Mein Dank geht an Peter Windsheimer für das Design des Titelbildes.

Des Weiteren an Ariane und Michael Sauter.

Für Schäden, die durch falsches Herangehen an die Übungen an Körper,

Seele und Geist entstehen könnten, übernehmen Verlag und Autor keine Haftung.

Copyright © 2012 by Christof Uiberreiter Verlag

Waltrop • Germany

Herstellung und Verlag:

BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-3-7392-7992-3

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Inhaltsangabe:

  1. Zur 5. Tarotkarte von Arion
  2. Auszüge aus den 864.000 Gesetzen
  3. Ekstase – Teil III – Noviziat
  4. Khan – Hermetische Aufsätze
  5. Warum immer wieder dieser „Gott“?
  6. Mit nötigem Ernst!
  7. De Gigantibus – Von den Riesen
  8. Der Kommunismus im Lichte der spiritualistischen Weltanschauung
  9. Der Vedanta
  10. War Christus ein Yogi?
  11. Nirwana
  12. Lucifer
  13. Über die Führung im Geistigen
  14. Das Wasser des Lebens

1. Zusatz zur 5. Tarotkarte des Meister Arion

Anion

„Diese Ordnung besteht letztlich Astral als männlich und weiblich. Das jeweilige Symbol ist die astrale Sonne oder der astrale Mond. Es sind also die jeweiligen Sphären gemeint. Man findet auch männliches Salz im Salpeter, das Weibliche im Meersalz! Beides gemischt ergibt ein Symbol, welches wohl jedem bekannt ist: Kreis mit einem Kreuz in der Mitte oder das Symbol der Erde! Der Mond hat nun einen gewissen Bezug zum Astralen, da aus ihm die Zeit hervorgeht; das Wort Gezeiten hat jeder gehört.

Jedenfalls sind dem menschlichen Geist durch den Mond Grenzen gesetzt. Wer die Mondsphäre mental besucht, wird meine Worte bestätigt sehen. Bei allen alchemistischen Arbeiten werden die passiven Dingen nachts getan, aktiven natürlich am Tag. Das wird aber nur bei den Übungsabläufen so sein, später steht man darüber!

Am Tag wird die aktive Seite der Lebenskraft genutzt, also durch die Sonne, welche mehr den Mentalkörper stärkt, aber auch den Astralkörper indirekt beeinflusst! Letztlich wird durch jede Planetenausstrahlung und deren Sphäre Beeinflussungen unserer grobstofflichen Erde ihren Wiederschein finden und zwar im Mineral-, Pflanzen- und Tierreich.

Im mineralischen Bereich lässt der Mond das Silber entstehen. Durch Merkurs Einfluss entstand Messing, durch Venus Kupfer, durch die Sonne Gold, durch den Mars Eisen, durch Jupiter Zinn und letztlich durch Saturn das Blei.

Für die Alchemie sind das die Hauptmetalle, welche zusammengesetzt schon den unteren Magus Opus im niederen Sinne darstellen. Neptun, Uranus und Pluto lasse ich außer acht, weil nur ein makrokosmischer Alchemist mit diesen arbeiten kann. Auch die Pflanzenwelt wird durch einzelne Planeten bestimmt! Auch in der Tierwelt finden wir planetare Vertreter, die ich nur kurz andeute. Der Elefant deutet auf den Erdplaneten. Dem Mond ordnen wir die Nachttiere zu, wie z. B. Eule, Fledermaus oder auch Nachtfalter. Für die Sonne steht der Löwe. Für den Merkur die Schlangen. Jeder mag nun durch Meditation den Planeten zugeordnete Tiere richtig einordnen zu vermögen. Beim Mars ist es der Skorpion und viele andere mehr. Selbst das Menschenreich, dessen Körper ja animalisch ist, wird von den Planeten stark beeinflusst.

Sie dürfen mich bitte nicht missverstehen, denn ich meine nicht die Tierkreiszeichen, sondern ich sprechen direkt von sogenannten Venusmenschen, Sonnenmenschen, Saturnmenschen, u.s.w. Jedem Hermetiker ist bekannt, dass latent in jedem Menschen die Wiederspiegelung des Makrokosmos stattfindet, also alle Planeten vertreten sind, aber bei den obengenannten der jeweilige Planet eine besondere Rolle spielt. Meister Bardon spricht oft von Begabung und Entwicklungsstufe und deutete damit den planetaren Zusammenhang!

Die besten Voraussetzungen für die Magie hat der Saturnmensch und der Sonnenmensch. Saturn repräsentiert ja nicht nur Karma, sondern in der höheren Oktave Intuition und Äther, worunter das Akashaprizip der Erde gemeint ist. Der Sonnenmensch ist stets stark genug, den magischen Übungen auch im Misserfolg weiterzugehen. Außerdem repräsentiert die Sonne Lebenskraft und das helle Abbild der Gottheit selbst. Das 5. Blatt der Weisheit lässt nun also noch tiefer in die Gesetzmäßigkeiten der Vorsehung schauen. Damit sei aber nicht gesagt, dass die Menschen, welche einem anderen Planeten unterstehen stark benachteiligt wären, denn letztlich steht dem Erdenmenschen der Elefant vor, welcher das stärkste und größte Landtier ist. Mythologisch wird dem Elefanten die Weisheit gegeben.

Ein jeder finde nun erst einmal selbst heraus, welcher der Planeten ihn besonders beherrscht, dass wird ihm Erleichterung der praktischen Durchführung der Alchemie sein.

Eines der wichtigsten Dinge ist die Dualität beim Arbeiten. Das Tetragrammaton drückt ja insbesonders die Dualität aus und zwar einmal im aktiven elektrischen Fluid und einmal im aktiven magnetischen Fluid und selbst hat jedes Fluid 2 Pole, den aufbauenden und den abbauenden. Desgleichen haben auch alle 4 Elemente PLUS und MINUS in sich.

Der Alchemist wird feststellen das vom höchsten Punkt der Schöpfung bis zum niedrigsten die Dualität die wichtigste Rolle spielt. Verwiesen auf die höchste Dualität ist Gott erst in der Zahl zwei zu erkennen, denn die Eins steht für das Unerforschliche, für das Höchste, also die Vorsehung selbst. In sämtlichen Religionen spielt diese Dualität die höchste Rolle. Nun kann aber die Zahl zwei durchaus als weibliches Prinzip gelten und erst die Zahl drei bringt das mögliche männliche Prinzip zum Vorschein. Nehmen wir als Beispiel die christliche Religion. Die Trinität ist hier rein männlich und somit falsch interpretiert. Aber machen wir uns einige Gedanken über Maria! Warum wird sie Mutter Gottes genannt? Wie war es möglich, eine Leibesfrucht zu tragen, ohne stoffliche Befruchtung? Letztlich, warum ist Maria in den „Himmel“ gefahren? Siehe den kirchlichen Feiertag Maria Himmelfahrt. Dass die Kirche dieses weibliche Prinzip nicht anerkennt liegt daran, damit die Frauen dieser Welt von den sogenannten Männern niedrig gehalten werden und nur der Mystiker erkennt die Wahrheit der christlichen Religion. Ich nehme Abstand, andere Systeme zu beschreiben, weise aber darauf hin, dass nur in ganz wenigen Systemen das weibliche Prinzip die nötige Achtung findet.

So mussten alle christliche Alchemisten scheitern, weil sie ein kosmisches Gesetz außer acht ließen.“

Hier endet leider die handschriftliche Aufzeichnung!

2. Auszüge aus den 864.000 Gesetzen

Anion

Von den kosmischen Gesetzen existieren leider nur zwei handgeschriebene Seiten, die aber so interessant sind, dass wir sie gerne der hermetischen Leserschaft zum Studieren zur Verfügung stellen. Den tetragrammatonischen Gesetze zur Folge wurden diese im Vierer-Vers verfasst:

Wir leben nicht unseren Willen!

Sich der Gottheit schenken, ist die Bestimmung des Lebens!

Sich opfern dem Höchsten, der lebt wirklich!

Gottes Wille zu tun, bedeutet, eigenen Willen zu haben!

Wenn der Mensch sein Ich liebt, der hasst Gott!

Wer am Leben hängt, der stirbt!

So gibt man sich nicht auf, sondern man wird Groß!

Alle die denken, sie wären etwas Besonders, sind nichts!

Die, die wissen, dass sie Klein sind, sind wahre Giganten!

Der Mensch denkt, er folgt seinen Gesetzen und ist Gesetzlos!

Daher kommt Leid. Dem Höchsten Gesetz folgend, der leidet auch, aber ohne Schmerzen!

Das Niedrige kennt das Hohe nicht, das Hohe kennt aber das Niedere!

Das Niedere beschmutzt das Hohe, darum werden selbst Giganten schwach!

Aber in dem das so ist, schenken sie sich dem Niederen, und das macht sie noch Größer!

Wer sich an etwas festhält, der ist arm, und besitzt nichts!

Wer los lässt, dem gehört die ganze Welt und besitzt Alles!

Überleben bedeutet nicht, trotz der Umstände weiter zu leben!

Leben über dem Leben ist Über-Leben!

Über-Leben ist ein Zustand, der höher ist als Leben!

Das Über ist der Zustand, absolut zu sein!

Der Mensch nährt auf Erden einen neuen Menschen, wegen Karma stirbt dieser Mensch-Geist!

Leid lässt die Seele klingen, darum nährt dieser keinen neuen Geist und hat bestand!

Läutern kommt von Läuten, dieser Klang kommt von Oben!

Was von Oben kommt, hat bestand und stirbt auch im Tode nicht!

Nimmt der Hohe von dem Niederen, so wird er nieder!

Nimmt er nichts, so bleibt er groß und kann alles geben!

So hilft der Hohe sich niemals selbst!

In dem die Niederen geben, so beginnen sie zu wachsen, weil sie dem Hohen dienen!

Das Maß aller Dinge ist ein Maß!

Viele Maße ist Übermaß!

In der Mäßigung aller Übermaße führen wieder zum Maß!

Deswegen wird der Mensch zum Maß aller Dinge!

Allein-Heit ist die Allgegenwart!

Alleinheit macht einsam!

Einsamkeit schließt ein, wie in ein Gefängnis!

Fängt man sich selbst, so wird man frei in der All-Ein-Heit!

Die Allmacht findet nicht ihresgleichen!

Mächtige gibt es viele, darum sind sie ohnmächtig!

Der Ohnmächtige kann sich nicht schenken!

Darum muss der Ohnmächtige erwachen mit dem Wille, dann findet er Allmacht!

Gottes Worte erschaffen alles!

Menschens Worte zerstören alles!

Darum schweige der Mensch!

Dadurch dass der Mensch schweigt, schöpft ihn Gott!

3. Ekstase – Teil III – Noviziat

Aus der Erzählung des Tewekkul-Beg, Schülers des Molla-Schah, über sein mystisches Noviziat

Währen einer ganzen Nacht sammelte er (der Meister) seinen Geist auf mich, während ich meine Betrachtung auf mein eigenes Herz richtete; aber der Knoten meines Herzens löste sich nicht. So gingen drei Nächte hin, während deren er mich zum Gegenstande seiner geistigen Aufmerksamkeit machte, ohne dass irgendeine Wirkung sich fühlen ließ. In der vierten Nacht sagte Molla-Schah: „In dieser Nacht werden Molla-Senghin und Salih-Beg, die beide den ekstatischen Erregungen sehr zugänglich sind, ihren ganzen Geist auf diesen Neophyten richten.“

Sie gehorchten diesem Befehle, während ich die ganze Nacht, das Angesicht gegen Mekka gewendet, sitzen blieb und zugleich alle Fähigkeiten meiner Seele auf mein eigenes Herz hinsammelte. Um die Morgendämmerung zeigte sich ein wenig Licht und Klarheit in meinem Herzen, aber ich konnte weder Farbe noch Gestalt unterscheiden. Nach dem Morgengebete begab ich mich mit den beiden Personen, die ich eben genannt habe, zum Meister, der mich begrüßte und sie fragte, was sie aus mir gemacht hätten. Sie antworteten ihm: „Frage ihn selbst.“

Zu mir gewendet forderte er mich auf, ihm meine Eindrücke zu erzählen. Ich sagte ihm, dass ich eine Helligkeit in meinem Herzen wahrgenommen habe, worauf der Scheich lebhafter wurde und mir sagte: „Dein Herz schließt eine Unendlichkeit von Farben ein, aber es ist so finster geworden, dass die Blicke dieser beiden Krokodile des unendlichen Ozeans (des mystischen Wissens) ihm den Glanz und die Durchsichtigkeit nicht haben wiedergeben können. Der Augenblick ist gekommen, da ich selbst zeigen werde, wie man es erleuchtet.“

Nach diesen Worten hieß er mich, mich ihm gegenüberzusetzen, während meine Sinne wie berauscht waren, und befahl mir, in meinem Innern sein eigenes Bild zu erzeugen; und nachdem er mir die Augen verbunden hatte, forderte er mich auf, alle meine Seelenkräfte auf mein Herz hinzusammeln. Ich gehorchte, und im Augenblick, auf die göttliche Gunst und den geistigen Beistand des Scheichs hin, öffnete sich mein Herz. Ich sah, dass in meinem Innern etwas war, das einem umgestürzten Becher glich; als dieser Gegenstand aufgerichtet worden war, erfüllte ein Gefühl uneingeschränkter Glückseligkeit mein Wesen. Ich sagte zum Meister: „Von dieser Zelle, in der ich vor dir sitze, sehe ich ein treues Bild in meinem Innern, und das erscheint mir, als ob ein anderer Tewekkul-Beg vor einem andern Molla-Schah säße.“

Er antwortete: „Das ist gut; die erste Erscheinung, die sich deinem Blicke bietet, ist das Bild deines Meisters; deine Gefährten (die andern Novizen) sind daran durch andere mystische Übungen verhindert worden; aber was mich anlangt, ist es nicht das erste Mal, dass dieser Fall sich mir darstellt.“

Er befahl mir sodann, meine Augen aufzudecken, was ich tat, und da sah ich mit dem leiblichen Organe des Sehens ihn vor mir sitzen; er ließ mich sie von neuem verbinden, und ich erblickte ihn in meinem geistigen Gesichte ebenso vor mir sitzen. Des Staunens voll rief ich aus: „O Meister, ob ich durch meine leiblichen Organe oder durch mein geistiges Gesicht schaue, immer bist du es, den ich sehe!“

Ich fügte mich genau den Vorschriften meines Meisters, und von Tag zu Tag entschleierte sich mir die geistige Welt immer mehr; am nächsten Tage sah ich die Gestalten des Propheten und seiner Hauptgefährten, und Legionen von Engeln und Heiligen zogen vor meinem innern Blick vorbei. Drei Monate vergingen in dieser Weise, danach öffnete sich mir die Sphäre, wo jede Farbe verfließt, und da verschwanden alle Bilder. Während dieser Zeit hörte der Meister nicht auf, mir die Lehre der Vereinigung mit Gott und des mystischen Schauens zu erklären; aber die absolute Wirklichkeit wollte sich mir noch nicht zeigen. Erst nach einem Jahre kam zu mir das Wissen der absoluten Wirklichkeit in Beziehung auf die Erfassung meines eigenen Daseins. Die folgenden Verse offenbarten sich in diesem Augenblick meinem Herzen, von dem sie gleichsam ohne mein Wissen auf meine Lippen übergingen:

Ich wusste nicht, dass dieser Leichnam etwas anderes sei

als Wasser und Erde;

Ich kannte nicht die Kräfte des Herzens, der Seele, des Leibes;

Welch Missgeschick, dass ohne dich diese Zeit meines Lebens verging

Du warst ich, und ich wusste es nicht.

4. Inayat Khan – Hermetische Aufsätze

1. DIE VORBEREITUNG ZUR REISE

Das innere Leben ist eine Reise, und wer sie antritt, muss sich darauf vorbereiten. Ist man nicht vorbereitet, so läuft man immer Gefahr, umkehren zu müssen, ehe man sein Ziel erreicht hat. Wer auf Reisen geht und etwas zu vollbringen hat, muss wissen, was er auf dem Wege braucht, damit seine Reise leicht vonstatten geht und er vollenden kann, was er zu tun begonnen hat. Die Reise im innern Leben ist so lang wie die Entfernung zwischen Leben und Tod; sie ist die längste Reise, die man im ganzen Leben macht, und man muss alles vorbereitet haben, damit man nicht zur Umkehr gezwungen wird, nachdem man schon eine gewisse Strecke zurückgelegt hat.

Das erste Erfordernis ist, dass man keine Schulden hinterlässt. Ein jeder Mensch hat im Leben irgendeine Schuld zu zahlen: Der Mutter, dem Vater, dem Bruder oder der Schwester, dem Gatten, der Frau oder dem Freund, seinen Kindern, seiner Rasse oder der Menschheit; wenn er sie nicht bezahlt hat, ist er innerlich mit Stricken gebunden, die ihn wieder rückwärts ziehen. Das Leben in der Welt ist ein ehrlicher Handel – könnte man das nur recht verstehen, wüsste man nur, wie viele Seelen es in der Welt gibt, mit denen man irgendwie verbunden oder verwandt ist oder denen man jeden Tag frisch begegnet! Jeder von ihnen ist man irgend etwas schuldig, und hat man seine Schuld nicht bezahlt, so muss man sie später mit Zinsen zahlen. Es gibt eine innere Gerechtigkeit, die über die weltliche Gerechtigkeit hinaus wirkt; und wenn der Mensch das innere Gesetz der Gerechtigkeit nicht befolgt, so kommt es daher, dass er zu jener Zeit im Rausche lebt, dass seine Augen geschlossen sind und dass er das Gesetz des Lebens nicht erkennt. Aber der Rausch wird vergehen; der Tag wird kommen, an dem die Augen aller Seelen sich öffnen; und es ist schade, wenn dem Menschen die Augen zu spät aufgehen. Es ist besser, die Augen öffnen sich, solange der Beutel noch gefüllt ist; denn es ist beschwerlich, wenn die Augen sich öffnen und der Beutel leer ist. Dem einen ist man Rücksicht schuldig, dem andern Achtung, diesem einen Dienst oder Duldsamkeit, jenem Vergebung oder Hilfe. Irgendwie hat man in jeder Hinsicht, in jedem Zusammenhang etwas zu bezahlen. Und ehe man die Reise antritt, muss man die Gewissheit haben, dass man bezahlt hat, und zwar ganz bezahlt hat, so dass nichts mehr zu zahlen übrig bleibt. Außerdem muss der Mensch, bevor er seine Reise antritt, die Gewissheit gewinnen, dass er seine Pflichten erfüllt hat – seine Pflicht gegenüber denen, die seinem Kreis angehören, und seine Pflicht gegenüber Gott. Wer aber seine Pflicht gegenüber den Menschen seines Kreises für heilig hält, der erfüllt seine Pflicht gegenüber Gott.

Bevor der Mensch seine Reise antritt, muss er es sich überlegen, ob er alles gelernt hat, was er von dieser Welt lernen wollte. Hat er etwas noch nicht gelernt, so muss er es tun, bevor er sich auf den Weg macht. Denn wenn er denkt, „ich will die Reise antreten, obwohl ich zuvor noch etwas zu lernen wünschte“, wird er sein Ziel nicht erreichen. Der Wunsch, etwas zu lernen, wird ihn rückwärts ziehen. Alle Wünsche, jeder Ehrgeiz, jedes Streben, die er im Leben hat, müssen befriedigt werden. Und nicht nur das: Beim Beginn seiner Reise darf er keine Reue mehr haben, noch darf er nachher etwas bedauern. Trägt er noch Reue oder Bedauern in sich, so muss er vor Antritt seiner Reise damit aufräumen. Er darf auch gegen niemand Groll hegen, noch klagen, dass jemand ihm Leid zugefügt habe. Denn nähme er diese Dinge, die dieser Welt eigen sind, mit auf die Reise, so würden sie ihm auf dem geistigen Pfade zur Last werden. Die Reise ist ohnedies mühselig genug, und sie wird noch mühseliger, wenn man eine Bürde zu tragen hat. Wer sich eine Last an Missvergnügen, Unzufriedenheit und Verdruss auflädt, wird auf diesem Pfade schwer daran tragen. Der Pfad führt zur Freiheit; und wer diesen Pfad gehen will, muss selbst frei sein; keine Bindung darf ihn rückwärtsziehen, kein Verlangen darf ihn zurücklocken.

Außer diesen Vorbereitungen braucht man auch ein Fahrzeug zur Reise. Das Fahrzeug hat zwei Räder, und diese heißen: Gleichgewicht in allen Dingen. Dem einseitigen Menschen sind Grenzen gesetzt, wie stark auch seine Hellsichtigkeit oder Hellhörigkeit, wie groß auch sein Wissen sein mögen; und er kommt nicht weit, denn der Wagen braucht zwei Räder zum Fahren. Es muss ein Gleichgewicht vorhanden sein, und zwar das Gleichgewicht zwischen Kopf und Herz, das Gleichgewicht zwischen Kraft und Weisheit, zwischen Tätigkeit und Ruhe. Gleichgewicht hilft dem Menschen die Mühen der Reise ertragen und erlaubt ihm, auf dem Pfade fortzuschreiten, indem es ihm den Weg erleichtert. Man darf nicht einen Augenblick lang glauben, dass der Mensch, dem es an Gleichgewicht fehlt, auf dieser geistigen Reise je vorankommen kann, wie stark er auch geistig veranlagt scheint. Nur ausgeglichene Menschen können das Außenleben wie das Innenleben gleich stark erleben, Denken und Fühlen gleichermaßen genießen und ebenso gut ruhen wie tätig sein. Rhythmus ist der Mittelpunkt des Lebens, und Rhythmus gibt Gleichgewicht.

Auf dieser Reise hat man auch eine gewisse Summe Kleingeld nötig, das man unterwegs ausgibt. Und worin besteht dieses Kleingeld? In wohlbedachten Worten und Taten. Man muss auch einen Vorrat an Speise und Trank mitnehmen, und dieser Vorrat besteht aus Leben und Licht. Man muss auch etwas Kleidung auf die Reise mitnehmen, um sich vor Wind und Sturm, vor Hitze und Kälte zu bewahren, und diese Kleidung ist das Gelübde der Verschwiegenheit, der Hang zur Schweigsamkeit. Beim Aufbruch zu dieser Reise muss der Mensch den anderen Lebewohl sagen, und dieses Lebewohl ist ein liebendes Sichloslösen; bevor er die Reise antritt, hat er seinen Freunden etwas zu hinterlassen: Die glückliche Erinnerung an die Vergangenheit.

Wir alle sind auf der Reise; das Leben selbst ist eine Reise. Niemand ist hier sesshaft; wir alle wandern immer weiter, und daher ist es nicht richtig, wenn man sagt, man gebe sein sesshaftes Leben auf, wenn man eine geistige Reise antritt. Niemand hat hier eine bleibende Statt; wir alle sind unsesshaft, wir alle sind auf der Wanderung. Doch wer die geistige Reise unternimmt, wählt einen andern, einen leichteren, besseren und angenehmeren Weg. Diejenigen, welche diesen Weg nicht einschlagen, kommen auch ans Ziel; der Unterschied liegt im Weg. Der eine Weg ist leichter, ebener, besser; der andere Weg ist voller Schwierigkeiten, und da die Schwierigkeiten im Leben nicht aufhören von dem Augenblicke an, wo man die Augen auf dieser Erde öffnet, kann man ebenso gut den ebeneren Weg wählen, um an das Ziel zu kommen, das jede Seele eines Tages erreicht.

Unter „innerem Leben“ versteht man ein Leben, das nach Vollkommenheit strebt, die man die Vollkommenheit der Liebe, Harmonie und Schönheit nennen kann, ein Leben, das, dem orthodoxen Sprachgebrauch gemäß, Gott zustrebt.

Das innere Leben steht nicht notwendigerweise im Gegensatz zum weltlichen Leben; aber das innere Leben ist ein reicheres Leben, Weltliches Leben heißt Begrenztheit des Lebens, inneres Leben heißt Leben in seiner Vollständigkeit. Asketen, die eine dem weltlichen Leben völlig entgegengesetzte Richtung einschlagen, tun es um der Möglichkeit willen, die Tiefen des Lebens zu ergründen. Doch wenn man nur in einer einzigen Richtung geht, so schafft man sich kein vollständiges Leben. Inneres Leben bedeutet somit Fülle des Lebens.