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Barack Obama

                                                                                

Hoffnung wagen

Gedanken zur Rückbesinnung auf
den American Dream

Aus dem Englischen
von Helmut Dierlamm und Ursel Schäfer,
VerlagsService Dr. Ulrich Mihr

Illustration

Inhaltsverzeichnis

Buch und Autor
Copyright
Widmung
Prolog
1 Republikaner und Demokraten
2 Werte
3 Unsere Verfassung
4 Politik
5 Chancen
6 Glauben
7 Rasse
8 Die Welt jenseits unserer Grenzen
9 Familie
Epilog
Danksagung
Register

DANKSAGUNG

Dieses Buch wäre nicht möglich gewesen ohne die außerordentliche Unterstützung durch eine ganze Reihe von Personen.

Beginnen muss ich mit meiner Frau Michelle. Mit einem Senator verheiratet zu sein, ist schon schlimm genug, aber wenn er auch noch ein Buch schreibt, braucht man die Langmut eines Hiob. Michelle hat mich nicht nur während des Schreibens emotional unterstützt, sondern half mir auch, viele der Ideen zu entwickeln, die in diesem Buch dargestellt werden. Jeden Tag verstehe ich besser, was für ein großes Glück ich habe, dass Michelle in mein Leben getreten ist, und ich kann nur hoffen, dass die grenzenlose Liebe, die ich für sie empfinde, sie wenigstens ein bisschen für meine vielen außerfamiliären Tätigkeiten entschädigt.

Großen Dank schulde ich auch meiner Redakteurin Rachel Klayman. Schon bevor ich die Vorwahlen bei meiner Kandidatur für den US-Senat gewonnen hatte, machte sie Crown Publishers auf mein erstes Buch, Dreams from My Father, aufmerksam, das damals schon lange vergriffen war. Und sie war es auch, die sich für meinen Vorschlag einsetzte, das jetzt vorliegende Buch zu schreiben. Außerdem war sie meine unermüdliche Partnerin bei der häufig schwierigen, aber immer aufregenden Arbeit an der Vollendung dieses Buches. Sie war in jedem Stadium der Redaktion anregend, ungemein sorgfältig und stets voll Begeisterung. Häufig verstand sie schon, was ich mit dem Buch erreichen wollte, bevor ich es selbst genau wusste, und sie korrigierte mich freundlich, aber bestimmt, wann immer ich meine persönliche Stimme verlor und in bloßen Politikerjargon verfiel, Phrasen drosch oder falsche Gefühle artikulierte. Außerdem war sie unglaublich geduldig mit meinem erbarmungslosen Terminkalender als Senator und meinen periodischen Schreibblockaden. Mehr als einmal musste sie ihren Schlaf, ein Wochenende oder Urlaubstage mit ihrer Familie opfern, um das Projekt durchzuziehen.

Kurz gesagt, sie war eine ideale Redakteurin und ist mir eine geschätzte Freundin geworden.

Natürlich hätte sie das alles nicht leisten können, wenn uns meine Lektoren Jenny Frost und Steve Ross bei der Crown Publishing Group nicht unterstützt hätten. Wenn das Verlegen eines Buches einen gesunden Kompromiss zwischen Kunst und Kommerz darstellen soll, dann sind Jenny und Steve ständig vom rechten Weg abgewichen, weil sie das Buch so gut wie irgend möglich machen wollten. Sie hatten so viel Vertrauen in mein Werk, dass sie immer wieder weit über das Notwendige hinausgingen, und dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

Derselbe Geist war auch typisch für alle anderen Mitarbeiter von Crown, die so hart für dieses Buch gearbeitet haben. Amy Boorstein gelang es trotz ausgesprochen enger Termine, die Produktion über die Bühne zu bringen. Tina Constable und Christine Aronson waren energische Befürworter des Buchprojekts und machten (oder verlegten) geschickt die Termine, damit sie mit meiner Arbeit im Senat vereinbar waren. Jill Flaxman arbeitete sehr gut mit der Verkaufsabteilung von Random House und mit den Buchhändlern zusammen, damit das Buch seinen Weg zu den Lesern fand. Jacob Bronstein produzierte – zum zweiten Mal – eine hervorragende Hörbuchversion des Buches, und das auch noch unter recht widrigen Umständen. Ihnen allen danke ich von Herzen, und dasselbe gilt auch für die restliche Mannschaft von Crown: Lucinda Bartley, Whitney Cookman, Lauren Dong, Laura Duffy, Skip Dye, Leta Evanthes, Kristin Kiser, Donna Passannante, Philip Patrick, Stan Redfern, Barbara Sturman, Don Weisberg und viele andere.

Mehrere gute Freunde und Freundinnen nahmen sich die Zeit, das Manuskript zu lesen, und machten überaus wertvolle Vorschläge: David Axelrod, Cassandra Butts, Forrest Claypool, Julius Genachowski, Scott Gration, Robert Fisher, Michael Froman, Donald Gips, John Kupper, Anthony Lake, Susan Rice, Gene Sperling, Cass Sunstein und Jim Wallis. Samantha Power hat wegen ihrer außerordentlichen Großzügigkeit eine Extra-Erwähnung verdient. Obwohl sie gerade damit beschäftigt war, selbst ein Buch zu schreiben, kämmte sie all meine Kapitel durch, als wären es ihre. Sie half mir mit einem steten Strom von nützlichen Kommentaren und richtete mich auf, wann immer ich entmutigt oder erschöpft war.

Auch einige meiner Mitarbeiter aus dem Senat, darunter Pete Rouse, Karen Kornbluh, Mike Strautmanis, Jon Favreau, Mark Lippert, Joshua DuBois und insbesondere Robert Gibbs und Chris Lu, lasen das Manuskript in ihrer Freizeit und halfen mir mit redaktionellen Vorschlägen und politischen Empfehlungen und Korrekturen. Ich danke ihnen allen, weil sie wahrlich mehr als ihre Pflicht taten.

Madhuri Kommareddi, eine frühere Mitarbeiterin von mir, überprüfte in dem Sommer, bevor sie in Yale ihr Jurastudium begann, die Fakten in dem Buch. Ihr Talent und ihre Energie waren atemberaubend. Vielen Dank auch an Hillary Schrenell, die Madhuri bei der Recherche einiger Probleme in dem Kapitel über Außenpolitik half.

Schließlich will ich auch meinem Agenten Bob Barnett von Williams und Connolly für seine Freundschaft, seine Sachkenntnis und seine Unterstützung danken. Sie haben ungeheuer viel bewirkt.

EPILOG

Mit meiner Vereidigung als US-Senator im Januar 2005 kam ein Prozess zum Abschluss, der begonnen hatte, als ich 2003 meine Kandidatur bekannt gab: der Tausch eines relativ privaten gegen ein relativ öffentliches Leben.

Natürlich sind auch viele Dinge gleich geblieben. Unsere Familie wohnt immer noch in Chicago. Ich lasse mir immer noch in demselben Friseurgeschäft in Hyde Park die Haare schneiden. Michelle und ich laden noch dieselben Freunde zu uns nach Hause ein wie vor der Wahl, und unsere Töchter toben immer noch auf denselben Spielplätzen herum.

Trotzdem hat sich für mich die Welt zweifellos massiv verändert, und zwar auf eine Weise, die mich mitunter bedrückt. Meine Worte, meine Taten, meine Reisen und meine Steuererklärung landen jetzt alle irgendwann in der Morgenzeitung oder den Abendnachrichten. Meine Töchter müssen sich Unterbrechungen durch wohlmeinende Fremde gefallen lassen, wann immer ihr Vater mit ihnen in den Zoo geht. Sogar außerhalb von Chicago wird es schwieriger, sich unerkannt auf Flughäfen zu bewegen.

In der Regel fällt es mir schwer, diese Aufmerksamkeit sonderlich ernst zu nehmen. Es gibt immer noch Tage, an denen ich mit einer Anzugjacke aus dem Haus gehe, die nicht zu meiner Anzughose passt. Meine Gedanken sind so viel weniger geordnet und meine Tage so viel weniger organisiert als in dem Bild von mir, das nun der Welt vermittelt wird, dass dies gelegentlich zu komischen Situationen führt. Ich weiß noch, dass mein Mitarbeiterstab und ich beschlossen, am Tag vor meiner Vereidigung eine Pressekonferenz in unserem Büro zu veranstalten. Damals war ich in der Altersrangliste der 99. Senator, und alle Reporter drängten sich in meinem kleinen provisorischen Büro, das gegenüber dem Senate Supply Store im Keller des Dirksen Office Building liegt. Es war mein erster Tag in dem Gebäude. Ich hatte noch kein einziges Mal abgestimmt und noch kein einziges Gesetz vorgelegt, ja, noch nicht einmal an meinem Pult gesessen, als ein Reporter die Hand hob und mich allen Ernstes fragte: »Senator Obama, was ist Ihr Platz in der Geschichte?«

Sogar ein paar von den anderen Reportern mussten lachen.

Zum Teil kann diese Übertreibung auf die Rede zurückgeführt werden, die ich 2004 auf dem Wahlparteitag der Demokraten in Boston hielt. Damals erregte ich erstmals nationale Aufmerksamkeit.

Tatsächlich ist es mir bis heute ein Rätsel, auf welche Weise ich dazu auserwählt wurde, die Grundsatzrede zu halten. Ich war John Kerry nach den Vorwahlen in Illinois zum ersten Mal begegnet, als ich auf einer Spendenwerbungs-Veranstaltung von ihm sprach und ihn zu einer Wahlkampfveranstaltung begleitete, bei der die Wichtigkeit von Berufsbildungsprogrammen im Mittelpunkt stand. Einige Wochen später bekamen wir die Nachricht, dass Kerrys Mannschaft mich als Redner für den Parteitag haben wollte, wobei freilich noch nicht klar war, was für eine Rede ich halten sollte. An einem Nachmittag, als ich wegen einer abendlichen Wahlkampfveranstaltung von Springfield nach Chicago unterwegs war, teilte mir Kerrys Wahlkampf managerin Mary Beth Cahill die Nachricht telefonisch mit. Als das Gespräch zu Ende war, sagte ich zu meinem Fahrer Mike Signator: »Ich glaube, das ist ein ziemlich großes Ding.«

Mike nickte. »Das können Sie laut sagen.«

Ich war erst einmal auf einem demokratischen Wahlparteitag gewesen, auf der Democratic Convention 2000 in Los Angeles. Damals hatte ich eigentlich gar nicht geplant teilzunehmen. Ich erholte mich noch von meiner Niederlage bei den demokratischen Vorwahlen für einen Sitz im US-Repräsentantenhaus und war fest entschlossen, den größten Teil des Sommers meiner Anwaltstätigkeit zu widmen, die ich während des Wahlkampfs völlig vernachlässigt hatte (weshalb ich mehr oder weniger pleite war). Außerdem wollte ich wieder mehr Zeit mit meiner Frau und meiner Mutter verbringen, die ich in den sechs Monaten zuvor viel zu wenig gesehen hatte.

In letzter Minute jedoch beknieten mich mehrere Freunde und Unterstützer, die auf den Parteitag gingen, mich dort mit ihnen zu treffen. Ich müsse doch für den Fall einer erneuten Kandidatur Kontakte auf Bundesebene knüpfen, meinten sie, und außerdem werde es Spaß machen. Auch wenn sie es nicht aussprachen, dachten sie vermutlich, die Reise zu dem Wahlparteitag werde vielleicht eine gute Therapie für mich sein, und zwar nach dem Grundsatz, dass es am besten ist, gleich wieder aufzusteigen, wenn man von seinem Pferd abgeworfen wurde.

Schließlich gab ich nach und buchte einen Flug nach Los Angeles. Nach der Landung nahm ich den Bus zum Hertz-Autoverleih, gab der Frau hinter der Theke meine American-Express-Karte, um den Mietwagen zu bezahlen, und suchte auf der Karte nach dem Weg zu einem billigen Hotel, das ich mir in der Nähe des Venice Beach ausgesucht hatte. Nach ein paar Minuten erschien die Frau wieder und sagte verlegen:

»Tut mir leid, Mr. Obama, aber Ihre Karte wird nicht angenommen.«

»Das kann nicht sein. Können Sie es noch einmal probieren?«

»Ich habe es schon zweimal versucht, Sir. Vielleicht sollten Sie bei American Express anrufen.«

Nach einem halbstündigen Telefonat autorisierte der gutherzige Mann am anderen Ende der Leitung die Bezahlung meines Mietwagens. Doch die Episode erwies sich als angemessenes Omen für das, was mich erwartete. Da ich kein Delegierter war, bekam ich keine Eintrittskarte für den Saal; der Vorsitzende des Landesverbands von Illinois sagte, er sei bereits mit Anfragen überschwemmt worden, und konnte mir nur eine Karte für das Gelände geben. Am Ende sah ich mir die meisten Reden auf den verschiedenen, im Staples Center verteilten Bildschirmen an oder wurde gelegentlich von Freunden oder Bekannten in Ehrenlogen mitgenommen, wo ich ganz offensichtlich nicht hingehörte. Bis Dienstagabend hatte ich erkannt, dass meine Anwesenheit auf dem Parteitag weder mir noch der Demokratischen Partei etwas nutzte, und am Mittwochmorgen saß ich im ersten Flug zurück nach Chicago.

Angesichts des Kontrasts zwischen meiner damaligen Rolle als ungebetener Zaungast und meiner neuen Rolle als Grundsatzredner war die Sorge, dass mein Auftritt in Boston zum Debakel werden könnte, nicht ganz abwegig. Aber vielleicht weil ich inzwischen gewohnt war, dass in meinem Wahlkampf merkwürdige Dinge passierten, war ich nicht sonderlich nervös. Einige Tage nach dem Anruf von Ms. Cahill war ich wieder in meinem Hotelzimmer in Springfield und machte mir Notizen für einen ersten Entwurf der Rede, während ich mir ein Basketballspiel ansah. Ich dachte an die Themen, die ich im Wahlkampf angesprochen hatte: die Bereitschaft der Leute, hart zu arbeiten, wenn sie die Chance dazu bekamen; die Notwendigkeit, dass der Staat mit dazu beitrug, solche Chancen zu schaffen; die Überzeugung, dass die Amerikaner untereinander loyal waren. Ich machte eine Liste der Dinge, die ich vielleicht ansprechen wollte: das Gesundheitswesen, das Bildungswesen, den Krieg im Irak.

Vor allem jedoch dachte ich an all die Leute, mit denen ich im Wahlkampf gesprochen hatte. Ich erinnerte mich am Tim Wheeler und seine Frau in Galesberg, die nicht wussten, wie sie ihrem Sohn im Teenageralter die benötigte Lebertransplantation finanzieren sollten. Ich erinnerte mich an einen jungen Mann namens Seamus Ahern in East Moline, der kurz vor der Abreise in den Irak stand, an seinen Wunsch, seinem Land zu dienen, und an den Ausdruck von Stolz und Sorge auf dem Gesicht seines Vaters. Ich erinnerte mich an eine junge schwarze Frau, die ich in East St. Louis getroffen und deren Namen ich nicht verstanden hatte und die mir von ihren Anstrengungen berichtete, aufs College zu gehen, obwohl niemand in ihrer Familie je einen Highschool-Abschluss geschafft hatte.

Ich war nicht nur gerührt über die Mühen, die diese Frauen und Männer auf sich nahmen. Noch mehr rührte mich ihre Entschlossenheit, ihr Vertrauen auf ihre eigene Kraft, ihr ungeheurer Optimismus angesichts widriger Umstände. Mir kam dabei eine Wendung in den Sinn, die mein Gemeindepfarrer Rev. Jeremiah A. White einmal in einer Predigt gebraucht hatte.

Die Kühnheit der Hoffnung.

Sie war das Beste an unserem Geist als Amerikaner, dachte ich, die Kühnheit: Wir glaubten trotz aller gegenteiligen Anzeichen, dass wir in einem von Konflikten zerrissenen Land wieder ein Gemeinschaftsgefühl herstellen könnten; die Frechheit zu glauben, dass wir trotz persönlicher Rückschläge wie dem Verlust des Arbeitsplatzes oder einer Krankheit in der Familie oder einer durch Armut beschwerten Kindheit eine gewisse Kontrolle über unser Schicksal und deshalb eine gewisse Verantwortung für dieses hatten.

Es war diese Kühnheit, dachte ich, die uns als Volk miteinander verband. Es war dieser alles durchdringende Geist der Hoffnung, der die Geschichte meiner Familie mit der größeren amerikanischen Geschichte verband und meine eigene Geschichte mit der Geschichte der Wähler, die ich zu vertreten versuchte.

Ich machte das Basketballspiel aus und begann zu schreiben. Ein paar Wochen später kam ich in Boston an, schlief drei Stunden und fuhr dann von meinem Hotel ins Fleet Center zu meinem ersten Auftritt in Meet the Press. Gegen Ende des Gesprächs ließ Tim Russert für die Zuschauer einen Auszug aus einem Interview auf den Schirm projizieren, das ich 1996 dem Cleveland Plain-Dealer gegeben und inzwischen völlig vergessen hatte. Damals hatte mich der Reporter (als einen Mann, der gerade seine Politikerkarriere begann, indem er für den Senat von Illinois kandidierte) gefragt, was ich vom Wahlparteitag der Demokratischen Partei in Chicago hielte.

Der Parteitag steht zum Verkauf, stimmt’s … Da gibt es diese Dinner, wo das Gedeck 10000 Dollar kostet, so genannte Golden Circle Clubs. Ich glaube, wenn die Durchschnittswähler das sehen, fühlen sie sich zu Recht vom politischen Prozess ausgeschlossen. Sie können kein Frühstück für 10 000 Dollar bestellen. Und sie wissen, dass die Leute, die es können, dabei Beziehungen knüpfen, die sie selbst sich nicht einmal vorstellen können.

Als das Zitat vom Schirm verschwand, sagte Russert zu mir: »Für diesen Parteitag haben hundertfünfzig Spender vierzig Millionen Dollar gespendet. Es ist schlimmer als in Chicago, wenn man Ihre Maßstäbe anlegt. Stört Sie das? Und was für eine Botschaft vermittelt es dem Durchschnittswähler?«

Ich antwortete, dass politische Manipulation und Geld für beide Parteien ein Problem seien, dass jedoch das Abstimmungsverhalten von John Kerry und mir zeige, dass wir für das stimmten, was für das Land das Beste sei. Ich sagte, ein Parteitag werde daran nichts ändern, meinte jedoch, je besser es uns Demokraten gelinge, allen, die sich aus dem politischen Prozess ausgeschlossen fühlten, wieder die Teilnahme zu ermöglichen, umso mehr blieben wir unseren Ursprüngen als Partei des Normalbürgers treu und umso stärker würden wir als Partei sein. Im Stillen dachte ich, dass meine Stellungnahme von 1996 besser gewesen war.

Es gab eine Zeit, in der Wahlparteitage den Druck und die Dramatik in der Politik widerspiegelten, als die Nominierungen durch die Parteigeschäftsführer, durch Abstimmungen, durch Nebenabsprachen und Druckausübung entschieden wurden, als aufgrund von Leidenschaften oder Fehlkalkulationen zweite, dritte oder vierte Wahlgänge notwendig wurden. Aber diese Zeit ist lang vorbei. Dank der Einführung bindender Vorwahlen und der dringend notwendigen Beendigung der Herrschaft der Parteibosse und der schmutzigen Deals in verrauchten Hinterzimmern gibt es auf den Wahlparteitagen von heute keine Überraschungen mehr. Sie dienen vielmehr als einwöchige Informations- und Werbeveranstaltung für die Partei und den nominierten Kandidaten und als Mittel, die treusten Parteimitglieder und größten Spender durch vier Tage Essen, Trinken, Unterhaltung und politische Fachsimpelei zu belohnen.

Ich verbrachte den größten Teil der ersten drei Tage auf dem Parteitag, indem ich meine Rolle auf dieser Bühne spielte. Ich sprach auf Versammlungen wichtiger demokratischer Spender und frühstückte mit Delegierten aus allen 50 Staaten. Ich übte meine Rede vor einem Videobildschirm und wurde eingewiesen, wie ich zum Rednerpult gehen, wo ich stehen bleiben, wo ich winken und wie ich die Mikrofone am besten benutzen sollte. Mein Kommunikationsdirektor Robert Gibbs und ich trotteten die Treppen des Fleet Center hinauf und hinunter und gaben, manchmal im Abstand von zwei Minuten, Interviews an ABC, NBC, CBS, CNN, Fox News und NPR, wobei wir stets auf die Punkte zu sprechen kamen, die das Team von Kerry und Edwards vorgegeben hatte und die zweifellos durch eine Unzahl von Umfragen und eine Legion von Focusgruppen getestet worden waren.

Ich hatte in den drei Tagen so schrecklich viel zu tun, dass ich kaum Zeit hatte, mir Sorgen zu machen, wie meine Rede ankommen würde. Erst am Dienstagabend, nachdem meine Mitarbeiter und Michelle eine halbe Stunde darüber diskutiert hatten, welche Krawatte ich tragen sollte (wir entschieden uns schließlich für die Krawatte, die Robert Gibbs gerade trug), nachdem wir zum Fleet Center gefahren waren und Fremde unterwegs »Viel Glück!« und »Mach ihnen die Hölle heiß, Obama!« geschrien hatten und nachdem wir eine sehr nette und witzige Teresa Heinz Kerry in ihrem Hotelzimmer besucht hatten, erst dann, als ich schließlich allein mit Michelle hinter der Bühne stand und wir uns die Live-Übertragung im Fernsehen anschauten, wurde ich ein kleines bisschen nervös. Ich sagte Michelle, dass ich ein leichtes Grummeln im Magen habe. Sie umarmte mich fest, sah mir in die Augen und sagte: »Vermassle es bloß nicht, Junge.«

Wir mussten beide lachen. Just in diesem Moment erschien ein Mann von der Parteitagsregie in dem Warteraum und sagte, ich müsse jetzt meine Position hinter der Bühne einnehmen. Als ich hinter dem schwarzen Vorhang stand und zuhörte, wie Dick Durbin mich ankündigte, dachte ich an meine Mutter und meinen Vater und meinen Großvater und fragte mich, wie es für sie gewesen wäre, jetzt unten im Saal zu sitzen. Ich dachte an meine Großmutter, die sich den Parteitag in Hawaii im Fernsehen ansah, weil ihr Rückgrat so stark geschädigt war, dass sie nicht reisen konnte. Und ich dachte an all die ehrenamtlichen Wahlhelfer und Unterstützer, die daheim in Illinois so hart für mich gearbeitet hatten.

Lieber Gott, gib, dass ich ihre Geschichten richtig erzähle, sagte ich zu mir selbst. Dann ging ich auf die Bühne.

 

Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass mir die positiven Reaktionen auf meine Bostoner Rede — die Briefe, die ich bekam, die großen Menschenmengen, die zu unseren Veranstaltungen kamen, als ich wieder in Illinois war – keine persönliche Genugtuung gewesen wären. Schließlich war ich in die Politik gegangen, um einen gewissen Einfluss auf die öffentliche Debatte zu erlangen, weil ich dachte, ich hätte etwas darüber zu sagen, welche Richtung unser Land einschlagen sollte.

Trotzdem verstärkte die Flut von Publicity, die auf die Rede folgte, mein Gefühl dafür, wie vergänglich der Ruhm ist — abhängig von 1000 verschiedenen Zufällen und Ereignissen, die diese oder jene Wendung nehmen können. Ich weiß, dass ich heute nicht sehr viel klüger bin als der Mann, der vor sechs Jahren eine Weile auf dem LAX (dem internationalen Flughafen von Los Angeles) festsaß. Meine Ansichten über das Gesundheits- oder das Bildungswesen oder über die Außenpolitik sind nicht sehr viel ausgereifter als zu meiner Zeit als unbekannter Community Organizer. Wenn ich weiser geworden bin, dann vor allem, weil ich von dem Weg der Politik, den ich gewählt habe, ein ordentliches Stück zurückgelegt habe und weil ich einen flüchtigen Eindruck gewonnen habe, wie dieser Weg zum Guten oder zum Bösen führen könnte.

Ich erinnere mich an ein Gespräch, das ich vor fast 20 Jahren mit einem Freund führte, einem älteren Mann, der in den sechziger Jahren in Chicago in der Bürgerrechtsbewegung aktiv gewesen war und nun an der Northwestern University Urban Studies (Stadtentwicklung) lehrte. Ich hatte nach drei Jahren als Organizer gerade beschlossen, Jura zu studieren, und ihn, weil er einer der wenigen Hochschullehrer war, die ich kannte, gefragt, ob er mir eine Empfehlung schreiben würde.

Er sagte, er werde mir gern eine Empfehlung schreiben, aber zuerst wolle er wissen, was ich mit einem Juraabschluss vorhabe. Ich sagte, ich hätte Interesse, als Bürgerrechtsanwalt zu arbeiten und irgendwann vielleicht für ein politisches Amt zu kandidieren. Er nickte und fragte, ob ich mir überlegt habe, was ich alles tun könne, wenn ich einen solchen Weg einschlage. Was ich tun wolle, um es in die Redaktion der juristische Fachzeitschrift der Universität zu schaffen oder um Partner in einer Kanzlei zu werden oder um tatsächlich in mein erstes politisches Amt gewählt zu werden und danach Karriere als Politiker zu machen. In der Regel müsse man sowohl als Jurist wie als Politiker Kompromisse schließen; nicht nur Kompromisse in Einzelfragen, sondern Kompromisse grundsätzlicher Natur in Bezug auf Ideale und Werte. Er sage das nicht, um mich von meinem Vorhaben abzubringen. Es sei schlicht und einfach eine Tatsache. Er selbst sei in seiner Jugend oft gefragt worden, ob er nicht in die Politik gehen wolle, habe aber immer abgelehnt, weil er nicht bereit gewesen sei, Kompromisse zu schließen.

»Nicht, dass es unbedingt falsch ist, Kompromisse zu schließen«, sagte er. »Ich fand es nur nicht befriedigend. Und eines habe ich entdeckt, als ich älter wurde: Man muss das tun, was einen befriedigt. Tatsächlich ist es vermutlich einer der Vorteile des Alters, dass man endlich begriffen hat, was einem wichtig ist. Es ist schwer, das schon mit sechsundzwanzig zu wissen. Und das Problem ist, dass einem keine andere Person diese Frage beantworten kann. Man kann es nur selbst herausfinden.«

Zwanzig Jahre später denke ich an dieses Gespräch zurück und weiß die Worte meines Freundes mehr zu schätzen als damals. Ich komme nämlich jetzt selbst in ein Alter, wo ich zu beurteilen vermag, was mich befriedigt, und obwohl ich vielleicht bei Streitfragen ein wenig kompromissbereiter bin als mein Freund, weiß ich doch, dass meine Befriedigung nicht darin liegt, möglichst oft im Fernsehen zu kommen oder den Beifall der Massen zu erhalten. Stattdessen bereitet mir offenbar das Bewusstsein immer mehr Befriedigung, dass ich nachweislich Menschen dabei helfen kann, ihr Leben mit einem gewissen Maß an Würde zu leben. Mir kommt in den Sinn, wie Benjamin Franklin in einem Brief seiner Mutter erklärte, warum er so viel von seiner Zeit dem Dienst an der Allgemeinheit gewidmet hatte: »Mir ist es lieber, wenn man über mich sagt: Er führte ein nützliches Leben, als: Er starb reich.«

Heute befriedigt mich wohl vor allem Folgendes: Meiner Familie und den Menschen, die mich gewählt haben, von Nutzen zu sein und ein Erbe zu hinterlassen, durch das unsere Kinder in ihrem Leben mehr Hoffnung haben können als wir in unserem. Manchmal, wenn ich in Washington arbeite, habe ich das Gefühl, dass ich dieses Ziel erreiche. Aber manchmal kommt es mir auch so vor, als sei es in weite Ferne gerückt und meine gesamte Arbeit (die Anhörungen und Reden und Pressekonferenzen und Positionspapiere) sei nur eine Übung in Eitelkeit, die niemandem etwas nütze.

Wenn ich in einer solchen Stimmung bin, jogge ich gerne eine Runde. In der Regel laufe ich am frühen Abend, insbesondere im Sommer und Herbst, wenn die Luft in Washington warm und ruhig ist und die Bäume kaum rauschen. Nach Einbruch der Dunkelheit sind nicht mehr viele Leute unterwegs, nur wenige Paare, die einen Spaziergang machen, oder Obdachlose, die auf einer Bank sitzen und ihre Habseligkeiten ordnen. Meistens halte ich am Washington Monument an, aber manchmal laufe ich auch weiter zum National World War II Memorial, dann den Reflecting Pool entlang zum Vietnam Veterans Memorial und schließlich die Treppe hinauf zum Lincoln Memorial.

Sein Innenraum ist auch nachts beleuchtet, aber häufig leer. Ich stehe zwischen den Säulen und lese Lincolns Gettysburg-Rede und seine zweite Inaugurationsrede. Ich schaue auf den Reflecting Pool und stelle mir die Menschenmenge vor, die Martin Luther King 1963 mit der mächtigen Schlusskadenz der berühmten Rede besänftigte, die er beim Marsch auf Washington vor dem Lincoln Memorial hielt. Dann schaue ich etwas weiter in die Ferne zu dem beleuchteten Obelisken und der leuchtenden Kuppel des Kapitols.

Und an diesem Ort denke ich an Amerika und die Menschen, die es geschaffen haben. Ich denke an die Gründer dieser Nation, denen es irgendwie gelang, kleinlichen Ehrgeiz und engstirniges Kalkül zu überwinden und sich eine Nation vorzustellen, die sich auf einem ganzen Kontinent entfaltet. Ich denke an Männer wie Lincoln und King, die für das Bestreben, eine unvollkommene Union zur Vollendung zu bringen, schließlich ihr Leben geopfert haben. Und ich denke an all die gesichtslosen, namenlosen Männer und Frauen, Sklaven und Soldaten und Schneider und Metzger, die sich und ihren Kindern und Kindeskindern Stein für Stein, Schiene für Schiene, schwielige Hand für schwielige Hand ein eigenes Leben aufbauten und damit die Landschaft unserer kollektiven Träume belebten.

An diesem Prozess mochte ich gerne beteiligt sein.

Mein Herz ist erfüllt von Liebe für dieses Land.