Inhalt

I. Neu Denken

1. Katastrophen sind Lernhelferinnen

2. Mit der Natur können wir nicht verhandeln

3. Die Grenzen des Wachstums

4. Die Vorgängerin von Greta heißt Angela

5. Die Angst ist ein Gottesgeschenk

6. »Unser Haus brennt«

7. Nach Corona: Die großen Probleme bleiben

8. Was lernen wir aus der Corona-Krise?

9. Die Klimaerhitzung fordert schon heute mehr Tote als Corona

II. Neu Fühlen

1. Gott ist Geist – Gott ist Liebe – Gott ist Energie

2. Reifen statt wachsen

3. Der Mensch ist eine Körper-Geist-Seele-Einheit

4. Die Aufklärung der Aufklärung

5. Mehr Homeoffice – mehr Klimaschutz

6. Die Zukunft der Arbeit – ­Die Arbeit der Zukunft – Der Homo Digitalis

7. Hindert Homeoffice Frauen am Karrieremachen?

III. Neu Handeln

1. Sind die Meere noch zu retten?

2. Was nützen uns die Korallenriffe?

3. Alles dreht sich um die Sonne – Die Botschaft des Jahrhunderts

4. Erneuerbare Energien: Die Zeit drängt

5. Bau-Wende jetzt!

6. Wer sind die Treiber der ­Energiewende?

7. Die hilflose Doppelstrategie der ­alten Energiekonzerne

8. Rettet Wiederaufforstung das Klima?

9. Waldwende jetzt!

10. Licht ist ein Menschenrecht

11. Präsident Biden will das Klima schützen

12. Klimaziele 2020 nur dank Corona erreicht

13. Grüner Wasserstoff aus der ­Nordsee

IV. Neu Fühlen

1. Die nächsten zehn Jahre ­entscheiden

2. Hermann Scheer: abschalten und abwählen!

3. Verkehrswende jetzt!
Es ist höchste Eisenbahn

4. Benziner kosten Zeit und Leben

5. Ist Autofahren heilbar?

6. Mobilität 2030

V. Neu Vertrauen

1. Agrarwende jetzt!

2. Die Würde des Schweins ist ­unantastbar

3. Gibt es einen Ausweg für die ­Bauern?

4. Die Zehn Gebote des ökologischen Landbaus

5. Fleisch- und Bodenwende jetzt!

6. Ist die Landwirtschaft am Ende?

7. Gesunde Lebensmittel für alle

VI. Neu gestalten

1. Das ökologische Wirtschafts­wunder

2. Für eine Kultur des Friedens, Frau Kramp-Karrenbauer!

3. Costa Rica kann überall werden

4. Atomwaffen sind jetzt ­völkerrechtswidrig

5. Meine Lehrer eines gelingenden Lebens

6. Das Zauberwort der ­Konservativen

7. Die sanfte Weltmacht der EU

8. Die neuen Zehn Gebote der ­Balance

VII. Dokumente

Antonio Guterres: Der Zustand des Planeten Ein Zwischenruf

Franz Alt: Walduntergang oder Waldrettung?


Literatur


Über den Autor

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Literatur

Franz Alt: Die ALT-ernative. Plädoyer für eine sonnige Zukunft, Leipzig 2019

Franz Alt: Lust auf Zukunft. Wie unsere Gesellschaft die Wende schafft,
Gütersloh 2018

Franz Alt: Was Jesus wirklich gesagt hat. Eine Auferweckung, Gütersloh 2015

Franz Alt: Die außergewöhnlichste Liebe aller Zeiten. Die wahre Geschichte von Jesus, Maria Magdalena und Judas, Freiburg 2021

Conrad Amber: Bäume auf die Dächer – Wälder in die Stadt, Stuttgart 2017

Volker Angres / Claus-Peter Hutter: Das Verstummen der Natur, München 2018

Joachim Bauer: Fühlen, was die Welt fühlt, München 2020

Michael Braungart / William McDonough: Cradle to Cradle. Einfach intelligent produzieren, München 2014

Dalai Lama und Franz Alt: Ethik ist wichtiger als Religion, Wals 2015

Dalai Lama und Franz Alt: Schützt unsere Umwelt, Wals 2020

Jared Diamond: Kollaps – warum Gesellschaften überleben oder untergehen, Frankfurt 2011

Christian Felber: This Is Not Economy, Wien 2019

Felix und Freunde: Baum für Baum – Jetzt retten wir Kinder die Welt, Eigen­verlag 2016

Maja Göpel: Unsere Welt neu denken. Eine Einladung, Berlin 2020

Michail Gorbatschow und Franz Alt: Nie wieder Krieg – Kommt endlich zur Vernunft, Wals 2016

Amanda Gorman: The Hill We Climb – Den Hügel hinauf. Zweisprachige
Ausgabe, Hamburg 2021

Engelbert Groß: Versklavte und verlorene Schöpfung. Lernen für den Rettungsprozess, Münster 2018

Mojib Latif: Bringen wir das Klima aus dem Takt?, Frankfurt 2007

Harald Lesch / Klaus Kamphausen: Wenn nicht jetzt, wann dann? München 2018

Kitty O’Meara: Und die Menschen blieben zu Hause, Berlin 2020

Norbert Nicoll: Adieu Wachstum! Das Ende einer Erfolgsgeschichte, Baden-Baden 2016

Fritz Reheis: Die Resonanzstrategie. Warum wir Nachhaltigkeit neu denken müssen, München 2019

Josef H. Reichholf: Ende der Artenvielfalt?, Frankfurt 2008

Victor Rollhausen: Earth Oasis Netzwerk – Die Vision, Köln 2020

Hermann Scheer: Der energethische Imperativ – 100 Prozent jetzt, München 2010

Der Spiegel: Die sanfte Macht, Nr. 4, 23. Januar 2021

Erwin Thoma: Holzwunder. Die Rückkehr der Bäume in unser Leben, Salzburg 2016

Ernst Ulrich von Weizsäcker: Faktor fünf. Die Formel für nachhaltiges Wachstum, München 2012

Peter Wohlleben: Das Seelenleben der Tiere, München 2016

Muhamad Yunus: Ein anderer Kapitalismus ist machbar, Gütersloh 2016

Die Zeit: Der Märchenwald, Nr. 53, 17. Dezember 2020

ÜBER DEN AUTOR

Foto: © Helfried Weyer

DR. FRANZ ALT ist Journalist und Bestsellerautor. Als Fernsehjournalist, vor allem für den SWR (1968–2003) und 3sat, erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, für sein ökologisches Engagement den Deutschen und den Europäischen Solarpreis sowie den Welt-Wind-Preis. Seine Bücher sind in 23 Sprachen übersetzt und erreichen Millionenauflagen. Seit Jahrzehnten tritt der politisch engagierte Denker für ein neues ökologisches Bewusstsein ein.

Mehr Infos über Franz Alt: www.sonnenseite.com

Wenn Sie Fragen oder Anregungen haben: franzalt@sonnenseite.com

ÜBER DAS BUCH

Wir wissen viel …

… nun müssen wir handeln!

In der Pandemie haben wir viel Neues gelernt und Kräfte gebündelt, um eine globale Katastrophe zu meistern – individuell und gesellschaftlich. Franz Alt ist daher optimistisch: Wir können auch andere Bedrohungen abwenden – neue Formen der Mobilität schaffen und die Klimaerhitzung begrenzen, Atomwaffen abrüsten, die Landwirtschaft ökologisch umbauen und uns anders ernähren.

Franz Alt ermutigt durch viele konkrete Beispiele aus Alltag, Wirtschaft und Politik: Wenn wir intellektuelle Einsicht und emotionale Kräfte vereinen, können wir unsere Zukunft neu gestalten.

Auch als Printausgabe erhältlich.

https://shop.verlagsgruppe-patmos.de/nach-corona-unsere-zukunft-neu-gestalten-011319.html

Mit dem Kauf des klimaneutral gedruckten Buches unterstützen Sie das Projekt Qori Q’oncha in Peru, mit dem effiziente Kochöfen verbreitet werden.

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© 2021 Patmos Verlag

Verlagsgruppe Patmos in der Schwabenverlag AG, Ostfildern

Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart

Umschlagabbildung: © Depositphotos.com, surkovdimitri und © Bigi Alt, Baden-Baden

ISBN 978-3-8436-1319-4 (Print)

ISBN 978-3-8436-1371-2 (e-Book)

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Franz Alt

Nach Corona – Unsere Zukunft neu gestalten

Patmos Verlag


Was die Zukunft betrifft, so ist unsere Aufgabe nicht,

sie vorauszusehen, sondern sie zu ermöglichen.

Antoine de Saint-Exupéry

I. Neu Denken

1. Katastrophen sind Lernhelferinnen

Vor einigen Jahren war ich in Taiwan auf einer Vortragsreise zur chinesischen Ausgabe meines Buches »Die Sonne schickt uns keine Rechnung«. Dabei war ich zu einer Geburtstagsfeier des großen chinesischen Philosophen Konfuzius eingeladen, und ich lernte, dass Konfuzius vor 2500 Jahren drei Wege nannte, auf denen wir Menschen klug handeln können:

Erstens: durch Nachdenken, dies sei der edelste.

Zweitens: durch Nachahmen, dies sei der leichteste,
und drittens: durch Erfahrung, dies sei der bitterste.

Wir Heutigen werden wohl erst durch Katastrophen, also durch schlechte Erfahrungen, klug. Wir brauchen offensichtlich Katastrophen als Lernhelferinnen. Erst nach zwei Weltkriegen sind wir Europäer klug geworden und haben in der Europäischen Union zur Zusammenarbeit gefunden. Oder: Der deutsche Atomausstieg 2011 war erst möglich nach Fukushima, obwohl die Gefahr eines großen Unfalls schon lange zuvor bekannt war. Was heißt das für die heute wohl größten Krisen der Menschheit, für die Klimaerhitzung, das große Massensterben oder für die Gefahr eines Atomkriegs, an dem wir bisher nur durch Glück vorbeigeschrammt sind?

Es gibt auch Menschen, die sich damit trösten, dass an den Knöpfen für die Atomraketen nicht Verrückte und Ruchlose sitzen, sondern nur weise und erfahrene alte Männer, die genau wissen, dass sie ihre Waffen nur dazu verwenden dürfen, Kriege zu verhindern. Hoffentlich sind das auch immer durch und durch logisch denkende Menschen.

Ob aber allein deren Logik uns retten wird? Schon mehrmals wäre es mit dieser Logik beinahe schiefgegangen. Wie oft wollen wir nur noch Glück haben? Mehr Glück als Verstand? Ist dieses Denken und Handeln wirklich logisch?

UNO-Berechnungen sagen für den Fall, dass wir einfach so weitermachen wie heute, für das Ende des 21. Jahrhunderts folgende Szenarien voraus:

Erstens: Wir müssen mit einer globalen Erwärmung von bis zu fünf Grad rechnen – gemessen an der vorindustriellen Zeit. Die Klimaziele des Pariser Abkommens, zu dem sich alle Regierungen der Welt verpflichtet haben, werden damit grandios verfehlt.

Zweitens: Unsere Nachkommen werden einen Verlust der Tropenwälder bis zu 80 Prozent erleben.

Drittens: Die Wüstengebiete werden sich um bis zu 23 Prozent ausbreiten.

Viertens: Die Zahl der Klimaflüchtlinge wird auf circa 280 Millionen steigen.

Fünftens: Die Hitzewellen werden sich in Europa mindestens vervierfachen.

Sechstens: Die Corona-Pandemie ist nur ein weiterer Aspekt der größeren ökologischen Krise und kann weitere Pandemien zur Folge haben.

Und das alles, wenn wir nicht schon vorher in einem atomaren Inferno den Untergang unserer Zivilisation organisieren.

Es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass eine ganze Zivilisation verschwindet. Das Mauerwerk der »Verbotenen Stadt« in Peking, die himmelhohen Säulen des »Forum Romanum« in Rom, die gigantischen Steinskulpturen auf den Osterinseln oder auch die majestätischen Kuppeln des Taj Mahal in Agra stehen heute wie stumme Zeugen einst blühender Kulturen und Zivilisationen, bestaunt von Touristen.

Historisch gehören Umweltveränderungen und Erschöpfung von Ressourcen nach den Erkenntnissen der »Kollapsologen« – so nennen sich die Untergangsforscher – zu den wichtigsten Ursachen des Untergangs. Auf den Osterinseln lief der Untergang ungefähr so ab: Die Wälder wurden abgeholzt, weil Holz gebraucht wurde zum Bau von Kanus und zum Transport der vielen Steinskulpturen. Als die letzten Wälder gerodet waren, erodierten die Böden und die Moai hatten sich ihrer Lebensgrundlage beraubt. Erinnert Sie diese Entwicklung nicht an unsere heutige Situation, liebe Leserin und lieber Leser? Eine Gesellschaft geht dann unter – so die Übereinstimmung der »Kollapsologen« –, wenn sie keine Antwort auf notwendige Veränderungen findet. Was hat wohl jener Bewohner der Osterinsel gedacht, der den letzten Baum fällte? Wahrscheinlich so viel wie heute ein SUV-Fahrer – nichts.

Was wir vor allem brauchen? Lust auf Zukunft. Mit Angst und Gleichgültigkeit schaffen wir die Wende nicht. Aber vor allem benötigen wir den Dreiklang aus neuem Denken, neuem Fühlen und vor allem neuem Handeln.

Die größten Gefahren des 20. Jahrhunderts waren Männer in Kriegslaune, Faschismus und Kommunismus, dreckige Industrien und gefährliche Technologien. Und jetzt? Ist es die Fledermaus, oder sind es wir Menschen, die dem Tier keinen Raum mehr lassen?

2021 ermittelte eine Studie des Entwicklungsprogramms der UNO (UNDP), dass sich zwei Drittel der Menschheit für mehr Klimaschutz ausspricht. Mehr als 1,2 Millionen Menschen in 50 Ländern nahmen an dieser Umfrage teil.

In acht von den zehn Ländern mit den höchsten Emissionen aus dem Energiesektor trat der Großteil für mehr erneuerbare Energien ein. In vier von den fünf Ländern mit den höchsten Emissionen aus Landnutzungsänderungen gab es eine überwiegende Unterstützung für die Erhaltung von Wäldern und Land. In neun von den zehn Ländern mit der am stärksten verstädterten Bevölkerung traten die Studienteilnehmer für einen stärkeren Einsatz von Elektroautos, Bussen oder Fahrrädern ein. UNDP-Chef Achim Steiner sagt dazu: »Diese Zustimmung reicht über Nationalitäten, Alter, Geschlecht, Herkunft und Bildungsgrad hinweg. Die Umfrage zeigt auch, wie sich die Menschen von den Entscheidungsträgern eine Veränderung wünschen. Damit haben die Menschen im Umgang mit dem Klimawandel auch eine Stimme.«

Die Zeiger der symbolischen Weltuntergangsuhr, der sogenannten Doomsday-Clock, stehen laut Wissenschaftlern im Jahr 2021 auf 100 Sekunden vor zwölf. Die Gefahr, dass sich die Menschheit durch die Klimaerhitzung, das massenhafte Artensterben oder durch einen Atomkrieg selbst auslöscht, ist demnach so groß wie noch nie seit Erfindung der Uhr im Jahr 1947.

Schon 2005 hat die UNO den Report »Millennium Ecosystem Assessment« veröffentlicht. Über 1000 Wissenschaftler haben fünf Jahre lang zu allen Bereichen der Nachhaltigkeit auf dem Globus geforscht. Ergebnis: Alle wesentlichen Entwicklungen verliefen in die falsche Richtung, das weitere Wachstum der Weltbevölkerung, die steigenden Treibhausgasemissionen, der Verbrauch von Ressourcen und Energie, der Zustand der Ozeane sowie die immer größer werdende Kluft zwischen Arm und Reich. Ist diese Fahrt in den Abgrund noch zu stoppen?

»Wenn wir die Geschichte der Erde mit einem Kalenderjahr vergleichen, dann haben wir ein Drittel der natürlichen Ressourcen in den letzten 0,2 Sekunden aufgebraucht, und jetzt schlägt die Natur zurück«, sagt UNO-Generalsekretär Guterres.

Die Covid-19-Pandemie könnte uns eine Warnung sein. Sie ist die Stunde der Wahrheit, die uns auf die Folgen der Klimaerhitzung, des globalen Waldsterbens und der industrialisierten Landwirtschaft aufmerksam macht. Zugleich kann die Corona-Krise ein Anreiz für eine große, schon lange fällige Transformation sein. Restauration oder Transformation? Was wollen wir?

Eine Krise ist vor allem keine Zeit, um die Nerven zu verlieren. Und erst recht keine Zeit für Verschwörungstheorien. Das politisch scheinbar Unmögliche kann jetzt das politisch Unausweichliche werden. Die Geschichte muss sich nicht wiederholen – wir können ja auch daraus lernen. Tun wir das? Wollen wir das? Schaffen wir das? Dies sind die Fragen aller Fragen.

Im Angesicht der Corona-Pandemie hat Papst Franziskus seine dritte Enzyklika »Fratelli Tutti – Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft« veröffentlicht. Er fordert darin nichts anderes als eine neue Gesellschaftsordnung, die die Menschen und ihre unveräußerliche Würde in den Mittelpunkt allen politischen und wirtschaftlichen Handelns stellt. Wir seien »eine weltweite Gemeinschaft in einem Boot, wo das Übel eines Insassen allen zum Schaden gereicht«. Die Pandemie zwinge die Menschheit dazu, wieder an alle Menschen zu denken statt an den Nutzen einiger. Der Papst erinnert an das biblische Gleichnis vom barmherzigen Samariter und fordert, dass Nächstenliebe zum Prinzip der Politik werden müsse. Franziskus kritisiert Nationalismus, Abschottung und die »soziale Aggressivität, die im Internet Raum findet … Gottes Liebe gilt für jeden Menschen gleich, unabhängig von seiner Religion.«

Diese Enzyklika ist ein Weckruf und ein Hoffnungsruf für eine Neugestaltung der Zukunft. Der Papst verweist auch auf den »Irrglauben« des Neoliberalismus, dass es den Armen immer besser gehe, wenn die Reichen immer reicher würden. Das politische Grundgesetz für die Weltwirtschaft müsse heißen: Jede ökonomische Theorie und jedes ökonomische Handeln unterliege der »politischen Liebe«. Ist Papst Franziskus ein Fantast?

Seine ganz realistische Antwort: »Die Zerbrechlichkeit der weltweiten Systeme angesichts der Pandemie hat gezeigt, dass nicht alles durch den freien Markt gelöst werden kann und dass – über die Rehabilitierung einer gesunden Politik hinaus, die nicht dem Diktat der Finanzwelt unterworfen ist – wir die Menschen­würde wieder in den Mittelpunkt stellen müssen. Auf diesem Grundpfeiler müssen die sozialen Alternativen erbaut sein, die wir brauchen.«

Die Alternativen, welche der Papst meint: Flüchtlingsretter, die Klimaaktivist*innen um Greta Thunberg, die friedlichen Bürgerrechtler um Swetlana Tichanowskaja in Weißrussland oder um Alexej Nawalny in Russland sowie die weltweite Friedensbewegung, die für eine atomwaffenfreie Welt kämpft, und alle Streiter für Gerechtigkeit. Er nennt sie »soziale Poeten«, die kreativ eine ganzheitliche menschliche Entwicklung vorantreiben. Sie sind die Vorkämpfer für die Neugestaltung unserer Zukunft.

Und ihre Arbeit ist das neue Grundgesetz für eine bessere Welt.

Norbert Blüm sagte es so: »Solidarität ist kein Luxus, sondern Existenzbedingung menschlichen Lebens.«

2. Mit der Natur können wir nicht verhandeln

Fest steht: Über das 1,5-Grad-Ziel, das in Paris beschlossen wurde, ist mit der Natur nicht zu verhandeln. Es darf also nicht mehr als 1,5 Grad wärmer werden als zu Beginn der Temperatur-Aufzeichnungen um 1880. Szenarien wie oben beschrieben sind keine exakten Vorhersagen oder Wahrsagekugeln. Aber sie erlauben, dass wir uns eine mögliche Zukunft vorstellen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.

Menschen können dadurch auch umdenken und lernen. Die besten Seiten der Menschen sind ihre Fähigkeit, Fehler zu korrigieren und Probleme zu lösen. Die Corona-Krise hat uns alle gelehrt: Unmöglich Scheinendes ist dennoch möglich. Man kann es auch so sagen: Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist. Oder: »Wo kämen wir hin, wenn alle sagten, wo kämen wir hin, und niemand ginge, um einmal zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge« (Kurt Marti).

Innerhalb weniger Tage waren im März 2020 plötzlich politische Entscheidungen möglich, die zuvor absolut ausgeschlossen waren: Flugzeuge blieben am Boden, Autos in den Garagen, das Öl wurde zur Ramschware. Die Globalisierung schien beendet und viele Betriebe mussten einfach dichtmachen, Millionen ­Menschen arbeiteten von zu Hause aus.

Immer mehr junge Menschen essen kein Fleisch, ihre Zahl ist durch die Corona-Krise noch gestiegen, mehr Menschen als früher teilen jetzt ihre Geräte und Autos, der Verkauf von Benzin- und Dieselautos ist innerhalb eines Jahres im Auto-Land Deutschland um 25 Prozent gesunken, Hunderttausende haben sich vorgenommen, innerhalb Deutschlands nicht mehr zu fliegen. Der Mensch ist zwar ein Gewohnheitstier, aber er ist auch zu Veränderungen fähig. Auch aus dem Hamsterrad des »Immer mehr« können wir aussteigen.

Tiere und Pflanzen sterben aus und wissen nichts davon. Wir Menschen haben als einzige Lebewesen ein Bewusstsein für Vergangenheit und Zukunft. Wir kennen im Großen und Ganzen die Katastrophen unserer Vergangenheit. Deshalb sagte die große Mehrheit der Deutschen nach 1945: »Nie wieder Krieg«.

An Weihnachten 2004 erlebte ich als Fernsehreporter die Ausmaße des Tsunami in Südindien. Über 200.000 Menschen starben an den Küsten des Indischen Ozeans, Millionen wurden obdachlos. Nur zwei Jahre später war ich für Fernsehaufnahmen wieder in Südindien. Neues Leben wuchs aus den Ruinen. Die Katastrophen der Menschheitsgeschichte waren in den letzten Jahrtausenden zum Teil furchtbar, aber meist blickten die Betroffenen nach einigen Jahren wieder nach vorn. Immer wieder wuchs Hoffnung auf Zukunft.

Zudem wurden nach 2004 rund um den Indischen Ozean wieder großflächig Mangrovenwälder gepflanzt, weil man gelernt hat, dass sie auch Menschenleben schützen.

Doch die heute absehbaren Katastrophen könnten ganz andere historische Dimensionen haben. Ein Atomkrieg könnte ebenso zum Ende unserer Zivilisation führen wie eine globale Klimakatastrophe. Es ist denkbar, dass es nach diesen Katastrophen nicht nur keine Gegenwart und keine Zukunft mehr gäbe, sondern auch keine Vergangenheit mehr, weil es niemand mehr gäbe, der noch wissen könnte, dass es jemals eine menschliche Vergangenheit gab oder eine Zukunft geben wird.

Peter Ustinov hat einmal gesagt: »Wenn sich die Welt selbst in die Luft jagen sollte, dann wird das letzte Geräusch die Stimme eines Experten sein, der ruft, dass dies eigentlich nicht hätte passieren können.«

Das Wohlbefinden ist für viele Menschen mit einem suffizienten Lebensstil verbunden. »Suffizienz« kommt vom lateinischen Verb sufficere und heißt »genügsam leben«. Ludwig Erhard sprach von »maßhalten« und wurde vor 60 Jahren dafür verlacht und verspottet. Heute fordern das Millionen und leben auch danach. Es ist wissenschaftlich längst erwiesen, dass immer mehr materieller Wohlstand nicht zu mehr Lebenszufriedenheit oder gar zu immer mehr Glück führt.

Viel Panisches wuchert, aber es wächst das Rettende auch. Es gibt immer Alternativen. Alle Probleme, die von Menschen geschaffen wurden, können auch von Menschen gelöst werden. Der menschengemachte Klimawandel kann auch von Menschen gestoppt werden. Die von Menschen erfundenen Atombomben können auch von Menschen abgeschafft werden. Die alles entscheidende Frage heißt freilich, ob wir rechtzeitig umdenken und rechtzeitig um-handeln. Sowohl bei der Klimaerhitzung, beim großen Massensterben wie auch bei einem möglichen Atomkrieg könnte das Umdenken und Umhandeln zu spät sein. Wir müssen freilich immer mit bedenken, was die Waffe der Vertreter der alten Ordnungen ist. Es ist ihre Behauptung, dass es zum real existierenden System keine Alternativen gebe. Maggie Thatcher sagte es so: »There is no alternative.«

Wir wissen schon lange, dass Abrüstung ein Impfstoff für den Frieden sein könnte und erneuerbare Energien ein Impfstoff gegen die Klimaerhitzung. Wir wissen auch schon lange, was wir tun, aber wir tun nicht, was wir wissen. Lässt sich dieses Dilemma überwinden? Und wie?

Brauchen wir erst noch größere Katastrophen um aufzuwachen, vielleicht noch mehr Pandemien, um lernfähig zu werden? Sind wir wirklich nur begrenzt lernfähig? Mit der Klimaerhitzung und dem atomaren Wettrüsten führen wir den verrücktesten Kampf der Geschichte: wir gegen uns.

Die Corona-Pandemie, die Klimaerhitzung und das Artensterben hängen eng zusammen. Das Virus hat uns gelehrt, dass wir eine biologische Art unter biologischen Arten sind und dass auch wir mit allen anderen Arten verbunden sind. Es zeugt von der Verwandtschaft alles Lebendigen, dass Corona Menschen, Nerze und Fledermäuse befällt.

Ökologisch stehen wir bereits am Abgrund: Die Erde hat Fieber. Das Eis schmilzt. Das Massensterben scheint unaufhaltsam. Die Wälder brennen. Der Meeresspiegel steigt. Die Ozeane sterben. Regenfälle werden stärker und Hitzewellen extremer. Wir rasen »mit Vollgas in die Klimakatastrophe«, schreibt der renommierte Meeresbiologe und Klimaforscher Mojib Latif. Jedes Jahr sterben über sieben Millionen Menschen an der Luftverschmutzung, darunter über eine halbe Million Babys schon im Mutterleib, berichtet der »State of Global Air 2020 Report«. Den dritten Weltkrieg führen wir gegen die Natur und damit gegen uns selbst, denn wir sind ein Teil der Natur. Sind wir überhaupt noch zu retten?

Ist die derzeitige Klimaerhitzung tatsächlich eine Situation, die wir noch nie hatten? »Klimaveränderung gab es doch schon immer«, ist das populärste Argument der Klimawandel-Skeptiker. Das ist auch grundsätzlich richtig. Während der Eiszeit stieg die Temperatur um ein Grad in 1000 Jahren – und wir haben die Eiszeit überlebt. Doch dieselbe Veränderung haben wir in den letzten 100 Jahren erlebt und in den nächsten Jahrzehnten werden noch drei bis vier Grad oder mehr dazukommen, wenn wir alles verbrennen, was heute noch an fossilen Rohstoffen im Boden ist. Das ist ein fundamentaler Unterschied zu früheren Temperaturveränderungen. Noch nie in der Geschichte wurde das Klima so rasch und so gründlich verändert wie zu unserer Zeit. Deshalb scheint mir Klimaerhitzung das treffendere Wort zu sein als das harmlos klingende »Klimawandel«.

Die meist älteren Klimawandel-Skeptiker verdrängen die Zeitbombe »Klimaerhitzung« und drücken die Augen zu vor diesem Zeitzünder, der in unserer Gegenwart abbrennt. Im Lärm der Zeit überhören sie das leise Ticken der Bombe. Sie wollen die Dinge, wie sie wirklich sind, einfach nicht zur Kenntnis nehmen, auch mithilfe von Verschwörungstheorien.

Viele junge Menschen, die »Fridays for Future«-Bewegung vor allem, sehen sich wegen der Klimaerhitzung schon heute als Generation ohne Zukunft. Sie haben ja so recht, wenn sie rufen: »Wir sind hier, und wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut.« Uns Älteren stellt sich diese Frage: Sind wir die Generation, welche die Erderhitzung zu verantworten hat, oder die Generation, welche die Erderhitzung noch stoppen konnte?

Wenn wir den Klimawandel nicht stoppen, dann wird die Arktis in 15 Jahren eisfrei sein. Klimaerhitzung heißt: Erst verlieren die Eisbären den Boden unter den Füßen, dann wir Menschen. Der dritte Weltkrieg, den wir heute gegen die Natur führen, ist ein Krieg der Menschen gegen alle anderen Arten – und gegen uns selbst.

Der frühere US-Vizepräsident Al Gore schrieb schon 2008 in seinem Bestseller »Eine unbequeme Wahrheit«: »Die Wissenschaft ist sich einig: Wir sind der Grund für die globale Erwärmung.« Aber 2021 sitzt im Deutschen Bundestag eine Partei, die noch immer bestreitet, dass der Klimawandel etwas mit dem menschlichen Verhalten zu tun hat. Die AfD ist wissenschaftsblind und zukunftsvergessen. Erwartet uns ein Ende mit Schrecken oder eher ein Schrecken ohne Ende? Die Antwort auf diese Fragen kann möglicherweise entscheidend sein für das Fortbestehen der Menschheit und ihrer Zivilisation. Die Frage aller Fragen heißt jetzt: Wie wird die Welt klimaneutral, und wie bleibt sie lebenswert?

3. Die Grenzen des Wachstums

1972 veröffentlichte der renommierte Wissenschaftsklub »Club of Rome« seine berühmten »Grenzen des Wachstums«. 30 Millionen Mal wurde dieses wichtige Buch gekauft. Darin heißt es: »Wenn man sich entscheidet, nichts zu tun, entscheidet man sich in Wirklichkeit, die Gefahren des Zusammenbruchs zu vergrößern.« Die Kernthese des »Club of Rome«: Auf einem begrenzten Planeten kann es kein unbegrenztes Wachstum geben. Sonst wachsen wir uns zu Tode. In unserer materiellen Welt wächst nur der Krebs ewig. Oder aktuell: Eine Gesellschaft, welche die Grenzen des Wachstums nicht beachtet, bekommt Corona.

Damit aber Technik und Ethik zusammenfinden, bedarf der »Club of Rome« vielleicht der Ergänzung durch einen »Club of Pope« und seine zeitkritischen Enzykliken. Der energetische Imperativ bedarf des energethischen Imperativs, um erfolgreich zu werden.

Wachstumswirtschaft ist also eine Krebswirtschaft. 45 Jahre später publiziert der damalige Präsident des »Club of Rome«, Ernst Ulrich von Weizsäcker, das Buch »Wir sind dran« und schreibt: »Heute, eigentlich erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts, leben wir in einer vollen Welt. Die Grenzen sind greifbar, fühlbar in allem, was wir tun. Und doch, … verfolgt die Welt immer noch eine Wachstumspolitik, als ob wir in der leeren Welt lebten.« 2019 erklärt die 16-jährige Schwedin Greta Thunberg, bekannt geworden durch ihren »Schulstreik für das Klima«, vor den verblüfften Repräsentanten beim UNO-Gipfel in New York: »Ihr habt meine Träume und meine Kindheit gestohlen mit euren leeren Worten. Und dennoch bin ich eine von denen, die Glück haben. Menschen leiden. Menschen sterben. Ganze Ökosysteme brechen zusammen. Wir sind am Anfang eines Massensterbens, und alles, worüber ihr redet, sind Geld und Märchen über ewiges Wirtschaftswachstum. Wie könnt ihr es wagen?« »How dare you?«, fragt die Klima-Aktivistin mehrfach in ihrer weltweit publizierten Rede.

Greta Thunberg redete den Mächtigen dieser Welt mit einer Radikalität ins Gewissen wie sonst noch niemand: »Wir stehen vor einer Katastrophe unaussprechlichen Leidens für eine riesige Anzahl von Menschen. Und jetzt ist nicht die Zeit, um höflich zu sprechen oder sich darauf zu fokussieren, was wir sagen oder nicht sagen können. Jetzt ist die Zeit, um Klartext zu reden. Die Klimakrise zu lösen, ist die größte und komplexeste Herausforderung, vor der homo sapiens je stand. Die wichtigste Lösung aber ist so einfach, dass selbst ein kleines Kind sie verstehen kann. Wir müssen die Treibhausgas-Emissionen stoppen. Und entweder wir machen das, oder wir machen es nicht …

Wir müssen in unseren gegenwärtigen Gesellschaften fast alles ändern. Je größer euer CO2-Fußabdruck, desto größer eure moralische Verpflichtung … Erwachsene sagen immer wieder: »Wir schulden es den jungen Menschen, ihnen Hoffnung zu geben.« Aber ich will eure Hoffnung nicht. Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid. Ich will, dass ihr Panik habt. Ich will, dass ihr die gleiche Angst spürt, die ich jeden Tag spüre. Und dann will ich, dass ihr handelt. Ich will, dass ihr handelt, wie ihr es in einer Krise tun würdet. Ich will, dass ihr handelt, als stünde euer Haus in Flammen. Denn das tut es.«

Die Wut-Rede der jungen Schwedin erinnert mich an den Slogan der Umweltbewegungen in den Achtzigern, der sich angeblich auf Häuptling Seattle bezieht: »When the last tree is cut down, the last fish eaten, and the last stream poisoned, you will realize that you cannot eat money.« – »Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fisch gegessen, der letzte Fluss vergiftet ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.«

Panik ist wenig hilfreich, sie lähmt eher. Mit Panik legen wir kein einziges Kohlekraftwerk still. Aber in allem anderen, liebe Greta Thunberg, stimme ich Ihnen völlig zu, gerade deshalb, weil Sie auch emotional argumentieren.

Greta Thunberg und ihrer »Fridays for Future«-Bewegung wird oft vorgeworfen, viel zu emotional zu argumentieren. Warum eigentlich?

Als die junge Frau diese Rede hielt, wussten wir noch nichts von Corona. In der Corona-Krise mussten die Politiker auf der ganzen Welt dann tatsächlich so handeln, als stünde unser gemeinsames Haus, die Welt, in Flammen. Und sie taten es wirklich. Sofort.

4. Die Vorgängerin von Greta heißt Angela

Greta Thunberg hatte eine Vorgängerin. Ihr Name: Angela Merkel. Die spätere Kanzlerin hat 21 Jahre bevor Greta vor dem schwedischen Reichstag ihre Klimaproteste begann, das Buch publiziert »Der Preis des Überlebens«, in dem sie als Umweltministerin mehr Klimaschutz als Überlebensfrage der Menschheit anmahnte. Das klang damals beinahe so radikal wie Greta Thunberg heute.

Angela Merkel erklärte 1997 den Klimawandel zu einer Sache von Leben und Tod. Der jungen Schwedin wird heute ein alarmistischer Ton vorgeworfen, wenn sie dasselbe sagt. Dabei wiederholt sie nur, was die deutsche Umweltministerin lange zuvor schon geschrieben und gefordert hatte. Merkels Forderungen damals:

Angela Merkels Gedanken und Gespräche über zukünftige Aufgaben der Umweltpolitik


Schon 1995 hatte ich Angela Merkel 750.000 Unterschriften übergeben, welche die deutschen Umweltverbände in der Aktion »Globaler ökologischer Marshallplan« gesammelt hatten. Eine unserer Forderungen hieß Flugbenzinsteuer. Angela Merkel dazu wörtlich: »Da stimme ich Ihnen voll zu.«


Angela Merkel 1995 mit dem Autor
© bundesregierung.de /Guido Bergmann

Also: Schon zwei Jahrzehnte, bevor Greta Thunberg ihren berühmtesten Satz sagte: »Unser Haus brennt«, war Klimaschutz für Angela Merkel eine Frage des Überlebens. O-Ton Merkel damals: »International wird es nur möglich sein, andere Länder zum Handeln zu bewegen, wenn wir in den Industriestaaten wirklich an unserem Lebensstil etwas ändern.« Vor 23 Jahren wollte Merkel eine CO2-Steuer. Doch bis vor Kurzem stand im CDU-Klimakonzept: »Eine CO2-Steuer lehnen wir ab.«

1997 schrieb Angela Merkel: Wenn man beim Klimaschutz zu lange abwartet, »kann es eines Tages unter Umständen zu spät sein«. Schon 1997 lagen alle wichtigen Klimadaten auf dem Tisch; die Klimawissenschaft hatte gut gearbeitet. Und heute? Sicher ist, dass die Bundesregierung mit dem jetzigen Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien das Paris-Ziel grandios verfehlen wird. Wenn also heute die Bundeskanzlerin noch als »Klimakanzlerin« bezeichnet wird, dann immer mit dem Zusatz »a.D.«.

Dennoch haben sich Angela Merkel und Ursula von der Leyen mehrmals mit Greta Thunberg und ihrem deutschen Pendant Luisa Neubauer zum gemeinsamen Thema Klima getroffen. Ob Angela Merkel sich dabei an ihr damaliges Buch erinnert hat? Wächst zwischen den vier Frauen doch noch etwas zusammen?, hat »Die Zeit« gefragt. Es klang wie eine ganz vage Hoffnung. Wie zu hören war, ist der Respekt der vier Frauen voreinander gewachsen. Und es soll weitere Treffen geben. Immerhin – europäische Macht und europäisches Gewissen reden miteinander. Und die Gesetze der Politik und die der Physik streiten wohl auch miteinander. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Unser Haus brennt tatsächlich. Fritz Habekuss dazu in »Die Zeit«: »Die Menschheit steht am Anfang eines pandemischen Zeitalters, in dem Sars-CoV-2 die Warnung dafür ist, dass die Belastungsgrenzen des Planeten überschritten wurden.«

Wir Menschen können viel. Und vieles ist anzupacken. Am schwersten fällt uns aber das Nichtstun, das jetzt ansteht: Wälder einfach Wälder sein lassen, statt sie weiter abzuholzen; Meere in Ruhe lassen, statt sie zu überfischen; Moore sich regenerieren lassen, damit sie wieder CO2-Senken werden können. Für Fritz Habekuss sind die Antworten auf diese Fragen entscheidend: »Können sich Tierpopulationen erholen? Wachsen mehr Wälder? Hört das Artensterben auf? Darf Wildnis wild bleiben?« Die Pandemie hat uns vor allem eines gelehrt: Die Natur braucht uns nicht, wir aber sie.

Auch in der Klimapolitik stimmt es, dass »unser Haus brennt«. Und zwar schon heute. Doch die deutsche Politik beschließt den Kohleausstieg für 2038, bestellt also die Feuerwehr für das Jahr 2038. Welchen Sinn macht das denn? Wie intelligent soll das sein? Das ist etwa so, als hätte die deutsche Politik den Impfstoff gegen Corona für das Jahr 2038 bestellt. Das Urteil über diese Politik, liebe Leserinnen und Leser, überlasse ich Ihnen.

Was aber ist nun mit den Grenzen des Wachstums? Brauchen wir eine Wende zum Weniger? Viele afrikanische Staaten brauchen noch viel Wachstum, um der Hunger- und Armutsfalle zu entkommen. Die Industriestaaten brauchen für die solare Energiewende viel Wachstum bei erneuerbaren Energien, und die ganze Welt braucht viel geistiges Wachstum. Wenn die Schulden eines Landes viel schneller wachsen als die Wirtschaft, dann ist dies künstliches Wachstum und nicht nachhaltig. Ich plädiere also für einen differenzierten Wachstumsbegriff.

Viel wichtiger als die ewigen Diskussionen um mehr oder weniger oder gar kein Wachstum scheinen mir also die Themen: Wachstum wofür und die Gerechtigkeitsdiskussion zu sein. Es geht dabei nicht nur um einen Mindestwohlstand, sondern auch um einen Maximalbesitz an Natur oder Immobilien. Auf neue Fragen werden wir neue Antworten finden müssen. Weit wichtiger als die Frage nach den Grenzen des Wachstums scheint mir eine Antwort auf die Notwendigkeit eines anderen Wirtschaftens zu sein, die Antwort auf die Frage: Was heißt eigentlich nachhaltig wirtschaften? Dafür brauchen wir neue Perspektiven, neue Energie und neue Kreativität.

Der ökologische Untergang wird nun schon seit über 50 Jahren prognostiziert. Wir brauchen weniger Angst und mehr Vertrauen in die menschliche Wandlungsfähigkeit. Wir leben auf einem sehr reichen Planeten. Unser eigentliches Thema ist nicht Verzicht, sondern Gewinn. Gewinn an Lebensqualität und Gewinn für die Umwelt. Gewinn nicht für wenige, sondern Gewinn für alle.

Nein zu Corona kann ein Ja zur Klimapolitik beinhalten: Ja zur Artenvielfalt, Ja zu guter Luft und sauberem Wasser, Ja zu mehr Gerechtigkeit, Ja zu einer atomwaffenfreien Welt. Ja! Ja! Ja!