Über dieses Buch:
Colorado, 1868: Seit Rafe Gentry die Kavallerie verlassen hat, gilt er als Rebell, dem nicht zu trauen ist. Als er Zeuge eines Überfalls wird, gelingt es ihm, die Angreifer zu vertreiben – doch für die Opfer kommt jede Hilfe zu spät. Der Sheriff hält Rafe, den rauen Mann mit der dunklen Vergangenheit, für den Mörder. Nur die schöne Angela Abbot ist von seiner Unschuld überzeugt: Sie erkennt in ihm den Helden, der ihr vor langer Zeit das Leben gerettet hat. Jetzt fühlt sie sich wie magisch zu ihm hingezogen – und ist bereit, alles zu tun, um ihn vor dem Galgen zu retten …
Über die Autorin:
Connie Mason hat früh ihre Leidenschaft für das Lesen und Schreiben entdeckt. 1984 veröffentlichte sie ihren ersten Roman, 1990 kürte das »Romantic Times Magazine« die amerikanische Autorin zur »Erzählerin des Jahres«. Bis heute hat sie bereits mehr als 50 historische Liebesromane veröffentlicht, viele davon wurden zu Bestsellern. Heute lebt Connie Mason mit ihrem Mann in Florida.
Bei dotbooks veröffentlicht Connie Mason ihre historischen Liebesromane:
»In den Armen des Lords«
»In den Armen des Marquis«
»Rebell meines Herzens«
»Die Liebe des Outlaws«
»Die Leidenschaft des Outlaws«
»Das Verlangen des Outlaws«
»In den Fängen des Wikingers«
»Die Gefangene des Ritters«
»In den Fesseln des Lords«
»In den Armen des Ritters«
»Die Gefangene des Lairds«
»In den Armen des Rebellen«
»Ein unwiderstehlicher Rebell«
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eBook-Neuausgabe 2016
Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2000 unter dem Originaltitel »The Outlaws: Rafe« bei Leisure Books, New York.
Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2000 by Connie Mason
Copyright © der deutschen Erstausgabe 2001 Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach
Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München
Dieser Titel wurde vermittelt durch Interpill Media GmbH, Hamburg. By arrangement with Natasha Kern Literary Agency.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Johnny Adolphson, g-stockstudio
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-95824-808-3
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Connie Mason
Der Rebell und die Schöne
Roman
Aus dem Amerikanischen von Joachim Honnef
dotbooks.
Für meinen Mann Jerry. Mein Fels und mein Anker. In diesem Jahr feiern wir unseren 50. Hochzeitstag. Man sagte, die Ehe würde nicht lange bestehen, doch sie wird von Jahr zu Jahr besser. Auf die nächsten 50 Jahre!
Ordway, Colorado, 1868
Rafe Gentry schluckte, als er sich vorstellte, wie sich die Henkersschlinge um seinen Hals legen würde. Man würde ihn hängen! Der Lynchmob war bereits dabei, das Gefängnis zu stürmen, und der Sheriff tat wenig, um ihn zu stoppen. Verdammt! Er hätte nie gedacht, dass er mal an einem Strick baumeln würde.
Plötzlich ertönte vom Zelt der Baptistenprediger, das auf dem Platz der Stadt errichtet worden war, der faszinierende Gesang einer einzelnen Frauenstimme herüber. Diese Stimme begeisterte Rafe so sehr, dass er für einen Moment seinen Zorn vergaß. Nur ein Engel konnte so lieblich singen. Es war ein Kirchenlied, und der glockenhelle Klang der Stimme übertönte die wütenden Rufe der aufgeputschten Menge vor der Tür des Gefängnisses. Rafe verbannte die trüben Gedanken, um zuzuhören – und um sich die Ereignisse in Erinnerung zu rufen, die ihn an diesen traurigen Ort gebracht hatten.
Es war ein Wunder gewesen, dass er und seine Brüder, Jess und Sam, den Krieg überlebt hatten; ihr Vater war bereits in der ersten Schlacht gefallen. Alle vier Männer der Familie Gentry hatten sich der Armee der Konföderierten angeschlossen, obwohl zwanzigtausend Bürger von Kansas die Union unterstützt hatten. Die Familie war von Tennessee nach Kansas eingewandert, und ihre Sympathien hatten dem Süden gegolten. Jess war zu den Sanitätstruppen gegangen und hatte seine ärztliche Ausbildung genutzt, um Leben zu retten, während Rafe und Sam in der Kavallerie gedient hatten.
Nach dem Krieg war Rafe als Erster heimgekehrt. Jess und Sam waren erst Ende 1866 wieder aufgetaucht. Quantrills Raiders hatten 1863 ihre Felder zerstört und die Ernte vernichtet. Erschöpft vom Versuch, die Farm der Familie über Wasser zu halten, war ihre arme Mutter nur Wochen nach der Heimkehr ihrer Söhne gestorben. Rafe, Jess und Sam hatten es zwar geschafft, eine Ernte einzubringen, doch in den zwei darauf folgenden Jahren war ihre Hoffnung, Geld zu beschaffen, um Steuerschulden zu begleichen, von Dürre und Sandstürmen zunichte gemacht worden. Jess hatte sich in Dodge City als Arzt niedergelassen, doch niemand war in seine Praxis gekommen, um seine Dienste in Anspruch zu nehmen.
Als letzten Ausweg hatten sie versucht, bei der Bank in Dodge City einen Kredit aufzunehmen, um der Farm wieder auf die Beine zu helfen. Der Bankier Wingate, ein überzeugter Anhänger der Union, hatte den Kredit verweigert, ihnen jedoch einen Handel angeboten, durch den sie die Farm retten konnten, wenn einer von ihnen zu einem kleinen Opfer bereit war. Rafe musste trotz seiner ernsten Lage lachen, als er sich daran erinnerte, wie er und sein Bruder auf Wingates schockierenden Handel und dessen unvorgesehenen Ausgang reagiert hatten.
Wingate wollte ihnen den Kredit gewähren, wenn einer von ihnen dazu bereit war, seine schwangere Tochter zu heiraten. Das Angebot war empörend gewesen. Alle drei Brüder hatten zwar mit Delia Wingate geschäkert, doch keiner von ihnen hatte mit dem Mädchen geschlafen, und so hatten sie sich geweigert, sie zu heiraten. Nie im Traum hätten sie mit den Konsequenzen gerechnet, die dazu führten, dass sie flüchten mussten, um ihr Leben zu retten.
Als sie die Bank verließen, stürzte Wingate aus seinem Büro und schrie »Banküberfall«. Rare erinnerte sich, wie er und seine Brüder sich umgedreht hatten, weil sie erwartet hatten, einen flüchtenden Bankräuber zu sehen. Stattdessen hatte Wingate auf sie gezeigt.
Bankräuber? Die Gentry-Brüder? Konföderierte Soldaten, ja, aber keine Banditen. Aber es war ihnen keine Zeit für Erklärungen geblieben. Aus den Augenwinkeln hatte Rafe den Sheriff und seinen Deputy zur Bank rennen sehen. Weil die Brüder befürchteten, dass die beiden »Sternträger« zuerst schießen und erst später Fragen stellen würden, waren sie Hals über Kopf aus der Stadt geritten. Sie waren zu ihrer Farm zurückgekehrt, um ihre Habe zu holen, hatten das wenige vorhandene Bargeld geteilt und waren nur Minuten vor dem Eintreffen des Verfolgertrupps geflüchtet. Kurze Zeit waren sie zusammen geritten und hatten sich dann getrennt, um die Verfolger zu verwirren.
Jesse war nach Norden geritten, Sam nach Süden und Rafe nach Westen. Vor der Trennung besiegelten sie einen feierlichen Pakt, sich von diesem Tag an in einem Jahr im Antiers Hotel in Denver zu treffen. Wenn einer von ihnen nicht auftauchen sollte, würden die anderen wissen, dass er tot war.
Rafe hasste den Gedanken, dass einer seiner Brüder nicht überleben würde, nachdem sie den Krieg mit nur ein paar unbedeutenden Verwundungen überstanden hatten; aber sie alle hatten die Abmachung akzeptiert.
Das Ereignis, das ihn in dieses Gefängnis gebracht hatte, war ein Postkutschenüberfall und die Ermordung von fünf unschuldigen Leuten. Er hatte gerade die Grenze nach Colorado überquert, als Schüsse gefallen waren. Ohne zu denken, hatte er einen seiner beiden Armeerevolver gezogen und war in Richtung der Schüsse galoppiert. Und so war er Zeuge geworden, wie ein paar Banditen das Vorhängeschloss der Geldkassette der Postkutsche aufgeschossen hatten.
Er hatte die Kerle verscheucht, bevor sie Zeit gehabt hatten, sich mit dem Geld aus dem Staub zu machen, aber alle drei Passagiere in der Kutsche waren ebenso tot gewesen wie der Fahrer und sein Begleiter. Cowboys einer nahen Ranch hatten Rafe vor der Geldkassette angetroffen, immer noch mit seinem Revolver in der Hand.
Niemand hatte ihm mehr zugehört, als die Leichen gefunden wurden, und er war im Gefängnis von Ordway, der nächstgelegenen Stadt, gelandet.
Die engelhafte Stimme sang nun ein anderes Kirchenlied, und Rafe ging zu dem schmalen vergitterten Fenster seiner Zelle und starrte durch die Dunkelheit zum Zelt der Erweckungsprediger, wo der Schein unzähliger Laternen die Nacht erhellte. Ihr Name war Schwester Angela. Er war ihr in Garden City, Kansas, begegnet, als er im General Store Proviant eingekauft hatte, bevor er die Grenze nach Colorado hatte überqueren wollen.
Rafe hatte den Proviant in seinen Satteltaschen verstaut, als er gesehen hatte, wie eine blonde Schönheit auf der Straße von ein paar betrunkenen Cowboys angepöbelt wurde. Es war ihm klar gewesen, dass es gefährlich für ihn war, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, doch er hatte sich verpflichtet gefühlt einzugreifen. Er hatte mit den betrunkenen Cowboys kurzen Prozess gemacht, und Schwester Angela war ihm unermesslich dankbar gewesen. Er hätte sich mehr als Dankbarkeit gewünscht, doch durch ihre religiöse Berufung war sie für ihn tabu gewesen. Sie hatte ihn nach seinem Namen gefragt und ihn eingeladen, an diesem Abend die Erweckungsversammlung zu besuchen, doch in seiner Lage war er gezwungen gewesen abzulehnen.
Rafe wusste, dass es Schwester Angelas Stimme war, die durch das vergitterte Fenster zu ihm schwebte, weil er zuvor mitbekommen hatte, wie der Sheriff seinem Deputy von der schönen Sängerin mit der Stimme eines Engels und einem ebensolchen Gesicht erzählt hatte. Wenn er nur noch eines hören konnte, bevor er seinem Schöpfer entgegentreten würde, dann wünschte er sich, dass es auf seinem Weg ins Jenseits Schwester Angelas liebliche Stimme sein würde.
Rafe wurde brutal aus seinen Gedanken gerissen, als die Tür des Gefängnisses aufgebrochen wurde.
Erschöpft nach den Strapazen der dreitägigen Erweckungsversammlung, sammelte Schwester Angela ihre Notenblätter und steckte sie in einen Umschlag. Die Besucher der Versammlung an diesem Abend waren bereits abgewandert, bald gefolgt von Reverend Conrad und Schwester Grace, seiner Frau. Angela wollte ebenfalls zu Bett gehen. Sie verstaute die Notenblätter, die während der vierstündigen Erweckungsversammlung benutzt worden waren. Nur noch eine Stadt blieb auf dem Terminplan, bevor der Reverend und seine Frau zu ihrem Standort Topeka zurückkehren würden.
Das Angebot von Reverend Conrad, ihn und seine Frau zu begleiten, war zu einem Zeitpunkt gekommen, an dem Angela unbedingt von Topeka hatte fortgehen wollen. Vor kurzem war ihre Mutter an Lungenentzündung gestorben, und sie war den abscheulichen Launen ihres Stiefvaters ausgeliefert gewesen. Vor ein paar Wochen war ein Brief ihres leiblichen Vaters, übermittelt von seinem Anwalt, bei ihr eingetroffen.
Angelas Eltern waren geschieden worden, als sie noch klein gewesen war, doch Simon Abbot war im Laufe der Jahre mit seiner einzigen Tochter in Kontakt geblieben. Die Goldmine, die ihr Vater gemeinsam mit einem Partner besaß, war der Grund für die Trennung ihrer Eltern gewesen. Angelas Mutter hatte es gehasst, in einem Minencamp in Colorado festzusitzen, aber ihr Vater hatte sich geweigert, die Mine aufzugeben, die zu jener Zeit keinerlei Gewinn abgeworfen hatte.
Angela war zehn gewesen, als ihre Mutter sie nach Topeka zurückgebracht, eine Scheidung erwirkt und Desmond Kent geheiratet hatte, einen Mann, den Angela nicht ausstehen konnte. In den folgenden Jahren war Simon Abbot eine Partnerschaft eingegangen und auf eine Goldader gestoßen, die ihn reich gemacht hatte. Dann hatte Angela diesen letzten Brief von ihrem Vater erhalten. Laut Anwalt war Simon Abbot bei einem Unfall ums Leben gekommen, und sie hatte seinen Anteil an der Mine und all seine irdischen Güter geerbt.
Angela erinnerte sich an den Brief ihres Vaters, als hätte sie ihn gestern erhalten. Aus irgendeinem Grund hatte ihr Vater seinen Tod erwartet, und er hatte seine Tochter gebeten, auf keinen Fall seinem Partner zu vertrauen, sollte er plötzlich oder unter verdächtigen Umständen sterben. Kurz danach war ein Brief von Brady Baxter, dem Partner ihres Vaters, eingetroffen. Baxter hatte sie informiert, dass die Mine ausgebeutet sei, und er hatte ihr angeboten, ihren Anteil zu einem lächerlichen Preis für eine angeblich wertlose Mine zu kaufen.
Aber Angela hatte nicht vor, ihren Anteil an der Mine an Brady Baxter zu verkaufen, ohne zuvor ihren Besitz besichtigt zu haben. Sie missachtete die Autorität ihres Stiefvaters und plante, heimlich nach Colorado zu reisen, sobald die Vorbereitungen dafür getroffen werden konnten. Sie wollte sowohl Brady Baxter als auch die Mine überprüfen.
Prompt hatte Angelas Stiefvater einen Verlobten für seine Stieftochter bestimmt, und Angela wusste, dass sowohl er als auch Anson Chandler mehr an ihrer Erbschaft als an ihrer Zukunft interessiert waren. Entgegen ihren Wünschen waren Pläne für eine übereilte Hochzeit im Gange. Dann hörte Angela zufällig in der Kirche, die sie regelmäßig besuchte, dass ein Baptistenprediger das Wort Gottes in der Siedlungsgrenze verkünden wolle und dass Reverend Conrad und seine Frau, Schwester Grace, eine Vorsängerin für den Chor suchten. Angela hatte sofort erkannt, dass dies ihre Chance war, nach Colorado zu entkommen.
Es war Angela nicht leicht gefallen zu lügen, doch sie hatte Reverend Conrad irgendwie davon überzeugt, dass sie für die Reise die Genehmigung ihres Stiefvaters hatte. Sie untermauerte die Lüge, indem sie einen Verlobten erfand, der sie in Pueblo erwartete, um sie zu heiraten. Danach würde sie zur Mine ihres Vaters in der Nähe von Canon City Weiterreisen.
So hatte sie einiges von dem Geld, das ihr Vater ihr im Laufe der Jahre geschickt hatte, benutzt, um heimlich einen Wagen auszurüsten. Und Stunden vor ihrer Hochzeit verschwand sie heimlich und hinterließ weder ihrem Stiefvater noch ihrem Verlobten ein Wort der Erklärung. Ihr war klar, dass sie ihr auf die Schliche kommen würden, aber Angela hoffte, dass sie dafür eine Weile brauchen würden. Es blieben nur noch sechs Monate bis zu ihrem 21. Geburtstag – bis zu ihrer Volljährigkeit. Dann würde sie selbst über ihr Leben bestimmen und den oder die Mörder ihres Vaters verfolgen können, denn sie wusste in ihrem Herzen, dass sein Tod kein Unfall gewesen war.
Angela bemerkte plötzlich einen Tumult auf der Straße vor dem Zelt. Sie eilte hinaus und sah eine Menschenmenge, die sich vor dem Gefängnis versammelt hatte. Die Menge schien ständig anzuwachsen und noch näher zu dem Gebäude zu drängen. Einige der Männer hielten Fackeln; alle waren bewaffnet. Angela wollte auf einem Umweg zu ihrem Hotel gehen, als sie sah, wie ein Mann mit einem Strick um den Hals aus dem Gefängnis geschleift wurde.
Ein Lynchmob! Sie hatte gehört, dass solche Dinge im unzivilisierten Westen geschahen, jedoch nie gedacht, eine solche Selbstjustiz aus erster Hand mitzuerleben. Entsetzt beobachtete sie, wie der hilflose Mann auf ein Pferd gehoben zu einem Baum am Rande des Platzes geführt wurde.
Angela stockte der Atem, als sie sah, dass jemand ein Ende des Stricks über einen dicken Zweig oberhalb des Gefangenen schlang. Sie wollten ihn hängen! Was für Barbaren waren das nur?!
Als der zum Tode verdammte Mann den Kopf in ihre Richtung wandte, erschrak Angela zu Tode. Sie hatte ihn sofort erkannt. Der Mann mit der Schlinge um den Hals war derselbe, der sie vor den betrunkenen Cowboys in Garden City gerettet hatte!
Kräfte jenseits der Vernunft ließen Angela augenblicklich handeln. Sie hatte keine Ahnung, weshalb man Rafe Gentry aufhängen wollte, aber sie wusste, dass sie es nicht zulassen konnte.
»Was hat er getan?«, fragte Angela den ersten Mann, dem sie am Rande der Menge begegnete.
»Machen Sie sich um den keine Sorgen, Schwester Angela …«, sagte der Mann, der sie offenbar von der Erweckungsversammlung wiedererkannte. »Das ist ein Bandit. Er hat eine Postkutsche überfallen und fünf Leute umgelegt.«
Angela erschauerte. Ein Mörder? Nein, das war nicht möglich. Der zum Tode verdammte Mann mochte vieles sein, aber ein Mörder war er nicht. Rafe sah zu ihr, und ihre Blicke trafen sich. Die Zeit schien stillzustehen. Aber in dieser kurzen, scheinbaren Ewigkeit erfuhr Angela alles über Rafe Gentry, was sie wissen musste. Man brauchte nur den unerschütterlichen Blick seiner silbergrauen Augen zu sehen, um zu wissen, dass er ein harter Mann war, jedoch kein kaltblütiger Mörder.
Sie spürte den Moment, in dem er sich in sein Schicksal ergab, denn jede übrig gebliebene Spur von Emotion verschwand aus seinem Gesicht, und seine Schultern strafften sich; sein Blick glitt von ihr fort. Ein Aufschrei entrang sich Angelas Kehle, als sie sich durch die Menge schob.
»Hört auf! Ihr könnt ihn nicht hängen. Er hat es nicht getan!«
Der Mann, dessen Hand auf der Kruppe des Pferdes lag, starrte Angela verblüfft an.
»Sind Sie nicht eine von den reisenden Kirchenleuten?«
»Ich bin Schwester Angela. Sie dürfen diesen Mann nicht aufhängen!«
»Aber liebe Schwester Angela«, sagte der Mann, als wolle er ihr gut zureden. »Dies geht Sie nichts an.«
»Das Retten von Seelen geht mich sehr wohl etwas an«, fuhr Angela unbeirrt fort. »Und das Hängen eines unschuldigen Mannes ist gegen das Gesetz.«
Unruhiges Murmeln ging durch die Menge.
»Hat er einen ordentlichen Prozess bekommen?«, fragte Angela.
»Der braucht keinen Prozess!«, brüllte ein Mann aus der Menge. »Der Kutscher der Postkutsche und sein Begleitfahrer waren gute Männer; sie sind jetzt tot. Ebenso die Passagiere.«
»Er hat fünf Leute abgeknallt, Schwester«, erklärte der erste Mann mit wachsender Ungeduld. »Gehen Sie zur Seite. Dies wird kein schöner Anblick werden.«
»Nein, bitte!« Sie schluckte hart, atmete tief durch und sagte: »Rafe Gentry ist der Mann, den ich heiraten werde. Er kann nicht fünf Leute getötet haben. Er kam her, um sich mit mir zu treffen und nicht, um eine Kutsche zu überfallen.«
Rafe wandte seinen Kopf ruckartig zu Schwester Angela um und starrte sie verblüfft an. Wie, zum Teufel, kam sie dazu, sich als seine Verlobte auszugeben?
Sie wirkte zart, fast ätherisch im hellen Fackelschein, und ihr goldfarbenes Haar lag wie ein Heiligenschein um ihren Kopf. Ihr Gesicht war ein perfektes Oval, der Mund war fein geschwungen, und die leicht schräg stehenden blauen Augen zeigten eine Spur von Sinnlichkeit und waren mit einer Intensität auf ihn gerichtet, die ihn überraschte.
»Wollen Sie sagen, dass Sie und dieser Mann heiraten werden, Schwester Angela?«, fragte der selbsternannte Henker ungläubig. Er kratzte sich an seinem dunklen Haarschopf, sichtlich verdutzt über die unvorhergesehene Entwicklung der Ereignisse.
»Genau das will ich sagen«, bekräftigte Angela. »Er sollte mich in Pueblo treffen, aber er hat sich offenbar entschieden, mich stattdessen in Ordway abzuholen.«
»Er wurde auf frischer Tat ertappt«, wandte der Mann ein.
Rafe war wie betäubt, als Schwester Angela ihre unergründlich blauen Augen auf ihn richtete und sagte: »Erzähl diesen Männern, was wirklich geschah, Darling.«
Bevor Rafe den Mund öffnen konnte, bahnte sich Sheriff Tattersal einen Weg durch den Mob. »Geht heim, ihr alle. Es gibt keine Hängeparty in meiner Stadt.« Er wandte sich an den Mann, der neben dem Pferd stand. »Lass den Richter und die Jury über seine Schuld oder Unschuld entscheiden, Pete.«
»Lass den Gefangenen sprechen«, gab Pete zurück und blickte den Sheriff finster an. »Vielleicht sagt Schwester Angela die Wahrheit – vielleicht auch nicht.«
Tattersal wusste angesichts der Überzahl der anderen offenbar, wann es angezeigt war, einen Rückzieher zu machen. »Also gut, hören wir uns an, was Mr Gentry zu sagen hat.«
»Ich rede viel besser ohne einen Strick um den Hals und ohne ein nervöses Pferd unter mir«, meinte Rafe.
»Nun quatsch schon, Mister«, grollte Pete. »Wir werden später entscheiden, ob es heute Abend das letzte Mal in deinem Leben sein wird.«
Rafe schickte Schwester Angela einen unergründlichen Blick zu, die silbergrauen Augen halb geschlossen. Er räusperte sich und erzählte, wie er auf die Banditen gestoßen war, bevor sie sich mit dem Geld aus der Kassette hatten davonmachen können.
»Da habt ihr’s, ich habe es euch gesagt«, rief Schwester Angela. »Rafe könnte keiner Fliege etwas zuleide tun.«
Rafe unterdrückte ein Grinsen. Offenbar wusste Schwester Angela verdammt wenig über ihn, wenn sie das annahm. Plötzlich kam Unruhe in den Mob, und das Pferd unter ihm tänzelte nervös. Rafe versuchte, es mit Schenkeldruck zu parieren. Er stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, als das Tier erzitterte und dann ruhig wurde.
»Alles, was ich euch gesagt habe, entspricht der Wahrheit«, beteuerte Rafe. »Ich habe mein Blei auf die Banditen verschossen, nicht auf die Passagiere oder den Fahrer.«
»Ist Schwester Angela deine zukünftige Braut?«, fragte Sheriff Tattersal.
Rafe blickte hinab auf den Engel mit dem süßen Gesicht, der aus irgendeinem unbekannten Grund gelogen hatte, um ihm das Leben zu retten, und er hätte am liebsten von einem Ohr bis zum anderen gegrinst. Stattdessen schaffte er es mühsam, eine ausdruckslose Miene zu behalten und zu sagen: »Schwester Angela hat keinen Grund zu lügen. Denkt darüber nach. Sie ist eine Erweckungspredigerin, eine Frau, die das Wort Gottes verbreitet. Wenn ich schuldig wäre, würde sie dann ihren Weg der Tugend verlassen und lügen?«
Pete blickte zu Schwester Angela und schaute dann fort, als schäme er sich, an ihr gezweifelt zu haben. Aber er wirkte immer noch nicht ganz überzeugt.
»Was geht hier vor?«
Die dröhnende Stimme gehörte zu Reverend Conrad, der die Erweckungsversammlung nach Ordway gebracht hatte. Rafe spannte sich unwillkürlich an, als er sah, wie sich der Reverend einen Weg durch die Menge bahnte. Er unterdrückte ein Aufstöhnen, überzeugt davon, dass das Eingreifen des Predigers sein Schicksal besiegeln würde. Die fanatischen Prediger, die er in der Vergangenheit gekannt hatte, hielten wenig von Diebstahl und Mord, obwohl Rafe keines von beidem begangen hatte.
Reverend Conrad sah Angela inmitten des Mobs stehen und eilte ihr zu Hilfe. »Schwester Angela, was ist los?«
»Gott sei Dank sind Sie hier!«, rief Angela. »Sie müssen diesen Pöbelhaufen zur Vernunft bringen. Sie wollen einen Unschuldigen hängen.«
Rafe versteifte sich, als der Reverend ihn mit hartem Blick fixierte. »Wie kommen Sie darauf, dass dieser Mann unschuldig ist, Schwester?«
Schwester Angela blickte ihn offen und ohne mit der Wimper zu zucken an. Rafe staunte über ihre Kühnheit. Sie log so lässig und leicht; hätte er es nicht besser gewusst, hätte er geglaubt, tatsächlich ihr Verlobter zu sein.
»Rafe Gentry ist mein Verlobter, Reverend Conrad. Er ist der Mann, den ich in Pueblo treffen und heiraten sollte. Wir wollten als Mann und Frau zu der Mine meines Vaters reisen. Ich hatte keine Ahnung, dass er sich entschlossen hatte, mich stattdessen in Ordway zu treffen. Rafe kann nicht die Kutsche überfallen und unschuldige Leute umgebracht haben. Es muss so geschehen sein, wie er es gesagt hat. Er stieß auf die Banditen und verjagte sie. Leider traf er zu spät ein, um die Passagiere und den Fahrer zu retten.«
Der Reverend wandte seine Aufmerksamkeit wieder Rafe zu. »Stimmt das, junger Mann?«
»Jawohl, Sir«, sagte Rain, ohne zu zögern. Er konnte so leicht wie Schwester Angela lügen, wenn es um sein Leben ging. »Ich hatte mich entschlossen, Angela schon in Ordway zu treffen statt in Pueblo.« Der Blick seiner silbergrauen Augen bohrte sich in Angelas Augen. »Wir waren so lange getrennt, und ich wurde ungeduldig und wollte sie unbedingt Wiedersehen. Das ist der einzige Grund, weshalb ich zufällig auf der Straße war, als die Postkutsche überfallen wurde.«
»Ich kenne Rafe mein ganzes Leben lang«, fügte Angela hinzu. »Er könnte niemanden töten.«
»Das war’s dann«, sagte Reverend Conrad gebieterisch. »Schwester Angela hat keinen erfindlichen Grund zu lügen. Offenbar haben Sie den falschen Mann geschnappt, Sheriff.«
Enttäuschung machte den Mob unruhig, und die Männer drängten vorwärts. Sie waren auf eine Hängeparty vorbereitet, und Rafes größte Befürchtung war, dass es ihnen schnuppe war, ob er unschuldig war, solange ihnen Unterhaltung geboten wurde.
Reverend Conrad musste zu dem gleichen Schluss gelangt sein, denn er wandte sich der Menge zu, hob die Hände und gebot Ruhe.
»Meine guten Leute«, psalmodierte er mit tiefer Stimme, die Respekt einflößte. »Wenn Schwester Angela sagt, dieser Mann ist unschuldig, dann reicht mir das. Wenn einer von euch ihr Wort anzweifeln will, soll er bitte vortreten und sich äußern.«
Rafe hielt den Atem an. Keiner rührte sich von der Stelle. Wer würde es wagen, in das Gesicht eines Engels zu blicken und ihn als Lügner zu bezeichnen? Selbst Sheriff Tattersal schien nicht bereit zu sein, Reverend Conrads und Schwester Angelas Worte anzuzweifeln.
»Ihr habt gehört, was der Reverend gesagt hat, Männer. Lasst Gentry gehen«, grollte er und entfernte den Strick von Rafes Hals.
Jemand befreite ihn von den Handfesseln und zog ihn vom Pferd. Rafe atmete zitternd durch und rieb sich den Nacken, wo die Haut vom Strick aufgescheuert war. Obwohl anscheinend niemand bereit war, Rafes Unschuld in Frage zu stellen, war die Menge immer noch unzufrieden und unruhig. Rafe bezweifelte, lebend aus der Stadt entkommen zu können, wenn er jetzt zu flüchten versuchte.
Aber wieder rettete ihn Reverend Conrad. Er schien die gereizte Stimmung zu spüren und suchte sofort eine Möglichkeit, die Gemüter zu beruhigen. Er warf einen Blick zu Angela, dann zu Rafe, und lächelte, als sei er soeben zu einer bemerkenswerten Entscheidung gelangt.
»Meine Freunde, ich weiß, ihr seid heute Abend mit der Erwartung gekommen, einen Mann hängen zu sehen. Aber ich habe etwas Passenderes im Sinn. Wir werden stattdessen eine Trauung erleben. Schwester Angela und ihr Verlobter hatten vor, in Pueblo zu heiraten. Da er sich entschieden hat, sie in Ordway zu treffen, wird es mir ein Vergnügen sein, die Zeremonie sofort zu vollziehen. Ihr alle seid ins Zelt der Erweckungsversammlung eingeladen, um die Hochzeit von Schwester Angela und ihrem jungen Bräutigam zu feiern.«
Ein Höllenlärm folgte. An Rafes Mundwinkel zuckte ein Muskel. Nur die Anspannung hielt ihn auf den Beinen. Aber wenn er nicht zugeben wollte, dass er gar nicht Angelas Verlobter war, blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Vorschlag des guten Reverends zuzustimmen. Er warf einen Seitenblick auf den verschlagenen Engel und stellte mit Genugtuung fest, dass sie anscheinend ebenso benommen war wie er. Angespannt wartete er darauf, dass sie einen Einwand äußerte. Aber sie presste nur die Lippen zusammen und starrte ihn mit wildem Blick an. Glücklicherweise schien Reverend Conrad das nicht zu bemerken.
»Kommt mit, Kinder«, sagte er strahlend. Er wandte sich der Menge zu. »Jemand holt Schwester Grace. Dies erfordert Musik. Das Piano ist noch im Zelt, und sie kennt den Hochzeitsmarsch auswendig.«
»Tu was!«, zischte Rafe Angela zu. »Es sei denn, du willst einen Ehemann am Hals haben. Was ist mit deinem Verlobten, der in Pueblo auf dich wartet?«
»Ich will dich als Ehemann ebenso wenig, wie du mich als Frau willst«, zischte Angela zurück. »Aber wenn ich nicht die Wahrheit sagen und dich wieder unter den Galgenbaum schicken will, weiß ich nicht, was ich sagen soll.«
»Verdammt!«
Die Menge strömte vorwärts und riss Rafe und Angela mit zum Zelt. Die Stimmung war abrupt in eine ausgelassene Fröhlichkeit umgeschlagen. Aber Rafe wusste, dass sich die Lage sehr schnell wieder ändern konnte, und er war entschlossen, alles zu tun, was nötig war, um seinen Hals zu retten. Aber Heirat?
Angela starrte Rafe Gentry an. Obwohl ihr die Intuition sagte, dass er kein Killer war, blieb ein Rest von Zweifel. Wie konnte sie einen Mann heiraten, über den sie nichts wusste? Das Dilemma war anscheinend unüberwindlich. Entweder gab sie zu, dass Rafe nicht ihr Verlobter war, und Heß zu, dass er aufgehängt wurde; oder sie machte mit dieser Farce weiter, die von Minute zu Minute absonderlicher wurde. War er völlig unschuldig an den Verbrechen, die man ihm zur Last legte? Gott wusste, dass Rafe Gentry rau und hart genug aussah, um ein Killer zu sein. Aber schließlich hatte sie sich wegen des Ausdrucks seiner Augen entschieden, ihn zu retten. In diesen faszinierenden silbergrauen Augen war keine Grausamkeit zu lesen.
Die Menge schwoll an, und bald war das Zelt überfüllt. Rafe und Angela wurden mit dem Reverend in dem Gewühl bis nach vorne in die improvisierte Kirche geschoben. Schwester Grace, eilig herbeigeholt, saß am Piano und grinste von einem Ohr zum anderen.
»Und nun, Kinder«, kündigte Reverend Conrad an und wandte sich der Menge zu, »sollten wir anfangen.«
»Wir wollten eigentlich in Pueblo heiraten«, sagte Angela in einem letzten Versuch, dieser Farce zu entgehen. Ein Ehemann, selbst ein vorübergehender, hatte keinen Platz in ihrer Zukunft.
»Unsinn«, sagte der Reverend mit dröhnender Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Ich würde meine Pflicht vernachlässigen, wenn ich euch beide jungen Leute ohne Trauung fortschicken würde. Ich weiß, wie ungeduldig die Jugend heutzutage sein kann.« Er wandte sich an Rafe. »Hast du den Ring, mein Sohn?«
»Der ist… gleich hier«, sagte Rafe und schockierte Angela damit. Mit zitternden Fingern nahm er den Ehering seiner Mutter aus der Westentasche. Er hatte ihn genommen, als er und seine Brüder Geld und Habe geteilt hatten, bevor sie mit den Verfolgern im Nacken von der Farm geritten waren. Angela starrte auf den goldenen Ring, den er aus der Tasche genommen hatte, als sei er eine Schlange, die jeden Augenblick zubeißen konnte.
»Ausgezeichnet«, sagte Reverend Conrad. »Da du den Ring hast, mein Sohn, ist offensichtlich, dass du tatsächlich Angelas Verlobter bist.« Diese Bemerkung war an die immer noch skeptischen Mitglieder des Lynchmobs gerichtet.
»Fangen Sie endlich an, Reverend!«, rief jemand in der Menge.
Rafe murmelte einen deftigen Fluch.
Angela bekam das mit und teilte seine Meinung. Worauf ließ sie sich da ein? Jäh wurde ihr klar, dass das Opfer zu groß war, und sie holte Luft, um das Possenspiel zu beenden.
Irgendetwas an ihrem Verhalten musste Rafe gewarnt haben, denn er ergriff ihren Arm und zischte: »Tu s nicht. Du hast dies angefangen, und du schuldest mir, es durchzuziehen.«
Angela starrte ihn an und schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht.«
Sein Griff wurde härter, und seine silbergrauen Augen glitzerten. »Du kannst es, und du willst es. Ich weiß, was du im Sinn hattest, als du eingegriffen hast, aber die Würfel sind gefallen. Du kannst jetzt nicht aussteigen.«
Sie spürte seine Verzweiflung und wusste, dass sie so groß wie ihre eigene war. Nie in ihren wildesten Träumen hätte sie sich vorgestellt, dass ihr unbesonnenes Handeln solche Folgen haben würde. Aber Rafe Gentry hatte Recht. Er hatte sie vor den betrunkenen Cowboys verteidigt; es war nur recht und billig, dass sie sich revanchierte. Es gab schließlich Möglichkeiten, eine Ehe zu beenden. Ihre Haltung straffte sich, und sie forderte den Reverend mit einem Nicken auf, mit der Zeremonie zu beginnen.
Schwester Grace spielte leise auf dem Piano, und der Reverend öffnete die Bibel. Rafe hörte gar nicht hin, als Conrad salbungsvoll sprach. Seine Gedanken jagten sich. Er fragte sich, wie lange es dauern würde, den Dreck von Ordway von seinen Stiefeln zu schütteln und Schwester Angela im Staub zurückzulassen. Diese absurde Ehe hatte ihm zwar das Leben gerettet, aber er hatte nicht vor, sie in Ehren zu halten. Warum Schwester Angela gelogen hatte, um ihn zu retten, ging ihn nichts an. Er hatte seine eigenen Pläne, seine eigenen Bedürfnisse, und zu denen gehörte keine Ehefrau.
Er musste an der richtigen Stelle geantwortet haben, denn auf einmal forderte der Reverend ihn auf, Angela den Ring an den Finger zu stecken.
Wieder konzentriert, griff er nach Angelas Hand und schob ihr den Ring auf den Finger. Er passte perfekt.
»Ich erkläre euch zu Mann und Frau. Du darfst die Braut küssen, mein Sohn«, sagte Reverend Conrad.
Rafe starrte auf Angelas Lippen. Sie waren fein geschwungen, voll und leicht feucht, als wären sie soeben mit der Zunge angefeuchtet worden. Er konnte die Menge im Hintergrund hören, die lauthals den Kuss verlangte. Sein Blick glitt aufwärts, zu ihren Augen, und er stellte verblüfft fest, dass sie weit geöffnet waren und leicht verschwommen blickten. Er umfasste ihr Kinn. Sie blinzelte. Er legte die Hand um ihren Nacken, unter den seidigen Heiligenschein ihres Haars. Mit sanftem, stetigem Druck zog er sie langsam zu sich heran.
Er hatte sich den Kuss als kurze Berührung der Lippen vorgestellt, als nichts so Dramatisches wie das, was folgte. Ihre Lippen waren weich, ihr Atem wie ein süßer Hauch. Er drückte den Mund auf ihren und verlor sich in Gefühlen, die völlig fremd für Rafe Gentry waren, einen Mann, der gern und oftmals ohne bindende Gefühle liebte.
Der Duft ihres Haars war berauschend. Kaum wahrnehmbar, doch erregend. Er vertiefte den Kuss, erzwang sich mit der Zunge Einlass in ihren Mund. Ihre zögernde, etwas atemlose Reaktion ermutigte ihn, und er stieß seine Zunge weiter vor, um ihren Mund zu erkunden. Er spürte ihren Schock, ihre Empörung, aber irgendein perverser Teufel trieb ihn dazu, sie weiter intensiv zu küssen, bis er das Räuspern des Reverends hörte. Erst dann nahm er das Gejohle und die Hochrufe im Zelt wahr.
Abrupt brach er den Kuss ab. Angela schwankte, wie aus dem Gleichgewicht geraten, und er stützte sie mit der Hand am Ellenbogen.
»Es war richtig von mir, euch auf der Stelle zu trauen«, sagte Reverend Conrad. »Besonders, nachdem wir Zeuge dieser ziemlich spektakulären Vorstellung geworden sind. Ich wünsche euch viel Glück und viele Kinder. Wenn Schwester Grace mir das Kirchenregister bringt, werden wir den Trauungsakt vor Gott und dem Gesetz schriftlich bestätigen.«
Schwester Angela murmelte etwas, das Rafe nicht verstand, als Schwester Grace Feder, Tintenfass und das Register holte – die Dinge, die sie auf jeder Reise mitnahmen. Reverend Conrad legte den Neuvermählten das Register vor.
Mit großem Widerstreben Unterzeichnete Rafe als Erster und reichte das Buch dann Angela. Sie starrte lange auf die Seite, setzte jedoch schließlich ihren Namen darauf. Unterdessen bereitete Reverend Conrad die Heiratsurkunde vor, die sie als Beweis für ihre Eheschließung mitnehmen konnten.
»Verlasst ihr sofort die Stadt, oder reist ihr morgen mit uns weiter?«, fragte Conrad. »Wie ich hörte, reisen wir in dieselbe Richtung.«
»Ich weiß nicht, ob es klug ist, jetzt nach Pueblo zu reisen«, meinte Sheriff Tattersal, der sich zu der kleinen Gruppe gesellte. »Ich hatte vor, mit Ihnen zu sprechen, bevor Sie aufbrechen. Wir haben soeben die Information erhalten, dass abtrünnige Comanchen in diesem Gebiet Krawall machen. Niemand weiß, wo sie als nächstes ihr Unwesen treiben. Vielleicht ist es das Beste, jeder bleibt in Ordway, bis die Gefahr vorüber ist.«
»Indianer?«, hauchte Schwester Grace und drängte sich schutzsuchend an ihren Mann. Sie hielt eine Hand an die Kehle, und ihr faltiges Gesicht spiegelte Furcht wider. »Oh, Clarence, lass uns nach Topeka zurückkehren. Wir sind ohnehin fast am Ende unserer Rundreise.«
»Hm, vielleicht hast du Recht, meine Liebe. Danke für Ihren Rat, Sheriff, aber ich denke, wir werden morgen früh nach Topeka zurückkehren.« Er warf einen besorgten Blick zu Angela. »Vielleicht sollten Sie Ihre Pläne, westwärts zur Mine Ihres Vaters zu reisen, noch einmal überdenken, Schwester.«
Angela schüttelte heftig den Kopf, und ihre Locken flogen. »O nein, Reverend, das ist unmöglich. Ich bin überzeugt, dass … mein Mann und ich absolut sicher sein werden. Ich muss unbedingt nach Canon City und der Golden Angel.«
Rafe bedachte Angela mit einem scharfen Blick. Er hatte keine Ahnung, wovon sie sprach, und er war entschlossen, es bei der ersten Gelegenheit herauszufinden.
»Nun denn, Schwester«, sagte der Reverend, und es klang etwas zweifelnd. »Schwester Grace und ich werden um eine sichere Reise für Sie beten.«
»So wie ich für Sie beten werde«, erwiderte Angela.
»Die Stadt hat ein ausgezeichnetes Hotel«, sagte Tattersal.
»Ich nehme an, meine … Frau –«, Rafe würgte das Wort hervor, »– und ich werden sofort aufbrechen.« Er wollte keine Minute länger als nötig in Ordway bleiben.
»Einverstanden«, pflichtete ihm Angela bei.
»Ich hoffe, Sie machen keinen Fehler«, meinte der Reverend. »Komm, Grace, es ist spät.«
Rafe beobachtete beklommen, wie jeder ging. Er hatte keine Ahnung, was Angela vorhatte oder was ihr Reiseziel war. Eigentlich wusste er nichts über sie, abgesehen davon, dass sie hingebungsvoll Seelen rettete – der Frauentyp, von dem er sich für gewöhnlich fern hielt. Diese Frauen waren meistens steif und spröde und fühlten sich als Heilige, versuchten jede Seele zu bekehren, die ihnen begegnete. Nun, da hatte er Neuigkeiten für Schwester Angela. Er war nicht bereit, für seine Sünden zu büßen und sich bekehren zu lassen.
Darüber hinaus hatte er nicht vor, so lange hier kleben zu bleiben, dass Schwester Angela ihm mit ihrer Beterei auf die Nerven gehen konnte. Wenn Ordway hinter ihm lag, würde sie auf sich allein gestellt sein. Inzwischen machten vermutlich Steckbriefe mit seinem Bild die Runde, und er musste Distanz zwischen sich und Kansas bringen.
Er dachte an seine Brüder Jess und Sam und betete stumm und schnell für ihre Sicherheit. Ihr Verständnis war so innig, wie es bei Brüdern nur sein konnte, und er hoffte, dass sie nicht die gleichen Probleme hatten wie er.
»Bist du bereit zum Aufbruch?«, fragte Angela und riss ihn aus seinen Gedanken. »Es ist mein Ernst, dass ich so schnell wie möglich in Canon City sein muss.«
»Ich bin bereit, wenn du es bist, Frau«, gab Rafe zurück.
»Du brauchst nicht sarkastisch zu sein«, schmollte Angela, als sie das Zelt verließ. »Ich habe dir nur deine Haut gerettet.«
»Und bei dem Handel einen Ehemann gewonnen«, erinnerte er sie und folgte ihr hinaus.
»Mein Wagen steht hinter dem Zelt. Wir brauchen nur die Pferde einzuspannen und loszufahren.« Sie ging voran zur Rückseite des Zeltes.
Rafe kochte vor Wut. Dachte sie tatsächlich, er würde mit ihr reisen? Diese Frau mochte verlockend schön und sexuell erregend sein, aber sie war nicht sein Typ. Und wenn er eine Ehefrau gewollt hätte, hätte er in Dodge bleiben und die Tochter des Bankiers heiraten können.
All dies behielt er für sich, als er die Pferde einspannte.
»Mein Pferd steht im Mietstall, und der Sheriff hat meine Waffen«, sagte Rafe. »Fahr nur los; ich werde dich einholen.«
Er wandte sich ab, bevor Angela etwas erwidern konnte, und verharrte abrupt, als der Sheriff in der Dunkelheit auftauchte, sein Pferd am Zügel führend.
»Ich dachte, ich erspare Ihnen die Mime, Ihr Pferd zurückzufordern«, sagte Tattersal. »Ihre Eisen habe ich auch mitgebracht. Sie werden sie vielleicht brauchen.«
Rafe presste die Lippen zusammen. »Vielen Dank.« Er nahm die Revolver entgegen und schob sie in die leeren Halfter.
»Ihr beide könnt auf den Wagen steigen«, sagte Tattersal. »Ich binde Gentrys Pferd hinten an.«
»Verdammt, verdammt, dreimal verdammt!«, murmelte Rafe. Nichts lief so, wie er sich das vorgestellt hatte. Jetzt war er gezwungen, neben der verlockenden Kirchenfrau zu sitzen und nach ihr zu gieren, während sie unantastbar blieb.
»Hast du was gesagt?«, fragte Angela, als sie auf den ungefederten Sitz kletterte.
»Kein verdammtes Sterbenswörtchen«, erwiderte Rafe, kletterte neben sie und nahm die Zügel.
»Viel Glück«, rief Tattersal, als sich die Pferde in Bewegung setzten. »Das Missverständnis tut mir leid, Gentry. Ich verspreche Ihnen, dass wir die Kerle schnappen werden, die für die Morde verantwortlich sind.«
Beklommenes Schweigen herrschte, während der Mond höher stieg und die Pferde sich ihren Weg über die holprige Straße suchten. Angela fragte sich, was Rafe Gentry dachte. Sie hoffte, dass er nicht erwartete, seine ehelichen Rechte geltend machen zu können, nur weil sie von einem Prediger getraut worden waren.
Fremde. Das waren sie. Fremde, die keine Gemeinsamkeiten hatten. Welcher Teufel sie auch immer getrieben haben mochte, ihn als ihren Verlobten auszugeben, er hatte sie längst verlassen. Sie warf unter halb gesenkten Lidern einen verstohlenen Blick zu ihrem Bräutigam. Ein Streifen Mondschein fiel auf fest zusammengepresste Lippen, hohe Wangenknochen, silbergraue Augen mit fangen, schwarzen Wimpern.
Seine Miene war ausdruckslos, doch Angela spürte, dass er verärgert war. Das konnte sie ihm nicht verdenken. Auch sie war verärgert. Nein, ›bestürzt‹ war wohl eine bessere Bezeichnung. Sie hatte nicht geahnt, dass ihr impulsives Handeln solche Konsequenzen haben würde.
Verheiratet. Guter Gott, ihr Stiefvater und Anson Chandler, der Mann, der sie heiraten und bei dem Handel eine Goldmine gewinnen wollte, würden fuchsteufelswild sein.
Angelas Unbehagen wuchs noch, als Rafe den Wagen zwischen eine Baumgruppe lenkte, die sie fast völlig von der Straße abschirmte.
»Warum halten wir?«, fragte sie.
»Der Platz ist so gut wie jeder andere zum Schlafen. Wenn ich mich nicht irre, höre ich das Plätschern von Wasser über Felsen in der Nähe.« Er sprang vom Wagen und ging um ihn herum, um ihr hinunterzuhelfen. »Ich werde mich um die Pferde kümmern, während du nach dem Bach Ausschau hältst. Hast du Hunger?«
»Nein, ich habe schon am frühen Abend etwas gegessen.«
»Ich auch. Wenn du vom Bach zurückkehrst, habe ich eine Menge Fragen, die beantwortet werden müssen.«
Angela bedachte ihn mit einem ärgerlichen Blick und verschwand im Wagen, um Handtuch und Seife zu holen. Dann machte sie sich auf die Suche nach dem Bach. Sie brauchte nicht lange zu suchen. Sie folgte einfach dem Plätschern des Wassers und stieß schon nach wenigen Schritten auf einen kleinen Wasserlauf. Sie ließ sich Zeit beim Waschen und legte sich ihre Antworten auf die Fragen zurecht, die Rafe sicherlich stellen würde. Er verdiente Antworten, nahm sie an, aber wie viel Wahrheit sollte sie ihm erzählen?
Ein Ast knackte hinter ihr, und sie fuhr herum. Sie entspannte sich etwas, als sie im Mondschein den Umriss von Rafes kräftigem Körper erkannte. Trotz der milden Nacht erschauerte sie. Alles an Rafe Gentry strahlte Stärke und Kraft aus.
Er wirkte auf Angela wie ein Raubtier auf Beutefang. Trotz seiner unbewegten Miene spürte sie die Spannung, von der er erfüllt war. Er trug seine beiden Revolver, als wären sie mit ihm verwachsen, und Angela hätte gewettet, dass er damit umzugehen verstand.
»Warum dauert es so lange? Weißt du nicht, dass es gefährlich ist, hier draußen allein herumzutrödeln? Nimm dein Handtuch und komm ins Bett, Mrs Gentry.«
Angela erstarrte. Mrs Gentry ? Was erwartete er von ihr? Mit den Händen auf den Hüften, das Kinn trotzig vorgereckt, fuhr sie ihn an.
»Ich werde nie eine richtige Frau für dich sein, Rafe Gentry! Wenn du meinst, du könntest die Situation ausnutzen, dann muss ich das richtig stellen!«
»Lass mich erst mal etwas richtig stellen, Lady«, sagte Rafe grob. »Ich habe nie eine Frau gewollt und habe nicht vor, mein Leben zu komplizieren, indem ich mit einer Frau schlafe, die darauf aus ist, meine Seele zu retten. Ich will nur Antworten von dir. Es muss eine vernünftige Erklärung dafür geben, warum du einen wildfremden Mann geheiratet hast. Und versuche nicht, mir den Bären aufzubinden, du hast es getan, um mir das Leben zu retten.«
Angela hob ihr Kinn und schritt an ihm vorbei. »Undankbarer Kerl!«, murmelte sie im Vorübergehen.
Verlangen peinigte Rafe. Er konnte nur noch daran denken, wie sehr er sich danach sehnte, Angela zu küssen. Er rief sich die köstliche Weichheit und Wärme ihrer Lippen in Erinnerung und berührte seine eigenen mit der Fingerspitze. Er dachte an die süße Unschuld ihrer Reaktion, als er sie bei der Trauung geküsst hatte.
Wenn er der Typ gewesen wäre, der eine Frau ausnutzt, hätte er nicht gezögert, sich zu nehmen, was er begehrte. Vor dem Gesetz hatte er als Angelas Ehemann das Recht, mit ihr zu schlafen. Leider war es anscheinend fast ein Frevel, einen so reinen Engel auch nur anzurühren. Rafe hatte nie behauptet, ein Heiliger zu sein. Davon war er weit entfernt. Und er würde nicht ewig der überwältigenden Versuchung widerstehen können, die dieser Engel für ihn darstellte. Das Beste, was er für Schwester Angela tun konnte, war Distanz zwischen ihnen zu wahren. Und genau das hatte er vor, sobald er die Antworten hatte, die er suchte.
Er kniete sich ans Ufer des Baches, zog sein Hemd aus und klatschte sich Wasser übers Gesicht und den Oberkörper. Dann warf er das Hemd über seine Schulter und folgte Angela zurück zum Lagerplatz. Ein Kribbeln erfasste ihn, und er stöhnte unwillkürlich auf, als er Angelas schlanke Silhouette wie in einem Schattenspiel hinter der Segeltuchplane sah. Sie stand im Wagen, nur in Unterhemd und Unterröcken, vor dem Schein der Laterne und ahnte nicht, welch erregenden Anblick sie Rafe bot.
Als sie die Unterröcke auszog, prickelte es in Rafes Lenden, und kalter Schweiß brach ihm aus. Dann erlosch die Laterne, und Rafe ließ seiner Phantasie freien Lauf. Er stellte sich vor, wie Angela das Unterhemd auszog und ihr Nachthemd über lange, nackte Beine und herrlich wohlgerundete Kurven streifte.
Das Verlangen wurde übermächtig, und seine Beine setzten sich wie aus eigenem Antrieb in Bewegung. Er begehrte diese engelhafte Nachtigall, und wie er sich jetzt fühlte, würde ihn nichts aufhalten. Zum Glück kehrte die Vernunft zurück, als er das Heck des Planwagens erreichte, und er blieb abrupt stehen. Was, zum Teufel, hatte er gedacht? Schwester Angela mochte seine Ehefrau sein, aber sie war nicht für ihn bestimmt. Außerdem hatte sie einen Verlobten, der in Pueblo auf sie wartete. Es war an der Zeit, dass sie ihm sagte, was los war.
Er verharrte hinter dem Wagen und rüttelte an der Heckklappe. »Angela, komm raus, wir müssen miteinander reden.«
»Hat es nicht bis morgen Zeit?«, kam ihre gedämpfte Antwort.
»Morgen früh bin ich vielleicht nicht mehr hier.«
Ihre Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Die Laterne ging flackernd an, und ein Kopf mit zerzaustem blondem Haar tauchte in der Öffnung am Heck auf. »Du willst weg?«
»Wir wissen beide, dass ich wegreiten werde. Ich will wissen, warum du mir das Leben gerettet hast. Das mit der Heirat brauchtest du nicht durchzuziehen, weißt du.« Er kniff misstrauisch die Augen zu Schlitzen zusammen. »Vielleicht irre ich mich, aber… vielleicht wolltest du einen Ehemann. Es fällt mir schwer zu glauben, dass du einfach eine Wohltäterin bist, die darauf aus ist, Seelen zu retten. Wenn das dein Motiv war, bin ich rettungslos verloren.«
Angela biss frustriert die Zähne aufeinander. »Ich bin davon überzeugt, dass deine Seele das Retten nicht wert ist, Mr Gentry. Gute Nacht. Oder sollte ich sagen: lebe wohl?« Dann zog sie ihren Kopf aus der Öffnung zurück und schlug die Plane zu.
Zorn und Enttäuschung wurden übermächtig in Rafe. Er ließ sein Hemd herab, zog sich an der Heckklappe hoch und schwang sich durch die Öffnung auf den Wagen.
»Unser Gespräch ist noch nicht zu Ende, Mrs Gentry.«
Angela schnappte sich ihr Umhängetuch und zog es über ihr dünnes Nachthemd. »Raus!«
»Wenn es mir passt. Setz dich, Schwester, und erzähl mir, was dich dazu getrieben hat, mir das Leben zu retten. Nicht, dass ich undankbar wäre«, fügte er hinzu. »Nur verwirrt.«