Die integrative Erziehung im Vorschulalter

Wer Schimpfen und Strafen, Belohnen und Drohen längstens satt hat und sich fragt, wie die Kindererziehung und Begleitung anders nachhaltig erfolgreich stattfinden kann, liegt mit diesem Buch genau richtig.

Anhand von konkreten Beispielen aus reicher, jahrelanger Erfahrung mit Kindern können die Lesenden die integrative Erziehung hautnah mitverfolgen und erlernen oder auffrischen.

Kleinkindererzieherinnen, Pädagogen, Leitende von musikalischer Frühförderung, Kindergärtnerinnen, Spielgruppenleiter oder andere, mit Kleinkindern arbeitende Menschen, auch Eltern und Grosseltern, sind hier eingeladen, sich zu überzeugen, wie die integrative Methode von Mària Kenessey unter Miteinbezug der Hirnforschung mit freundlichen Folgen und klaren Grenzen wirkt, wie sie die Beziehungen und die Gruppen-Atmosphäre verbessern, und die Entwicklung der Kinder optimal fördern kann – ganzheitlich, musikalisch, naturverbunden.

„Ich lade die Lesenden ein, mit mir in die Erlebnisse mit der integrativen Erziehung einzutauchen und mich auf meinen Streifzügen durch den Wald in der Waldkinderkrippe und mit der integrativen Musik- und Naturspielgruppe, im Kleinkindersingen, und schliesslich bis nach Indien und Sri Lanka zu begleiten. Ich lade euch ein, mitzuerleben, mitzufühlen, mitzudenken, und vor allem: mitzufeiern.

Wiederholt hebe ich mit den Kindern das hervor, was gelungen ist und halte nach integrativer Art „die Lupe darüber“, wir vergrössern die Erfolge und rahmen sie ein. Gemeinsam üben wir, was schwierig ist und ebenso das, was Angst macht. Alle Gefühle zu spüren, nichts auszulassen oder zu beschönigen, alles, was ist, zu beobachten und anzunehmen, und gleichzeitig den Fokus auf das „Plus“ zu richten, kann eine begleitende Übung sein die sich lohnt, um vielleicht schlussendlich zur Lebenshaltung, zum neuen „Lebensstil“ zu werden: ressourcenorientiert und mit der Betonung auf das Gute.

Nach dem Motto:

Für heute sind wir gut genug, wir werden immer besser!

Ich wünsche mir für unsere Jüngsten im Vorschulalter ganzheitliche, liebevolle Frühförderung mit allen Sinnen – sie ist heute aktueller denn je.“

Anahita Huber-Sprügl

Für Mària Kenessey

und Marianne, Beat und Boris

Frühling 2012

Musik mit allen Sinnen: hier mit den beliebten Bohnen, Kichererbsen, Linsen

Inhalt:

Vorwort

Die integrative Erziehung nach Mària Kenessey: eine Einführung in Kürze

Das Leitbild der Kenessey-Methode

Die Rechte des Kindes nach der Deklaration der UNICEF

Zaubersätze, Goldsätze

Wer war Alfred Adler?

Und wieso ist er so wichtig für uns?

Erkenntnisse aus der Hirnforschung

Begegnung in der Waldspielgruppe

1. Die Waldkinderkrippe

Erste praktische Erfahrungen

Ein Exkurs zu Dreikurs:

Rudolf Dreikurs: „Kinder lernen aus den Folgen“ Wie man sich Schimpfen und Strafen sparen kann

„Die vier irrtümlichen Ziele des Kindes“

Positive Aufmerksamkeit - Andi

Konstruktive Kommunikation - Die Ja-Sprache

Emmi Pikler: „Lass mir Zeit“

Praxis im Wald

Sereina entdeckt den Wald selbst

Hausaufgabe aus der Ausbildung: eine Woche lang den Satz „Ja, ich weiss“ üben

Benni

Rita Kramer:

„Maria Montessori - Leben und Werk einer grossen Frau“

Ein Spiel entwickeln nach Maria Montessori

Kreativ-Wochen am Hang

Beispiele der magischen Phase

Maulwurfs Geburtstag

Über den Singkreis

Schlammschlachten

Über den Tod

Selber kochen, und die Mithilfe der Kinder fördern

Eigene Waldkinder-Lieder

Riesendrache

Händli wärme

Streichle - ein zartes Lied zum Trösten

Schneckenlied

Friede machen ist nicht schwer

Ich ha de Wald gern

Hejo, zäme simmer stark!

Nachwort zur Waldkinderkrippe – Rückschau

Übergang zu merundisi – „mehr und easy“ und danach

2. Musikalische Frühförderung für Kleinkinder

Mutter-Vater-Kind-Singen

Grenzen geben Halt: Moira und das Bäbi

Kinder lernen durch Vorbild leichter

Zur Förderung des Körper-Bewusstseins

Eine neue Idee war der Barfuss-Parcours

Susanne Stöcklin Meier:

"Verse, Sprüche und Reime für Kinder"

Umarmen statt wehtun

Ein Kind mit speziellen Bedürfnissen: Luna

Der Sinn der Sinne

Schluss der Lektion: entspannen, ausruhen

Luigi will noch bleiben

Die integrative Gefühlserziehung

Tänze und Lieder im Mutter-Vater-Kind-Singen

Kleinkinder-Singen mit Begleitperson (Camping-Wochen Schweiz)

Grosspapi als Vorbild

Laura

Mikel

Baby-Gruppe in Patnem, Goa (Indien)

3. Integrative Musik- und Naturspielgruppe

Integrative Grundsätze der Spielgruppenleiterin

1 Lektion (60 Min.) KEM in einem Montessori-Kindergarten

KEM-Kinder erleben Musik, Musikspielgruppe

Unerwünschtes Verhalten vernachlässigen, Gefühle ansprechen, „richtige Telefonnummer“ wählen

Sonja kommt aus dem Busch

Elias

Brüele nur-Lied

Singkreis

Mut-mach-Lied

Laurin weint - oder - Wie mein Mitgefühl erwachte

Miras Eifersuchtsschmerz

Erziehung zur Selbständigkeit: Claudia darf schneiden

Anziehen helfen oder nicht?

Have you been „good“? – Wart ihr auch schön „brav“?

4. In der Kindertagesstätte

Begegnungen zwischen betagten Sehbeeinträchtigten und Vorschulkindern

Kontaktübungen

Blindenschrift ertasten

Die blöde Flöte

Besuche bei der alten Dame

Sexualerziehung nimmt ihren Lauf

Austoben im Gumpizimmer (Hüpf-Zimmer) ideal für Aggressionsabbau

Südsee-Insel

Gumpizimmer - neu entdeckt für Wickelfreuden

Der Umgang mit der Kreativität

Aus Engel wird …

Judo statt Boxen

Andreas und Jan „zügeln“

Wie die Kindertagesstätte spielzeugfrei wurde

Z`Vieri – Jausen- Vesperzeit

5. Internationaler Kindergarten „Vrindhavan“ Patnem, Goa, Indien und YMCA Pre-school Vallechennai, Sri Lanka

Kindergarten „Vrindhavan“

Sharing-Plate, den Teili-Teller auch hier eingeführt

Neue Moden im Singkreis

Schläger-Ersatz

Wasserspiele

Integrative Eltern-Schulung: „How to make Parenting easier” (Leichter erziehen)

Einige der Gold- oder Zaubersätze auf Englisch

YMCA Pre-School Vallechennai, Sri Lanka

Eigene Lieder

6. Vortrag „Der Stellenwert der Musik in der Kinder- Erziehung“ - Was ist Musik? - Wann beginnt sie und was kann sie bewirken?

Mit Musik geht alles besser!

Heilung durch Musik

Musik (in der Gruppe) vermittelt

Mit Musik mehr Sozialkompetenz

Musik fördert Fantasie und Kreativität

Musik und Bewegung

Maria Montessori: „Über das Hören“

Meine Tonhöhen-Übungen

Singen durch Kazoo

Nachwort und Dank

Empfohlene Bücher

Eigene Bücher

Fotos von Anahita Huber aus dem Eltern-Kind-Singen, der Musikspielgruppe, der Baby-Gruppe, dem Kindergarten Vrindhavan und der Pre-School Sri Lanka, bearbeitet von Deva Abhiyana Freitag mit Adobe Photoshop CS6 Extended Trial Camera Raw 7.0 / Process 2012

Kurzbiographie

Anahita (Johanna) Huber-Sprügl

1956 in Graz geboren, neun Geschwister, Älteste von sechs.

1975 Matura, danach Emigration nach Südafrika.

1977 Zürich: Gründung einer Familie. Eine Tochter, zwei Söhne.

Ab 2000/01 als diplomierte Musiklehrerin und integrative Pädagogin tätig.

2001 bis 2008 Ausbildung am IfiPP (Institut für integrative Psychologie und Pädagogik) bei Mària Kenessey: integrative Psychologie und Pädagogik, Elternbegleitung, Gruppenleitung, Elterngrundausbildung, Spielgruppenleitung, Paar- und Familientherapie.

Wakonda Bern: Erlebnispädagogik. 2005 bis 2009 Gründung und Durchführung eigener Kurse. 2010 und 2011 freiwillige Mitarbeit in einem internationalen Kindergarten in Indien und in einer Vorschule in Sri Lanka.

Seit 2008 mit Deva Abhiyana Freitag in der Schweiz, Europa und Asien auf Lebensreise. Beginn der schriftstellerischen Tätigkeit. Herausgabe mehrerer Bücher.

Vorwort

Als ich 2001 die integrative Ausbildung im IfiPP (Institut für integrative Psychologie und Pädagogik) in Zürich begann, wusste ich nicht und konnte ich gar nicht wissen, was alles auf mich zukommen würde … wie wir das ja niemals wissen können. Tatsache ist, dass es mir von Anfang an „den Ärmel hineingenommen“, mich hineingezogen, dermassen gepackt hat, dass ich voll Begeisterung sämtliche Angebote, Kurse und Ausbildungen besuchte und absolvierte, die in den folgenden fünf Jahren im Institut zur Verfügung standen. Ich entdeckte die integrative Psychologie und Pädagogik als riesigen Schatz, mit dessen Wissen ich mich nun bereichern konnte. Es begann mit einem Vortrag über „Die Ängste der Eltern und der Kinder“, danach stieg ich in „Die integrative Pädagogik“ ein, wählte im darauffolgenden Jahr „Psychologie“ und „Elternbegleitung“, steigerte mich über „Die integrative Erziehung im Vorschulalter“, „Das Schulalter und die Pubertät“ bis zur „integrativen Spielgruppenleiterin“, und schliesslich „Gruppenleitung für Erwachsene“, „Elterngrundausbildung“, und drei Jahre „Paar- und Familientherapie“. Dabei wirkte ich als Dozentin am Institut und übernahm zwischendurch einzelne Lektionen und Elterngrundausbildungen.

Das Schönste an der Ausbildung war, dass dabei – eben integrativ – die eigenen Schätze, die in mir schlummerten, zutage befördert und geweckt wurden. Die Erkenntnis, dass all dies oder zumindest das meiste, schon in mir vorhanden war, empfand ich zeitweise als überwältigend. Sie verhalf mir zu mehr Mut, Neues zu wagen, andere Schritte zu tun als bisher, zu grösserem Selbstvertrauen, zu mehr Sicherheit, Probleme zu bewältigen, und zu einer grossen Freude über das Erreichte und die vielen Erfolgserlebnisse. Köstlich erlebte ich immer wieder Mària Kenesseys Humor, der ein wesentlicher Bestandteil der integrativen Erziehung ist. Wenn wir über uns selbst lachen können, erleichtert dies die Dinge, die geschehen, und wir können unser „Schicksal“ besser annehmen. Erkenne ich mich selbst, kann ich die Verhaltensmuster anderer auch leichter durchschauen, und muss mich weniger aufregen … Vor allem, wenn ich weiss, dass das, was mich an anderen nervt, ein noch „unerlöster“ Teil meiner selbst ist, der in mir schlummert und geweckt und gelebt werden will.

Das vermittelte Wissen aus Psychologie, Pädagogik, aus der Hirnforschung und der Familientherapie ist ebenfalls sehr von Nutzen, wenn wir mit Kindern arbeiten, und ihre Bedürfnisse, Sehnsüchte und Ängste besser kennen und wahrnehmen lernen.

Meine Tochter und die zwei Söhne, die alle drei gerade in der Pubertät waren, als ich mit der Ausbildung begann, profitierten ebenfalls davon, auch wenn sie am Anfang meine ersten „Gehversuche“ durchschauten und mich leicht verärgert aufforderten, mit dem „Psychoscheiss“ aufzuhören. Aber die nicht einfache Familiensituation entspannte sich zusehends, unser Verhältnis wurde wieder herzlicher, die Beziehungen zueinander trotz der in der Pubertät notwendigen Rüpelhaftigkeit wieder näher und verständnisvoller. Ich könnte es folgendermassen betiteln:

Verständnis schützt vor Machtkampf.

Ich war aber auch sehr oft hilflos und verzweifelt, wenn es nicht so klappte wie ich es mir vorgestellt hatte, sei es in den neun Jahren Musikschule, drei Jahren Waldkrippe oder vier Jahren eigene Spielgruppe. Dann war mir die Ausbildung die beste Hilfe und Begleitung, denn sie ermutigte unentwegt, die eigenen Ressourcen zu suchen und das Gelungene hervorzuheben. Und ging zwischendurch gar nichts mehr (oder sah es im damaligen Moment so aus), so ermunterte mich Mària Kenessey, meine „Hilflosigkeit zu feiern“, was mich zum Lachen brachte und die Lage sogleich erheblich entschärfte.

Ich lade euch – Pädagogen, Musiklehrerinnen für musikalische Frühförderung, Spielgruppenleiter, Kindergärtnerinnen und sonstige Erziehende, selbstverständlich auch Eltern, – ein, mit mir in die Erlebnisse mit der integrativen Erziehung einzutauchen, und mich auf meinen Streifzügen durch die Wälder in der Waldkrippe mit den 2-6-Jährigen, im Kreis auf den Matten mit den 18 Monate bis 3Jahre jungen Babys und Kleinkindern und ihren Müttern oder Vätern im Kleinkindersingen, drinnen und draussen mit den 3-5-jährigen Spielgruppenkindern meiner eigenen Spielgruppe, und schliesslich bis nach Indien in den internationalen Kindergarten und in eine tamilische Pre-School in Sri Lanka zu begleiten. Ich lade euch ein, mitzuerleben, mitzufühlen, (liebevoll) kritisch mitzudenken, und vor allem: mitzufeiern. Denn dazu haben oder suchen und finden wir immer wieder Gründe, und wenn nicht, feiern wir eben grundlos! Wiederholt heben wir integrativ Erziehenden das hervor, das gelungen ist und halten nach integrativer Art „die Lupe darüber“, vergrössern es und rahmen es ein. Was schwierig ist, üben wir, ebenso, das, wovor wir Angst haben. Alle Gefühle zu spüren, nichts auszulassen oder zu beschönigen, alles, was ist, zu beobachten und anzunehmen, und gleichzeitig den Fokus auf das „Plus“ zu richten, kann eine begleitende Übung sein, die sich lohnt, um vielleicht schlussendlich zur Lebenshaltung, zum neuen „Lebensstil“ zu werden:

ressourcenorientiert und mit der Betonung auf „das Gute“.

Dazu eine herrliche Anekdote:

Ermutigung:

Ich hatte meinen ersten Vortrag in einer Krippe gehalten und war danach sehr streng mit meiner Selbst-Beurteilung. Als ich in Màrias Büro bin, fragt sie, wie es gelaufen sei. „Gut. Ich war einfach sehr aufgeregt beim Vortrag, nach meinem Gefühl hätte er besser sein können.“

“Was hat die Krippenleiterin gesagt?“

“Als sie mir das Geschenk gab, sagte sie mir, dass es gut war, wirklich sehr gut.“

“Gut. Das ist, was zählt. Deine Gefühle interessieren mich nicht!“

Das tat mir gut, (es war so ein offensichtlicher Blödsinn, dass meine Gefühle sie nicht interessierten!) wir lachten herzlich darüber. Es zeigte mir, dass ich dieses Lob von Anna weggesteckt und mich auf das, was vielleicht nicht so toll gelaufen war, konzentriert hatte. Nach dieser „Umkehr“ fühlte ich mich viel besser, sicherer, und ermutigt, weiterzumachen. So gestärkt kann ich Kritik besser anhören. (Was Mària hier tat, war, paradox zu intervenieren. Es sind ja gerade die Gefühle, auf die wir eingehen, aber hier war ich im Negativen gefangen gewesen).

Die Namen der Kinder, Erwachsenen und Institutionen in meinem Buch habe ich teilweise geändert oder weggelassen. Ich selbst nannte mich noch Johanna, den Namen änderte ich, bevor ich die Reise in die Auszeit antrat, zu Anahita.

Die integrative Erziehung nach Mària Kenessey - eine Einführung in Kürze

Die integrative Kenessey-Methode ist eine Verschmelzung der vier Wissenschaften:

Pädagogik, Psychologie, Familientherapie, Hirnforschung. Sie ist in jahrelanger Erfahrung in der Arbeit mit Menschen entstanden und wurde in den letzten fünfzig Jahren von Mària Kenessey zu einer Ganzheit entwickelt. Sie beinhaltet ein Einschliessen aller Teile und integriert alles, was ist, im Gegensatz zur herkömmlichen, selektiven Denkart. Die ganzheitlichen Ansätze der vier Wissenschaften wurden extrahiert und neu zu einem Ganzen zusammengefügt. In der Pädagogik haben wir bereits Johann Heinrich Pestalozzi, der für die Förderung der drei Hs plädiert: Herz – Hand – Hirn. Maria Montessori beobachtet die Kinder und erkennt so ihre Bedürfnisse. Friedrich Fröbel ist es wichtig, dass die Schule ein Ort ist, wo die Kinder spielend lernen und lernend spielen. In der Psychologie ist es Alfred Adler, der den Mensch als unteilbares Wesen (Individuum) ansieht, Sigmund Freud schenkt uns das Wissen über das Unbewusste, das uns hilft, das Kind und sein Verhalten besser zu verstehen. Die Hirnforschung liefert Erkenntnisse, wie der Mensch seelisch funktioniert, wir wissen über die linke und rechte Hirnhälfte, und die Auswirkungen der Sprache, und können sie so anpassen, dass sie konstruktiv wirksam wird. Aus der Familientherapie nach Virginia Satir kommt das Wissen des Zusammen- und Aufeinanderwirkens aller Teile, das „Sowohl-als-auch“, im Fachbegriff „systemisch“ genannt.

Das Leitbild der Kenessey-Methode

Die integrative Erziehung …

1.

Stärkt das Selbstwertgefühl des Kindes.

2.

Fördert das Gefühl der Zusammengehörigkeit.

3.

Baut eine gleichwertige Beziehung mit den Kindern auf.

4.

Unterstützt die Selbständigkeit und Entscheidungsfähigkeit der Kinder.

5.

Stärkt die Liebe zu sich, zu anderen Menschen und zur Natur.

6.

Macht die Kinder auf das Wunder der Schöpfung aufmerksam.

7.

Vermittelt ein positives Weltbild.

8.

Gibt Sicherheit, vermindert die Angst der Kinder.

9.

Unterstützt mit ihrem integrativen Verhalten die Konfliktfähigkeit und stärkt die Versöhnungsbereitschaft.

10.

Begleitet die Eltern erzieherisch. (Ist auch für die Eltern unterstützend.)

11.

Unterstützt die Einzigartigkeit eines jeden Kindes und vermeidet die Entwicklung zur Rivalität und zu Machtkampf.

12.

Ist freundlich, klar, konstruktiv, ist ressourcenorientiert und betont das Gute.

Die integrative Erziehung beinhaltet die Rechte des Kindes der UNICEF

Die Rechte des Kindes nach der Deklaration der UNICEF

Kinder haben …

  1. Das Recht auf Gleichbehandlung und Schutz vor Diskriminierung, unabhängig von Rasse, Religion, Herkommen und Geschlecht.
  2. Das Recht auf einen Namen und eine Staatszugehörigkeit.
  3. Das Recht auf Gesundheit.
  4. Das Recht auf Bildung und Ausbildung.
  5. Das Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung.
  6. Das Recht, sich zu informieren, sich mitzuteilen, gehört zu werden und sich zu versammeln.
  7. Das Recht auf eine Privatsphäre und eine Erziehung im Sinne der Gleichberechtigung und des Friedens.
  8. Das Recht auf sofortige Hilfe bei Katastrophen und Notlagen sowie Schutz vor Grausamkeit.
  9. Das Recht auf eine Familie, elterliche Fürsorge und ein sicheres Zuhause.
  10. Das Recht auf Betreuung bei Behinderung. Das Recht auf Liebe, Verständnis und Fürsorge.

Die integrative Erziehung basiert auf den Grundsätzen der Demokratie.

Die integrative Erziehung beinhaltet ausserdem

Sicherheit:

Keine Gewinn und Verlier-Spiele, kein Wettbewerb „Wir sind füreinander da.“ „Ich bin da, wenn du mich brauchst.“

Bedingungslose Akzeptanz:

„Ich hab dich gern, genauso wie du bist.“

Gefühle erlauben:

„Weine nur, das tut dir gut.“

Vorbild sein:

„Wenn ich wütend bin, schlage ich auf das Kissen.“

Ja- Sprache und Wir- Sprache:

„Bei der Oma spielen wir auf dem Teppich, zuhause kannst du auf dem Sofa hüpfen.“

Aus Fehlern lernen:

„Fehler sind unsere Freunde, von ihnen lernen wir.“

Ermutigung:

„Du wirst sehen, nächste Woche geht es schon besser!“

Vertrauensvorschuss:

„Ich bin sicher, dass du es schaffen wirst!“

Meinungsforschung:

„Was meinst du? Ist die Jacke warm genug?“

Eigene Verantwortung fördern:

„In meiner Spielgruppe machen das die Kinder selbst.“

Klare Grenzen:

„Au, das tut weh. Wir sind freundlich miteinander.“

Freundliche Konsequenzen:

„Es tut mir Leid, der Stecken geht in die Ferien. Morgen kannst du wieder üben.“

Wahlmöglichkeit geben:

„Was möchtest du zuerst? Zähne putzen oder duschen?“

Zudem:

Zärtlichkeit, Freude, Spielen, Humor, Lachen, Singen, Bewegung, Freiraum, ungestörtes Spiel.

Die Grundhaltung der integrativen Pädagogik ist bedingungslose Akzeptanz.

Zaubersätze, Goldsätze

Für heute sind wir gut genug, wir werden immer besser.

Wir unterstützen einander.

Ich bin so froh, dass es dich gibt!

Kannst du das schon alleine oder brauchst du Hilfe?

Alle haben ihre Aufgaben für die Gemeinschaft.

Ja, ich weiss.

Das Leben ist nicht gerecht.

In unserer Familie/ Gruppe helfen wir einander.

Wir hören einander zu.

In unserer Familie/ im Kindergarten sprechen wir freundlich miteinander.

Sobald du die Hände gewaschen hast, können wir mit dem Essen beginnen.

Zum Glück ist alles ganz geblieben.

Macht nichts, das kann jedem passieren!

Spiel = Arbeit = Lernen

Pestalozzi:

„Alles Lernen nützt nichts, wenn es keine Freude macht.“

Wer war Alfred Adler?

Und wieso ist er so wichtig für uns?

Alfred Adler wurde 1830 im damaligen Ungarn geboren, wuchs als Sohn des Getreidehändlers in Wien auf, wo er Medizin studierte, eine Russin heiratete, und vier Kinder mit ihr hatte. Als Knabe strebte er seinem älteren Bruder nach, der Kaufmann wurde.

Alfred Adler litt als Kind an einer Organminderwertigkeit und wäre mit vier Jahren fast an einer Lungenentzündung gestorben. Er verlor seinen jüngeren Bruder, als beide noch sehr jung waren. Es wird vermutet, dass diese tiefgreifenden und einschneidenden Erlebnisse seine Berufswahl beeinflusst haben. Konnte er schon seinen Bruder nicht retten, so wollte er in Zukunft anderen Kindern helfen können. Die menschliche Seele interessierte ihn, er besuchte Sigmund Freuds Diskussionsrunden der Mittwochabendgesellschaft, brach jedoch bald mit ihm, da er eine von der freudschen Psychoanalyse abweichende und eigenständige Lehre entwickelte. War nach Freuds Meinung der Mensch von Grund auf von seinen Trieben beherrscht, die es zu bekämpfen galt, so gründete Adler die Individualpsychologie, die besagt, dass jeder Mensch ein Individuum, ein unteilbares Wesen ist. Er schafft eine lebensnahe Psychologie, die die Menschen aus ihrer jeweiligen individuellen Lebensgeschichte heraus versteht. Er entdeckte, dass bei jeder Lebensäusserung des Menschen körperliche und seelische Vorgänge immer gemeinsam wirksam sind und eine unteilbare Einheit (Individuum) bilden. Diese Entdeckung bildet heute die Grundlage der Psychosomatik.

Er studierte den Zusammenhang von Organminderwertigkeiten, die daraus entstehenden Minderwertigkeitsgefühle oder gesteigert, Minderwertigkeitskomplexe, und deren daraus resultierende körperliche und seelische Kompensation und Überkompensation, um die Minderwertigkeit zu beheben.

Minderwertigkeitsgefühl: Die Psyche ist bestrebt, diesen Zustand der Unterlegenheit durch ein Geltungsstreben zu überwinden. Der Mensch strebt nach Vollkommenheit. Übersteigert sich dies, wird es zum Machtstreben. Was eine Neurose war, wird in ihrer schärferen Ausprägung zur Psychose.

Alfred Adler fand den Ursprung des Minderwertigkeitsgefühls in der frühesten Kindheit, wo jeder Mensch auf die Hilfe seiner Beziehungspersonen angewiesen, ja ihnen ausgeliefert ist. Wie gut die Person in der Kindheit eingebettet war, wie gross ihr Gemeinschaftsgefühl ist, ist ein Gradmesser, wie sie später Probleme bewältigen und die Lebensfragen lösen kann. Der Sinn des Lebens, der Adler sehr beschäftigte, besteht darin, diese drei Lebensfragen bestmöglich zu lösen. Dies sind die Themen der Arbeit, Beziehung (Liebe), und Gemeinschaft. Das Gemeinschaftsgefühl entsteht in der frühesten Bindung zwischen Mutter und Kind, dieses Gefühl ist entscheidend für das spätere Aufgehobensein unter den Menschen. Es steht im Zentrum der adlerschen Lehre, weil es zeigt, wie gesund ein Individuum und die Gemeinschaft ist.

Unter dem Motto „Vorbeugen ist besser als Heilen“ wurden im Rahmen der Wiener Schulreform dreissig individualpsychologische Erziehungsberatungsstellen gegründet, und seine Lehre der Individualpsychologie bekam internationale Anerkennung. Alfred Adler wurde Direktor der ersten Klinik für Kinderpsychologie in Wien. Er leistete Aufklärungsarbeit, inwieweit frühkindliche Missstände mit späteren Neurosen zusammenhängen und begann mit der Behebung derselben in der Kindheit.

„Wenn die Schäden in der frühen Kindheit entstehen, gehe ich ins Kinderzimmer, um sie zu heilen.“

Seine Vorträge waren einfach, klar und verständlich, er reiste in viele Länder, um seine Lehre zu verbreiten. 1934 übersiedelte er in die USA, da die Missstände im zweiten Weltkrieg in Europa zu gross wurden.

Er starb 1937 mit 67 Jahren an einem Herzversagen auf einer Vortragsreise in Schottland. Nach seinem Tod wurden seine Schüler verfolgt, die Individualpsychologie sowie die aufkeimende Tiefenpsychologie von den Machthabern bekämpft. Die Diktatur und der zweite Weltkrieg bremsten die Entwicklung der Psychologie allgemein.

Weshalb Alfred Adler für die integrative Erziehung so sehr von Bedeutung ist, liegt in der Einstellung zum Menschen, es ist die absolute Akzeptanz des Individuums.

Die integrative Psychologie und Pädagogik beinhaltet

das Erkennen -

- der Wichtigkeit des Gefühls der Geborgenheit und des Aufgehobenseins in frühester Kindheit, und die Wiederherstellung des verlorengegangenen Gemeinschaftsgefühls.

- des Streben nach Anerkennung und Macht als Kompensation für Minderwertigkeitsgefühle.

- der Zielgerichtetheit des Menschen, in einer unangenehmen Lage einen akzeptablen Zustand wiederherstellen zu wollen.

So können wir erkennen, dass die Störungen der Kinder Hilfeschreie sind, und wir ihnen die Aufmerksamkeit, Anerkennung, Erfolgserlebnisse, Liebe, Wärme und Nähe geben, die sie zu ihrer gesunden Entwicklung in der Gemeinschaft brauchen, und somit die Aufgaben, die von ihnen gefordert werden, besser bewältigen können.

Alfred Adler sah den Menschen als soziales Wesen, und von Grund auf gut.

Zitat:

„Alles, was der Mensch tut, ist eine Antwort,
und ohne Zweifel gibt er immer die beste, die er geben kann.“

Erkenntnisse aus der Hirnforschung

Die integrative Methode profitiert von den Erkenntnissen der Hirnforschung. Ein Mensch ist gefühlsmässig nur über die rechte Hirnhälfte erreichbar. Dort sitzen neben Kreativität, Sprache, Farben, Intuition, Philosophie auch die Gefühle. Wir können sie grob in das Angstzentrum und das Selbstbelohnungszentrum einteilen. Das Angstzentrum wird erreicht, wenn mit der herkömmlichen Art geschimpft, beschämt, getadelt, gedroht, blossgestellt und sonstwie bestraft wird.

Wird das Angstzentrum aktiviert, hat das Kind drei Hauptmöglichkeiten der Reaktion:

- wegrennen: Flucht. Dies kann innerlich (Rückzug) oder äusserlich geschehen. Es will nichts lernen.

- sich tot stellen: passiv werden, „dumm“ werden, nichts mehr sagen, Gleichgültigkeit vortäuschen, in Ruhe gelassen werden wollen (vierte Stufe der „Vier Irrtümlichen Ziele“)

- Angriff: eintreten in den Machtkampf, Aggression gegen Eltern und Erziehende (zweite und dritte Stufe der „Vier Irrtümlichen Ziele“). Auf jeden Fall ist es destruktiv und nutzlos für die Beziehung zum Kind, wenn das Angstzentrum aktiviert wurde. Ich kann mich also innerlich immer fragen, bevor ich etwas sage oder handle: Welches Zentrum wird durch meine Aktion angeregt?

Zum Glück gibt es da noch das Selbstbelohnungszentrum, das unter günstigen Bedingungen die beliebten Endorphine ausstösst. Dies geschieht, wenn wir Erfolgserlebnisse haben, wir uns zugehörig, in die Gemeinschaft integriert und akzeptiert fühlen, wenn wir so angenommen werden, wie wir sind, wenn wir Freude erleben, wenn wir uns ernstgenommen, respektiert und geachtet fühlen, wenn wir in unserem Wesen erkannt, unterstützt und gefördert werden, und unsere grundlegenden Bedürfnisse erfüllt werden. Diese sind unter anderen: Zuwendung, Zärtlichkeit, Bewegung, Selbstbestimmung, Wertschätzung, Angstfreiheit, eigene Meinung haben dürfen, mitbestimmen, wählen dürfen, Freunde haben, Kreativität ausleben, der Fantasie Raum geben dürfen, Raum für die Entfaltung, Entwicklung haben, wenn möglich im eigenen Tempo und zur eigenen Zeit.

Wollen wir also, dass Kinder uns zuhören, sich kooperativ verhalten und unseren Anweisungen folgen, so tun wir gut daran, ihre rechte Hirnhälfte anzusprechen, die „richtige Telefonnummer zu wählen“, damit eine Verbindung entsteht.

Die Verbindung zum Kind ist deshalb so wichtig, weil es durch Beziehung lernt. Erziehung ist Beziehung. Kinder lernen immer den Erwachsenen „zuliebe“. Wenn es sich geliebt und akzeptiert fühlt, will es lernen. Das Ausschütten der Endorphine bewirkt, dass es „mehr von dem will“. Wo es Erfolg gehabt hat, geht es mit Begeisterung wieder hinein. Motivation entsteht im Inneren, sie kommt immer von innen, niemals von aussen, wird aber durch äussere Umstände gefördert. Gefällt dem Kind der Umgang, der Ton, so möchte es dort sein und spielen und lernen.

Die linke Hirnhälfte, die für das logische Denken zuständig ist, wird aktiv, wenn wir kognitive Fragen stellen, zum Beispiel solche, die mit W-Wörtern beginnen. Sie führen von den Gefühlen weg, ich kann das Kind nicht erreichen. Deshalb sind sie in Konfliktsituationen zu meiden: Wie ist das passiert? Was ist geschehen? Wer hat angefangen? Wer ist schuld? Warum machst du das immer? Wieso kannst du nicht endlich …! - Es sind auch oft gleichzeitig Beschuldigungen, die wiederum das Angstzentrum aktivieren können. Ist etwas passiert, fragen wir nach den Gefühlen und lassen sie erst einmal zu. („Die Integrative Gefühlserziehung“).Wir konzentrieren uns auf das, was gut läuft und betonen es, heben es hervor, sodass Freude entsteht und der Wunsch, noch mehr zu leisten – weil es schön ist (nicht weil das Kind muss). Optimale Erfolge erzielen wir, wenn wir beide Hirnhälften aktivieren und verknüpfen können, sodass sie verbunden sind. Dazu bietet das Singen und Musizieren, aber auch das Bewegen in der Natur unzählige Möglichkeiten, sei es mit beiden Händen, Füssen, dem ganzen Körper, über Tanz und Bewegung, mit der Stimme, an Instrumenten. Wir haben es in der Hand, die Frühförderung mit allen Sinnen zu einem Erlebnis zu machen, dass die Synapsen im Kinderhirn nur so wachsen und durch Freude und Begeisterung sprühen. Voraussetzung dazu ist unsere eigene Motivation. Sind wir selbst „be-geistert“, wird diese Energie auf die Kinder übertragen.

„Schau wie ich schon balancieren kann!“

Balancieren fördert nicht nur die Grobmotorik der Beinmuskulatur und den Gleichgewichtsinn, es vergrössert auch das Selbstwertgefühl, Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen.

Begegnung in der Waldspielgruppe

Im Herbst 2001 begann ich meine Ausbildung für Projektleiterin in Erlebnispädagogik an der Institution für Erwachsenenbildung und Erlebnispädagogik „Wakonda“ in Bern. Dort hörte ich von einem Waldspielgruppenleiter in der Umgebung von Zürich, der dieses Institut ebenfalls besuchte, und ich wollte mich mit ihm in Verbindung setzen. Ich hatte im November 2000 meine Arbeit als Gruppenleiterin bei einer Waldkinderkrippe begonnen und war sehr interessiert an allem, was irgendwie mit Waldpädagogik zu tun hatte.

Ich besuchte also Erwin mit seiner Kinderschar im Wald. Wir trafen uns am Waldrand. Erwin hatte einen grossen Hund und ein junges Schäflein mit dabei, sowie wei Begleiterinnen, einen Handwagen und dreizehn zwei- bis fünfjährige Kinder aus den umliegenden Dörfern.

Gerade wurde noch geschwätzt, da ruft Erwin „Ade mitenand“, packt den Wagen an der Deichsel und zieht los. Das ist das Zeichen, das alle kennen. Die Eltern ziehen sich zurück, die Kinder scharen sich in einer Traube um die Leitenden, und eines, das sich noch schwer von der Mami löst, wird sanft mitgenommen. Es darf auf Erwins Schultern reiten und hört bald zu weinen auf. Die Stimmung ist famos. Alle freuen sich. Mehrere rennen voraus: sie kennen den Weg und dürfen, so wie es aussieht, selbst zum Platz im Wald laufen. Erwachsene und Kinder schwätzen miteinander, ich werde begutachtet und ausgefragt und stelle meinerseits auch ein paar Fragen.

Wichtig: am Platz soll ich beobachten und mich nur einmischen, wenn die Kinder etwas von mir wollen. Sie spielen selbst und ganz frei. Wir, die Erwachsenen, geben Sicherheit und Rahmen, und unterstützen sie, wenn sie uns brauchen. Ansonsten halten wir uns im Hintergrund. Ich kenne es von unserem eigenen Konzept in der Waldkinderkrippe: auch ich versuche, meine Gruppe so zu leiten.

Was mir aber am meisten auffiel und gefiel, war Erwins Art, mit den Kindern zu sprechen, wenn sie etwas taten, was sie nicht sollten, z. B. einander oder das Schäflein hauen. Dann ging er zu dem Kind, stoppte es, hielt eventuell seine Hand und sagte: „Schau, wenn du hauen möchtest, dann hier auf den Baumstrunk. Hier kannst du ganz fest schlagen! Dem Schäflein tut es weh! Dem Holz hier nicht.“ Das wiederholte sich bei allen Kindern immer wieder gleich, ein Kind probierte es vier, fünf mal. Und jedes Mal sagte Erwin das gleiche und blieb ruhig und freundlich dabei. So blieb es den ganzen Morgen, und auch die Begleiterinnen verhielten sich ähnlich, wenngleich ich bemerkte, dass sie noch am Üben waren, weil es manchmal trotz dem Versuch der Freundlichkeit gereizt klang, was sie sagten. Die Kinder forderten sie heraus. Denn obwohl die Erwachsenen einen ruhigen Umgang mit ihnen pflegten, spielten sie natürlich und wild, und es gab immer wieder Tränen und Klagen. Und viel Rennen, Klettern, Lachen, Rufen auch.

Beim Znüni, der Neun-Uhr-Jause, lernte ich wieder etwas Neues: Die Kinder leerten freiwillig alles Mitgebrachte auf ein Tablett, einige zerkleinerten die grossen Stücke mit dem Taschenmesser, und dann ging Erwin mit dem grossen Teller immer wieder rundherum im Kreis, und jedes nahm sich, was es begehrte. Wer Durst hatte, konnte den bereitgestellten Tee aus einem der vielen Becher trinken und spielen gehen, wenn es satt war. Am Schluss wurde das Tablett stehen gelassen für „Zwischenhungrige“. Auch vom Tee durften sie sich nach Belieben nachschenken.

So verlief der Vormittag sehr schnell und interessant, und ich blieb „brav“ auf meinem Beobachtungsbänklein sitzen. Ausser einmal, wo ein Kind nicht aus dem Graben heraufkam, und wir eine „Rettungsaktion“ mit Seilen starteten. Das war sehr aufregend!

Nachdem der Spielgruppenmorgen beendet war, gab es eine Besprechung mit Erwin und seiner Frau Mary, die hinzugekommen war. Ich erwähnte, was mir so positiv aufgefallen war: hier wurde nicht geschimpft, ich hatte kein einziges unfreundliches Wort gehört, und trotzdem existierten klare Regeln und Grenzen, auf deren Einhaltung Wert gelegt wurde.

Erwin und Mary antworteten, das sei die Handschrift Mària Kenesseys.

So hörte ich zum ersten Mal von ihr und ihrer Methode. Und so kam ich auch dazu, in die wunderbare Ausbildung der integrativen Erziehung einzusteigen, denn dazu entschloss ich mich auf der Stelle.

Bis ich aber den ersten Abend besuchen konnte, wandte ich das Gesehene sofort bei mir im Wald an.

Klettern erfordert Mut, braucht Geschicklichkeit, und macht Spass, vor allem, wenn noch jemand mit dem Stecken Hilfe bietet …

„Grabenlaufen“ – sehr beliebt bei Kindern. Es ist, als überbrückten sie symbolisch zwei Welten: die harte Asphaltstrasse und die weichere, unebene Erde.

1. Die Waldkinderkrippe

Erste praktische Erfahrungen

Bereits am nächsten Tag weihte ich meine Praktikantin ein und begann mit der integrativen Erziehung: ich schimpfte drei ganze Wochen lang nicht, und ich fühlte mich jeden Tag besser und besser, wie im Himmel. Die Kinder konnten noch so viel anstellen, streiten, weinen, schreien: ich blieb ruhig und freundlich. Benni, unser „schwierigster“, zog alle Register, um seine gewohnte „Belohnung“ für sein Verhalten zu bekommen, vergeblich. Er brachte mich nicht zum Schimpfen. Dann liess die Freundlichkeit wieder nach, und ich wusste: ich brauche mehr!

FEHLER, FRUST UND FALLEN

Ich begann also die Ausbildung und lernte dort, dass es von Vorteil wäre, erwünschtes Verhalten zu bemerken und zu loben, unerwünschtes zu übersehen.

Ich liess die Kinder im Wald also streiten und schlagen, schaute weg und hoffte - worauf? Auf Friede und Einsicht. Fest davon überzeugt, richtig zu handeln, griff ich erst ein, wenn es wirklich schlimm wurde. Ich sollte mich doch nicht einmischen, die Kinder selbst streiten lassen, Konfliktbewältigung sich entwickeln lassen. Wie sollte sich das Kind wehren lernen, wenn ich immer gleich eingriff?

Durch mein Verhalten erntete ich:

VERUNSICHERUNG DER ELTERN DRUCK UND MISSTRAUEN VON SEITEN DER VORGESETZTEN

Als die Kinder zerkratzt und mit Beulen nach Hause kamen und ständig klagten, reklamierten die Eltern. Ich kam unter Druck und erntete Misstrauen von den Vorgesetzten. Vergeblich versuchte ich, ihnen die Leitsätze der integrativen Erziehung klarzumachen. Ich erklärte, kopierte Seiten aus der Ausbildung, hielt halbe Vorträge an den Sitzungen, und stiess nur auf Unverständnis und Widerstand. Ihr Vertrauen war arg angekratzt, und die neue Leiterin, mit der ich nicht gut auskam, hatte ein „gefundenes Fressen“, mich zu kritisieren. Mit Recht. Ich hatte noch nicht verstanden, es war doch erst der Anfang. – Ich war am Üben und sollte es noch lange sein!

Dann nahm ich den Kindern die Stöcke weg, wenn sie schlugen, aber das frustrierte sie natürlich noch mehr, und ausserdem hatten sie im Wald flugs einen neuen zur Verfügung. Einmal schenkte das geschlagene Kind dem weinenden Schläger-Kind einen neuen Stock!!! Ich hatte bald das Gefühl, völlig danebenzuliegen und war traurig und verwirrt. Meine Verunsicherung wuchs von Waldtag zu Waldtag.

Was lief falsch?

Ich brachte meinen Fall in die Ausbildungsgruppe und bekam Hilfe und eine Erweiterung meines Blickwinkels:

AUS DEN FEHLERN LERNEN

Ich hatte übersehen, dass es wichtig war, Grenzen zu setzen. Mir waren sie selbst nicht klar genug gewesen. Dies lag wohl daran, dass die Grenzen in meiner Kindheit sehr straff gesetzt gewesen waren, und ich gerne mehr Freiheit gehabt hätte. Also übertrug ich diesen meinen eigenen Wunsch auf die Waldkinder und gab ihnen an meiner Stelle zu viel Freiheit, sodass sie gar nicht damit klarkommen konnten. Es ist also wichtig, diese Übertragung zu beobachten, wahrzunehmen, und dann zu schauen, was brauchen diese Kinder jetzt?

Die Integration der neuen Methode erwies sich als weniger einfach als erwartet - vor allem nach den ersten drei Wochen ohne Schimpfen, die so schön gewesen waren! Wenn ich das unerwünschte Verhalten immer ignorierte, würde es in Anarchie ausarten. In der Demokratie nehmen wir aufeinander Rücksicht und halten uns an gewisse Regeln, die zum Schutze aller aufgestellt wurden.

FESTE REGELN UND DEREN EINHALTUNG VERLANGEN

Es gab feste Regeln in Bezug auf den Umgang miteinander, und die sollten auch eingehalten werden:

“Wir tun einander nicht weh.“

“Mit Stöcken schlagen wir nur auf die Erde und auf tote Bäume.“

Diese Regeln wussten die Kinder, aber im Affekt vergassen sie sie und sich selber auch. Sie brauchten also von mir die Erinnerung und Hilfe, mit den Aggressionen umzugehen. Es war wichtig, ihnen die Grenzen rechtzeitig zu setzen. Die Kinder zu stoppen, sobald es ernst aussah, und in freundlichem Ton zu sagen: „Stopp, das tut weh. Das möchte ich nicht! Wir schlagen auf die Erde, das tut nicht weh.“

Ich erinnerte mich, dass Erwin dies ja auch gesagt hatte: „Wir schlagen auf den Baumstrunk, dort darfst du ganz fest!“ Aus lauter Begeisterung und Lerneifer hatte ich diesen Teil vergessen.

Nun konnte ich beobachten, stoppen, wenn es brutal aussah, eingreifen und fragen: „Braucht ihr Hilfe?“ „Ich sehe, ihr habt Streit miteinander. Könnt ihr das alleine lösen oder braucht ihr meine Hilfe?“

Was aber, wenn ein Kind besonders viel schlug und sich nicht an die Regeln halten konnte?

Dann braucht es

FREUNDLICHE KONSEQUENZEN UND EINE FROHE BOTSCHAFT.

Die erfanden wir je nach Situation oder fragten die Kinder, was ihnen zur besseren Erinnerung helfen würde. So nahmen wir den Stock erst mal „in die Ferien“ zu mir oder zur Praktikantin. Wir sprachen mit dem Stock und entlasteten so das Kind, sodass es sich nicht allzu schuldig fühlen musste. „Gell, du Stock, du hast es vergessen: wir tun einander nicht weh!“ Die Stocksammlung war sichtbar für die Kinder aufbewahrt, und die frohe Botschaft zum Kind ausgesprochen: „Sobald du die Regeln einhalten kannst, bekommst du den Stock wieder. Nach dem Essen kannst du wieder üben.“ Es gab immer wieder eine Übungsmöglichkeit, und sei es auch manchmal erst am nächsten Tag. Denn nach drei Versuchen landete der Stock erst mal in der Hütte. Ich blieb aber nach Möglichkeit freundlich, damit es nicht als Strafe aufgefasst wurde. Das hatte ich inzwischen gründlich in „Kinder lernen aus den Folgen – wie man sich Schimpfen und Strafen sparen kann“ von Rudolf Dreikurs gelesen.

Ein Exkurs zu Dreikurs

Rudolf Dreikurs: „Kinder lernen aus den Folgen“ Wie man sich Schimpfen und Strafen sparen kann

Zu Beginn des Buches geht Rudolf Dreikurs auf die Ursachen der Entstehung der „unfolgsamen Kinder“ ein. In der Welt gibt es viele Neuerungen und Umwälzungen. Eine der letzten ist der Wechsel von der Diktatur zur Demokratie. Weil nun früher unterdrückte Gruppen rebellieren, gibt es Probleme: Widerstand, Aufruhr, Unruhe, Nichtakzeptieren der alten Regeln. Früher wurde die Autorität in Staat und Familie anerkannt, das gab Sicherheit. Heute möchten alle mitreden, aber auch Herrscher sein, und tun, was sie wollen. Sie kommen mit der neuen Freiheit nicht zurecht - Ausartung in Anarchie. Freiheit bedeutet Verantwortung, und Verantwortung Freiheit. Jede Handlung hat Folgen. Dass jeder Mensch grundlegende Bedürfnisse hat und sie sich aber individuell unterscheiden, hat schon Alfred Adler als grundsätzlich hingestellt. Rudolf Dreikurs erwähnt Alfred Adler: dass es möglicherweise das erste soziale Gesetz sei, das Bedürfnis, als Gleicher anerkannt zu werden (dies als Hintergrund jeglichen Aufstands).

Auch das Bedürfnis, dazu zu gehören, zur Gemeinschaft zu gehören und einen Beitrag zu leisten, ist (auch nach Alfred Adler) eines der wichtigsten Grundbedürfnisse fürs Überleben des Menschen.

Die grösste Furcht des Menschen ist, ausgestossen zu werden. Wir sind als „Herdentiere“ auf andere und das Zusammenleben angewiesen.

Beim Baby schon kann das Geborgenheits- und Dazugehörigkeitsgefühl durch alle möglichen verschiedenen Menschen vermittelt werden, es ist nicht nur von der Mutter abhängig. Wird das Kind geschlagen und mit Liebesentzug bestraft, fühlt es sich das ganze Leben ungeliebt und abgelehnt. Sein Bestreben ist, beachtet zu werden, mit welchen Mitteln auch immer.

Mit praktischen Beispielen, die uns durch das ganze Buch begleiten, lockert Rudolf Dreikurs auf, verschafft uns praktisches Wissen und macht die Lektüre zu einem spannenden, lebendigen, lebensnahem Erlebnis. Die Erläuterungen zu den jeweiligen Fällen sind kurz und klar. Rudolf Dreikurs bedient sich einer verständlichen Sprache und vermeidet lange Erklärungen.

Er schildert die Stellung des Kindes in der Familie und erläutert uns die vier irrtümlichen Ziele des Kindes.

Was gibt dem Kind Geborgenheit und ein Zugehörigkeitsgefühl?

Das Kleinkind braucht Zuwendung, Körperkontakt und freundlichen Umgang wie zu Beginn erwähnt von mehr als einer einzigen Person. So kann es die Welt als es willkommnend erleben und geht offen und voll Vertrauen in sein Leben.

Wird es älter, sollte es in Arbeiten in der Familie miteinbezogen werden. Dadurch fühlt es sich wichtig und als Teil der Gemeinschaft. Es will dazugehören und seinen Beitrag, seinem Alter angemessen, leisten. Heute sind die Kinder zu sehr verwöhnt. Dadurch werden sie unzufrieden und unsicher, launisch und aggressiv. Sie wollen auch keine künstlichen „Ämtli“, sondern richtige, wichtige „Jobs“ mit Verantwortung. Finden sie nicht ihren Platz, beginnen sie zu stören. Deuten die Erwachsenen ihr Störverhalten falsch, also schelten und strafen sie es, wird es das unerwünschte Verhalten wiederholen und verstärken. Um ein Gefühl der Sicherheit zu erlangen, hat das Kind vier Ziele, von Rudolf Dreikurs als irrtümliche bezeichnet, entwickelt. Sie sind irrtümlich, weil sie das Unwertgefühl nur verstärken, und es immer wieder etwas anstellen muss, um das Gefühl der Sicherheit kurzfristig zu erreichen.

Die Heilung entsteht durch Nichtbeachten des unerwünschten Verhaltens. Auch sollte es logische, freundliche Folgen geben, durch die das Kind von selbst lernt, dass sich die Aktion nicht lohnt. Die Erwachsenen dürfen sich nicht auf einen Machtkampf einlassen, denn: das Kind gewinnt immer! Und Unfriede ist gewährleistet.

In zahlreichen Beispielen demonstriert Rudolf Dreikurs, wie wir reagieren können und lässt uns positive sowie negative Beispiele hautnah miterleben.

„Die vier irrtümlichen Ziele des Kindes“

Durch ständige Entmutigung und ein Gefühl des Ausgeschlossenseins entwickelt das Kind Störungen, die es mit dem Grad seiner Verzweiflung verstärkt.

> Erste Stufe: Aufmerksamkeit erlangen wollen. Unbewusste Meinung des Kindes: „Ich bin nur geliebt, wenn ich (ständig) Aufmerksamkeit bekomme.“ Es nimmt Demütigung, Bestrafung, Abweisung in Kauf, denn ignoriert zu werden, ist für Kinder schlimmer als getadelt, bestraft und sogar geschlagen zu werden. Gefühl der Erwachsenen: Es fällt uns „lästig“. Wir fühlen uns gereizt, ungeduldig, wir sind genervt.

Ausstieg: Auf unsere bisherigen Reaktionen achten, dann weglassen: „Hör auf, du nervst! Lass mich jetzt wenigstens fünf Minuten in Ruhe! Wenn du nicht…dann…!“ Alten Mist entsorgen! Stattdessen ermutigen. Das heisst: sich dem Kind hundertprozentig eine (wenn nötig vorher festgelegte) Zeit lang aufmerksam widmen. Aufmerksamkeit, Zuwendung geben, wenn es gerade nicht stört. Dann eine Grenze setzen: „Ich werde jetzt zehn Minuten mit Oma telefonieren. Wenn du willst, kannst du ihr am Anfang etwas sagen. Was möchtest du inzwischen machen? Ich bin neugierig, ob du es schon schaffst. Hier ist die Uhr.“ (Auch jüngeren Kindern zumuten! An den Zeigern die zehn Minuten zeigen). Anerkennung geben: „Diesmal ist es dir schon drei Minuten gelungen! Wollen wir sehen, wie viele du beim nächsten Mal schaffst!“ Vertrauensvorschuss geben: „Ich bin sicher, dass es dir immer besser gelingen wird!“ Aber kein Wettbewerb mit den anderen, („Dein grosser Bruder hat das in deinem Alter schon viel besser gekonnt!“) kein Vergleich (ist herabwürdigend, demütigend, entmutigend). Sehr hilfreich sind wichtige Aufgaben, Pflichten, Jobs, Posten. (Keine „Ämtli“, da dieses Wort erniedrigend gefühlt wird, und das Kind einen wichtigen, gleichwertigen Beitrag leisten will.) Und wenn möglich: nicht beachten des nicht erwünschten Verhaltens.

> Zweite Stufe: Recht haben wollen. Unbewusste Meinung des Kindes: Nur wenn ich gewinne, bin ich „gut genug“. (Widersprechen, gewinnen wollen, ein ständiger Machtkampf) Die Erwachsenen reagieren leicht gereizt, wütend, ich will gewinnen! Recht-haben!

Ausstieg