Petra K. Gungl

Tannenglühen

Bitterböse Weihnachten

Zum Buch

Schmutziges Geld Die Wiener Strafverteidigerin Franziska Ferstl wollte sich diese Weihnachten zur Ruhe setzten, doch als ihr Kollege Siegfried Fürstenstein erdrosselt aufgefunden wird und zudem Franziskas bester Freund Max, Seniorpartner der Kanzlei, unter Mordverdacht gerät, muss sie noch einmal ihr ganzes Können aufbieten, um ihn zu verteidigen. Gemeinsam mit dem jungen Rechtsanwalt Kurt Thesch deckt sie dubiose Offshore-Geschäfte eines russischen Oligarchen auf und stöbert in amourösen Affären. Viele Leute hatten Grund, Fürstenstein zu hassen – ein Netz aus Geheimnissen umgibt den Toten, und Franziska muss tief graben, ehe die prächtige Fassade der feinen Gesellschaft Stück für Stück unter ihren Nachforschungen zerbröckelt. Die Suche nach dem wahren Mörder wird zum gefährlichen Spiel mit dem Feuer …

Petra K. Gungl ist gebürtige Wienerin. Beruflich setzte sich die Juristerei gegen Kunst & Germanistik durch, und die promovierte Juristin arbeitete in den unterschiedlichsten Bereichen, darunter auch am Wiener Straflandesgericht. Das Verfassen von Texten war von jeher ein elementarer Teil ihres Lebens, und so nutzte Gungl eine berufliche Auszeit, um ihren ersten Roman zu schreiben. Seither sind bereits mehrere Werke der Autorin erschienen. Nach Familie und Schreiben ist das Training im Shaolintempel Austria ihre wichtigste Kraftquelle.

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Bisherige Veröffentlichungen im Gmeiner-Verlag:

Diabolisches Spiel (2016)

Diabolische List (2014)

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Alle Rechte vorbehalten

1. Auflage 2017

Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt

Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

ISBN 978-3-8392-5486-8

Haftungsausschluss

Der Inhalt des vorliegenden Romans, seine handelnden Personen, Namen, die erwähnten Firmen und Gesellschaften sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlich lebenden oder verstorbenen Personen sowie real existierenden Firmen und Gesellschaften wäre Zufall und ist von der Autorin nicht beabsichtigt. Äußerungen zu Personen des öffentlichen, politischen Lebens basieren auf Medienberichten.

Zitat

»Recht hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun.«

(Prof. Robert Walter, Zitat/Vorlesung:
»Einführung in die Rechtswissenschaften«, 1986)

SAMIRA

Niemand mag den Montagmorgen.

Ganz besonders nicht mit einem Brummschädel vom Weihnachtspunsch und abgefrorenen Fingern, die kaum den Schlüssel spüren, der in den schmalen Schlitz des Schlosses gesteckt werden soll.

Ihr Blick fällt auf das Messingschild, auf dem in schnörkeliger Schrift »Frank, Fürstenstein & Ferstl, Rechtsanwälte und Verteidiger in Strafsachen« steht. Wieder ein Jahr vorbei, ohne in ihrem Lebensplan weitergekommen zu sein. Samira seufzt. Wenn man in Wien Samira Dinic heißt, glauben alle, man ist Putzfrau oder Friseurin. Samira jedoch hat etwas aus sich gemacht – hat die Sekretärinnenakademie besucht, einen guten Job an Land gezogen und endlich auch Aussichten auf eine gute Heirat. Wobei, das mit der Heirat ist zum Problem geworden. Egal. Das neue Jahr wird ihr Neubeginn. Keine Spielchen mehr, dafür Nägel mit goldenen Köpfen machen.

Licht an, die Bühne ist bereit für das alltägliche Theaterspiel der Justiz. Mantel an den Haken, Mütze und Handschuhe zum Trocknen auf den Heizkörper. Er ist brennheiß. Im ganzen Vorraum kocht die Luft. Muffig, mit einem leichten Anflug von Fäkalien. Die Tür zur Toilette war geschlossen, und die Porzellanmuschel ist sauber, trotzdem betätigt Samira zur Sicherheit die Spülung. Diese Hitze! Der Thermostat ist auf 30 Grad Celsius eingestellt; kopfschüttelnd tippt sie eine 20 ein, klappt das Kästchen zu. Es fehlt an Sauerstoff, Schweiß klebt die Bluse unter ihren Achseln fest. Sie geht ins Sekretariat, lässt Winterluft hereinströmen, atmet auf. Radio an, gerade noch die Acht-Uhr-Nachrichten erwischt. Es bleibt kalt. Zeit für Kaffee.

In der Teeküche ist die Spüle randvoll mit Geschirr. Also haben die Anwälte am Wochenende gearbeitet und wie üblich den Geschirrspüler nicht gefunden. Sie füllt den Tank der Espressomaschine mit frischem Wasser und lässt Kaffeebohnen durch das Mahlwerk rasseln. Nebenher wird der Geschirrspüler ausgeräumt. Im Kühlschrank finden sich zwei Milchpackungen. Einem Caffè Latte steht nichts im Weg, dieser Montag ist gerettet.

Mit dem Kaffeeglas in der Hand macht Samira ihre Runde durch die Büros ihrer Chefs, öffnet die Fenster, nimmt unterwegs eine schmutzige Kaffeetasse mit und geht damit in die Teeküche. Bis zum Erscheinen des ersten Anwalts um 9.30 Uhr hat sie noch reichlich Zeit.

»Der Weihnachtsbaum also«, spricht sie mit sich selbst. Siegfried Fürstenstein hat zwar versprochen, das alljährliche Baumschmücken zu übernehmen, doch in den fünf Jahren ihrer Tätigkeit für die Anwaltskanzlei hat am Ende immer sie selbst den Baum aufgeputzt.

Vorraum oder Besprechungszimmer sind die möglichen Standorte für die Tanne, und dieses Jahr hat sich wegen der extrem ausladenden Zweige das Besprechungszimmer durchgesetzt. Kein Wunder, der Raum ist riesengroß, größer als Samiras eigene Wohnung. Bei Bedarf übernachten die Anwälte hier. Es gibt zwei Schlafsofas, einen Flachbildschirm, Barbereich und einen ovalen Besprechungstisch. Ein dicker Wollteppich liegt auf dem Eichenparkett wie eine verirrte Wolke. Sogar ein eigenes Bad steht zur Verfügung. Und immer noch reichlich Platz für einen Dreimeterbaum.

Samira nimmt einen Schluck Kaffee und stößt die Tür auf. Beißender Gestank, durch die hohe Temperatur im Raum verstärkt, raubt ihr den Atem – eine Mischung aus Ammoniak, Schwefel und Buttersäure – haben sich die Tore der Hölle geöffnet, just in der heiligsten Zeit des Jahres? Wenn, dann treffsicher in einer Rechtsanwaltskanzlei, verzieht Samira angewidert das Gesicht und hält sich den Arm vor Nase und Mund, hastet auf ein Fenster zu, um es aufzureißen. Erleichterung setzt ein, als die frische Luft ins Zimmer strömt.

Im Nacken fühlt sie ein Befremden, ein Prickeln und Nagen; sie möchte sich umwenden, scheut jedoch davor zurück. Das dämonische Gefühl entwickelt ein Eigenleben, bläht sich wie eine Kröte auf, droht zu platzen. Irgendetwas stimmt heute ganz und gar nicht, und ohne es zu wissen, ist sie dem Epizentrum der Ungeheuerlichkeit ganz nahe gekommen, das weiß irgendeine geheime Instanz in ihrem Kopf. Samiras Härchen an Armen und Beinen richten sich auf, sträuben sich gegen die Vorahnung, die jede Zelle ihres Körpers erfasst. Das Kaffeeglas in der Hand zittert in der eisigen Luft, die ihre Frisur zerzaust. Aus dem Radio im Sekretariat schmettert »Last Christmas« herüber, ganz normal, ganz alltäglich. Alles nur Einbildung, Fantasterei, redet sie sich gut zu. Samira dreht sich um, sieht zuerst die silberne Spitze der Tanne, folgt mit dem Blick der Lichterkette, die nur eine Hälfte der Zweige bedeckt.

Die untersten Äste berühren Männerbeine, das Gesicht ist im zentimetertiefen Wollteppich verborgen, die Arme sind angewinkelt, die Hände zum Hals ausgerichtet. Der Hals … Samiras Brust hebt sich, saugt Luft in die Lungen, atmet gegen das Schwarz an, das in sie eindringen will. Diesen dunkelblonden Haarschopf kennt sie, der weiße Hemdkragen, das Muttermal hinter dem Ohrläppchen … Sie hat es tausendmal geküsst, weil es ihn stets erregte und zu neuen Taten anstachelte. Jetzt zieht ein dünnes Kabel eine tannengrüne Trennlinie rund um den Hals, und Splitter von Glaslämpchen schneiden in die lila Haut. Darm und Blase haben ihre Dienste längst eingestellt und sich entleert. Marionettenfäden zwingen sie näherzukommen. Die Beine bewegen sich mechanisch. Sie sieht den Körper auf der weißen Wolke. Kein Arzt der Welt kann ihm mehr helfen – sie weiß es. Ihre Hände sind taub, das Glas entgleitet, verspritzt seinen Inhalt über Leiche und Teppich.

»Siegfried?« Ihre Stimme krächzt den Namen des Geliebten. »Siegfried?« Auf Knien kauert sie über seinem Leichnam. Berührt sachte seine Schultern, sein Haar, starrt wie hypnotisiert auf das Kabel, das um seinen Hals läuft. Ihre Kehle ist trocken. Er ist tot. Tot, ohne Zweifel, ohne Rückkehr. Das kann nicht sein. Jetzt rüttelt sie an seinen Schultern, hört sich »Nein« schreien, zieht und zerrt, bis er sich herumwälzen lässt und ausdruckslose Augen sie anstarren. Alles in ihr bäumt sich auf, Säure in ihrer Kehle lässt sich nicht aufhalten. Kaffee und heller Frühstücksbrei ergießen sich über das Unfassbare. Keuchend liegt sie auf die Unterarme gestützt neben ihm, fühlt nur die Krämpfe in Magen und Gedärm. Alle Gedanken sind abgeschnitten, dumpfer Wahnsinn breitet seine Schwingen über ihren Verstand. Er wird an Siegfrieds statt bei ihr bleiben.