Gerd Lüdemann
Die ersten drei Jahre Christentum
Gerd Lüdemann ist Professor für Geschichte und Literatur des frühen Christentums an der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen. Er dankt Dr. Frank Schleritt, Walter Höfig und Hans Jürgen Uhl für Hilfe und Kritik.
Lüdemanns Aufsatz »The First Three Years of Christianity«, in: Toronto Journal of Theology 25/1 (2009), enthält eine englische Zusammenfassung des vorliegenden Buches.
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Umschlag: Matthias Vogel (paramikron), Hannover,
Satz: thielenVERLAGSBÜRO, Hannover
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2014
ISBN 9783866743380
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.ddb.de› abrufbar.
Cover
Titel
Impressum
EINLEITUNG
Die Erforschung der ersten drei Jahre Christentum als wissenschaftliche Aufgabe
a) Die wichtige Rolle der Apostelgeschichte für die Geschichte des frühen Christentums
b) Kritik am Bild der Apostelgeschichte vom frühen Christentum
c) Programm und Durchführung der vorliegenden Arbeit
KAPITEL 1
Die ersten drei Jahre Christentum in der Apostelgeschichte
a) Apg 1,1–26: Vorwort. Jesu Himmelfahrt und die Ersetzung des Judas durch Matthias
b) Apg 2,1–47: Das Kommen des heiligen Geistes am Pfingsttag und Petruspredigt
c) Apg 3,1–26: Heilung eines Lahmen durch Petrus und Rede des Petrus
d) Apg 4,1–31: Petrus und Johannes vor dem Hohen Rat und die Reaktion der Gemeinde auf deren Freilassung
e) Apg 4,32–5,16: Das Leben der Gemeinde. Hananias und Saphira. Weitere Ausbreitung des christlichen Glaubens
f) Apg 5,17–42: Festnahme und Befreiung der Apostel
g) Apg 6,1–8,3: Von der Einsetzung der sieben Hellenisten zum Tischdienst bis zur Steinigung des Stephanus und der Verfolgung der Gemeinde in Jerusalem
h) Apg 8,4–40: Überwindung des Magiers Simon durch Philippus und Bekehrung eines Eunuchen aus Äthiopien
i) Zusammenfassung: Traditionen in Apg 1,1–8,40 und ihr historischer Wert
KAPITEL 2
Die ersten drei Jahre Christentum in den Paulusbriefen
a) Zum Vorgehen
b) Gal 1,11–24: Der Christenverfolger Paulus wird zum Prediger des Evangeliums
c) 1Kor 15,1–11: Ein komprimierter Geschichtsbericht in Bekenntnisform über die ersten drei Jahre Christentum
d) Taufe
e) Herrenmahl
f) Mitarbeiter des Paulus aus Damaskus
g) Jesusworte in der Gemeinde von Damaskus und in den Briefen des Paulus
h) Überlieferungen aus Damaskus: ein Rückblick
i) Überlieferungen aus Jerusalem
j) Überlieferungen aus Antiochien
k) Offene Fragen
KAPITEL 3
Jerusalem und Damaskus–zwei Hauptorte der ersten drei Jahre Christentum
a) Christentum in Jerusalem
b) Christentum in Damaskus
c) Einheit und Verschiedenheit des Christentums in Damaskus und in Jerusalem
ANHANG 1
Der historische Wert der Apostelgeschichte
a) Der Impuls durch Adolf von Harnack
b) Zur Forschungsgeschichte
c) Lukas–ein Paulusbegleiter?
d) Benutzte Lukas Briefe des Paulus?
e) Zu Lukas’ Benutzung von Traditionen
f) Untersuchung von Apg 18,1–17: Paulus in Korinth
g) Untersuchung von Apg 16–18,18–19 und 27: Reisen des Paulus
h) Untersuchung von Apg 21,15–26: Paulus in Jerusalem
i) Folgerungen
ANHANG 2
Zum Missverhältnis zwischen Theologie und Geschichte im lukanischen Doppelwerk und im Alten Testament
a) Zum Problem sachgemäßer Geschichtsschreibung
b) Der Missbrauch von Altem und Neuem Testament als Geschichtsquellen
c) Die erzählenden Bücher des Alten Testaments beruhen auf Fiktionen
d) Die Heilsgeschichte des Lukas ist eine Fiktion
e) Lukas’ Apologetik gegenüber dem Römischen Staat
f) Einlinige und vereinfachende Berichterstattung des Lukas
g) Theologische Voraussetzungen des Lukas und der historische Wert seiner Schriften
h) Anachronistische Kritik an Lukas?
i) Historische Bibelkritik als Abhilfe gegen die Konstruktion des Lukas
ANHANG 3
Abriss einer Pauluschronologie
a) Ein chronologischer Fixpunkt in den Paulusbriefen
b) Zur Methode einer Chronologie des Paulus
c) Chronologische Tabelle
Bibelstellenverzeichnis (Auswahl)
Autorenverzeichnis
Fußnoten
Das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte enthalten vom Umfang her gut ein Viertel des Neuen Testaments. Sie bieten mehr Text als die echten Paulusbriefe1 und die Johannesschriften2 zusammen. Ihr Autor, den die altkirchliche Tradition irrtümlich mit dem Paulusbegleiter »Lukas« gleichsetzt3, behandelt im zweiten Teil seines Doppelwerks das frühe Christentum und beschreibt die Urkirche von Jerusalem als leuchtendes Vorbild für die Gemeinden seiner Gegenwart. Die Apostelgeschichte galt jahrhundertelang als einzige anerkannte Quelle für die älteste Kirchenhistorie.
Indes bezweifelt die Forschung seit langem den wissenschaftlichen Wert des lukanischen Berichts vom idealen apostolischen Ursprung des Christentums. »Geschichtlich ist eine solche Anfangszeit unmöglich.«4 Damals waren die Christen5 keinesfalls »ein Herz und eine Seele«6, mitnichten »einmütig« beieinander7 und hielten auch nicht an der »Lehre der Apostel«8 fest. Vielmehr traten zur Zeit des Lukas – wie man aus der von diesem komponierten »Abschiedsrede des Paulus« an die Ältesten der Gemeinde von Ephesus9 erschließen kann –, »grausame Wölfe«10 auf, nämlich Männer aus den eigenen Reihen, die »Verkehrtes reden, um die Jünger hinter sich herzuziehen.«11
Angesichts dieser Gefahr ermahnt Lukas in der Form einer idealisierten Erzählung Christen seiner Zeit, am apostolischen Erbe festzuhalten und falschen Propheten zu widerstehen.
Der Altmeister der Lukasforschung, Hans Conzelmann, führt aus, das Gemälde der Apostelgeschichte zeige »große Linien. Es wirkt geschlossen und daher überzeugend. Auch wenn man an Einzelheiten zweifelt, etwa an der Heilkraft des Schattens des Petrus …, bleibt ein starker Eindruck vom Leben der jungen Gemeinschaft. Der Historiker hat aber zu fragen, ob diese Geschlossenheit aus der geschichtlichen Wirklichkeit oder aus der Gestaltungskraft des Autors der Apostelgeschichte entspringt.«12 Conzelmann zieht das Fazit: »Die Erforschung dieses Buches (nämlich der Apostelgeschichte) führt zu dem Ergebnis, daß die Geschichte der Urgemeinde fast unbekannt bleibt. Wohl sind einzelne Ereignisse und – in blassen Umrissen – einige Personen zu erkennen. Aber der Ablauf der Geschichte dieser Gemeinde, ihre Lebensform und Verfassung müssen mühsam und mit nur wenigen sicheren Resultaten rekonstruiert werden.«13
Um den Ablauf der urchristlichen Geschichte geht es im vorliegenden Buch. Es zeigt, was wir über das älteste Christentum – konkret: seine ersten drei Jahre – wirklich wissen. Die Zahl »drei« ergibt sich daraus, dass die Zeit zwischen der Hinrichtung Jesu und der Bekehrung des Paulus ungefähr drei Jahre beträgt.14 Diesen Abschnitt stellt Lukas in Apg 1,1–8,40 dar und lässt ihn mit zwei Geschichten von der erfolgreichen Mission des Philippus außerhalb Jerusalems enden. Davor hatte er von der Flucht des griechischsprachigen Teils der Urgemeinde, den »Hellenisten« um Stephanus, aus Jerusalem berichtet. Paulus war, so Lukas, bei der Steinigung des Stephanus anwesend und mit ihr einverstanden.15 Er wurde anschließend in Jerusalem sogar zum Verfolger16 und reiste im Auftrag des Hohenpriesters nach Damaskus, um dort Christen aufzuspüren.17 Aber kurz vor Erreichen seines Ziels, so Lukas weiter, begegnete ihm der himmlische Jesus.18
Neben der Apostelgeschichte enthalten die echten paulinischen Briefe Nachrichten über die ersten drei Jahre Christentum. Paulus’ Unterweisung im christlichen Glauben beginnt – ungefähr drei Jahre nach Tod und »Auferstehung« Jesu – in Damaskus, dem Ort seiner Verfolgungstätigkeit und Bekehrung. Im Anschluss an seine Bekehrung und einer Reise nach Arabien kehrte er in diese Stadt – Damaskus – zurück, und nicht nach Jerusalem.19 Also hat er in Damaskus Christen verfolgt.
Meine These, dass Paulus in Damaskus in den christlichen Glauben eingeführt worden sei, steht im Gegensatz zu der oft vertretenen Sicht, der ehemalige Verfolger von Christen in Damaskus habe die christliche Lehre erst im syrischen Antiochien näher kennen gelernt.20 Denn dafür fehlt ein Beleg aus den Paulusbriefen.21 Selbst Lukas lässt Paulus erst gegen 40/41 n. Chr.22, ca. sieben Jahre nach seiner Bekehrung, nach Antiochien reisen und gibt als Dauer seines Aufenthalts nur ein Jahr an.23
Paulus bezieht sich im Ersten Korintherbrief zweimal auf Traditionen, die er an seine Gemeinde weitergegeben hat, und zitiert sie. An anderen Stellen seiner Briefe führt er Überlieferungen an, ohne dies eigens kenntlich zu machen. Diese Traditionen haben historische und theologische Inhalte. Sie bilden die Bausteine für eine neue Sicht der ersten drei Jahre Christentum.
Statt nun, wie weithin üblich, die Angaben der Apostelgeschichte mit denen der Paulusbriefe zu harmonisieren, werde ich die Eigenart dieser Quellen berücksichtigen und beide zunächst für sich untersuchen. Sie enthalten ja, unabhängig voneinander, Informationen über die ersten drei Jahre Christentum.
Kapitel 1 durchleuchtet Apg 1,1–8,40 die eine Quelle für die ersten drei Jahre Christentum, und fragt nach der geschichtlichen Zuverlässigkeit der dort erzählten Begebenheiten. Die historischkritische Bibelauslegung hat erkannt, dass Lukas aus dem Gesichtswinkel einer späteren Zeit schreibt, und auf viel Unhistorisches in der lukanischen Darstellung hingewiesen. Eine sorgfältige Analyse von Apg 1,1–8,40 soll das klären und zugleich ermitteln, an welchen Stellen vielleicht doch historisch brauchbares Material vorliegt.
Kapitel 2 untersucht ausgewählte Abschnitte aus den Paulusbriefen, der anderen Quelle für die ersten drei Jahre Christentum. Hier ist die Ausgangslage anders als bei der Apostelgeschichte, denn Paulus war über weite Strecken selbst Augenzeuge und hatte persönlichen Umgang mit zahlreichen anderen Augenzeugen. Seine Bemerkungen über die ersten drei Jahre Christentum sind daher näher am zu beschreibenden Objekt als die des Lukas. Dieser gibt zwar u. a. »Augenzeugen« als Quellen an24, lässt sich aber in der Darstellung, abgesehen vom zeitlichen Abstand zum Geschehen, nachweislich stark von seiner eigenen Theologie leiten. Daher besteht von vornherein eine größere Aussicht, auf der Basis der von Paulus zitierten Überlieferungen und seiner eigenen Aussagen Zuverlässiges über die ersten drei Jahren Christentum herauszufinden. Doch ziehe ich ergänzend auch die in Apg 1,1–8,40 als zuverlässig erkannten Traditionen über die ersten drei Jahre Christentum heran und befrage zusätzlich die Evangelien des Neuen Testaments nach Material, das zu dem in den Paulusbriefen passt.
Kapitel 3 stellt unter der Überschrift »Jerusalem und Damaskus – zwei Hauptorte der ersten drei Jahre Christentum« das Ergebnis vor: Zeitgleich gab es am Anfang der Kirche eine christliche Gemeinde in Damaskus und eine in Jerusalem, deren Praxis und Glaube sich deutlich voneinander unterschieden. Vor allem die Paulusbriefe erlauben, wichtige Merkmale dieser beiden Gemeinden herauszuarbeiten, ihr gegenseitiges Verhältnis zu klären und so Grunddaten der ersten drei Jahre Kirchengeschichte zu erheben.
Drei Anhänge vertiefen das Thema des Buches. Anhang 1: »Der historische Wert der Apostelgeschichte« schildert die Geschichte der Erforschung der Apostelgeschichte und untersucht den historischen Wert ausgewählter Texte außerhalb von Apg 1–8. Anhang 2: »Zum Missverhältnis zwischen Theologie und Geschichte im lukanischen Doppelwerk und im Alten Testament« schärft den Blick für die theologischen Interessen, die Lukas bei der Darstellung geleitet haben, und überprüft seinen Anspruch, sachgemäß und historisch genau zu berichten.25 Anhang 3: »Abriss einer Pauluschronologie« erläutert zwei heute übliche Methoden, Lebensdaten des Apostels und Abfassungszeiten seiner Briefe zu errechnen.
Das Folgende unterzieht den Text von Apg 1,1–8,40 – gegliedert in Sinnabschnitte – einer historisch-kritischen Analyse.1
Die Übersetzungen2 habe ich unterschiedlich markiert, um die Textdurchdringung zu erleichtern. Texte mit wörtlichen oder fast wörtlichen Entsprechungen im Alten Testament sind hervorgehoben. In den jeweils beigefügten Stellenangaben verweist der Zusatz »LXX« auf die griechische Übersetzung des Alten Testaments. Der erste Schritt der Exegese besteht darin, den Sinn des jeweiligen Textes ohne Rücksicht auf unsere Vorstellung vom mutmaßlichen Vorgang zu ermitteln.3 Erst danach folgt die historische Frage.
Bei der Entscheidung über den geschichtlichen Wert der Texte aus der Apostelgeschichte leiten mich folgende Kriterien: Ein Text ist historisch wertlos,
a) wenn Lukas ihn aus theologischen Gründen komponiert oder durchgehend gestaltet hat,
b) wenn eine von Lukas verarbeitete Tradition einem späten Stadium der Überlieferungsgeschichte angehört,
c) wenn ein Widerspruch zu Aussagen aus den Briefen des Paulus vorliegt.
Ein Text ist historisch zuverlässig, wenn er sich dem aus den Briefen des Paulus rekonstruierbaren Verlauf einpassen lässt.
Hinsichtlich meines Verständnisses von »Geschichte« und »Wahrheit« verweise ich auf die Norm, die bei Verhandlungen vor Gericht gilt. Es geht darum, durch Befragung von Zeugen, bestimmte Ereignisse und Vorgänge zu rekonstruieren. Das Ergebnis gilt solange als wahr, bis durch neue glaubwürdige Zeugen oder auf andere Art bewiesen wird, dass die frühere Rekonstruktion fehlerhaft war.
1 Den ersten Bericht, Theophilus, habe ich verfasst über alles, was Jesus tat und lehrte, 2 bis zu dem Tag, an dem er, nachdem er den Aposteln, die er ausgewählt hatte, durch heiligen Geist Aufträge erteilt hatte, (in den Himmel) aufgenommen wurde.
3 Ihnen erwies er sich auch nach seinem Leiden durch viele Beweise lebendig, indem er sich von ihnen vierzig Tage lang sehen ließ und über das sprach, was die Königsherrschaft Gottes (betrifft).
4a Und als er (mit ihnen) zusammen war, 4b befahl er ihnen, sich nicht von Jerusalem zu entfernen, sondern auf die Verheißung des Vaters zu warten, 4c die ihr (so sagte er) von mir gehört habt. 5 Denn Johannes taufte mit Wasser, ihr aber werdet mit heiligem Geist getauft werden nicht (erst) nach vielen von diesen Tagen.
6 Als sie nun zusammengekommen waren, fragten sie ihn und sagten: Herr, stellst du zu dieser Zeit die Königsherrschaft für Israel wieder her? 7 Er sagte aber zu ihnen: Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seiner eigenen Vollmacht festgesetzt hat, 8 sondern ihr werdet Kraft empfangen, wenn der heilige Geist über euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis ans Ende der Erde.
9 Und als er dies gesagt hatte, wurde er, während sie zuschauten, emporgehoben, und eine Wolke NAHM ihn von ihren Augen weg.
10 Und als sie in den Himmel starrten, während er auffuhr, siehe, da standen zwei Männer bei ihnen in weißen Gewändern. 11 Und sie sagten: Galiläische Männer, was steht ihr und schaut in den Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird so kommen, wie ihr ihn in den Himmel habt auffahren sehen.
12 Da kehrten sie nach Jerusalem zurück vom sogenannten Ölberg; der ist nahe bei Jerusalem, einen Sabbatweg entfernt. 13 Und als sie hineinkamen, stiegen sie in das obere Stockwerk hinauf, wo sie sich gewöhnlich aufhielten:
Petrus und Johannes und Jakobus und Andreas,
Philippus und Thomas,
Bartholomäus und Matthäus,
Jakobus, (der Sohn) des Alphäus,
und Simon, der Zelot,
und Judas, (der Sohn) des Jakobus.
14 Diese alle verharrten einmütig beim GEBET mit Frauen und Maria, der Mutter Jesu, und seinen Brüdern.
15 Und in diesen Tagen stand Petrus inmitten der Brüder auf und sagte – es war eine Menge von etwa hundertzwanzig Personen beisammen –:
16 Männer, Brüder, es musste die Schrift(stelle) erfüllt werden, die der heilige Geist durch den Mund Davids über Judas vorhergesagt hat, der zum Führer derer wurde, die Jesus festnahmen, 17 denn er gehörte zu uns und hatte das Los für DIESEN DIENST empfangen.
18 Dieser nun kaufte mit dem Lohn für das Unrecht einen Acker. Und er stürzte vornüber und barst mitten auseinander, und alle seine Eingeweide wurden ausgeschüttet. 19 Und es wurde allen Einwohnern von Jerusalem bekannt, so dass jener Acker in ihrer Sprache ›Hakeldamach‹ genannt wurde, das heißt Blutacker. 20a Denn im Buch der Psalmen ist geschrieben:
Sein Landhaus soll vereinsamen,
und keiner soll da sein, der darin wohne.
[Ps 69,26]
20b Und:
Sein Aufsichtsamt empfange ein anderer.
[Ps 109,8]
21 Es muss nun von den Männern, die uns begleitet haben in der ganzen Zeit, in der der Herr Jesus bei uns ein- und ausgegangen ist, 22 angefangen von der Taufe des Johannes bis zu dem Tag, an dem er (in den Himmel) aufgenommen wurde von uns weg – einer von diesen (muss) mit uns zum Zeugen seiner Auferstehung werden.
23 Und sie stellten zwei auf: Joseph, genannt Barsabbas, der den Beinamen Justus hat, und Matthias. 24 Und sie BETETEN und sagten: Du, HERR, Herzenskenner aller, zeige, wen von diesen beiden du als den einen auserwählt hast, 25 den Ort DIESES DIENSTES und Apostelamts zu übernehmen, von dem Judas abgetreten ist, um an seinen eigenen Ort zu gehen.
26 Und sie gaben ihnen Lose, und das Los fiel auf Matthias. Und er wurde zu den elf Aposteln hinzugefügt.
ANALYSE
1,1–5: Vorwort
Das Vorwort, dem ein klarer Abschluss fehlt, lasse ich dort enden, wo Lukas gegenüber seinem Evangelium neue Informationen gibt.4
Verse 1–2: Dieser Abschnitt bezieht sich ausdrücklich auf das Evangelium, den »ersten Bericht«, dessen Inhalt als Tun und Lehren Jesu bezeichnet wird. Die in V. 2 erwähnte Auswahl der Jünger findet sich Lk 6,13–16. Auf diese Stelle verweist Lukas und bereitet damit auf die Apg 1,13 folgende Liste der Jünger vor. Dass Jesus ihnen vor der Himmelfahrt Aufträge gegeben hat, zeigt das Folgende. Jedoch passt die Erläuterung, dies sei »durch heiligen Geist« erfolgt, nicht recht. Martin Dibelius streicht daher den Ausdruck »durch heiligen Geist« als spätere Hinzufügung.5
Vers 3: Lukas erzählt, dass Jesus sich vierzig Tage lang auf der Erde den Jüngern durch Beweise lebendig erwies und über die »Königsherrschaft Gottes« sprach. Auf der Angabe »vierzig Tage« liegt Gewicht, denn sie verlängert im Vergleich zu Lk 24,51 das Zusammensein Jesu mit den Seinen.
All dies hat einen großen Abstand zu dem, was Paulus über die Anfangszeit der Kirche ausführt. Er berichtet im Anschluss an Traditionen, dass bestimmte Personen den himmlischen Christus »gesehen« haben.6 Dies schließt einen persönlichen Umgang und körperlichen Kontakt, wie ihn Lukas schildert, aus.
Verse 4–5: V. 4a nimmt allgemein auf Lk 24,36–49 Bezug, V. 4b mit dem Befehl, sich nicht von Jerusalem zu entfernen, sondern auf die Verheißung des Vaters zu warten, knüpft an Lk 24,49b an: Dort hatte Jesus den Jüngern befohlen, in der Stadt zu bleiben, bis sie »mit Kraft aus der Höhe«, nämlich mit heiligem Geist, ausgerüstet würden. V. 4c bezieht sich auf Jesu Ansage in Lk 24,49a, »die Verheißung meines Vaters auf euch zu schicken«. In V. 5 erinnert Jesus an ein zentrales Ereignis aus der Vergangenheit –»Johannes taufte mit Wasser«– und prophezeit, dass die Voraussage des Täufers, die »Taufe« mit heiligem Geist7, von der Apg 2,2–13 berichten wird, bald eintritt. »Petrus« blickt dann in Apg 11,16 auf das Wort Jesu aus Apg 1,5 zurück.
Geschichtlicher Wert
Der Inhalt des in Apg 1,1–5 Erzählten bewegt sich innerhalb der lukanischen Vorstellung von Auferstehung und Kirchengründung. Er unterscheidet sich sehr von dem, was nach dem Tod Jesu tatsächlich geschah.8 Der geschichtliche Wert des Berichts ist gleich Null.
1,6–8: Dialog zwischen Jesus
und den Jüngern vor der Himmelfahrt
Verse 6–7: Das Stück korrigiert eine Naherwartung. »Jesus« verwirft die Frage nach dem unmittelbaren Kommen des endzeitlichen Reiches9, in dem Gott in Israel allein herrschen würde.10 In V. 7 legt Lukas Jesusworte aus Mk 13,32–33, die er in seinem Evangelium ausgelassen hat, dem »Auferstandenen« in den Mund. Die Jünger sollen sich überhaupt nicht nach dem Zeitpunkt des künftigen Heilshandelns Gottes erkundigen.
Vers 8: Jesus weiter: An die Stelle der Königsherrschaft Gottes tritt der Geist, dessen Kommen er in V. 5 vorausgesagt hatte. Unter Anknüpfung an Lk 24,47–48 wirft Jesus einen Blick auf das zukünftige Wirken der Apostel als seiner Zeugen. Diese Tätigkeit sei das Werk des Geistes. Die Predigt der Apostel findet später in der Arbeit der Hellenisten, illustriert an der Verkündigung des Philippus11, und in der Mission des Paulus seine Fortsetzung.12 Die Aussage über das Zeuge-Sein der Apostel sowohl in Jerusalem13 als auch in ganz Judäa14 und Samaria15 und bis ans Ende der Welt16 enthält das Programm, die Disposition und den geographischen Aufriss der Apostelgeschichte.
Geschichtlicher Wert
Jesus trägt lukanische Theologie vor. Dieser Dialog zwischen Jesus und den Jüngern hat nicht stattgefunden.
1,9–11: Jesu Himmelfahrt
Lukas hat den Abschnitt gestaltet. Darauf weist die vierfache Wiederholung von »in den Himmel« hin. Der Ausblick auf das zukünftige Kommen Jesu in V. 11 verknüpft die Geschichte mit V. 6–7. Die in V. 6 ausgesprochene und V. 7 abgewiesene Naherwartung wird zu einer Fernerwartung.
Der Text erzählt die wunderbare Entrückung Jesu. Dazugehörige Motive sind »eine Wolke« und »zwei Männer in weißen Gewändern«17 als Interpreten des Vorgangs. Ein noch intensiver von Lukas bearbeiteter Bericht von der Himmelfahrt Jesu findet sich Lk 24,50–53.
Geschichtlicher Wert
Die Geschichte von der Himmelfahrt entspringt lukanischer Theologie. Sie hat keinen historischen Wert.
1,12–14: Die älteste Gemeinde
Vers 12: Der Vers verbindet die Erzählung mit dem Folgenden. Lukas nennt den Ort der Himmelfahrt, den Ölberg, und die Distanz zwischen ihm und Jerusalem, nämlich einen Sabbatweg; das sind nach damaliger Sicht 880 m. Dies fügt mehrere Aufenthaltsorte der Jünger aneinander, wobei Lukas vor allem das Jerusalem-Motiv wichtig ist: Die Jünger sind Zeugen der Himmelfahrt Jesu an einem Ort nahe bei Jerusalem und kehren darauf nach Jerusalem zurück. In Lk 24,50–53 erfolgt die Himmelfahrt nicht vom Ölberg, sondern von Bethanien aus. Doch liegt kein Widerspruch vor. Lukas weiß aus Mk 11,118, dass der Ölberg und Bethanien geographisch beieinander liegen bzw. als Ortsangaben identisch sind.
Vers 13: Lukas schreibt den Apostelkatalog aus seinem Evangelium19 ab, die Reihenfolge variiert. Der wichtigste Unterschied besteht darin, dass sich Johannes in der Liste des Evangeliums an vierter Stelle befindet, in der Apostelgeschichte aber an zweiter. Die Änderung dürfte darauf zurückgehen, dass Petrus – der an der Spitze aller Apostelverzeichnisse steht – und Johannes in Apg 3–5 zusammen auftreten.
Der Ausdruck »oberes Stockwerk« ist nicht traditionell, sondern redaktionell. Lukas bezeichnet damit an dieser Stelle und anderswo das Obergeschoss eines Hauses.20 Seine Erläuterung, die Gemeinde habe sich hier gewöhnlich aufgehalten, trägt nichts für die Frage aus, ob an dieser Stelle eine »Lokaltradition«21 sichtbar wird.
Vers 14: Der Vers ergänzt das Vorhergehende dahin, dass die elf Apostel nach der Himmelfahrt Jesu nicht allein, sondern zusammen mit Frauen, mit Maria und mit den Brüdern Jesu im Obergeschoß versammelt waren. Bei den Frauen handelt es sich nicht etwa um die Ehefrauen der Apostel, sondern um Anhängerinnen Jesu, die bereits aus dem Evangelium bekannt sind.22 Zur Wendung »im Gebet verharren« vgl. Röm 12,12; Kol 4,2.
Die Erwähnung Marias, der Mutter Jesu, an dieser Stelle überrascht. Maria hatte im Lukasevangelium seit Jesu Taufe eine eher untergeordnete Rolle gespielt.23 Dass sie hier besonders genannt wird, erklärt sich aus dem Bestreben des Lukas, ein erbauliches Bild der Urgemeinde zu zeichnen.24 Passend dazu mussten Jesu Mutter und seine Brüder der Urgemeinde seit Beginn angehört haben. Josephs Fehlen fällt nicht ins Gewicht, denn er war gar nicht der Vater Jesu.25
Wahrscheinlich sind Maria und ihre Söhne bald nach den »Erscheinungen« Jesu in Jerusalem von Galiläa nach Jerusalem gezogen. Zum Berühmtesten von ihnen wurde Jakobus, den Paulus ca. 35 n. Chr. in Jerusalem traf, als er Kephas besuchte.26
Geschichtlicher Wert
Die in diesem Abschnitt geschilderten Begebenheiten fanden nicht statt. Sie entspringen lukanischer Theologie.
1,15–26: Petrusrede. Judas wird durch Matthias ersetzt
Vers 15: Der Vers verbindet die nachfolgende Episode mit der vorhergehenden. Die innere Verknüpfung ergibt sich daraus, dass Lukas soeben von dem einträchtigen Gebet der elf Apostel mit anderen Gemeindegliedern berichtet hatte. Die Angabe »etwa 120 Personen« steigert ihre Zahl gegenüber der in V. 13–14.
Verse 16–17: Der Gedanke der Notwendigkeit eines Geschehens ist allgemein urchristlich und erklärt apologetisch das Leiden Jesu als schriftgemäß, d. h. als den (heiligen) Schriften – dem heutigen Alten Testament – entsprechend.27 Ähnlich fällt in V. 16 die Tat des Judas unter das göttliche Muss28, wobei der heilige Geist durch David darüber eine Voraussage gemacht haben soll. V. 20a nimmt diese Prophezeiung auf. Die Sätze über Judas’ Beteiligung an der Festnahme Jesu beziehen sich auf Lk 22,3–6 und Lk 22,47–48 zurück. Unter Verarbeitung der Markusvorlage29 berichtet Lukas davon, dass Jesus durch Judas an die Hohenpriester und Ältesten ausgeliefert wurde.30
Verse 18–20: Das Stück ist weitgehend traditionell. V. 20b bringt ein Psalmenzitat, in dem von der Neubesetzung eines Amtes die Rede ist. Damit leitet der Vers zur Nachwahl des Matthias über.
Im lukanischen Doppelwerk dient die Judasgestalt zur Ermahnung der Christen. Der Satan hatte nach der Versuchung Jesu31 »bis zu einem (bestimmten) Zeitpunkt«32 von Jesus abgelassen. Dieser »Zeitpunkt« war gekommen, als er in Judas »hineinfuhr«33 und ihn als Instrument gegen Jesus gebrauchte. Indem Lukas am Geschick des Judas zeigt, wie es Werkzeugen des Satans ergeht, schärft er seiner Gemeinde ein, dem Satan keinen Raum zu geben.
Verse 21–22: Die Verse sind wichtig a) für Lukas’ Verständnis der Rolle Johannes des Täufers und b) für Lukas’ Sicht des Apostelamts:
a) In der Apostelgeschichte erscheint Johannes noch an zwei weiteren Stellen, Apg 10,37 und 13,24–25. Beide setzen das Auftreten Johannes des Täufers und das Jesu voneinander ab, so dass der Eindruck entsteht, es handele sich um zwei verschiedene Epochen. Das (unechte) Jesuswort Lk 16,1634 verstärkt diese Impression: Es ordnet Johannes einer Zeit zu, die von der nach ihm beginnenden abgegrenzt wird. Conzelmann zufolge brechen nach Johannes »nicht die Endereignisse aus, sondern eine neue Stufe im Heilsprozeß wird erreicht, und Johannes selbst fällt noch in die frühere der beiden Epochen, die hier zusammentreffen.«35
Diese These lässt sich nicht eindeutig aus den lukanischen Texten ableiten. Denn Apg 1,22 ist ja gerade die Johannestaufe Anfangspunkt des Lebens Jesu, der für die Zeugen wichtig ist, d. h., Johannes gehört hier in die »Jesuszeit« hinein.
b) Als Apostel gilt derjenige, mit dem Jesus von der Johannestaufe36 bis zur Himmelfahrt (ununterbrochen) ein- und ausgegangen ist37 und der Zeuge seiner Auferstehung wird. Die Zahl der Apostel ist offenbar auf »zwölf« festgelegt, und Paulus gehört nicht zu den Zwölfen.38 Die Nachwahl des Matthias füllt noch vor der »Geistausgießung«, die in Apg 2,1–4 erzählt wird, die Zwölfzahl der Apostel wieder auf.
Verse 23–26: Das Gebetsmotiv in V. 24 ist redaktionell. Man vgl. vorher Apg 1,14 und später das Gemeindegebet Apg 4,24–30. V. 25 bezieht sich auf V. 17–18 zurück. V. 26: Lukas hat das Konzept, es müsse 12 Apostel geben. Die Rede von den »elf Aposteln« setzt dies voraus.
Geschichtlicher Wert
Petrus hat diese Rede nicht gehalten; ihr Inhalt entspricht lukanischer Theologie. Die Nachwahl des Matthias fand nicht statt, denn sie basiert auf Lukas’ Konzept der zwölf Apostel. Überdies gilt, a) dass Judas kein Verräter war und b) dass der Bericht über seinen Tod eine Legende ist – es gab also keinen Platz zu besetzen.
Zu a): Alle vier Evangelien des Neuen Testaments erzählen, Judas Iskarioth habe Jesus an die jüdische Führung ausgeliefert.39 Oft wird übersehen, dass die älteste Version von der Auslieferung Jesu sich in einem Brief des Paulus findet. Sie ist Teil einer Überlieferung, die Paulus selbst empfangen und bei der Gründung der Gemeinde an die Korinther weitergegeben hat, 1Kor 11,23–25: (23a) »Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch auch überliefert habe: (23b) Der Herr Jesus, in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde, nahm Brot (24) und dankte, brach es und sagte: ›Dies ist mein Leib für euch; dies tut zur Erinnerung an mich.‹ (25) Ebenso auch den Becher nach dem Mahl und sagte: ›Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut, dies tut, sooft ihr trinkt, zur Erinnerung an mich‹.«40
Die Theologen, die diese Überlieferung formulierten, dachten nicht an Judas als Auslieferer, sondern daran, was sie im Buch Jesaja über den »Gottesknecht« lasen: »Und der Herr (Gott) lieferte ihn für unsere Sünden aus. … Er selber nahm die Sünden vieler auf sich und um ihrer Sünden willen wurde er ausgeliefert.«41 Die Träger der Tradition von 1Kor 11,23–25 identifizierten demnach »Gottesknecht« und Jesus und bearbeiteten das Herrenmahlsritual entsprechend. »Ausliefern« steht nun in einer engen Verbindung zur Sühneaussage des Brotwortes in V. 24 und drückt – so die ältesten Christen – eine durch den »Gottesknecht« Jesus bewirkte Sühne »für unsere Sünden« aus. Die theologische Spitzenthese lautet: Gott hat Jesus »ausgeliefert«, oder Jesus hat sich selbst »ausgeliefert«. Beide Aussagen finden sich auch sonst bei Paulus42 und ergeben inhaltlich keinen Unterschied. Mit dem Tun eines verräterischen Schurken hat die Auslieferung in diesem Stadium der Überlieferungsgeschichte nichts zu tun.
Teil der Tradition von der Auslieferung Jesu, die Paulus empfangen hatte, war eine Erwähnung des Judas also nicht. Er gehörte vielmehr zum Kreis der Zwölf, zu den Ersten also, denen »Jesus« nach der Kreuzigung erschienen war.43 Spätere Zeugen korrigieren und lassen diese Ersterscheinung harmonisierend nur vor elf Aposteln geschehen sein.44
Gehören Judas und seine Tat nicht zur ältesten Tradition der Passion Jesu, bleibt zu klären, wie denn überhaupt ein Mitglied des Zwölferkreises mit einer so schwerwiegenden Tat belastet werden konnte und warum es gerade Judas war.
Eine Generation nach Paulus war die Welt immer noch nicht an ihr Ende gekommen. Darauf aber hatten die Christen von Anfang an gewartet. So musste sich auch ihr Denken verändern: Bisher hatten sie die Passion Jesu rein theologisch gedeutet, jetzt trat eine historische Darstellung immer mehr in den Vordergrund. Jetzt fragten sie nach dem, der Jesus damals »ausgeliefert« hatte; der musste doch zu identifizieren sein. Die Glaubensformel, dass der »Herr« von Gott zum Heil »ausgeliefert« worden sei, ließ nach dem Ausführer dieser Tat fragen. Man verfiel auf den Jesusjünger Judas aus Karioth im südlichen Juda, denn das jüdische Volk, das die Christen von Beginn an als schuldig an Jesu Tod angesehen45 und sogar als dessen Mörder angeklagt haben46, konnte keiner besser symbolisieren als er (Judas/Juda/Juden). Die Auslieferung erhielt zusätzlich eine unheilvolle Seite, denn man legte Jesus auch noch folgendes Wort in den Mund: »Weh aber jenem Menschen, durch den der Menschensohn ausgeliefert wird.«47 Dieser Spruch brandmarkt Judas und die Juden dauerhaft als verfluchte Menschen.48
Zu b): Die Erzählung vom Tod des Judas in der Petrusrede geht auf Überlieferung zurück.
Die Matthäus-Fassung49 berichtet von der Reue des Judas; er gibt deshalb das Geld zurück und begeht Selbstmord.50 Demgegenüber schildern Lukas in der Rede des Petrus Apg 1,18–20 und Papias51 seinen grässlichen Tod (Lukas: Aufplatzen des Leibes, Papias: unermessliches Anschwellen des Leibes, des Kopfes und der Augenlider52). Allen drei Fassungen ist die Verbindung des Judas mit einem Grundstück gemeinsam, wobei Matthäus und die Apostelgeschichte das Grundstück »Blutacker« nennen. Papias erzählt, wie Judas auf grausame Art auf seinem eigenen Grundstück stirbt und dass von dort der Gestank seines verfaulenden Leichnams sich überall hin ausbreitet.
Die drei Berichte über den Tod des Judas sind miteinander verwandt. Doch lässt sich keine traditionsgeschichtliche Entwicklung zeichnen. Es ergeben sich nur drei feste Größen: schrecklicher Tod, ein Feld – genannt »Blutacker«– als Ort des Todes, Verweis auf Psalmen.
Für Selbstmord durch Erhängen53 spricht die Nüchternheit der Notiz, doch stammt ihr Inhalt aus dem Alten Testament.54 Außerdem weiß die Paralleltradition vom Tod des Judas in der Apostelgeschichte nichts von einem Selbstmord. Ferner muss der Name »Blutacker« ursprünglich nichts mit Judas zu tun haben. Judas hat daher keine der genannten Todesarten erlitten und ist damals wohl gar nicht gestorben. Man brauchte aber einen Bericht über seinen Tod, um von der Bestrafung des (erfundenen) Verräters erzählen zu können.
1 Und als sich der Pfingsttag erfüllte, waren alle an einem Ort beisammen.
2 Und plötzlich kam vom Himmel ein Geräusch, wie (das) eines daherfahrenden starken Windes, und durchdrang das ganze Haus, wo sie saßen.
3 Und es erschienen ihnen ZUNGEN, die sich zerteilten, wie von Feuer, und es setzte sich auf jeden einzelnen von ihnen.
4 Und sie wurden alle mit heiligem Geist erfüllt, und sie fingen an, in anderen ZUNGEN zu reden, wie der Geist ihnen zu sprechen gab.
5 Es wohnten ABER in Jerusalem JUDEN, fromme Männer aus jedem Volk unter dem Himmel. 6 Als ABER dieses Tosen geschah, kam die Menge zusammen und wurde verwirrt, denn jeder einzelne hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie ENTSETZTEN SICH ABER und wunderten sich und sagten: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, Galiläer? 8 Und wieso HÖREN WIR SIE, ein jeder in unserer eigenen Sprache, in der wir geboren sind?
9 Parther
und Meder
und Elamiter
und die Bewohner
von Mesopotamien
und Judäa
und Kappadozien,
Pontus
und Asien
10 Phrygien
und Pamphylien,
Ägypten
und den Gebieten Libyens, das gegen Kyrene hin (liegt),
und die sich hier aufhaltenden Römer,
11 JUDEN und Proselyten,
Kreter und Araber –
WIR HÖREN SIE in unseren ZUNGEN von den großen Taten GOTTES reden.
12 SIE ENTSETZTEN SICH ABER alle und waren unsicher und sagten einer zum anderen: Was soll das bedeuten?
13 Andere ABER spotteten und sagten: Sie sind voll von Most.
14 Petrus aber stand auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen:
Männer, ihr JUDEN und alle Einwohner Jerusalems, dies sei euch bekannt, und nehmt meine Worte zu Gehör! 15 Denn diese sind nicht, wie ihr annehmt, betrunken; denn es ist die dritte Stunde des Tages.
16 Sondern das ist, was durch den Propheten Joel gesagt ist:
17a Und es wird sein in den letzten Tagen, sagt GOTT,
17b da werde ich von meinem Geist ausgießen auf alles Fleisch,
17c und eure Söhne und eure Töchter werden prophezeien,
17d und eure jungen Männer werden Visionen sehen,
17e und eure Ältesten werden Träume träumen;
18 und sogar auf meine Sklaven und auf meine Sklavinnen werde ich in jenen Tagen
von meinem Geist ausgießen, und sie werden prophezeien.
19 Und ich werde WUNDER geben oben am Himmel und ZEICHEN unten auf der Erde,
Blut und Feuer und rauchigen Dunst;
20 die Sonne wird sich in Finsternis verwandeln und der Mond in Blut,
ehe der große und herrliche Tag des HERRN kommt.
21 Und es wird geschehen:
jeder, der den NAMEN des HERRN anruft, wird gerettet werden.
[vgl. Jo 3,1–5a LXX]
22a Israelitische Männer, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer, einen Mann, 22b der von GOTT bei euch beglaubigt worden ist durch Machttaten und WUNDER und ZEICHEN, die GOTT durch ihn mitten unter euch tat, wie ihr selbst wisst, 23a diesen – preisgegeben nach dem bestimmten Ratschluss und Vorauswissen GOTTES – 23b habt ihr durch die Hand Gesetzloser (ans Kreuz) geheftet und umgebracht; 24 den LIESS GOTT AUFERSTEHEN, nachdem er die Wehen des Todes aufgelöst hatte, wie es denn nicht möglich war, dass er von ihm festgehalten wurde. 25 Denn David sagt über ihn:
Ich sah den HERRN stets vor mir;
denn er ist zu meiner Rechten, damit ich nicht wanke.
26 Darum freute sich mein Herz, und meine Zunge jubelte;
es wird auch noch mein Fleisch hoffnungsvoll wohnen;
27 denn du wirst meine Seele nicht im HADES lassen,
noch geben, dass dein Frommer VERWESUNG sieht.
28 Du hast mir Wege des Lebens bekannt gemacht;
du wirst mich mit Freude erfüllen vor deinem Angesicht.
[Ps 15,8–11 LXX]
29 Männer, Brüder, ich darf mit Freimut zu euch über den Stammvater David reden, dass er starb und begraben wurde, und sein Grab ist bis auf diesen Tag bei uns. 30 Da er nun ein Prophet war und wusste, dass GOTT ihm mit einem Eid geschworen hatte, (einen) von seinen leiblichen Nachkommen auf seinen Thron zu setzen, 31 hat er voraussehend von der AUFERSTEHUNGVERWESUNG32LIESSAUFERSTEHEN33Rechtenheiligen Geistes34David