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Titel der Originalausgabe
LOVER MINE (Part 2)
Aus dem Amerikanischen von Petra Hörburger
und Corinna Vierkant
Redaktion: Natalja Schmidt
Copyright © 2010 by Jessica Bird
Copyright © 2011 der deutschen Ausgabe
und der Übersetzung by
Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München.
Autorenfoto © by John Rott
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-05925-5
V003
www.heyne-magische-bestseller.de
www.penguinrandomhouse.de

Inhaltsverzeichnis

Über den Autor
Widmung
DANKSAGUNG
GLOSSAR DER BEGRIFFE UND EIGENNAMEN
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Copyright

DANKSAGUNG

Ein Riesendankeschön an alle Leser der Bruderschaft der Black Dagger und ein Hoch auf die Cellies!

Vielen Dank für all die Unterstützung und die Ratschläge an: Steven Axelrod, Kara Welsh, Claire Zion und Leslie Gelbman.

Danke auch an alle Mitarbeiter von NAL – diese Bücher sind echte Teamarbeit!

Danke an Lu und Opal sowie an unsere Cheforganisatoren und Ordnungshüter für alles, was ihr aus reiner Herzensgüte tut!

Und wie immer vielen Dank an meinen Exekutivausschuss : Sue Grafton, Dr. Jessica Andersen und Betsey Vaughan.

Meine Achtung gilt der unvergleichlichen Suzanne Brockmann und der stets brillanten Christine Feehan (plus Familie) sowie allen Autoren, die mir immer wieder mit Trost und Rat zur Seite stehen (Christina, Linda und Lisa).

Danke auch an Kara Cesare, die immer einen Platz in meinem Herzen haben wird.

An D. L. B. – ich bin einer deiner größten Fans. Schreib bitte weiter! Ich liebe dich, Mummy.

An N. T. M. – danke, dass du mich auf meinem Weg begleitest, in guten wie in schlechten Zeiten.

An Jac (und Gabe!) – danke für Barbie und die Neudefinition der Romantik.

An LeElla Scott – die ich so sehr liebe, und nicht nur, weil sie sich so toll um meinen geliebten Welpen-Neffen kümmert.

An Katie und die kleine Kaylie und ihre Mama – die in meinem Kurzwahlspeicher ganz oben steht.

An Lee, der mir den Weg geebnet hat, und an Margaret und Walker für all die Freude, die sie mir bringen.

Nichts von alledem wäre möglich ohne: meinen liebevollen Ehemann, der mir mit Rat und Tat zur Seite steht, sich um mich kümmert und mich an seinen Visionen teilhaben lässt; meine wunderbare Mutter, die mir mehr Liebe geschenkt hat, als ich ihr je zurückgeben kann; meine Familie (die blutsverwandte wie auch die frei gewählte) und meine liebsten Freunde.

Ach ja, und an die bessere Hälfte von WriterDog, wie immer.

Die Autorin

J. R. Ward begann bereits während des Studiums mit dem Schreiben. Nach dem Hochschulabschluss veröffentlichte sie die BLACK-DAGGER-Serie, die in kürzester Zeit die amerikanischen Bestseller-Listen eroberte. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrem Golden Retriever in Kentucky und gilt seit dem überragenden Erfolg der Serie als neuer Star der romantischen Mystery.

1

Auf der Anderen Seite wanderte Payne durch das Heiligtum. Das federnde grüne Gras kitzelte ihre nackten Fußsohlen, während ihr der süße Duft des Geißblatts und der Hyazinthen in die Nase stieg. Seitdem sie von ihrer Mutter aufgeweckt worden war, hatte sie noch keine Stunde geschlafen, und obwohl ihr das zuerst seltsam erschienen war, dachte sie nun nicht mehr darüber nach. Es war einfach so.

Wahrscheinlich hatte ihr Körper zuvor so lange geruht, dass es nun für ein ganzes Leben reichte.

Als sie zum Tempel des Primals kam, betrat sie ihn nicht. Auch am Eingang zum Hof ihrer Mutter ging sie vorüber – es war noch zu früh für Wrath und ihr gemeinsames Kampftraining, was der einzige Grund für sie war, den Hof zu betreten.

Als sie jedoch zum Wohnbereich der Auserwählten kam, öffnete sie die Tür. Allerdings hätte sie nicht sagen können, was sie dazu veranlasst hatte, am Türknauf zu drehen und über die Schwelle zu treten.

Die Wasserschalen, die die Auserwählten lange Zeit verwendet hatten, um die Ereignisse zu verfolgen, die sich zutrugen, waren auf den zahlreichen Schreibtischen in Reih und Glied aufgestellt. Daneben lagen Pergamentrollen und Federkiele bereit.

Ein Lichtschimmer erregte ihre Aufmerksamkeit, und sie ging hinüber zu seinem Ursprung. Das Wasser in einem der Kristallbecken bewegte sich in immer langsamer werdenden Kreisen, als ob es gerade erst berührt worden wäre.

Payne sah sich um. »Hallo?«

Sie erhielt keine Antwort. Aber der süße Duft von Zitronen legte nahe, dass No’One mit ihrem Reinigungstuch erst kürzlich hier gewesen war. Was eigentlich eine Zeitverschwendung war, denn hier gab es weder Staub noch Schmutz, der entfernt werden musste. Aber No’One war eben Teil der großen Tradition der Auserwählten.

Es gab nichts zu tun, was einem größeren Zweck diente. Nur Beschäftigung um der Beschäftigung willen.

Als Payne sich umdrehte, um wieder zu gehen, und an all den leeren Stühlen vorbeikam, war das Scheitern der Jungfrau der Schrift ebenso offensichtlich wie die alles dominierende Stille.

Sie mochte die Frau, die ihre Mutter war, nicht, um ehrlich zu sein. Aber es war eine traurige Tatsache, dass alle großen Pläne, die sie geschmiedet hatte, schließlich gescheitert waren: das Zuchtprogramm, um ein starkes Vampirvolk zu schaffen; der Kampf gegen den Feind und dessen Niederlage; eine große Nachkommenschaft, die ihr voller Liebe, Gehorsam und Freude dienen würde.

Und wo stand die Jungfrau der Schrift jetzt? Sie war allein, wurde von niemandem angebetet und von niemandem gemocht.

Und die kommenden Generationen würden wahrscheinlich noch weniger ihrem Weg folgen, nachdem bereits so viele Eltern von der Tradition abgewichen waren.

Payne verließ den leeren Raum und trat in das milchige Licht hinaus …

Unten beim Spiegelbecken bewegte sich eine in leuchtendes Gelb gekleidete Gestalt, tanzend wie eine Tulpe in einer leichten Brise.

Payne ging auf die Gestalt zu, und als sie näher kam, erkannte sie Layla, die scheinbar ihren Verstand verloren hatte.

Die Auserwählte sang ein Lied ohne Text, ihr Körper bewegte sich zu einem Rhythmus ohne Melodie, und ihr Haar flatterte wie eine Fahne im Wind.

Es war das erste Mal, dass die Auserwählte ihr Haar nicht als Knoten im Nacken trug – oder zumindest hatte Payne sie noch nie ohne diese Frisur gesehen.

»Meine Schwester!«, rief Layla und hielt inne. »Verzeih mir.«

Ihr strahlendes Lächeln war heller als das Gelb ihrer Gewänder und ihr Duft stärker als jemals zuvor. Ihr Zimtgeruch schwebte in der Luft, wie ihre liebliche Stimme es vor kurzem getan hatte.

Payne zuckte mit den Schultern. »Es gibt nichts zu verzeihen. Fürwahr, dein Lied hat mein Ohr erfreut.«

Layla ließ die Arme weiter elegant hin – und herschwingen. »Was für ein wundervoller Tag heute ist, nicht wahr?«

»In der Tat.« Plötzlich wurde Payne von einem Gefühl der Angst überrollt. »Deine Stimmung ist heute viel besser. «

»Oh ja.« Die Auserwählte drehte sich im Kreis, streckte ihren Fuß elegant aus und sprang dann in die Höhe. »Fürwahr, es ist ein herrlicher Tag.«

»Was hat dir denn den Tag versüßt?« Eigentlich kannte Payne die Antwort bereits. Stimmungsänderungen fanden selten spontan statt, sondern erforderten in der Regel einen Auslöser. Layla verlangsamte ihren Tanz und ließ ihre Arme sinken. Sie hob ihre eleganten Finger an den Mund und schien nach den richtigen Worten zu suchen.

Sie muss einem Bruder uneingeschränkt zu Diensten gewesen sein, dachte Payne. Ihre Erfahrung als Ehros war nun keine bloße Theorie mehr.

»Ich …« Ihre Wangen waren stark gerötet.

»Sag nichts mehr, aber sei gewiss, dass ich mich für dich freue«, murmelte Payne. Und das stimmte zum Großteil. Aber ein Teil von ihr fühlte sich auf seltsame Weise entmutigt.

Waren nun sie selbst und No’One die Einzigen hier, die zu nichts nutze waren? Es schien so.

»Er hat mich geküsst«, erzählte Layla und sah auf das Spiegelbecken. »Er hat seine Lippen auf die meinen gelegt. «

Anmutig setzte sich die Auserwählte auf den Marmorrand und ließ ihre Hand durchs ruhige Wasser gleiten. Einen Augenblick später gesellte sich Payne zu ihr. Manchmal war es besser, irgendetwas zu fühlen als gar nichts. Selbst wenn es nur Schmerz war.

»Hat es dir gefallen?«

Layla betrachtete ihr Spiegelbild. Das blonde Haar fiel ihr über die Schultern hinab und bis zur spiegelnden Oberfläche des Beckens. »Er war … wie Feuer in meinen Adern. Ein Feuersturm, der … mich verzehrte.«

»Du bist jetzt also keine Jungfrau mehr?«

»Doch. Er küsste mich nur und beließ es dann dabei. Er sagte, er wolle, dass ich mir ganz sicher sei.«

Das sinnliche Lächeln, das über das Gesicht der Auserwählten huschte, spiegelte ihre Leidenschaft wider. »Ich war mir sicher und bin es immer noch. Er ist es auch. In der Tat war sein muskulöser Körper bereit für mich. Es verlangte ihn nach mir. Auf diese Weise begehrt zu werden, war ein unvergleichliches Geschenk. Ich hatte gedacht, die Vollendung meiner Ausbildung wäre mein einziges Ziel. Aber jetzt weiß ich, dass mich auf der Anderen Seite noch viel mehr erwartet.«

»Nur mit ihm?«, murmelte Payne. »Oder durch die Erfüllung deiner Pflichten?«

Dies ließ tiefe Falten auf Laylas Stirn erscheinen.

Payne nickte. »Ich stelle fest, dass es dir mehr um ihn geht als um deine Rolle als Auserwählte.«

Es folgte eine längere Pause. »Die große Leidenschaft zwischen uns ist doch sicher ein Anzeichen dafür, dass wir vom Schicksal füreinander bestimmt sind, oder etwa nicht?«

»Dazu kann ich nichts sagen.« Paynes Erfahrung mit dem Schicksal war ein einziger, glänzender, blutiger Moment … gefolgt von langer Untätigkeit. Keines davon versetzte sie in die Lage, sich zu jener Art von Leidenschaft zu äußern, auf die sich Layla bezog.

Oder besser gesagt, in der sie schwelgte.

»Verurteilst du mich deswegen?«, flüsterte Layla.

Payne blickte die Auserwählte an und dachte an den leeren Raum mit all seinen freien Tischen und den Schalen, die schon lange nicht mehr von geschulten Händen gewärmt worden waren. Laylas Freude, die in Ereignissen außerhalb des Lebens als Auserwählte wurzelte, schien ein weiterer unvermeidlicher Abschied zu sein. Und das war gar nicht schlecht.

Payne berührte die Auserwählte an der Schulter. »Überhaupt nicht. Fürwahr, ich freue mich für dich.«

Laylas schüchterne Freude ließ sie nicht nur hübsch, sondern geradezu atemberaubend schön wirken. »Ich bin so glücklich, dass ich dir davon erzählen konnte. Ich platze fast vor Freude, aber es gibt hier sonst niemanden, dem ich mich mitteilen könnte.«

»Du kannst immer mit mir sprechen.« Layla hatte sie oder ihre eher maskulinen Neigungen schließlich nie verurteilt, und sie war sehr geneigt, der Auserwählten dieselbe Gunst zu erweisen. »Wirst du bald wieder zu ihm gehen?«

Layla nickte. »Er sagte, ich könne wieder zu ihm kommen, wenn er das nächste Mal … Wie hat er es nochmal ausgedrückt? ›Eine Nacht frei hat‹. Und das werde ich.«

»Du musst mich auf dem Laufenden halten. In der Tat … ich würde gerne erfahren, wie es dir ergangen ist.«

»Danke, Schwester.« Layla legte ihre Hand auf die von Payne. Tränen glänzten in den Augen der Auserwählten. »Ich war so lange … unvollständig, und dies … dies ist es, was ich immer gewollt habe. Ich fühle mich … lebendig.«

»Das freut mich für dich, Schwester. Das ist … sehr schön.«

Mit einem letzten bestärkenden Lächeln erhob sich Payne und verabschiedete sich von der Auserwählten. Auf dem Rückweg zu ihren Gemächern strich se über den Schmerz, der sich in ihrer Brust gebildet hatte.

Wenn es nach ihr ging, konnte Wrath gar nicht schnell genug hier auftauchen.

2

Xhex erwachte mit John Matthews Duft in der Nase.

Seinem Duft, und dem Duft von frischem Kaffee.

Sie öffnete die Lider und erspähte John im Dämmerlicht des Aufwachraums. Er saß wieder auf demselben Stuhl, die Haltung leicht gebeugt, weil er gerade Kaffee aus einer dunkelgrünen Thermoskanne in eine Tasse goss. Er hatte seine Lederhose und sein T-Shirt wieder angezogen, doch er war barfuß.

Als er sich ihr zuwandte, erstarrte er und seine Brauen schossen hoch. Obwohl er die Tasse bereits zum Mund geführt hatte, bot er sie ihr sofort an.

Beschrieb das nicht das Wesentliche seines Charakters?

»Nein, danke«, sagte sie. »Das ist deiner.«

Er hielt kurz inne, als ob er sich überlegte, ob er das mit ihr ausdiskutieren sollte. Doch dann führte er den Rand der Tasse an die Lippen und nahm einen Schluck.

Nachdem sie sich nun etwas besser fühlte, schlug Xhex die Decken zurück und schwang ihre Beine darunter hervor. Als sie sich aufrichtete, fiel das Handtuch herunter, und sie hörte John zischend einatmen.

»Es tut mir leid«, murmelte sie und bückte sich, um das Frotteetuch aufzuheben.

Sie konnte es ihm nicht verübeln, dass er keinen Blick auf die Narbe an ihrem Unterleib werfen wollte, die sich noch im Heilungsprozess befand. Das war wirklich kein Anblick, den man sich vor dem Frühstück zumuten wollte.

Xhex stand auf, schlurfte zur Toilette und wusch sich dann das Gesicht. Ihr Körper erholte sich gut, ihre blauen Flecken verschwanden langsam, und ihre Beine fühlten sich stärker an. Und weil sie lange geschlafen und sich von John genährt hatte, waren ihre Schmerzen nicht mehr wirklich schlimm, sondern nur noch unangenehm.

Als sie aus dem Bad kam, fragte sie: »Glaubst du, dass ich mir von jemandem hier ein paar Klamotten ausleihen könnte?«

John nickte, wies aber mit der Hand aufs Bett. Offensichtlich wollte er, dass sie zuerst etwas aß, und sie hatte nichts dagegen.

»Danke«, sagte sie und zog das Handtuch fester um ihre Brust. »Was hast du mitgebracht?«

Als sie sich gesetzt hatte, bot er ihr eine Reihe verschiedener Dinge an. Sie entschied sich für ein Truthahnsandwich. Aufgrund ihres gesteigerten Bedarfs an Eiweiß konnte sie dieses Angebot unmöglich ablehnen. Von seinem Stuhl aus beobachtete John, wie sie es genüsslich verschlang. Dazu trank er seinen Kaffee. Sobald sie fertig war, holte er ein Plunderstück hervor, dem sie ebenfalls nicht widerstehen konnte.

Die Kirschen und der Zuckerguss machten ihr selbst Lust auf etwas Kaffee. Zu ihrer großen Verblüffung hielt ihr John im selben Moment eine Tasse hin, als ob er ihre Gedanken gelesen habe.

Anschließend verputzte sie noch ein Plunderstück und einen Bagel. Trank ein Glas Orangensaft. Und dann noch zwei Tassen Kaffee.

Es war schon komisch. Dass John stumm war, hatte seltsame Auswirkungen auf sie. Normalerweise war immer sie die Schweigsame, die es vorzog, ihre Gedanken für sich zu behalten und sie unter keinen Umständen mit ihrem Gegenüber zu teilen. Doch in Johns stiller Gegenwart fühlte sie sich merkwürdigerweise dazu veranlasst, zu sprechen.

»Himmel, ich platze gleich«, meinte sie und lehnte sich zurück in die Kissen. Als er eine Braue hob und ihr das letzte Plunderstück anbot, schüttelte sie den Kopf. »Oh Gott … nein, danke. Ich könnte nicht, selbst wenn ich wollte.«

Dann begann er zu essen.

»Hast du extra gewartet, bis ich fertig bin?«, meinte sie stirnrunzelnd. Als er ihrem Blick auswich und mit den Schultern zuckte, fluchte sie leise. »Das hättest du nicht müssen.«

Noch ein Schulterzucken.

Nachdem sie ihn ein bisschen beobachtet hatte, murmelte sie: »Du hast aber gute Tischmanieren.«

Er lief knallrot an, und sie musste ihr Herz dazu zwingen, wieder langsamer zu schlagen.

Vielleicht hatte sie aber auch nur Herzklopfen, weil sie beinahe zweitausend Kalorien in ihren leeren Magen gestopft hatte.

Oder doch nicht. Als John den Zuckerguss von seinen Fingerspitzen leckte, erhaschte sie einen Blick auf seine Zunge, was dazu führte, dass sich etwas in ihr zu regen begann …

Erinnerungen an Lash ließen die zarte Regung zwischen ihren Schenkeln jedoch sofort absterben. Die Bilder versetzten sie mit einem Schlag zurück in Lashs Schlafzimmer, mit Lash über ihr, der mit seinen brutalen Händen ihre Beine spreizte …

»Oh, verdammt …« Sie sprang vom Bett auf, rannte zur Toilette und schaffte es gerade noch so.

Ihr kam alles hoch. Die zwei Plunderstücke, der Kaffee und das Truthahnsandwich.

Ihr Magen entledigte sich von allem, was sie gegessen hatte.

Als sie sich erbrach, bemerkte sie nichts davon. Sie spürte nur Lashs eklige Berührungen auf ihrer Haut … seinen Körper auf ihr, in ihr, seine rammelnden Stöße …

Und da kam auch schon der Orangensaft.

Oh Gott … Wie hatte sie das mit diesem Bastard nur ertragen können, immer und immer wieder? Die Schläge, den Kampf, die Beißerei … und den brutalen Sex. Wieder und wieder … und dann die Nachwirkungen. Ihn von sich abzuwaschen. Aus sich herauszuwaschen.

Scheiße …

Die nächste Würgeattacke unterbrach ihre Gedanken, doch obwohl sie es hasste, sich zu übergeben, war es doch eine Erleichterung für ihren Kopf. Es war beinahe so, als ob ihr Körper versuchte, das Trauma physisch loszuwerden, es herauszuwürgen, damit sie neu anfangen konnte.

Als das Schlimmste vorbei war, sank sie zurück auf ihre Fersen und stützte ihre klamme Stirn auf einem Arm ab. Während der Atem in ihrer Kehle rasselte, meldete sich der Brechreiz wieder.

Nichts mehr drin, richtete sie ihm aus. Nichts außer den Lungen, die sie noch ausspucken könnte.

Verdammt, wie sie das hasste! Nachdem man durch die Hölle gegangen war, waren die eigenen Gedanken und die Umgebung ein einziges Minenfeld und man wusste nie, was eine Explosion auslöste. Mit der Zeit verblassten zwar alle Erinnerungen, doch bis zu einem »normalen Leben« war es noch ein sehr langer, steiniger Weg.

Sie hob den Kopf und betätigte die Spülung.

Als ein feuchter Waschlappen an ihrer Hand entlangfuhr, zuckte sie zusammen, doch es war nur John. Nichts, vor dem sie sich fürchten musste.

Und er hatte das Einzige, was sie im Moment wirklich haben wollte. Dieser kühle, feuchte Waschlappen war ein Geschenk des Himmels.

Sie drückte ihr Gesicht hinein und erschauderte vor Erleichterung. »Es tut mir leid wegen des Essens. Auf dem Weg nach unten war es wirklich gut.«



Es war Zeit für Doc Jane.

Als Xhex nackt auf dem Boden vor der Toilette kauerte, beobachtete John sie mit einem Auge. Mit dem anderen sah er auf sein Telefon, mit dem er gerade eine SMS schrieb.

Als er die Nachricht abgeschickt hatte, warf er das Handy auf den Waschtisch und zog ein frisches Handtuch aus dem Stapel neben dem Waschbecken.

Er wollte Xhex etwas Würde verschaffen, und ertrug es einfach nicht, ihre Wirbelsäule zu sehen, die sich an ihrem abgemagerten Körper überdeutlich abzeichnete. Als er ihren Rücken verhüllte, ließ er seine Hände auf ihren Schultern liegen.

Er wollte sie an seine Brust drücken, wusste aber nicht, ob sie ihm so nahe sein wollte …

Xhex lehnte sich an ihn und richtete das Handtuch, indem sie es vor ihrer Brust zusammensteckte. »Lass mich raten. Du hast die gute Frau Doktor gerufen.«

Er stützte sich mit den Händen auf den Boden und stellte die Knie seitlich von ihr auf, so dass sie ganz von ihm umgeben war. Nicht schlecht, dachte er. So hatte sie die Kloschüssel nicht mehr direkt vor der Nase, konnte aber, wenn sie sich aufsetzte, bei Bedarf leicht dorthin gelangen.

»Mir ist nicht schlecht wegen der Operation oder so. Ich habe nur zu schnell gegessen.«

Vielleicht war das so. Andererseits würde es aber auch nicht schaden, wenn Doc Jane nochmal ein Auge auf sie warf. Außerdem brauchte er ihr Einverständnis für ihren Ausflug heute Nacht, wenn das jetzt noch möglich war.

»Xhex, John?«

John pfiff, als er Doc Janes Stimme hörte, und einen Augenblick später steckte Vishous’ Frau den Kopf durch die Tür.

»Eine Party, und ihr habt mich nicht eingeladen?«, meinte sie, als sie eintrat.

»Nun, genau genommen warst du eingeladen«, murmelte Xhex. »Mir geht es gut.«

Jane kniete sich nieder, und obwohl sie freundlich lächelte, musterte sie Xhex’ Gesicht genau. »Was ist hier los?«

»Mir ist schlecht geworden, nachdem ich zu viel gegessen habe.«

»Stört es dich, wenn ich deine Temperatur messe?«

»Mir wäre es lieber, wenn ich jetzt möglichst nichts in den Mund geschoben bekäme.«

Jane nahm ein weißes Gerät aus ihrer Tasche. »Ich kann auch im Ohr messen.«

John erschrak, als Xhex seine Hand ganz fest drückte, weil sie seine Unterstützung brauchte. Er erwiderte den Händedruck, um ihr zu zeigen, dass er für sie da war. In diesem Moment löste sich die Verkrampfung in ihren Schultern und sie entspannte sich wieder.

»Nur zu, Doc.«

Xhex neigte den Kopf und legte ihn zu Johns Erstaunen auf seine Schulter. Er konnte nicht anders, als seine Wange auf ihre weichen Locken zu legen und tief einzuatmen.

Von seinem Standpunkt aus arbeitete die Ärztin viel zu schnell.

Kaum war das Thermometer im Ohr, piepte es, und sie zog es auch schon wieder heraus – was bedeutete, dass Xhex ihren Kopf wieder von seiner Schulter nahm.

»Kein Fieber. Darf ich mir die Narbe ansehen?«

Xhex zog das Handtuch zur Seite und gab den Blick darauf frei.

»Sieht gut aus. Was hast du gegessen?«

»Zu viel.«

»Na gut. Irgendwelche Schmerzen, von denen ich wissen sollte?«

Xhex schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich besser. Wirklich! Was ich brauche, sind Klamotten und Schuhe … und vielleicht doch noch etwas im Magen.«

»Ich habe OP-Kleidung, die du anziehen kannst, und oben im Haus bekommst du noch einmal etwas zu essen.«

»Gut! Danke.« Xhex rappelte sich auf, und John half ihr dabei. Er hielt auch ihr Handtuch fest, als es ins Rutschen geriet. »Weil wir einen Ausflug machen.«

»Nicht um zu kämpfen, oder?«

John nickte der Ärztin zu und gestikulierte: Wir gehen uns nur die Füße vertreten, das schwöre ich.

Doc Jane kniff die Augen zusammen. »Ich kann euch nur einen medizinischen Rat geben, und der ist, dass du« – sie blickte zu Xhex – »etwas essen und den Rest der Nacht hier verbringen solltest. Doch ihr seid erwachsen und könnt eure eigenen Entscheidungen treffen. Aber ihr solltet wissen, dass ihr mit Wrath ernste Schwierigkeiten bekommen werdet, wenn ihr ohne Qhuinn geht.«

Das geht klar, gestikulierte John. Er war über den Babysitter nicht gerade erfreut, doch er würde mit Xhex an seiner Seite nichts riskieren.

Er machte sich keine Illusionen über die Vampirin, die er liebte. Es könnte ihr jederzeit einfallen, einfach abzuhauen, und dann wäre er über die Verstärkung froh.

3

Lash kam in derselben Position wieder zu sich, in der er das Bewusstsein verloren hatte. Er saß auf dem Boden im Badezimmer der Ranch, mit den Armen auf den Knien und vornübergebeugtem Kopf.

Als er die Augen öffnete, sah er seinen Ständer.

Er hatte von Xhex geträumt, in ganz klaren Bildern und mit sehr lebhaften Gefühlen. So gesehen war es ein Wunder, dass er nicht im Traum zum Höhepunkt gekommen war und seine Hose mit Sperma befleckt hatte. Sie waren wieder gemeinsam in diesem Raum gewesen, kämpfend, beißend, und dann hatte er sie genommen, indem er sie auf das Bett zwang und sie nötigte, ihn gewähren zu lassen, obwohl sie es hasste.

Er war ja so verliebt in sie!

Ein gurgelndes Geräusch brachte ihn dazu, seinen Kopf zu heben. Barbie kam gerade wieder zu sich. Ihre Finger zuckten, und ihre Augenlider flatterten wie kaputte Fensterläden.

Als sein Blick auf ihr verfilztes Haar und ihr blutbeflecktes Oberteil fiel, spürte er stechende Schmerzen in seinen Schläfen: ein Kater, und das zu einem absolut beschissenen Zeitpunkt. Die Nutte widerte ihn an, wie sie da in ihrem eigenen Dreck herumlag.

Es war offensichtlich, dass ihr schlecht geworden war, und Gott sei Dank hatte er das Ergebnis davon verschlafen.

Als er sich das Haar aus den Augen schob, spürte er, wie sich seine Fänge verlängerten, und er wusste, dass er sie nun benutzen musste. Aber verdammt … sie war in etwa so appetitlich wie ein Stück Gammelfleisch.

Mehr Wasser. Das war es, was dieser Alptraum brauchte. Mehr Wasser und …

Als er sich zur Dusche vorbeugte, um den Hahn aufzudrehen, wanderte ihr Blick zu ihm.

Aus ihrem blutigen Mund löste sich ein Schrei, der von den Fliesen widerhallte, bis Lashs Ohren wie Glocken klingelten.

Diese verdammten Fänge ängstigten sie offenbar zu Tode. Als sein Haar erneut in seine Augen fiel, schob er es zurück und überlegte sich, ihr den Hals aufzureißen, nur damit es endlich still wurde. Aber er wollte auf keinen Fall in sie hineinbeißen, bevor sie nicht gewaschen war.

Aber sie blickte nicht auf seinen Mund. Ihre durchgedrehten Augen fixierten seine Stirn.

Als sein Haar ihn wieder störte, strich er es zurück – und etwas blieb an seiner Hand hängen.

In Zeitlupe schaute er hinunter.

Nein, nicht sein blondes Haar.

Seine Haut!

Lash drehte sich zum Spiegel um und hörte sich selbst schreien. Das Bild, das sich ihm im Spiegel bot, war nicht zu begreifen. Das abgefallene Stück Fleisch gab den Blick frei auf eine schwarze hervorquellende Schicht, die über seinem weißen Schädel lag. Mit einem Fingernagel überprüfte er die Kanten der Öffnung auf ihren Halt und bemerkte, dass alles lose war. Jeder Millimeter seines Gesichts war nur ein Stückchen Gewebe, das über seinen Knochen lag.

»Nein!«, schrie er und versuchte, die rutschige Schicht wieder fest anzudrücken.

Seine Hände … Oh Gott, nicht auch noch seine Hände! Hautfetzen hingen von seinen Handrücken, und als er die Ärmel seines Hemdes hochriss, wünschte er sich, dass er etwas vorsichtiger gewesen wäre, weil die Haut an der edlen Seide des Ärmels haften blieb.

Was zum Henker geschah mit ihm?

Im Spiegel konnte er erkennen, dass die Nutte wie ein geölter Blitz um ihr Leben rannte. Dabei sah sie aus wie Sissy Spacek als Carrie, nur ohne das Abendkleid.

Mit einigem Energieaufwand rannte er ihr nach, doch er bewegte sich nicht mit der gewohnten Kraft und Anmut. Als er hinter seiner Beute herschoss, konnte er die Reibung der Kleider an seinem Körper spüren und sich nur vorstellen, wie jeder Quadratzentimeter seiner Haut aufriss.

Er erwischte die Nutte, gerade als sie an der Hintertür ankam und den Kampf mit den Schlössern aufnehmen wollte. Er prallte von hinten gegen sie, fasste ihr Haar, riss ihren Kopf zurück, biss fest zu und sog ihr schwarzes Blut in sich hinein.

Er trank, bis selbst heftigstes Saugen kein Blut mehr in seinen Mund strömen ließ. Und als er fertig war, ließ er sie einfach los, so dass sie auf dem Teppich zusammensackte.

Dann torkelte er wie ein Betrunkener zurück ins Badezimmer, wo er die seitlich am Spiegel angebrachten Lampen einschaltete.

Mit jedem Kleidungsstück, das er entfernte, zeigte sich mehr des Grauens, das in seinem Gesicht begonnen hatte. Seine Knochen und Muskeln glänzten im Licht der Glühbirnen mit einem ölig schwarzen Schimmer.

Er war ein Stück Aas. Ein aufrecht gehendes, atmendes Stück Aas, dessen Augen in ihren Höhlen ohne Lider herumrollten und dessen Mund aus nichts anderem als Fängen und Zähnen bestand.

Das letzte Stück Haut war sein Skalp, der seine schönen blonden Haare am Kopf festhielt. Doch sogar der begann nach hinten wegzurutschen, wie eine Perücke, deren Kleber nicht mehr hielt.

Er nahm das letzte Stück Haut von seinem Kopf. Mit seinen knochigen Händen strich er über das, was einmal sein ganzer Stolz gewesen war. Natürlich, verdammte Scheiße nochmal, kam so die schwarze Flüssigkeit auf die Locken, befleckte sie, verklebte sie … nun waren sie nicht mehr besser als das, was die Nutte an der Tür auf dem Kopf trug.

Er ließ seinen Skalp zu Boden fallen und betrachtete sich selbst.

Durch seinen Brustkorb hindurch sah er seine Eingeweide. Dabei fragte er sich mit stillem Entsetzen, was sonst noch von ihm herunterfaulen würde … und was wohl von ihm übrig bliebe, wenn diese Verwandlung abgeschlossen war.

»Oh Gott!«, sagte er mit einer Stimme, die irgendwie seltsam klang. Ein unnatürliches Echo hallte aus seinen Worten wider, das ihm sehr vertraut vorkam.

Blay stand vor seinem geöffneten Kleiderschrank und betrachtete seine Klamotten. Absurderweise wollte er seine Mutter anrufen und sie um Rat fragen. Das hatte er immer getan, wenn es darum ging, sich passend anzuziehen.

Aber das war ein Gespräch, mit dem er noch ein bisschen warten wollte. Sie würde annehmen, dass er sich mit einer Vampirin traf und deshalb komplett aufgeregt sein. Und er wäre wieder gezwungen, sie anzulügen … oder endlich Flagge zu zeigen.

Seine Eltern hatten keinerlei Vorurteile … Doch er war ihr einziges Kind, und keine Frau zu haben, bedeutete in ihrem Fall nicht nur, keine Enkelkinder zu bekommen, sondern auch, das Ansehen innerhalb der Aristokratie zu verlieren.

Es überraschte ihn nicht, dass die Glymera nichts gegen Homosexualität hatte, solange man mit einer Vampirin verbunden war und niemals etwas tat, was darauf hindeutete, mit welcher Veranlagung man geboren wurde. Der schöne Schein. Es ging nur um den schönen Schein. Und wenn man sich dazu bekannte? Dann wurde man ausgeschlossen.

Und zwar die gesamte Familie.

Irgendwie konnte er es nicht fassen, dass er dabei war, sich mit einem anderen Mann zu treffen. In einem Restaurant. Und dann würde er mit dem Kerl in einen Nachtclub gehen.

Seine Verabredung würde blendend aussehen. Wie immer.

Blay nahm einen grauen Zegna-Anzug mit blassrosa Nadelstreifen aus dem Schrank. Dann entschied er sich für ein edles Burberry-Hemd in Rosé mit strahlend weißem französischem Kragen und weißen Doppelmanschetten. Schuhe … jetzt fehlten nur noch die passenden Schuhe …

Jemand hämmerte gegen die Tür. »He, Blay.«

Verdammt! Er hatte den Anzug bereits aufs Bett gelegt und war frisch geduscht, trug einen Bademantel und hatte Gel in den Haaren.

Gel, ein verdammt verräterisches Zeichen!

Er ging zur Tür und öffnete das verdammte Ding nur einen kleinen Spaltbreit. Draußen im Flur stand Qhuinn, zum Kampf bereit. Er hielt einen Dolchhalfter in der Hand, trug seine Lederhosen und hatte die Schnallen seiner New Rocks festgezurrt.

Komisch, sein Kriegergehabe machte keinen besonderen Eindruck auf Blay.

Er konnte sich noch zu gut daran erinnern, wie der Typ gestern Abend ausgesehen hatte, als er ausgestreckt auf dem Bett lag und auf Laylas Mund starrte.

Eine üble Angelegenheit, dieses Nähren in seinem eigenen Zimmer, dachte sich Blay. Weil er sich jetzt fragte, wie weit die Sache mit den beiden auf dieser Matratze noch gegangen war.

Er kannte Qhuinn gut genug, um zu wissen, dass es wohl zum Äußersten gekommen war. Danke vielmals!

»John hat mir eine SMS geschickt«, meinte er. »Er und Xhex machen einen Spaziergang durch Caldwell, und der Scheißkerl hat mich sogar einmal vorab …«

Qhuinns verschiedenfarbige Augen sahen ihn von oben bis unten an, dann lehnte er sich zur Seite und blickte über Blays Schulter. »Was machst du gerade?«

Blay zog seinen Bademantel fester um sich. »Nichts!« »Dein Parfüm ist anders – und was hast du mit deinem Haar gemacht?«

»Nichts! Was hast du da eben über John gesagt?«

Es folgte eine kurze Pause. »Na klar … okay. Also, er geht raus, und wir kommen mit. Wir müssen uns aber im Hintergrund halten. Sie werden etwas Privatsphäre haben wollen. Aber wir können …«

»Ich gehe heute Abend aus.«

Die gepiercte Augenbraue sank nach unten. »Und?«

»Nichts und … Ich gehe aus.«

»Das war dir vorher noch nie wichtig.«

»Jetzt ist es das aber.«

Qhuinn lehnte sich wieder zur Seite und blickte an Blays Kopf vorbei. »Du ziehst diesen Anzug nur für die Jungs hier an?«

»Nein.«

Es folgte eine lange Stille und dann nur ein einziges Wort: »Wer?«

Blay öffnete die Tür und ging ein paar Schritte zurück in sein Zimmer. Wenn sie schon aneinandergerieten, dann machte es keinen Sinn, das auf dem Flur zu tun, wo es alle anderen sehen und hören konnten.

»Ist das wirklich so interessant?«, meinte er mit einem Anflug von Zorn.

Die Tür schloss sich. Mit einem Knall. »Ja, ist es!«

Um Qhuinn die kalte Schulter zu zeigen, öffnete Blay den Gürtel seines Bademantels und ließ ihn von seinem nackten Körper gleiten. Dann schlüpfte er in seine Hose … ohne Unterwäsche.

»Nur mit einer Bekanntschaft.«

»Männlich oder weiblich?«

»Wie ich schon sagte, spielt das eine Rolle?«

Noch eine lange Pause, während der Blay das Hemd überstreifte und zuknöpfte.

»Mein Cousin«, grollte Qhuinn. »Du gehst mit Saxton aus.«

»Vielleicht.« Er ging hinüber zur Kommode und öffnete die Schmuckschatulle. In ihr glänzten Manschettenknöpfe verschiedenster Art. Er wählte welche mit Rubinen.

»Willst du mir so die Sache gestern Nacht mit Layla heimzahlen?«

Blay erstarrte mit der Hand an der Manschette. »Gütiger Himmel!«

»Es stimmt also. Das ist es also …«

Blay drehte sich um. »Hast du jemals daran gedacht, dass das nichts mit dir zu tun haben könnte? Dass mich ein Kerl ausführen möchte und ich mit ihm gehen will? Dass so etwas normal ist? Oder bist du so auf dich fixiert, dass du alles und jeden nur durch den Filter deines Egos wahrnimmst?«

Qhuinn schreckte leicht zurück. »Saxton ist eine Schlampe.«

»Ich bin mir sicher, du weißt, was eine ausmacht.«

»Er ist eine Schlampe, zwar eine sehr noble, sehr elegante, aber doch eine Schlampe.«

»Vielleicht möchte ich nur ein bisschen Sex.« Blay zog eine Braue hoch. »Ich hatte schon länger keinen. Und diese Frauen, denen ich es in den Bars besorgt habe, um mit dir mitzuhalten, waren nicht gerade die große Erfüllung, um ehrlich zu sein. Es wird langsam Zeit, wieder einmal guten Sex zu haben.«

Der Bastard besaß die Frechheit, blass zu werden. Das tat er wirklich. Und dann taumelte er doch tatsächlich rückwärts und lehnte sich an die Tür.

»Wohin geht ihr?«, fragte er in rauem Ton.

»Er nimmt mich mit ins Sal’s. Und dann gehen wir in diese Zigarrenbar.« Blay schloss seine andere Manschette und ging zum Kleiderschrank, um seine Seidensocken zu holen. »Danach … wer weiß?«

Ein Schwall des Duftes nach dunklen Gewürzen zog durch das Schlafzimmer und brachte ihn zum Schweigen. Dass ein Gespräch zwischen ihnen Qhuinns Bindungsduft auslösen würde, hätte er nicht einmal in seinen kühnsten Träumen erwartet …

Blay drehte sich wieder um.

Nach einem langen Moment voller Spannung ging er zu seinem besten Freund hinüber, angezogen durch dessen Duft. Und als er näher kam, verfolgte Qhuinns heißer Blick jeden seiner Schritte. Die Verbindung zwischen ihnen, die auf beiden Seiten verlorengegangen war, war plötzlich wieder da.

Als sich ihre Nasenspitzen trafen, blieb Blay stehen und seine sich hebende Brust berührte die von Qhuinn. »Sag das Zauberwort«, sagte er barsch. »Sag das eine Wort, und ich werde nicht gehen.«

Qhuinn umfasste mit seinen starken Händen Blays Kehle und drückte so stark zu, dass dieser den Kopf in den Nacken legen und seinen Mund öffnen musste, um atmen zu können. Seine starken Daumen bohrten sich in Blays Kiefergelenke.

Welch aufwühlender Moment.

Elektrisierend. Und voller Potenzial.

Sie würden miteinander im Bett landen, dachte Blay, als er seine Hände um Qhuinns starke Handgelenke legte.

»Sag das Wort, Qhuinn. Mach es, und ich werde die Nacht mit dir verbringen. Wir werden mit Xhex und John rausgehen und wenn sie fertig sind, werden wir hierher zurückkehren. Sag es!«

Die blau-grünen Augen, in die Blay schon sein ganzes Leben geblickt hatte, starrten auf seine Lippen, und Qhuinns Brust hob und senkte sich, als ob er schnell laufen würde.

»Besser jetzt gleich«, meinte Blay. »Warum küsst du mich nicht einfach …«

Blay wurde herumgeschleudert und an die Kommode gedrückt, so dass sie laut knallend gegen die Wand schlug. Als Blays Flakons mit Eau de Cologne klirrend gegeneinanderschlugen und eine Bürste zu Boden fiel, drückte Qhuinn seine Lippen fest auf Blays Mund und seine Finger krallten sich in dessen Kehle.

Das störte Blay nicht. Härte und Leidenschaft, das war alles, was er von dem Kerl wollte. Und Qhuinn war ganz klar mit von der Partie. Seine Zunge schoss heraus und ergriff von Blays Mund Besitz.

Mit zittrigen Händen riss sich Blay das Hemd aus der Hose und fasste nach seinem Reißverschluss. Wie lange hatte er auf diesen Moment gewartet!

Aber es war vorbei, bevor es überhaupt richtig begonnen hatte.

Qhuinn drehte sich weg, als Blays Hose zu Boden fiel, und zog in Richtung Tür ab. Mit der Hand am Türknauf rammte er seine Stirn zweimal gegen die Tür.

Und dann meinte er mit lebloser Stimme: »Geh, ich wünsche dir viel Vergnügen. Sei nur vorsichtig, bitte, und verlieb dich nicht in ihn. Er wird dir sonst das Herz brechen. «

Von einer Sekunde zur nächsten verließ Qhuinn den Raum und schloss lautlos die Tür.

Unter den Nachwirkungen von Qhuinns Abgang blieb Blay wie versteinert dort stehen, wo er zurückgelassen worden war, mit der Hose um die Knöchel. Seine schwindende Erektion war ihm zutiefst peinlich, obwohl er alleine war. Als die Welt vor seinen Augen zu verschwimmen begann und sich seine Brust verkrampfte, blinzelte er schnell und versuchte, die Tränen zurückzuhalten. Wie ein alter Mann bückte er sich und zog die Hose über seine Hüften. Dann fummelten seine Finger am Reißverschluss und den Knöpfen seiner Hose herum. Ohne das Hemd in den Bund zu stecken, ging er hinüber zum Bett und setzte sich.

Als das Handy auf dem Nachttisch klingelte, drehte er sich um und blickte auf die Anzeige. Irgendwie erwartete er, dass es Qhuinn war. Doch der war der Letzte, mit dem er jetzt reden wollte. Wer auch immer es war, Blay ließ ihn auf seine Voicemail sprechen.

Aus irgendeinem Grund musste er an die Stunde denken, die er im Bad verbracht hatte: an den Aufstand, den er wegen seiner Rasur gemacht, wie er sich die Nägel manikürt und sein Haar mit diesem verdammten Gel hergerichtet hatte. Und an die Zeit, die er vor seinem Kleiderschrank verbracht hatte. Nun schien alles umsonst gewesen zu sein.

Er fühlte sich beschmutzt, furchtbar beschmutzt.

Und er würde heute Abend weder mit Saxton noch mit sonst jemandem weggehen. Nicht in der Stimmung, in der er sich gerade befand. Es gab keinen Grund, einen Unschuldigen seinen Launen auszusetzen.

Gott …

Verdammt.

Als er glaubte, wieder sprechen zu können, streckte er die Hand zum Nachttisch aus und nahm das Telefon zur Hand. Als er es aufklappte, sah er, dass es Saxton gewesen war, der angerufen hatte.

Vielleicht um abzusagen? Was für eine Erleichterung das wohl wäre. In einer Nacht zweimal abgewiesen zu werden, das waren keine guten Neuigkeiten. Doch es würde ihn wenigstens davor bewahren, selbst absagen zu müssen.

Während er seine Voicemail abfragte, stützte er den Kopf in eine Hand und betrachtete seine nackten Füße.

»Guten Abend, Blaylock. Ich kann mir vorstellen, dass du in diesem Moment gerade vor deinem Kleiderschrank stehst und dich fragst, was du anziehen sollst.« Saxtons weiche, tiefe Stimme war wie Balsam auf seinen Wunden. So tief und beruhigend. »Ich selbst stehe nämlich gerade mit derselben Frage vor meinen Klamotten … Ich schätze, dass ich einen Anzug und eine Weste mit Pepitamuster tragen werde. Ich glaube, dass deinerseits Nadelstreifen eine gute Wahl wären.« Es folgte eine Pause, die durch einen Lacher beendet wurde. »Nicht, dass ich dir vorschreiben möchte, was du tragen sollst … Aber ruf mich an, wenn du im Zweifel bist. Über deine Garderobe natürlich.« Noch eine Pause, und dann sagte Saxton in ernstem Tonfall: »Ich freue mich darauf, dich zu sehen. Ciao.«

Blay nahm das Ohr vom Telefon und ließ seinen Daumen über der Löschtaste schweben. Aus einer Laune heraus speicherte er die Nachricht.

Nach ein paar gleichmäßigen langen Atemzügen zwang er sich, aufzustehen. Obwohl seine Hände zitterten, stopfte er sein gutes Hemd in die Hose und ging zurück zu seiner nun unaufgeräumten Kommode.

Er stellte seine Flakons wieder ordentlich hin und hob die Bürste vom Boden auf. Dann öffnete er die Lade mit den Socken … und nahm heraus, was er brauchte.

Um sich fertig anzuziehen.

4

Darius und sein junger Schützling wollten sich wieder treffen, sobald die Sonne vollständig untergegangen war. Aber bevor Darius sich zum Anwesen der Menschen begab, das sie durch die Bäume beobachtet hatten, materialisierte er sich im Wäldchen vor der Höhle der Bruderschaft.

Da die Brüder in alle Richtungen verstreut waren, gab es immer wieder Verzögerungen in der Kommunikation. Daher hatten sie in der Höhle ein System für Botschaften eingerichtet: Alle Brüder kamen nachts kurz vorbei, um nach hinterlassenen Nachrichten zu sehen oder selbst welche für andere zu hinterlegen.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand ihn beobachtete, betrat er die Höhle. Dort schlüpfte er durch die geheime Tür in der Felswand und passierte dann die Reihe der Tore, die zum Allerheiligsten führten. Das »Kommunikationssystem« war nichts anderes als eine Nische in der Felswand, in der schriftliche Botschaften hinterlegt werden konnten. Und da die Nische leicht zugänglich war, befand sie sich recht tief im Inneren des Ganges.

Darius kam jedoch gar nicht weit genug, um festzustellen, ob seine Brüder eine Nachricht für ihn hinterlassen hatten oder nicht.

Als er das letzte Tor erreichte, entdeckte er auf dem Felsboden etwas, das wie ein Haufen Kleidung auf einem groben Stoffsack aussah.

Er zog seinen Dolch und beobachtete, wie sich ein Kopf mit dunklem Haarschopf aus dem Kleiderhaufen emporreckte.

»Tohr?« Darius ließ die Waffe sinken.

»Ja.« Der Junge drehte sich auf seinem Lager aus Lumpen zu ihm um. »Guten Abend, Herr.«

»Was machst du hier?«

»Ich habe geschlafen.«

»Offensichtlich.« Darius ging zu ihm und kniete neben dem Jungen nieder. »Aber warum bist du denn nicht nach Hause zurückgekehrt? «

Der Junge war zwar von seinem Vater verstoßen worden, konnte aber bestimmt bei seiner Mahmen Unterschlupf finden, nachdem Hharm sich nur selten dort aufhielt.

Tohr stand auf und lehnte sich haltsuchend an die Wand. »Wie viel Uhr ist es denn? Bin ich zu spät …«

Darius ergriff Tohrs Arm. »Hast du etwas gegessen?«

»Bin ich spät dran?«

Darius brauchte keine weiteren Fragen zu stellen. Die Art und Weise, wie der Junge den Blick gesenkt hielt, war Antwort genug: Man hatte ihn offensichtlich aus seines Vaters Haus gewiesen.

»Tohrment, wie viele Nächte hast du hier schon verbracht?« Auf diesem kalten Boden.

»Ich kann mir einen anderen Schlafplatz suchen. Ich werde nicht mehr hier schlafen.«

Gelobt sei die Jungfrau der Schrift! Das würde er in der Tat nicht. »Bitte warte hier.«

Darius schlüpfte durch das Tor und sah nach, ob er eine Botschaft erhalten hatte. Als er Nachrichten für Murhder und Ahgony fand, überlegte er, ob er Hharm eine Mitteilung hinterlassen sollte, in der Art von: Wie konntest du nur dein eigen Fleisch und Blut vor die Tür setzen, so dass der Junge gezwungen war, auf dem Felsboden zu schlafen und sich mit seiner Kleidung zuzudecken?

Du verdammtes Arschloch!

Darius kehrte zu Tohrment zurück. Dieser hatte inzwischen seine Siebensachen gepackt und sich seine Waffen umgehängt.

Darius verkniff sich einen Fluch. »Wir begeben uns zunächst zum Anwesen der entführten Vampirin. Ich muss noch etwas mit … diesem Hausdiener besprechen. Komm, mein Junge.«

Tohrment folgte ihm, und wirkte dabei munterer, als die meisten anderen nach mehreren Tagen ohne Nahrung oder ordentlichen Schlaf gewesen wären.

Sie materialisierten sich vor Sampsones Anwesen, und Darius wies mit dem Kopf nach rechts, was bedeutete, dass sie sich zur Rückseite des Hauses begeben sollten. Dort gingen sie zum Hintereingang, durch den sie das Haus am Abend zuvor verlassen hatten. Darius läutete.

Der Butler öffnete die Tür mit einer tiefen Verbeugung. »Meine Herren, wie können wir Euch zu Diensten sein?«

Darius betrat das Haus. »Ich würde gerne noch einmal mit dem Hausdiener sprechen, der für den ersten Stock zuständig ist.«

»Aber natürlich.« Es folgte eine weitere Verbeugung. »Wenn Ihr so gütig wäret, mir zum vorderen Salon zu folgen.«

»Wir werden hier warten.« Darius setzte sich an den abgewetzten Tisch der Bediensteten.

Der Doggen erblasste. »Mein Herr … aber das ist …«

»Ich möchte hier mit dem Hausdiener Fritzgelder sprechen. Ich sehe keinen Vorteil darin, den Hausherrn und die Hausherrin damit zu belasten, dass wir unangemeldet in ihrem Haus erschienen sind. Wir sind keine Gäste, sondern hergekommen, um ihnen in ihrem Leid beizustehen.«

Der Butler verbeugte sich so tief, dass es einen verwunderte, dass seine Stirn nicht den Boden berührte. »In der Tat, Ihr habt Recht. Ich werden Fritzgelder sofort zu Euch bringen. Wie können wir Euch sonst noch zu Diensten sein?«

»Gegen eine Kleinigkeit zu essen und etwas Ale hätten wir nichts einzuwenden.«

»Aber natürlich, mein Herr!« Der Doggen verließ mit mehreren Verbeugungen den Raum. »Eigentlich hätte ich Euch von selbst Speis und Trank anbieten sollen, vergebt mir.«

Als sie alleine waren, meinte Tohrment: »Ihr müsst das nicht tun.«

»Was denn?«, fragte Darius gedehnt und strich mit den Fingerspitzen über die zerkratzte Tischplatte.

»Essen für mich besorgen.«

Darius warf einen Blick über die Schulter. »Mein lieber Junge, ich habe diese Bitte geäußert, um den Butler zu beruhigen. Unsere Anwesenheit in diesem Raum und die erneute Befragung der Bediensteten macht ihm schwer zu schaffen. Die Bitte um ein Mahl sollte ihn in Sicherheit wiegen. Also setz dich hin und greif zu, wenn das Essen gebracht wird. Ich habe bereits gespeist.«

Tohrment zog geräuschvoll einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich.

In diesem Moment betrat der Hausdiener das Zimmer.

Das war etwas peinlich, denn Darius hatte eigentlich keine Fragen, die er ihm stellen konnte. Wo blieb denn nur das Essen …

»Meine Herren«, sagte der Butler würdevoll, als er die Tür mit einer überschwänglichen Geste öffnete.

Mehrere Bedienstete mit den verschiedensten Platten, Schüsseln und Krügen kamen im Gänsemarsch herein, und als das Mahl serviert war, forderte Darius den Jungen durch das Heben einer Augenbraue und einen entsprechenden Blick auf, ordentlich zuzugreifen.

Tohrment, der wie immer die Höflichkeit in Person war, folgte dieser Aufforderung ohne weitere Verzögerung.

Darius nickte dem Butler zu. »Dieses Mahl ist für ein solches Haus mehr als würdig. Fürwahr, darauf kann dein Herr stolz sein.«