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ISBN: 978-3-636-01565-5 | Print-Ausgabe
ISBN: 978-3-86881-084-4 | E-Book-Ausgabe (PDF)
E-Book-Ausgabe (PDF):
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Print-Ausgabe:
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Umschlaggestaltung: Thomas Jarzina, Köln
Satz: Jürgen Echter, Landsberg am Lech
Printed in Austria
Dieses Buch hätte ohne Hilfe nicht entstehen können. Mein innigster Dank gilt meinen lieben Eltern, Anni und Matthias Kurzlechner, die mich stets einzigartig unterstützt haben. Nicole Stenschke weiß, was sie mir bedeutet. Sie war eine fabelhafte und unvergleichliche Stütze. Werner Plumpe, Professor für Wirtschaftsund Sozialgeschichte an der Universität Frankfurt am Main, ist nicht nur ein brillanter Lehrmeister. Ohne seine Vermittlung wäre dieses Buch nicht entstanden. Das gilt auch für Claudia Göbel und Leyla Sedghi von Ariadne-Buch. Ihnen gilt mein Dank ebenso wie Irene Reimann von der Bibliothek des Bundeskartellamts und allen, die mir monatelang den Rücken freigehalten haben: mein Bruder Sebastian Eberl, Hendrik Dettmering, Ulli Schroeder und Bernhard Grulich. Ein solches Projekt hätte ich niemals schultern können ohne Julia Wahl, Slavica Beronja, Tobias Frisch (wegen seiner Passion für Gedrucktes oft unersetzlich), Anne Küffner, Andreas Seemann und Andrea Arnold. Das Schreiben ließe sich nicht durchhalten ohne Kollegen, die spezielle Freuden und Sorgen mitempfinden und teilen: Bettina Sauer (auf die man stets zählen kann), Sabine Demm, Timo Schmidhuber, Kirsten Pieper, Caro Wörmann, Christine Ulrich, Sonja Gibis, Florian Ernst, Christiane Pütter, Christoph Hickmann, Thorsten Schaff, Johanna Schrön und Sylvia Meilin Weber. Eigenheiten des Autorendaseins fühlen Nici Nathan, Nicola Megies, Johannes Borst und Sara Boss mit Raimund Seitzer und Peter Lückemeier schulde ich besonderen Dank. Robert Arsenschek gewährte mir außergewöhnlichen Freiraum zur Entfaltung. Widmen möchte ich dieses Buch dem zu früh gestorbenen Adolf Karber, der über Jahrzehnte junge Journalisten der Frankfurter Rundschau mit väterlicher Hingabe, eigenem Charakter und Herzblut förderte. Sein Engagement war unvergleichlich.
Werner Kurzlechner
Die Raubkatze hat gelernt, sich zu betragen. Das Jubeljahr seines 50-jährigen Bestehens begann das Bundeskartellamt, wie es sich für eine respektable Oberbehörde gehört: feierlich, aber ohne übertriebenen Popanz und in architektonisch nüchterner Umgebung. Mitte Januar 2008 richteten die Wettbewerbshüter im ehemaligen Bundestag-Plenarsaal in Bonn eine Feier mit rund 500 Gästen aus. Neben Fachleuten für Wettbewerbspolitik zierten Spitzenvertreter wie Bundeswirtschaftsminister Michael Glos und BDI-Präsident Jürgen Thumann die Gästeliste. Das Bundesfinanzministerium zollte der Institution mit einer Sonderbriefmarke Respekt. Diese Anerkennung haben sich die aktuell etwa 300 Mitarbeiter und ihr amtierender Präsident Bernhard Heitzer ebenso verdient wie ihre vielen Vorgänger. Doch das Kartellamt musste sich diesen Respekt in den vergangenen Jahrzehnten härter erarbeiten als vergleichbare Institutionen. Die meisten der Feiernden, die sich friedlich zugeprostet haben mögen, lagen irgendwann miteinander über Kreuz. Und wie eine Spinne in ihrem Netz waren die Juristen und Ökonomen der Beschlussabteilungen stets in der Mitte des Konfliktfelds und mussten kühlen Kopf bewahren, wenn Unternehmer, Politiker und andere hitzig ihre Standpunkte und Interessen durchzuboxen versuchten. Diese Rolle verlangte von den Entscheidungsträgern in der Behörde mehr, als in einem engen rechtlichen Rahmen nüchtern die Argumente der streitenden Parteien abzuwägen. Kartellwächter müssen kampfeslustiger sein als andere Beamte. Ihre Aufgabe im Dschungel der Marktwirtschaft ist es, ein gesundes Maß an Wettbewerb zu verteidigen: das eine Mal mit den Zähnen und Krallen eines Raubtieres, das andere Mal mit seiner Geschmeidigkeit.
Dieses Bild der Wildkatze begleitet das Bundeskartellamt vom Beginn seiner Tätigkeit im Jahr 1958. Damals verspotteten viele die neue Behörde als »zahnlosen Papiertiger«. Gerade diejenigen aber waren die raren Verbündeten, die den Mitarbeitern als gesetzliche Basis ihres Tuns mehr gewünscht hätten als ein zerfranstes Flickwerk eines Wettbewerbsgesetzes. Und genau das war aus Ludwig Erhards »Grundgesetz« der Marktwirtschaft am Ende geworden. Industrie und Politiker stellten die Behörde schon vor ihrem Entstehen als gefräßiges Ungeheuer dar, das den ökonomischen Nährboden der Republik auf gefährliche Weise umpflügen würde. Viele Jahre wurde zäh gerungen um ein Kartellverbot für die deutsche Wirtschaft, die lange von Netzwerken getragen war, die ein freies Spiel der Marktkräfte aushebelten. Um das Verbotsprinzip durchzusetzen, mussten Erhard und seine Mitstreiter tief greifende Zugeständnisse machen. Das Ergebnis hat der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser treffend beschrieben:
»Am Ende stand ein Gesetz nach dem Muster von Radio Eriwan. Es verbot Kartelle zwar im Prinzip, ließ aber zahllose Ausnahmen zu. Konditionen-, Rabatt-, Auslands-, Strukturkrisen-, Export- und Rationalisierungskartelle sowie die Preisbindung zweiter Hand durchlöcherten das Verbotsprinzip wie einen Schweizer Käse.« (FAZ, 23.12.2007)
Der Behörde und ihren Mitarbeitern gebührt Respekt dafür, dass sie auf dieser Grundlage und unter vielfachen Anfeindungen die heikle Mission angenommen haben. Und ebenso dafür, dass sie sie über 50 Jahre durchhielten und wegweisende Erfolge erfochten. Dafür, dass sie sich von vielen Rückschlägen nicht entmutigen ließen. Und dafür, dass sie das alles letztlich zum Wohle der Verbraucher taten. Das alles soll hier ausdrücklich festgehalten sein, verbunden mit einer Gratulation zum Jubiläum, weil es im Folgenden insgesamt zu kurz kommen wird. 50 Jahre Bundeskartellamt sind zwar Anlass dieses Buches, doch eine Festschrift soll es nicht sein. Ziel dieses Buches ist es, mit den Mitteln der historischen Empirie wettbewerbspolitische Kontinuitäten und Brüche aufzuzeigen. Es gilt, Handlungsspielräume des Kartellamts und anderer Akteure des wirtschaftlichen und politischen Lebens auszuloten und die Folgen von Entscheidungen für die Ordnung und die Strukturen des Wirtschaftslebens zu analysieren und einzuordnen. Bis in die Gegenwart reichende Praktiken und Einzelentscheidungen des Bundeskartellamts sowie die wechselnden Konjunkturen der Wettbewerbspolitik sollen in einen von gesellschaftlichem Strukturwandel geprägten historischen Kontext eingebettet werden. Dafür wurde ein weitgehend chronologischer Aufbau gewählt, der mehrmals durch zeitübergreifende und beispielreiche Sachkapitel durchbrochen ist.
Überraschen mag in der kritischen Würdigung einer erst 50 Jahre alten Einrichtung der Bundesrepublik der Blick in eine sehr viel ältere Vergangenheit und gar in die USA. Dahinter steht die Annahme, dass die Bedeutung der Wettbewerbspolitik, ihre Ausgestaltung in der Bundesrepublik und die Rolle der Kartellbehörde erst durch historische und räumliche Vergleiche anschaulich werden. Weder Marktwirtschaft und dynamischer Wettbewerb noch Kontrollbehörden und Wettbewerbspolitik sind so selbstverständlich, wie es bei der täglichen Zeitungslektüre erscheinen mag.
Ohne einen vergleichenden Blick über den Atlantik bleibt unverständlich, welche Neuerung Wettbewerbsgesetz und Bundeskartellamt hierzulande darstellten. Das Drängen der amerikanischen Alliierten zu einer wirksamen Kontrolle von Kartellen und Monopolen lässt sich nur aus der Anti-Trust-Tradition in den USA seit Ende des 19. Jahrhunderts erklären. Der Unternehmenshistoriker Alfred D. Chandler hat für die »typisch deutsche Wirtschaftsweise« den Begriff des »Kooperativen Kapitalismus« geprägt, den er dem »Managerial Capitalism« in den USA gegenüberstellt. Dessen Wurzeln und die Genese der amerikanischen Antikartellgesetzgebung gilt es näher zu beleuchten.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestimmten nicht die Politiker die Geschicke des Landes. Diese Deutung jedenfalls legt der Historiker Alistair Cooke in einer Geschichte der USA von 1975 nahe: »Es ist wohl aufgefallen, daß wir seit Lincoln kaum einen Präsidenten mehr erwähnt haben[…]. Während der vierzig Jahre nach dem Bürgerkrieg – also um die Jahrhundertwende – lag die wirkliche Macht bei den Stahltrusts, den Eisenbahngesellschaften, dem Erdölmonopol.« (S. 296) Tatsächlich sind Präsidenten wie Andrew Johnson, Rutherford B. Hayes oder Chester A. Arthur weithin vergessen, während die Namen von Industriellen wie John D. Rockefeller, Andrew Carnegie oder J. P. Morgan noch heute einen schillernden Klang haben. Sie schufen einen neuen Typus von Großunternehmen: die »giant corporations«. Die schiere Größe dieser Giganten faszinierte und verängstigte die Zeitgenossen in gleichem Maße. Umso mehr galt dies für Reichtum und Macht ihrer Eigentümer. Die Gründer der neuartigen Wirtschaftsimperien werden seither als Visionäre des Marktes glorifiziert oder als »Räuberbarone« geschmäht. Das amerikanische Wettbewerbsrecht entstand vor allem, um ihrem Einfluss Grenzen zu setzen.
Die Pioniere dieser zweiten Industrialisierungsphase waren wenig zimperlich in ihren Methoden und nutzten die Spielräume eines weithin ungeregelten Laisser-Faire-Kapitalismus aus. So gab sich der Reeder Cornelius Vanderbilt gerne als Vorkämpfer freien Wettbewerbs, von dem er als billigster Anbieter profitierte. Auf seine Klage hin hob der Oberste Gerichtshof 1824 ein Monopol auf, das der Staat New York einem anderen Unternehmen für den Verkehr auf dem Hudson River gewährt hatte. Seine Konkurrenten stach Vanderbilt ohne Skrupel aus, kaufte sie hinterher auf und zimmerte so sein Firmenreich. Sein unglaublicher Aufstieg bildete die Blaupause für eine jüngere Generation, die ihm Ende des Jahrhunderts nacheiferte.
Als 17-Jähriger hatte sich Vanderbilt von seiner Mutter 100 Dollar geborgt, ein Segelboot gekauft und Passagiere zwischen Staten Island und New York hin und her geschippert. Bald hatte er 100 Dampfer und brachte Goldsucher von der Ostküste über Nicaragua nach San Francisco. Ab 1855 forderte er mit niedrigen Preisen und dem seinerzeit größten Schiff der Welt die staatlich subventionierten Platzhirsche Cunard in Großbritannien und Collins in den USA heraus. Der Bürgerkrieg schließlich brachte ihm einen Regierungsauftrag zum Truppentransport ein und katapultierte ihn in die Machtzirkel der Hauptstadt. Dann sattelte er komplett vom Schiffstransport auf die Eisenbahn um und sein Netz reichte bald bis an die Großen Seen. Als betagter Unternehmer änderte er seine Strategie und schmiedete Kartelle. 1874 trommelte der einstige Kämpfer gegen Monopole seine Konkurrenten zusammen, um ihnen eine Übereinkunft gegen »schädlichen Wettbewerb« nahe zu legen. Als Vanderbilt im Januar 1877 starb, hatte er ein nach damaligen Maßstäben unerhörtes Vermögen von 100 Millionen Dollar angehäuft – wenn nötig auch mittels Bestechung und Bilanzfälschung.
In den 1860er-Jahren wurde Vanderbilt von einem 40 Jahre jüngeren Farmersohn düpiert: Jay Gould hatte während des Bürgerkriegs als Spekulant ein Vermögen gemacht und gaukelte Eisenbahnunternehmern vor, er wolle parallel zu den ihren verlaufende Gleise bauen. Die Erpressten kauften ihm seine nur zur Camouflage gegründeten Firmen ab. Mit seinen Spießgesellen Jim Fisk und Daniel Drew erwarb er eine Mehrheit an der Erie Railroad, einem direkten Konkurrenten von Vanderbilts New York Central Railroad. Vanderbilt versuchte selbst, Erie-Anteile zu erwerben, woraufhin Gould, Fisk und Drew den Markt mit frisch gedruckten Aktien überschwemmten. Als die Behörden des Bundesstaates New York dieser illegalen Praxis Einhalt geboten, gingen die drei nach New Jersey. Dort schmierten sie Abgeordnete, und der Gesetzgeber legalisierte ihr Treiben. 1869 zeigte Gould, dass er die gesamte Volkswirtschaft ins Verderben zu stürzen vermochte: In großem Stil kaufte er zunächst niedrig bewertetes Gold auf und trieb so den Preis in die Höhe. Über seine Kontakte nach Washington hielt er die Politik davon ab, mit dem Verkauf von Gold das Spekulationsfieber zu dämpfen. Als die Regierung dann doch kostbare Reserven verschleuderte, waren viele Anleger ruiniert. Gould aber hatte seine Anteile zu Höchstpreisen abgestoßen. Bis zu seinem Tod 1892 war er in boomenden Branchen tätig, ohne sich jemals aktiv im Management dieser Firmen zu engagieren.
Spekulanten wie Jay Gould bilden eine von fünf idealtypischen Unternehmergruppen, die der Wirtschaftshistoriker Walter Licht in der Frühphase des »Big Business« unterscheidet. George Westinghouse, der 1869 eine automatische Zugbremse entwickelte und allein in den 1880er-Jahren 134 Patente anmeldete, und Thomas Alva Edison, der 1877 das Grammofon erfand und in den 1880er-Jahren den Weg zur Elektrifizierung ebnete, verkörperten den Typus des Erfinders. Sie hinterließen zwei Konzerne, die bis heute die amerikanische Elektroindustrie beherrschen: Westinghouse Electric und den Marktführer General Electric, entstanden 1892 durch den Zusammenschluss von Edison General Electric und Thomson-Houston Electric: eine der Großfusionen, die fortan die amerikanische Wirtschaftsgeschichte prägten. Ein genialer Organisator war Gustavus Swift, der erst als Gehilfe in einer Dorfmetzgerei schuftete und dann die Nahrungsmittelindustrie revolutionierte. Bis dahin wurde lebendes Vieh über Chicago zu den Märkten an der Ostküste verschifft. Nur zwei Fünftel der Fracht konnten verwertet werden, falls die Tiere den Transport überlebten. Mit dieser unrentablen Misswirtschaft räumte Swift auf: Er führte die Massenschlachtung ein und schickte abgepacktes Fleisch in neuartigen Kühlwaggons durch das ganze Land. So baute er ein Unternehmen auf, das zur Jahrhundertwende 20.000 Arbeiter und Angestellte beschäftigte.
Entstehen konnten die neuen Industriekolosse nur mithilfe einfallsreicher Strippenzieher, die für die Finanzierung der ambitionierten Projekte sorgten. Sie vergaben Kredite, beschafften Kapital auf den Aktienmärkten, halfen im Insolvenzfall bei der Reorganisation der Unternehmen und regten Zusammenschlüsse an. Aus dieser Gruppe ragte der Investment-Banker John Pierpont Morgan heraus, der Spross einer in den USA und Europa erfolgreichen Finanzmaklerdynastie. 1861 gründete er in New York seine eigene Firma und spekulierte während des Bürgerkriegs ertragreich mit Gold. Sein Meisterstück lieferte J. P. Morgan in den 1880er-Jahren, als er das durch Spekulanten erschütterte Vertrauen in die Sicherheit von Wertpapieren wieder herstellte. Er brachte die Verantwortlichen aus der Eisenbahnbranche an einen Tisch und überzeugte sie, den ruinösen Wettbewerb einzustellen und Absprachen über die Aufteilung der Nachfrage zu treffen. Infolge der 1893 einsetzenden Depression riefen in Bankrott geratene Eisenbahngesellschaften ihn zur Hilfe beim Wiederaufbau ihrer Firmen. Bald saßen Morgan und seine Partner in diversen Aufsichtsräten und setzten ihre kooperative Agenda durch. Einstige Konkurrenten stimmten ihre Strategien nun ab und erzielten stabile Gewinne. Morgan fädelte außerdem Megafusionen wie jene zu General Electric ein. Er wirkte einflussreich im Hintergrund, bis Präsident Grover Cleveland ihn zum Goldeinkäufer der Regierung ernannte. So spielte J. P. Morgan eine aktive Rolle in der Deflationspolitik, die für die Depression der 1890er-Jahre verantwortlich gemacht wurde.
Den letzten Großunternehmertypus nach Licht bildeten die Gründer beständiger Mammutkonzerne, allen voran Andrew Carnegie und John D. Rockefeller. Carnegie schlug sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, ehe er als Telegrafenmaschinist bei der Pennsylvania Railroad angestellt wurde. Im Fabrikinspektor Thomas Scott fand er einen Förderer, der ihn das Management-Handwerk lehrte. 1875 eröffnete er mit den Edgar Thomson Works die modernste Stahlfabrik des Landes und baute die Carnegie Steel Company zum führenden Unternehmen der Branche aus. Sein Erfolg basierte auf modernsten Maschinen und einer innovativen Unternehmensführung. Sein Partner Henry Clay Frick baute das Unternehmen in einen vertikal integrierten Konzern um, der über Eisenerz ebenso verfügte wie über ein eigenes Transportnetz. Seine zweite Karriere als Wohltäter startete Carnegie mit den 250 Millionen Dollar, die er 1901 durch eine monumentale Fusion erhalten hatte: Die Carnegie Steel Company ging im monströsen Konglomerat der United States Steel Corporation auf, die niemand anders als J. P. Morgan zusammenschweißte.
Als generöser Spender konkurrierte John D. Rockefeller durchaus mit Carnegie. Die Methoden, mit denen er sein Wirtschaftsreich errichtete, galten seinen Zeitgenossen jedoch als Inbegriff von Rücksichtslosigkeit. 1863 beteiligte er sich am Aufbau einer Erdölraffinerie in Cleveland und konzentrierte nach Kriegsende seine Energie in dieser Branche. 1867 betrieb er die größte Raffinerie des Landes. Rockefellers Strategie war es fortan, den Wettbewerb im Ölsektor auszuschalten. Zwischen 1865 und 1868 kaufte er allein in Cleveland 50 Konkurrenten auf. Seine Marktmacht nutzte er, um Vorzugstarife mit den Eisenbahngesellschaften auszuhandeln. Diese buhlten um seine Gunst, weil er die größten Frachtkapazitäten garantieren konnte. Seine durch die niedrigsten Transportkosten bedingte Überlegenheit spielte Rockefeller aus und zwang seine Konkurrenten in einen ruinösen Preiswettbewerb. 1873 begann er, andere Raffinerien in seine neu gegründete Holding Standard Oil zu locken, die im Gegenzug Bargeld oder Aktien des Unternehmens erhielten. Bis 1878 entstand ein mächtiger Monopolist, der über 80 Prozent der Ölverarbeitungskapazitäten der USA kontrollierte und die Preise diktierte. Als Problem erwies sich jedoch die Organisation. Der zunächst beschrittene Weg ähnelte einem klassischen Kartell, in dem beteiligte Unternehmen zumindest formal ihre Unabhängigkeit bewahren. Sie erhielten von Rockefeller Geld oder Aktien und sollten sich im Gegenzug an abgesprochene Preise und Mengen halten, wozu sie gesetzlich jedoch nicht verpflichtet waren. Die föderalistische Struktur der USA erschwerte die Lage, denn den rechtlichen Rahmen steckten die Einzelstaaten unabhängig voneinander ab. Der in Ohio eingetragenen Standard Oil war es dort nicht gestattet, das Kapital von Firmen aus anderen Bundesstaaten zu halten. Als Lösung erfanden Rockefellers Anwälte 1881 die Organisationsform des »Trusts«, der auf einer findigen Konstruktion basiert: Ein Gremium hielt gemeinsam die Standard-Oil-Anteile und jene der Tochterfirmen, rechtlich traten die Eigentümer als voneinander unabhängige Einzelpersonen auf. Die beteiligten Personen fungierten als »Trustees«: als Treuhänder, die ihre Anteile sozusagen auf Vertrauensbasis im Sinne der Standard Oil verwalten sollten, doch faktisch waren sie von Rockefellers Entscheidungen abhängig. Dieses Vorbild fand rasch seine Nachahmer. Das Unbehagen über die »Trusts« mündete schließlich in eine nationale Antikartellgesetzgebung.
So befremdlich die schiere Größe der neuen Konzern erschien, so sehr gehorchte sie dem ökonomischen Gesetz der steigenden Skalenerträge. Mit wachsendem Ausstoß an Öl oder Stahl ließen sich die Stückkosten senken, weil sich die in diesen Sektoren exorbitant hohen Fixkosten auf immer mehr Einheiten verteilten. Viele Unternehmen nutzten die Synergieeffekte vertikaler Integration und knüpften hausinterne Fertigungsketten von den Rohstoffquellen bis zum Vertrieb. Frappierend ist die Langlebigkeit der Marktmacht der damals gegründeten Unternehmen: Von den 500 umsatzstärksten amerikanischen Unternehmen im Jahre 1994 wurden 162 zwischen 1850 und 1900 gegründet, weitere 160 in den folgenden 30 Jahren. Selbstverständlich war das Überleben der Großunternehmen jedoch nicht. Um über jeglichen Strukturwandel hinweg im Wettbewerb zu bestehen, bedurfte es in dieser Ära durchaus dynamischer Unternehmergestalten. Vanderbilt, Swift, Edison, Westinghouse, Carnegie und Rockefeller haben die Grundlagen ihres Erfolgs allenthalben unter scharfen Konkurrenzbedingungen unstrukturierter Märkte gelegt. Vanderbilt und Rockefeller traten in jungen Jahren aktiv für den freien Wettbewerb ein. Nachdem eine führende Stellung errungen war, strebten sie danach, die Marktmechanismen auszuschalten. Und dagegen regte sich politischer Widerstand.
Die Trusts wussten die Trümpfe auf ihrer Seite, solange sich Washington ihnen gegenüber passiv verhielt. Im Zweifel wetteiferten die Einzelstaaten darum, ihnen die günstigsten gesetzlichen Bedingungen zu bieten, schließlich sollten ihre Steuern im Lande bleiben. In der Zwischenzeit wandte sich die öffentliche Meinung gegen die Macht der Trusts. Bis 1890 verabschiedeten 17 Bundesstaaten Antitrust-Gesetze, der Kongress in Washington debattierte in immer schärferem Tonfall. Zum Kämpfer an vorderster Front schwang sich ausgerechnet ein Senator aus Rockefellers Heimat Ohio auf: John Sherman. Im Kabinett Hayes war Sherman von 1877 bis 1881 Finanzminister und hatte sich 1880 vergeblich als Präsidentschaftskandidat der Republikaner beworben. 1890 arbeitete er mittels heroischer Rhetorik heraus, worum es im Kampf gegen die Trusts gehen sollte: um die Einführung demokratischer Prinzipien ins Wirtschaftsleben:
»Wenn wir keinen König als politische Macht ertragen wollen, sollten wir auch keinen König über die Produktion, den Verkehr und den Verkauf der Güter des täglichen Lebens dulden. Wenn wir uns keinem Kaiser unterwerfen wollen, sollten wir uns auch keinem Autokraten des Handels unterwerfen, der die Macht hat, Wettbewerb zu verhindern und Preise jeglicher Waren festzusetzen.« (Eisner, S. 49)
Zwei Jahre lang suchten die Volksvertreter nach einer Antwort auf das Problem, ehe der Kongress 1890 den Sherman Act verabschiedete, der unangemessene Handelsbeschränkungen verbot. Sie hatten zugleich ein glorreiches Werk vollbracht – den Beginn der amerikanischen Antitrust-Gesetzgebung – und ein in vieler Hinsicht völlig unzureichendes Gesetz geschustert. Es war so offen formuliert, dass auf seiner Grundlage zunächst einmal Streiks niedergeschlagen wurden: als für den freien Handel schädliche Verschwörungen.
In seiner Unbestimmtheit führte der Sherman Act zu virulenter Rechtsunsicherheit. Definiert war immerhin, mit welchen Sanktionen Verstöße bewehrt werden konnten. Das Spektrum reichte von einem läppischen maximalen Bußgeld von 5.000 Dollar (seit 1974 1 Million Dollar für Unternehmen und 100.000 Dollar für Individuen) bis zu Gefängnisstrafen von bis zu einem Jahr (inzwischen wurde der Begriff »misdemeanor«, also Vergehen, ersetzt durch »felony«, also Straftat; der Strafrahmen umfasst deshalb bis zu drei Jahren Haft).
Sei es aus Gleichgültigkeit, sei es aus naivem Glauben an die Abschreckungswirkung des Gesetzestextes: Maßnahmen zur Durchsetzung des Sherman Acts blieben zaghaft. Zuständig dafür war und ist das Justizministerium, in dem 1890 lediglich 80 Personen tätig waren, darunter 18 völlig überlastete Staatsanwälte, deren Gehalt abhängig von der Höhe der verhängten Bußgelder war. Anreize, ein neues, vage formuliertes Gesetz auszutesten, bestanden nicht. 1903 bewilligte der Kongress deshalb die Errichtung einer spezialisierten Antitrust-Abteilung mit fünf Anwälten und vier Stenografen, deren Bezahlung nicht mehr von den Bußgeldern abhing. Darüber hinaus erhielt die Antitrust Division ein Budget von 500.000 Dollar für fünf Jahre. An diesen Rahmenbedingungen änderte sich bis in die 1930er-Jahre substanziell wenig. Das jährliche Budget betrug jetzt 300.000 Dollar, personell wuchs die Abteilung auf 25 Mitarbeiter. Im ersten Jahrzehnt des Sherman Acts brachten die Ankläger durchschnittlich anderthalb Fälle jährlich vor Gericht, in den 1920er-Jahren waren es im Schnitt zwölf. Obgleich die Richter der Antitrust-Behörde häufig Recht gaben, verfügten sie zumeist nur niedrige Geldbußen: in vier Jahrzehnten insgesamt 2,17 Millionen Dollar in mehr als 300 Fällen und zwölf Haftstrafen von insgesamt fast genau fünf Jahren, die selten Unternehmer und zumeist Arbeiterführer betrafen.
Es oblag dem Obersten Gerichtshof, in mehreren Grundsatzurteilen Klarheit über die Auslegung des Gesetzes zu schaffen. In einem ersten Testfall entschied der Supreme Court, dass die laxe Gesetzgebung in New Jersey dem Sherman Act nicht widersprach. Diesem Geiste entsprach 1895 das Urteil im Fall Vereinigte Staaten gegen E. C. Knight Co.: Der beklagte Trust kontrollierte zwar 98 Prozent der Zuckerproduktion, das Gericht befand jedoch, es handele sich dabei um verschiedene Monopole auf regionalen Märkten innerhalb einzelstaatlicher Grenzen. Weil kein zwischenstaatlicher Handel bestehe, könne der Sherman Act nicht angewendet werden. In den folgenden Jahren verdeutlichte der Supreme Court immerhin, dass das Gesetz als grundsätzliches Kartellverbot zu werten sei. Absprachen von Wettbewerbern über Preise und Produktionsmengen sowie gemeinschaftlich abgesteckte Gebietsmonopole waren jetzt per se illegal. Die wirtschaftshistorische Konsequenz ist bedeutsam. Weil Kartelle verboten waren, blieben zur Eindämmung oder gar Ausschaltung von Wettbewerb nur noch Zusammenschlüsse. Eine regelrechte Fusionswelle setzte ein: Zwischen 1894 und 1904 wurden laut Walter Licht 131 Fusionen gezählt, in denen mehr als 1.800 Unternehmen zu neuen Konzernen verschmolzen. Eine andere Quelle, die offensichtlich kleinere Fusionen berücksichtigt, zählt zwischen 1897 und 1904 sogar 3.000 Zusammenschlüsse. Mithin beförderte diese Auslegung des Sherman Acts, die neben Kartellen auch Monopole untersagte, die Dominanz jeweils weniger Großunternehmen auf den amerikanischen Märkten.
Nicht zufällig ebbte die Fusionsflut just 1904 ab. In diesem Jahr zeigte der Supreme Court erstmals, dass sich auf Basis des Sherman Acts auch Trusts zerschlagen ließen. Mit der Northern Securities Co. traf es eine Holding, die zwei rivalisierende Eisenbahnfirmen zusammenfasste. Das Gericht wertete deren Streben nach Marktmacht als Beweis für den Versuch einer Monopolbildung. Die mit diesem Verdikt beginnende Entwicklung kulminierte 1911, als neben anderen der Standard-Oil-Trust zerschlagen wurde.
Rockefeller hatte den Sitz seines Ölkomplexes 1899 von Ohio nach New Jersey verlegt, wo seine Holding ungestört schalten und walten konnte. Deren Erfolg war mit Gewinnen von bis zu 45 Millionen Dollar jährlich in den 1890er-Jahren ungebrochen. 1904 kontrollierte Standard Oil 90 Prozent der Ölverarbeitung in den USA und stellte vor allem Kerosin her. Das Justizministerium reichte unter anderem wegen geheimer Absprachen über Eisenbahntarife Klage gegen den Trust ein. Der Supreme Court entschied, dass der Trust den Sherman Act verletzt habe. Grundlage des Urteils war nicht die schiere Marktmacht, die als Beweis für einen Gesetzesverstoß nicht ausreichte. Vielmehr war nach der sogenannten »rule of reason« zwischen unwillentlichen, weil unvermeidbaren, sowie mit Absicht begangenen Wettbewerbsbeschränkungen feinsäuberlich zu unterscheiden – nur letztere stellten sanktionierbare Verstöße dar. Auf Basis dieser Unterscheidung beschloss der Supreme Court im Mai 1911, die Standard Oil Corporation in mehr als 30 Gesellschaften aufzuteilen. Danach strukturierte sich auch der amerikanische Mineralölmarkt bald oligopolistisch: aus der Standard Oil of New Jersey wurde Esso (Eastern States, Standard Oil), 1972 umbenannt in Exxon; aus der Standard Oil of New York entwickelte sich Mobil Oil, 1999 in einer Megafusion mit Exxon zu ExxonMobil verschmolzen; aus der Standard Oil of California schließlich ging Chevron hervor.
1911 entwickelte sich zum Antitrust-Symboljahr. Mit American Tobacco wurde der unangefochtene Marktführer für Zigaretten in drei Teile zerschlagen. Im gleichen Jahr wurde außerdem der Chemie-Riese Du Pont aufgespaltet. Bald aber rückten die Richter von ihrer harten Linie gegen Großkonzerne wieder ab. Auch deshalb erlebten die USA zwischen 1916 und 1929 eine weitere Fusionswelle, die mehr als 5.000 Firmen betraf.
Die wechselnden gerichtlichen Entscheidungen verstärkten den Unmut über den vage formulierten Sherman Act. Darüber, dass es einer neuen Regelung bedurfte, herrschte 1912 kein Zweifel mehr.
Dennoch entwickelte sich die Gestaltung des Wettbewerbsrechts zum Zankapfel im Präsidentschaftswahlkampf zwischen dem republikanischen Amtsinhaber Theodore Roosevelt und seinem demokratischen Herausforderer Thomas Woodrow Wilson. Roosevelt stand zwar im Ruf, ein »Trustbuster« zu sein. Nichtsdestotrotz hielt er den Wunsch vieler kleiner Unternehmen nach vollständigem Wettbewerb für überholt. Der Sherman Act wurde aus seiner Sicht geschaffen, um die »Wettbewerbsbedingungen aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts« wiederherzustellen. An der größeren Effizienz der Konzerne gegenüber Minibetrieben hegte Roosevelt keinen Zweifel. Möglicher Gefahren geballter wirtschaftlicher Macht war er sich gleichwohl bewusst. Nach dem Vorbild der bestehenden Interstate Commerce Commission schlug er vor, eine Aufsichtsbehörde einzurichten, die das Handeln der Großunternehmen überwachen sollte. Wilson lehnte dies ab und sprach sich für die strukturelle Sicherung des Wettbewerbs aus: »Ein Trust ist ein Arrangement zur Beseitigung von Wettbewerb, und ein Großunternehmen ist ein Unternehmen, das den Wettbewerb durch Raubzüge in den Feldern der Information und der Wirtschaft überlebt hat. Ein Trust bringt keine Effizienz zum Wohle des Geschäfts; er treibt die Effizienz aus der Geschäftswelt hinaus.« (Eisner, S. 57)
Den Wahlkampf gewann Wilson, doch als praktische Lösung in der Wettbewerbspolitik bildete sich ein Zwitter aus beiden Positionen heraus: 1914 verabschiedete das Parlament den Clayton Act. Dieser verbot Preisdiskriminierungen beim Verkauf gleichartiger und gleichwertiger Güter ebenso wie exklusiven Handel und Knebelverträge. Der Erwerb von Aktien und sonstigen Anteilen anderer Firmen galt nun als illegal, wenn er den Wettbewerb wesentlich zu mindern oder ein Monopol zu schaffen drohte. Im Gegensatz zum Sherman Act definierte der Clayton Act präzise Grenzen der Legalität und stellte klar, dass es sich bei menschlicher Arbeit nicht um ein Handelsgut handele. Damit diente der Sherman Act nicht länger als Rechtfertigung für brutales Einschreiten gegen streikende Arbeiter.
Ebenfalls 1914 komplettierte der Kongress das wettbewerbspolitische Instrumentarium der USA mit dem Federal Trade Commission Act. Die dadurch geschaffene Experten-Kommission wurde von einem Gremium geleitet, dessen Mitglieder für sieben Jahre vom Präsidenten ernannt wurden. Zum einen sollten die Fachleute die Wirtschaft beobachten und mit ihren Expertisen wirtschaftspolitische Entscheidungen wissenschaftlich unterfüttern. Zum anderen oblag es ihnen, die von Roosevelt geforderte Kontrollfunktion wahrzunehmen und Verstöße gegen die Antitrust-Gesetze zu verfolgen. Mit diesem Gremium und der Antitrust Division des Justizministeriums bestanden jetzt also zwei spezifische Antitrust-Institutionen nebeneinander, deren Zuständigkeiten nicht klar getrennt waren. In der Praxis führte dies zu manchen Reibungsverlusten. Erst 1948 wurden die Aufgaben einigermaßen klar nach wirtschaftlichen Sektoren und nach der Art der Rechtsverstöße getrennt.
Seither gab es manche Modifikationen und Erweiterungen am amerikanischen Wettbewerbsrecht. Auch die Konjunkturen von Antitrust-Aktivitäten wechselten, da sie politisch mal mehr und mal weniger gewollt waren. Eine Traditionslinie hatte sich indes klar herausgebildet: In den USA waren Kartellabsprachen seit der Wende zum 20. Jahrhundert geächtet und wurden staatlich verfolgt. In Europa und insbesondere in Deutschland entwickelten sich die Dinge in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach gänzlich anderem Muster.