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Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.
ISBN: 978-3-74093-326-5
Der Tod kam im Bruchteil einer Sekunde und genauso über Ronald Wheather wie über einen Cogi, den Bergwolf der Ute-Indianer. Er traf den Lieutenant knapp unter den Rippen. Gleichzeitig krachte es ohrenbetäubend, während Carmichal irgend etwas laut sagte.
Es waren die letzten Worte, die Lieutenant Ron Wheather in seinem Leben hörte:
»Sir, lassen Sie uns umkehren. Die Utes können jeden Moment…«
Mehr brachte Carmichal, den sie »den Mann mit den sieben Sinnen« nannten, nicht heraus.
Aus dem Verhau der Dornbüsche am Hang, zuckte das Mündungsfeuer, und am Klang erkannte Carmichal, daß es kein Gewehr war, aus dem der Schuß fiel, sondern eine Wolfsflinte, die von den Ute-Kriegern benutzt wurde, seitdem sie mit Feuerwaffen umzugehen gelernt hatten. Die fürchterliche Ladung aus gehacktem Blei tötete einen Wolf auf der Stelle.
Carmichal sah nur noch, wie der Lieutenant, als hätte ihn die Faust eines Riesen getroffen, erst hochgerissen wurde und dann mit einem leeren, ausdruckslosen Gesicht nach vorn kippte.
In derselben Sekunde schrie First Corporal Briddle hinten schrill. Carmichal aber achtete weder auf den Schrei noch auf das grelle Wiehern von Weathers Fuchswallach.
First Sergeant Joe Carmichal wurde, als hätte ihn die furchtbare Ladung voll erwischt, so blitzschnell nach hinten geschleudert, daß der ihm folgende Corporal glaubte, es hatte auch den Sergeant getroffen. Was dann geschah, glich dem Ausbruch eines Vulkans. Der Corporal wollte sein Pferd herumreißen, als es links neben ihm zischte und der Pfeil haarscharf vor seinen Augen hersauste. Dann bohrte sich die Pfeilspitze durch sein Kappenschild und riß die Kavalleristenmütze vom Kopf.
Carmichals Brauner, ein knochiges, aber ungeheuer ausdauerndes Pferd, steilte, während Carmichal über die Kruppe zu Boden stürzte.
Briddle, der als letzter Mann der Zwölferreihe hinter sich den über einem Felsen auftauchenden Ute gesehen hatte, schrie nicht mehr. Briddle war ein kaltblütiger, erfahrener Kämpfer, und Carmichal hatte ihn nicht umsonst ans Ende des Zuges kommandiert. Ständig verstohlen von links nach rechts blickend und sich immer wieder umsehend, gab Briddle seinem Falben die Hacken. Das Tier sprang an, Briddle warf sich lang über die Mähne und machte sich klein, und nur darum entging er der Kugel.
Wie es Carmichal gelungen war, noch im Stürzen seinen Karabiner herauszureißen, blieb Briddle ein Rätsel. Carmichal war ungemein schnell, wenn es darauf ankam, und er konnte sich im Handumdrehen von einem anscheinend dösenden Menschen in ein feuerspuckendes Ungeheuer verwandeln. Carmichals Pferd fing die beiden Kugeln auf, die dem Reiter gegolten hatten. Und dann schwoll das Krachen und Geschrei zu einem Höllenspektakel an, in dem das grelle
Todesgewieher des Braunen unterging.
»Billy, den Hang rauf!«
Obwohl alle fest mit Schwierigkeiten gerechnet hatten, und von Carmichal vorausgesagt, brach doch eine Panik aus. Sie wurde um so schlimmer, weil First Corporal Trembler vor den Augen seiner Partner, von einem Pfeil schwer getroffen, vom Pferd kippte. Dabei hatte er den Mund weit aufgerissen, und die Hände zuckten reflexartig zum Hals.
Briddle wußte, daß er Trembler nicht mehr retten konnte. Dessen rechter Fuß war im Steigbügel hängengeblieben. Ein grauenhafter Anblick. Der Mann wurde vom Gaul mitgeschleift, aber zum Glück spürte er keine Schmerzen mehr. Er war bewußtlos geworden.
Carmichals scharfer Befehl bewirkte genau das, was die Panik beenden konnte. Es kam immer nur darauf an, daß jemand die Nerven behielt, das Kommando übernahm und seine Befehle durchkamen.
»Auf den Hang – brecht durch!«
Briddle klebte, während ihm die Angst wie eine eiskalte Faust im Nacken saß, förmlich auf seinem Pferd. Was Carmichal bewogen haben mochte, ausgerechnet den Hang ins Visier zu nehmen, blieb ihm ein Rätsel. Es ging zwar hinauf, aber oberhalb des Hanges wuchs die Felswand des Canaba Canyons steil an. Kein Mensch hätte dort hochsteigen können, ohne von Kugeln oder Pfeilen der Utes durchlöchert zu werden.
Aus den Augenwinkeln sah Briddle den jungen Billy Moosley. Der war erst seit acht Wochen in Fort Defiance, und wenn er auch guten Willens war, er machte auf eine tollpatschige, unbeholfene Weise alles falsch, was nur falsch zu machen war.
Genauso wie in dieser Situation. Billy Moosley saß immer noch aufrecht im Sattel, das Gesicht vor Schreck erstarrt und in den Augen einen Ausdruck, der Briddle an ein einfältiges Schafslamm erinnerte, das gerade auf diese Welt gekommen war und noch nichts von ihr wußte.
Während Briddle instinktiv nach dem Säbel griff, schien Billy endlich zu begreifen, daß es in dieser Welt manchmal einen verdammt schnellen Tod gab.
Der Junge zuckte zusammen, duckte sich und entging dadurch der kurzen Ute-Lanze. Das gefiederte Ding raste auf Billy Moosley zu, sirrte haarscharf über seine linke Schulter hinweg und streifte ihn nur noch mit dem Federbüschel. Die Lanze neigte sich langsam im Flug und sauste auf die Erde zu.
Vielleicht hätte sie sich in den Boden gebohrt, wenn Gates’ Nußbrauner nicht gewesen wäre. Corporal Gates trieb sein Pferd schräg den Hang hoch auf einen Ute zu, der aus den Büschen sprang und sein Gewehr auf Gates anschlug.
Was dann passierte, erschien
Briddle wie die Ausgeburt eines Wahntraumes. Die Lanze fuhr dem Nußbraunen tief in die Weiche. Zugleich schlug der Ute-Krieger sein Gewehr an, zielte kurz und drückte ab. Der Nußbraune bäumte sich auf. Die Waffe des Indianers spie Feuer, aber die Kugel traf den Kopf des Kavalleriepferdes und nicht dessen Reiter.
Der Corporal hatte das Gefühl, sich auf einem Schleuderbrett zu befinden.
Sein Pferd knickte vorn ein, sauste mit dem Schädel in den Busch, an dem die Rothaut breitbeinig stand, und schleuderte Corporal Gates durch die Luft. Im Vorbeifliegen sah Gates für einen Augenblick das vor Schreck verzerrte Gesicht des Ute-Kriegers. Der schien am allermeisten über den Erfolg seines Schusses erschrocken zu sein.
Gates wog 170 gute Pfund. Er überschlug sich in der Luft, und es war reiner Zufall, daß er nach dem Überschlag mit den Stiefeln voran dem immer noch wie gelähmt dastehenden Ute vor die Brust flog. Der Anprall schleuderte den Indianer hintenüber. Gates segelte haarscharf über das einschüssige Gewehr hinweg. Der Gesäßlederfleck seiner Reithose streifte die Nase des Ute, der einen kreischenden Schmerzensschrei ausstieß.
Während Gates auf dem Hintern landete, erreichte Briddle endlich Billy Moosley, sah aber zugleich, was Carmichal, der Mann mit den sieben Sinnen anstellte.
Carmichal schnellte mit einem Riesensatz hinter dem Pferd von Lieutenant Wheather her. Er hatte den Kolbenhals des Karabiners mit der Rechten umklammert. Wie er im Sprung noch schießen konnte, begriff Briddle so wenig wie die Wirkung des Schusses.
Die Kugel warf den Ute, der die fürchterliche Ladung auf Wheathers abgefeuert hatte, rückwärts in den Dornbusch. Der Indianer tauchte kopfüber ein, blieb mit den Beinen nach oben in den stacheligen Zweigen hängen und strampelte verzweifelt. Dann packte Carmichals Linke den Schwanz des Fuchswallachs.
Jetzt tritt der Gaul aus, dachte Briddle besorgt und knallte Joe die Hufe auf die Nase.
Doch noch ehe der Fuchswallach in der befürchteten Weise reagieren konnte, sprang Sergeant Carmichal aus vollem Lauf wie ein Panther auf den Pferderücken. Erst als er halbwegs im Sattel saß, trat der Gaul aus. Der Sergeant hatte seine Rechte in die Mähne des Pferdes gekrallt, hielt mit der Linken krampfhaft den Karabiner fest und preßte seine Knie an den Tierleib.
Das gellende Triumphgeschrei des Indianers, das den Tod Wheathers begleitet hatte, verstummte schlagartig. Sie hatten alle ihre Gewehre abgefeuert, und nur wenige Utes besaßen Mehrlader, so daß die meisten nachladen mußten. Die Rothäute kannten Carmichal, und es gab wohl keinen unter ihnen, der sich nicht vor ihm fürchtete, seitdem er ihren Chief Matagoras mit einem einzigen Fausthieb besiegt hatte.
Carmichals unglaublicher Sprung auf den Fuchswallach hatte die Utes kurz abgelenkt. Außerdem sahen sie sich in ihrer Vermutung, daß sich die Patrouille im Tal halten und versuchen würde, sich darin zurückzuziehen, getäuscht
Während der Sergeant den Fuchswallach lauthals antrieb, preschten die Kavalleristen nach rechts den Hang empor. Der Fuchswallach galoppierte mitten durch die Büsche, setzte über den Dornbusch hinweg, rammte den noch strampelnden Ute und sauste dem nächsten Krieger entgegen. Aber dem Sergeanten gelang es, das Pferd im letzten Augenblick scharf nach rechts und dicht an dem Ute vorbei zu lenken. Doch die Rothaut sollte nicht ungeschoren davonkommen oder Carmichal gar noch gefährlich werden.
Die Waffe zuckte in derselben Sekunde, in der Carmichal an dem sich duckenden Ute vorbeiraste, seitlich herum. Der Hieb kam schräg von unten, und der Kolben des Karabiners traf den linken Bogenarm des Kriegers. Danach war der Weg für Carmichal frei.
Hinter ihm stürzte der Ute schreiend auf das trockene, vermoderte Laub. Der Sergeant trieb den Fuchswallach so durch die Büsche, daß er kaum ein Ziel bot. Briddle sah ihn kommen und rief dem jungen Billy Moosley zu:
»Mach dich flach, Mensch!«
Billy Moosley blickte sich jedoch immer noch nach der Stelle um, an der Wheather lag. Dort preschte Tremblers Gaul, den schwerverwundeten Reiter mitschleifend, auf die von der anderen Talseite in die Senke stürmenden Utes zu.
»Mein Gott!« entfuhr es Billy Moosley entsetzt. Der Anblick des wie eine Puppe tanzenden Körpers schien Billy um den Verstand zu bringen. »Trembler fällt ihnen in die Hände. Die können doch nicht…«
»Du verfluchter Idiot!« fauchte Briddle. Er mußte Moosley irgendwie den Hang heraufbekommen und aus seinem Entsetzen reißen, holte aus und schlug Billy den Säbel flach über den Rücken. »Auf den Hals herunter, Mann! Duck dich!«
Billy schrie vor Schreck auf, als ihn die flache Klinge traf. Der Junge duckte sich wirklich, schien zu glauben, daß es ihn erwischt hatte und gab seinem Gaul endlich die Hacken. Links neben ihm tauchte Carmichal auf. Der Sergeant ritt gerade freihändig, feuerte auf einen Indianer und traf ihn, während Corporal Gates genauso schnell wie jener Ute, dem er ins Gesicht geflogen war, auf die Beine kam.
Gates wirbelte herum. Die Rothaut warf sich ihm entgegen, holte mit dem Gewehr aus und wollte es Gates über den Schädel schlagen. Der Corporal parierte den Hieb jedoch so, wie er es gelernt hatte. Er fing die Waffe mit quergehaltenem Karabiner ab, stieß ihn schräg nach vorn und dadurch den Ute zurück. Der strauchelte, kam zu Fall, und Gates schwenkte seine Waffe ruckartig herum, drückte ab.
Gleichzeitig steigerte sich das Geheul der von der Gegenseite des Canaba Canyons ins Tal stürmenden Utes. Jene an diesem Hang hatten geschwiegen, als sie Carmichals tollkühnen Satz auf das Pferd verfolgt hatten. Die anderen kamen nun wie eine Horde wilder und wütender Tiere herab und feuerten aus dem Laufen.
Der Tod holte Corporal Checkers, ehe er den Hang erreichte. Checkers krümmte sich zusammen, kippte hinterrücks von seinem Pferd und begrub im Stürzen den von Gates getroffenen Indianer unter sich. Sein Pferd galoppierte reiterlos dahin, kam jedoch nicht weit, denn Gates konnte es an den Zügeln packen und sich hinaufschwingen.
Den Soldaten Lasker erwischte es, als er bereits auf dem Hang war und sein Pferd herumriß, um von oben auf die nachdrängenden Utes zu feuern. Die Kugel traf Lasker unter dem linken Brustbein. Er rutschte seitlich aus dem Sattel und blieb reglos liegen.
Answorth wurde am linken Arm verwundet. Torbett kam mit einem Pfeil in der Seite oben an, aber er brach den Schaft fluchend ab, nachdem er vom Gaul gesprungen war und ihn in die einzige Deckung zwei Felsblöcke in seiner Nähe gezerrt hatte.
Sie waren nur noch neun Mann, und davon waren drei verwundet.
»Zu Torbett!« rief Carmichal scharf. Der Sergeant erkannte auf Anhieb, daß sie Deckung für die Pferde nur bei Torbett fanden. Es konnte jedoch nicht lange dauern, dann mußten einige Utes auf der Wand hinter und über ihnen auftauchen. Die neun Soldaten steckten dann unweigerlich in einer Todesfalle, aus der es kein Entkommen mehr geben würde. »Briddle, absitzen, in Deckung und sie aufhalten! Die machen einen Fehler, paß auf.«
»Hoffentlich denselben Fehler, den dieser Idiot Cranefield gemacht hat«, sagte Briddle, wobei er Billy Moosley vom Pferd stieß. »Joe, dieser hirnverbrannte Narr hätte auf dich hören sollen. Wenn er jetzt nachkommt, landet er mit der ganzen Schwadron in der Hölle. Der mit seinem verdammten Ehrgeiz, so schnell wie möglich Major zu werden.«
»Alles, was er verdient, wenn du mich fragst«, entgegnete Carmichal so finster, wie ihn Briddle noch nie erlebt hatte, »ist eine Kugel. Er taugt nicht zu dem Kommando, nicht in diesem Land. Das kostet uns mehr Männer, als du glaubst. Weg mit euch, in Deckung! Schießt, was ihr könnt! Haltet sie auf!«
Er war inzwischen von Wheathers Pferd gesprungen. Während er loslief, beobachtete er, wie einige der Utes Tremblers Pferd aufhielten und den First Corporal packten. Die schrecklichen Schreie des Mannes übertönten selbst das Krachen der Schüsse. Daß es ausgerechnet den gutmütigsten und stillsten all seiner Männer auf eine so grausige Weise das Leben kosten mußte, ließ Carmichals Groll auf Captain Cranefield noch wachsen.
»Du großer Gott«, stammelte Billy Moosley, bleich bis in die Lippen, als die Schreie zu ihnen heraufschallten, »ich kann es nicht hören, Briddle. Das ist ja furchtbar. Was machen sie nur mit Trembler?«
»Frag einen anderen«, antwortete Briddle. »Nimm deinen Karabiner und komm, wir müssen sie aufhalten. Die sind bald da oben. Und dann…«
Vor ihnen schossen die ersten ihrer Kameraden auf die aus der Tiefe den Hang anstürmenden Utes. Zwei, drei Krieger stürzten, kollerten den Hang abwärts und stoppten den Ansturm jäh. Die anderen Indianer verschwanden in Deckungen hinter Büschen und Felsen.
Eine Gruppe von etwa einem Dutzend Kriegern tauchte jedoch an
der Talbiegung im Westen auf, und Briddle erkannte entsetzt, daß sie dieser Horde in die Arme geritten wären, wenn sie Carmichals Befehl nicht befolgt und Richtung Hang nicht durchgebrochen wären.
»Allmächtiger!« stieß Briddle hervor. »Das wäre unser Ende gewesen. He, sie machen kehrt. Bei Gott, sie laufen zurück. Jetzt wird es nicht mehr lange dauern, dann knallen sie von oben auf uns. Dieser verfluchte Cranefield. Wie kann der glauben, daß Ute-Indianer nicht anders kämpfen als Kiowas oder Comanches? Nur ein Schwachsinniger würde den Unterschied zwischen Prärieindianern und Bergstämmen nicht erkennen. Billy, der Captain bringt uns noch alle ins Grab, sich selbst auch, aber zuerst sind wir an der Reihe. Es ist wirklich interessant, daß Carmichal ihm das genau vorhergesagt hat und… He, was macht Joe denn da?«
Briddle sah, daß Carmichal an einem Dornbusch lag und mit seinem Bowieknife im Liegen die dichten Verästelungen abschlug. Statt zu schießen oder nach einer besseren Deckung zu suchen, weil es nicht lange dauern konnte, bis die ersten Utes hoch über ihnen auftauchten, schlug Joe Carmichal, der Mann mit den sieben Sinnen, Zweige ab.
»Kümmert euch nicht um mich. Haltet euch unten und schießt gezielt. Spart die Patronen!« rief Sergeant Carmichal seinen Leuten zu. »Wir müssen hier verschwinden, ehe wir zu Zielscheiben werden.«