Inhalt

  1. Cover
  2. Shadow Hearts – Die Serie
  3. Über diese Folge
  4. Über die Autorin
  5. Titel
  6. 1. Montag
  7. 2. Young Blood
  8. 3. Nebelnacht
  9. 4. Grausamer Sonntag
  10. 5. Tu es!
  11. 6. Amen
  12. 7. Du bist nicht allein
  13. 8. Verdacht
  14. 9. In der Höhle des …
  15. 10. Farväl – Lebewohl
  16. Impressum

Shadow Hearts – Die Serie

Wenn sie Vampire berührt, kann sie deren Erinnerungen sehen. Als Toni diese Gabe an sich entdeckt, ändert sich ihr Leben schlagartig. Bis dahin lief es alles andere als geplant: Ihr Freund hat sie verlassen, sie hat ihr Studium geschmissen und kommt mit ihrem Job als Barkeeperin gerade so über die Runden.

Doch nun begibt sie sich gemeinsam mit dem amerikanischen Vampirjäger Brent auf die Jagd nach Vampiren durch ganz Europa. Und während sie versucht, hinter das Geheimnis ihrer Kräfte zu kommen, kann sie nicht aufhören an den ersten Vampir zu denken, der ihr je begegnet ist – Finn Mathesson.

Über diese Folge

Toni beobachtet seit Tagen einen mysteriösen Gast, der jeden Abend ins Pub kommt. Er ist nicht nur geheimnisvoll, sondern auch unglaublich sexy – und gefährlich. Gerade als sie glaubt, dass es wenigstens in ihrem Liebesleben wieder bergauf geht, passiert ein schrecklicher Mord. Der geheimnisvolle Gast taucht unter. Und nicht nur die Polizei interessiert sich für diesen Fall, sondern auch der nicht minder heiße Amerikaner Brent Foley, der den Mörder seiner Schwester sucht.

Über die Autorin

J.T. Sheridan ist das Pseudonym der Autorin Jessica Bernett. Sie wurde 1978 als Enkelin eines Buchdruckers in Wiesbaden geboren. Umgeben von Büchern und Geschichten entdeckte sie schon früh ihre Begeisterung für das Schreiben. Der Liebe wegen wechselte sie die Rheinseite und lebt heute mit ihrem Mann und ihren Kindern in Mainz. Sheridan hat schon immer davon geträumt, einen Roadtrip durch Europa zu unternehmen und kann dies nun in mit ihrer Heldin Toni in Shadow Hearts ausleben.

J.T. SHERIDAN

Folge 1: Die Gabe

beHEARTBEAT

1. Montag

Mein Leben war eine Katastrophe. Nein, keine Katastrophe. Eher ein dicker klebriger Brei aus Versagen und Chaos.

Ich wünschte, ich wäre eine dieser jungen Frauen, die erfrischt und fröhlich erwachten, ein Workout absolvierten, sich einen gesunden Smoothie mixten und nach einer Dusche aussahen wie Models. Dazu hätte ich mir noch das ein oder andere erotische Abenteuer gewünscht und natürlich Erfolg im super bezahlten Job.

Nun gut, mein Aussehen war ganz passabel. Etwas mehr Sport hätte mir gutgetan. Aber dazu hatte ich keine Zeit. Nachts arbeitete ich in einem Irish Pub, und tagsüber suchte ich nach einem anderen Job, was sich als schwierig erwies, da ich weder eine Ausbildung noch ein abgeschlossenes Studium vorweisen konnte.

Nachdem ich vor acht Monaten das Psychologiestudium geschmissen hatte, war ich einfach in Amsterdam geblieben. Und wenn ich nicht bald einen passablen Job fand, würde ich hier wohl auch für immer bleiben … oder aber, was noch viel schlimmer war, zurück zu meinen Eltern ziehen.

Die wussten nichts von dem abgebrochenen Studium, auch nicht, dass Felix, mein Arsch von Ex, mit mir Schluss gemacht hatte, weil er eine andere gefunden hatte. Eine, die oben ausgeführter Beschreibung einer erfolgreichen Mittzwanzigerin natürlich tausendmal mehr entsprach als ich. Oberflächlicher Mistkerl!

Ihr könnt euch also vorstellen, wie scheiße ich mein Leben an diesem Abend fand, als ich mal wieder das grüne T-Shirt und die schwarze Jeans anzog, eine dicke Strickjacke und einen Mantel überwarf, dazu in schwarze Stiefel stieg und durch die diesigen, öden Straßen zu meinem aussichtslosen Job lief.

Amsterdam war eigentlich eine coole Stadt. Ich mochte die lockere Art der Bewohner, das bunte Treiben, die Touristen, die ihr Leben genossen. Nur leider befanden wir uns nun mitten im Februar. Touris und Trinkgeld fielen dementsprechend gering aus, und der Winter, sofern man dieses diesige Grau überhaupt als Winter bezeichnen konnte, setzte mir in all seiner Ödnis zu.

Ich hätte mir einen wärmeren Ort zum Stranden aussuchen sollen. Hawaii oder Thailand kamen mir in den Sinn, Orte, an denen ich noch nie gewesen war. Oder einen Ort mit richtig viel Schnee wie Kanada. So aber hätte ich auch genauso gut in meinem Heimatdorf mitten in Deutschland bleiben können.

Wäre ich nicht so ein furchtbarer Angsthase, hätte ich meinen Kram zusammenpacken und nach Spanien ziehen können, wo meine Eltern seit ein paar Jahren mit meinen beiden Geschwistern lebten. Aber ich war noch nicht bereit dazu, ihnen gegenüberzutreten. Ich hatte es mir selbst ausgesucht, allein in Deutschland zurückzubleiben und dann in Amsterdam mein Studium fortzusetzen. Denn eigentlich wollte ich frei und unabhängig sein, kein Anhängsel meiner überbesorgten Eltern.

Der einzige Lichtblick des Tages war, dass heute ein Karaoke-Abend im Pub stattfand. Die Montage waren nicht so gut besucht wie die Wochenenden, aber mit Karaoke hatten wir oft Glück und ein Junggesellenabschied verirrte sich zu uns oder eine andere Gruppe von Leuten, die entspannt Spaß haben wollten.

Wir öffneten um achtzehn Uhr. Mein Chef und ich polierten die Gläser. Die beiden Mädels, die hier als Kellnerinnen jobbten, legten die Getränkekarten aus und schauten, ob auch sonst alles parat lag.

Die Crew war ein ziemlich bunter Haufen, nicht ungewöhnlich für Amsterdam. Mein Boss Liam kam aus Irland, hatte hier vor vielen Jahren eine Niederländerin kennengelernt und war geblieben.

Einzelne Gäste trafen ein. Guinness und Kilkenny wurden bestellt. Ein paar Stammgäste waren ebenfalls da. Mein Blick wanderte immer wieder zu meinem Lieblingsstammgast.

Eigentlich tat er nie etwas anderes, als still in einer Ecke zu hocken und melancholisch vor sich hin zu sinnieren. Er beobachtete die Gäste, sprach aber meistens mit niemandem. Wenn sein gutes Aussehen nicht so verdammt einnehmend gewesen wäre, hätte er einem Angst machen können. Er war groß, schlank und hatte wirres dunkelblondes Haar. Am tollsten waren seine Augen: graublau und unendlich tiefgründig.

Vermutlich steckte er in einer ähnlichen Sinnkrise wie ich. Denn er kam jeden Abend seit etwa sechs Wochen und blieb bis kurz vor Feierabend. Und jeden Abend bestellte er dasselbe: Blood and Sand. Als er den Drink das erste Mal orderte, war ich leicht verwirrt, weil ich den Cocktail nicht kannte.

Aber mein irischer Chef hatte in Bars weltweit gearbeitet, bevor er sich in Amsterdam niederließ. Der Drink bestand aus gleichen Teilen schottischem Whisky, Kirschlikör, rotem Wermut und frisch gepresstem Orangensaft. Das Ganze wurde mit Eiswürfeln geschüttelt und dann abgeseiht. Der Gast bevorzugte dabei einen Octomore, der sehr rauchig war.

Heute saß er wieder an seinem Stammplatz, ganz hinten in der Ecke unseres Hauptraumes an einem runden Tisch auf einem Barhocker. Hier hatte er fast den ganzen Pub und vor allem die Bühne im Blick.

Wenn ich Langeweile hatte, dann beobachtete ich ihn. Er war bereits oft angeflirtet worden. Vor allem von Mädels, die all ihren Mut zusammennahmen, um den sexy melancholischen Typen anzusprechen.

Doch er wechselte kaum ein paar Worte mit ihnen. Er blieb zwar freundlich und höflich, er lächelte sogar, doch niemals ließ er sich auf einen ernsthaften Flirt ein.

Lissy, unsere australische Schönheit, meinte, er habe einen süßen Akzent und dufte unglaublich gut nach einem richtig teuren Aftershave.

Wir alle fragten uns, was mit ihm los war. Geld schien er zu haben. Er trug teure Designerhemden – meistens in Schwarz – und ebenso teure Jeans. Außerdem gab er gutes Trinkgeld. Hatte er Liebeskummer? Das würde jedenfalls sein Verhalten erklären.

»Toni, tu mir einen Gefallen und bring du dem Kerl heute seinen Drink, okay?«

Verwirrt sah ich von dem Glas auf, das ich gerade abgetrocknet hatte. Lissy stand schlecht gelaunt mir gegenüber auf der anderen Seite des Tresens.

»Hmm, wieso denn?«

Sie hatte doch schon von Anfang an für ihn geschwärmt. Und ich hätte auch gedacht, dass er auf sie steht. Das taten alle. Denn sie war ausgesprochen hübsch. Ihr blondes Haar glänzte seidig, ihr Teint war makellos, und ihr Gesicht glich dem von Scarlett Johansson.

»Ich habe heute keine Lust auf melancholische Miesepeter. Ich würde ja Tanja fragen, aber die knutscht gerade mit Marlon in der Küche rum.«

Zum Glück hatte unser Boss sie nicht gehört. Er war mit dem Wechseln eines Bierfasses beschäftigt.

»Ich dachte, du magst ihn?«

»Den Typen? Nee, danke. Siehst du nicht, dass irgendwas mit ihm nicht stimmt? Irgendwie macht er mir Angst. Der ist doch voll der Freak, hockt da jeden Abend rum und redet mit niemandem.«

Ich seufzte. Sicher war sie nur beleidigt, weil er auf keinen ihrer Annäherungsversuche angemessen reagierte.

»Also gut, aber nur dieses eine Mal, ja?«

»Danke, ich schneide dafür ein paar Zitronen.«

Ich holte die Flasche mit dem Whisky und stellte fest, dass die Orangen fehlten, und ging in die Küche. Tatsächlich knutschten Tanja und Marlon in einer Ecke.

»Lasst euch nicht stören«, beeilte ich mich zu sagen.

Doch sie fuhren schuldbewusst auseinander.

Tanja versuchte sich stammelnd an einer Erklärung: »Wir … äh …«

»Schon okay«, sagte ich lächelnd. Sollten sie doch ihren Spaß haben. »Aber lasst euch nicht vom Boss erwischen.«

Ich nahm ein ganzes Netz Orangen und ging rasch zurück an die Bar, wo ich eine davon auspresste. Nachdem ich den Cocktail gemixt hatte, atmete ich tief durch.

Also gut, war doch nichts dabei … Ich hatte doch schon öfter Drinks serviert, wenn viel zu tun war.

Nur nicht ihm.

Er fixierte mich mit seinen faszinierenden Augen, als ich mich zu ihm begab. »Hi«, sagte er.

»Ähm … hi«, sagte ich und versuchte, locker zu lächeln. Ich bin mir sicher, ich sah dabei aus wie eine verkrampfte Fünfzehnjährige. Rasch stellte ich sein Glas vor ihm ab. »Bitte schön, Ihr Drink. So, wie Sie ihn mögen, mit Octomore.«

»Und endlich von dir höchstpersönlich serviert.« Er lächelte, doch sein Lächeln erreichte nicht seine traurigen Augen.

Als ich so nahe vor ihm stand, verschlug es mir die Sprache. Er roch wirklich unglaublich gut. Aus der Nähe sah er außerdem noch viel besser aus. Er erinnerte mich an irgendeinen Schauspieler.

»Wie heißt du?«, erkundigte er sich höflich.

»Antonia …« Ich räusperte mich verlegen. »Toni.«

»Also, Antonia-Toni, vielen Dank dafür, dass du mir jeden Abend diesen köstlichen Cocktail mixt.« Er ließ mich nicht aus den Augen.

Ich fand meine Sprache wieder. »Immer wieder gerne … Mr …?«

»Finn. Einfach nur Finn.« Er reichte mir die Hand.

Ich ergriff sie.

Seine Haut war kalt, eisig wie die blaue See der Antarktis, zumindest stellte ich sie mir so vor. Ich spürte die Kälte meinen Arm hinaufsteigen. Doch was noch verwirrender war: Ich sah Bilder. Tosende Wellen eiskalten graublauen Meeres; die Wellen brachen sich an einer steinigen Küste; Wälder voller Grün und unberührt. Ich fühlte Freiheit … Leben. Eine Woge der Erfüllung breitete sich in mir aus.

Ruckartig zog ich meine Hand zurück. »Was war das?!«

Er sah mich fest an. »Was war was?«, fragte er heiser, doch ein Aufblitzen in seinen Augen verriet mir, dass er ebenfalls etwas gespürt hatte.

Die Röte stieg mir ins Gesicht. Mein Körper reagierte auf ihn, als wären wir uns körperlich viel näher gekommen. Es war schwer zu beschreiben. Ich fühlte mich wie … wie man sich kurz vor dem Orgasmus fühlt. Eine Welle hatte mich erfasst, die mich hoch emporhob. Doch die Welle flachte abrupt ab. Zurück blieb eine unerfüllte Sehnsucht.

Doch was war es, was ich da in seinen Augen erkannte? Es machte mir Angst, und doch faszinierte es mich. Leidenschaft? Hunger …?

Abrupt senkte er den Blick. »Ich weiß nicht, was du meinst«, sprach er leise.

»Aber …« Ich hatte doch wohl keine Halluzinationen?

Er stand auf, kramte in seiner Hosentasche nach etwas Geld und knallte einen Schein auf den Tisch.

Gott, der Mann war gut zwei Meter groß. Ich musste den Kopf in den Nacken legen, damit ich in sein Gesicht sehen konnte.

Leicht beugte er sich zu mir herunter, seine Lippen berührten fast mein Ohrläppchen. »Da war gar nichts«, hauchte er und ging.

Fassungslos starrte ich ihm nach. Ich schnappte nach Luft, und in mir spürte ich eine seltsame Leere. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder klar denken konnte. Dann nahm ich den Geldschein, kehrte damit zurück zur Theke und reichte ihn meinem Chef.

Sein gutmütiger, amüsierter Blick traf mich. »Hast du unseren Stammgast vergrault?« Seine bärige Stimme holte mich endgültig in die Realität zurück.

»Nein. Keine Ahnung. Er kommt bestimmt morgen wieder.«

»Na, bezahlt hat er jedenfalls für mindestens zehn Drinks.« Er lachte. Tatsächlich hielt er einen Hunderter in der Hand, den er sorgsam in der Kasse verstaute. Er notierte sich etwas auf einem kleinen Block. »Wenn er morgen wiederkommt, kläre ich es mit ihm. Er hat sich sicher vertan.«

Den Rest des Abends hatte ich große Mühe, mich zu konzentrieren. Ich verschüttete eine halbe Flasche Coke, verwechselte Bestellungen und war auffallend langsam.

Irgendwann war auch die Geduld meines Chefs ausgereizt. Er schickte mich nach Hause, empfahl mir, mich gründlich auszuschlafen und bloß nicht krank zu werden. Schließlich hatten wir schon eine erkrankte Bedienung.

Ich kam zu Hause in meinem kleinen Ein-Zimmer-Appartement an und wusste überhaupt nichts mit mir und der plötzlichen Freizeit anzufangen. Im Fernsehen lief nur Schrott. Also beschloss ich, ins Bett zu gehen. Vielleicht brauchte ich wirklich nur etwas mehr Schlaf.

Gekleidet in eine lila karierte Flanellhose, ein weißes T-Shirt und lila Kuschelsocken machte ich es mir im Bett gemütlich. So fest ich mir vornahm, endlich zu schlafen, so wenig konnte ich es.

Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, sah ich das kalte Meer vor mir. Ich spürte sogar den Wind in meinem Haar und schmeckte Salz auf den Lippen. Und diese Leere in mir … Sie war fast unerträglich. Ich hörte seine Worte: »Da war nichts.« Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut, sah seine Augen. Mir war kalt und heiß zugleich.

Woher kam diese Sehnsucht nach einem Mann, den ich nicht kannte?

Doch auch wenn ich auf diese Frage keine Antwort kannte, so konnte ich nur noch an ihn denken, und sein Name hallte durch meinen Kopf wie das Streicheln des Windes: Finn.

2. Young Blood

Am nächsten Morgen ließ mich der Blick in den Spiegel laut aufseufzen. Wie lange war ich eigentlich nicht mehr beim Friseur gewesen? Und meine Haut hätte auch ein bisschen mehr Pflege gutgetan.

Die traurige Wahrheit aber war, dass ich mich in den letzten Monaten einfach hatte gehen lassen. Ich hatte mich in Selbstmitleid gesuhlt und mich nicht mehr darum gekümmert, wie ich aussah – was für eine gewisse Zeit auch absolut in Ordnung gewesen war.

Aber das musste nun ein Ende haben. Ich wollte nicht mehr mit diesem mitleidigen Blick in den Spiegel sehen. Ich wollte mich wieder in meiner Haut wohlfühlen. Nur wenn man sich selbst mag, gibt man auch anderen Menschen die Möglichkeit, einen zu mögen.

Und ich mochte mich im Moment absolut gar nicht.

Mein Selbstmitleid würde schon einmal merklich schrumpfen, wenn ich mit einer einfachen Aufgabe begann: einem äußerlichen Upgrade.

Deswegen schmiedete ich einen Plan und radelte in die Stadt. Der Vorteil meines Jobs war, dass ich vormittags Zeit zum Shoppen hatte, wenn die Läden noch nicht so voll waren.

Mein erster Weg führte mich in eine Drogerie. Ich brauchte dringend einen neuen Lippenstift, denn mein alter war schon ranzig, und ich hatte ihn dem Mülleimer überlassen. Eigentlich hatte ich es auf einen tollen Rotton abgesehen, aber das war wohl etwas zu übertrieben, und die Beraterin dort empfahl mir einen farblosen Lipgloss, um meinen natürlichen Typ zu unterstreichen, und dazu etwas Wimperntusche und einen Eyeliner. Sie zeigte mir sogar, wie ich das mit diesem Schwung am äußeren Ende hinbekam.

Die weit schwierigere Aufgabe waren meine struppigen Locken. Eigentlich hatte ich mir schon immer glatte Haare gewünscht. Stattdessen sah ich in letzter Zeit aus wie ein brauner Zottelhund. Früher hatte ich mein Haar gern glatt über eine Rundbürste geföhnt. Heute entschied ich mich dafür, in ein Glätteisen zu investieren, und war gespannt, wie ich damit zurechtkäme. Außerdem besorgte ich mir dazu die passenden Styling-Produkte.

Wenig Sinn hingegen machte es, mir ein neues Outfit anzuschaffen, denn im Pub würde ich stets wie die anderen Angestellten die schwarzen Jeans und das grüne Polo-Shirt tragen. Das hieß aber nicht, dass ich nicht sorgsam Unterwäsche auswählen konnte.

In einem irre teuren Dessous-Laden kam mir erneut eine Verkäuferin zu Hilfe. Wir fanden einen Push-up-BH, der nicht nur vorteilhaft meine kleinen Brüste zur Geltung brachte, sondern auch noch sexy aussah: Schwarz und mit roter Spitze verziert. Weil ich Tangas nicht mochte, kaufte ich die dazu passenden Hotpants.

Nachdem ich schon fast pleite war, fiel mir ein, dass ich mir wenigstens noch ein paar Schuhe kaufen konnte. Ich wollte irgendetwas Ausgefallenes – aber bloß keine High Heels, ich musste schließlich auch noch hinter dem Tresen unfallfrei herumlaufen können.

In einem Outletstore wurde ich fündig. Ich entschied mich für grüne Ankleboots mit mäßigem Keilabsatz aus Wildlederimitat. Das Grün passte hervorragend zum Farbton unserer Polo-Shirts.

Zu Hause brauchte ich eine halbe Stunde, bis der dämliche Lidstrich endlich saß. Aber dann war ich zufrieden. Meine braunen Augen wurden dezent betont. Mit dem Glätteisen schaffte ich es, meine schulterlangen borstigen Locken zu bändigen, sodass sie sogar glänzend aussahen.

Es hatte zwar eine halbe Ewigkeit gedauert, mich so herzurichten, doch schließlich war ich mit dem, was ich im Spiegel sah, zufrieden, und zwinkerte meinem gepflegten Ich zu.

»Geht doch«, murmelte ich.

Ich war bereit für den Job und die Begegnung mit einem gewissen Kerl, der mir nicht mehr aus dem Kopf ging.

Voller Selbstvertrauen und mit einer leichten Verspätung erreichte ich meinen Arbeitsplatz, auf den ich mich an diesem Abend tatsächlich freute. In meinem Magen kribbelte es angenehm, und ich nahm mir vor, den geheimnisvollen Gast wieder selbst zu bedienen.

Es war noch nicht viel los. Der Barhocker in der hinteren Ecke des Hauptraumes war nicht besetzt. So half ich zunächst meinem Chef bei den Vorbereitungen für den Abend.

Er machte mir ein Kompliment für mein neues Styling. Ich sollte erwähnen, dass mein Boss ungefähr zwanzig Jahre älter war als ich und seine Angestellten wie seine Kinder behandelte. Ich konnte das Kompliment also annehmen, ohne irgendwelche Anmachversuche zu befürchten. Meinem Selbstvertrauen tat es auf jeden Fall gut.

Jedes Mal, wenn die Tür aufging und ein neuer Gast herunter in unser Pub stieg, machte mein Herz einen Sprung. Aber es wurde immer später, und Finn tauchte nicht auf. Meine Stimmung sank.

Hatte ich ihn vergrault? Unsere Begegnung mochte auf mich faszinierend und fesselnd gewirkt haben. Aber wer sagte, dass es auf Gegenseitigkeit beruhte? Für ihn war dieser äußerst merkwürdige Moment womöglich abstoßend und nervend gewesen?

Dieser Gedanke zog mich runter, und ich fühlte mich dafür verantwortlich, dass unser Gast, nachdem er doch jeden Abend in den letzten sechs Wochen hier gewesen war, heute zum ersten Mal nicht erschien.