Tove Jansson

Die TOCHTER
des BILDHAUERS

Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer

INHALT

Das goldene Kalb

Das Dunkel

Der Stein

Feste

Anna

Der Eisberg

Die Meeresbuchten

Das Seerecht

Albert

Hochwasser

Jeremiah

Theater

Haustiere und Frauenzimmer

Die Tante, die eine Idee hatte

Der Tüllrock

Der Schnee

Röteln

Die Kunst des Fliegens

Weihnachten

DAS GOLDENE KALB

Mein Großvater war Pfarrer. Er pflegte vor dem König zu predigen. Einst, bevor seine Kinder, Kindeskinder und die Kinder der Kindeskinder die Erde bevölkerten, kam Großvater an eine lange grüne Wiese, die war von Wäldern und Bergen gesäumt und erinnerte an das Tal im Paradies. Am unteren Ende öffnete sich die Wiese zu einer Meeresbucht hin, in der Großvaters Nachkommen dereinst würden baden können. Da dachte Großvater, hier werde ich wohnen und mich vermehren, denn dies ist wirklich das Land Kanaan.

Dann bauten Großvater und Großmutter ein großes Haus mit einem Mansardendach und einer Menge Zimmer und Treppen und Terrassen und einer gewaltigen Veranda und stellten drinnen und draußen weiß gestrichene Holzmöbel auf, und als das erledigt war, begann Großvater zu pflanzen. Und alles, was er pflanzte, schlug Wurzeln und vermehrte sich, sowohl Blumen als auch Bäume, bis die Wiese in einen himmlischen Lustgarten verwandelt war, den Großvater mit seinem großen schwarzen Bart zu durchwandeln pflegte. Kaum zeigte er mit seinem Stock auf eine Pflanze, da war sie schon gesegnet und wuchs, dass es nur so krachte.

Das ganze Haus war von Geißblatt und wildem Wein bewachsen, und die Veranda hatte Wände aus lauter kleinen Rosen, die klettern konnten. Auf der Veranda saß Großmutter in einem hellgrauen Seidenkleid und erzog ihre Kinder. Sie wurde von so zahlreichen Bienen und Hummeln umsummt, dass es klang wie sehr leise Orgelmusik. Tagsüber schien die Sonne, nachts regnete es, und im Steingarten wohnte ein Engel, den man nicht stören durfte.

Der Engel wohnte immer noch dort, als Mama und ich angereist kamen und ins Westzimmer einzogen. Das Westzimmer hatte ebenfalls weiße Möbel, an den Wänden hingen ruhige Bilder, aber Skulpturen gab es keine.

Ich war ein Enkelkind. Karin war ebenfalls ein Enkelkind, allerdings hatte sie lockige Haare und sehr große Augen. Sie und ich spielten draußen auf der Wiese die Kinder Israels.

Gott wohnte auf dem Berg oberhalb des Steingartens, dort oben lag ein Sumpf, der war verboten. Bei Sonnenuntergang begann Gott sich auszubreiten, er ruhte wie ein Nebelschleier über dem Haus und der Wiese. Er konnte sich dünn machen und überall hineinkriechen, um nachzusehen, was man gerade anstellte, und manchmal war er auch nur ein großes Auge. Im Übrigen sah er ähnlich aus wie Großvater.

Karin und ich murrten in der Wüste und waren unentwegt ungehorsam, da Gott den Sündern so gerne vergibt. Gott verbot uns, unter dem Goldregenbusch Manna zu sammeln, aber wir sammelten trotzdem. Da schickte er Würmer aus der Erde, die das Manna auffraßen. Aber wir ließen uns nicht beirren, sondern waren weiterhin ungehorsam und murrten. Irgendwann würde er uns so sehr zürnen, dass er sich zeigte, darauf warteten wir die ganze Zeit. Der Gedanke war ungeheuerlich. Wir konnten an nichts anderes denken als an Gott. Wir brachten ihm Opfer dar, Heidelbeeren, Paradiesäpfel, Blumen und Milch, manchmal erhielt er auch ein kleines Brandopfer. Wir sangen ihm vor und baten ihn immer wieder darum, uns ein Zeichen zu geben, dass er sich für das, was wir taten, interessierte.

Und eines Morgens kam Karin und sagte, jetzt habe sie das Zeichen erhalten. Gott habe eine Goldammer in ihr Zimmer geschickt, und die habe sich auf das Bild mit Jesus, der auf dem Wasser geht, gesetzt und dreimal genickt.

»Wahrlich, wahrlich, ich sage dir«, sagte Karin. »Die Auserwählte ist noch stets zu Ehren gekommen.«

Sie zog ein weißes Kleid an und ging den ganzen Tag mit Rosen im Haar umher, sang Lobgesänge und benahm sich unnatürlich. Sie war schöner denn je, und ich hasste sie. Mein Fenster war ebenfalls offen gewesen. In meinem Zimmer hing ein Bild mit dem Schutzengel am Abgrund. Ich hatte Gott genauso viele Brandopfer gebracht und noch viel mehr Heidelbeeren gepflückt. Und was das Murren anbetraf, war ich mindestens so ungehorsam gewesen wie Karin, um die himmlische Vergebung zu erlangen.

Bei der Morgenandacht auf der Veranda machte Karin ein Gesicht, als würde Großvater nur für sie predigen. Sie nickte sachte mit nachdenklicher Miene. Sie faltete die Hände, lange bevor das Vaterunser an der Reihe war. Beim Singen hielt sie den Blick beharrlich an die Decke gerichtet. Nach dieser Sache mit der Goldammer gehörte Gott ausschließlich ihr.

Wir sprachen nicht mehr miteinander, und ich gab sowohl das Murren als auch das Opfern auf und war so eifersüchtig, dass mir schlecht wurde.

Eines Tages reihte Karin sämtliche Cousinen auf der Wiese auf, selbst die Kleinen, die noch nicht sprechen konnten, und hielt eine Bibelstunde für sie ab.

Da begann ich das goldene Kalb zu errichten.

In seiner Jugend, als Großvater vom allerheftigsten Pflanzfieber gepackt gewesen war, hatte er am untersten Ende der Wiese einen Kreis aus Tannen gepflanzt, da er dort eine Laube zum Kaffeetrinken haben wollte. Die Tannen wuchsen und wuchsen, sie wurden zu gewaltigen schwarzen Bäumen, deren Zweige durcheinander wucherten. In der Laube war es ganz dunkel, alle Nadeln fielen ab und blieben auf der nackten Erde liegen, da sie nie genügend Sonne bekamen. Niemand wollte mehr in der Tannenlaube Kaffee trinken, man setzte sich lieber unter den Goldregen oder auf die Veranda.

Ich errichtete mein goldenes Kalb in der Tannenlaube, weil es ein heidnischer Ort war und weil eine kreisförmige Umgebung sich immer gut für Skulpturen eignet. Es war sehr schwierig, die Beine des Kalbes zum Stehen zu bringen, aber schließlich klappte es, und ich nagelte sie sicherheitshalber am Sockel fest. Manchmal legte ich eine Pause ein und horchte, ob ich das erste Grollen von Gottes Zorn hörte. Vorläufig äußerte er sich jedoch nicht. Dafür schaute aber sein großes Auge durch das Loch zwischen den Tannenwipfeln geradewegs in die Tannenlaube herab. Endlich hatte ich sein Interesse geweckt.

Der Kopf des Kalbes wurde sehr gut. Ich arbeitete mit Blechdosen und Lumpen und einem alten Muff und band alles mit Schnüren zusammen. Wenn man ein paar Schritte zurücktrat und die Augen zukniff, schimmerte die Skulptur im Tannendunkel tatsächlich schwach golden, besonders um das Maul herum.

Mein Interesse an der Sache wuchs, und ich begann immer mehr an das goldene Kalb zu denken und immer weniger an Gott. Es wurde ein sehr gelungenes goldenes Kalb. Schließlich umgab ich es mit einem Kreis aus Steinen und sammelte dürre Zweige für ein Brandopfer.

Erst als das Brandopfer zum Anzünden bereit war, kam die Angst wieder angeschlichen, und ich blieb regungslos stehen und horchte.

Gott verhielt sich ganz still. Vielleicht wartete er darauf, dass ich die Streichhölzer hervorholen würde. Er wollte sehen, ob ich tatsächlich das Unerhörte wagen würde – ob ich dem goldenen Kalb opfern und ihm anschließend sogar noch vortanzen würde. Dann würde er in einer Wolke aus Blitzen und Strafen von seinem Berg herabkommen und zeigen, dass er meine Existenz zur Kenntnis genommen hatte. Dann könnte Karin mit ihrer ollen Goldammer und ihrer Heiligkeit und ihren Heidelbeeren einpacken!

Ich stand da und horchte und horchte, und das Schweigen wuchs, bis es unermesslich wurde. Alles horchte. Es war spät am Nachmittag, durch die Tannenhecke drang ein schwaches Licht und färbte die Zweige rot. Das goldene Kalb sah mich an und wartete, meine Beine kribbelten. Ich ging rückwärts auf die Öffnung zwischen den Tannen zu und ließ das goldene Kalb dabei nicht aus den Augen, ringsum wurde es heller und wärmer, und ich dachte, ich hätte es signieren können, auf dem Sockel. Draußen stand Großmutter, sie trug das schöne graue Seidenkleid, und ihr Mittelscheitel war so gerade wie der eines Engels.

»Na, was hast du denn gespielt?«, fragte sie und ging an mir vorbei. Sie blieb stehen, musterte das goldene Kalb und schmunzelte. Dann zog sie mich an sich, drückte mich zerstreut an die kühle Seide und sagte: »Sieh mal an, was du da gemacht hast. Ein kleines Lamm. Gottes kleines Lamm.«

Ich blieb stehen, meine Augen brannten heiß, aus allem fiel der Boden heraus, Gott zog sich wieder auf seinen Berg zurück und beruhigte sich. Sie hatte nicht einmal gesehen, dass es ein Kalb war! Ein Lamm, welch eine Schmach! Es erinnerte überhaupt nicht an ein Lamm, keine Spur! Ich stand lange da und sah mein Kalb an. Und Großmutters Kritik entkleidete es allen Goldes, und die Beine waren falsch, und der Kopf war falsch, alles war falsch, und wenn es überhaupt an etwas erinnerte, dann vielleicht an ein Lamm. Das Kalb war nicht gut. Es hatte nichts mit Skulptur zu tun.

Ich begab mich in die Abstellkammer für alles Mögliche, wo ich sehr lange sitzen blieb und nachdachte. Ich fand einen Sack. Den zog ich an, und dann begab ich mich auf die Wiese hinaus und rutschte mit gekrümmten Knien und zerrauften Haaren vor Karin herum.

»Was ist denn das?«, fragte Karin.

Da antwortete ich: »Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, ich bin ein großer Sünder.«

»Oh«, sagte Karin. Ich sah, dass sie beeindruckt war.

Ab da waren wir wieder normal und lagen unter dem Goldregen und flüsterten über Gott. Großvater wandelte umher und brachte alles zum Wachsen, und der Engel wohnte immer noch im Steingarten, als ob überhaupt nichts geschehen wäre.

DAS DUNKEL

Hinter der russischen Kirche gibt es einen Abgrund. Das Moos und die Abfälle sind glitschig, tief unten leuchten gezackte Konservendosen. Im Laufe von Jahrhunderten sind sie in immer höheren Stapeln an der Wand eines dunkelroten, langen Gebäudes ohne Fenster hochgewachsen. Das rote Gebäude kriecht um den Berg herum, und die Tatsache, dass es keine Fenster hat, ist sehr bedeutungsvoll. Hinter diesem Haus liegt der Hafen, ein stiller Hafen ohne Schiffe. Die kleine Holztür im Fels unterhalb der Kirche ist stets verschlossen.

»Du musst die Luft anhalten, wenn du an der Tür vorbeirennst«, sagte ich zu Poju. »Sonst kommt die Fäulnis heraus und holt dich.« Poju hat andauernd Schnupfen. Er kann Klavier spielen und hält immer die Hände vor sich ausgestreckt, als fürchtete er sich davor, angegriffen zu werden, oder als wollte er sich entschuldigen. Ich mache ihm Angst, und er läuft stets hinter mir her, damit ich ihm Angst machen kann.

Bei Einbruch der Dämmerung beginnt ein großes graues Wesen vom Meer hinterm Hafen heranzukriechen. Das Wesen hat kein Gesicht, dafür aber sehr deutliche Hände, mit denen es eine Insel nach der anderen bedeckt, während es vorankriecht. Wenn keine Inseln mehr da sind, streckt es den Arm übers Wasser, einen sehr langen Arm, der leicht zittert, und beginnt nach Skatudden zu tasten. Die Finger erreichen die russische Kirche und berühren den Berg – oh! Eine große graue Hand! Ich weiß genau, was das Unheimlichste von allem ist. Das ist die Schlittschuhbahn. An meinem Pullover ist ein sechseckiges Schlittschuhabzeichen festgenäht. Der Schlittschuhschlüssel hängt mir an einem Schnürsenkel um den Hals. Wenn man sich aufs Eis hinunterbegibt, merkt man, dass die Eisbahn nur ein kleines Armband aus Licht weit draußen in der Dunkelheit ist. Der Hafen ist ein Meer aus blauem Schnee, Einsamkeit und melancholischer frischer Luft.

Poju kann nicht Schlittschuhlaufen, seine Füße knicken nämlich unter ihm ein, ich dagegen muss aufs Eis. Hinter der Bahn lauert das graue kriechende Wesen, und die ganze Bahn ist von einem Ring aus schwarzem Wasser eingefasst. Manchmal beginnt das Wasser am Eisrand zu atmen, es bewegt sich sacht, ab und zu steigt es in einem Seufzer hoch und überflutet das Eis. Wenn man sich erst einmal auf die Schlittschuhbahn hineingerettet hat, ist es nicht mehr gefährlich, aber melancholisch wird man trotzdem.

Hunderte von schwarzen Menschen fahren im Kreis herum, alle in dieselbe Richtung, entschlossen und sinnlos, und in der Mitte sitzen zwei frierende Männer unter einer Plane und machen Musik. Sie spielen »Ramona« und »Wenn meine Alte da ist, bleib ich weg«. Es ist kalt. Die Nase läuft, und wenn man sie abwischt, entstehen Eiszapfen an den Handschuhen. Die Schlittschuhe müssen am Absatz festgemacht werden. Im Absatz ist eine Mulde aus Eisen, und die ist jedes Mal voller Steinchen, die ich mit dem Schlittschuhschlüssel herauspule. Dann sind da die steifen Riemen, die in ihre Löcher hineinsollen. Und dann fahre ich mit den anderen im Kreis herum, weil es gesund ist, an der frischen Luft zu sein und weil das Schlittschuhabzeichen sehr teuer war. Hier ist niemand, dem man Angst machen kann, alle fahren schneller, knirschend und quietschend fahren fremde Schatten an einem vorbei. Die Lampen schaukeln im Wind. Wenn sie ausgingen, würden wir im Dunkeln weiterfahren, immer im Kreis herum, und die Musik würde weiterspielen, und allmählich würde die Eisrinne ringsum breiter werden, sie würde heftiger klaffen und atmen, und der ganze Hafen würde zu einem schwarzen Wasser werden mit einer einsamen Insel aus Eis in der Mitte, auf der wir weiterfahren würden, in alle Ewigkeit, Amen. Ramona ist bildschön, bleich wie die Donnerbraut, und hat Jugendverbot. Aber die Donnerbraut habe ich im Wachsfigurenkabinett gesehen. Papa und ich, wir lieben Wachsfigurenkabinette. Die Donnerbraut wurde ausgerechnet in dem Augenblick vom Blitz erschlagen, als sie heiraten sollte. Der Blitz schlug in ihren Myrtenkranz ein und fuhr zu ihren Füßen wieder hinaus. Daher steht die Donnerbraut auch barfuß da, an ihren Fußsohlen kann man deutlich eine Menge gezackter Linien erkennen, wo der Blitz wieder hinausfuhr.

In einem Wachsfigurenkabinett wird einem vor Augen geführt, wie leicht es ist, Menschen kaputt zu machen. Sie können zermalmt, auseinandergerissen und in Stücke gesägt werden. Davor ist niemand sicher, und daher ist es auch so wichtig, dass man rechtzeitig ein Versteck findet.

Ich sang Poju immer wieder das Trauerlied vor. Er hielt sich die Ohren zu, hörte es aber dennoch. Das Leben ist eine Insel der Trauer, mitten im Leben berührt uns der Todesschauer, und übrig bleibt nur Staub! Die Schlittschuhbahn war die Insel der Trauer. Wir lagen unterm Esstisch und zeichneten sie auf. Poju nahm zum Zeichnen ein Lineal und einen zu harten Bleistift, er zeichnete jedes einzelne Brett im Bretterzaun und sämtliche Lampen. Ich selbst zeichnete immer mit einem 4 B und ausschließlich schwarz – die Dunkelheit auf dem Eis oder die Eisrinne oder tausend schwarze Menschen, die auf knirschenden Schlittschuhen im Kreis herumflohen. Poju begriff nicht, was ich zeichnete, und da nahm ich einen Rotstift und flüsterte: »Blutspuren! Das ganze Eis ist voller Blutspuren!« Und Poju schrie, während ich die Grausamkeit auf das Papier bannte, um zu verhindern, dass sie an mich herankam.

Eines Sonntags brachte ich ihm bei, wie er sich vor den Schlangen retten konnte, die in dem großen Plüschteppich in Pojus Wohnung verborgen waren. Man musste dabei vor allem beachten, dass man nur die hellen Streifen betreten durfte, alle Farben, die hell waren. Wer danebentrat, ins Braune, war verloren. Dort unten wimmelte es von Schlangen, das ließ sich gar nicht beschreiben, das musste man sich ausmalen. Jeder musste sich seine eigenen Schlangen ausmalen, da die des anderen niemals so schrecklich werden konnten.

Poju balancierte mit winzigen Schritten und ausgestreckten Händen über den Teppich, und sein großes feuchtes Taschentuch flatterte kläglich in der einen Hand.

»Jetzt wird’s schmal«, sagte ich. »Pass jetzt gut auf und versuch, auf diese helle Blume in der Mitte zu hüpfen!«

Die Blume befand sich schräg hinter ihm, vorher lief das Muster in einer dünnen Schlinge aus. Poju versuchte verzweifelt, das Gleichgewicht zu halten, er flatterte mit dem Taschentuch und begann zu schreien, dann stürzte er ab, ins Braun hinunter. Er schrie und schrie und wälzte sich auf dem Teppich, er rollte auf den Boden hinaus und von dort unter einen Schrank. Ich schrie ebenfalls. Dann kroch ich hinterher und nahm ihn in die Arme und hielt ihn fest, bis er sich beruhigt hatte.

Plüschteppiche sind gefährlich. Da ist es viel besser, in einem Atelier mit Zementboden zu wohnen. Das ist auch der Grund, warum Poju immer so gern in unsere Wohnung kommt.

Poju und ich graben uns einen Geheimgang durch die Wand. Ich habe schon ein gutes Stück geschafft, obwohl ich nur arbeiten kann, wenn ich allein bin. Die Holzverschalung war nicht allzu schwierig, doch danach musste ich zum Marmorhammer greifen. Pojus Loch ist viel kleiner, aber sein Vater hat ja auch so schlechtes Werkzeug, dass es eine wahre Schande ist.

Jedes Mal wenn ich allein bin, hebe ich den Wandbehang hoch und klopfe weiter; bisher hat noch niemand bemerkt, was ich treibe. Der Wandbehang ist aus Sackleinen, und Mama hat ihn bemalt, als sie jung war. Er stellt einen Abend dar. Aus dem Moos steigen gerade Stämme auf, und hinter den Stämmen ist der Himmel rot, weil die Sonne untergeht. Bis auf den Himmel ist alles in unbestimmte, dunkle, graubraune Töne getaucht, doch die schmalen roten Streifen leuchten wie Feuer. Ich liebe Mamas Bild. Es führt einen tief in den Wald hinein, tiefer als mein Loch, tiefer als Pojus Wohnzimmer, es führt ins Unendliche, und man kommt nie an den Punkt, von wo aus man sehen könnte, wo die Sonne untergeht, das Rot aber wird immer leuchtender. Ich glaube, es brennt! Da hinten ist eine große schreckliche Feuersbrunst, genau so eine Feuersbrunst, wie sie Papa immer erwartet.

Als Papa mir zum ersten Mal eine seiner Feuersbrünste zeigte, war es Winter. Er ging voraus übers Eis, und Mama kam hinterher und zog mich auf einem Schlitten. Der Himmel war rot, schwarze Menschen rannten umher, und etwas Entsetzliches war geschehen. Das Eis war mit schwarzen, stachligen Sachen übersät. Papa sammelte sie ein und legte sie mir in die Arme, sie waren sehr schwer und drückten auf meinen Bauch.

Explosion ist ein schönes Wort, und sehr groß ist es auch. Später lernte ich noch andere Wörter kennen, die man nur vor sich hin flüstern kann, wenn man allein ist. Unerbittlich. Ornamentik. Profil. Katastrophal. Elektrisch. Kolonialwarenladen.

Wenn man sie häufig wiederholt, werden sie immer größer. Man flüstert und flüstert und lässt das Wort wachsen, bis außer dem Wort nichts mehr vorhanden ist.

Ich frage mich, warum die Feuersbrünste immer nachts ausbrechen. Vielleicht interessiert Papa sich nicht für Feuersbrünste, die tagsüber brennen, weil der Himmel da nicht rot ist.