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Au weia! Jojo hat sich total in den Romantiker Benedikt verliebt. Ausgerechnet! Dabei ist sie doch das personifizierte Chaos, das alles durcheinanderwirbelt. Doch zum Glück hat sie Lucilla, die weltbeste Romantik-Expertin, an ihrer Seite. Da steht einem perfekten Date doch nichts mehr im Weg, oder?

Autorenvita

© privat

Hortense Ullrich redet gern, lacht gern und schreibt gern. Und zwar über alles, was das Leben an Lustigem und Komischem zu bieten hat. Sie schreibt einfach auf, was bei ihr zu Hause tagtäglich passiert. Allerdings nie die volle Wahrheit, denn die würde ihr ohnehin niemand glauben. Ihre Töchter Allyssa und Leandra sind die Vorbilder für Jojo und ihre Schwester Flippi. Jojos überbesorgte, kochunfähige Mutter hat rein zufällig große Ähnlichkeit mit der Autorin. Nur Hortense Ullrichs Mann und die beiden Hunde kommen ungeschoren davon. Noch. Acht Jahre verbrachte Hortense Ullrich mit ihrem Mann und ihren Kindern in New York, inzwischen lebt sie in Bremen.

Samstagabend, 25. Oktober

Als Lucilla die Haustür öffnete, hatte sie eine Großpackung Papiertaschentücher unter dem Arm und den mitleidigsten Ausdruck auf dem Gesicht, zu dem sie fähig war.

»Hast du die Schokolade?«, fragte sie.

Als Antwort hielt ich ihr die bereits aufgerissene Tafel entgegen.

Dann sah sie mich an und fragte erschrocken: »Was ist passiert?«

Ihre Reaktion kam daher, dass ich strahlte. Wie ein Honigkuchenpferd. Und das hatte sie nicht erwartet. Sie war darauf vorbereitet, mich zu trösten, mir Mut zuzusprechen, meine Tränen zu trocknen und meinen Liebeskummer zu mildern. Der letzte Stand ihrer Informationen war, dass ich am Boden zerstört war, weil ich keine Chance mehr sah, dass Benedikt mich irgendwie gut finden könnte. Denn darauf hatten wir die letzten Wochen hingearbeitet. Ich wollte Benedikt beeindrucken und hatte einiges dafür getan. Wie etwa denselben Kochkurs zu besuchen, in dem auch er war, und vorzugeben, dass mich Kochen brennend interessiert. Ich hatte mich bemüht, mein Chaos auf ein Minimum zu reduzieren, denn Benedikt war etwas chaosallergisch. Als wir feststellten, dass er ein Romantiker war, versuchte Lucilla, die Königin der Romantik, mir die Grundbegriffe der Romantik beizubringen. Aber wir waren nicht sehr weit gekommen; ich war einfach unbegabt. Es war, als würde man versuchen, einem Frettchen beizubringen, wie man mit Tellern jongliert.

Schließlich war es Lucilla und mir gelungen, Benedikt zu einem Kochtreff außerhalb des Kurses zu überreden. Leider bei mir zu Hause. Fehler, wie ich dann feststellen musste, denn meine kleine Schwester Flippi platzte, während er danebenstand, mit der Information heraus, dass ich diesen Kochkurs nur wegen ihm mache, weil ich ihn so toll finde. Das war derart oberpeinlich, dass ich auf der Stelle den Raum verließ und nun versuchte, mit der Tatsache klarzukommen, dass ich ab sofort Benedikt nie wieder begegnen dürfte, denn diese Schmach war einfach zu groß. Ich litt also gleichzeitig unter einer Jahrhundertblamage und unter Liebeskummer. Sehr schlechte Kombination. Das konnte ich nicht alleine durchstehen. Deshalb hatte ich mich bei Lucilla angemeldet, um mich bei ihr auszuheulen.

Lucilla hatte inzwischen einen sehr besorgten Gesichtsausdruck, griff nach meinem Arm, zog mich ins Haus und dann in ihr Zimmer. Dort nötigte sie mich sanft, auf ihrem neuen Rosensessel Platz zu nehmen. Das war ein Zeichen, dass sie ernsthaft besorgt war. In ihrem Sessel durfte außer ihr niemand sitzen. Der Sessel war ein Ohrensessel mit einem großzügigen Rosenmuster, das die Farbskala rot bis rosé abdeckte. War nicht mein Geschmack, aber er hatte was. Er war definitiv romantisch. Was auch der Grund dafür war, dass er in Lucillas Zimmer Einzug halten durfte.

Lucilla setzte sich mir gegenüber auf den dazu passenden Hocker und sagte so behutsam wie möglich: »Dreh jetzt nicht durch, Jojo, alles wird gut. Atme ganz ruhig und hör bitte auf, so zu grinsen, das ist etwas unheimlich.«

Ich hätte ihr ja gerne den Gefallen getan, aber das Grinsen ließ sich nicht stoppen. Außerdem war es meiner Meinung nach kein unheimliches Grinsen, sondern ein durch und durch glückliches Strahlen.

»Erzähl mir doch einfach mal, wie du dich fühlst«, begann sie und ihrem Tonfall nach hätte man annehmen können, ich wäre fünf und hätte mich im Kindergarten um eine Sandschaufel gestritten.

Irgendwie wusste ich gar nicht so genau, wie ich anfangen sollte. Wie ich meine sensationellen Neuigkeiten loswerden sollte. Ich hätte es spannend machen können. Lucilla raten lassen. Sie ließ mich nämlich auch immer raten, was mich nervte. Nun hätte ich die Chance, mich zu revanchieren. Aber bevor ich etwas sagen konnte, beugte sich Lucilla zu mir, nahm meine Hand in ihre Hand und wollte wohl weiter beruhigend auf mich einreden. Das mit der Hand war keine gute Idee, sie war nämlich schokoladenverschmiert. Ich wollte auf dem Weg zu Lucilla ein Stück Schokolade essen, aber dann war auf einmal so viel passiert, dass ich nicht dazu gekommen war, und das Stück Schokolade war in meiner Hand geschmolzen.

»Himmel, deine Hand ist ja ganz klebrig! Ist das etwa Schokolade? Wie viel hast du davon gegessen? Mehrere Tafeln? Bist du deshalb so merkwürdig drauf? Hast du einen Schoko-Schock oder so was?«

Ich schüttelte den Kopf. »Alles okay, Lucilla. Keine Panik.«

Da meine Stimme relativ normal klang, beruhigte sie sich etwas. So sehr, dass sie mir gleich Anweisungen gab: »Steh sofort von meinem Sessel auf, ich will da keine Schokoflecke draufhaben. Und jetzt geh erst mal ins Bad und wasch dir die Hände. Aber gründlich.«

Sie zupfte ein feuchtes Reinigungstuch aus einer Box und rieb sich damit über ihre Hände.

Als ich zurückkam, saß sie in ihrem Sessel und deutete auf den Hocker davor, um mir meinen Platz zuzuweisen. Aha, die Welt war nicht mehr aus den Angeln gehoben, back to normal.

Die Tatsache, dass ich riskiert hatte, Schokoflecke auf ihrem heiß geliebten Sessel zu hinterlassen, hatte mich offensichtlich ein paar Mitleidspunkte gekostet.

Eine Menge Mitleidspunkte, wie ich feststellen musste. Ihre Miene hatte jegliches Mitleid verloren und sie fragte streng: »Also, was ist los?«

Erstaunlich, dass die Gefahr eines Schokoladenflecks auf einem Rosensessel die Stimmung so verändern kann.

Meine Stimmung änderte sich dadurch nicht, die blieb gleich: Ich war bestens gelaunt.

»Ich hab Benedikt getroffen«, japste ich glücklich und sah Lucilla erwartungsvoll an.

Lucilla war hin- und hergerissen. Da sie sich nicht entscheiden konnte, wie sie nun reagieren sollte, fragte sie mich vorsichtig: »Und, ähm, das ist was Gutes? Also, du bist froh darüber?«

»Jaaaa!«, jubelte ich.

Lucilla war erleichtert.

»Und?«

»Ich hab ihn geküsst.«

Erschrocken rief sie: »Jojo!«

»Was denn? Ich musste handeln. Und das war das Einzige, was mir auf die Schnelle einfiel. Er hatte vorgeschlagen, dass er für mich kocht, und wollte wissen, ob ich seine Einladung annehme.«

Lucilla schien sehr unzufrieden mit mir zu sein.

»Ach. Und was ist gegen ein schlichtes ›Ja, ich komme gerne‹ einzuwenden?«

»Na, ich war so verblüfft, dass ich nichts sagen konnte, und da dachte er, ich wollte nicht.«

»Und da fällt dir nichts Besseres ein, als ihn einfach zu küssen.«

»Ja. Wieso ist das denn so schlimm?«

»Du hast dir die ganze Romantik des ersten Kusses verdorben.«

Ach so, darum ging es. Lucilla ist so etwas wie die Romantik-Polizei, und jemandem ohne Vorwarnung um den Hals zu fallen und ihn zu küssen, ist offensichtlich ein ernstes Vergehen.

»Der erste Kuss muss etwas Besonderes sein. Er muss sich langsam anbahnen, man muss sich in die Augen sehen. Der Wunsch, sich zu küssen, sollte spürbar von beiden Seiten ausgehen. Dann nähert man sich langsam, die Spannung steigt und schließlich kommt der wunderbare Moment, wo sich eure Lippen zum ersten Mal finden.«

Ich zuckte die Schultern. »Ja, klingt auch gut. Aber nun war es halt anders. Kommt doch auf das Ergebnis an: Wir haben uns geküsst. Er ist happy, ich bin happy, alles bestens.«

Lucilla brauchte einen Moment, um sich damit abzufinden. Schließlich nickte sie. Dann setzte Aufregung bei ihr ein. Sie strahlte, beugte sich zu mir und fragte: »Was wirst du anziehen?«

Ich war etwas irritiert. Also die Kleiderfrage hätte ich nicht als Erstes gestellt. Aber für Lucilla war das passende Outfit ungeheuer wichtig. Deshalb verkniff ich mir eine Bemerkung und heuchelte Interesse.

»Keine Ahnung, was würdest du vorschlagen?«

»Das kommt darauf an, was er kochen wird.«

Nein, also das ging jetzt zu weit.

»Echt jetzt, Lucilla, du kannst mir doch nicht im Ernst erzählen, dass man zu Nudeln andere Kleider tragen muss, als wenn man Suppe isst.«

»Gott nein, ich frage bloß wegen der Farbe. Ich muss wissen, welche Farbe das Essen haben wird, damit wir dich passend kleiden können.«

»Genau das meine ich! Ich muss nicht passend zum Essen gekleidet sein!«

»Doch. Musst du. Weil du wie immer kleckern wirst, und wenn du ein farblich passendes Outfit trägst, sieht man die Flecke nicht so.«

Ich starrte Lucilla an und wusste nicht, ob ich lachen oder mich ärgern sollte. Schließlich knurrte ich: »Keine Ahnung.«

»Kannst du ihn fragen?«

»Nein.«

»Hm. Dann nehmen wir was Buntes, etwas, wo man die Flecke, egal, welche Farbe sie haben, nicht so sieht.«

Ich fand ihre Überlegung sehr beleidigend. »Ich könnte auch einfach nicht kleckern. Dann kann ich tragen, was ich will.«

»Also erstens wirst du kleckern. Zweitens solltest du auf keinen Fall tragen, was du willst, sondern was Benedikt gefällt.«

Ich seufzte. Leichte Reue setzte ein, dass ich Lucilla die Chance gegeben hatte, sich einzumischen. Aber sie war meine beste Freundin und alle wichtigen und unwichtigen Ereignisse bespricht man mit seiner Freundin. Man teilt eben Freud und Leid miteinander. Eigentlich war das ja eine wirklich freudige Neuigkeit, die ich ihr erzählt hatte, aber Lucilla hatte es irgendwie geschafft, mir die Freude zu nehmen und Stress zu verbreiten.

»Du solltest Bluejeans tragen, hast du eh meistens an. Und dazu dann als Ausgleich eine romantische Bluse.«

»Ich hab keine romantische Bluse.«

»Das weiß ich.«

Mein letzter Versuch, eine romantische Bluse zu tragen, war leider völlig danebengegangen und hatte Anlass zu Spott und Hohn gegeben. War wirklich etwas peinlich gewesen. Bei dem Kochtreffen von Lucilla, ihrem Freund Valentin und Benedikt bei mir zu Hause beschloss ich in letzter Sekunde, Lucillas Ratschlag anzunehmen, etwas Romantisches zu tragen. In Panik suchte ich unser ganzes Haus nach romantischer Kleidung ab und wurde im Arbeitszimmer meiner Mutter schließlich fündig: eine weiße romantische Rüschenbluse. Meine Mutter ist Kostümbildnerin beim Theater, manchmal arbeitet sie auch zu Hause, daher findet sich in unseren Schränken eine große Auswahl an Bühnenkleidern.

Was ich für eine romantische Rüschenbluse gehalten hatte, war ein Piratenhemd gewesen. An sich wäre das vielleicht noch nicht so schlimm gewesen, wenn nicht hinten auf dem Rücken ein großer schwarzer Totenschädel aufgenäht gewesen wäre. Dieses Detail war mir leider entgangen, weil ich das Teil nur von vorne gesehen und es auch gleich flugs übergezogen hatte. Bis mich jemand auf mein Versehen hinwies, hatte ich die ganzen Anspielungen auf Piraten und Karibik und Fluch natürlich nicht verstanden.

Lucilla stand vor ihrem Kleiderschrank und durchstöberte ihn.

»Ich gebe dir eine von meinen Blusen mit«, rief sie mir über die Schulter zu.

Dann startete mein Kleidermartyrium. Sie befahl mir aufzustehen, hielt hin und wieder eine Bluse samt Bügel vor mich, kniff ein Auge zusammen, wies mich an, die Bluse zu halten, trat ein paar Schritte zurück, besah mich erneut, verwarf es dann wieder, hängte die Bluse zurück und zupfte die nächste hervor. Ich wurde langsam müde und ungeduldig. Nach der gefühlt hundertsten Bluse war sie endlich zufrieden.

Sie strahlte: »Die ist es. Aber trag sie nicht vorher. Damit sie picobello ist, wenn sie zum Einsatz kommt.«

Da brauchte sie sich keine Gedanken zu machen, diese Bluse würde ich sowieso nicht freiwillig tragen und ich würde sie auch nicht anziehen, wenn ich zu Benedikt gehe. Sie war aus dünnem Stoff, hatte ein buntes Rosenmuster und an der Knopfleiste waren Rüschen. Sie passte zu Lucilla. Ich jedoch würde darin aussehen wie ein verkleideter Tanzbär. Aber ich wollte jetzt keine weitere Diskussion darüber, also nahm ich die Bluse entgegen und bedankte mich nur artig.

»So, jetzt zu der Frisur«, fuhr Lucilla fort.

Das war zu viel.

»Nein, nein, nein. An meinen Haaren ändere ich nichts.«

Lucilla hatte einen kritisch abschätzenden Blick, wiegte den Kopf hin und her und kam zu dem Ergebnis: »Ist auch nicht nötig, deine Haare sind okay. Es ist eher deine Persönlichkeit, die dich so unromantisch erscheinen lässt.«

Ich unterdrückte meinen Ärger, atmete tief durch und es gelang mir sogar ein Lächeln. Was jedoch, so befürchtete ich, nicht sehr freundlich wirkte, sondern eher angriffslustig.

»Benedikt scheint damit kein Problem zu haben, sonst hätte er mich ja wohl kaum eingeladen.« Kurze Pause, dann setzte ich ein provokatives »Oder?« hinterher.

Lucilla zuckte die Schultern. »Reg dich nicht auf. Ich sag’s ja bloß. Du willst ihn sicher auch auf Dauer halten.« Pause, und dann kam ihr: »Oder?«

Natürlich wollte ich das. Lucilla hatte es geschafft, mich zu verunsichern. Jetzt war ich wirklich sauer. Ich stand auf und wollte gehen. Aber ich brauchte noch einen guten Abschlusssatz. Und der fiel mir tatsächlich auch ein. Trotzig sagte ich: »Weißt du, wenn ich mich für ihn komplett verändern muss, ist er eben nicht der Richtige.«

Lucilla erschrak und sprang auf. »Sag so was nicht, Jojo. Er ist der Richtige. Wir sind ein perfektes Vierer-Team.«

Oh ja, natürlich, Lucillas berühmte Vierer-Dates. Sie liebte Paartreffen. Hey, ich auch, aber es war eben nicht mein Auswahlkriterium Nummer eins, ob mein Freund auch gut zu Lucilla und Valentin passt.

Mein Freund. Ich seufzte bei dem Gedanken. So weit waren wir noch nicht. Erst mal hatte ich bloß eine Einladung zu einem selbst gekochten Essen. Und hey, wir hatten uns geküsst. Das zählt ja wohl doppelt. Na ja, ich hatte ihn geküsst. Aber er hatte ganz und gar nicht den Anschein erweckt, als hätte er etwas dagegen gehabt.

Lucilla griff nach meiner Hand. »Nun komm, setz dich wieder. Sei nicht sauer. Ich wollte doch nur helfen.«

Aber meine gute Laune war hin. Verflixt, wie schnell so was gehen kann. Dabei war doch gar nichts passiert. Na ja, Lucilla war passiert. Sie hatte mich mit ihrer Unkerei und dem Romantikgesülze nicht nur verärgert, sondern auch nervös gemacht. Ich wollte mir jetzt keine weiteren Kommentare mehr anhören.

»Sorry, aber ich muss jetzt gehen.«

Lucilla sah sehr zerknirscht aus.

Ich milderte mein plötzliches Gehen etwas ab mit der Ausrede: »Ich hab meiner Mutter versprochen, dass ich wieder früh zu Hause bin, weil wir noch ein paar Dinge wegen des Restaurants besprechen wollten.«

Das war nämlich die neuste Baustelle in unserem Familienleben und sorgte für ständige Diskussionen.

Lucilla nahm diese Erklärung sehr gerne an. Sie nickte freundlich. »Ach so. Klar.«

Ich verließ ihr Zimmer und ging nach unten. Lucilla lief hinterher, mit der »Romantik«-Bluse in der Hand.

»Hier, vergiss die Bluse nicht.«

Ich hatte die Haustür bereits geöffnet und hielt inne. Ich stand Gott sei Dank mit dem Rücken zu Lucilla, sodass sie nicht sehen konnte, dass ich genervt die Augen verdrehte. Unter keinen Umständen würde ich diese Bluse tragen. Nicht mal in der Hand aus ihrem Haus heraus. Nachdem ich mein Gesicht wieder unter Kontrolle hatte, drehte ich mich zu ihr und log: »Meine Mutter hat die gleiche, ich leih mir ihre.«

Und dann konnte ich mich nicht bremsen, ironisch zu sagen: »Weißt du, da ich ja kleckern werde, ist es eh besser, wenn ich nicht eine Bluse von dir trage.«

Lucilla wollte etwas sagen, aber dann schloss sie betroffen wieder den Mund.

Ich ging.

Lucilla rief mir hinterher: »Jojo, bitte sei nicht sauer. Ich freu mich für dich. Wirklich! Ich bin sicher, alles wird gut gehen.«

Ich hob die Hand zum Gruß, ohne mich umzudrehen.

Alles wird gut gehen. Toll, das sagt sie jetzt, nachdem sie mir vorher aufgezeigt hatte, wie viele Klippen ich umschiffen musste, um Benedikt zu beeindrucken.

Obwohl der Satz, den ich gesagt hatte, von wegen sich nicht für einen Typen total zu verändern, hundertprozentig richtig ist, hatte ich nun doch Bedenken bekommen. Vielleicht machte das ja auch eine erfolgreiche Beziehung aus. Also, dass man sich bemüht, Angewohnheiten, die dem anderen nicht so gut gefallen, aufzugeben und Dinge zu tun, die dem anderen gefallen. Sprich: ade, Chaos, und: hallo, Romantik.

Als ich zu Hause war, tat es mir leid, dass ich Lucilla gegenüber so angenervt reagiert hatte. Sie wollte wirklich nur helfen. Sie meinte es ja gut.

Außerdem war sie die Einzige, mit der ich über Benedikt reden konnte. Und das wollte ich mir nicht verderben.

Ich rief sie an, doch als sie abhob, stellte ich fest, dass ich noch nicht friedfertig genug war, mir erneut Tipps und Tricks für eine aufkeimende Beziehung anzuhören. Immerhin gelang es mir, sehr freundlich unser Telefonat zu beenden.

Sonntag, 26. Oktober

Meine Ausrede Lucilla gegenüber, dass ich nach Hause musste, um über das Restaurant zu sprechen, war nicht so weit hergeholt. Tatsächlich sprachen wir hier über nichts anderes mehr.

Oskar, der zweite Mann meiner Mutter, der ebenfalls beim Theater arbeitete, hatte nämlich eine Erbschaft gemacht.

Ein altes Wohnhaus in der Altstadt und eine große Tischlerei direkt daneben. Das Wohnhaus war vermietet an das Ehepaar Jäger, das dort seit ewigen Zeiten eine kleine Pension betrieb. Die alte Tischlerei wurde nicht genutzt. Oskar hatte, bevor er Bühnenbildner wurde, dort das Tischlerhandwerk gelernt, und sein damaliger Meister hatte ihm die beiden Gebäude vererbt.

Oskar war überaus gerührt und begeistert gewesen, dass die Tischlerei noch so aussah wie damals, und hatte entschieden, sie zu erhalten. Und irgendwie stand plötzlich die Idee im Raum, aus dieser Tischlerei ein Restaurant zu machen, mit Namen »Tischlerei«. Es sollte nach wie vor aussehen wie eine Tischlerei, mit den Werkbänken als Tische, den alten Werkzeugen als Dekoration im Raum und an den Wänden. Oskar wollte eine authentische und rustikale Atmosphäre, und mit seinen Fähigkeiten als Bühnenbildner und gelernter Tischler war das eine Aufgabe, für die er sich über die Maßen begeisterte.

Weniger begeistert war meine Mutter. Und nachdem ich erfahren hatte, wieso sie nicht so begeistert war, hatte ich mich ihrer Meinung angeschlossen. Sie argumentierte nämlich, dass wir, wenn Oskar gar nichts tun würde und alles so ließe, wie es ist, jeden Monat die Miete für das Wohnhaus von den Jägers bekommen würden. Also hätten wir ein zusätzliches Einkommen. Wunderbar. Da wir sowieso immer mit jedem Cent rechnen müssen, wäre das doch wirklich super. Was Oskar jedoch plante, würde uns Geld kosten. Wir müssten unser mühsam gespartes Geld in dieses Restaurant investieren, und wenn es nicht gut liefe, stünden wir ohne einen Cent da. Nicht gut.

Nach längerem Hin und Her hatten die beiden sich darauf geeinigt, dass Oskar sich einen Partner sucht, der den gastronomischen Teil des Projektes übernimmt, sprich, dass er kocht und so weiter, und Oskar nach wie vor beim Theater arbeitet, in seiner Freizeit die Tischlerei selbst renoviert und herrichtet und dass die Kosten für das Restaurant zwischen Oskar und seinem Partner geteilt werden.

Ich fand ja nicht, dass das wirklich ein Kompromiss ist, denn es bedeutete immer noch, dass wir uns erheblich einschränken mussten, meine Mutter neben ihrer Arbeit beim Theater noch als Änderungsschneiderin arbeiten musste und meine kleine Schwester Flippi und ich uns Jobs suchen mussten, wenn wir Taschengeld haben wollten. Aber zumindest – und darin sah meine Mutter einen Vorteil – könnten wir so einen Teil unseres angesparten Geldes erhalten.

Der letzte Stand der Dinge war, dass Oskar tatsächlich solch einen Partner gefunden hatte, der ebenfalls begeistert von der Idee der »Tischlerei« war. Es war Karl-Heinz Huber, Kalle genannt, der Bruder von Frau Jäger, die das Wohnhaus gemietet hatte. Oskar und Kalle beschlossen, dieses Projekt gemeinsam durchzuziehen.

Kalle war gelernter Koch, hatte sich jedoch mit jedem seiner bisherigen Arbeitgeber angelegt, da er ein Problem damit hatte, sich Vorschriften machen zu lassen und sich unterzuordnen. Was ziemlich blöd ist, wenn man angestellt ist und einen Chef hat. Kalle hatte dann entschieden, sein eigener Chef zu werden und eine Imbissbude am Einkaufszentrum zu eröffnen. Die, das muss man sagen, wohl wirklich sehr gut lief. Letzteres hatte Flippi in Erfahrung gebracht, indem sie dort einen Nachmittag lang herumlungerte und notierte, was und wie viel Kalle verkaufte. Das rechnete sie dann hoch und kam auf ein beachtliches Monatseinkommen.

Wenn Kalle nun mit Oskar zusammen die Tischlerei betreiben wollte, musste er jemanden einstellen, der seine Imbissbude betreut.

Flippi hatte allen Ernstes einen Blick auf diesen Job geworfen.

Meinen Hinweis, dass keiner ein Kind einstellt und sie außerdem der Schulpflicht unterliegt, also einen Ganztagsjob knicken konnte, wehrte sie zunächst ab mit den Worten: »Ich melde mich ja nicht ab oder so. Ich verbringe nur nicht mehr so viel Zeit in der Schule.«

»Ist mir egal. Klär das mit Mam.«

Auch Flippi war klar, dass das nicht zu klären war, daher beschloss sie, drei Nachmittage in der Woche ihren Dienst an der Imbissbude anzutreten. Prima. Nun musste sie nur noch ihren Arbeitgeber davon in Kenntnis setzen. Haha.

Meine Aufgabe war etwas heikler. Sie bestand darin, eine Begegnung mit Kalle zu vermeiden, denn ich hatte Angst, dass er mich wiedererkennen würde. Er hatte mir nämlich vor einiger Zeit Hausverbot erteilt. Nun ja, in diesem Falle wohl eher Standverbot. Das hatte mit mehreren nacheinander unsachgemäß aufgerissenen Ketchup-Tütchen zu tun. Diese Tütchen sind aber auch wirklich teuflisch. Ein falscher Ruck und der Ketchup spritzt im hohen Bogen raus. Nachdem ich seinen Imbissstand unfreiwillig mit Ketchup dekoriert hatte und nach einem weiteren Tütchen fragte – schließlich hatte ja bisher kein Öffnungsversuch zum Erfolg geführt –, platzte ihm der Kragen und er brüllte, ich sollte sehen, dass ich Land gewinne und mich nie mehr bei ihm blicken lasse.

Er war offensichtlich der Meinung, dass ich es extra gemacht hätte, weil kein Mensch so ungeschickt sein könne. Tja, er kennt mich eben nicht. Und so sollte es möglichst auch bleiben.

Wir waren in der Küche und warteten darauf, dass Oskar das Essen servierte.

Als wir alle am Tisch saßen, stellte sich Oskar vor uns und verkündete: »Also, heute müsst ihr euch beim Essen konzentrieren. Ich brauche euer Urteil. Ihr müsst ganz ehrlich sagen, wie es euch schmeckt.«

Das war neu. Oskars Essen schmeckte uns immer. Das lag jedoch unter anderem daran, dass Flippi und ich, was warme Mahlzeiten anbetraf, nicht sehr verwöhnt waren, denn meine Mutter war kochtechnisch völlig unbegabt. Sie schaffte es, Pizza, die sie fertig mit nach Hause brachte, beim Aufwärmen verkohlen zu lassen, und wenn sie dann auf Tiefkühlkost auswich, hielt sie sich nicht an die Auftauzeiten und wir mussten noch gefrorene Erbsen in unserem Mund auftauen lassen. Wenn man dazu nicht die Geduld hatte oder wirklich hungrig war, hatte man das Gefühl, als würde man Erbsen-Eis essen. Kein Renner in einer Eisdiele, da war ich sicher.