Die Abenteuer des Huckleberry Finn

Über dieses Buch

Huckleberry Finn ist gewieft, gerissen und lügt, dass sich die Balken biegen. Er ist aber auch ein gefühlvoller, sensibler Erzähler, der ein detailreiches Porträt der Menschen und Orte entlang des Mississippi zeichnet. Die Abenteuer des Huckleberry Finn sind die Fortsetzung von Tom Sawyers Abenteuer: Der abenteuerlustige Huck, auf der Flucht vor seinem gewalttätigen Vater und dem zivilisierten Leben, trifft den entflohenen Sklaven Jim. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg in die Nordstaaten – auf einem Floß den Mississippi hinunter in Richtung Freiheit.

Hinweise zur E-Book-Ausgabe

Die E-Books des Reclam Verlags verwenden entsprechend der jeweiligen Buchausgabe Sperrungen zur Hervorhebung von Textpassagen. Diese Textauszeichnung wird nicht von allen Readern unterstützt.

Enthält das E-Book in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, so verweisen diese auf die Printausgabe des Werkes.

Wer versucht, in dieser Erzählung ein Motiv zu finden, wird gerichtlich belangt; wer versucht, eine Moral darin zu finden, wird des Landes verwiesen; wer versucht, eine Handlung darin zu finden, wird erschossen.

AUF BEFEHL DES AUTORS

DURCH G. G., Stabschef der Artillerie

 

Erklärung

In diesem Buch werden eine Reihe von Dialekten benutzt, nämlich: der Missouri-Negerdialekt, die extremste Form des hinterwäldlerischen Südwestdialekts, der gewöhnliche »Pike-County«-Dialekt und vier gemäßigte Varianten des Letzteren. Diese Schattierungen sind nicht willkürlich oder auf gut Glück vorgenommen worden, sondern sorgfältig und mit dem zuverlässigen Rat und der Unterstützung, die der Autor aus der persönlichen Vertrautheit mit diesen verschiedenen Sprachformen gewonnen hat.

Ich gebe diese Erklärung deshalb ab, weil sonst manche Leser meinen könnten, dass alle Figuren gleich zu sprechen versuchen und es ihnen nicht gelingt.

DER AUTOR

 

Ich verweise auf meine »Kurze Anleitung zum Lesen dieser Übersetzung«.

DER ÜBERSETZER

Ich lerne Moses und die Schilfer kennen

Ihr wisst nichts von mir, außer ihr habt das Buch mit dem Namen Tom Sawyers Abenteuer gelesen, aber das macht nichts. Das Buch hat Mark Twain geschrieben, und er hat die Wahrheit erzählt – fast. Es gibt Dinge, die er nicht so genau genommen hat, aber fast immer hat er die Wahrheit gesagt. Da ist nichts dabei. Ich hab noch keinen gesehn, der nicht ab und zu gelogen hat, außer Tante Polly oder die Witwe oder vielleicht Mary. Über Tante Polly – Toms Tante Polly ist das – und Mary und die Witwe Douglas steht alles in dem Buch, das fast immer wahr ist; mit ein paar Schwindeleien, wie ich schon gesagt habe.

Und so hört das Buch auf: Tom und ich fanden das Geld, das die Räuber in der Höhle versteckt hatten, und wir wurden reiche Leute. Wir kriegten sechstausend Dollar pro Kopf – alles in Gold. Es war ne irre Menge Geld, wie’s so auf einem Haufen lag. Ja, und der Richter Thatcher, der hat’s genommen und für uns angelegt, und das brachte uns das ganze Jahr über 1 Dollar pro Kopf und Tag ein – mehr als ein Mensch weiß, was er mit anfangen soll. Und die Witwe Douglas, die hielt mich wie ihren Sohn und war der Meinung, sie tsiwilisiert mich; aber es war hart, die ganze Zeit im Haus zu bleiben, wo sie in allem so fürchterlich pingelig und ordentlich war; und als ich’s nicht mehr aushielt, bin ich abgehauen. Ich bin wieder in meine alten Lumpen und mein großes Zuckerfass reingekrochen und war frei und zufrieden. Aber Tom Sawyer, der hat mich aufgespürt und gesagt, er will ne Räuberbande gründen, und ich könnt mitmachen, wenn ich wieder zur Witwe zurückgeh und mich anständig benehme. Also bin ich wieder hin.

Die Witwe, die hat über mich geheult und nannte mich ein armes verlornes Schaf und warf mir auch ne Menge Schimpfwörter an den Kopf, aber sie hat’s nie bös gemeint. Sie steckte

Nach dem Abendessen hat sie ihr Buch geholt und lernte mich was über Moses und die Schilfer; und ich war scharf drauf, alles über ihn zu erfahren; aber schon bald ließ sie’s raus, dass Moses schon ewig lang tot war; von da an ließ er mich kalt, weil, für Tote interessier ich mich nicht.

Nicht lange, da wollt ich rauchen und hab die Witwe gebeten, mich zu lassen. Aber sie wollte nicht. Sie sagte, das war ne üble Angewohnheit und war nicht sauber, und ich müsst versuchen, es nicht wieder zu tun. So sind eben einige Leute. Machen was mies, wenn sie gar nichts davon verstehn. Da hat sie sich über Moses aufgeregt, welcher nicht mal verwandt war mit ihr und keinem was nutzte, weil er ja tot war, und an mir hatte sie riesig was auszusetzen, weil ich was tat, was irgendwo auch sein Gutes hat. Dabei nahm sie selber Schnupftabak; natürlich war das in Ordnung, weil sie selber es tat.

Ihre Schwester, Miss Watson, ne ziemlich dürre alte Jungfer mit ner dicken Brille, war grade bei ihr eingezogen und rückte mir jetzt mit einer Lesefibel auf die Pelle. Sie nahm mich gut ne Stunde ziemlich hart ran, und dann ließ sie’s auf Geheiß von der Witwe lockrer angehn. Viel länger hätt ich’s nicht ausgehalten. Dann war’s ne Stunde todlangweilig, und ich wurde nervös. Miss Watson sagte dann immer: »Leg deine Füße nicht da drauf, Huckleberry«, und: »Zapple nicht so – setz dich grade«, oder:

Jetzt hatte sie mal angefangen und machte weiter und erzählte mir alles übern Himmel. Sie meinte, alles, was dort einer tun muss, wär, den ganzen Tag mit der Harfe rumlaufen und singen, für immer und ewig. Darum hab ich mir nicht viel draus gemacht. Aber gesagt hab ich das nie. Ich fragte sie dann, ob sie glaubte, dass Tom Sawyer hinkommt, und sie meinte, nie und nimmer. Ich war froh drüber, weil ich wollte, dass er und ich zusammenbleiben.

Miss Watson, die hat weiter auf mir rumgehackt, und es wurde langweilig und öde. Nicht lange, da holten sie die Nigger rein und hielten Andacht, und dann haben sich alle ins Bett verzogen. Ich bin mit nem Kerzenstummel rauf in mein Zimmer und stellte ihn auf den Tisch. Dann hockte ich mich auf einen Stuhl am Fenster und hab versucht, an was Fröhliches zu denken, aber es war zwecklos. Ich hab mich so einsam gefühlt, dass ich mir fast wünschte, ich wär tot. Die Sterne schienen, und die Blätter im Wald raschelten so unheimlich traurig; und weit weg hörte ich ne Eule schu-huhen wegen jemand, der tot war, und ein Schreiender Ziegenmelker und ein Hund klagten über jemand, der gerade im Sterben lag; und der Wind hat versucht, mir was zuzuraunen, und ich konnte nicht verstehn, was es war, und so sind mir kalte Schauer übern Rücken gelaufen. Dann hörte ich draußen im Wald so nen Laut, wie ihn ein Geist macht, wenn er

Zitternd an allen Gliedern hab ich mich wieder hingesetzt und holte meine Pfeife raus, um zu rauchen; das Haus war nämlich jetzt totenstill, und so würd die Witwe nichts merken. Nach langer Zeit hörte ich drüben im Ort die Turmuhr schlagen – bum – bum – bum – zwölf Schläge, dann war alles wieder still – noch stiller als vorher. Kurz drauf hörte ich nen Zweig knacken, unten im Dunkeln zwischen den Bäumen – irgendwas bewegte sich da. Ich saß still und hab gelauscht. Grade noch konnt ich hören, wie einer von unten »miau! miau!« rief. War das gut! »Miau! miau!«, echote ich zurück, so leis ich konnte, dann hab ich die Kerze ausgeblasen und bin zum Fenster rausgeklettert auf den Schuppen. Und ich rutsch runter auf den Boden und schleich zwischen den Bäumen lang, und natürlich!, da hat Tom Sawyer auf mich gewartet.

Unsre Bande schwört finstre Rache

Auf Zehenspitzen sind wir nen Pfad lang zwischen den Bäumen ans hintre Ende vom Garten der Witwe, gebückt, damit uns die Zweige nicht das Gesicht zerkratzten. Wie wir an der Küche vorbeikommen, fall ich über ne Wurzel und mach ein Geräusch. Wir haben uns geduckt und flach gelegt. Jim, Miss Watsons großer Nigger, saß in der Küchentür; wir konnten ihn ziemlich deutlich sehn, weil ein Licht hinter ihm an war. Er stand auf, streckte den Kopf vielleicht ne Minute lang raus und hat gelauscht. Dann ruft er:

»Is da wer?«

Er hat nochmal gelauscht; dann kam er auf Zehenspitzen runter und stand genau zwischen uns; beinah hätten wir ihn berühren können. Also, es vergingen viele Minuten, wo sich keiner regte – und wir alle so dicht beisammen. An meinem Knöchel fing ne Stelle an zu jucken; aber ich hab mich nicht getraut zu kratzen; dann fing mein Ohr an zu jucken; und gleich auch mein Rücken, genau zwischen den Schultern. Es war, wie wenn ich sterben müsst, wenn ich mich nicht kratzen konnte. Ich hab das seitdem immer wieder erlebt. Wenn man bei vornehmen Leuten ist, oder bei nem Begräbnis, oder wenn man einzuschlafen versucht und gar nicht schläfrig ist – wenn man irgendwo ist, wo man sich, egal warum, nicht kratzen darf, da juckt’s einen am ganzen Körper an mehr als tausend Stellen. Auf einmal sagt Jim:

»Los sag – wer bissen du? Wo bis du? Will verdammt sein, wenn ich net was ghört hab. Na, ich weiß, was ich jetzt tu. Setz mich hierhin und horch, bis ich widder was hör.«

Worauf er sich auf den Boden gesetzt hat, genau zwischen mich und Tom. Mit dem Rücken hat er an nem Baum gelehnt und seine Beine von sich gestreckt, bis er mit dem einen bald

Tom machte mir ein Zeichen – so ein leises Geräusch mit dem Mund – und wir sind auf allen vieren weggekrochen. Als wir zehn Fuß weit waren, hat Tom mir zugeflüstert, er wollt Jim aus Jux an den Baum fesseln; aber ich sagte nein; er könnt aufwachen und Lärm machen, und dann würden sie rauskriegen, dass ich nicht drin war. Dann sagte Tom, er hätt nicht genug Kerzen mit, und er wollt in die Küche schleichen und noch welche holen. Ich wollte nicht, dass er’s probiert. Jim könnt aufwachen und kommen, sagte ich. Trotzdem wollte Tom es riskieren; so sind wir reingeschlichen, holten drei Kerzen, und Tom legte fünf Cent dafür auf den Tisch. Dann kamen wir raus, und ich wollt nichts wie weg; aber Tom hat das immer noch nicht gereicht, er musste unbedingt auf allen vieren zu Jim kriechen und ihm nen Streich spielen. Ich hab gewartet, ne ganze Weile kam’s mir vor, alles war so still und einsam.

Als Tom zurückkam, machten wir uns auf die Socken, den Pfad lang, um den Gartenzaun rum, und bald waren wir oben am Steilhang auf der andern Seite vom Haus. Tom sagte, er hätt Jim den Hut vom Kopf gezogen und an einen Ast direkt über ihm gehängt, und Jim hätt sich ein bisschen gemuckst, war aber nicht aufgewacht. Später hat Jim erzählt, die Hexen hätten ihn verhext und ihn in Trance versetzt und ihn durch den ganzen Staat geritten und ihn dann wieder unter den

Also, wie Tom und ich oben auf dem Hügel ankamen, haben wir aufs Dorf runtergeguckt und konnten drei oder vier Lichter blinken sehn, bei kranken Leuten vielleicht; und die Sterne über uns funkelten noch so wunderschön; und unten beim Dorf war der Fluss, eine ganze Meile breit und unheimlich still und

Wir sind zu ner Gruppe von Büschen, und Tom ließ alle schwören, das Geheimnis nicht zu verraten, und dann hat er ihnen ein Loch im Hügel gezeigt, mitten im dichtesten Gebüsch. Dann haben wir die Kerzen angezündet und sind auf allen vieren reingekrochen. Wir kamen so ungefähr zweihundert Yard weit, und dann ist die Höhle breiter geworden. Tom ist in den Gängen rumgetappt und dann auf einmal unter ne Wand getaucht, wo keiner was von nem Loch vermutet hätte. Wir passierten dann ne enge Stelle und kamen in so’ne Art Zimmer, ganz feucht und klamm und kalt, und da machten wir halt. Da sagt Tom:

»Jetzt gründen wir die Räuberbande und nennen sie Tom-Sawyer-Bande. Jeder, der mitmachen will, muss nen Eid schwören und seinen Namen mit Blut schreiben.«

Alle wollten. Und da hat Tom ein Blatt Papier rausgeholt, wo er den Eid draufgeschrieben hatte, und las ihn vor. Der Eid hat jeden verpflichtet, zur Bande zu halten und nie eins von ihren Geheimnissen zu verraten; und wenn irgendwer einem von der Bande was antat, so musste jeder, der das befohlen bekam, denjenigen und seine Familie töten und hat nicht essen und nicht schlafen dürfen, bis er die alle getötet und ihnen ein Kreuz in die Brust gekerbt hatte, was das Zeichen der Bande war. Und keiner, der nicht zur Bande gehört hat, durfte das Zeichen verwenden, und wenn er’s doch tat, so kam er vor Gericht; und wenn er’s nochmal tat, musste er getötet werden. Und wenn einer aus der Bande die Geheimnisse verriet, musste ihm die Kehle durchgeschnitten, seine Leiche verbrannt und die Asche ringsrum verstreut werden, und sein Name musste von der Liste mit Blut gelöscht werden und durfte in der Bande nie wieder

Alle haben gesagt, das wär wirklich ein glänzender Eid, und wollten von Tom wissen, ob er von ganz allein drauf gekommen war. Tom sagte, teilweise, aber der Rest wär aus Piratenbüchern und Räubergeschichten, und jede Bande mit Grundsätzen hätte so einen.

Ein paar fanden, es wär gut, auch die Familie von dem zu töten, der die Geheimnisse verriet. Tom fand das auch ne gute Idee, und er hat nen Bleistift genommen und schrieb’s rein. Worauf Ben Rogers sagt:

»Aber Huck Finn, der hat doch gar keine Familie – was willsten mit dem machen?«

»Aber ’n Vater hat er doch, oder?«, sagt Tom.

»Ja klar, aber der ist jetzt nicht mehr aufzutreiben. Früher hat er immer betrunken bei den Schweinen in der Gerberei gelegen, aber seit nem Jahr oder noch länger hat er sich hier in der Gegend nicht mehr blicken lassen.«

Sie haben sich beraten und waren drauf und dran, mich auszuschließen, weil sie meinten, jeder müsst ne Familie oder irgendwen zum Töten haben, sonst wär’s unfair und ungerecht gegenüber den andern. Keiner kam auf ne Idee, was wir tun konnten – alle waren ratlos und saßen stumm da. Mir war zum Heulen; aber auf einmal fiel mir ein Ausweg ein, und ich hab ihnen Miss Watson angeboten – die konnten sie töten. Alle haben gerufen:

»Klar, die geht! Einverstanden! Bist dabei, Huck.«

Dann haben sich alle mit ner Nadel in den Finger gestochen für Blut zum Unterschreiben, und ich machte mein Zeichen auf das Papier.

»So«, sagt Ben Rogers, »und in was für ner Branche soll die Bande arbeiten?«

»Nur Morden und Rauben, sonst nichts«, sagt Tom Sawyer.

»Aber was solln wir rauben? Häuser – oder Vieh – oder –«

»Müssn wir die Leute immer töten?«

»Aber sicher, ist das Beste, ’n paar Kapazitäten denken da anders, aber meistens hält man’s fürs Beste, sie zu töten. Bis auf die paar wenigen, die ihr hierher in die Höhle schafft und erst freilasst, wenn sie ausgelöst werden.«

»Was issen das – auslösen?«

»Weiß ich nicht. Aber so wird’s gemacht. Das hab ich aus Büchern; und so müssen wir’s natürlich auch machen.«

»Aber wie denn? – wenn wir gar nicht wissen, was es ist?«

»Verdammt nochmal, wir müssen! Ich sag euch doch, so steht’s in den Büchern. Wollt ihr wirklich was andres machen, als wie’s in den Büchern steht, und ’n Kuddelmuddel am Ende?«

»Das sagst du so leicht, Tom Sawyer, aber wie zum Teufel solln die Burschen denn ausgelöst werden, wenn wir gar nicht wissen, wie wir’s ihnen antun sollen? Das isses, was ich wissen will! So, und jetzt sag mir endlich, wie’s geht!«

»Gut, zugegeben, ich weiß es nicht. Aber vleicht – wenn wir sie einsperren, bis sie ausgelöst werden – bedeutet das, dass wir sie gefangenhalten müssen, bis sie tot sind.«

»Na klar, so was muss es sein. Klingt gut. Wieso haste das nicht gleich gesagt? – Halten se fest, bis sie fürn Tod ausgelöst werden – bloß sind se dann für uns auch ’n lästiges Pack, fressen uns alles weg und versuchen dauernd abzuhaun.«

»Was redste da für ’n Stuss, Ben Rogers! Wie können die abhauen, wenn ne Wache bei ihnen ist, immer schussbereit, wenn sie bloß nen Mucks machen?«

»Ne Wache – das ist gut! Soll einer die ganze Nacht Wache schieben und nicht mal ne Mütze Schlaf kriegen, nur um die zu

»Weil’s so nicht in den Büchern steht – darum. Also, Ben Rogers, willst du die Dinge richtig machen oder nicht? – Das will ich jetzt mal wissen. Glaubst du, die Leute, die die Bücher geschrieben haben, wissen nicht, wie man korrekt vorgeht? Glaubst du, du kannst die was lernen? Nie im Leben! Nee, mein Freund, wir machen’s genau so und lösen sie auf die korrekte Art aus.«

»Gut, einverstanden – is mir auch egal; aber verrückt isses trotzdem. Sag mal, töten wir auch die Weiber?«

»Also, Ben Rogers, wenn ich so ’n Ignorant war wie du, tät ich’s nicht zeigen. Die Weiber töten? Nee – so was steht nirgendwo in den Büchern. Ihr schafft sie hierher und seid superhöflich zu ihnen; und schon bald verlieben sie sich in euch und haben keine Lust mehr auf zu Hause.«

»Na, wenn’s so ist, hab ich nichts dagegen, aber eigentlich interessiert’s mich gar nicht. Auf ein Schlag haben wir nämlich die Höhle vollgepfercht mit Weibern und Kerlen, die auf ihre Auslöse warten, und für die Räuber ist kein Platz mehr da. Aber mach nur weiter, ich hab ja nichts zu melden.«

Der kleine Tommy Barnes war inzwischen eingepennt, und als sie ihn geweckt haben, war er erschrocken und hat losgeheult, er wollt heim zu seiner Mama und kein Räuber mehr sein.

Alle haben ihn aufgezogen und ihn nen kleinen Schreihals genannt, und da wurd er wütend und hat gedroht, er würd gleich losrennen und alle Geheimnisse verraten. Aber Tom gibt ihm fünf Cent, damit er die Klappe hält, und sagte, wir würden jetzt alle gleich nach Hause gehen und uns nächste Woche wieder treffen, um irgend jemand auszurauben und ein paar Leute zu töten.

Ben Rogers sagte, er könnt nicht oft weg, nur am Sonntag, und darum wollt er am nächsten Sonntag anfangen; aber alle Jungs sagten, am Sonntag wär’s Sünde, und damit war die Sache entschieden. Sie beschlossen, wieder zusammenzukommen

Noch eh’s hell wurde, bin ich auf den Schuppen geklettert und zum Fenster reingekrochen. Meine neuen Klamotten waren total verschmiert und dreckig, und ich war hundemüde.

Wir lauern den A-rabern auf

Also, am Morgen kriegte ich nen Mordsrüffel von der alten Miss Watson wegen meinen Kleidern; aber die Witwe, die hat nicht geschimpft, die hat nur den Lehm und Dreck weggeputzt; sie sah so traurig aus, dass ich fand, ich sollt mich ne Weile benehmen, wenn ich’s irgendwie schaffe. Dann nahm mich Miss Watson mit in die Kammer und hat gebetet, aber raus kam nichts dabei. Sie sagte, ich sollt jeden Tag beten, und um was ich auch bitten würde, das würd ich kriegen. Aber das stimmte nicht. Ich hab’s probiert. Einmal hab ich ne Angelschnur gekriegt, aber keine Haken. Ohne Haken kann ich nichts anfangen. Ich hab’s drei- oder viermal wegen den Haken probiert, aber irgendwie hat’s nicht funktioniert. Eines Tages, nicht lang danach, hab ich Miss Watson gebeten, es für mich zu probieren, aber sie sagte, ich wär ein Dummkopf. Wieso, hat sie mir nicht gesagt, und ich bin auch nie dahintergekommen.

Ich hab mich draußen im Wald mal hingesetzt und lange drüber nachgedacht. Wenn einer, sag ich mir, alles bekommen kann, um was er betet, wieso kriegt dann der Diakon Winn das Geld nicht wieder, das er beim Schweinehandel verloren hat? Wieso kriegt die Witwe nicht ihre silberne Schnupftabakdose wieder, die man ihr gestohlen hat? Und warum wird Miss Watson nicht dicker? Nee, sag ich mir, da stimmt was nicht. Ich bin zur Witwe und hab’s ihr erzählt, und sie sagte, was einer durch Beten kriegen kann, wärn »geistige Gaben«. Das war zu hoch für mich, aber sie hat mir erklärt, was sie meinte – ich müsst den andern Menschen helfen, und alles, was ich kann, für sie tun, mich die ganze Zeit um sie kümmern und nie an mich selber denken. Einschließlich Miss Watson, soweit ich’s verstanden habe. Ich bin in den Wald und ließ mir alles lang durch den Kopf gehn, aber ich fand, das lohnte sich nicht – außer für die andern

Pap, der hatte sich über ein Jahr nicht mehr blicken lassen, und das war beruhigend; ich wollt ihn nicht mehr sehn. Er hat mich immer versohlt, wenn er nüchtern war und mich zu fassen kriegte; nur, ich bin meistens in den Wald verduftet, wenn er da war. Um die Zeit fand man ihn ertrunken im Fluss, ungefähr zwölf Meilen oberhalb vom Dorf – so sagten die Leute. Jedenfalls meinten sie, er wär’s; dieser ertrunkne Mann wär grad von seiner Größe, zerlumpt und hätte ungewöhnlich langes Haar – genau wie bei Pap –, aber sie konnten sein Gesicht nicht mehr erkennen, weil’s so lang im Wasser gelegen hatte, dass es gar nicht mehr aussah wie ’n Gesicht. Er war auf dem Rücken getrieben, sagten sie. Sie haben ihn rausgezogen und am Ufer begraben. Aber meine Ruhe hielt nicht lang vor, weil mir zufällig was einfiel. Ich wusste haargenau, dass ein ertrunkner Mann nicht auf dem Rücken treibt, sondern auf dem Gesicht. Von daher wüsst ich also, dass das nicht Pap war, sondern ne Frau, die Männerkleider anhatte. Da wurd ich wieder unruhig. Ich dachte, der Alte taucht sicher bald wieder auf, obwohl ich wollte, dass er wegblieb.

Wir spielten ab und zu Räuber, ungefähr noch nen Monat, und dann hab ich’s aufgegeben. Und die andern Jungs auch. Wir

»Was denkste«, sagt er, »ein Magier kann ne Menge Geister beschwören, und die würden dir wie nix die Knochen brechen, eh du piep sagen kannst. Die sind so groß wie ’n Baum und so dick wie ne Kirche.«

»Und wenn wir ein paar Geister dazu kriegen könnten, uns zu helfen – können wir dann den andern Haufen nicht schlagen?«

»Wie willste welche dazu kriegen?«

»Ich weiß nicht. Wie machen’s die andern

»Also, die reiben an einer alten Blechlampe oder an einem Eisenring, und dann kommen die Geister angerauscht, mit Blitz und Donner, und Rauch quillt auf, und alles, was man ihnen sagt, das machen sie ruckzuck. Mit Leichtigkeit reißen die ’n Schrotsilo ausm Boden und knallen es nem Sonntagsschulrektor übern Schädel – oder wem auch immer.«

»Und wer bringt die dazu, dass sie anrauschen?«

»Wer grade an der Lampe oder an dem Ring reibt. Die gehören dem, der an der Lampe oder dem Ring reibt, und sie müssen alles tun, was der ihnen sagt. Wenn er ihnen befiehlt, nen

»Also«, sag ich, »das müssen ja schöne Idioten sein, statt den Palast für sich zu behalten, lassen die sich so an der Nase rumführen. Und außerdem, wenn ich einer von denen wäre, ich würd den Mann zum Teufel jagen, eh ich meine Geschäfte im Stich lasse und zu ihm komm, bloß weil er an altem Blech reibt.«

»Was redste für ’n Stuss, Huck Finn. Du müsstest kommen, wenn er dran reibt, ob du willst oder nicht.«

»Was! – Und ich soll so groß wie ’n Baum sein und so dick wie ne Kirche? Na schön; ich würde kommen; aber wetten, dass ich den Mann auf den höchsten Baum im ganzen Land jage!«

»Quatsch – hat kein Sinn, mit dir zu reden, Huck Finn. Du hast von nichts nen blassen Schimmer – der letzte Idiot bist du.«

Zwei oder drei Tage habe ich über das Ganze nachgedacht und fand, ich sollt mal probieren, ob da irgendwas dran ist. Ich nahm ne alte Blechlampe und nen Eisenring, bin in den Wald raus und hab gerieben und gerieben, bis ich wie ein Injaner schwitzte, und spekulierte auf nen Palast, den ich verkaufen wollte; aber es hat nichts genützt, keiner von den Geistern kam. Da hab ich gemerkt, dass der ganze Kram bloß wieder eine von Tom Sawyers Lügen war. Vermutlich glaubte er an die A-raber und die Elefanten, aber ich denk da anders drüber. Das roch alles doch zu sehr nach Sonntagsschule.

Jims Haarknäuel sagt mir weis

Drei oder vier Monate gingen rum, und es war schon mitten im Winter. Fast die ganze Zeit war ich in der Schule gewesen, konnte buchstabieren und lesen, auch ein bisschen schreiben und das Einmaleins aufsagen bis 6 mal 7 ist 35, aber ich glaub, weiter als bis dahin werd ich nie kommen, und wenn ich ewig lebe. Ich interessier mich jedenfalls nicht für Mathematik.

Zuerst hasste ich die Schule, aber mit der Zeit hab ich’s so weit gebracht, dass ich’s aushalten konnte. Immer wenn sie mir zum Hals raushing, hab ich geschwänzt, und die Prügel, die ich am andern Tag bekam, haben mir gut getan und mich aufgemuntert. Und so ist’s mir immer leichter gefallen, je länger ich hin bin. Auch an die Art von der Witwe hab ich mich ein wenig gewöhnt, und sie nervte mich jetzt nicht mehr so. In einem Haus wohnen und im Bett schlafen war meistens ne ziemliche Folter für mich, aber eh’s kalt wurde, bin ich manchmal rausgeschlichen und hab im Wald geschlafen – war das eine Erholung für mich! Am liebsten warn mir die alten Gewohnheiten, aber ich hab’s so weit gebracht, dass ich die neuen auch ein klein wenig mochte. Die Witwe sagte, ich würd mich langsam aber sicher machen, und es ginge ganz befriedigend voran mit mir, und sie würd sich jetzt meinetwegen nicht mehr schämen.

Eines Morgens ist mir beim Frühstück das Salzfass umgekippt. Ich langte nach ein paar Salzkörnern, so schnell ich konnte, um sie über die linke Schulter zu werfen und so Unglück abzuhalten, aber Miss Watson war schneller als ich und ist mir dazwischengefahren. Sie sagte: »Nimm die Hände weg, Huckleberry – was machst du auch immer für einen Schmutz!« Die Witwe legte ein gutes Wort für mich ein, aber das würd das Unglück nicht abhalten, das wusste ich ganz genau. Nach dem Frühstück bin ich raus; ich hab mich unruhig und wacklig

Ich bin zum Vorgarten runter und über den Zauntritt geklettert, wo man durch den hohen Bretterzaun kommt. Es lag ein Zoll Neuschnee auf dem Boden, und ich sah die Fußspur von jemand. Sie kam vom Steinbruch hoch, stand ne Weile am Zauntritt und ging dann weiter um den Gartenzaun rum. Komisch, dass sie nicht reingekommen war, nachdem sie so lang dagestanden hatte. Ich wurd nicht schlau draus. Es war irgendwie sehr seltsam. Ich wollt schon der Spur überallhin nachgehn, aber dann hab ich mich erst mal gebückt, um sie zu untersuchen. Zuerst fiel mir gar nichts auf, aber dann doch. Im linken Stiefelabsatz war ein Kreuz aus dicken Nägeln, um den Teufel abzuhalten.

Und ich nichts wie hoch und den Hügel runtergerast. Ab und zu hab ich über meine linke Schulter zurückgeschaut, aber ich sah niemand. So schnell ich konnte, war ich beim Richter Thatcher. Und er sagte:

»Nanu, mein Junge, bist ja ganz außer Atem! Bist du wegen deinen Zinsen gekommen?«

»Nee, Herr Richter«, sag ich, »sind denn welche für mich gekommen?«

»Ja, die fürs letzte halbe Jahr sind da, seit gestern Abend. Über hundertfünfzig Dollar. Ein ganzes Vermögen für dich. Lass sie mich lieber zusammen mit deinen andern sechstausend anlegen, denn wenn du sie mitnimmst, gibst du sie doch aus.«

»Nee, Herr Richter«, sag ich, »ich will se nicht ausgeben. Ich will sie überhaupt nicht – auch die sechstausend nicht, garnix. Ich möcht, dass Sie’s nehmen; ich möcht’s Ihnen geben – die sechstausend und alles.«

Er sah überrascht aus. Er wurde, scheint’s, nicht schlau draus. Und er sagt:

Ich sag: »Bitte stellen Sie mir keine Fragen nich. Sie nehmen’s doch – oder?«

Und er sagt:

»Nun, das erstaunt mich. Ist denn irgendwas passiert?«

»Bitte nehmen Sie’s«, sag ich, »und fragen Sie mich nich weiter – dann brauch ich keine Lügen erzählen.«

Er überlegte ne Weile und sagt dann:

»Aha. Ich glaube, jetzt versteh ich. Du willst dein Eigentum an mich verkaufen – nicht verschenken. So ist es!«

Dann schrieb er was auf ein Papier, las es durch und sagt:

»Hier – siehst du, da steht ›gegen Entgelt‹. Das bedeutet, dass ich es dir abgekauft und dir dafür bezahlt habe. Hier ist ein Dollar für dich. So, nun unterschreib.«

Und so hab ich unterschrieben und bin weg.

Miss Watsons Nigger, der Jim, hatte ein Haarknäuel, so groß wie ne Faust, das jemand nem Ochsen aus seinem vierten Magen rausgeholt hatte, und mit dem zauberte er immer. Innen war ein Geist drin, sagte er, und der wüsste alles. Und so bin ich am Abend zu ihm und hab ihm erzählt, Pap war wieder hier, ich hätt seine Spuren im Schnee entdeckt. Ich wollt von Jim wissen, was Pap vorhat und ob er bleibt. Jim holte sein Haarknäuel und sagte seinen Spruch über ihm auf, und dann hielt er’s hoch und ließ es fallen. Es fiel ziemlich plump und rollte bloß einen Zoll weit. Jim probierte es nochmal, und dann nochmal, aber es ist jedesmal genau dasselbe passiert. Er kniete sich hin und legte sein Ohr dran und horchte. Aber es hat nichts genützt; der Geist wollte nicht reden, sagte er; manchmal würd er nicht ohne Geld reden. Ich hab ihm erzählt, ich hätt nen alten glatten falschen Vierteldollar, der nichts mehr taugt, weil das Messing schon durchschimmert, aber auch wenn das Messing nicht durchschimmern würde, ginge er nirgendwo mehr durch, weil er so glatt war, dass er sich ganz schmierig anfühlte, und so würd er sich bestimmt jedesmal verraten. (Ich dachte, von dem Dollar, den ich vom

Jim legte den Vierteldollar unter das Haarknäuel, kniete hin und horchte wieder. Diesmal, sagte er, stimmt alles beim Haarknäuel, und wenn ich wollt, würd es mir mein ganzes Schicksal weissagen. Dann mal los, sag ich. Und da hat das Haarknäuel zu Jim gesprochen, und Jim hat es mir erzählt:

»Dein alter Vadder weiß noch net, was er mache will. Manchmal sagt er, er will weg, und dann widder sagt er, er will bleibn. ’s Beste is, abwartn un den Alte sein eignen Weg gehn lassen. Da sin zwei Engel, die über ihm rumschwebn. Einer davo is weiß un glitzrig, un dr ander is schwarz. Dr weiße kriegt ihn auffen rechtn Weg, ne kurze Weil, un dann segelt dr schwarze an un macht alls kaputt, ’s kann keiner noch net sage, welcher ihn holt zum Schluss. Aber bei dir isses gut. Du wirst ne Menge Ärger ham in deim Lebn, un ne Menge Freude. Manchmal wirste verletzt sein, un manchmal wirste krank sein, aber jedesmal wirste widder heil. Da sin zwei Mädle um dich rum in deim Lebn. Die eine is hell, un die ander is dunkel. Eine is reich, und die ander is ahm. Zuerst wirste die Ahme heiraten, un nacher die Reiche. Un du möchst vom Wasser wegbleim, soviel du kannst, un geh kein Wagnis net ein, von wegen weil’s innen Gesetzen steht, dass de sonst wirst aufghängt wern.«

Als ich am Abend meine Kerze angezündet habe und in mein Zimmer rauf bin, saß da Pap höchstselbst.