Für Siegfried,

meinen treuen Reisegefährten

Text: Ingeborg Bauer

Fotos: Siegfried und Ingeborg Bauer

Layout: Ingeborg Bauer

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < www.dnb.de > abrufbar.

© 2016 Ingeborg Bauer

Herstellung und Verlag BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-743-12091-4

Teil I Augen-Blicke der Menschheit

Augenidole aus dem Tempel von Tell Braq (3500-3000 v.Chr.)

AUGEN BLICKE der Menschheit

Die Zeit vergeht

nach dem Stundentakt, nach Minuten, Sekunden

nach Tag und Nacht

nach Wochen, Monaten und Jahren

nach Jahrzehnten, Jahrhunderten, Jahrtausenden …

und doch heben sich aus diesem regelmäßigen

Kontinuum Momente heraus, die zumindest für den heutigen Betrachter auf Grund von Entdeckungen, bei denen der Zufall durchaus eine Rolle gespielt haben mag, zu Augenblicken der Menschheitsgeschichte werden.

Augenblicke, das Wort enthält den Begriff der Augen, im Blick das Sehen. Der Blick fällt auf etwas, kann aber auch bewusst auf etwas gerichtet sein. Mit dem Auge erobert der Mensch die Welt, das innere Auge schafft Vorstellungen, Visionen, führt den Menschen schon früh über die reale, die materielle Welt hinaus in eine Transzendenz. Hat er einmal die Fragen nach dem Woher und Wohin gestellt, ist er sich seines Soseins, seiner Identität bewusst geworden, so steht er dem eigenen Ungenügen, den Grenzen seines Menschseins gegenüber. Es ist wohl zu allen Zeiten das Auge gewesen, das der Mensch als das wichtigste Organ der Erkenntnis betrachtet hat.

Unter „Augenblicke der Menschheit“ möchte ich in diesem ersten Teil entscheidende Momente in der Geschichte des Homo sapiens verstehen, wesentliche Übergänge in der Entwicklung. Allerdings ist schon in der Bronzezeit im Bereich des Fruchtbaren Halbmonds nicht zu übersehen, dass die Augen in der figurativen Kunst eine betonte Hervorhebung erfahren, so dass mit den ‚Augenblicken der Menschheit’ auch die Augen selbst als wesentliche Momente in der Darstellung des Menschen fungieren. Die etwa 300 Votivgaben, die im Augentempel von Tell Braq (ca. 3500 – 3300 v.Chr.) im Nordosten Syriens gefunden wurden, belegen das. Seit Tell Braq ist die gesteigerte Hervorhebung der Augen, die auch die Aufnahme eines Kontaktes zwischen Mensch und Gottheit signalisiert haben mag, - erkennen und erkannt werden -, ein wesentliches Charakteristikum der Kunst des Zweistromlands und des Nahen Ostens. Dies setzt sich im Laufe der Antike fort. Auch in der Bibel spielen das Auge und das Sehen eine bedeutende Rolle. Die wichtigste Wortwurzel für „sehen“ (r’ah) kommt allein 1300mal vor, die für „hören“ etwa 1160mal. Das Wort für Auge (‚ajín) ist 866mal belegt, das Wort für Ohr nur 187mal. Damit wäre bewiesen, dass auch im Bereich der Schriftlichkeit, der Literatur, das Auge und der Sehsinn eine herausragende Bedeutung haben.1

Teil I: „Augen-Blicke der Menschheit“ soll exemplarisch Eckpunkte in der Entwicklung der Menschheit aufzeigen. Augen-Blicke im buchstäblichen Sinn waren gleichwohl mit wesentlichen Entwicklungsschritten im Leben unserer Vorfahren verbunden.

Teil II der „AugenBlicke“ beschäftigt sich mit der europäische Kunst im engeren Sinne. Auch hier spielen Augen eine große Rolle. Es ist die Renaissance, die dem Einzelnen ein Gesicht gibt. Es ist bekannt, dass Leonardo da Vinci ein ganz besonderes Interesse am menschlichen Antlitz zeigte. Er studierte den Schädel und ließ den Sehnerv in drei fiktive Geheimkammern münden. Die erste Kammer versammelte in verdichteter Form alle Sinne. Für den Meister sitzt direkt hinter dem Auge die Seele des Menschen. Die zweite Kammer beherbergt den Intellekt, die dritte die Erinnerung. Der Wissenschaftler Leonardo sah im Auge die wesentliche Möglichkeit, den Menschen als solchen und die Welt im weitesten Sinne zu ergründen.

Mit dem Porträt verwandt ist die Maske, hinter der der Einzelne verschwindet, das Auge verlustig geht, zur Leerstelle wird. Dem Sich-Verbergen hinter einer Maske, einem anderen, fremden Gesicht, können unterschiedliche Motivationen zu Grunde liegen. Der Einzelne kann sein Gesicht hinter einem allgemeinen, typischen verdecken. Hierzu gehört die Theatermaske der Griechen und Römer. Der Schauspieler verschwindet hinter einer künstlichen Figur. In der Commedia dell’ Arte bezeichnet die Maske den Typus. In Karneval und Fasching verbirgt sich der Mensch hinter der Maske, die ihm Anonymität gewährt. Auch für den Kriminellen ist die Gesichtsmaske Versteck. Die Masken der afrikanischen, asiatischen und amerikanischen Ureinwohner machen den Träger zum Schamanen, rücken die Maske in einen transzendenten Bereich, der mit Göttern und Ahnen in Kontakt treten möchte. Ähnliche Funktionen hatten vermutlich die Urmütter der Frühzeit, die Idole der Bronzezeit. Sie sollten Schutz bieten, Übel abwehren, apotropäische Wirkung zeigen.

In Teil III wird es um die Weiterentwicklung von Gesicht und Maske, die unterschiedliche Darstellung des Kopfes in der Moderne gehen, die zum Teil anknüpft an frühe Kulturen, um sie ins 20. und 21. Jahrhundert zu transformieren. Zum andern führen Kubismus und Surrealismus zu einer Zerlegung des Kopfes, zu einer Auflösung bis zum Verschwinden.

Das Auge ist verbunden mit dem Zauber, der Magie – mit Kult und Ahnenverehrung. In der Moderne kommt es zu einer Wiederaufnahme archaischer Formen, die eine neue Wertung erhalten. Doch bleibt die Faszination des Magischen.

Reisen, Schauen, Lesen und über das Erfahrene reflektieren – so ergeben sich persönliche Schwerpunkte. Die Beschäftigung damit macht ein Ordnen der Eindrücke unerlässlich.

AUGEN BLICKE der Menschheit

AUGEN-BLICKE der Menschheit sollen nun dargestellt werden nach Kulturkreisen. Dadurch ergibt es sich zwangsläufig, dass eine chronologische Folge nicht in jedem Fall eingehalten werden kann. Es geht auch um Entwicklungen und Traditionen, die sich fortsetzen, um Parallelen, die sich ergeben aus den ähnlichen Bedürfnissen des ‚homo sapiens’ in unterschiedlichen Regionen. Das Paläolithikum in Europa steht am Anfang, dann folgt die Entwicklung, wie sie sich im Gebiet des „fruchtbaren Halbmonds“ darstellt mit Anatolien und dem Nahen Osten, den Hochkulturen des Zweistromlands und Ägyptens. Mit Griechenland rücken wir wieder an Europa heran. Nordeuropa tritt dann mit den Kelten und den Wikingern ins Blickfeld.


1 Silvia Schroer, Thomas Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel (Darmstadt 22005). S.94

Paläolithikum Beginn in Mitteleuropa

Die Grotte von Chauvet (Ardèche)

Im Dezember des Jahres 1994 entdeckten drei Amateurforscher die Höhle von Chauvet im Tal der Ardèche in Südfrankreich. Die Ardèche mäandriert durch ein Kalksteinplateau und bildet an einer Stelle die eindrucksvolle Felsbrücke des Pont d’Arc, die auch unseren Vorfahren schon als Markierung auf ihren Wanderungen gedient haben muss. Dort in der Steilwand öffnet sich eine 400 Meter tiefe Höhle, in der die ältesten Felszeichnungen gefunden wurden. Es handelt sich um etwa tausend Darstellungen von Löwen, Bären, Nashörnern, Pferden, Rentieren und einem Käuzchen. Ein Erdrutsch vor 20 000 Jahren hat die Höhle endgültig verschlossen, so dass sie in dem Zustand geblieben ist, in dem sie ihre letzten Bewohner verlassen hatten. Die Höhle soll in zwei unterschiedlichen Phasen benutzt worden sein: die erste etwa zwischen 37 5000 und 33 5000 B.P., die zweite zwischen 32 000 und 27 000 B.P. (before present / vor unserer Zeit). Es sind Fußspuren erhalten, aber auch Feuerstellen, Werkzeuge und etwa 50 Bärenschädel. Gerade letztere haben die Forscher mutmaßen lassen, dass sie nicht ganz zufällig herumliegen und dass sie im Zusammenhang mit Ritualen stehen könnten. Es wird daher angenommen, dass es keine Wohnhöhle gewesen ist, sondern ein sakraler Ort, worauf auch ein einzelner, auf einem Steinblock wie auf einem Altar liegender Bärenschädel hindeutet.

Die „Caverne du Pont d’Arc“, wie die zum Weltkulturerbe gehörende Grotte Chauvet offiziell heißt, hat mit Hilfe der Radiocarbonmethode das Entstehungsdatum der Felsmalereien auf 36 000 Jahre B.P. verlegt. Die berühmten Malereien von Lascaux werden erst um 20 000 B.P. datiert. Bis dahin hatte man Lascaux für den Höhepunkt einer langen Entwicklung gehalten, und jetzt steht man vor diesen doppelt so alten Zeichnungen, die von einzigartiger Qualität sind. Der großen Bedeutung wegen, die diesen Kunstwerken zukommt, hat man die Höhle auch schon als „den Louvre des Paläolithikums“ bezeichnet. Dies ist auch der Grund, warum man sie verschlossen hat und nun ein paar Kilometer talaufwärts eine Reproduktion versucht. Die Wände der Originalhöhle sind zuvor im 3-D-Verfahren digital vermessen und in Einzelteilen aus Kunstharz nachgebaut worden. Das meiste wurde von Kulissenmalern direkt auf der Baustelle koloriert. Die Wandstücke mit den Tierszenen wurden auf zwei Malerateliers verteilt. Die Segmente für die Löwen-, Nashorn- und Pferde-Gruppen kamen zu Gilles Tosello nach Toulouse. Der Maler kopierte nicht einfach die Umrisse, sondern versuchte, die Strichführung der Künstler des Paläolithikums nachzuvollziehen. Er kommt zu dem Schluss, dass es sich um Rechtshänder gehandelt habe, die sehr rasch gearbeitet hätten. Überhaupt hätten sie über eine sichere Technik verfügt, die man fast als Stil bezeichnen könne. Die frühen Künstler benutzten ihre Finger, Holzkohlebrocken und Ritzwerkzeuge. Auch der Maler heute arbeitet mit verbranntem Pinienholz und für die roten Stellen mit natürlichen Ockerpigmenten. Solche Ockerpigmente finden sich in unmittelbarer Umgebung und waren wohl die ersten Farben, mit denen der Mensch gezeichnet hat. Die Ockerbrocken dieser Region werden in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung symbolisch als „Quantensprung in der Menschheitsgeschichte“ bezeichnet: „Der homo sapiens begann, ein kulturelles Wesen zu werden.“ 2

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