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Felix Mitterer: Die Kinder des Teufels

HAYMON

Felix Mitterer

Die Kinder des Teufels

aus: STÜCKE 2

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Die Herausgabe der Werksammlung wurde vom Land Tirol, dem Bundesministerium für Unterricht und Kunst und von der Gemeinde Telfs gefördert.

© 1992

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, Mikrofilm oder in einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Aufführungsrechte für alle Stücke beim Österreichischen

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-7099-7110-9

Umschlaggestaltung:

Dieses Stück wurde dem Sammelband »Stücke 2«, erschienen 1992 im Haymon Verlag, entnommen. Den Sammelband »Stücke 2« erhalten Sie auch in gedruckter Form mit hochwertiger Ausstattung in Ihrer Buchhandlung oder direkt unter www.haymonverlag.at.

INHALT

Die Kinder des Teufels

Lebenslauf

DIE KINDER DES TEUFELS

1987 nahm Tristan Berger, Dramaturg vom Theater der Jugend in München, Kontakt mit mir auf und erzählte mir von einem Hexenprozeß gegen Kinder und Jugendliche, der 1675 bis 1681 in Salzburg stattfand und der größte und blutigste Prozeß seiner Zeit war. Im Zentrum stand dabei ein junger Mann namens Jakob Koller, genannt Zauberer-Jackl, der als Hexenmeister und Verführer der Jugend galt. Trotz umfangreicher Fahndung in halb Mitteleuropa und trotz Aussetzung einer hohen Belohnung konnte derJackl nie gefaßt werden. Dafür sperrte man Hunderte Kinder und Jugendliche ein, die bettelnd durch das Land zogen. Man preßte ihnen unter der Folter die schauerlichsten Geständnisse ab und verurteilte 133 von ihnen wegen Teufelspakt, Schadenzauber und anderer Delikte zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Die ermordeten Kinder fielen bald der Vergessenheit anheim, nur der Zauberer-Jackl ist bis heute in Salzburg eine bekannte Figur und taucht in zahlreichen Sagen auf.

Mich interessierte das Thema – auch mich hätte man damals wahrscheinlich als Bettelbuben verhaftet und verbrannt –, ich gab nur zu bedenken, daß ich keine Rücksicht nehmen könne auf eine gewisse Altersstufe der Besucher des Theaters der Jugend, daß ich die Geschichte so schreiben werden müsse, wie sie sich zugetragen habe, in all ihrer Schrecklichkeit. Dies wurde akzeptiert, und ich begann die Akten zu studieren, die im Hauptstaatsarchiv München und im Salzburger Landesarchiv liegen. Als ich so einen Originalakt zum ersten Mal in den Händen hielt, wurde mir fast schlecht dabei. Die Vorstellung, daß dieses Papier im Augenblick des Verhörs geschrieben wurde, im Zentrum des Terrors, diese Vorstellung war mir fast unerträglich. Dann stellte sich ein anderes Problem ein, ich konnte nämlich die zum Teil schlampige und flüchtige Handschrift (offenbar fehlte aus Personalmangel die Zeit, die Akten sauber in Reinschrift zu übertragen) nur sehr schwer entziffern. Ich würde Jahre brauchen, um die Akten durchzuarbeiten und abzuschreiben. Schon nahe am Aufgeben kam ich schließlich drauf, daß ein Dr. Heinz Nagl mir diese Arbeit schon abgenommen hatte, denn von ihm war an der Universität Innsbruck 1966 eine Dissertation erschienen, für die er sämtliche Prozeßakten ausgewertet hatte. Infolgedessen war ich nun doch in der Lage, das Stück zu schreiben, welches im April 1989 zur Uraufführung kam. Alle Geständnisse der Angeklagten sind authentisch und in den beiden genannten Archiven nachprüfbar. Was die Bettelkinder betrifft, so werden diese noch heute beiseitegeräumt, zum Beispiel in lateinamerikanischen Metropolen.

PERSONEN:

Das Gericht:

Kommissar (Hofrat Dr. Sebastian Zillner)

Freimann (Meister Moritz Ehegartner)

Schreiber (Hofgerichts-Taxator-Adjunkt Gregori Finsterwalder)

Zwei Freimannsknechte

Die Malefikanten:

Dionysus Feldner, der »Dreckstierer« (12)

Lisl Feldner, das »Klein-Liserl« (8)

Veit Lindner, der »krumme Veitl« (14)

Michl N., der »stockblinde Michl« (10)

Hanerl N., der »Schemfanger« (6)

Dofferl N., der »depperte Dofferl« (13)

Andree Mayer, der »Stadtschmeißer« (18)

Magdalena Pichlerin, die »Fetzen-Leni« (17)

Die Kinder bzw. Jugendlichen sind von jungen Schauspielern darzustellen, die Amtspersonen von Schauspielern im Originalalter.

ORT UND ZEIT DER HANDLUNG: Salzburg 1678

BÜHNE: Büro des Kommissars, darunterliegend die Zelle.

1. DIE BARBARA KOLLERIN BRENNT

2. BÜRO

Hinter einem Schreibtisch der Hexenkommissar Hofrat Dr. Sebastian Zillner. Vor ihm ein Kruzifix, Schreibzeug, ein paar Akten und leere Blätter zum Beschreiben. An einem zweiten Schreibtisch der Schreiber zwischen Stößen von Akten, die von Szene zu Szene wachsen werden, so daß er am Schluß fast darin verschwindet. Im Fußboden mehrere Falltüren, die zu den darunterliegenden Zellen führen. Irgendwo eine Ausgangstür, etwa in der Mitte hinten die Tür zur Folterkammer. Daneben eine Bank, auf ihr sitzen der Freimann Moritz Ehegartner (mit schwarzer Lederhalbmaske vor dem Gesicht und mit weißer Schürze) sowie der 1. und 2. Freimannsknecht. Ein großer Weihwasserkessel, darin ein Wedel und eine Spritze (ähnlich einer Klistierspritze). Irgendwo ein Stuhl. Vor dem Schreibtisch des Kommissars steht der Bettelbub Dionysus Feldner alias »Dreckstierer« (12) mit seitlich hängendem Kopf (eine Behinderung), aber guten Mutes. Er trägt noch keine Ketten, ist barfuß, hat zerfetzte, dreckige Kleidung am dreckigen Leib, am Kopf den Grind (Räude). Der Schreiber schreibt in rasender Eile nicht nur alles mit, was gesprochen wird, sondern auch, wie sich der Malefikant verhält. Der Kommissar hat einen Fragebogen vor sich, an den er sich aber meistens nicht hält, weil er sich auf die jeweilige Situation einstellt und er jedem Malefikanten anders beizukommen versucht. Während der Antworten macht er sich immer wieder kurze Notizen, z. B. wenn etwas Neues auftaucht, was er auch die anderen Buben fragen möchte, oder wenn er später auf etwas zurückkommen möchte und den Redefluß jetzt nicht stoppen will, oder wenn ihm eine neue Frage einfällt, die er später stellen möchte.

KOMMISSAR: Bist du dir ganz sicher, daß der Zauberer-Jackl lebt?

DIONYSUS: (erstaunt) Freilich lebt er!

KOMMISSAR: (freundlich) Nimm deinen Kopf hoch!

DIONYSUS: Kann ich nicht! Verzeihung, Herr!

KOMMISSAR: Du kannst nicht?

DIONYSUS: Nein, Herr. Es zieht ihn mir herunter.

Der Kommissar schaut Dionysus ruhig an, blickt dann auf seine Unterlagen.

KOMMISSAR: So, wohl! Beginnen wir das Examen! (Bekreuzigt sich.) In nomine domini! (Zu Dionysus:) Wie heißt du?

DIONYSUS: Dionysus Feldner.

KOMMISSAR: Spitzname?

DIONYSUS: Dreckstierer.

KOMMISSAR: Warum?

DIONYSUS: Weil mir der Kopf hängt. Schau ich beim Gehn auf den Boden.

KOMMISSAR: Alter?

DIONYSUS: Weiß ich nicht. Vierzehn, glaub ich.

KOMMISSAR: (lächelt) Wenn du zwölf bist, dann ist es viel! Wo geboren?

DIONYSUS: Schellenberg.

KOMMISSAR: Deine Eltern?

DIONYSUS: Von der Mutter weiß ich nichts. Die ist tot. Der Vater ist gewesen Knecht in Schellenberg. – Aber ich find ihn nicht mehr.

KOMMISSAR: (zum Schreiber) Inquisition einholen beim Pfarramt Schellenberg! Aus dem Taufbuch das Alter des Buben erheben!

Der Schreiber nickt, notiert.

KOMMISSAR: (zu Dionysus) Du gehst dem Almosen nach?

DIONYSUS: Im Sommer helf ich den Bauern. Wenn sie mich nehmen.

KOMMISSAR: Tritt näher.

Dionysus tritt bereitwillig ganz an den Tisch heran.

KOMMISSAR: (freundlich, aber leicht angeekelt) Nicht so nahe! Einen Schritt zurück!

Dionysus tritt bereitwillig einen Schritt zurück, der Kommissar schaut ihn von oben bis unten an.

KOMMISSAR: Fühlst du dich gesund?

DIONYSUS: Manchmal fall ich hin. Aber sonst ... (Lächelt.) Ochsen kann ich halt keinen aufheben!

KOMMISSAR: (zum Schreiber) Kranke, brüchige Person. Am Kopf den Grind.

Der Kommissar schaut Dionysus eine Weile an.

DIONYSUS: Ich hab dem Amtmann von Großarl schon alles erzählt. Hat man auch alles aufgeschrieben.

KOMMISSAR: Ich weiß. – Warum hat man dich festgenommen?

DIONYSUS: Weiß ich nicht.

KOMMISSAR: Wie war das? Erzähl!

DIONYSUS: Ich bin auf einem Hügel gestanden und hab einem Bussard zugeschaut. Der ist so schön geflogen.

KOMMISSAR: Wie machst du das mit deinem Kopf? Hinaufschauen ...

DIONYSUS: Er ist unter mir gewesen. Hat Mäuse gesucht.

KOMMISSAR: Weiter!

DIONYSUS: Hab ich mir gewünscht, daß ich auch fliegen kann. Hab ich die Arme ausgebreitet, und auf und nieder wie der Bussard! Da ist auf einmal der Gerichtsdiener von Großarl hinter mir gestanden. Hat gefragt, was ich tu. Hab’s ihm gesagt. Hat er mich gefragt, ob ich den Schinter-Jackl kenne. Hab ich ja gesagt. Hat er mich mitgenommen.

KOMMISSAR: (schaut auf ein Papier vor sich) Du hast gleich ja gesagt?

DIONYSUS: Nein.

KOMMISSAR: Sondern?

DIONYSUS: Der Gerichtsdiener hat mich gehaut.

KOMMISSAR: Wie schaut denn der Jackl aus?

DIONYSUS: Ziemlich lang und hager. Lichtes, langes Haar. Lichtes Bartl unter der Nase. Die Nase ist krumm.

Der Kommissar schaut zum Schreiber, der sucht hektisch nach Papieren, findet das Gesuchte.

SCHREIBER: (liest Ausschnitte) Barbara Kollerin beschreibt ihren Sohn, 17. Januar 1675: Jackl sei zirka zwanzig Jahre alt, hager im Gesicht, schwarzes, langes, glattes Haar, kein Bart. Aussage Paul Kaltenpacher, 17. Januar 1675: langes, rotes Haar. Aussage Hans Thanhauser, 30. Juni 1675: Jackl sei lang von Statur, hager im Gesicht, graue Augen, krumme Nase, langes, schwarzes und glattes Haar, keinen Bart.

KOMMISSAR: Bleibst du bei deiner Aussage?

DIONYSUS: Ja. Ist die Wahrheit.

KOMMISSAR: Woher weißt du, daß es der Jackl war?

DIONYSUS: Er hat es mir gesagt.

KOMMISSAR: Du weißt, daß seine Mutter brennen mußte?

DIONYSUS: Ja. Er hat es mir gesagt.

KOMMISSAR: Was hat er gesagt?

DIONYSUS: Daß sie brennen mußte.

KOMMISSAR: Und weiter?

DIONYSUS: Daß man ihn auch brennen will.

KOMMISSAR: Und?

DIONYSUS: Daß man ihn nicht erwischen wird.

KOMMISSAR: Warum nicht?

DIONYSUS: Weil er sich unsichtbar machen kann. Hat er gesagt.

KOMMISSAR: Glaubst du das?

DIONYSUS: Naja ...

KOMMISSAR: Was?

DIONYSUS: Vielleicht gibt er auch nur an!

KOMMISSAR: (lächelnd) Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß! Was?

DIONYSUS: (lacht) Ja!

KOMMISSAR: Wo hast du den Jackl getroffen? Und wann?

DIONYSUS: In Golling. Anfang Mai.

Der Kommissar schaut zum Schreiber, der sucht fieberhaft ein Schreiben, findet es.

SCHREIBER: Nachricht des Amtmannes von St. Wolfgang: Jakob Koller, genannt Schinter-Jackl vulgo Zauberer-Jackl, anhier am Karfreitag, den 16. April 1677, aus unbekannter Ursach verstorben und am Schintanger begraben.

Der Kommissar schaut Dionysus an.

DIONYSUS: (nach einer Weile) Er hat gesagt, er ist es.

KOMMISSAR: Wie lange warst du mit ihm zusammen?

DIONYSUS: Acht Tage.

KOMMISSAR: War noch jemand dabei?

DIONYSUS: Am Anfang der krumme Veitl.

KOMMISSAR: Sein Nachname?

DIONYSUS: Weiß ich nicht.

KOMMISSAR: Wie alt?

DIONYSUS: Vierzehn. Sechzehn. Weiß nicht genau.

KOMMISSAR: Woher?

DIONYSUS: Seekirchen. Hat er gesagt.

KOMMISSAR: Er ist krumm?

DIONYSUS: Der linke Fuß ist eingebogen.

KOMMISSAR: Es heißt, der Jackl sei immer mit mehreren Buben unterwegs.

DIONYSUS: Ja ...

KOMMISSAR: Aber diesmal nicht?

DIONYSUS: Nein.

KOMMISSAR: Wo seid ihr überall gewesen?

DIONYSUS: Golling, Werfen, Bischofshofen, Großarl.

Der Kommissar schaut Dionysus an, schaut zum Freimann, dieser steht auf.

KOMMISSAR: Zwanzig wohlempfindliche mit der geweihten Rute!

Die zwei Knechte stehen auf, kommen her, packen den überraschten Dionysus unter den Achseln, tragen ihn zur Folterkammertür, der Freimann macht sie auf, die Knechte tragen Dionysus hinein, der Freimann folgt ihnen, läßt die Tür offen. Wir sehen Teile der Einrichtung. Leiter, Aufzug (daneben Gewichte), Bock, an der Wand Daumstock, zwei Beinschrauben (spanische Stiefel), eiserne Schandmasken; ein Weihwasserkessel, in dem ein Wedel und eine Rute liegen. Der Freimann geht zum Kessel, nimmt die Rute heraus, läßt sie durch die Luft sausen, verschwindet im Raum. Man hört die Schläge klatschen, Dionysus schreit nicht.

KOMMISSAR: (zum Schreiber) Gibt keinen Laut von sich, während er mit der Rute gestrichen wird.

Der Schreiber schreibt es auf, hat dann Pause, macht mit der Schreibhand Fingergymnastik. Die zwanzig Streiche sind getan, der Freimann legt drinnen die Rute in den Kessel zurück, die Knechte führen Dionysus heraus, stellen ihn vor dem Kommissar ab, setzen sich wieder. Auch der Freimann kommt heraus, schließt die Tür, setzt sich auf die Bank. Der Kommissar betrachtet Dionysus ruhig.

KOMMISSAR: Du hast den Jackl wirklich getroffen?

DIONYSUS: Ja.

KOMMISSAR: Verspürst du keinen Schmerz?

DIONYSUS: Doch.

KOMMISSAR: Du schreist nicht, wenn du geschlagen wirst?

DIONYSUS: Die Bauern mögen das nicht.

KOMMISSAR: Wie?

DIONYSUS: Die Bauern haun mich oft. Wenn ich schrei, dann werden sie bös. Und geben mir noch eine Tracht.

KOMMISSAR: Das ist bei uns nicht so.

Eine Weile Schweigen.

KOMMISSAR: Hast du etwas gelernt vom Jackl?

DIONYSUS: Nein.

KOMMISSAR: Hat er etwas Ungewöhnliches gemacht, wie du bei ihm warst?

DIONYSUS: Nein.

KOMMISSAR: Warum bist du mit ihm gegangen?

DIONYSUS: Allein unterwegs, das ist nichts! Da wird man auch eher gehaut.

KOMMISSAR: Wie hat er dich angesprochen?

DIONYSUS: Wo gehst du hin, Bübl?

KOMMISSAR: Und du?

DIONYSUS: Dem Kleinbrot nach, hab ich gesagt.

KOMMISSAR: Und er darauf?

DIONYSUS: Geh mit mir, du wirst es gut haben.

KOMMISSAR: Hattest du keine Angst vor ihm?

DIONYSUS: Warum?

KOMMISSAR: Er ist ein Zauberer! Genau wie seine Mutter! Das weißt du doch!

DIONYSUS: Man hört so viel ...

Eine Weile Schweigen.

KOMMISSAR: (zum Freimann) Ausziehen, scheren, visitieren, Hemd, Ketten! Feststellen, ob geschlechtsreif! Beeilung, wenn ich bitten darf!

Der Freimann und die Knechte stehen auf, der Freimann öffnet die Tür zur Folterkammer und geht hinein, die Knechte kommen zu Dionysus, heben ihn hoch, tragen ihn in die Folterkammer.

KOMMISSAR: (ruft) Die alte Kleidung gründlich nach geheimen Mitteln durchsuchen. Sodann verbrennen!

Einer der Knechte nickt, sie verschwinden alle im Raum. Später hört man das Klappern der Schere und dann das Klirren der Ketten.

KOMMISSAR: (zum Schreiber) Auskunft über den sogenannten krummen Veitl in Seekirchen einholen!

Der Schreiber notiert.

KOMMISSAR: Verhaftungsbefehl krummer Veitl nach Golling, Werfen, Bischofshofen, Großarl. Beschreibung laut Feldner. Der volle Name folgt.

Der Schreiber notiert.

KOMMISSAR: Auftrag an den Pfleger von Hüttenstein, die Leiche des angeblichen Jakob Koller in St. Wolfgang zu exhumieren und in Augenschein zu nehmen. Mit den Beschreibungen Kollerin, Kaltenpacher, Thanhauser und Feldner vergleichen.

Der Schreiber notiert.

KOMMISSAR: Hat man in Großarl etwas bei Feldner gefunden?

SCHREIBER: (schaut hektisch nach) Nichts! Nichts! Doch! Die Tatze eines Tieres an einer Schnur um den Hals gehängt! Laut Aussage Feldner eine Maulwurfstatze. (Liest:) Erklärt, sei gut gegen das Hinfallende.

KOMMISSAR: Wo ist diese Tatze?

SCHREIBER: (sucht) Nicht da! Nicht da! Nicht da!

KOMMISSAR: Anweisung an die Landgerichte, in Zukunft jede verdächtige Person sofort bei der Festnahme gründlichst durchsuchen! Auch den letzten Aufenthaltsort. Mögliche Dinge: Salben, Pulver, Häfen mit Ungeziefer, Menschenknochen, mit Nadeln durchstochene Bilder, Wahrsagespiegel, Verbündnisbriefe, Zauberkunstbücher und dergleichen mehr! Alles mitschicken!

SCHREIBER: Jawohl, Herr Hofrat! (Notiert.)

KOMMISSAR: Schlamperei, elende!

Dionysus kommt aus der Folterkammer, hinter ihm der Freimann und die Knechte. Dionysus ist nun kahlgeschoren und nackt, trägt ein schwarzes, langes, kurzärmeliges Hemd zusammengeknüllt vor sein Geschlecht gedrückt, hat schwere, mit Schellen befestigte Ketten an Händen und Füßen. Der Freimann führt ihn vor den Kommissar, die Knechte setzen sich auf die Bank. Der Freimann hält einen Sperl (Nadel mit Griff) in der Hand.

FREIMANN: Nicht geschlechtsreif. Acht Zeichen. Nichts in den Kleidern und am Körper versteckt.

KOMMISSAR: Auch an den heimlichen Orten gründlich nachgeschaut?

FREIMANN: Natürlich, Herr Hofrat! (Schaut seine Hände an, wischt sie an der Schürze ab.)

KOMMISSAR: Die Hände gewaschen?

FREIMANN: Was? Nein!

KOMMISSAR: (ärgerlich) Ich bitte darum!

Der Freimann geht in die Folterkammer, kommt nach dem Händewaschen zurück, stellt sich hinter Dionysus und wartet.

KOMMISSAR: (währenddessen zu Dionysus) Was kann er alles, der Jackl?

Dionysus ist durch die Behandlung, die ihm widerfahren ist, total verstört.

DIONYSUS: Alles!

KOMMISSAR: Was? Sag es mir!

DIONYSUS: Mit einem schwarzen Käppi macht er sich unsichtbar!

KOMMISSAR: Das wissen wir bereits.

DIONYSUS: Er geht zum Gericht und horcht, was man sich über ihn erzählt.

KOMMISSAR: Unsichtbar ...

DIONYSUS: Ja.

KOMMISSAR: Könnte er jetzt hier sein? Hier, in diesem Raum?

DIONYSUS: (zwischen Hoffnung und Angst, plötzlich weinend) Ja!

Der Kommissar schaut Dionysus schweigend an, schaut zum Freimann, dieser fährt mit dem gebogenen Zeigefinger an die Wange von Dionysus, dieser zuckt zurück, der Freimann leckt den tränennassen Finger ab.

FREIMANN: (zum Kommissar) Echt! (Hebt den Sperl.) Soll ich jetzt?

KOMMISSAR: (sanft zu Dionysus) Du hast acht Zeichen am Körper ... Woher stammen sie? Erinnere dich! Es ist wichtig!

Dionysus schaut ratlos an sich hinunter.

FREIMANN: Drei Zeichen scheiden aus. Hier (zeigt am Rücken) das Muttermal, hier (zeigt an einen Finger der rechten Hand) eine entzündete Warze, hier (hebt den linken Fuß von Dionysus hoch, zeigt an der Sohle) eine eitrige Verletzung, die von einem Nagel stammen muß.

DIONYSUS: Ja, einen Nagel hab ich mir eingetreten.

KOMMISSAR: (zornig) Wie schaut er denn aus? Wie soll man denn da ein visum repertum durchführen? Hat doch fingerdick Dreck auf der Haut! – Die Malefikanten sind in Zukunft vor der Visitation zu waschen!

FREIMANN: (zu den Knechten) Ihr habt gehört!

KOMMISSAR: Das ist ja abscheulich! Der stinkt ja wie zehn Abdecker!

FREIMANN: (war selber Abdecker) Er hat Angst! Wer Angst hat, der stinkt!

KOMMISSAR: Waschen! In Zukunft waschen!

FREIMANN: Jawohl, Herr Hofrat! – Um weiterzufahren: verdächtig ist diese lange Narbe (zeigt an die rechte Wange), diese hier (zeigt an die linke Brustseite), die am linken Daumen (zeigt), diese hier (schiebt Dionysus das Hemd zur Seite, zeigt an der rechten Hüfte neben der Weiche eine Narbe), und die – (macht Dionysus den Mund auf) Zunge herausstrecken!

Dionysus streckt die Zunge heraus, der Freimann zeigt an eine Stelle.

FREIMANN: Hier! Auch eine Narbe!

KOMMISSAR: (zu Dionysus) Nun?

DIONYSUS: Ich bin hingefallen und hab mir in die Zunge gebissen.

KOMMISSAR: Weiter!

DIONYSUS: (zeigt an die Wange) Da hat mich ein Roß gebissen!

KOMMISSAR: Weiter!

DIONYSUS: (schaut auf den Daumen) Da hab ich mich beim Speckschneiden mit dem Messer geschnitten. (Zeigt an die linke Brustseite.) Da hat mich der krumme Veitl gestochen, weil ich vor ihm bei einem Bauern war, und der hat mir was gegeben, aber den Veitl hat er dann weggejagt. Das hat ihn gegiftet.

KOMMISSAR: Weiter!

DIONYSUS: (zeigt auf die Narbe an der Hüfte) Da bin ich letzten Sommer an eine Sense gelaufen.

KOMMISSAR: Hör zu, Dionysus! Eines von diesen fünf Zeichen ist das Zeichen des Teufels! Sag uns, welches!

Dionysus schweigt eine Weile.

KOMMISSAR: (sanft) Sag es uns!

DIONYSUS: (resigniert) Ich hab kein Teufelsmal.

Der Kommissar schaut den Freimann an, dieser winkt seinen Knechten, sie kommen her, einer hält den Leib von Dionysus von hinten mit dem linken Arm fest, die rechte Hand legt er über die Augen von Dionysus und drückt seinen Kopf an sich. Der zweite Knecht kniet sich hin und umschließt die Beine von Dionysus. Der Freimann schiebt Dionysus das Hemd beiseite und sticht mit dem Sperl in die Narbe an der Hüfte, Dionysus schreit auf. Der Schreiber hält das Zuschauen fast nicht aus, verzieht das Gesicht, schreibt die Reaktion von Dionysus auf. Der Freimann nimmt die linke Hand von Dionysus vom Hemd weg, das er hält, sticht in den Daumen, Dionysus schreit nicht auf, zuckt nur etwas zusammen. Der Freimann schaut den Kommissar an, dieser nickt (»Da ist es!«), schaut zum Schreiber, der zieht die Augenbrauen hoch, notiert. Der Freimann fährt mit dem Sperl zur linken Brustseite hoch.

KOMMISSAR: Vorsicht! Das Herz!

FREIMANN: (mißmutig) Herr Hofrat, ich weiß, wo sich das Herz befindet!

Der Freimann sticht schräg in die Narbe, Dionysus schreit auf. Der Freimann sticht in die Wange, Dionysus schreit.

FREIMANN: Zunge heraus!

Dionysus tut es nicht, der Freimann drückt ihm die Wange zusammen, Dionysus muß den Mund öffnen, der Freimann zieht die Zunge heraus, sticht hinein, Dionysus gurgelt auf. Der Freimann wischt den Sperl an seiner Schürze ab, schaut zum Kommissar.

KOMMISSAR: Danke!

Die Knechte lassen Dionysus los, gehen auf ihren Platz zurück, der Freimann schaut abwartend den Kommissar an, ist stolz, daß er das Zeichen gefunden hat.

KOMMISSAR: Danke, Freimann! Setzt Euch!

Der Freimann setzt sich zu seinen Knechten, Dionysus steht zitternd da, kann sich kaum auf den Beinen halten.

KOMMISSAR: (zum Schreiber) Das stigma diabolicum befindet sich am linken Daumen!

SCHREIBER: Schon aufgeschrieben, Herr Hofrat!

Der Kommissar schaut Dionysus an.

KOMMISSAR: Du kannst das Hemd anziehen!

Dionysus wendet sich ab, zieht das lange, schwarze Hemd über den Kopf, dreht sich wieder um.

KOMMISSAR: Dieses unempfindliche Mal an deinem Daumen beweist, daß du einen Bund mit dem Teufel geschlossen hast! Wie kam das?

Dionysus antwortet nicht.

KOMMISSAR: Der Jackl hat dich dem Teufel zugeführt! Stimmt’s? Wie geschah das?

DIONYSUS: (weinend) Mit dem Messer hab ich mich geschnitten!

KOMMISSAR: Es ist wie bei Jackls Mutter, wenn ich mich recht entsinne ... Schreiber!

Der Schreiber sucht hektisch in den Akten, wird fündig.

SCHREIBER: (liest)(Schaut auf.)