geben, auch steht mein Buch eben so wenig wie eine üble Nachrede hinter deinem guten und lieben Namen, noch weniger soll mit den wenigen guten Gedanken darinn dir eine spärliche Ehre erwiesen werden. Nein, wie drei gute Feen stelle ich euch hierher an die Wiege meiner jüngsten Thorheiten (denn das Buch ist schon ein Jahr alt), damit ich in eurer Miene das Schicksal meines Buchs in der schönsten Welt ergründen möge. Am meisten aber verführte mich meine große Sehnsucht dazu, eine von euch dreien Du zu nennen, was ich öffentlich nur unter dem Verluste meiner ewigen Freiheit erlangen könnte, und hier in meiner poetischen Freiheit mit Recht nach Herzenslust darf. Welche es ist, die kann es sicher fühlen, doch wird keine je errathen können, ob es die andre ist.

So wende ich mich denn zu dir, liebliche Minna, und rede deine schönsten Launen, nicht ohne einige Begeisterung, folgendermaßen an:

»Ihr Leichtbeflügelten, die ihr ihr schönes Bild im ewig neuen Wechsel von tausend glühenden Farbenschimmern in dem bunten Staub eurer Psychen Flügel zerstreut, sammelt euch freundlich in ihrem Herzen, wenn sie mein Buch in die Hand nimmt.«

Warum ich sie alle gern in dein Herz herein hätte, will ich dir gleich sagen. Es ist, weil ich sie dann förmlich drinne belagern mögte, denn ich empfinde, daß sie im freien Felde nicht zu bezwingen sind, und mir manche bange Stunde machen. Etwas würde ich in jedem Falle gewinnen, entweder würden deine Launen sich ergeben, und du würdest mich in dein Herz hereinlassen, auf das ich so unendlich begierig bin, oder sie würden siegreich sterben, und dann brauchte ich nicht mehr herein, denn dein Herz würde sich deutlich auf deiner Oberfläche aussprechen. Du kannst nicht begreifen, wie ich es wage, gar nicht von der Gewalt deiner schönen Augen zu sprechen, die deine Lieblinge, wie du meinst, wohl bald entsetzen würden. So will ich denn von ihnen sprechen. Deine Augen! auf die verlasse dich nimmer. Du hast keine Macht, als deine Launen, deine Augen sind gerade, was den Feind zu dir hinziehen wird. Es liegt für mich eine dunkle Tiefe darinn, wie in den Augen der Ossianschen Mädchen, in die man leise hinabgezogen wird. Auch schlägst du sie selbst zu oft nieder, und sind sie zu weiblich schön, als daß sie je streitbar werden sollten.

Du selbst weißt nicht, was du mit diesem Buche anfangen sollst; das ist ja eben die Klage, daß du nicht weißt, was du mit mir anfangen sollst. Du sollst es lesen und auf den zweiten Theil hoffen, der mehr für dich allein seyn wird. Aber wirst du das je können, wenn deine Launen nicht eingesperrt sind, die dich zwingen werden, in meinem Buche hin und her zu blättern, bald den Anfang, bald das Ende vorzunehmen, Druck- und Schreibfehler drinne zu zeigen, und es wieder von dir zu werfen, was zwar dies Buch, ich aber nie verdiene.

So nimm sie dann zusammen in dein Herz, die launigten Kinder, nimm ihnen das gefährliche Spielzeug, deine Waffen, aus den Händen, und laß sie lieber mit sich selbsten, als mit deinem Besten spielen. Sei nicht unwillig, daß ich wie ein Pädagoge auf die wilde Natur deiner Lieblinge schmähle, die in holder Verwirrung über dir herumirren, und sich in deine einzelnen Reize muthwillig vermummt haben. Sieh, es thut mir nur Leid, daß du dir selbst zur Beute wirst, es ist mir oft, als wäre dein Schmuck nicht an seiner rechten Stelle, wenn Kinder mit ihm spielen, auch mögte ich dich einmahl selbst sehen. Aber du fragst: Was sollen meine muthwilligen Launen in meinem Herzen anfangen, sie werden mein ruhiges Herz auslachen? Wenn du mich je hinein lassen wolltest, so wäre dem geholfen, ich würde ihnen Mährchen erzählen, bis sie einschliefen.

Willst du aber das alles nie zugeben, so verzeihe mir wenigstens, wenn ich mich unter deine Launen mische, blinde Kuh mit ihnen spiele, und wenn ich gehascht werde, nicht etwa die Binde mit ihnen wechsle; nein, ich will mich betragen, als wäre ich Meister geworden, will der Laune etwas muthwilliges ins Ohr flüstern, und wohl auch ein solches Kind in der Eile küssen. »Oder gar wie der Popanz in den Italienischen Kindermährchen eine solche Königstochter aufessen, mein Herr«, sagst du – Fliehet nicht, fliehet nicht ihr Leichtbeflügelten, bin ich denn der schreckliche, vor dem die Spiele des üppigsten Frühlings, die Blumen sterben?

Du guter Geist! mein guter Geist hat mich mehr verlassen, da ich dies Buch schrieb, als da ich es dir weihte, nicht als verdiene es vor dir zu erscheinen, nein, es ist fast lauter Eigennutz. Es war weniges in dem Buche, was ich leiden mogte, aber seitdem dein Name davor steht, habe ich selbst Freude an ihm, so wie ich manche Freude an mir habe, seitdem ich öfter, doch oft sehr unerkannt, vor dir stehe. Das einzige, was dir bei dieser Dedikazion, du guter Geist, gehört, ist, daß ich dir mit diesem Buche wie mit meiner Bekanntschaft die Freude mache, deine Lieblingsbeschäftigung zu üben, dein Herz auf Unkosten deines Geistes sprechen zu lassen; denn dein Geist hat die Oberhand, dein Herz aber die Vorhand.

Ich hätte euch alle drei zugleich angeredet, wenn du guter Geist nicht so allein stehen müßtest, denn du bist sehr schön, wenn du allein stehst, sonst wärst du nie schön. Denn nach meiner Meinung stehst du in der Welt mutterseeligallein, und kannst es, weil, könntest du je aus dir heraustreten, und dich selbst betrachten, wärst du weniger untheilbar, und konsequent, du vor Selbstliebe verschwinden, du so zu dir selbst hingerissen werden würdest, daß du nach Außen alle Thätigkeit verlieren, und verschwinden müßtest. Du würdest nach dir selbst streben, du würdest sehen, daß du den Umriß und das Colorit, das Vorzutragende und den Vortrag der Weiblichkeit erschöpft hast. Du hast mir oft meine bisarre Aeußerung vorgeworfen, denn du warst zu bescheiden, um zu gestehen, daß ich meistens so vor dir stehe, wie ich sage, daß du selbst vor dir stehen würdest, in dich selbst verloren. Meine Erscheinung ist vor dir zertrümmert, unharmonisch, und halb von dir aufgehoben, denn ich bin eins von den Wesen, die nur bei einer scharf gezogenen kalten Trennungslinie, oder in der schönsten Auswechslung rein thätig erscheinen, und dies ist, Gott sei Dank und leider! hier nicht der Fall.

Sei meinem Buche freundlich, doch lasse an ihm alles aus, was du mir verzeihst, denn dies Buch hat wenige meiner Tugenden, und alle meine Fehler. Da ich es schrieb, kannte ich dich noch nicht. Es hat dir daher so wenig, als ich vieles, zu danken, wovon du guter Geist wohl gar keine Ahndung hast, und was, sagte ich es hier, du nicht verstehen würdest. So lebe wohl, und denke, daß mein Buch diesen Zeilen, wie ich dir, gegenüber stehe. –

Was habe ich dir endlich zu sagen, mit dem stillen heitern Sinne, und warum stehst du hier? Ich bedarf das unbefangenste Urtheil, und das ist das Deinige, denn du bist unbefangen, duldend und gerecht. Wenn ich es recht betrachte, so müßtest du eigentlich im Buche selbst stehen, oder in mir, damit das Buch oder ich dir nur einen Augenblick gefallen könne, denn beiden fehlt stiller heitrer Sinn, Duldung, Gerechtigkeit und Fröhlichkeit. Glaube nicht, ich wolle den Lesern verrathen, wer du bist, damit sie dich anhören und ansehen können, um ihnen zu ersetzen, was mein Buch vermißt, denn wenige werden vermissen, was darin fehlt, und diese wenigen sind die Vorzüglichern, denen du so ähnlich bist, und denen ich hier vor dir als einem Repräsentanten des ruhigen, gesunden Verstandes und der Lesefähigkeit in der Vorrede ein Selbstbekenntniß ablege. Fahre fort, mit mir freundlich zu seyn, damit ich lerne, das Tiefste auf die Oberfläche zu führen, und mich bestreben einstens wie die Natur selbst das dem Menschen zum frohen erlaubten Genusse hinzugeben, wovor das Vorurtheil, wie man sagt, zurückbebt. Aber man sagt nur so, der Innhalt der ganzen Welt ist immer der schönste, heiligste, oder freudigsten nur der Vortrag, die Unbeholfenheit des Vortrags, ist verboten.

Vorrede.

Dies Buch hat keine Tendenz, ist nicht ganz gehalten, fällt hie und da in eine falsche Sentimentalität. Ich fühle es izt. Da ich es schrieb, kannte ich alles das noch nicht, ich wollte damals ein Buch machen, und izt erscheint es nur noch, weil ich mir in ihm die erste Stufe, die freilich sehr niedrig ist, gelegt habe. Ich vollendete es zu Anfang des Jahres 99, hatte mich damals der Kunst noch nicht geweiht, und war unschuldig in ihrem Dienste. Ich werde sie an diesem Buche rächen, oder untergehen. Diese Blätter gebe ich nicht wie ein Opfer hin, nein, sie sollen die Flamme nähren, in der ich ihr einst mein reines Opfer bringen will. Du wirst mir darum wohlwollen, lieber Leser, daß ich mich mit diesem Buche, das nur zu sehr mehr von mir als sich selbst durchdrungen ist, gleichsam selbst vernichte, um schneller zur Macht der Objektivität zu gelangen, und von meinem Punkte aus zu thun, was ich vermag. Es ist mir schon izt ein inniger Genuß, alle Mängel, die ich vor 2 Jahren hatte, zu übersehen; sie alle zu verbessern, dazu müßte ich auf der letzten Höhe stehen, die ewig vor uns flieht. Doch will ich schneller, kunstreicher und begeisterter immer vorwärts schreiten, damit der Raum, der mich vom Ziele trennt, stets kleiner wird, und endlich nur dem Seher sichtbar bleibt.

1800. Juni.

Maria.

Lady Hodefield an Werdo Senne.

Friede und Ruhe mit Ihnen, treuer, einziger Freund. Ihr Brief hat mich in einer der wichtigeren Minuten meines Lebens sanft überrascht, er ist, wie ein sanfter Schlaf, lösend über meinen Rausch, wie ein winkender bedeutender Traum über den Zweifel meiner Handlung herabgesunken. Ich habe zweimahl der eisernen Nothwendigkeit den süßesten Genuß geopfert. Die Versuchung, der Zeit einen Possen zu spielen, und selbst mit unendlicher Wollust aufzudecken, was sie in ihrer stillen, folgenden Gesetzlichkeit entwicklen wird, war für ein tollkühnes Weib, wie ich, nicht klein; so nannten Sie mich einst, aber ich darf es ja nicht mehr seyn. Nur die Blüthe darf üppig wagen, darf der Frucht, wie ein jauchzender Bote voraus gehen, und ich darf nichts, gar nichts mehr, das ist alles vorbei, die Zeit bereitet mir nun meine Freuden, damit ich hübsch genügsam sey. Ich habe sonst zu viel genossen, nun ist die Zeit da, daß ich den Genuß andrer genug ehre, um ihn nicht zu stören. Und diese Macht danke ich Ihnen allein; Sie lehrten mich, daß die meisten Unfälle Folgen unserer Voreiligkeit sind, mit der wir der Zeit in ihrer Konsequenz vorgreifen. Ich war in dem Kampfe gegen meine schimmerndsten Gelüsten ermüdet, auf meinem Sopha hingestreckt, blickte ich nicht ohne Neid nach dem Besiegten. Das Bild der Freude, die ich von mir in die Ferne gewiesen hatte, stand flehend und drohend vor mir, ich war so allein, so empfänglich, die Freude so reizend in ihrem Schmerz und Unwillen; »ich komme nicht wieder,« sprach sie, und schien mich zu dem zudringlichsten Besuch der verwegensten Reue zubereiten zu wollen, falscher Stolz, falsche Schaam, waren ihre Vorwürfe. Doppelt einsam, indem ich die Gesellschaft des einzigen, der außer Ihnen Ansprüche auf meine Liebe hat, von mir gewiesen hatte, war ich, als ich Ihren Brief erhielt. Sie sind ganz gegenwärtig in ihm für mich, obschon Sie schon leise dem Leben drinne entschweben, denn ich kann Ihnen nachsehen. Alle meine Leidenschaften, alle meine Wünsche haben Sie nun wieder zu jenem anspruchslosen Frieden gebracht, in den Sie sich Ihren Gram, und so freundlich mir meine Schuld zu verschleiern wissen. –

Ich habe Karln gesehen – ich wußte nicht, daß er es war, und doch bewies die Natur ihre geheime Macht, unwiderstehlich zogen mich ihre Bande zu ihm hin, obgleich Zeit und Ferne sie versteckt hatten. Ich fühlte, daß er mir angehört, der geistvolle schöne Sohn, auch er war im Innersten seines Herzens gerührt, und neigte sich gewaltsam zu mir hin, ohne es erklären zu können. Ich erkannte ihn durch die Erzählung seines Aufenthalts bey Godwi, und seines Geschäfts. Ich erkannte ihn in der Trennung, und es war die höchste Wonne und der bitterste Schmerz in die nehmliche Minute gelegt. Nur die Ueberraschung und die Menge der Menschen um uns machten mir es möglich, den sanft von meinen Blicken zurückzuweisen, den ich in meinem Herzen trage, und den ich um so fester in meine Arme schließen mochte, da ich ihn als einen edlen ausgebildeten Menschen wiedersah. Ach ich war nicht standhaft, die Entdeckung zu verhindern, es war bloßer Zufall, daß ich mich und Sie nicht verrieth!

Alles was Sie mir überhaupt von Eusebio und insbesondere von seiner Krankheit schrieben, scheint mir eben so richtig, als Ihre Bescheidenheit falsch. Sie wollen gar nichts von dem Wenigen, womit ich Ihnen Ihre Existenz erleichtere, verdient haben, und ich soll Ihre ewige Schuldnerin bleiben.

Die Trauer Eusebios ist mir sehr verständlich. Wäre er unter dem glücklichen Himmel seines Vaterlandes, wo sein Herz und der Himmel in einem Gleichgewichte der Gluth ständen, so würde er froh seyn. Er erwacht vor der Zeit, weil seine Umgebung auf seine Anlage einen zu großen Reiz ausübt. Obschon er keinen Druck und keine Geschichte zu bedenken hat, so kann er dennoch nicht mehr Kind seyn. Das Mißverhältniß seines Temperaments zu seinem Leben, und zum Lande, in dem er lebt, zwingt ihn zu reflektiren, da er nun keinen bestimmten Gegenstand haben kann, so entsteht aus seiner Reflexion über das bloße Bedürfniß die Sehnsucht in ihm. Er schmerzt mich; wehe dem, der kein Kind seyn konnte, er kann nicht Jüngling, nicht Mann werden, die Jahreszeiten fließen ihm in eines zusammen in seinem Verlangen, und bedarf in jedem Genusse jeden andern. Eusebio hätte noch lange Knospe seyn müssen, an der der Thautropfen und die Thräne hinabrollt, nun hat sich sein Busen erschlossen, und die Thräne liegt still in seiner Kindheit, ein Bote innerer Trauer für sein ganzes Leben. Die Außenwelt hat ihn nicht auf der Stufe, die er einnimmt, gefesselt, es spielte kein Kind mit ihm, und so treibt ihn seine innere Gluth aufwärts, die ihn hätte ausbreiten sollen. Ich fühle deutlich seine Zukunft, er wird nie die Formen kennen lernen, in denen er lebt, nur in den zusammengesetztern, reichern länger verweilen, jedem halben Tone wird er entgehen, und leicht viele Stufen des Lebens übereilen. Das Verlangen ist früher und begehrender in ihm ausgebildet, als er sich die Welt gewürdiget hat, er öffnet die Arme mit Sehnsucht, und nimmer kann er mehr umarmen als sich selbst, so entsteht bey immer neuen Versuchen, und einem steten Zurückkehren ohne Erfolg diese entsagende Trauer in ihm.

Sein heftiges Begehren nach mir erklärt sich leicht hieraus. Wenn er mit seiner mächtigen frühreifen Phantasie den kleinen spärlichen Kreis seiner Erfahrungen durchläuft, so ist ihm sein Aufenthalt bey mir der reichhaltigste Punkt. Das Einfache reizt ihn nicht mehr, weil es zu innig und zu schmerzlich mit ihm verwebt ist. Schmerzlich sage ich, weil er an ihm ermüdet ist. Je einfacher das Leben eines phantastischen Gemüths ist, je drückender wird ihm seine Umgebung, seine Anlage zu erfinden wird vielfältiger gereizt, und weil die Sache, an der er bildet, ihm nie entgegen kömmt, sondern er ewig an seinem Zusatze zusetzen muß, um weiter zu kommen, ermüdet er eher. Um eine grade Linie können mehrere Wellenlinien gezogen werden, als um die Wellenlinie. Eusebio hat sich sein Daseyn schon so sehr mit den Gewinden seiner Phantasie umschlungen, daß er die einfache Linie nicht mehr kennt, und gleichsam in den selbstgesponnenen Netzen seiner Einbildungskraft gefangen liegt.

Ich würde schon zu Ihnen, und dem kleinen Insassen meines Herzens gekommen seyn, wenn ich Godwi, Ihren Gast, nicht vermeiden müßte, denn wir sind uns beide gleich gefährlich.

Sie haben mich gelehrt, meine Handlungen nach allgemeinen Gesetzen um der Ruhe und Gesetze willen zu beschränken, ohne deswegen meine Art zu fühlen, welche die Eigenthümlichkeit meines Zusammenhangs mit der Natur bestimmt, zu erdrücken – und auch ohnedieß ist es mir nie möglich gewesen, mich wie eine Bürgerinn in die freye Welt hinein zu heucheln, das Gepräge meiner Seele ist zu tief, es konnte nicht erlöschen, und ich bin schon in so weit vor der Verfolgung der Bürgertugend geschützt, als man von mir, als einer reichen Engländerinn, sonderbare Streiche prätendirt. Doch dieß hat mich nicht bestimmt, Godwin zu lieben, nicht, ihn von mir zu weisen. Ich habe das Erste gemußt und das Zweite gewollt. Er ist einer der wenigen, die bey großer Macht in sich, dennoch nichts von ihrer Kraft entbehren können, weil ihnen ein eben so großes Leben entgegen liegt. Das Leben liegt vor solchen Menschen, wie ein erzhaltiges Gebirg, sie müssen hindurch, und alles gewinnen, aber die Kunst des Bergmanns und des Scheidekünstlers ist ihnen versagt, sie müssen die Strahlen des Lebens in dem Brennpunkte ihres Herzens vereinigen, um eine einzige Glut vor sich herwerfend, sich eine Bahn durch die Goldadern zu glühen, wo andre mit tausend Hammerschlägen sich kaum den Schacht eines Grabes erarbeiten zwischen emporgeworfenem Schutte, der Pyramide ihrer Endlichkeit. Hier im Lande klettern die Kinder an diesem Denkmale des Vaters in die Höhe, um sich in der Kunst des Sturmlaufens im Dienste des Vaterlandes zu üben.

Ich habe ihn von mir gedrängt aus Liebe zu ihm. Er ist zu sehr für das Ganze, und mit zu viel Kraft ausgerüstet, als daß ich ihn hätte unterstützen dürfen, sich im Einzelnsten, in mir zu verlieren. Er ist nicht für mich gewesen, wo hätte ihn sein Engel besser hinführen können, als in Ihre Arme, wo alle meine Unruhen entschlummert sind.

Lieben Sie Ihren Gast, wie Abraham den Engel liebte, der ihm verkündigte, daß ihm ein Sohn auf der Schwelle des Lebens stehe.

O ich bin sehr stark geworden, ich werde der Zeit nicht vorgreifen, auch nicht für Sie. Es wäre zu viel, wenn ich vor Ihnen entwickelte, was ich ahnde, beinah versichert bin. Die lose entwurzelte Eiche würde mit allen den einsamen Reben, die sich innig an ihr hinauf schlingen, hinabstürzen über den Berg Getsemane ihres Lebens, und von neuem in den Gräbern ihrer Freude wurzeln. Ich glaube fast ganz, daß die Ahndungen Ihrer Freuden eintreffen werden, aber dann werden Sie nicht vor Freuden sterben, Sie werden leben und Jahre mit unendlich tiefen Stunden.

Groß und reichlich ist der Tisch des Herrn, und jeglicher hat seinen freudigen Wein neben sich stehen, und wie er trinkt, so genießt er. Später, früher, und zu früh ergreifen die Gäste den Becher. Viele nippen sparsam vom Rande, und wahrlich ihre Höflichkeit ist dem Wirthe und seinem Reichthum ein Schimpf, scheinen sie doch aus der Provinz, aus irgend einer Marktflecken-Welt des Universums hier zu Tische, und wollen fast genöthigt seyn. Dies sind die determinirtesten Herren, in jedem Augenblicke bereit und geschickt, nach einer kurzen kräftigen Rede für die Tugend auf der Henkerbühne zu sterben, und träfe jeden seine Geschichte nach seiner Anlage, so wären diese Leutchen ein ausgesuchtes Chor von Revolutionsopfern, und an ihnen allein würden alle Exempel statuirt. Sie treten mit beiden Füßen auf dem Laster herum, und tragen auch die haltbarste Moral so ab, daß man die Fäden zählen kann. Ohne allen Begriff für eine edle Natur kämpfen sie sich an der Tugend zu Tode. Ihre Herzensgüte sieht ihnen zu den Augen heraus, wie ein fauler Hausherr, der immer in der Schlafmütze am Fenster liegt. Andere Gäste fassen zu derb zu, sie leeren den Kelch zu schnell, und trinken sich krank in Gesundheiten, übersättigt sitzen sie am Mahle wie ein nüchternes Uebelbefinden nach einem tollkühnen Rausche; es sind genialische Renommisten, Sklaven der Freigeisterei, und meistens Parvenus im Leben. Sie wollten das Mahl begeistern, und fressen die Begeisterung, und viele unter ihnen, die sich Philosophen nennen, haben keinen andern Wunsch, als ihren eignen Magen zu verschlingen; sie gehen stolz in so weiten Schuhen, daß sie in den Schuhen gehen, mit denen sie gehen; zu gar nichts können sie gelangen, weil sie alles sind, ohne irgend etwas zu haben, und sollten nur sich selbst umarmen lernen. Viele sitzen noch mit zu Tische, auch wohl welche, die den Spargel verkehrt essen, oder witzige Devisen zum Munde führen, und so alle Arten. Doch unten am Tische, wer hat die stillen Kinder vergessen, die Lieblinge des Wirthes, die ruhig harren, und mit dem Vorwurfe des Unrechts das Mahl nicht stören wollen, und seine Freude? Man gebe ihnen den wohlschmeckenden Kuchen, und den süßen freundlichen Wein des Nachtisches, daß sie fröhlich von dannen gehen. Die Gäste verlassen den Tisch, sie gehen nach Hause, oder werden nach Hause geführt, so wie jeglicher getrunken hat. Wenige und auch Sie, freundlicher Greis, stehen am Ausgange, sie haben das ihrige nicht genossen, und theilen es fröhlich dem Uebermäßigen und Unmäßigen mit, daß jener nicht hungernd von dannen gehe, und dieser nicht leer. – O! Ihre Freuden, Werdo, haben Sie sich selbst gepflanzt, wie die Reben um Ihre Hütte. Sie haben sie auf einen Boden gepflanzt, den Sie selbst erst urbar machten, Sie haben sie erzogen. Dankbar werden sie sich um Ihre wankenden Kniee schmiegen, sie werden Ihre zitternden Schritte nicht mehr fühlen, wenn Sie durch diesen Frühling wandeln. Grüne blühende Lorbeern schlingen sich durch die silbernen Locken des größten Helden des Friedens, sanft umschatten sie Ihren nackten Scheitel, und leise sinkt dann die Abendsonne Ihres Lebens in das stille ruhige Meer befriedigter Hoffnung hinab.

Doch wieder auf Ihren Gast zu kommen: wie gefällt er Ihnen, hat er Sie nicht erheitert? Sprechen Sie mit ihm über mich; doch nicht eher, als Sie merken, daß sein Umgang mit Tilien bedeutender wird, denn ich bin versichert, daß er sie schon liebt, oder doch lieben wird. Sie werden ihn dann sehr überraschen, und gewiß eine Seite ganz an ihm kennen lernen. Es ist schwer, diesen jungen Menschen ganz zu beurtheilen, denn sein ganzes Wesen wird durch Eindrücke beherrscht, und der, welcher vor ihm steht, muß nur zu oft falsch über ihn denken, wenn er ihn und nicht sich zu sehen glaubt. Nur das reinste und einfachste Wesen, nur ein Weib ohne Thräne und ohne Flitter wird ihn begreifen, und lieben. Er ist der Spiegel der trübbarsten und beweglichsten Fluth, und nichts als ein Spiegel. Wie die Welt vor ihm liegt, so sieht sie ihm aus den Augen, das grüne Blatt, das auf ihm schwimmt, ruht auf seinem eigenen Abbilde, und der unendlich hohe Himmel, der auf ihn hernieder blickt, sinkt seinem Bilde entgegen, das aus seiner Tiefe herauf schwebt. Stehen Sie ruhig vor ihm, und Sie werden sich selbst verschönert sehen, und fällt eine Thräne in den Spiegel, so werden Sie Ihr Bild in den Kreisen der Fläche zerrissen sehen. Er kann nur durch Liebe, die heftigste, ruhigste Liebe, in der ihm die schönste Menschlichkeit göttlich dünkt, ruhig und unendlich viel werden. –

Ich bin während vierzehn Tagen mit ihm zusammen gewesen, und habe nicht mehr gethan, als ihn geliebt, und mich von ihm lieben lassen. Seine Schmeicheleien habe ich sanft zurückgewiesen, seine Offenherzigkeit in schwachen Stunden ohne Neugierde freundlich angehört, und mich mit den Schwingen seiner Hoffnungen gefächelt, wenn die Gluth seiner bilderreichen Phantasie mich erhitzte. –

Vierzehn Tage habe ich ihm gestohlen, und meine weibliche Eitelkeit glaubte ihm noch ein großes Geschenk gemacht zu haben.

Als ich einstens, unruhig über sein langes Außenbleiben, Abends nach Tische mich an meinen Schreibtisch setzte, und in meinen älteren Papieren herum suchte, fand ich mich wieder in jenen Zauberstrudel von Eitelkeit und Thorheit zurückgezogen, aus dem Sie mich in England wie ein guter Geist herausführten. Sie hatten damals alle meine Papiere in Päcktchen zusammen gebunden, und ich die Ueberschrift gemacht. Ich habe heute aber erst bemerkt, daß auch Sie die Päcktchen damals überschrieben haben. Nun fing ich an meine und Ihre Ueberschrift zu lesen:

»Briefe voll wahrer Liebe, voll Uneigennützigkeit des Lords Wallmuth, der meine Gesinnungen und mein Herz schätzte.« Ihre Ueberschrift – »dessen Bekanntschaft also itzt von Ihnen erst gesucht werden sollte, weil Sie itzt erst den Entschluß fassen, ein Herz und Gesinnungen zu haben.«

Ich schämte mich, und las weiter:

»Bemerkungen über einzelne Tage in meinem Umgange mit Lord Derby und Chevalier Rosier, Beweise meiner innigen Freude über die untadelhafte Reinheit und den Geschmack meines Umgangs mit diesen beiden reizenden Männern.« – »Freude eines phantastischen Kindes über Schneeflocken, Seifenblasen und Tagthierchen, denen man keine Minute stehlen darf, weil es ihre Jahrzehnde sind.« Wehe mir, mein Freund bleibt lange aus! »Süße Stunden des Trostes in meiner mühsamen Arbeit, keine eitle Thörinn mehr zu seyn, Resultate meines Umgangs mit Karl von Felsen.« – »Sonnenfleckchen, Minutenlichter, die ich mit dem Spiegel meiner Toilette, einer Sonne und der Welt, die sie erwärmen sollte, gestohlen habe, um sie durch die langweilige Nacht meiner Moralität hüpfen zu lassen.« –

O! das war zu viel, lieber Werdo, müssen Sie mich noch einmal mit Ihrem kalten Ernste beschämen – so tief hat die Thorheit in mir gewurzelt, daß ihre Narbe noch zeichnen muß. Karl von Felsen und Godwi steht ihr nach Jahren noch in der Parallele? Ich erwachte aus meinem Traum, tief rührte mich die Entheiligung Ihres Angedenkens, ganze vierzehn Tage hatte ich Sie und Ihre Lehren vergessen. – Ich konnte ihn nun kaum mehr erwarten, den Armen, den ich betrogen hatte, und so sehr beschämend mir es war, ihn mit solcher Sehnsucht erwartet zu haben, so süß war mir es jetzt, die Minuten zu zählen, bis ich seinen leisen Tritt vernehmen würde.

Es ist eine sonderbare Empfindung, in der nehmlichen Handlung rückwärts Reue und vorwärts Freude zu empfinden.

Ich gab mir alle Mühe, mich bey meinem guten Vorsatze fest zu erhalten, ich verließ meine Stube, die nur zu viele Bequemlichkeiten zur Liebe hat, seufzend blickte ich nach dem wunderheimlichen Sopha, der Wiege so mancher süßen Annäherung, trat in die Bibliothek, verhüllte meinen Busen, damit mein Herz nicht zu Tage liege, setzte mich auf einen unbequemen Stuhl, und legte das letzte Päcktchen Briefe vor mich auf den kalten Marmortisch. Es war Nacht geworden, ich sah auf die Bildsäule der Pallas, der ernste spröde Umriß der Hohen stach schwarz von der letzten Dämmrung des Tages ab, und ich hatte mich schon so ziemlich mit der Idee beruhigt, daß ich auch so eine Pallas wäre. Der leise Schritt meines Freundes gleitete durch den Hof, er trillerte ein italienisches Liedchen, und ich erwachte aus meiner Metamorphose. Einen großen Sprung mußten meine Gedanken machen, wie Sie wohl meinen, um ihn zu erreichen? – O der Schwachheit! nein, nicht einen Schritt, ich hatte die ganze Zeit an seine liebenswürdige Gestalt, sein süßes Geschwätze gedacht, und recht mitleidig überlegt, ob ich dem armen Jungen denn gar nichts erlauben sollte.

Ich hatte alles vergessen, Sie und mich – der Kuß, den er mir raubte, hatte den ganzen stolzen Tempel meiner Weisheit zusammengestürzt. Der Kontrast war so groß, daß er mich stärkte. Ich nahm alle meine Gewalt zusammen, und bat ihn, gleich den andern Tag wegzureisen. Er kniete vor mir, und bat auch; nun mußte ich befehlen, und er reiste.

Ich weiß nicht, wie ich es anfieng, daß er mich nicht verstand. O er hätte ohne vielen Scharfsinn bemerken können, daß mir mein Befehl so viel Mühe kostete, als einem jungen Fürsten sein erstes Todesurtheil. Ich bemerkte sehr deutlich an seinem stummen Erstaunen, daß er von mir so etwas gar nicht erwartet hätte. Er konnte mich nicht begreifen, und meine Kälte an diesem Abende noch weniger zu seiner größern Kühnheit passen. Mit einem rührenden Ernste fragte er mich: »Habe ich Ihre Liebe verscherzt?« und ich antwortete ihm mit einer Lebhaftigkeit, die mich zur Lügnerinn und Heldinn machte: »Nein, ich habe sie Ihnen genommen.« Er verließ die Stube.

– Er wohnte in meinem Hause, das hätte ich früher schreiben sollen, und warum ich es so spät als möglich sagte, ist, weil ich die Falten auf Ihrer Stirne fürchtete. Ich will mich nicht entschuldigen, er ist bey Ihnen, Sie werden den Reiz und die Empfänglichkeit, die Mäßigkeit und die Entsagung gerecht zusammen stellen.

Er war nach seiner Stube gegangen, es war zehn Uhr, und ich bemerkte, daß ich zu lange ohne Licht mit ihm zusammen gewesen war. Und war dies nicht noch mein Glück? Hätte ich ihn gesehen, hätte ich gesehen, wie alles an ihm Bitte, mächtiges Bitten gewesen, o ich hätte ihm nicht widerstanden.

Wer ist der große Mensch? der auftreten kann und sagen, ich habe eine Handlung mit meiner Kraft vollendet, die mir Mühe und Ueberwindung kostete. Ich habe alle meine Leidenschaften bekämpft, und habe mir den süßesten Genuß geraubt, der sich mir aufdrang, kein Zufall hat mich begünstigt, der Zufall, die Umstände waren meine Gegner, und doch habe ich gesiegt. Hier seht mein Auge, ich habe es ausgerissen, um nicht zu sehen, was vor mir stand.

O du großer Mensch, ich bin nicht im äußersten Grade mit dir verwandt. Und du magst wohl einsam und allein ohne deines gleichen in der Welt stehn, denn du kannst alle entbehren und alle benutzen. Du bist kein Glied des Ganzen, und unnütz. Unglücklich kannst du nicht seyn; was soll dir denn deine Macht. Aber groß kannst du allein seyn. Wenn du Gutes thust, so thust du es frei und unabhängig, selbst gegen deinen Genuß – Wo ist denn nun hier wieder das Verdienst; ist es dir nicht leicht, nicht schmeichelhaft, so zu handeln, o wo ist irgend ein Verdienst? Keine Größe ohne Selbstüberwindung – auch du kannst nicht fortdaurend groß seyn, du bist es nur bis zur That, und diese tödtet deinen ganzen Ruhm – Wo soll ich sie denn finden, die Größe? sie ist ja nie da.

Ich saß so verlassen, so trostlos auf meiner Stube, ich wollte ihn bitten lassen, wieder zu kommen. Ich greife im Finstern nach der Klingel, die vor mir auf dem Tische stand, und ergreife das Päcktchen Briefe. Ihre Aufschrift brannte mir unter den Fingern, und ich hätte fast einen Schrey gethan, wie der Geizhals, dem ein Schalk im Gewande eines Geistes statt des versprochenen Heckethalers eine glühende Münze in die Hand drückt. Ich klingelte, man brachte Licht, und ich setzte mich nieder, an meinen unglücklichen Liebhaber zu schreiben.

Ich schrieb, und las nachher meinen Brief, der mir ein Meisterstück von Ueberwindung schien. Ich entdeckte ihm versteckt unsre Verwandtschaft, rechtfertigte mein Betragen, bat ihn wegen meiner Liebe um Verzeihung, schilderte ihm meine Gründe nochmals so dringend, als ich konnte, und sah am Ende des Briefs wohl ein, daß ich ihn ihm nicht geben konnte, weil er unsern Plan, meine Geschichte verborgen zu halten, augenblicklich zunichte gemacht haben würde. Aber der schöne durchdachte Brief voll Selbstüberwindung sollte umsonst geschrieben seyn? – Nein – ich oder vielmehr meine Eitelkeit, (wenn man uns trennen kann!) machten die Sache noch viel reizender.

Die Liebe sagte mir: »Giebst du ihm den Brief, so mußt du ihn nochmals sehen, und dann ist dies keine Schwachheit, dann ist es Nothwendigkeit«; aber die kalte Vernunft drohte mit Ihrem Unwillen, lieber Werdo! – ich wollte einen andern schreiben, da schlug es 3 Uhr des Morgens, um 6 Uhr reist er ab, es ist zu spät – ich sann, und eine alte etwas vernachlässigte Freundinn benutzte meine Verwirrung, sich wieder ihrer Rechte zu bemeistern, die Abentheuerlichkeit mischte sich ins Spiel, sie entschied. Ich entschloß mich, in seine Stube zu schleichen und den Brief in seine Brieftasche zu stecken. Die Adresse wurde abgeändert in: »Ich bitte meinen lieben Freund, diesen Brief nicht eher zu eröffnen, bis ich es ihm melde.« Molly.

Ihn nochmals zu sehen, und das Heimliche bey der Sache spannte meine Neugierde bis zur Angst. Es war Alles so stille, ich hörte mein Herz doppelt schneller pochen, als das Pendul der Uhr. Die Zeit eilte in mir, und außer mir wollte es gar nicht 4 Uhr werden.

Ich schlich so leise, so bange mit meinem Briefe über den Hof nach dem Gartenhause, wie Emma mit ihrem Eginhard durch den Schnee; wenn meine Diener mich bemerkten – wie die Hähne schon krähen – die Rosse stampfen – es ist früh und duftig – der Hofhund, o wenn er nur keine unzeitigen Anstalten zur Wachsamkeit macht – so, nun bin ich vorüber. Seine Vorhänge sind noch vorgezogen. Ich wurde von meiner Bangigkeit gleichsam schwebend die Treppe hinaufgetragen, Alles war mir so leicht und schwer, so nachgebend und widerstrebend, so dumpf elastisch, wie die Handlungen im Traum. Ich trat vor die Thüre der Stube, zitterte, wankte hinein, und wollte, ohne mich nach ihm umzusehen, wieder wegschleichen, wenn ich den Brief in die Brieftasche gesteckt hätte, aber dabey blieb es nicht. Ich stand vor dem Schlafenden, und schämte mich vor ihm, ich war hingewurzelt, er seufzte, meine Thräne fiel auf seine Wange, und mein leiser Kuß schwebte über den sanft geöffneten Lippen. Es war die schwächste Minute meines Lebens, und nichts wollte mir den letzten kleinen Stoß geben, daß ich hinab in die tollkühnste und süßeste Umarmung gesunken wäre. O ich hätte weinen können vor Unwillen, daß die Schwäche so schwach ist, daß sie mich nicht in seine Arme werfen konnte, und nicht zurück von der Stelle bewegen. Wie ein Schwindelnder am Rande der Tiefe, der nimmer fällt und nimmer zurückweicht, stand ich da. Nun krachte ein Stuhl, ich sehe um mich, der Bediente saß auf dem Stuhle, er erwachte, rieb sich die Augen, öffnete sie etwas unmäßig, und grüßte mich etwas überlaut. Ich gab ihm Geld, und bat ihn zu schweigen, wenigstens bis sein Herr weg sey. Ich weiß nicht, was ich nachher dachte und that, als ich wieder glücklich unten war; um 10 Uhr fand ich mich in meinem Wagen, es regnete stark, und mein Kutscher bat mich, wieder nach Hause zu fahren.

Ich habe gesiegt, und daß ich so unwillig auf diesen Sieg bin, ist mir sein Werth, es ist das Gefühl der Größe meines Kampfs. Er ist weg, nicht ohne Thränen, ich bin zurückgeblieben mit dem Bedürfnisse nach einem Menschen wie er. Der Abschied war in der Dämmerung, und das ist mir Stärke gewesen. Hätte ich lesen können, was in seinen Zügen geschrieben stand, ich hätte nicht widersprechen können. Seine Gestalt zerrann in der Scheidestunde aller Gestalten, er schied in der Dämmrung des Abends, und so ist ihm ein Übergang gewesen von meinem deutlichen Besitze zum Vermissen. Ich schied in der Dämmerung des Morgens, und nun scheint mir der leere Tag in die Augen. Ich bin nicht mehr zu bewegen, so erregt bin ich, ich träume auf meinem Sopha, das ich so spröde Abends verlassen hatte, und das sich mit allen Erinnerungen bitter an mir rächt. Auf das eine Kissen hat er mit Stecknadeln meinen und seinen Namen verschlungen gesteckt. Ich mag mich gar nicht mehr ankleiden. Es verbreitet sich eine allgemeine Nachlässigkeit über mich, und meine Umstände scheinen mir wie Gränzen, die ihren Inhalt suchen, und sich ewig selbst durchkreuzen. Immer will sich noch kein Genuß aus mir heraus über diese Welt verbreiten, das gewöhnliche Leben ist mir wie ein ewiges Halbdunkel, es reizt zur Handlung und zerstört den Raum dazu. Nacht! Nacht! du undurchdringliche, ewige, du liebende Geliebte, du Gipfel der unendlichen Tiefe, du Ruhe der Vollendung. –

Meine Liebe zu diesem Menschen war kunstlos, und mehr als die Kunst, denn die Kunst kann mich nicht trösten. Allgemeine Träumereyen über die Kunst sind mir am zulänglichsten, ich bringe dann mit, was ihr fehlt zum Leben, die Liebe, aber sie endigen sich leider meistens mit Sehnsucht nach ihm, und sind der Weg meiner Pflicht zu meiner Sünde. Wer mit einer solchen Thätigkeit in dem Herzen der Natur liegen kann wie ich, dem genügen ihre einzelnen Sinne nicht, die in das Leben wie winkende Denkmale hingestellt sind. Und was ist das Herz der Natur anders, als die Minute, wo sich die Arme umschlingen, und alle Trennung ein einziges wird, und was ist die Umarmung der Liebe anders, als der geistigste und körperlichste Gedanke des Lebens, wo alles nur die Kraft wird, zu bilden, ohne zu reflektiren, das Objektivste ohne Bewußtseyn, das Kunstwerk der Genialität? Wenn wir die Kunst nur kennen, so werden wir auch Künstler werden können –! Ja es giebt auch gesunde Kinder der Ehe, aber die Kinder der Liebe sind genialischer, und schöner, und fähiger.

Ich will umarmt seyn, indem ich mich selbst umarme. Ewig kehre ich an den Aehnlichkeiten der sogenannten Kunst im Einzelnen zu jener Sehnsucht eines Umgangs mit einem Höheren, wie an dem Anblick schöner Zerstörung in verfloßne Zeit der Jugend und Fülle des Werks zurück. Dort scheint mir der Sinn des Wortes zu liegen, das nur noch Silbenweise um mich tönt, als wäre nur noch eine Silbe der Zeit da, die es ausspricht. Das Element ist in dem ganzen Raume verbreitet, aber tief unter den Bergen rauscht die kristallene Woge, in einsamen Klüften dringt sie noch im Quelle rein aus dem Grabe der Jahrtausende. O ihr werdet sie nimmer zwingen, in den häuslichen Brunnen zu dringen, ihr werdet sie nicht durch die Fontainen eures Marktes künstlich dem Himmel entgegen treiben, höchstens zum Schauspiele könntet ihr sie gebrauchen, wenn ihr sie leiten könntet, denn das Geschlecht ist wahrlich zu krank, um das Reine zu ertragen.

Mir steht die Musik, die Malerey und Bildnerey und die Poesie itzt da, wie eine Reliquie des Ganzen, das die Liebe ist, und das mir auch die meinige immer war. Ich habe das alles umfaßt in Einem, der das alles im Einzelnen nicht war.

Der Tempel ist über mir zusammen gestürzt, und mein Gebet, das so frey und unwillkührlich aus dem Gewölbe der Kuppel sich in Worte ründete, durch die Räume der erhabenen Säulenordnung in Takte zerklang, und in ihren Kronen liebliche Tonspiele umarmte, ist mit dem Echo zertrümmert. Am freyen Himmel hallt es nicht wieder, und mein Dienst trauert wortlos und ewig in sich selbst zurücke sinnend an den schönen Trümmern, die alle zu Altären geworden sind. Soll ich Opfer bringen? Ein Opfer ist keine Liebe, es müßte sich sonst selbst entzünden. O dieses Nachsehen, und dieses Nachhallen!

Wenn ich Musik mache, so ist mir jeder einzelne Theil so traurig wie ein Brief an eine ferne vertraute Welt, die mich mißversteht, weil sie den Takt meines Herzens, meinen Blick, das Bild des Vorgetragenen in meiner Phantasie, die Schwäche der Maschiene und die Tyranney des Hebels nicht sieht, den mein Körper so ungeschickt zwischen mich und meine Aeußerung hinlegt; und doch ist dieses Stammeln, dieser Kampf zwischen Wollen und Können ein Muß, dem der Vorzug einzelner Töne vor einer weiten stillen Oede wenig Reiz giebt, denn der Starke ist lieber todt, als er tändelt.

Doch spiele ich, ich spielte Anfangs fremde Erfindung. Das dauerte nicht lange, es war mir, als schriebe ich an die ferne Welt, um an der Unzulänglichkeit schuldlos zu seyn, aus einem Briefbuche ab, und schämte mich. Als mich mein Freund begleitete, fand ich in dem Einstimmen seiner Flöte in meine Akkorde wenigstens das scheinbare freye Schaffen der Liebe zu ähnlichen Gegengenüssen, wie das Schachspiel ein geistreiches Gespräch scheinen kann. Wer seine Flötenuhr akkompagnirt, oder mit sich selbst Schach spielen mag, der muß mehr Kraft als Stoff haben, und das habe ich nicht. – Ich phantasierte, und sprach mich ganz aus, aber bald hemmte mich die sonderbare Empfindung, ich würde selbst ein wildes gestaltloses Lied, das ewig aus sich selbst ringt, und nie wieder in sich zurückkehrt: dies war mir schrecklich, ich erschien mir, wie eine kalte Bildsäule, die in der fortstrebendsten Leidenschaft ewig ruht, ohne Ruhe zu seyn, und auch dies war fürchterlich. – Habe ich denn nichts, wenn man mir nichts giebt, und bin ich denn nichts, wenn ich nicht durch die Augen eines andern gesehen werde? Kein Genuß ohne Auswechselung; ich hatte gesungen, und niemand hatte mich gehört. Der Ton, der nicht gehört wird, ist nicht da, ich hörte mich nicht mehr, denn ich sang mich.

Ich sang dann in öffentlichen Konzerten und berauschte mich in der allgemeinen Stille. Es war keine Eitelkeit, es war das Gefühl, als breite ich mich über alle aus, mit weiten tausendfachen Armen, indem ich mich aus mir selbst in eine große Höhe verfolgte, und wenn ich mich in diesem Zustande in einem Bilde aussprechen sollte, so war ich der Strahl eines Springbrunnens, der aus der Mitte eines Bassins emporsteigt, sich in den Sonnenstrahlen spiegelt, und wieder zurückfällt. Es freute mich, daß ich Reize genug besitze, mir selbst alles geben zu wollen, und doch noch die Menge zu rühren. Da aber ihr Beifall im Händeklatschen über mich herfiel, war der schöne Traum geweckt. Sie schienen mit Gewalt aus sich herauspochen zu wollen, was ich in sie hineingesungen hatte. Die Männer hatten allein geklatscht, ich verachte die Galanterie wie gemachte Blumen, und will keinem mehr gefallen. Der scheinbare Umriß der Musik, sein ewiger Wechsel, und dabey doch die Sklaverey gewisser Verwandtschaften, Fesseln, denen man nie entgeht, und die, wegen ihres Spielraums, doch solchen Reiz der Freiheit hinbieten, ihre bildlose Fülle, die ich zu tausend Bildern schaffen kann, diese unerschöpfliche Menge, die nie das erreichen kann, dessen Theil sie nur ist, alle Liebe und die meine, die ich doch so ganz umfaßte, ängstigte mich zuletzt, als hätte ich ein Spiel in Händen, das sich kühn über den Meister erhebt, und mit ihm selbst spielt, oder zu dem ich selbst würde.

Ich bestehe selbst, und so im Kampfe, mit dem Ganzen eins zu seyn, daß mir nur das schnelle Umfassen des Ganzen mit einem Blicke ein Genuß werden kann. In seinem Blicke sprach sich mir alles Licht, alle Farbe, alle Malerey meiner Welt deutlich aus. Wenn er an meinem Arme im Garten auf und ab gieng, waren mir die Töne der Natur nicht mehr roher und ungebildeter als die Töne der Kunst. Er war mir der Mittler, indem ich mich mit ihm verbunden fühlte, war in ihm alle Kunst, ohne die Härte des Alleinstehens, leise aus der Natur weggeleitet, und so leise, daß keine Verwunderung, keine Unerklärbarkeit mehr zwischen ihr und mir lag. Ich war zum Selbstbewußtseyn gekommen, daß ich vom Aeußern, und das Aeußere von mir unzertrennlich sey, und daß wir in einer freundlichen lebendigen Abhängigkeit von einander leben.

Es ist mir nur immer, als hätten die Menschen, da die Liebe die Erde verließ, und mit dem süßesten, thätigsten Nichtsthun, mit dem Bestehen durch aus sich selbst würkende unendliche Kraft, die schreckliche Mühe und die Maschinerie ohne Perpetuum mobile abwechselte, als hätten damals die Menschen in schneller Eile das Deutlichste und Reinste aus dem herrlichen Haushalte der Welt stückweise errettet, und in künstlichen Kisten und Kasten verschlossen. Das sind nun die einzelnen Künste, deren Zusammenhang sie ängstlich zusammensuchen, und sie mit den Resten des allmächtigen Verstandes zusammenkleben und beschreiben wollen. Mir stehen sie itzt nur da, wie ich Ihnen schon sagte, wie traurige Denksäulen verlorner Göttlichkeit, die uns ewig winken, wir sollen hin zu jener Welt, die vor uns geflohen ist, und die wir mit unendlicher Sehnsucht erwarten.

Wir liegen halb aufgerichtet vor diesen göttlichen Aposteln, die in alle Welt versandt sind, und werden von den göttlichen Trümmern eines Ganzen gerührt, das wir selbst mitbildeten. Wir knieen vor der Reine unserer eignen Schönheit in weinender Rührung – und die beste Theorie der Kunst scheint mir immer antiquarisch und unzuverlässig. Obschon es ein schönes Beginnen ist, die göttlichen Trümmer mit Mühe zu ergänzen und zu erläutern, so bleibt mir doch der Gedanke traurig, daß wir uns dann selbst mit zerlegen und zusammensetzen müssen, um in unserm Einzelnen die wenigen Stralen, die das Verlorne zurückgelassen hat, aufzufinden, und so aus uns verderbten und verkehrten Wesen die entarteten Gliedmaßen herzustellen, die den Torso ergänzen sollen.

Wenige Schöne sind mehr in der Welt, die durch Unwissenheit sich schuldlos fühlen, die das Verlorne nicht suchen, weil sie es nicht vermissen, indem die freie Liebe, die Mutter aller Kunst, in ihnen wohnt. Wie reine Wesen erblicken sie den Spiegel, in dem sie sich spiegeln, und tragen aus der Welt mit ihrem eignen Bilde die Welt in sich zurück. Sie durchströmt das Leben, das sie selbst durchströmen, und das Schaffen, das sie mit dem Ganzen in sich aufnahmen, schafft unwillkührlich wieder in ihnen. Wie alle mit der süßen Gewalt der Geschlechtsliebe im Innern auf die rege Bahn treten, so treten nur wenige mit der Allmacht der freien Liebe ins Leben. Denn das Schaffen liegt im Geschaffenen. So wie die Materie aus ihrem allgemeinen Daseyn in der Geschlechtsliebe in die Vereinzlung und Aehnlichkeit des Liebenden tritt, so spricht auch die freie Liebe den Geist, oder die Gottheit in schönen Kunstwerken aus, indem sie das Unendliche in die Form ihrer Aehnlichkeit trägt, und dieser Form ein Leben im Einzelnen giebt. Durch eben diese Vereinzlung werden wir sonderbar gerührt, weil die Mannichfaltigkeit bis zur Unkenntlichkeit in ihr gebunden ist, das Einzelne ungeheurer und seltsamer vor uns steht, und wir erregt werden, indem wir das vor uns und mit uns leben sehen, worin und wodurch wir leben. – Ueber ein schönes Kind kann ich mich eben so sehr freuen, als über ein schönes Kunstwerk, weil diese zwei Arten sehr in mir zusammenhängen, und ich zu der ersten eine größere Fähigkeit habe. Jemehr der einzelne Theil der Göttlichkeit in dem Werke in sich selbst geründet ist, je weniger schmerzhaft dem Blicke der Uebergang von dem Alleinstehen des Einzelnen in die volle Verbindung des Lebens ist, je schöner ist das Werk, je reiner, je vollkommner ist ein Sinn hingestellt, ohne uns an das traurige Vermissen des Ganzen zu mahnen.

Die meisten Verbindungen der Künste zu einem Einzelnen werden mir daher gräßlich und erhalten etwas sonderbar todtes und ekelhaftes. Masken und Wachsfiguren können mir nie schön werden. Unsre Stümperei erscheint hier verbunden mit unsrer Unwissenheit. Die Farbe darf nie mit der greiflichen todten Form zusammenkommen, denn sie begleitet nur den Wechsel, indem sie sich selbst nicht angehört, sondern dem Lichte. – Deswegen sind Augäpfel an der Bildsäule so unerträglich. Denn eine Bildsäule soll nur die Oberfläche aussprechen, sie erscheint mir wie ein umgekehrtes erdichtetes Leben, in dem die Seelenäußerung von aussen nach innen geht. –

Ich habe Ihnen geschrieben, wie es mir mit dem Singen erging, mit dem Zeichnen und Mahlen wird es mir nie anders ergehen. Ja hätte ich das reizende Bild in mir, das mich in süßer Bewunderung auflösen kann, bestimmt mit allen seinen feinsten Umrissen, wie es in meinen Glauben, meine Liebe, in mich selbst hinüberschwebt, ohne Gränze ewig und vollkommen, und könnte ich es fest, wie es nur die Allmacht kann, auf eine Stelle hinbannen, ohne ängstlich die Linie an die Linie, den Punkt an den Punkt zu reihen – o