Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

Arguing with Zombies: Economics, Politics, and the Fight for a Better Future

ISBN 978-1-324-00501-8

Copyright der Originalausgabe 2020

Copyright © 2020 by Paul Krugman. All rights reserved.

Originally published in the United States by W. W. Norton & Company, Inc.,

500 Fifth Avenue, New York, N.Y. 10110.

Copyright der deutschen Ausgabe 2021:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Matthias Schulz

Gestaltung Cover: Daniela Freitag

Gestaltung, Satz und Herstellung: Timo Boethelt

Lektorat: Sebastian Politz

ISBN 978-3-86470-733-9

eISBN 978-3-86470-734-6

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Im Gedenken an meinen verstorbenen Kollegen und Freund

Uwe Reinhart, der mehr als alle anderen die Debatten

über Gesundheitsökonomie vorangetrieben hat.

Er hat mir sehr geholfen, mich nicht zum Narren zu machen.

WIRTSCHAFTSNOBELPREISTRÄGER

PAUL KRUGMAN

KAMPF DEN ZOMBIES

Warum manche Ideen aus Politik und Wirtschaft nicht totzukriegen sind

INHALT

DANKSAGUNG

EINLEITUNG: DER GUTE KAMPF

1. DIE RETTUNG DER SOZIALVERSICHERUNG

Essay: Nach der Khaki-Wahl

Schreckgespenst Sozialversicherung

Die erfundene Krise

Der Glaube ans Scheitern

Lektionen aus der Sozialversicherung

Erinnerungen an die Privatisierung

Die Schokoladenseiten des Staats

2. DER WEG ZU OBAMACARE

Essay: Eine positive Agenda

Der Patient Krankenversicherung

Musterschüler im Gesundheitswesen

Terror im Gesundheitswesen

Bitte warten Sie

Hoffnung im Gesundheitswesen

Angst im Abseits

Obamacare will und will nicht scheitern

Fantasiegespinste im Gesundheitswesen

3. DER ANGRIFF AUF OBAMACARE

Essay: Ein Akt der Grausamkeit

Drei Beine gut, kein Bein schlecht

Die geniale Stabilität von Obamacare

Krank werden, pleitegehen, sterben

So können die Demokraten bei der Krankenversicherung abliefern

4. EINE BLASE PLATZT

Essay: Die Summe aller Furcht

Blasen sind aus

Dieses Zischen

Wir innovieren uns in die Finanzkrise

Die Madoff-Wirtschaft

Die Ignoranz-Strategie

Keiner versteht Schulden

5. KRISENMANAGEMENT

Essay: Der Triumph der Makroökonomie

Rückkehr der Depressionsökonomie

IS-LMentar

Eine Mathematik des Konjunkturpakets (Nerdkram, aber wichtig)

Die Obama-Lücke

Die Tragödie des Konjunkturprogramms

6. DIE KRISE DER WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTEN

Essay: Die Kosten schlechter Ideen

Die sagenhaften 70er

Diese 80er-Show

Wie konnten Ökonomen dermaßen danebenliegen?

Schlechte Absichten, Pathos und die Ökonomie der Republikaner

Wo liegt das Problem bei Functional Finance? (Nerdkram)

7. AUSTERITÄT

Essay: Very Serious People

Mythen der Sparpolitik

Die Excel-Depression

Jobs, Qualifikationen und Zombies

Struktureller Quatsch

8. DER EURO

Essay: Eine Brücke zu viel

Der spanische Gefangene

Die Hummel ist abgestürzt

Europas unmöglicher Traum

Was ist los mit Europa?

9. FALSCHE FUFFZIGER IN DER FISKALPOLITIK

Essay: Die Leichtgläubigkeit der Defizitnörgler

Der tolle Mister Flim-Flam

Die gekaperte Kommission

Was steht drin im Ryan-Plan?

Schmelzende Schneebälle und der Schuldenwinter

Demokraten, Darlehen und Doppelmoral

Über das Bezahlen einer progressiven Agenda

10. STEUERSENKUNGEN

Essay: Der Ober-Zombie

Das Twinkie-Manifest

Der größte Steuerbetrug der Geschichte

Trumps Steuerschwindel, Phase 2

Warum war Trumps Steuersenkung so eine Luftnummer?

Trumps Steuersenkung – noch schlimmer, als Sie gehört haben

Die Reichen einseifen

Elizabeth Warren macht den Teddy Roosevelt

11. HANDELSKRIEGE

Essay: Globaler Quatsch und das Echo

Oh, was für ein trumpiger Handelskrieg!

Eine Einführung in Handelskriege

Das Comeback der korrupten Zölle

12. UNGLEICHHEIT

Essay: Amerika in Schieflage

Die Reichen, die Rechten und die Fakten

Graduierte oder Oligarchen?

Geld und Moral

Gebt nicht Robotern die Schuld an niedrigen Löhnen

Was stimmt nicht mit Trumpland?

13. KONSERVATIVE

Essay: Die neue konservative Bewegung

Dieselbe alte Partei

Eric Cantor und der Tod einer Bewegung

Der große Mitte-rechts-Trugschluss

Die Leerräume der US-Politik

14. IGITT! SOZIALISMUS!

Essay: Sozialistenhetze im 21. Jahrhundert

Kapitalismus, Sozialismus und Unfreiheit

Nicht alles ist faul im Staate Dänemark

Trump gegen die sozialistische Gefahr

15. KLIMA

Essay: Das Wichtigste überhaupt

Trump und die tödlichen Totalverweigerer

Die Verderbtheit der Klimawandelleugner

Die Klimafrage war die Feuerprobe für den Trumpismus

Hoffen wir auf ein grünes neues Jahr

16. TRUMP

Essay: Warum nicht das Schlimmste?

Das Paranoide in der Politik der Republikanischen Partei

Trump und die Aristokratie des Betrugs

Schluss damit: Trump ist kein Populist

Parteilichkeit, Parasiten und Polarisierung

Warum es auch hier geschehen kann

Wer hat Angst vor Nancy Pelosi?

Wahrheit und Tugend in Zeiten Trumps

Das monströse Endspiel des Konservatismus

Männlichkeit, Moneten, McConnell und Trumpismus

17. ÜBER DIE MEDIEN

Essay: Mehr als Fake News

Lockangebote

Triumph des Belanglosen

Erfüllen Wirtschaftsanalysen überhaupt einen Zweck?

Ein Jahr der Dummheit

Hillary Clinton ergeht es wie Gore

18. GEDANKEN ZUR WIRTSCHAFT

Essay: Die trostlose Wissenschaft

Wie ich arbeite

Die Instabilität der Moderation

Transaktionskosten und Bindungen: Warum ich ein Krypto-Skeptiker bin

ANHANG

DANKSAGUNG

Der Großteil der Artikel in diesem Buch erschien ursprünglich als Zeitungskolumnen. Beim Schreiben von Kolumnen ist es nahezu unmöglich, sich in Echtzeit zu beraten oder auch nur zusammenzuarbeiten. Man steht auf, trinkt einen Kaffee, entscheidet, worüber man schreiben wird (im Voraus zu planen lohnt sich meistens nicht, weil einen das Tagesgeschehen oft genug überrollt), und gibt bis 17 Uhr seinen Text ab. Bei Blogeinträgen vergeht zum Teil keine Stunde, bis aus einer vagen Idee ein Text wird, der öffentlich zugänglich ist. Hier bleibt also noch weniger Zeit, um Diskussionen zu führen. In den meisten Fällen blieb nur eine Person, bei der ich konstruktive Kritik und ein Echo einholen konnte, und das war meine Frau Robin Wells, deren Rückmeldungen häufig von unschätzbarem Wert waren. Doch die Grundlage des Kolumnenschreibens bilden laufende Diskussionen zu unterschiedlichen Themen. Im Verlauf der hier abgebildeten 15 Jahre habe ich die Intelligenz und das Wissen zahlreicher Personen in Anspruch genommen. Ich werde versuchen, einige wenige hier zu nennen, wohl wissend, dass diese Liste alles andere als vollständig ist – ich habe im Verlauf dieser Zeit buchstäblich Tausende Kolumnen und Blogeinträge verfasst und kann mich in vielen Fällen nicht einmal mehr erinnern, wessen Expertise ich dafür in Anspruch genommen habe – und dass zahlreiche Personen zu Unrecht nicht erwähnt werden.

Beim Thema Gesundheitswesen habe ich viel Hilfe von Uwe Reinhardt erhalten, dem dieses Buch auch gewidmet ist, und von Jonathan Gruber.

Dean Baker verhalf mir zu der Überzeugung, dass wir ein gewaltiges Problem mit einer Blase auf dem Häusermarkt haben.

Brad DeLong und ich agierten im Grunde wie ein Team mit unseren Forderungen, auf die Krise eine keynesianische Antwort zu finden.

Für meinen Artikel über die Probleme mit Finanzen und der Markteffizienzhypothese habe ich mich sehr auf die Arbeit von Justin Fox gestützt.

Mike Konczal half mir, die fehlgeleitete Logik der Austeritätspolitik zu begreifen, und Simon Wren-Lewis half mir zu verstehen, warum diese fehlgeleitete Logik in Großbritannien vorherrschte.

Richard Kogan war, wenn ich mich recht entsinne, die erste Person, die mich darauf hinwies, dass das Problem der Schuldenlawine gar nicht existierte.

Emmanuel Saez und Gabriel Zucman haben uns allen nicht nur enorm viel über Besteuerung beigebracht, sie haben mir auch sehr dabei geholfen, neue Vorschläge der Demokraten zu verstehen, insbesondere die von Warren angeregte Vermögensteuer.

Chad Brown ging mit mir durch, was bei Trumps Strafzöllen geschah. Larry Mishel hat mir fast alles beigebracht, was ich über die Zusammenhänge (oder die fehlenden Zusammenhänge) zwischen Technologie und Ungleichheit weiß. Grundsätzlich habe ich mich häufig auf meine Stone-Center-Kollegin Janet Gornick verlassen, wenn es darum ging, Daten zur Ungleichheit zu interpretieren.

Was ich über die neue konservative Bewegung weiß, stammt größtenteils von Rick Perlstein.

Leslie McCall, eine weitere Kollegin vom Stone Center, half mir, die politikwissenschaftlichen Grundlagen hinter der Wählerhaltung zu Steuern und Haushaltsausgaben korrekt (oder zumindest weniger falsch) zu erfassen.

Meine Korrespondenz mit dem unvergleichlichen Michael Mann half mir, die hässlichen politischen Seiten der Klimawissenschaft zu begreifen.

Und schließlich noch ein Wort des Danks an Drake McFeely von Norton, der bereits lange, bevor ich für die Times zu schreiben begann, meine Bücher verlegte. Dank ihm sind sie viel besser, als sie es ansonsten geworden wären.

EINLEITUNG

DER GUTE KAMPF

Ein Leben als Experte war niemals Teil des Plans.

Als ich 1977 graduierte, träumte ich von einem Leben in Lehre und Forschung. Sollte ich überhaupt eine Rolle in öffentlichen Debatten spielen, dann voraussichtlich die als Technokrat – als jemand, der politischen Entscheidern leidenschaftslos Informationen darüber zukommen lässt, was funktioniert und was nicht.

Und tatsächlich ist es so: Sieht man sich an, was aus meiner Forschungsarbeit am meisten zitiert wird, dann handelt es sich vorwiegend um unpolitische Dinge. Es dominieren Arbeiten über Wirtschaftsgeografie und internationalen Handel. Diese Arbeiten sind nicht nur unpolitisch, sie befassen sich größtenteils überhaupt nicht mit Politik. Es geht vielmehr darum, einen Sinn hinter globalen Handelsmustern und den Standorten von Wirtschaftszweigen zu erkennen. In der Fachsprache handelt es sich um „positive Volkswirtschaftslehre“ – es wird analysiert, wie die Welt funktioniert – und nicht um „normative Volkswirtschaftslehre“ – Rezepte dafür, wie die Welt eigentlich funktionieren sollte.

Doch im Amerika des 21. Jahrhunderts ist alles politisch. In vielen Fällen gilt es bereits als parteiische Handlung, die Faktenlage zu einer bestimmten ökonomischen Frage zu akzeptieren. Ein Beispiel: Wenn die Federal Reserve jede Menge Staatsanleihen kauft, wird die Inflation dann steigen? Empirisch ist die Antwort eindeutig: Nein, wenn sich die Wirtschaft in einer Depression befindet. Die Fed kaufte nach der Finanzkrise von 2008 für 3.000 Milliarden Dollar Staatsanleihen, aber die Inflation blieb auf niedrigem Niveau. Doch Behauptungen, die Politik der Fed fördere die Inflation, wuchsen sich zur offiziellen Linie der Republikaner aus, insofern galt es schon als liberale Haltung, einfach nur die Realität zu akzeptieren.

In manchen Fällen gilt es schon als parteiisch, bestimmte Fragen zu stellen. Wenn Sie fragen, wie es um die Einkommensungleichheit bestellt ist, rechnen Sie damit, dass nicht wenige Konservative Sie als unamerikanisch anprangern werden. Allein schon die Verteilung der Einkommen zu thematisieren oder zu vergleichen, wie schnell die Einkommen der Mittelschicht und die der Reichen wachsen, ist aus deren Sicht „marxistisches Gerede“.

Und selbstverständlich ist bei der Ökonomie nicht Schluss. Im Vergleich zu Klimaforschern haben wir Ökonomen es einfach, denn ihnen droht Verfolgung, weil ihre Schlussfolgerungen mächtigen Interessengruppen nicht gefallen. Oder nehmen Sie die Sozialwissenschaftler, die die Ursachen der Waffengewalt erforschen: Von 1996 bis 2017 war es der Seuchenschutz- und Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control buchstäblich verboten, Forschung zu finanzieren, die sich mit Verletzungen und Todesfällen durch Schusswaffen befasste.

Was also tun als angehender Wissenschaftler? Eine Möglichkeit besteht darin, die politischen Grabenkämpfe auszublenden und einfach seine Arbeit zu machen. Eine derartige Entscheidung kann ich respektieren und für die meisten Wissenschaftler (sogar in der Volkswirtschaftslehre) ist es die richtige Entscheidung.

Aber wir benötigen auch öffentliche Intellektuelle: Menschen, die die Forschung verstehen und respektieren, dabei aber bereit sind, sich ins politische Getümmel zu stürzen.

Dieses Buch ist eine Sammlung von Artikeln, in denen ich versucht habe, diese Rolle zu spielen. Sie sind größtenteils für die New York Times geschrieben. Ich gehe später darauf ein, wie ich in diese Situation geraten bin und was ich versuche, daraus zu machen. Zunächst jedoch möchte ich eine andere Frage stellen: Was hat es mit all der Politisierung auf sich?

DIE WURZELN DER POLITISIERUNG

In der Politik gibt es zahllose Themen und man kann sich gut vorstellen, dass die Menschen eine Vielzahl von Positionen einnehmen, die sich nicht entlang einer einfachen Links-rechts-Achse einsortieren lassen. Es lassen sich Wähler vorstellen, die sehr für strengere Waffenkontrollen eintreten und aggressivere Maßnahmen gegen die globale Erwärmung fordern, aber wenn es um die Sozialversicherung und den Gesundheitsdienst Medicare geht, befürworten sie eine Privatisierung oder gleich die vollständige Abschaffung dieser Angebote.

In der Praxis dagegen ist die Politik im modernen Amerika ziemlich eindimensional. Das gilt ganz besonders bei den gewählten Volksvertretern. Sagen Sie mir, wo ein Kongressmitglied zu einem Thema wie allgemeine Gesundheitsversorgung steht, und ich kann Ihnen sagen, wo diese Person in Klimafragen steht (und andersherum). Was definiert diese politische Eindimensionalität? Grundsätzlich ist es das traditionelle Links-rechts-Kontinuum: Wie stark sollte der Staat Ihrer Meinung nach in eine freie Marktwirtschaft eingreifen, um Risiken und Ungleichheiten zu reduzieren? Möchten Sie eine Gesellschaft wie im modernen Dänemark mit hohen Steuern, starker sozialer Absicherung und umfangreichem Schutz der Arbeitnehmer, oder möchten Sie eine Gesellschaft wie Amerika im „Gilded Age“ [Anm. d. Übers.: die Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs nach Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs], als „Laissez-faire“ das Motto des Tages war?

Auf einer Ebene geht es bei dieser Streitskala um Werte. Im linken Lager herrscht eine Vorstellung sozialer Gerechtigkeit vor, wie sie der Philosoph John Rawls formulierte: Die Menschen sollten für die Art von Gesellschaft eintreten, die sie wählen würden, wenn sie nicht wüssten, wer sie sind und welche Rolle sie zu spielen haben. Diese moralische Haltung lässt sich zusammenfassen als: „Ich habe es nur Gottes Gnade (bei weniger religiöser Neigung auch: dem Schicksal/der Fügung) zu verdanken, dass ich in dieser Lage bin.“

Im rechten politischen Lager dagegen halten es viele Menschen für unmoralisch, dass sich der Staat in der Absicht einmischt, Ungleichheit und Risiken zu minimieren. Wenn man die Reichen besteuert, um den Armen zu helfen, kommt das einer Art Diebstahl gleich, und sei die Absicht noch so lohnenswert.

Die Volkswirtschaftslehre gibt uns nicht vor, welchen Werten wir anhängen sollten. Sie kann uns allerdings verraten, was von einer Politik zu erwarten ist, die einem bestimmten Wertekanon entspricht. Da jedoch kommt die Politisierung ins Spiel. Insbesondere Gegner einer größeren Rolle des Staats argumentieren gern, dass eine derartige Rolle nicht nur unmoralisch sei, sondern auch kontraproduktiv, ja, sogar destruktiv. Und wenn die Fakten dies nicht hergeben, werden halt die Fakten attackiert, wie auch jene, die diese Fakten produzieren.

Im Grunde kann diese Form der Politisierung sowohl von links wie auch von rechts kommen. Tatsächlich gab es Fälle, wo mächtige Akteure sich weigerten einzugestehen, dass beispielsweise Preiskontrollen zu Verknappungen führen können oder dass das Drucken von Geld Inflation nach sich zieht – siehe „Venezuela, jüngste Geschichte“. Selbst in Amerika gibt es im Lager der Linken einige, die Sie (also mich) als von Unternehmensinteressen gesteuerten Lakai hinstellen, weil Sie darauf hingewiesen haben, dass es mehrere Wege gibt, zu einer allgemeinen Gesundheitsversorgung zu gelangen, und dass sich dies erreichen lässt, ohne Privatversicherer ihrer wichtigen Rolle zu berauben.

Doch dass im modernen Amerika alles politisch aufgeladen ist, hängt angesichts der Realitäten von Geld und Macht vor allem mit Druck von rechts zusammen.

Denn auch wenn sich philosophische Argumente für eine Gesellschaft mit geringen Steuern und minimaler staatlicher Intervention anführen ließen, setzt der moderne Konservatismus doch weniger auf philosophische Überzeugungskraft als vielmehr auf die Tatsache, dass einige Leute persönlich massiv profitieren würden, würden wir Kurs zurück auf das „Gilded Age“ nehmen. Diese Gruppe mag nicht sehr groß sein, aber sie ist extrem wohlhabend. Sie hat ein starkes Interesse daran, zu vermitteln, dass eine Entwicklung in die von ihnen präferierte Richtung zum Wohle aller wäre. Und so ist die finanzielle Unterstützung durch rechtsgerichtete Milliardäre eine mächtige Kraft, wenn es darum geht, Zombie-Ideen am Leben zu erhalten – Ideen, die Gegenbeweise längst hätten aus der Welt schaffen müssen, die stattdessen jedoch weiter durch die Gegend schlurfen und sich in den Gehirnen der Menschen festsetzen.

Kein anderer Zombie hält sich so hartnäckig wie die Aussage, dass eine Besteuerung der Reichen verheerende Folgen für die gesamte Wirtschaft hat und Steuersenkungen für Spitzenverdiener deshalb ein wundersames Wirtschaftswachstum nach sich ziehen. Wieder und wieder versagt diese Doktrin in der Praxis, aber das ändert nichts an der stetig wachsenden Unterstützung, die die These in der Republikanischen Partei findet.

Es sind noch andere Zombies unterwegs: Wenn Sie einen Niedrigsteuerstaat mit wenigen staatlichen Leistungen haben wollen, sollten Sie betonen, dass soziale Netze schädlich sind und nicht funktionieren. Mit viel Mühe und Aufwand beharrt man also darauf, dass eine allgemeine Gesundheitsversorgung unmöglich sei, auch wenn es abgesehen von den USA jedes andere fortschrittliche Land der Welt irgendwie dennoch hinbekommt.

Sie verstehen, worauf ich hinauswill. Die Politisierung von Analysen zu Steuern und Ausgaben ist leicht nachvollziehbar, aber warum erstreckt sich die Politisierung auch auf Bereiche, in denen die Klasseninteressen nicht so deutlich auf der Hand liegen? Selbst Milliardäre benötigen einen bewohnbaren Planeten, warum also hat sich der Klimawandel zu solch einem Zankapfel zwischen links und rechts entwickelt? Rezessionen tun allen weh, warum also sperren sich Konservative dagegen, zur Bekämpfung von Wirtschaftsflauten Geld zu drucken? Und warum hängen rassistische Einstellungen so eng mit der Haltung zu Besteuerung und Staatsausgaben zusammen?

Ein Großteil der Antwort hat damit zu tun, dass die politischen Akteure (zu Recht, meine ich) glauben, alle Formen staatlichen Handelns seien durch eine Art Halo-Effekt miteinander verbunden. Sind die Menschen davon überzeugt, dass der Staat aktiv werden muss, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren, dann sind sie auch offener für die Vorstellung, der Staat müsse aktiv werden, um Ungleichheit zu reduzieren. Sind sie überzeugt, dass sich Rezessionen mithilfe der Geldpolitik bekämpfen lassen, sind sie auch offener für politische Maßnahmen, die den Zugang zu medizinischer Versorgung erweitern.

Das war schon immer so. Die amerikanische Rechte kämpfte in den 1940er- und 1950er-Jahren voller Inbrunst gegen den Keynesianismus. Das ging so weit, dass sie versuchte zu verhindern, dass diese Theorien an den Universitäten gelehrt werden – und das, obwohl John Maynard Keynes sie völlig zu Recht als „moderat konservative“ Doktrin beschrieb – als Weg, den Kapitalismus zu erhalten, und nicht als Versuch, ihn zu ersetzen. Warum also der Widerstand? Weil die Republikaner die Lehre als Keil ansahen, der die Tür für mehr Staat im Allgemeinen öffnen würde. Heute sind wir viel stärker politisiert als damals, insofern reicht die Politisierung auch weiter.

Neben dem Halo-Effekt wirkt sich noch strategisches Politikdenken aus. Früher einmal besaß die Politiklandschaft in Amerika zwei Dimensionen und nicht bloß eine – es gab eine Links-rechts-Achse, aber auch eine Rassengleichheit-Rassentrennung-Achse. Und bis zum heutigen Tag gibt es eine beträchtliche Zahl von Wählern, denen für ihre eigenen Belange Big Government gefällt, die aber keine Menschen mit dunklerer Haut mögen. (Die gegenteilige, libertäre Position – wenig Staat und Rassentoleranz – ist logisch stimmig, aber außer ein paar Dutzend Typen mit Fliegen um den Hals scheinen sich nur wenige dafür begeistern zu können.) Aber es gibt nahezu keine rassistischen Big-Government-Politiker. Stattdessen versucht die ökonomische Rechte die weiße Arbeiterschaft für sich zu gewinnen, indem sie deren Feindseligkeit gegenüber anderen Rassen bedient (während sie gleichzeitig die Programme angreift, von denen die Arbeiterschaft abhängig ist). Das hat dazu geführt, dass Rassentoleranz und andere Formen von Linksliberalismus wie Geschlechtergleichheit und LGBTQ-Rechte derselben politischen Spaltung unterliegen wie alles andere.

Wozu all das geführt hat, sagte ich bereits: Alles ist politisch. „Jeder hat ein Recht auf seine eigene Meinung, aber nicht auf seine eigenen Fakten“, sagte der demokratische Senator Daniel Patrick Moynihan, doch im modernen Amerika glauben viele Menschen, sie hätten durchaus ein Anrecht auf ihre eigenen Fakten. Das bedeutet, der Traum der Technokraten, als politisch neutrale Analysten politischen Entscheidern zu besserer Regierungsarbeit zu verhelfen, ist tot, zumindest für den Augenblick. Doch Wissenschaftlern, die sich dafür interessieren, in welche Richtung wir uns als Gesellschaft bewegen, stehen noch weitere Möglichkeiten offen.

EXPERTENTUM IM ZEITALTER DER POLARISIERUNG

Angenommen, Sie sind jemand, der sich in einem technischen Thema wie der Volkswirtschaftslehre recht gut auskennt, der aber auch Einfluss auf den öffentlichen Diskurs nehmen möchte, also darauf, wie Menschen, die sich mit den technischen Themen nicht auskennen oder sich dafür nicht interessieren, über dieses Thema debattieren. Offenkundig beschreibt das meinen Status, aber es trifft auch auf eine Reihe anderer Personen zu. Es gibt andere Ökonomen, die sich in den öffentlichen Raum gewagt haben – Leute wie Joseph Stiglitz, ein großartiger Ökonom, der sich als öffentlicher Intellektueller neu erfunden hat, oder Simon Wren-Lewis aus Großbritannien. Zudem gibt es immer mehr Journalisten mit einem guten Hintergrund in Ökonomie, etwa David Leonhardt von der Times oder Catherine Rampell von der Washington Post. Was ist nötig, um diese Rolle wirksam ausfüllen zu können?

Im letzten Abschnitt des Buchs finden Sie einen Essay („Wie ich arbeite“), den ich 1991 geschrieben habe und der vier Grundregeln für die Forschung enthält. Lassen Sie mich an dieser Stelle meine vier Regeln für eine professionelle Auseinandersetzung mit den Medien vorstellen, die sich auf nahezu alles in diesem Buch auswirken. Die ersten beiden Regeln sollten nicht strittig sein, die anderen beiden schon eher, schätze ich. Hier ist die Liste:

Bleib bei den einfachen Sachen

Schreibe auf Englisch

Sei ehrlich, was Unehrlichkeit angeht

Habe keine Angst, über Motive zu sprechen

BLEIB BEI DEN EINFACHEN SACHEN

In der Volkswirtschaftslehre gibt es zahlreiche schwierige Fragen – Fragen, bei denen auch ernsthafte, ehrliche Wissenschaftler nicht zu einem Konsens finden. Wie sollten Experten/Ökonomen mit derartigen Fragen umgehen?

Ich empfehle in diesem Fall meistens, dass sie, wo immer es geht, von derartigen Fragen die Finger lassen sollten. In Wirklichkeit dreht sich in der realen Welt die absolute Mehrheit der Ökonomie-Dispute um einfache Fragen, also Fragen, für die ganz eindeutig richtige Antworten vorliegen, bei denen mächtige Interessengruppen diese Antworten aber nicht akzeptieren wollen. Man kann den öffentlichen Diskurs verbessern, indem man sich auf diese Fragen konzentriert und sich bemüht, die richtigen Antworten zu vermitteln. Die kniffligen Fragen verschwinden dadurch nicht, aber die Kommentarseiten von Zeitungen und Zeitschriften sind auch kein guter Platz, um darüber zu diskutieren.

Wenn es beispielsweise um die Auswirkungen von Staatsschulden geht, muss die Öffentlichkeit wissen, dass der Versuch, den Haushalt während einer Wirtschaftsdepression auszugleichen, die Depression verschlimmern wird und dass die Angst, es könne zu einer ausufernden Schuldenspirale kommen, deutlich übertrieben ist. Es gibt andere, kniffligere Themen, etwa die Frage, welcher Zinssatz dazu dienen sollte, Infrastrukturausgaben zu bewerten. Aber die einfachen Fragen liefern reichlich Material, über das es sich zu schreiben lohnt.

SCHREIBE AUF ENGLISCH

Das ist selbstverständlich nicht wortwörtlich zu verstehen. Tatsächlich würde die Welt besser dastehen, wenn mehr Leute grundlegende Konzepte der Wirtschaft auf Deutsch erklären würden. Was ich damit sagen will: Um als Experte effektiv zu sein, müssen Sie mit einer einfachen Sprache arbeiten und nicht voraussetzen, dass die Menschen Konzepte, mit denen sie nicht vertraut sind, schon irgendwie begreifen werden.

Nehmen wir zur Verdeutlichung Increasing Returns and Economic Geography, meine am häufigsten zitierte wissenschaftliche Arbeit. In den Jahren, in denen ich ausschließlich forschte (das Paper wurde 1991 veröffentlicht), galt ich unter Ökonomen als jemand, der klar schrieb, der gut Intuitionen vermitteln konnte und der den Mathematikanteil überschaubar hielt. Dennoch finden Sie in dieser Arbeit Aussagen wie diese (und mit den Gleichungen will ich gar nicht erst anfangen): „Bei Vorliegen eines unvollkommenen Wettbewerbs und positiven Feedback-Effekten kommt es auf pekuniäre Externalitäten an.“ Ob wohl auch nur ein Prozent meiner Leserschaft bei der Times eine klare Vorstellung davon hätte, worum es da geht?

Keine Fachausdrücke zu verwenden ist schwieriger, als es klingt. Das liegt zum Teil daran, dass Fachsprache meistens einen Zweck erfüllt – dieses Zitat vermittelt seinem Zielpublikum etwas sehr Wichtiges und ohne die Kunstbegriffe bräuchte es viel Raum und Zeit und Hunderte, wenn nicht Tausende Worte, um denselben Punkt zu vermitteln. Ein weiterer Grund: Wenn man sich seit Jahren mit einem technischen Thema befasst hat, kann es einem schwerfallen, sich zu erinnern, wie normale oder sogar kluge, gebildete Menschen tatsächlich sprechen.

Ich schreibe seit zwei Jahrzehnten für die Times und doch bekomme ich noch immer gelegentlich Nachfragen aus dem Lektorat zu der einen oder anderen Passage, weil dort etwas nicht verstanden wurde (und es die Leser nicht verstehen werden), weil ich, ohne nachzudenken, unterstellt habe, dass die allgemeine Leserschaft mit Begrifflichkeiten genauso umgeht, wie es Ökonomen tun. Wenn Ökonomen beispielsweise von Investitionen reden, meinen sie normalerweise den Bau neuer Fabriken und Bürogebäude, aber das müssen sie auch ausdrücklich dazusagen, wenn sie nicht wollen, dass die Leser glauben, sie würden über Aktienkäufe und dergleichen reden.

Genauso wenig bedeutet das aber auch, dass man seine Leser für dumm halten sollte. Man muss sich nur genau überlegen, wie man kommunizieren möchte. 2019 veröffentlichte ich eine Kolumne („Getting Real About Rural America“), die teilweise eine verkappte Umformulierung von Argumenten aus besagter Arbeit von 1991 war. Ich glaube, die meisten Leser haben begriffen, worauf ich hinauswollte, auch wenn ich viele von ihnen verärgerte.

SEI EHRLICH, WAS UNEHRLICHKEIT ANGEHT

Jetzt kommen wir zu den kontroverseren Bereichen des Expertentums. Wie bereits gesagt, ist heutzutage alles politisch. Das führt dazu, dass viele öffentliche Debatten in der Volkswirtschaftslehre und in allen anderen Bereichen in böser Absicht geführt werden.

Nehmen wir das augenscheinlichste Beispiel: Wer dafür eintritt, dass wir die Steuern für die Reichen senken sollten, mag so tun, als habe er die Faktenlage studiert und sei dann zu diesem Urteil gelangt, aber das stimmt nicht. Es gibt keine Beweise, die jemanden dazu bringen würden, seine Meinung zu ändern. In der Praxis reagiert dieses Lager auf Gegenbeweise, indem es die Messlatte verschiebt. Dieselben Leute, die prognostizierten, dass Bill Clintons Steuererhöhung eine Depression nach sich ziehen würde, erklären nun, dass der Boom der Clinton-Ära eine langfristige Auswirkung der Steuersenkungen gewesen sei, die Ronald Reagan 1981 vornahm. Oder sie lügen einfach und denken sich Zahlen und andere „Fakten“ aus.

Wie also sollte ein Ökonom/Experte mit einer derartigen Realität umgehen? Ich kenne eine Antwort, von der ich weiß, dass sie vielen Ökonomen zusagt: weitermachen, als führe man eine Diskussion in guter Absicht. Man präsentiert die Beweise und erklärt, warum es bedeutet, dass die eine Seite recht hat und die andere unrecht. Fertig, aus.

Ich vertrete, wie Sie sich gewiss gedacht haben, einen anderen Standpunkt: Aus meiner Sicht reicht das nicht und ist dem Publikum gegenüber sogar unfair. Wenn Sie sich mit Argumenten auseinandersetzen, die in böser Absicht vorgebracht werden, sollte die Öffentlichkeit nicht nur erfahren, dass diese Argumente falsch sind, sondern auch, dass sie in böser Absicht angeführt werden. Es ist, um ein anderes Beispiel anzuführen, wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Menschen falschlagen, die prognostizierten, dass die Anleihekäufe der Fed zu einer galoppierenden Inflation führen würden. Wichtig ist aber auch, darauf hinzuweisen, dass keiner aus diesem Lager bereit war, seine Fehleinschätzung einzugestehen oder zu erklären, wie man auf die falsche Spur geraten war … und dass einige abrupt ihre Haltung in dem Augenblick änderten, als ein Republikaner ins Weiße Haus einzog.

Anders gesagt: Wir sollten ehrlich sein, was die Unehrlichkeit anbelangt, die sich durch politische Debatten zieht. Häufig ist Verlogenheit die Botschaft. Und das bringt mich zu meiner abschließenden Regel.

HABE KEINE ANGST, ÜBER MOTIVE ZU SPRECHEN

Ich wünschte, wir würden in einer Welt leben, in der man davon ausgehen kann, dass politische Argumente in guter Absicht vorgetragen werden. Auf einige Fälle trifft das tatsächlich zu. So gibt es eine echte Debatte zu der Frage, wie wirksam die „quantitative Lockerung“ (das Anleihekaufprogramm der Fed) die Wirtschaft ankurbelt. Ich zähle zu den Skeptikern, kann die Optimisten aber respektieren und denke, beide Seiten sind offen dafür, sich überzeugen zu lassen.

Doch in den meisten wichtigen politischen Debatten, die im 21. Jahrhundert in Amerika geführt werden, argumentiert eine Seite dauerhaft in böser Absicht. Ich habe bereits dafür plädiert, dass man darauf hinweisen und den Lesern erklären muss, dass die abgehobenen Behauptungen über die Wirksamkeit von Steuersenkungen falsch sind, aber nicht nur das: Man muss auch dazu sagen, dass diejenigen, die derartige Behauptungen ins Feld führen, wissentlich unaufrichtig sind. Und ich möchte noch einen Schritt weitergehen: Wer fair mit seiner Leserschaft umgehen möchte, muss auch erklären, warum diese Menschen unehrlich sind.

Das bedeutet hauptsächlich, über das Wesen des modernen amerikanischen Konservatismus zu sprechen und über das verflochtene Netz von Medienorganisationen und Denkfabriken, die die Interessen rechtsgerichteter Milliardäre bedienen, ein Netz, das im Grunde die Republikanische Partei übernommen hat. Es ist dieses Netzwerk namens Movement Conservatism, das Zombie-Ideen wie den Glauben an die Magie von Steuersenkungen am Leben erhält. Bei einer echten, in guter Absicht geführten Debatte gehört es sich nicht, die Motive der Gegenseite infrage zu stellen. Debattiert man allerdings mit Widersachern, die in böser Absicht handeln, hat es mit Aufrichtigkeit und dem Umgang mit dem tatsächlichen Geschehen zu tun, auf die Motive der Gegenseite einzugehen.

Ich wünschte, die Welt wäre anders. Manchmal sehne ich mich nach der Naivität meiner beruflichen Jugend zurück, als ich einfach versuchte, die richtige Antwort zu finden, und als ich davon ausgehen konnte, dass die Menschen, mit denen ich debattierte, dasselbe Ziel verfolgten. Aber wenn Sie als öffentlicher Intellektueller Wirkung erzielen wollen, dann befassen Sie sich mit der Welt, in der Sie leben, nicht mit der, in der Sie gern leben würden.

ÜBER DIESES BUCH

Ich habe im Jahr 2000 angefangen, für die New York Times zu schreiben. Zuvor hatte ich einige Jahre lang monatliche Kolumnen für Fortune und Slate verfasst, aber in erster Linie war ich noch immer in der Forschung tätig. Tatsächlich verfasste ich 1998, was ich persönlich für meine wohl beste akademische Arbeit halte: „It’s Baaack: Japan’s Slump and the Return of the Liquidity Trap“.

Die Times erwartete von mir, dass ich fast ausschließlich über Wirtschaft und Ökonomie schreibe, aber ich fand mich in einer Situation wieder, die weder ich noch sie so erwartet hätten. Unter George W. Bush war die Regierung in einem Ausmaß unaufrichtig, wie es die amerikanische Politiklandschaft noch nie zuvor erlebt hatte (inzwischen allerdings von den Trumpisten überholt), und sie führte uns mit offensichtlich falschen Behauptungen (zumindest aus meiner Sicht) in einen Krieg. Und doch schien keiner der Kolumnisten in den führenden Zeitungen willens, darauf hinzuweisen. Das war dann wohl meine Aufgabe, hatte ich das Gefühl.

Meine besten Arbeiten aus dieser Zeit veröffentlichte ich 2003 in der Sammlung The Great Unraveling [deutsch: Der große Ausverkauf: Wie die Bush-Regierung Amerika ruiniert, Campus, 2004]. Insofern musste ich mir diese Zeit nicht noch einmal vornehmen, fand ich.

Von wenigen Ausnahmen abgesehen macht dieser Band also 2004 weiter, nach Bushs Wiederwahl. Zu diesem Zeitpunkt befassten sich viele andere Leute mit dem betrügerischen Marsch in den Krieg. Das erlaubte es mir, Themen zu beleuchten, die mir von Haus aus deutlich mehr lagen – etwa der Versuch, die Sozialversicherung zu privatisieren, und die Bemühungen, den Krankenversicherungsschutz auszuweiten.

Mehr als ein Drittel dieses Buchs behandelt unterschiedliche Aspekte der Finanzkrise von 2008 und ihre Auswirkungen. Abgesehen von Leuten, die ohnehin ständig irgendwelche Krisen prognostizieren, hatte diese Krise niemand wirklich kommen sehen. Mir war klar, dass es auf dem Immobilienmarkt eine gewaltige Blase gab, aber das Ausmaß der Schäden, die das Platzen der Blase anrichtete, schockierte mich. Ich hatte nicht erkannt, wie anfällig unser Finanzsystem durch das Wachstum unregulierter „Schattenbanken“ geworden war.

Nach dem Crash allerdings fanden sich Ökonomen, die diese Dinge studiert hatten, auf vertrautem Terrain wieder. Über Finanzkrisen wissen wir viel, sowohl aus der Theorie als auch aus der Geschichte. Wir wissen auch viel darüber, wie Volkswirtschaften nach einer Krise ticken: Meine Arbeit von 1998 befasste sich damit, was geschieht, wenn Nullzins nicht ausreicht, wieder für Vollbeschäftigung zu sorgen. Mit diesem Problem hatten sich bis dato nur die Japaner herumärgern müssen, nun wurde es in der gesamten westlichen Welt zur Norm.

Die rund fünf Jahre nach der Krise von 2008 waren für mich zugleich die besten und die schlimmsten Jahre. Die besten, weil meine Rolle als Zeitungskolumnist und meine akademische Forschung nahezu perfekt ineinandergriffen. Ich konnte viel dazu sagen, was die politischen Entscheider nun zu tun hätten. Die schlimmsten insofern, als die politischen Entscheider sich hartnäckig weigerten, unser Wissen zu nutzen. Stattdessen stritten sie um Haushaltsdefizite, bewaffnet mit schlechten und häufig in schlechter Absicht gegebenen Ratschlägen. Das Ergebnis war gewaltiges und unnötiges Leid.

Im Rest des Buchs geht es vor allem um das, was der Titel schon besagt – ich ärgere mich mit Zombies herum, sei es der Steuersenkungs-Zombie oder der Klimawandel-Zombie, und auch mit der konservativen Bewegung, die dafür sorgt, dass diese Zombies weiterhin in der Gegend herumschlurfen. Natürlich ist auch viel über Donald Trump dabei, aber für mich ist Trump weniger ein Bruch mit der Vergangenheit als vielmehr die Krönung dessen, wohin uns die neue konservative Bewegung seit Jahrzehnten steuert.

Zum Abschluss folgt noch etwas leichtere Lektüre – nun ja, nicht wirklich, aber es sind Sachen, die meine Laune aufhellen. Im letzten Abschnitt empfehle ich eine Auswahl mehr oder weniger stark volkswirtschaftlich geprägter Beiträge, die zu meinen intellektuellen Wurzeln zurückführen. Sie sind etwas anstrengender und enthalten mehr Fachausdrücke als meine Times-Kolumnen, aber ich hoffe, dass sich zumindest einige Leser die Mühe machen, herauszufinden, wie ich tatsächlich über das eine oder andere Thema denke.

Dieses Buch schildert die Geschichte eines Kampfs für Wahrheit, Gerechtigkeit und eine Welt ohne Zombies. Ob dieser Kampf wirklich jemals endgültig gewonnen sein wird? Ich weiß es nicht, aber er kann verloren werden. Auf jeden Fall ist es ein Kampf, den auszutragen es sich lohnt.

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DIE RETTUNG DER SOZIALVERSICHERUNG

NACH DER KHAKI-WAHL

Die Wahlnacht 2004 war kein so gewaltiger Schock, wie es die Wahlnacht 2016 werden sollte, aber Amerikas Liberale waren dennoch zutiefst enttäuscht. Im Rückblick hat sich das Image von George W. Bush verbessert – die Menschen erachten ihn (zu Recht) als besser als Donald Trump und vergessen darüber die Ungeheuerlichkeiten, die sich in seiner Amtszeit zutrugen. An allererster Stelle ist zu nennen, dass er Amerika unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in einen Krieg geführt hat, der den Tod Hunderttausender nach sich zog. Mitzuerleben, wie die Wählerschaft ihn für diese Niedertracht noch belohnte, war nicht schön.

Was hinzukommt: Viele Beobachter sahen die Wahl damals nicht als einmaliges Ereignis, sondern als Startschuss für eine dauerhafte Herrschaft der Konservativen. Im Fernsehen (damals schalteten die Menschen noch die normalen Fernsehsender ein) waren überall Menschen zu sehen, die den Tod des amerikanischen Liberalismus verkündeten und Bushs Wahlsieg als Bestätigung der Theorie einordneten, dass wir Amerikaner im Grunde genommen eine konservative Nation sind.

Doch wer genauer hinschaute, erkannte eine andere Geschichte. Die Wahlen von 2004 waren keine Ratifizierung der konservativen Politik, denn die Wahlen waren insofern bemerkenswert gewesen, als es keine politischen Diskussionen gegeben hatte. Zum Teil lag das daran, dass politische Themen es nicht schafften, die Trivialisierung zu durchbrechen, die weite Teile der Nachrichtenmedien erzeugt hatten. Ich habe mir die Aufzeichnungen der Nachrichtensendungen auf den Fernsehsendern angesehen, weil mich interessierte, was dem Publikum über die gesundheitspolitischen Vorschläge der beiden Kandidaten vermittelt worden war, Vorschläge, die sich doch sehr stark unterschieden. Die Antwort war: nichts. Es war ein paarmal darüber berichtet worden, wie die Vorschläge politisch liefen, aber nicht ein einziges Wort darüber, was denn überhaupt im Programm stand.

Stattdessen ging es in dieser Wahl um Image und Wahrnehmung. Bush sonnte sich noch im Nach-9/11-Glanz und der Illusion, im Irak einen Sieg errungen zu haben. Für viele Amerikaner galt er noch als heldenhafte Ikone der nationalen Sicherheit, insofern war es das, was die Briten eine „Khaki-Wahl“ nennen [Anm. d. Übers.: eine Wahl, die stark von einem laufenden oder gerade erst beendeten Krieg beeinflusst wird]. Ein weiteres wichtiges, wenn auch nicht ganz so zentrales Thema waren die traditionellen Werte: Erste Stimmen hatten sich für eine Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe starkgemacht, was zu heftigen Gegenreaktionen geführt hatte.

Wie ich damals scherzte: Bush wurde wiedergewählt, weil er sich als Beschützer Amerikas vor verheirateten schwulen Terroristen ausgab. Doch was verkündete er unmittelbar nach der Wahl als das dringlichste Mandat seiner Wähler? Die Privatisierung der Sozialversicherung und ihre Umwandlung in ein System privater Rentenkonten.

Warum waren Bush und sein Beraterteam überzeugt, mit diesem Thema einen politischen Sieg erringen zu können? Zum Teil, weil sie – wie so viele wohlhabende Menschen – keine Vorstellung davon hatten, von welch großer Bedeutung die Sozialversicherung für die meisten Amerikaner ist.

Als gut bezahlter politischer Berater, Journalist, Thinktank-Experte oder dergleichen verfügt man vermutlich über eine ordentliche private Altersvorsorge und kann davon ausgehen, mit 65 Jahren über beträchtliche Rücklagen zu verfügen. Doch die meisten Rentner beziehen den Großteil ihres Gelds über die Sozialversicherung, für ein Drittel ist es sogar die einzige Einnahmequelle. Nachdem den Menschen klar wurde, dass Bush das Programm tatsächlich aushöhlen wollte, verloren sie ihre gute Laune.

Doch Bush und seinem Team unterlief nicht nur eine Fehleinschätzung, was die Beliebtheit der Sozialversicherung bei der Wählerschaft insgesamt angeht, man verließ sich auch zu sehr auf den Konsens der Elite. Inzwischen mag sich die Situation ändern, aber während des Zeitraums, den dieses Buch abdeckt, gab es zu jedem Zeitpunkt Dinge, die innerhalb des Beltways jeder, der als klug und gut informiert gelten möchte, „wusste“ – aber nicht, weil diese Dinge unbedingt wahr waren, sondern weil jeder andere aus der Elite sie auch sagte. [Anm. d. Übers.: Innerhalb von Washingtons Ringautobahn (englisch beltway) arbeiten die Politiker, Lobbyisten und Denkfabriken, kurzum das politische Establishment.] Zu den Dingen, die jeder sagte, gehörte, dass die Sozialversicherung in der Krise steckt und einer umfassenden Reform unterzogen werden müsse. Wer so sprach, hatte sich nicht persönlich damit befasst, wie Amerikas Rentensystem funktioniert und wie die künftige Arithmetik aussah. Wer so sprach, wusste bloß, dass von ihm erwartet wurde, so zu sprechen. Ich schrieb einmal, es sei eine Art „Medaille für Ernsthaftigkeit“, wenn man sich hinstelle und erkläre, die Sozialversicherung stecke in der Krise und die Leistungen müssten gekürzt werden.

Der Wunsch, seriös zu klingen, ging mit dem Wunsch einher, „trendy und hip“ zu klingen. Zum Zeitpunkt der Privatisierungsdebatten existierte die Sozialversicherung bereits seit 70 Jahren und für viele Kommentatoren war allein schon das Grund genug für Veränderung. Es musste doch etwas geben, das mehr nach 21. Jahrhundert klang.

Schließlich hatte sich auch die betriebliche Altersversorgung drastisch verändert. Die altmodische Variante, bei der man jeden Monat einen festen Betrag einzahlte („festgelegter Leistungsplan“), war durch ein Modell abgelöst worden („beitragsorientierter Leistungsplan“), bei dem man Geld in ein Investmentkonto einzahlte. Warum nicht mit der Sozialversicherung genauso vorgehen?

Es gab sehr gute Gründe dafür, nicht so vorzugehen. Die neue private Altersvorsorge war viel stärker risikoorientiert, was bedeutete, dass es noch wichtiger für die Menschen war, ein stabiles garantiertes Einkommen für den Fall zu besitzen, dass ihre Investitionen sich als Fehlschlag erwiesen. Für Menschen, die es nicht gewohnt waren, ausführlich über die ökonomischen Grundlagen der Verrentung nachzudenken, war dies jedoch nicht offensichtlich.

Und an dieser Stelle kam ich ins Spiel (und eine Reihe weiterer progressiver Nerds). Im Grunde waren es vor allem zwei Sachen, die die Sozialversicherung vor der Privatisierung retteten – der gewaltige Widerstand, den die Öffentlichkeit leistete, nachdem ihr bewusst wurde, was da geschah, und die entschlossene Haltung der demokratischen Führung und insbesondere von Nancy Pelosi, sich diesem elitären Unfug zu widersetzen. (Pelosi auf die Frage, wann sie ihre eigenen Pläne für die Sozialversicherung vorstellen würde: „Niemals. Reicht Ihnen das als Antwort?“) Aber Leute wie ich hatten eine Rolle (eine wichtige, wie es damals schien) dabei zu spielen, diesem Unfug die Luft herauszulassen: Uns kam die Aufgabe zu, nachzuweisen, dass die vermeintliche Krise nicht real war, dass Privatisierung keine Lösung für ein echtes Problem ist, dass es eine der Aufgaben des Staats ist, Rentnern eine Grundversorgung zukommen zu lassen, und dass der Staat diese Aufgabe besser erledigen kann als der private Sektor.

Und es geschah etwas Erstaunliches: Zum ersten Mal, seit ich Kolumnist für die New York Times geworden war, konnte sich meine Seite tatsächlich in einer politischen Debatte durchsetzen.

SCHRECKGESPENST SOZIALVERSICHERUNG

5. März 2004