Gerd Lüdemann

Jesus nach 2000 Jahren
Was er wirklich sagte und tat

Dieses Buch ist
James M. Robinson
gewidmet.

Vierte, verbesserte Auflage 2014

© 2000 by zu Klampen Verlag, Springe

www.zuklampen.de • info@zuklampen.de

Umschlagentwurf: Groothuis & Consorten, Hamburg

ISBN 978-3-86674-328-1

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ›http://dnb.ddb.de‹ abrufbar.

Souverän zieht Gerd Lüdemann in »Jesus nach 2000 Jahren« die Bilanz der seit 250 Jahren betriebenen historisch-kritischen Beschäftigung mit den frühchristlichen Schriften. Welche der Jesus zugeschriebenen Worte und Taten müssen als Resultat der früh einsetzenden Legendenbildung betrachtet werden, welche können mit größter Wahrscheinlichkeit als echt gelten?

In dem vorliegenden Buch werden die wichtigsten Jesusüberlieferungen der ersten beiden Jahrhunderte neu übersetzt und dann auf ihre historische Glaubwürdigkeit hin untersucht. Auf diese Weise gelingt es Lüdemann, Orientierung zu bieten angesichts der widersprüchlichen Jesusbilder sowohl in der Flut von populärer und wissenschaftlicher Jesusliteratur der letzten Jahre als auch schon im Neuen Testament selbst.

Gerd Lüdemann, Jahrgang 1946, ist Professor Emeritus für Geschichte und Literatur des frühen Christentums an der Universität Göttingen und Visiting Scholar an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee, USA.

Inhalt

Titel

Impressum

Widmung

Über den Autor

Vorwort

Einleitung - Voraussetzungen, Methode und Interesse

Kapitel I - Das Evangelium nach Markus

Kapitel II - Das Evangelium nach Matthäus

Kapitel III - Das Evangelium nach Lukas

Kapitel IV - Das Evangelium nach Thomas

Kapitel V - Kurzvita Jesu

Register aller echten Worte und Taten Jesu

Autorenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

Dieses Buch, das ich hiermit in vierter, verbesserter Auflage vorlege, möchte eine Lücke in der theologischen Literatur schließen. Sie ist unter all denen besonders fühlbar, die mit Kirche und Christentum zu tun haben: Geistlichen, Religionslehrern und Religionslehrerinnen sowie vor allem den im steigenden Maße an Jesus Interessierten. Sie alle werden verunsichert von einer widersprüchlichen Fülle von modernen Jesusbüchern, aber auch durch die widersprüchlichen Jesusbilder im Neuen Testament selbst. Dazwischen liegen zwanzig Jahrhunderte, in denen man Jesus in völlig unterschiedlicher Weise verstanden hat.

Die vor rund 250 Jahren entwickelte historisch-kritische Jesusforschung ist zwar zum wissenschaftlichen Standard geworden, konnte aber trotzdem kaum einen allgemeinen Konsens anbahnen. Außerdem haben die letzten zwanzig Jahre, besonders auch aus dem englischsprachigen Bereich, eine Springflut von wissenschaftlicher und populärer Jesusliteratur erlebt, deren Quelle unerschöpflich scheint und sich in die unterschiedlichsten Richtungen ergießt. So erhält der uneingeweihte Leser den Eindruck einer Planlosigkeit, Widersprüchlichkeit und Ausweglosigkeit der Forschung. Sie läßt ihn entweder in Resignation versinken oder um so fester an seinem Glauben festhalten, der über historische Fragen erhaben ist.

Nun sind Resignation oder uninformierter Glaube keine sinnvollen Einstellungen – schon gar nicht in einer Zeit, die einen ungeahnten Schatz an Wissen zu Tage gefördert hat und im gleichen Zuge die eher bescheidene Stellung des Menschen im Kosmos täglich vor Augen führt. Mir scheint es daher überfällig zu sein, die historische Bilanz einer zweihundertfünfzigjährigen kritischen Beschäftigung mit der zentralen Person des Christentums, Jesus von Nazareth, zu ziehen. Dies soll weder themenzentriert noch in einer umfassenden Darstellung von Forschungsergebnissen anderer geschehen, wie sie Albert Schweitzer in seiner klassischen Geschichte der Leben-Jesu-Forschung (6. Auflage, 1951) für das 19. Jahrhundert und Walter P. Weaver (The Historical Jesus in the Twentieth Century 1900-1950, 1999) für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgelegt haben. Auch ist dies keine Biographie Jesu. Es handelt sich vielmehr nur um eine Rekonstruktion der Worte und Taten Jesu als Voraussetzung einer heute noch nicht möglichen Darstellung des Lebens Jesu (vgl. aber immerhin den Versuch in Kapitel V). Ich möchte wichtige erhaltene Jesusüberlieferungen der ersten zwei Jahrhunderte neu übersetzen und sie dann auf ihre historische Glaubwürdigkeit hin untersuchen, und zwar so, daß auch der interessierte Laie den Gedankengang nachvollziehen kann.

Eine wichtige Anregung zu einem solchen Unternehmen haben das von Robert W. Funk ins Leben gerufene Jesusseminar und die von seinen Mitgliedern verfaßten Bände The Five Gospels (1993) und The Acts of Jesus (1998) gegeben, in denen der Grad der Historizität der Worte und Taten Jesu mit verschiedenen Farben markiert wird. Einig mit der Absicht des Jesusseminars, dem ich selbst als »Fellow« angehöre, zu den Worten und Taten des historischen Jesus vorzustoßen, ziehe ich es jedoch vor, auf Farbmarkierungen jeglicher Art zu verzichten, dafür aber die zweifelsfrei auf die jeweiligen Evangelisten zurückgehenden Aussagen in kursiven Buchstaben zu setzen. Denn die Erkenntnis der redaktionellen Bearbeitung in einem ersten Schritt ist die Voraussetzung, um in einem zweiten Schritt die benutzten Überlieferungen zu rekonstruieren und in einem dritten Schritt die mutmaßlich echten Jesusworte und -taten zu erheben. Diese Methode habe ich in einem Werk über die Apostelgeschichte (Gerd Lüdemann: Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte, 1987) erprobt und weiter vertieft in einem Buch über die Auferstehung Jesu (Die Auferstehung Jesu. Historie, Erfahrung, Theologie, 1994, [Neuausgabe Die Auferweckung Jesu von den Toten, 2002]), dessen Analysen der Grabes- und Auferstehungsgeschichten dem vorliegenden Jesusbuch zugrunde liegen.

Die Maßstäbe für diese Untersuchung sind die in der kritischen Bibelwissenschaft der letzten zweihundertfünfzig Jahre entwickelten Methoden, die so lange Gültigkeit behalten, bis neue, bessere an ihre Stelle treten.

Wegen der Fülle der zu behandelnden Texte und des daraus folgenden Gebots der Knappheit habe ich in der Darstellung fast vollständig auf die ausdrückliche Erörterung von Sekundärliteratur verzichtet, aber relativ häufig mit Seitennachweisen in Klammern die Namen von Forschern erwähnt, deren Voten zu bestimmten Fragen ich zitiere oder auf sie verweise. Ich nenne einige mir wichtige Bücher: Walter Bauer: Wörterbuch zum Neuen Testament, 19715; Hans Dieter Betz: Studien zur Bergpredikt, 1985; Rudolf Bultmann: Die Geschichte der synoptischen Tradition, 19799; Hans Conzelmann: Die Mitte der Zeit, 19776; Martin Dibelius: Botschaft und Geschichte I, 1953; Martin Dibelius: Die Formgeschichte des Evangeliums, 19593; Robert W. Funk / Roy W. Hoover: The Five Gospels, 1993; Joachim Gnilka: Das Evangelium nach Markus. 2 Bände, 1978/79; Joachim Gnilka: Das Matthäusevangelium. I. Teil, 1986. II. Teil, 1988; Ernst Haenchen: Der Weg Jesu, 1966; Joachim Jeremias: Die Gleichnisse Jesu, 19657; Adolf Jülicher: Die Gleichnisse Jesu. Zwei Teile in einem Band, 1963; Erich Klostermann: Das Matthäusevangelium, 19714; Erich Klostermann: Das Markusevangelium, 19715; Erich Klostermann: Das Lukasevangelium, 19753; Dieter Lührmann: Das Markusevangelium, 1987; Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus. 3 Bände, Mt 1–25, 1985–1997; Adalbert Merx: Die Evangelien des Markus und Lukas, 1909; Gerhard Schneider: Das Evangelium nach Lukas. 2 Bände, 1979; Tim Schramm / Kathrin Löwenstein: Unmoralische Helden. Anstößige Gleichnisse Jesu, 1986; Ethelbert Stauffer: Jesus. Gestalt und Geschichte, 1957; Georg Strecker: Die Bergpredigt, 1984; Gerd Theißen / Annette Merz: Der historische Jesus, 1996; Johannes Weiß: Das Lukas-Evangelium, in: ders.: (Hg.): Die Schriften des Neuen Testaments, neu übersetzt und für die Gegenwart erklärt von Otto Baumgarten, Wilhelm Bousset (u.a.), 19072. Band 1. Die drei älteren Evangelien. Die Apostelgeschichte, S. 406–525; Julius Wellhausen: Evangelienkommentare, 1987; Paul Wernle: Die synoptische Frage, 1899.

Markierungen der Übersetzungen dienen zur besseren Durchdringung des Textes. Wichtige Zitate aus dem Alten Testament sind rechtsbündig gedruckt und poetische bzw. traditionelle Stücke eingerückt. Die kritische Textausgabe Nestle-Aland, 27. Aufl., liegt der Übersetzung zugrunde.

Zum Aufbau des Werkes ist hier folgendes zu bemerken:

Die Einleitung nennt seine Voraussetzungen und entfaltet Vorgehensweise sowie Methode.

Das erste Kapitel enthält die Übersetzung und Analyse des ältesten Evangeliums, des Evangeliums nach Markus.

Daran schließen sich im zweiten und dritten Kapitel Übersetzung und Analyse der unabhängig voneinander auf das Markusevangelium aufbauenden Evangelien des Matthäus und des Lukas an.

Die Kapitel über das Johannesevangelium und die apokryphen Jesustraditionen, die noch in den ersten beiden Auflagen standen, entfallen. Sie tragen für die Frage nach dem historischen Jesus noch weniger aus, als ich vor einem Jahrzehnt dachte.

Das vierte Kapitel enthält die Übersetzung und Analyse des Thomasevangeliums.

Das fünfte Kapitel bietet eine Kurzvita Jesu. Ich versuche hier, ausgehend von dem sicheren historischen Material, das Leben und Schicksal Jesu von Nazareth nachzuzeichnen. Die Lektüre dieses Abschlußkapitels empfehle ich als Einstieg in das ganze Buch.

Ein Register aller echten Worte und Taten Jesu, ein Autorenverzeichnis sowie ein Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen schließen das Buch ab. Dr. Frank Schleritt möchte ich auch an dieser Stelle für seine freundliche Hilfe bei den ersten beiden Auflagen dieses Buches danken, Ronja Bornemann, Volker Speer und Walter Höfig für ihren unermüdlichen Einsatz bei der vierten Auflage.

Einleitung

Voraussetzungen, Methode und Interesse

Das vorliegende Buch unterzieht die ältesten Jesustraditionen aus den ersten beiden Jahrhunderten einer Analyse und fragt nach ihrer Echtheit. Es ist aus der Überzeugung heraus geschrieben, daß Christen sich zu Jesus in eine glaubwürdige Beziehung setzen müssen, daß aber auch alle anderen Menschen in dem vom christlichen Abendland geprägten Kulturkreis sich der Wurzeln des Christentums in der Person Jesu von Nazareth historisch vergewissern sollten. Für beide Gruppen ist diese Frage zur Bewältigung der eigenen Geschichte und zur Gestaltung der Zukunft wichtig.

Nun besteht nach allgemein anerkanntem Urteil kein Zweifel daran, daß in der frühen Kirche zahlreiche Worte und Taten Jesus erst nach seinem Tod zugeschrieben wurden. Dafür seien hier vorerst nur zwei Beispiele angeführt:

a) Die Selbstaussagen Jesu, der Sohn Gottes zu sein, der für die Sünden der Welt stirbt, sind mit Sicherheit unecht; die frühen Christen haben sie Jesus in den Mund gelegt.

b) Ebenso verhält es sich mit den meisten Wundern. Daß Jesus tatsächlich auf dem See gegangen sei, einen Sturm gestillt, Brot vermehrt, Wasser in Wein verwandelt und Tote auferweckt habe, trifft nicht zu. Diese Taten hat man Jesus vielmehr erst nach seinem Tod bzw. seiner vermeintlichen Auferstehung angedichtet, um seine Bedeutung zu steigern.

Trotzdem haben die frühen Christen dies alles im Rahmen der Kanonisierung als authentisch angesehen, und fortan waren auch unechte Jesusworte und -taten Kernbestand der Heiligen Schrift. Deshalb muß im Blick auf alle Jesusüberlieferungen des frühen Christentums noch einmal rigoros Klarheit geschaffen und geklärt werden, was Jesus denn nun wirklich gesagt und getan hat, was damals wirklich geschehen ist und was eindeutig später hinzugefügt wurde.

Ein solches Vorgehen ist in der Geistesgeschichte der westlichen Kultur begründet und sollte nicht als europäischer Ethnozentrismus verunglimpft werden. Denn abgesehen davon, daß sich die kritische Methode als experimentelle Vorgehensweise auch in allen Gebieten der Naturwissenschaft durchgesetzt und staunenswerte Erfolge vorzuweisen hat, so führte ihre Schwester in den geisteswissenschaftlichen Fächern als philologisch-historische Methode zu einem besseren Verständnis der Vergangenheit. Die Frage nach dem, was wirklich war, und dem, was nicht war, sondern nur behauptet wird, ist unwiderruflich zu einem selbstverständlichen Bestandteil unseres eigenen Lebens geworden. Man mag hier sogar von einer Sittlichkeit des Denkens sprechen, das richtig und falsch, Lüge und Wahrheit nicht nur herausarbeitet, sondern die Unterscheidung zwischen beidem zur öffentlichen Aufgabe macht.

Nun lautet gelegentlich der Vorwurf gegen ein solches Unternehmen der Jesusforschung,

a) es überschätze die eigenen Möglichkeiten, zwischen echt und unecht zu unterscheiden; b) es scheitere daran, daß die Urteile über echt und unecht in der Forschung zum Teil weit auseinander gehen; c) es berücksichtige nicht hinreichend, daß in unechten Jesus-Traditionen durchaus der Geist Jesu enthalten sein könne; d) es sehe von der Rezeptionsgeschichte ab, die unabhängig von der Echtheitsfrage eine Wirkung biblischer Jesustraditionen zeige, von der Milliarden von Menschen in Vergangenheit und Gegenwart zehrten; und e) die Frage nach echt und unecht sei für den Glauben irrelevant, da im geschichtlichen Jesus und im auferstandenen Christus des Glaubens ein und derselbe Herr rede.

Zu a): Diesen Einwand verstehe ich nicht, zumal er nicht in Abrede stellen kann, daß unechte Jesusworte in der Bibel enthalten sind. Dann aber kann, ja muß der Versuch gewagt werden, echte Jesusworte und -taten herauszuarbeiten.

Zu b): Die allerdings vorhandenen unterschiedlichen Rekonstruktionen der Worte und Taten des historischen Jesus sind kein Argument gegen ein solches Unternehmen: Meinungsvielfalt entbindet nicht von der Verpflichtung, sich der historischen Wirklichkeit mit dem Ziel größtmöglicher Objektivität zu nähern.

Zu c): Dies ist nicht zu bestreiten. Um aber den Geist Jesu zu identifizieren, muß zunächst eindeutig geklärt werden, wo denn überhaupt echte Jesustraditionen enthalten sind.

Zu d): Soll etwa die Wirkung von Texten ihren Anspruch einlösen? M.E. kommt man so nicht zum Grund der Dinge. Wenn z.B. Jesus historisch nicht auferstand, dann kann man die urchristlichen Aussagen, die solches behaupten, nicht durch rezeptionsgeschichtliche Überlegungen retten, auch wenn die Wirkung dieser Verkündigung noch so mächtig war und noch so vielen Menschen Trost gespendet hat.

Zu e): Mit diesem theologischen Argument läßt sich jegliche historische Arbeit bekämpfen. Eine historische Vorgehensweise muß die Berufung auf den auferstandenen Christus als außerhalb ihrer Kompetenz befindlich ansehen. Wie soll hier mit nachvollziehbaren Argumenten wahrscheinlich gemacht werden, daß der »Auferstandene« dieses oder jenes gesagt oder gar bestimmte Dinge getan hat? Mit anderen Worten, in diesem Bereich ist für die historische Kritik direkt gar nichts zu gewinnen. Wohl aber mag gefragt werden, ob dieses oder jenes Wort des Auferstandenen auf den geschichtlichen Jesus zurückgeht. Und umgekehrt ist zu prüfen, ob nicht Worte des Auferstandenen zu Worten des historischen Jesus gemacht worden sind. Sollte letzteres der Fall sein, wäre automatisch ein negatives Urteil über ihre Echtheit fällig. Wer den Jesus der Geschichte und den Christus des Glaubens vereinerleit, versucht faktisch, das historische Bewußtsein der Moderne umzukrempeln, das aber nach wie vor Geltung hat. Es ist lebensnotwendig und, nachdem die großen Konfessionen und Religionen versagt haben, allein fähig, Frieden zwischen den Menschen und ihren Ideologien oder Religionen anzubahnen. Das historische Bewußtsein bildet überhaupt einen festen Bestandteil unserer heutigen Welt. Ohne diese Errungenschaft menschlicher Kultur wäre ein vernünftiger Dialog weder in der Politik noch in der Wirtschaft, noch im privaten Bereich möglich. Wie kann es da angehen, daß wir, sobald wir den Bereich der Religion betreten, davon ablassen sollen? Das Ergebnis ist bekannt: eine innere Spaltung bzw. ein Auseinandertreten von Wissenschaft und Religion, das zu Lasten von beiden geht.

Im folgenden seien die Grundlagen und Voraussetzungen meiner Arbeit genannt:

Bezüglich des Verhältnisses der drei ältesten neutestamentlichen Evangelien zueinander liegt den Analysen eine modifizierte Zweiquellentheorie zugrunde. Diese besagt: Das MkEv ist das älteste erhaltene Evangelium und stammt ungefähr aus dem Jahre 70. Mt und Lk benutzten etwa zwanzig Jahre später unabhängig voneinander sowohl das MkEv als auch eine Redenquelle (= Q), die etwa genauso alt wie jenes sein dürfte. Darüber hinaus haben sie jeweils ihre eigenen Sonderüberlieferungen verwendet. Eine Kurzeinleitung auf der Grundlage von Gerd Lüdemann / Frank Schleritt: Arbeitsübersetzung des Neuen Testaments, 2008, ist den Einzelanalysen der Synoptiker jeweils vorangestellt.

Das ThEv aus dem Fund bei Nag Hammadi in Oberägypten im Dezember 1945 gehört unbedingt zu den hier zu untersuchenden Quellenschriften, da es, wie immer deutlicher wird, zum Teil eine gegenüber dem Neuen Testament unabhängige Tradition widerspiegelt (vgl. die Einführung zu Kapitel IV).

Vor der Analyse der Traditionen möchte ich die Kriterien für die Urteile über a) Unechtheit und b) Echtheit von Jesusworten und -taten nennen, die sich mir freilich – das sei hier betont – erst nach der Analyse sämtlicher Texte wie von selbst ergeben haben. Methodenreflexion folgt nämlich organisch arbeitender Methode immer erst nach. Allerdings habe ich nicht zu jeder einzelnen Perikope ausdrücklich gesagt, welches Kriterium mich beim abschließenden Urteil über Echtheit bzw. Unechtheit geleitet hat. Das mag sich der Leser jeweils erschließen.

a) Unechtheitskriterien

Erstens sind solche Worte und Taten unecht, in denen der auferstandene Herr redet und handelt bzw. als Sprecher und Akteur vorausgesetzt wird. Denn Jesus redete und handelte nach seinem Tod nicht mehr selbst. Da aber nicht auszuschließen ist, daß dem »Auferstandenen« Worte oder Taten des historischen Jesus zugeschrieben wurden – historischer Jesus und Christus des Glaubens waren für die frühen Christen identisch –, ist jeweils zu prüfen, ob nicht vielleicht den jeweiligen Worten des Erhöhten ein Wort des Irdischen zugrunde liegt.

Zweitens sind diejenigen Taten unhistorisch, die eine Durchbrechung von Naturgesetzen voraussetzen. Dabei ist es unwichtig, daß die Menschen zur Zeit Jesu diese Gesetze nicht kannten bzw. nicht in naturwissenschaftlichen Kategorien gedacht haben.

Drittens besteht bei sämtlichen Worten Jesu, die Antworten auf Gemeindesituationen einer späteren Zeit geben, ein Verdacht auf Unechtheit.

Viertens – eng mit dem zuletzt genannten Kriterium zusammenhängend – unter dem dringenden Verdacht, unecht zu sein, stehen diejenigen Worte und Taten Jesu, die sich der redaktionellen, d.h. schriftstellerischen Arbeit des Endverfassers der jeweiligen Quelle verdanken.

Fünftens sind diejenigen Worte und Taten unecht, die eine heidnische (und nicht jüdische) Zuhörerschaft voraussetzen. Denn es steht fest, daß Jesus ausschließlich im jüdischen Bereich tätig war.

b) Echtheitskriterien

Erstens dürften viele Worte und Taten Jesu auf der Grundlage des Anstößigkeitskriteriums als echt zu erweisen sein.

Bezüglich der Taten Jesu gehört hierher beispielsweise sein Entschluß, sich von Johannes taufen zu lassen. Die Taufe Jesu war den Christen seit der allerältesten Zeit anstößig, und sie wurde von Anfang an auf verschiedene Weise umgedeutet, vollständig verschwiegen oder von »Jesus« selbst zurückgewiesen.

Bezüglich der Worte Jesu gehören hierher Gleichnisse, in denen »unmoralische Helden« (Schramm / Löwenstein) erscheinen: der Mann, der einen Schatz im Acker findet und das Grundstück kauft, ohne seinen Fund zu melden (Mt 13,44), oder der ungerechte Haushalter, der seinen Rechenschaft fordernden Herrn betrügt, um bei den Schuldnern seines Herrn Unterschlupf zu finden (Lk 16,1b-7). Schließlich handelt Jesus oftmals selbst als unmoralischer Held und pflegt geselligen Verkehr mit Prostituierten und Zöllnern. Auch dies wurde in der jüngeren Tradition verändert bzw. »interpretiert«.

Zweitens ist das Differenzkriterium ein plausibler Weg, echtes Jesusgut zu ermitteln. Bei seiner Anwendung geht es um die Frage, ob Jesusworte und -taten aus den nachösterlichen Gemeinden abgeleitet werden können. Im negativen Fall, bei einer Differenz zwischen den Gemeinden und Jesus, kommt letzterer als Sprecher des jeweiligen Wortes bzw. als Urheber der Tat in Betracht.

Drittens bietet das Wachstumskriterium eine gute Chance, authentisches Jesusgut zu identifizieren. Die Endgestalt bestimmter Texte läßt sich mit einer Zwiebel vergleichen, von der sich eine Haut nach der anderen abziehen läßt. Je älter eine Texteinheit ist, desto stärker ist sie überlagert von jüngerer Überlieferung. Beispiele dafür liegen in den ethischen Radikalismen der Bergpredigt vor.

Viertens sei das Seltenheitskriterium genannt, das sich auf diejenigen Taten und Worte Jesu bezieht, die nur wenige Parallelen im jüdischen Bereich haben.

Fünftens bietet das Kriterium der breiten Bezeugung eine gewisse Gewähr, daß Worte und Taten Jesu echt sind, die unabhängig voneinander mehrfach überliefert wurden.

Sechstens läßt sich zur Eruierung echter Worte Jesu das Kohärenzkriterium verwenden, das jeweils die Frage stellt, ob sich eine bestimmte Aussage oder Tat sicherem Jesusgut nahtlos zuordnen läßt.

Aus all dem wird klar: Wer zu Jesus vordringen will – nicht zu dem Jesus, wie ihn die frühen Christen gezeichnet haben, sondern zu dem Mann aus Nazareth, wie er wirklich war –, muß mit der Schärfe des Verstandes zunächst einmal all das abtragen, was sich nachträglich um die Worte Jesu gelegt hat – in der Hoffnung, so das Urgestein der echten Worte Jesu zu erreichen.

Mit dem Ausdruck »Hoffnung« räume ich ein, daß eine solche Rekonstruktion, wie jede wissenschaftliche Arbeit, immer verbesserungsbedürftig bleibt. Das Bild des Urgesteins macht gleichzeitig deutlich: Nur eine hohe Annäherung an die Worte Jesu ist im günstigsten Fall zu erreichen, nicht aber ihre ursprüngliche Form. Wir stoßen auf das Urgestein, die unmittelbare Nähe, nicht aber auf die Worte Jesu selbst. Das ist ja auch deswegen auszuschließen, weil Jesus aramäisch sprach und seine Worte nur in griechischer Übersetzung erhalten sind.

Gleiches gilt für die Taten Jesu: Auch hier kann es sich, wenn gesagt wird, dies oder jenes sei historisch zutreffend, nur um eine große Nähe zu dem handeln, was damals wirklich geschah. Denn mehr noch als die Überlieferung von Worten zieht die erzählende Wiedergabe von Ereignissen immer eine Veränderung des Ursprünglichen nach sich.

Eine weitere Grenze für das vorliegende Unternehmen ergibt sich daraus, daß Jesu Taten und Worte in einem bestimmten Milieu verwurzelt sind und erst von hierher eigentlich verstanden werden können. Ich trage dem zwar regelmäßig Rechnung und lege partiell Rekonstruktionen dieser Welt Jesu vor. Doch bleibt zweifellos ein beträchtlicher Rest. Gleichzeitig ist darauf zu bestehen, daß in jedem Fall mit der Analyse der Jesustraditionen und nicht mit der Rekonstruktion der Umwelt Jesu zu beginnen ist und daß trotz der genannten Einschränkungen von dieser Analyse ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.

Alles, was sich über das Gesagte hinausbewegt, betrifft die Frage der religiösen Gewißheit, die nicht Gegenstand dieses Buches ist. Mir ist auch klar, daß die Menschen nicht allein vom Brot der historischen Fakten zu leben vermögen. Wohl aber bin ich der Auffassung, daß die in diesem Werk durchgeführten Analysen und die Rekonstruktionen der historischen Tatsachen wichtige Voraussetzungen für die mit Jesus verbundene religiöse Frage sind.

Dies sei noch kurz angedeutet: Ebenso wie der christliche Glaube in sich zusammenfallen würde, wenn Jesus nie gelebt hätte, so kann er als christlicher Glaube wohl nur weiter existieren, wenn es ihm gelingt, wenigstens in einigen wichtigen Punkten an Jesus anzuknüpfen. Falls dies unmöglich sein sollte, fällt der christliche Glaube zwar nicht automatisch zusammen – kein Glaube wird je durch Argumente widerlegt –, wohl aber müßte er aus Gründen der Redlichkeit auf das Prädikat »christlich« verzichten und sich einen anderen Grund suchen.

Kapitel I

Das Evangelium nach Markus

Dieses Buch, das die altkirchliche Tradition Markus, einem Mitarbeiter des Petrus, zugeschrieben hat, findet sich im Kanon des Neuen Testaments an zweiter Stelle, ist aber das älteste der kanonischen Evangelien. Drei Stücke stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n.Chr.: die Parabel von den bösen Winzern (12,1–11), die Ankündigung des Greuels der Verwüstung (13,14) und die Notiz über das Zerreißen des Tempelvorhangs (15,38).

Daraus, dass der Autor jüdische Sitten erklärt (vgl. Mk 7,3-4) und aramäische Vokabeln übersetzt (vgl. 5,41; 7,34), ergibt sich, dass er für Christen aus dem heidnischen Bereich schreibt. Er verarbeitet dabei mündliche und schriftliche Quellen (Wundererzählungen, Gleichnisse, Passionsgeschichte u.a.) und legt einen besonderen Akzent auf die „Lehre“ Jesu. In 1,15 faßt er den Inhalt der Predigt Jesu vorab zusammen: Nähe des Reiches Gottes, Umkehrforderung und Aufruf zum Glauben.

Kennzeichnend für Markus ist, dass er die Person und das Wirken Jesu von dessen Kreuzigung und Auferstehung her verstanden wissen will (vgl. 1,34; 3,12; 5,43; 7,36; 8,26.30 und besonders 9,9). Dementsprechend bekennt Jesus sich erst in 14,61f ausdrücklich dazu, der Christus und Gottessohn zu sein.

1,1–8,26 Jesu Wirken in Galiläa und Umgebung
8,27–10,52 Jesu Weg von Galiläa nach Jerusalem
11,1–13,37 Jesu Wirken in Jerusalem
14,1–16,8 Leiden, Tod und Auferstehung Jesu

Mk 1,1-8: Die Wirksamkeit des Täufers

(1) Anfang des Evangeliums Jesu Christi, des Sohnes Gottes. (2) Wie geschrieben ist im Propheten Jesaja:

»›Siehe, ich sende meinen Engel vor deinem Angesicht,
der deinen Weg bereiten wird‹,
[Ex 23,20; Mal 3,1a],
(3) Stimme eines Rufers in der Wüste:
›Bereitet den Weg des Herrn,
macht seine Pfade gerade‹«,
[Jes 40,3 LXX]

(4) trat Johannes der Taufende in der Wüste auf und verkündigte die Taufe der Umkehr zur Vergebung der Sünden.

(5) Und es zog zu ihm das ganze judäische Land und alle Jerusalemer und wurden von ihm im Jordanfluß getauft und bekannten ihre Sünden. (6) Und Johannes war bekleidet mit Kamelhaaren und einem ledernen Gürtel um seine Hüfte und aß Heuschrecken und wilden Honig.

(7) Und er verkündigte und sagte: »Es kommt nach mir der Stärkere, dem ich die Riemen seiner Sandalen gebückt zu lösen nicht würdig bin. (8) Ich taufte euch mit Wasser, er selbst aber wird euch mit heiligem Geist taufen.«

Redaktion und Tradition

Mk bezeichnet mit »Evangelium« noch keine literarische Gattung, auch wenn V. 1 die spätere Ausbildung eines Buchtitels (»Evangelium nach Markus«) begünstigt hat. Vielmehr hat er den Ausdruck der frühchristlichen Unterweisung entnommen (vgl. 1Kor 15,1 mit der in V. 3-5 sich anschließenden vorpaulinischen Formel) und den Konnex mit ihr dadurch ausgedrückt, daß er »Evangelium« jeweils mit einem christologischen Bezug versehen hat: 1,1.14f; 8,35; 10,29; 13,10; 14,9. An sämtlichen angeführten Stellen ist »Evangelium« redaktionell eingesetzt.

V. 1 faßt das ganze MkEv zusammen, das Evangelium von Jesus Christus sein will. Der Ausdruck »Evangelium Jesu Christi« steht in einem Zusammenhang mit dem »Evangelium Gottes« in V. 14, dessen Prediger Jesus selbst ist. Mk geht es um die Verbundenheit des Evangeliums über Jesus Christus (V. 1) mit dem von Jesus gepredigten Evangelium Gottes (V. 14). Damit ist die Einheit von Bericht für und Anrede an seine Leserschaft sichergestellt.

V. 2-4: Das Auftreten des Täufers ist als Anfang des Evangeliums bezeichnet, weil der Täufer Teil von ihm und Mk zufolge – anders als bei Lk – dessen erster Verkündiger (!) ist. (Zum Begriff »verkündigen« vgl. 1,14.38f; 3,14; 6,12 usw.) Das Auftreten des Johannes sei bereits durch das Alte Testament vorausgesagt, und ihm gemäß verhalte er sich. Die Wegbereitung des Johannes besteht in seiner Vorläuferschaft; daher liegt auf V. 2 der Ton, obwohl hier gar kein Jes-Zitat – wie angekündigt –, sondern ein Zitat aus Ex 23,20a und Mal 3,1 steht. Erst in V. 3 folgt das Zitat aus Jes 40,3. V. 4: Die Aussage über die Taufe des Johannes »zur Vergebung der Sünden« ist keineswegs eine Christianisierung, sondern geht ebenso wie die Nachricht über sein Auftreten in der Wüste auf Überlieferung zurück.

V. 5: Dieser Vers ist eine redaktionelle Übertreibung, die aus dem Zitat V. 3 erschlossen ist. Natürlich muß der erste Verkündiger des Evangeliums Zulauf finden.

V. 6: Die Aussagen sind zu spezifisch, um nicht Überlieferung widerzuspiegeln.

V. 7-8: Das Stück ist, abgesehen von der Taufe mit heiligem Geist, eine von Mk eingebaute Überlieferung, die eine Entsprechung in Q (Mt 3,11/Lk 3,16) hat. Die von Mt und Lk bearbeitete Spruchquelle zeigt, daß Johannes hauptsächlich Gerichtsprediger war (vgl. zusammenfassend zu Mt 3,1-12). Mk hat davon wahrscheinlich gewußt, es in V. 8 aber infolge seiner Christianisierung des Johannes unterschlagen.

Historisches

Johannes der Täufer hat am Jordan die Taufe zur Umkehr praktiziert, damit, wie freilich nur aus Q entnommen werden kann, Gott den Täuflingen am unmittelbar bevorstehenden Gerichtstag die Sünden vergebe. Sein Anspruch hat wohl eine Kritik am Tempel mit eingeschlossen, denn dort – nicht am Jordan – wurden im Rahmen der jüdischen Religion Sünden vergeben. Er trat in der Wüste als Asket auf und trug als Wüstenbewohner einen Kamelhaarmantel mit Ledergürtel. Damit wollte er an den Propheten Elia erinnern (2Kön 1,8; vgl. Sach 13,4). Sein Auftreten in der Wüste mag eine prophetische Zeichenhandlung gewesen sein, um das gegenwärtige Israel an Israel in der Wüste zu erinnern. Johannes war in seiner Selbsteinschätzung keinesfalls ein Vorläufer Jesu. Er hatte auch nach seinem Tod eigene Jünger (vgl. 6,29; Apg 19,1-7).

Mk 1,9-11: Jesu Taufe

(9) Und es geschah in jenen Tagen, daß Jesus aus Nazareth in Galiläa kam und im Jordan von Johannes getauft wurde. (10) Und sogleich, als er aus dem Wasser trat, sah er die Himmel geöffnet und den Geist wie eine Taube auf sich herabsteigen. (11) Und eine Stimme erscholl aus den Himmeln: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen.«

Redaktion und Tradition

V. 9-11: Die Perikope setzt die Ankündigung von V. 7-8 in Handlung um. Die Näherbestimmung des Stärkeren von V. 7 erfolgt in der Anrede Gottes an Jesus, die die besondere Qualität seiner Person zum Ausdruck bringt: »Du bist mein geliebter Sohn«. Man beachte zusätzlich für den redaktionellen Zusammenhang die Parallelen 9,7 und 15,39, wo jeweils eine Proklamation Jesu als des Sohnes Gottes erfolgt. Innerhalb der Perikope hat Mk »in Galiläa« hinzugefügt. Damit betont er, daß Jesus aus einer anderen Gegend kommt als die zum Täufer hinzutretenden Scharen aus V. 5. An Galiläa liegt ihm viel (vgl. 16,7).

Die Perikope wird auf der Stufe der Tradition formgeschichtlich vielfach als Glaubenslegende klassifiziert, die Jesu Weihe zum Messias erzähle. Jesus werde nämlich in dem Moment, da er die Himmelsstimme (V. 11; vgl. Ps 2,7) höre, zum Sohn Gottes eingesetzt.

Bezüglich der Taufe des Johannes übergeht Mk bei der Erzählung der Taufe Jesu die Tatsache, daß sie zur Vergebung der Sünden geschah. Der Grund dafür ist klar: Eigentlich durfte sich Jesus nicht zur Vergebung der Sünden taufen lassen. Bei Mk wird also zum ersten Mal das urchristliche Bestreben sichtbar, die Taufe Jesu umzudeuten (vgl. später Mt 3,13-15; Lk 3,20f; Joh 1,29-34). Ebenfalls verschweigt Mk die Tatsache, daß Jesus, indem er sich von Johannes taufen ließ, der Gerichtspredigt des Täufers zugestimmt hat. (Freilich hatte er diesen Gerichtsaspekt bereits in V. 8 weggelassen.)

Historisches

V. 9a wirft geschichtlich Licht auf Nazareth als Wohnort Jesu (vgl. noch zu Mt 9,1).

V. 9b: Die Taufe Jesu durch Johannes den Täufer ist historisch. Jedoch hat Jesus seine Taufe nicht als Einsetzung zum Sohn Gottes angesehen. Das dahinterliegende Konzept stammt aus der Gemeinde, die an Jesus als den Sohn Gottes glaubte (vgl. Gal 2,20; 4,4) und seine Einsetzung zum Sohn Gottes in sein irdisches Leben verlegte. Das war nicht immer so. In der ältesten Zeit meinte man, Jesus sei erst durch seine Auferstehung von den Toten zum Sohn Gottes eingesetzt worden (vgl. Röm 1,4).

Daß Jesu Taufe durch Johannes ein geschichtliches Faktum ist, folgt ferner daraus, daß die christliche Gemeinde damit Schwierigkeiten hatte. So schwächte bereits Mk sie ab, noch stärker dann Mt und erst recht Lk, dem zufolge Johannes gar nicht der Jesus Taufende gewesen sein kann. Das JohEv meint sogar, die Taufe habe überhaupt nicht stattgefunden; ebenso das nicht in den neutestamentlichen Kanon aufgenommene Evangelium der Nazaräer, wo es heißt: »Siehe, die Mutter des Herrn und seine Brüder sagten zu ihm: ›Johannes der Täufer tauft zur Vergebung der Sünden; laßt uns hingehen und uns von ihm taufen lassen!‹ Er aber sprach zu ihnen: ›Was habe ich gesündigt, daß ich hingehe und mich von ihm taufen lasse?‹«.

Mk 1,12-13: Jesu Versuchung

(12) Und sogleich treibt ihn der Geist in die Wüste. (13) Und er war in der Wüste vierzig Tage, versucht durch den Satan, und er war mit den Tieren, und die Engel dienten ihm.

Redaktion und Tradition

V. 12-13: »der Geist« (V. 12) nimmt dasselbe Wort aus V. 10 auf; »die Wüste« (V. 12f) entspricht dem Ort des Auftretens Johannes des Täufers (V. 4). Die Stellung der Geschichte im MkEv – nach Jesu Taufe und nach seiner Proklamation als Sohn Gottes – erklärt sich daher, daß am Anfang der Wirksamkeit von Heiligen im allgemeinen eine erfolgreich durchgestandene Versuchung steht. Dieser Zug geht dann bestimmt auf Mk zurück, falls dieser »versucht durch den Satan« hinzugefügt hat (»Satan« benutzt Mk auch sonst: 3,23.26; 8,33). Vielleicht ist auch noch »40 Tage« redaktionell: Israel war 40 Jahre in der Wüste, Moses 40 Tage auf dem Sinai, Elia wandert ohne Speis und Trank 40 Tage und Nächte durch die Wüste zum Berg Horeb.

Die Überlieferung liegt nur rudimentär vor (vgl. demgegenüber die Tradition in Q: Mt 4,1-11/Lk 4,1-13) und ist im einzelnen nicht mehr rekonstruierbar. Sie will Jesus vielleicht als Gerechten zeichnen, als neuen Adam (vgl. Röm 5,12-21; 1Kor 15,45-49), der den Sohn Gottes verkörpert.

Historisches

Die Tradition ist unhistorisch. Vgl. die Bemerkungen zur Q-Version (Mt 4,1-11/Lk 4,1-13).

Mk 1,14-15: Jesu Predigt

(14) Und nachdem Johannes ausgeliefert worden war, kam Jesus nach Galiläa und verkündigte das Evangelium Gottes, (15) indem er sagte: »Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen, kehrt um und glaubt an das Evangelium!«

Redaktion und Tradition

Mk gibt eine zusammenfassende lehrhafte Schilderung der Umkehrpredigt Jesu unter dem Einfluß christlicher Missionsterminologie (zu »glaubt an das Evangelium« vgl. 1Kor 15,1-2; Phil 1,27).

V. 14 bezieht sich auf V. 1 zurück. Jesus selbst ist der Prediger des Evangeliums über sich. Jesus kann erst nach dem Ende der Verkündigung Johannes des Täufers auftreten, denn dieser ist nach mk Sicht sein Vorläufer. »Galiläa« ist redaktionell (s. zu V. 9). Jesu Tätigkeit wird ebenso wie die des Täufers und die der Jünger Jesu (6,12) mit »verkündigen« bezeichnet.

V. 15: Die Nähe der Gottesherrschaft ist für Mk der Grund für den Aufruf zur Umkehr und zum Glauben an das Evangelium vom Sohn Gottes (V. 1). Er selbst lebt in der Naherwartung (s. zu Mk 13,30) und glaubt, daß noch in seiner Generation das Ende eintreten wird.

Historisches

Daß Jesu Wirksamkeit in Galiläa ihren Anfang genommen hat, trifft zu, nicht aber, daß Jesus erst nach der Auslieferung, d.h. der Gefangensetzung Johannes des Täufers mit seiner Verkündigung begonnen hat. Dies ist schon deswegen unwahrscheinlich, weil Jesus im Vergleich zum Täufer eine eigene Botschaft ausrichtete. Zu Johannes und Jesus vgl. weiter zu Mt 11,2-11/Lk 7,18-28 und Kap. V dieses Buches.

Mk 1,16-20: Jesu Berufung der ersten Jünger

(16) Und als er am Meer von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder Simons, die Netze im Meer im Bogen auswerfen. Sie waren nämlich Fischer.

(17) Und Jesus sagte ihnen: »Hierher, mir nach! Und ich werde euch zu Menschenfischern machen.« (18) Und sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach.

(19) Und als er ein wenig weiterging, sah er Jakobus, den (Sohn) des Zebedäus, und Johannes, seinen Bruder, auch sie im Boot, die Netze herrichten. (20) Und sogleich (be)rief er sie. Und sie verließen ihren Vater Zebedäus im Boot mit den Tagelöhnern und gingen weg, ihm nach.

Redaktion und Tradition

V. 16: »Galiläa« nimmt dieselbe Ortsangabe aus V. 14 auf. Die Namen sind traditionell.

V. 17-18: V. 17a ist mk Einleitung von V. 17b. Der Menschenfischerspruch wurzelt in der Ostersituation, als die Jünger den Missionsauftrag empfingen (ebenso die lk Fassung des Menschenfischerwortes Lk 5,10). Mk paßt das österliche Menschenfischerwort sekundär den Umständen des Lebens Jesu an.

V. 19-20: Diese Verse sind abgesehen von den Namen redaktionell auf der Basis von V. 16-18 komponiert. »Die Aufforderung zündet wie der Blitz. Mit einem Schlage werden die vier Fischer aus ihrem Gewerbe  von einem am See auftauchenden Unbekannten herausgerissen. Die Sache wird sich in Wahrheit wohl etwas anders zugetragen haben« (Wellhausen, 328f).

Historisches

Am Faktum der Anhängerschaft der beiden Brüderpaare an Jesus und ihrem Fischerberuf ist kein Zweifel möglich. Die von Jesus zu seinen Lebzeiten ausgesandten Jünger waren keine Menschenfischer im österlichen Sinne, sondern Sendboten des Königreiches Gottes, die in die galiläischen Orte ausschwärmten (vgl. zu 6,7-13).

Mk 1,21-39: Jesus in Kapernaum

(21) Und sie kommen nach Kapernaum. Und sogleich ging er am Sabbat in die Synagoge und lehrte. (22) Und sie gerieten außer sich über seine Lehre. Denn er lehrte sie mit Vollmacht und nicht wie die Schriftgelehrten.

(23) Und sogleich war in ihrer Synagoge ein Mensch in unreinem Geist, und der schrie auf, (24) indem er sagte: »Was (gibt es zwischen) uns und dir, Jesus, Nazarener? Bist du gekommen, uns zu vernichten? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes!« (25) Und Jesus bedrohte ihn, indem er sagte: »Verstumme und fahre aus ihm aus!« (26) Und der unreine Geist zerrte ihn, und einen lauten Schrei ausstoßend, fuhr er aus ihm aus. (27) Und alle gerieten in Schrecken, so daß sie untereinander Ratschlag hielten und sagten: »Was ist dies? Eine neue Lehre in Vollmacht? Auch den unreinen Geistern gebietet er, und sie gehorchen ihm!« (28) Und die Kunde von ihm verbreitete sich sogleich überall in der ganzen Umgebung Galiläas.

(29) Und sogleich, als sie aus der Synagoge hinausgingen, kamen sie in das Haus des Simon und des Andreas mit Jakobus und Johannes. (30) Die Schwiegermutter des Simon aber lag mit einem Fieber danieder, und sogleich sprechen sie mit ihm über sie. (31) Und er ging hinzu und richtete sie auf, nachdem er sie bei der Hand gefaßt hatte. Und es verließ sie das Fieber. Und sie bediente sie.

(32) Als es aber Abend wurde, als die Sonne untergegangen war, brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen. (33) Und die ganze Stadt war vor der Tür versammelt. (34) Und er heilte viele an mancherlei Krankheiten Leidende. Und viele Dämonen trieb er aus, und er erlaubte den Dämonen nicht zu sprechen, weil sie ihn kannten.

(35) Und sehr früh, noch bei Nacht, stand er auf und ging an einen einsamen Ort und betete dort. (36) Und es verfolgten ihn Simon und die mit ihm waren, (37) und sie fanden ihn und sagen ihm: »Alle suchen dich.« (38) Und er sagt ihnen: »Laßt uns woanders hinziehen, in die benachbarten Dörfer, damit ich auch dort verkündige. Denn dazu bin ich ausgezogen.« (39) Und er ging und verkündigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die Dämonen aus.

Redaktion

Mk hat zwecks Zeichnung des ersten Abschnittes von Jesu Wirken die vorliegenden Textblöcke zusammen mit 2,1-12 und 3,1-6 wohl bewußt als Einheit gestaltet (jeweils wird die Zusammengehörigkeit der Vollmacht der Lehre und der Wundertätigkeit Jesu hervorgehoben). Das vorliegende Stück veranschaulicht Jesu Wirksamkeit beispielhaft.

V. 21-28: V. 21-23a und V. 28 sind mk Rahmung. Ein Teil von V. 27 verstärkt das Motiv der vollmächtigen Lehre Jesu.

V. 29a ist eine mk Verknüpfung.

V. 29b: Die Namen jener drei Jünger, deren Präsenz gar nicht nötig ist, stammen aus 1,16-20 und gehen auf Mk zurück, der sich durch den Namen »Simon« hat anregen lassen.

V. 32-34: Das redaktionelle Summarium schildert ebenso wie 3,7-12 und 6,53-56 ausführlich Jesu Heiltätigkeit.

V. 35-39: Die Verse sind eine redaktionelle Bildung und schildern ein dauerndes Wirken Jesu. In dieser Szene erscheint erstmalig das Motiv des Unverständnisses der Jünger (V. 36f), das fortan die Darstellung bestimmen wird. Die Aussage Jesu über seine Verkündigungstätigkeit in V. 38 lenkt auf 1,14 zurück. In V. 39 beachte man die redaktionelle Galiläanotiz (vorher: 1,9.14.16.28).

Tradition

V. 23-27: Die von den redaktionellen Zutaten befreite Erzählung »zeigt die typischen Züge einer Wundergeschichte, speziell einer Dämonenbeschwörung: 1. der Dämon wittert den Beschwörer und sträubt sich, 2. Bedrohung und Gebot des Beschwörers, 3. Ausfahren des Dämons unter Demonstration, 4. Eindruck auf die Zuschauer« (Bultmann, 224). V. 24 enthält eine Abwehrformel des Dämons. Sie erinnert an 1Kön 17,18, wo die Witwe von Sarepta in ähnlicher Weise zu Elia redet und Elia anschließend ihren Sohn heilt.

V. 29-31: Die Geschichte ist ein schlicht erzähltes Heilungswunder, zu dem die magische Handlung (V. 31: »er fasste sie bei der Hand«) und die Veranschaulichung der vollendeten Genesung (V. 31: »sie bediente sie«) passen. Die Erzählung wurde vor allem weiterüberliefert, weil an Simon Petrus ein biographisches Interesse bestand.

Historisches

V. 23-27: Die Tradition ist nicht die genaue Beschreibung eines Wunders Jesu. Wohl aber enthält sie eine allgemeine, zutreffende Erinnerung an Jesu exorzistisches Wirken. Denn die dämonenaustreibende Tätigkeit Jesu gehört zu den sichersten historischen Fakten aus seinem Leben. Vgl. Lk 10,18; 11,20. Doch bleibt festzuhalten: Dämonen gibt es, wissenschaftlich gesehen, nicht. Jesus heilte durch Magie psychosomatisch Kranke im Rahmen seines Weltbildes, das die Existenz von Dämonen voraussetzte. Ob und wie lange die Gesundung anhielt, weiß niemand. Vgl. Gerd Lüdemann: Der echte Jesus, 2013, 26-36.

V. 29-31: Der Bericht von einer Heilung der Schwiegermutter des Petrus dürfte zutreffen. Denn ein Bedürfnis für die Ausbildung einer solchen Erzählung ist schwerlich auszumachen (Differenzkriterium). Die Überlieferung, daß Petrus eine Schwiegermutter hatte, entspricht einer Notiz in den Paulusbriefen, daß Petrus verheiratet war (vgl. 1Kor 9,5).

Mk 1,40-45: Der Aussätzige

(40) Und zu ihm kommt ein Aussätziger, bittet ihn, kniet nieder und sagt ihm: »Wenn du willst, kannst du mich reinigen

(41) Und sich erbarmend streckte er seine Hand aus, berührte (ihn) und sagt ihm: »Ich will, sei rein!« (42) Und sogleich verließ ihn die Leprakrankheit und er wurde rein.

(43) Und er fuhr ihn an, warf ihn sofort hinaus (44) und sagt ihm: »Sieh zu, daß du keinem etwas sagst, sondern gehe, zeige dich dem Priester, und bringe ein Opfer für deine Reinigung, das Mose befohlen hat, ihnen zum Zeugnis!«

(45) Er (der Geheilte) aber ging hinaus und begann vieles zu verkündigen und das Wort auszubreiten, so daß er (Jesus) nicht mehr öffentlich in eine Stadt hineingehen konnte, sondern er war draußen an einsamen Orten. Und sie kamen zu ihm von überallher.

Redaktion

V. 43-44a: Mk hat dieses Stück ergänzt. Denn es unterbricht den Zusammenhang von V. 42 und V. 44b. V. 44a entspricht zudem der Messiasgeheimnistheorie.

V. 45: Dieser Vers ist an die mit V. 44b abgeschlossene Erzählung redaktionell angefügt. Man vgl. auch noch 1,28 zum mk Interesse daran, daß die Wunder Jesu überall erzählt werden.

Tradition

V. 40-44*: Die Überlieferung wurde stark durch die Geschichte von der Aussätzigenheilung 2Kön 5,1-14 beeinflußt und will zum Ausdruck bringen: Jesus ist der Gottesmann, der die Heilung Naamans durch Elisa noch übertrifft. Das Gebot in V. 44b, daß der (geheilte) Aussätzige sich dem Priester zeigen und ein Opfer bringen solle, entspricht dem Gesetz über die Reinigung von Aussätzigen Lev 14,2-32. Die Genesung soll so – ihnen zum Zeugnis – offensichtlich bestätigt werden.

Historisches

Die Tradition ist als ungeschichtlich zu bezeichnen, da ihre Entstehung und ihr Ziel deutlich geworden sind.

Mk 2,1-12: Die Heilung des Gelähmten

(1) Und als er wiederum nach Kapernaum kam, verbreitete es sich tagelang, daß er im Haus ist. (2) Und es versammelten sich viele, so daß nicht einmal der Platz vor der Tür ausreichte, und er redete zu ihnen das Wort. (3) Und sie kommen und tragen zu ihm einen Gelähmten, der von Vieren getragen wird. (4) Und da sie ihn nicht zu ihm tragen können wegen des Volkes, deckten sie das Dach ab, wo er war, und gruben es auf und lassen die Bahre herab, auf der der Gelähmte lag.

(5) Als Jesus ihren Glauben sah,

sagt er dem Gelähmten: »Kind, deine Sünden sind dir vergeben.« (6) Es saßen dort aber einige der Schriftgelehrten und dachten in ihren Herzen: (7) »Warum redet dieser so? Er lästert! Wer kann Sünden vergeben als Gott allein?« (8) Und sogleich erkannte Jesus in seinem Geist, daß sie so denken, und sagt ihnen: »Warum denkt ihr dies in euren Herzen? (9) Was ist leichter, dem Gelähmten zu sagen: ›Dir sind deine Sünden vergeben oder zu sagen: ›Steh auf und nimm deine Bahre und gehe‹? (10) Damit ihr aber erkennt, daß der Sohn des Menschen die Vollmacht hat, Sünden zu vergeben auf der Erde« –

sagt er dem Gelähmten: (11) »Dir sage ich, steh auf, nimm deine Bahre und geh in dein Haus!« (12) Und er stand auf und nahm sogleich die Bahre und ging vor allen weg, so daß alle außer sich gerieten und Gott priesen, indem sie sagten: »So etwas haben wir noch nie gesehen!«

Redaktion und Tradition

Das Stück enthält zwei erzählerische Spitzen, erstens das Wunder (V. 11–12), zweitens das Wort von der Vergebung der Sünden (V. 10). Letzteres wurde samt der dazugehörigen Szene (V. 6–9) in die Wundererzählung eingefügt. Das Stück V. 5b–10 ist nur im Zusammenhang der Geschichte von der Heilung des Gelähmten verständlich.

V. 1-2: Mk knüpft mit der Ortsangabe in V. 1a an 1,21 an. (Vorher war Jesus »in ganz Galiläa« [1,39] aufgetreten.) Die Überleitung zur nun folgenden Wundererzählung geht auf Mk zurück, einschließlich des Endes von V. 2: »Er redete zu ihnen das Wort« (vgl. 4,33; 8,32). Doch dürfte Mk in V. 1-2 den ursprünglichen Beginn der Erzählung eingeschmolzen haben, da die Anwesenheit Jesu im Haus für das Wunder notwendig ist (vgl. V. 4).

V. 3-5a: In V. 3 wird die ursprüngliche Überlieferung faßbar. V. 3f demonstrieren den Glauben der Träger des Gelähmten. Allerdings vertragen sich in V. 4 »abdecken« und »aufgraben« nicht. Wahrscheinlich hat Mk das Abdecken des Daches eingefügt, weil er an ein mit Ziegeln gedecktes Haus denkt, während das Aufgraben nur bei den palästinischen, aus Lehm gebauten Häusern möglich ist (vgl. weiter zu Lk 5,19).

V. 5b-10a: Wie bereits eingangs bemerkt, stehen innerhalb der Perikope zwei Stücke nebeneinander: eine Wundergeschichte (V. 3-5a.10b-12) und ein Streitgespräch über das Recht des Menschensohnes zur Sündenvergebung (V. 5b-10a). a) V. 3-5a.10b-12: Der große äußere Schwierigkeiten überwindende Glaube der Träger des Gelähmten wirft einen noch größeren Glanz auf den Wundertäter, der diesen Glauben verdient. b) V. 5b-10a: Mit der Bildung dieses Stückes führte die Gemeinde ihr Recht, Sünden zu vergeben, auf Jesus zurück; vgl. Mt 16,19; 18,18 (Bultmann, 13).

V. 10b-12 sind der organische Abschluß der Wundererzählung. Im Zusammenhang mit V. 5b-10a begründet das Wunder die Vollmacht zur Sündenvergebung.

Historisches

V. 3-5a.10b-12: Historisch ist die Heilung des Gelähmten nicht zu nennen. Die Erzählung gehört der Phase der urchristlichen Propaganda an, in der die Gestalt Jesu wie ein Magnet alle möglichen Mirakel an sich zog.