beantwortet von
Dr. Ludolf Wienbarg
Motto: ceterum ceterumque censeo….
Hamburg
bei Hoffmann und Campe
1834
Dem Nestor norddeutscher Patrioten
dem Freunde veredelter Natur und Menschheit
Herrn Baron von Voght
gewidmet.
Verehrungswuͤrdiger Greis!
Ich habe nie das Gluͤck Ihrer persoͤnlichen Bekanntschaft genossen, aber ich kenne Ihre Schoͤpfungen, die bluͤhenden Spuren Ihrer menschenfreundlichen Hand. Bereits als Knabe besuchte ich sehr oft von Altona aus das schoͤne Flottbeck. Hier woͤlbt sich keine Ulme, keine Buche, die Sie nicht gepflanzt, hier steigt von hundert freundlichen Daͤchern kein Rauch in die Luft, der nicht Weihrauch fuͤr Sie waͤre. Das wußte ich schon als Knabe und so kam es, daß ich an Ihrem Namen zuerst den Begriff und die Bedeutung eines Menschenfreundes, eines Patrioten lernte. Eine gluͤcklichere Abstraktion, ein wuͤrdigeres Bild wird selten der jugendlichen Seele geboten.
Nehmen Sie, Verehrungswuͤrdiger, diesen Ausdruck meiner fruͤhgefaßten und in reiferem Alter nur genaͤhrten und befestigten Achtung guͤtig auf.
Eutin, am 1. December 1833.
Ludolf Wienbarg.
Vorwort.
Wenn die Patrioten bisher uͤber die Kluft der Staͤnde, die Rohheit und Unempfaͤnglichkeit Volkes in Niedersachsen mit Recht bittere Klage fuͤhrten, oder im Großen Verbesserungsplaͤne entwarfen, so stand ihnen die niedersaͤchsische oder plattdeutsche Volkssprache nur sehr im Hintergrunde und kam weder im Guten, noch im Boͤsen so recht in Betracht. Ich glaube nachzuweisen, ja mit Haͤnden greiflich zu machen, daß sie die Wurzel alles Uebels, der Hemmschuh alles Bessern ist.
Gehe hin, meine kleine Schrift, und spreche! Drei Dinge wuͤnsche ich dir, Fluͤgel, Feinde und Freunde. Die Fluͤgel wuͤnsche ich dir, damit du dich nach allen Seiten verbreitest, die Feinde und Freunde, damit du nach alten Seiten besprochen wirst. —
* * * * *
Bekanntlich sprechen die Bewohner Niedersachsens plattdeutsch und hochdeutsch; ersteres als Volkssprache, letzteres als Sprache der Bildung. Das Hochdeutsche redet man dialektlos, das heißt Aussprache und Schreibung stimmen buchstaͤblich uͤberein[1]. Anders in Mittel- und Suͤd-Deutschland. Goͤthe sprach das Hochdeutsche wie ein geborner Frankfurter, Schiller wie ein Wirtemberger und noch gegenwaͤrtig hoͤrt man's der Sprache der Gebildeten Suͤd-Deutschlands ab, in welcher Provinz sie zu Hause gehoͤren. Daher kann man wol behaupten, daß mancher niedersaͤchsische Handwerker reiner hochdeutsch spricht, als der Wuͤrzburger Professor, der Badische Deputirte oder der Bewohner der Provinz Meissen selbst, dessen Aussprache doch zu seiner Zeit von Gottsched mit dem Privilegium der Klassizitaͤt begabt worden ist. Allein man darf nicht vergessen, daß diese Reinheit eine abstrakte und keine lebendige ist, da der Norden fein hochdeutsch im eigentlichen Sinn des Worts aus Buͤchern, zumal aus der lutherischen Bibeluͤbersetzung gelernt, nicht aber wie Mittel- und Suͤd-Deutschland durch lebendig uralte Tradition von Mund zu Mund empfangen hat.
Ist doch die hochdeutsche Sprache selbst keine Sprache provinzieller Beschraͤnktheit, keine bloße Mundart Alt-Meissens, sondern im hoͤheren Sinn ein Kunstwerk des großen Reformators, der aus den beiden Hauptdialekten des Nordens und Suͤdens, schon ohnehin im Saͤchsischen sich beruͤhrend eine Sprache schuf, die, wenn auch mit Vorwalten des suͤddeutschen Elements, jedem deutschen Ohr zugaͤnglich und verstaͤndlich sein, die eine gemeinsame Sprache aller Deutschen vorbereiten sollte. Aus den edelsten Metallen des unerschoͤpflichen deutschen Sprachschachtes gegossen, ward sie in Luthers Haͤnden die Glocke, welche die Reformation, den dreißigjaͤhrigen Krieg, die ganze neue Geschichte eingelaͤutet hat.
Mehr als den Griechen der Saͤnger der Odyssee und Ilias muß uns Deutschen, Katholiken wie Protestanten, der Uebersetzer der Bibel gefeiert sein. Die altionische Sprache gehoͤrte nicht dem Dichter, sondern der Nation an. Die Sprache der Bibeluͤbersetzung aber mußte sich erst geltend machen durch die Gewalt des Genius, sie gehoͤrte Luther an in dem Sinn, wie man nur irgend auf diesem Gebiet das Eigentumsrecht fuͤr eine Person in Anspruch nehmen darf.
Denkt euch, Luthers Sprache waͤre nicht durchgedrungen. Zerrissen waͤre das maͤchtigste Band, das Suͤd und Nord umschlingt. Der Norden wuͤrde nichts vom Suͤden, der Suͤden nichts vom Norden wissen.
Die theuersten Namen, die jetzt im Herzen der ganzen Nation wiederklingen, wuͤrden hie und da in einem Winkel Deutschlands genannt werden und etwa die Eitelkeit ihrer Landsleute aufblaͤhen, alle großen Maͤnner, die in unserm Vaterlande die Sprache Luthers geredet, alle Genien der ernsten und froͤhlichen Wissenschaft, auf die wir unsern Stolz setzen, ja welche die Vorsehung selbst uns zum erhebenden Selbstgefuͤhl erweckt zu haben scheint, wuͤrden mit vergeblicher Sehnsucht ihre Fluͤgel uͤber Deutschland ausgebreitet haben, waͤren von ihrer Geburt an zur Verschrumpfung und Laͤhmung bestimmt gewesen. Es ist so viel Ungluͤck seit Luther uͤber dieses arme Land hingegangen, daß man zweifeln koͤnnte, ob nur der Name Deutschland, Deutscher, ehre. Luthers Schriftsprache, dieses Schwerdt, das Wunden schlug und heilte, uͤber dem unsaͤglicher Wirrwarr sich schwebend erhalten hatte.
Das kaiserliche Reichsschwerdt ist zerbrochen, Luthers Sprache ist
Reichsschwerdt geworden, glanzvoller, schwungreicher, maͤchtiger,
gefuͤrchteter, als je eins in der Hand eines Hohenstaufens oder
Habsburgers geblitzt hat.
Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, der Muth hat Dich gestaͤhlt, die
Freiheit Dich geschliffen, der Kampf Dich erprobt.
Sprache Luthers, kaiserliches Schwerdt, rein bist Du von den Blutflecken der Religionskriege, rein und gesaͤubert vom Geifer theologischer Streithaͤhne, vom Rost des gelehrten und amtlichen Pedantismus.
Fuͤhrt es ihr Soͤhne des Lichts, denn ihr seid unuͤberwindlich mit dieser Waffe.
Beruͤhrt es nicht, ihr Kinder der Nacht, denn es ist scharf und faͤhrt zuruͤck auf eure eigenen Schaͤdel.
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Man kann Werth und Wuͤrde der deutschen Schriftsprache lebhaft anerkennen und dennoch wuͤnschen, daß die ober- und niederdeutschen Dialekte sich im Munde des Volkes lebendig erhalten. Ich theile diesen Wunsch nicht. Was namentlich die Frage betrift, welche den Gegenstand dieser kleinen Schrift ausmacht: „ist die niedersaͤchsische Volkssprache zu pflegen oder auszurotten?“ so antworte ich aus innigster Ueberzeugung und aus Gruͤnden, welche ich darlegen werde: sie ist auszurotten, durch jedes moͤgliche Mittel auszurotten.
Verstaͤndigen wir uns uͤber etwas sehr Wesentliches. Daß die plattdeutsche Sprache der Zeit verfallen und aussterben wird, ist keine Frage mehr.