Gerhard Schick
Die Bank gewinnt immer
Wie der Finanzmarkt die Gesellschaft vergiftet
Campus Verlag
Frankfurt/New York
Über das Buch
Der Finanzmarkt zieht uns das Geld aus der Tasche. Unfairer Umgang mit Sparvermögen
und unserer Altersvorsorge, gigantischer Steuerbetrug und dreiste Immobilienspekulation
machen uns das Leben schwer. Eine fehlgesteuerte Finanzindustrie birgt Crashgefahr
und schafft immer neue Probleme - bei den globalen Herausforderungen, aber auch im
Alltag der Bürger und Verbraucher. Sie ist zu groß, zu mächtig und zu intransparent.
Und sie vergiftet das gesellschaftliche Klima.
Es ist höchste Zeit für eine Finanzwende, sagt der quer durch alle politischen Lager
hoch geschätzte Finanzexperte Gerhard Schick. Neue Regeln und Maßnahmen müssen her
und kriminelle Akteure gestoppt werden. Schick zeigt: Eine bürgerfreundliche Finanzwelt
ist möglich.
»Wer mit Schick redet, trifft auf einen eloquenten und energiegeladenen Aktivisten.«
Süddeutsche Zeitung
»Niemandem fällt jemand ein, der ähnlich hartnäckig ist wie Schick, bei Freunden und
Gegnern gleichermaßen geachtet.« Die Welt
»Immer auf Augenhöhe mit dem Ministerium und oft auch darüber.« Ralph Brinkhaus, CDU-Fraktionsvorsitzender
Für Lars
Kapitel Vorwort
Bürger in Bewegung
Kapitel Einleitung
Eine Gefahr für unsere Gesellschaft
Kapitel 1
Kriminalität: Wie der Finanzmarkt illegale Machenschaften fördert
Schleudertrauma: Jedes Jahr werden Billionen gewaschen
Hütchenspiel mit Immobilien, Steuern und Identitäten
Mord in Malta
Schlimmer gehts immer: die BCCI Bank
Der Waschsalon von Danske & Co.
CumEx: der Staat als Selbstbedienungsladen
Und sie können noch mehr
Da geht noch was: Finanzkriminalität bekämpfen
Kapitel 2
Geldanlage: Warum unser Erspartes nur Banken, Versicherer & Co. reich macht
Problem 1: Es wird zu viel verkauft – und zu wenig beraten
Problem 2: zu viele hochriskante Anlagen im Angebot
Problem 3: Die Lebensversicherer wanken schon bedenklich
Problem 4: die Aufsicht – eine Behörde im Clinch mit sich selbst
Da geht noch was: ein Bürgerfonds für alle
Kapitel 3
Immobilien: Wie uns Spekulanten um bezahlbare Wohnungen bringen
Eine bezahlbare Wohnung? Reine Glückssache!
Alles muss raus: der große Wohnungsausverkauf
Das große Geld kommt – und mit ihm die Instabilität
Da geht noch was: soziales Wohnen möglich machen
Kapitel 4
Ungleichheit: Wie der Finanzmarkt von Arm nach Reich umverteilt
Große Vermögen wachsen schneller als kleine
Kredite – wer wenig hat, dem wird genommen
Der goldene Fallschirm: Man gönnt sich ja sonst nichts
Steuerflucht – ein Volkssport am Finanzmarkt
Der Finanzmarkt macht arme Länder noch ärmer
Da geht noch was: Wie wäre es mit einem Erlassjahr?
Kapitel 5
Klima: Wie der Finanzsektor die Klimakrise nach Kräften vorantreibt
Von Mannheim bis Dakota: die Finanziers der Klimakrise
Raus aus der Kohle, rein in Wind, Sonne & Wasser!
Gesucht: ein grünes Regelwerk für alle
Da geht noch was: der Bund als Vorbild
Kapitel 6
Digitalisierung: Warum Techkonzerne den Finanzmarkt nicht kapern dürfen
Der Fall Facebook – eine Datenkrake kapert die Finanzwelt
BlackRock: der unscheinbare Datenriese
Digitale Deals: Kaufen im Millisekunden-Takt
Da geht noch was: Dominanz der IT-Giganten ausbremsen
Kapitel 7
Europa: Was der neue Populismus mit dem Finanzmarkt zu tun hat
Finanzkrisen lassen die Menschen politisch nach rechts rücken
Big spender: Bankenrettung nach britischer Art
Banken gerettet, am Bürger gespart
Hedgefonds: die heimliche Macht im Hintergrund
Von wegen bella figura: die EU als Krisenclub
Ungarn: Die Schulden schlagen zurück
Die Finanzkrise entwickelt sich zur Brisanzkrise
Da geht noch was: Fairness in der Corona-Krise
Kapitel 8
Immer wieder Krise: Corona trifft auf einen instabilen Finanzmarkt
Die Finanzkrise ist nicht vorbei, sie hat sich nur verlagert
Das Finanzsystem heute: so anfällig wie ein chronisch Kranker
Fehlentwicklung 1: zu viel Finanzmarkt
Fehlentwicklung 2: ungleiche Verteilung
Eine vorhersehbare und vermeidbare Finanzkrise: das Klima
Corona: ein schwarzer Schwan?
Da geht noch was: mehr Eigenkapital
Kapitel 9
Lobbyismus: Allzeit präsent oder Warum die Bank immer gewinnt
Die freundliche Übernahme der Gesetzgebung
Kleine Geschenke festigen die Freundschaft
Man kennt sich, man schätzt sich
Lobbyopfer Finanztransaktionssteuer
Wie Lobbyisten geschickt wichtige Gesetze ausbremsen
Da geht noch was: Macht erfordert Gegenmacht
Kapitel Schlusswort
Die Lobby der anderen
Deutschland redet zu wenig über Finanzen
Ziele von Finanzwende
Danksagung
Anmerkungen
Kapitel 1: Kriminalität: Wie der Finanzmarkt illegale Machenschaften fördert
Kapitel 2: Geldanlage: Warum unser Erspartes nur Banken, Versicherer & Co reich macht
Kapitel 3: Immobilien: Wie uns Spekulanten um bezahlbare Wohnungen bringen
Kapitel 4: Ungleichheit: Wie der Finanzmarkt von Arm nach Reich umverteilt
Kapitel 5: Klima: Wie der Finanzsektor die Klimakrise nach Kräften vorantreibt
Kapitel 6: Digitalisierung: Warum Tech-Konzerne den Finanzmarkt nicht kapern dürfen
Kapitel 7: Europa: Was der neue Populismus mit dem Finanzmarkt zu tun hat
Kapitel 8: Immer wieder Krise: Corona trifft auf einen instabilen Finanzmarkt
Kapitel 9: Lobbyismus: Allzeit präsent – oder: Warum die Bank immer gewinnt
Schlusswort: Die Lobby der anderen
Es ist ein schöner Spätsommermorgen, als ich durch den Tiergarten in Richtung Zeit-Redaktion radele, um Marc Brost, den Leiter der Hauptstadtredaktion, zu treffen. In einem Interview will ich meinen Rücktritt aus dem Bundestag öffentlich machen. Für mich ist es ein Aufbruch ins Ungewisse. Noch weiß niemand in der Öffentlichkeit von unserem Vorhaben, noch könnte ich alles abblasen. Aber während ich kräftig in die Pedale trete, spüre ich nicht nur den Wind um meine Nase, sondern auch, dass der Schritt, den ich kommunizieren werde, richtig ist: Dieses Vorhaben ist es wert, dass ich dafür mein Bundestagsmandat aufgebe.
Erscheinen soll das Interview pünktlich zum zehnten Jahrestag der Lehman-Pleite. Zehn Jahre lang habe ich daran gearbeitet, die Finanzmärkte wieder in den Griff zu bekommen, nachdem sie die Weltwirtschaft an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hatten. In dieser Zeit ist mir immer klarer geworden, wie dringend es ein starkes Gegengewicht zur Finanzlobby braucht. Nur mit einem solchen Gegengewicht kann es gelingen, die Finanzmärkte stabiler zu machen und eine nächste Finanzkrise zu vermeiden. Denn nach dem Beinahe-Kollaps von 2008 machten große Teile der Finanzwelt munter weiter wie zuvor.
Bisher klaffte hier eine Lücke. Es fehlte jemand, der in Sachen Geld die Rolle übernimmt, die Umweltverbände wie Greenpeace, NABU oder BUND bei Klima- und Naturschutz spielen, Wohlfahrts- und Sozialverbände wie AWO oder Caritas beim Sozialen und Amnesty bei den Menschenrechten. Doch genauso dringend, wie sich um Fragen von Ökologie und Gerechtigkeit zu sorgen, ist es, sich darum zu kümmern, dass uns die Finanzmärkte nicht noch einmal an den Rand des Abgrunds bringen, zumal diese eng mit den beiden anderen Bereichen verflochten sind.
Während ich in die Pedale trete, lasse ich die letzten Monate noch einmal Revue passieren. Viele Gespräche liegen hinter mir mit Menschen, die wie ich versucht haben, die Finanzmarktregeln zu verbessern. Ihre Erfahrungen gleichen meinen: Im Zweifelsfall setzt sich immer die Lobby durch.
Meine Mitstreiter, das sind zum Beispiel Finanzmarktexperten wie Udo Philipp, der früher in der Private-Equity-Branche tätig war und sein enormes Wissen seither dafür einsetzt, die Finanzmärkte stabiler und fairer zu gestalten. Oder Antje Schneeweiß vom Institut Südwind für Ökonomie und Ökumene, die sich seit Jahren für eine gerechtere Weltwirtschaft engagiert und viel zur internationalen Dimension der Finanzkrise gearbeitet hat. Ganz entscheidend bei der Gründung waren auch deutsche Mitglieder der europäischen Organisation Finance Watch, mit der wir eng kooperieren wollten. Und natürlich zahlreiche Wissenschaftler wie Peter Bofinger, Martin Hellwig, Gustav Horn und Christoph Spengel. Auch Leute aus unterschiedlichen demokratischen Parteien waren von Anfang an mit dabei. So etwa Gesine Schwan (SPD) und der inzwischen leider verstorbene Norbert Blüm (CDU). Organisationen der Zivilgesellschaft, etwa Facing Finance oder der Deutsche Gewerkschaftsbund, machten ebenfalls mit.
Anfangs hatten wir daran gedacht, uns in einem losen Netzwerk zu organisieren. Dann hätte ich meine Aufgabe im Bundestag fortführen können. Doch schnell wurde uns klar, dass wir eine schlagkräftige Truppe von Mitarbeiterinnen und eine richtige, handlungsfähige Organisation brauchten. Schließlich hatten wir vor, uns mit einer der mächtigsten Lobbys des Landes anzulegen: mit Banken, deren Verbänden und billionenschweren Fonds, mit Versicherungskonzernen und Strukturvertrieben. Gleichzeitig würden wir auf der anderen Seite mit Finanzministern, Aufsichtsbehörden und Abgeordneten streiten müssen. Deshalb hatten wir einen Verein gegründet und eine Anschubfinanzierung von gemeinnützigen Organisationen gesichert.
Schnell war uns bei all den Diskussionen auch klar geworden, dass wir jemanden brauchen, der die Bürgerbewegung Finanzwende leitet und als Gesicht in der Öffentlichkeit auftritt. Eigentlich hatte ich vor, das Projekt lediglich mit anzuschieben, mich selbst aber im Hintergrund zu halten, denn sonst würde ich den Bundestag verlassen müssen. Finanzwende musste überparteilich und unabhängig sein. Andernfalls würden wir viele potenzielle Unterstützerinnen verlieren. Der Vorstand einer überparteilichen Organisation kann nicht gleichzeitig Mitglied einer Parlamentsfraktion sein und für diese in der Öffentlichkeit auftreten. Viele Abgeordnete stören sich nicht daran, Diener zweier Herren zu sein, und haben neben ihrem Bundestagsmandat einen oder mehrere Nebenjobs. Für uns stand aber immer fest, dass das keine saubere Lösung ist.
Als es dann schließlich auf mich als Vorstand des Vereins hinauslief, stand ich vor einer schwierigen Entscheidung: Wollte ich meine politische Arbeit im Bundestag beenden, um eine neue Organisation zu leiten, deren Zukunft alles andere als klar war und bei der ich zunächst Arbeitsstrukturen würde aufbauen müssen, die ich im Bundestag schon hatte? Denn trotz aller Kritik an vielen Abläufen im Bundestag war ich immer ein begeisterter Parlamentarier. Das kritische Nachhaken im Ausschuss, die heiße Debatte im Plenarsaal, das eifrige Recherchieren im Untersuchungsausschuss, die vielen Möglichkeiten, gute Initiativen aus dem Parlament heraus zu unterstützen – war Finanzwende es wert, das alles aufzugeben?
Letztlich war die große Unbekannte, ob genug Menschen mitmachen würden. Wenn sich uns viele Bürgerinnen und Bürger anschlossen, dann konnten wir gemeinsam wesentlich mehr erreichen als mein kleines Team und ich allein im Bundestag. Aber wenn alle sagten: »Schön, dass es euch gibt«, und nicht aktiv würden? Wenn alle abwarteten, statt mitzumachen? Dann hätte ich meine parlamentarische Arbeit, durch die ich immer wieder gute Ergebnisse erzielen konnte, eingetauscht gegen eine schwachbrüstige, wirkungslose Nicht-Regierungsorganisation.
Mein Wechsel wäre dann richtig, wenn sich genug Mitstreiterinnen fänden und genug Menschen bereit wären, einen finanziellen Beitrag zu leisten. Denn die einzige Finanzierung, die wirkliche Unabhängigkeit garantiert, sind die Beiträge von Bürgerinnen und Bürgern. Gelder aus der Finanzbranche oder eine staatliche Finanzierung würden unsere Unabhängigkeit gefährden. Meine Entscheidung für Finanzwende war also eine Wette gegen die Politikverdrossenheit. In diesen Tagen vor dem 15. September 2018 fühlte es sich an wie ein »stage diving«, ein Sprung ins Ungewisse, in der Hoffnung, dass viele dabei sein werden und mitmachen.
Als das Interview ein paar Tage später erscheint, erreichen mich viele Rückmeldungen. Teils von überraschender Seite: »Meine Unterstützung haben Sie auf jeden Fall«, sagt mir ein ranghoher Vertreter einer Aufsichtsbehörde am Telefon. »Ich bin zwar bei vielen Fragen keineswegs Ihrer Meinung, das geht mir teilweise viel zu weit, was Sie wollen. Aber wir brauchen Finanzwende dringend als Gegengewicht zu den Interessenverbänden. Sonst haben vernünftige Lösungen keine Chance.« Auch Mitarbeiter aus der Finanzbranche melden sich und wollen uns mit ihrem Sachverstand unterstützen.
Die mediale Resonanz ist enorm. Journalisten fragen mich, ob es das schon einmal gegeben habe, dass ein Bundestagsabgeordneter mitten in der Legislaturperiode in eine neue, zivilgesellschaftliche Organisation gewechselt sei. Mir fällt tatsächlich kein anderes Beispiel ein. Schon wenige Tage nach dem Interview haben wir 600 Mitglieder, mehr, als wir zu diesem frühen Zeitpunkt erwartet haben. Geht die Wette auf die aktive Bürgerschaft also auf?
Im Zug, beim Bäcker, in der Kneipe, überall werde ich angesprochen. Viele sind enttäuscht und begeistert zugleich. Enttäuscht, dass ein Abgeordneter, dem sie vertraut haben, sein Mandat ohne Not aufgibt. Begeistert, dass ein Abgeordneter das tut, was nötig ist, um die Ziele, von denen er überzeugt ist, zu erreichen. Eine langjährige Unterstützerin bei den Grünen in Baden-Württemberg bringt es auf den Punkt: »Ich bin so sauer, dass du uns im Stich lässt«, sagt sie. »Aber ich kann dir einfach nicht böse sein. Du meinst es ernst mit der Finanzwende. Und genau deshalb habe ich dich ja auch gewählt.«
Was wir bei der Gründung im Herbst 2018 nicht ahnen konnten, ist, dass unser Land schon so bald in einer neuen Krise stecken würde, die die Lehman-Krise in den Schatten stellt. Diesmal ausgelöst durch die Maßnahmen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Zwar habe ich immer damit gerechnet, dass es zu einer neuen, großen Krise kommen könnte. Aber dass es sich so schnell wieder genau wie 2008 anfühlt, das überrascht mich doch. Im Frühjahr 2020 gleichen die Nachrichten denen von 2008: Die Kurse an den Aktienmärkten stürzen in wenigen Tagen ab, schneller sogar als 2008. Im Tagesrhythmus beschließen die Zentralbanken massive Interventionen an den Kapitalmärkten, um die Liquidität zu sichern. Finanzminister kündigen milliardenschwere Stützungsmaßnahmen an, während immer mehr Firmen Kurzarbeit anmelden. Eine Krisensitzung jagt die andere.
Jetzt rächt sich, dass unser Wirtschafts- und Finanzsystem nach der letzten Krise nicht wirklich stabiler gemacht wurde – es ist höchste Zeit für eine Finanzwende.
Berlin, im Mai 2020
Schon seit Langem leidet unsere Gesellschaft an einer Finanzmarktvergiftung: Ein unfairer Umgang mit Sparvermögen und unserer Altersvorsorge, gigantische Steuerbetrügereien und dreiste Immobilienspekulationen machen uns das Leben schwer und hinterlassen das Gefühl, dass immer wieder die Falschen gewinnen. Berufsunfähigkeitsversicherungen zahlen selbst bei langer Krankheit nicht, obwohl sie genau für diesen Fall abgeschlossen wurden. Banken berechnen die Zinsen falsch – natürlich zu Lasten der Sparer. Sogenannte Geierfonds kaufen Schuldtitel armer Staaten zum Schnäppchenpreis auf und klagen dann die Rückzahlung auf voller Höhe ein, nachdem verantwortungsvolle Staaten das Land durch einen Schuldenerlass wieder stabilisiert haben. Hochfrequenzhändler können Millionen absahnen zu Lasten der anderen Beteiligten am Aktienmarkt.
Das Spielfeld, auf dem wir spielen, hat eine Schieflage. Die Normalbürger, Sie und ich, Menschen, die fürs Alter vorsorgen wollen, oder Menschen, die Schulden haben, wir spielen bergauf. Der Finanzmarkt zieht uns das Geld aus der Tasche. Die Bank gewinnt immer.
In Krisenzeiten wie jetzt wird das noch deutlicher sichtbar. Hedgefonds verdienen an der Corona-Krise mit der Spekulation auf fallende Kurse, während die Menschen Angst um ihre Jobs haben. Großunternehmen und ihre Geldgeber werden gerettet, während die Probleme kleinerer Unternehmen kaum Beachtung finden.
Als die Finanzmärkte Anfang März 2020 im freien Fall waren, wiederholte sich das Szenario vom Herbst 2008: Notenbanken in aller Welt sahen sich gezwungen zu handeln und das Finanzsystem mit Milliardeninterventionen zu stabilisieren. Nicht nur wurden – wo überhaupt noch möglich – die Zentralbankzinsen gesenkt. Vor allem weiteten die Notenbanken ihre Wertpapierkäufe massiv aus. So stieg die Bilanzsumme der Europäischen Zentralbank zwischen Ende Februar und Ende April 2020 – also innerhalb von nur zwei Monaten – um 15 Prozent an, von 4,7 Billionen Euro auf 5,4 Billionen Euro. In dieser Phase war das völlig richtig, aber in seiner Wirkung letztlich extrem unfair: Die Notenbanken kaufen Wertpapiere am Finanzmarkt auf, um die Preise zu stabilisieren und Kettenreaktionen zu stoppen. Davon profitierten allein Banken und Fonds, die diese Wertpapiere nun zu gutem Kurs an die Notenbank verkaufen können. Würde die Notenbank nicht intervenieren, hätten sie massive Verluste, ja würden vielleicht pleitegehen. In Boom-Phasen streichen Banken und Fonds die Gewinne ihrer Geschäfte ein, in schlechten Zeiten wird ihnen unter die Arme gegriffen. So erleben wir bereits zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit, dass mit der notwendigen Systemstabilisierung massive Hilfen für Banken und Fonds einhergehen.
Dann kam die Phase der Unternehmensrettungen. Es ist völlig richtig, dass der Staat in einer systemischen Krise wie Corona dafür sorgt, dass die Beschäftigung gesichert und Unternehmen stabilisiert werden. Denn sonst droht eine Serie von Insolvenzen, bei der nach und nach immer mehr Unternehmen kollabieren. Und wenn der Lockdown vorbei ist, braucht es die Beschäftigten und die Unternehmen, und es wäre extrem kostspielig, wenn nicht unmöglich, über Jahre hinweg aufgebaute Strukturen, Liefer- und Produktionsketten und Forschungsabteilungen von einem Tag auf den anderen wieder zum Leben zu erwecken.
Neben den Beschäftigten profitieren allerdings häufig auch die Geldgeber, sprich Banken, die Kredite gegeben haben, oder Aktionäre. In guten Zeiten erhalten diese Akteure eine sogenannte Risikoprämie, also entsprechend höhere Renditen, weil sie das Risiko einer Unternehmenspleite tragen. Doch in schlechten Zeiten müssen die Geldgeber dann häufig das Risiko gar nicht voll tragen, weil der Staat ihnen den Risikoeinsatz abnimmt und einspringt und nicht nur über Kurzarbeitergeld die Beschäftigung sichert, sondern auch als Unternehmensretter den Aktienkurs stabilisiert und die Bedienung der Bankkredite sicherstellt. Aktionäre und Banken dürfen sich so über die Unternehmensrettung freuen.
Besonders krass habe ich das in der Bankenkrise 2008 erlebt. In den Jahren zuvor rechtfertigten viele Manager ihre Millionengehälter mit der großen Verantwortung, die sie tragen. Komisch nur, dass sie dann, als sie die größte Finanzkrise seit Jahrzehnten verursacht hatten, gar nicht haften mussten! Spitzenkräfte in der Finanzbranche flehten damals um staatliche Hilfe. Der Staat stieg bei der Commerzbank ein, allerdings zu einem viel zu hohen Aktienkurs, den die Bank seither nie mehr erreicht hat. Ein unnötiges und ungerechtes Geschenk an die damaligen Aktionäre. Deshalb wird die Commerzbank-Rettung für den deutschen Steuerzahler ein Milliardenminus bringen. Doch kaum war das Schlimmste überstanden, gönnte sich der Commerzbank-Vorstand wieder ein Millionengehalt. Ein ähnliches Bild gab es auch bei anderen Banken, wo die Hilfszahlungen des Staates teilweise als Bonuszahlungen an Manager oder als Dividenden an Aktionäre ausgeschüttet wurden. Einzelne Institute waren sogar so dreist, illegale Geschäfte zu Lasten der Steuerzahler zu machen (die CumEx bzw. CumCum-Geschäfte, auf die ich noch näher eingehen werde), während sie vom Steuerzahler gerettet wurden.
Auch in der Corona-Krise haben manche Unternehmenslenker nach staatlicher Hilfe gefragt, weil es dem Unternehmen so schlecht ging, wollten aber nichts von einer Ausnahmesituation wissen, als es darum ging, die Gewinnausschüttungen an die Eigentümer und die Bonuszahlungen an die Manager zu begrenzen oder mögliche Gewinnverlagerungen in Schattenfinanzzentren zu beenden.
Erstaunt reibt man sich auch die Augen, wenn man sich die Zinsen anschaut. Klagen nicht viele Bankenvertreter lautstark über Niedrigzinsen? Manche Banken messen da offenbar mit zweierlei Maß: Die Guthabenzinsen sind in der Tat mickrig, aber bei den Dispokrediten ist vom Zinstief bisher wenig angekommen. Deutsche Kreditinstitute verlangen in Zeiten historischer Niedrigzinsen bei geduldeter Kontoüberziehung im Durchschnitt immer noch fast 10 Prozent, manche sogar bis zu 13,75 Prozent, statt ihrer Kundschaft in dieser Krisenzeit zur Seite zu stehen.
Die Corona-Krise hat wie ein Scheinwerfer den Blick auf diese Phänomene gelenkt, die wir auch sonst beobachten können. Denn Problematisches gibt es am Finanzmarkt auch sonst genug. Doch wir reden zu oft nur über die offensichtlichen Symptome, über Kriminalität, Mietsteigerungen, soziale Ungleichheit, Klimakrise. Die dahinterliegenden Fehlentwicklungen am Finanzmarkt werden zu selten mitgedacht.
Wie soll es aber gelingen, die Kriminalität zu bekämpfen, wenn von der Finanzbranche immer neue Gelder in kriminelle Aktivitäten gelenkt werden? Wie soll der Anstieg der Mieten gebremst werden, solange immer mehr Geld in den deutschen Immobiliensektor fließt und Wohnungen wie Wertpapiere gehandelt werden? Wie können wir den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft bewahren oder wiederherstellen, solange der Finanzmarkt wie eine große Umverteilungsmaschine zugunsten von wenigen wirkt? Und wie wollen wir die Klimakatastrophe verhindern, wenn Banken, Fonds und Versicherungen immer weiter klimaschädliche Projekte finanzieren?
Das Gefährlichste vielleicht ist, dass die wiederkehrende Finanzkrise und die damit einhergehende Umverteilung von unten nach oben Gift sind für unsere demokratische Gesellschaft. Es geht längst nicht mehr nur um Geld und Wohlstand, sondern um viel mehr. Wir müssen uns Sorgen machen, dass unsere freiheitliche Demokratie bei einem neuerlichen Schub der Finanzkrise massiv unter Druck geraten könnte.
Deswegen blicke ich höchst beunruhigt auf die derzeitige Wirtschaftskrise, die in ihrem Ausmaß ohne Vorbild ist. Noch nie haben sich so viele Menschen in den USA in so kurzer Zeit arbeitslos gemeldet. Noch nie hat eine Wirtschaftskrise praktisch die gesamte Welt erfasst – die Wirtschaftsleistung geht nicht nur in einer Region dramatisch zurück, sondern in allen Industrie-, Entwicklungs- und Schwellenländern zugleich. Noch nie sind die Umsätze vieler Unternehmen so schnell so stark eingebrochen, weil Nachfragerückgänge, Lieferengpässe und Produktionsausfall sich gegenseitig verstärkten.
Eigentlich wäre der Finanzmarkt dazu da, in Krisen stabilisierend zu wirken, also Schocks abzufedern. Tatsache ist jedoch, dass – wie beschrieben – seit den ersten Märztagen 2020 das Finanzsystem selbst durch die Zentralbanken stabilisiert werden musste, damit es die Wirtschaftskrise nicht noch massiv über den Kollaps von Fonds und Banken verschärft. Das war, auch wenn es nicht so genannt wird, natürlich eine Rettung von Fonds und Banken. Aus sich selbst heraus war das System keinesfalls stabil.
Während ich diese Zeilen schreibe, sind Bankenaufseher weltweit in Sorge, dass eine weitere Welle der Finanzkrise droht, wenn Unternehmen oder Haushalte ihre Kredite aufgrund der Wirtschaftskrise nicht mehr bedienen können. Die Gewinne der deutschen Kreditinstitute waren schon vor Corona gering. Es braucht also nicht viele Kreditausfälle, damit daraus Verluste werden. Diese würden das haftende Eigenkapital aufzehren, von dem die Institute leider viel zu wenig besitzen. Denn die Banken haben in den guten Jahren nur geringe Verlustpuffer aufgebaut. Deshalb wurden krisenbedingt einige Regularien für die Banken gelockert oder ausgesetzt. Bei den Hilfskrediten übernimmt die Bundesregierung bis zu 100 Prozent des Ausfallrisikos, weil die Banken keine zusätzlichen Risiken verkraften wollen oder können. Es ist also gerade nicht so, dass die Banken den Schock selbst abpuffern würden.
Dieses Buch handelt von der Finanzmarktvergiftung unserer Gesellschaft und davon, was wir dagegen tun können. Dabei existieren noch viel mehr Beispiele, was derzeit am Finanzmarkt schiefläuft, als ich hier aufzählen kann. Es gibt auch noch mehr Maßnahmen, die wir ergreifen sollten, als die, die ich hier skizziere. Und natürlich könnte man jede Menge kluge Analysen und Fragestellungen zusätzlich einbringen. Den einen oder anderen Experten wird es vielleicht enttäuschen, dass sie fehlen. Aber entscheidend ist ja genau das: dass wir die Finanzwelt nicht nur wenigen Insidern überlassen, deren Überlegungen sich nur darum drehen, wie man mit jeder Entwicklung für sich selbst oder seine Bank am meisten Geld verdienen kann.
Nein, die Finanzmarktvergiftung geht alle an, und der Versuch, sie zu stoppen, braucht viele Mitstreiter. Ich habe mich beim Schreiben daher von der Frage leiten lassen: Wo in unserem Alltag spüren wir die Symptome am deutlichsten? Mein Ziel ist es, dass wir diese Probleme besser wahrnehmen und endlich das Richtige dagegen unternehmen.
Die neuerliche Krise ist dafür der richtige Zeitpunkt. Plötzlich werden politische Maßnahmen diskutiert, die vor Wochen noch undenkbar waren. Jetzt wird die Dringlichkeit am deutlichsten, jetzt werden Milliarden mobilisiert. Wir sollten dieses Geld nicht nur dafür einsetzen, das System irgendwie vor dem Zusammenbruch zu retten, sondern die Krise als Chance sehen, das System stabiler und fairer zu machen. 2008 wurde diese Chance viel zu wenig genutzt. Diesmal müssen wir es besser machen, wollen wir nicht in wenigen Jahren schon wieder eine Großkrise globalen Ausmaßes erleben. Wir können zwar nicht verhindern, dass neue Viren entstehen oder einzelne Unternehmen bankrottgehen. Aber wir können unser Gesundheits-, Wirtschafts- und Finanzsystem so widerstandsfähig machen, dass aus solchen Ereignissen nicht Pandemien und Wirtschaftskrisen globalen Ausmaßes erwachsen. Zumindest müssen wir versuchen, mit den Krisenmaßnahmen bestehende Probleme nicht noch zu vergrößern. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn staatliches Geld zur Rettung in Unternehmen fließt, die es in Schattenfinanzzentren wie die Kaiman-Inseln weiterleiten, oder wenn die Krisenmaßnahmen zu einer Umverteilung von unten nach oben führen und damit die bereits bestehende soziale Schieflage vergrößern. Das wäre eine zusätzliche Dosis Gift für unsere Gesellschaft, die wir unbedingt verhindern sollten. Deswegen lohnt es jetzt, nicht nur die aktuellen Fragen der Corona-Krise in den Blick zu nehmen, sondern ganz generell die oft üblen Auswirkungen unseres heutigen Finanzsystems für unsere Gesellschaft. Nur dann können wir die Krise als Chance für eine Verbesserung nutzen.
Beginnen will ich beim Thema Kriminalität, weil ich hier selbst am meisten dazugelernt habe. Als ich 2005 als Abgeordneter anfing, mich mit dem Finanzmarkt zu beschäftigen, hätte ich nie gedacht, dass hinter den glitzernden Fassaden von Banken und Co. so viel kriminelle Energie steckt. Aber sehen Sie selbst.
Wohnungseinbrüche, Taschendiebstähle, Raubüberfälle, Dealer im Park – das macht vielen Leuten Angst. Genauso wie Schießereien vor Wettbüros oder Betrügerbanden, die Senioren ihre Ersparnisse abknöpfen. Und nicht nur im realen Leben lauern Kriminelle uns auf, auch im Internet versuchen sie, an unsere Konten und Kreditkarten zu gelangen.
Diese Art von Kriminalität hat stets unsere Aufmerksamkeit. Ausführlich wird darüber berichtet, diskutiert und davor gewarnt. Alle sind sich einig, dass sie bekämpft werden muss.
Dass Kriminalität Gift für jede Gesellschaft ist, erklärt sich eigentlich von selbst. Was aber viel zu wenig beleuchtet wird, ist die Rolle, die der Finanzmarkt dabei spielt. Zunächst einmal stellt er den Verbrechern seine Infrastruktur zur Verfügung. Die organisierte Kriminalität geht schließlich keinem Hobby nach, sondern verdient mit Verbrechen Geld. Kriminelle sind deshalb auf Banken angewiesen. Beispielsweise, um Drogengelder wieder ins Finanzsystem zu schleusen. Das Geld wird investiert. Sei es in eine Immobilie, einen Anteil an einer Firma oder eine Jacht. Weder für die Mafia noch für die Drogenkartelle würde sich das Business rentieren, wenn sie ihr Geld nicht reinwaschen könnten.
Auf der anderen Seite ist es aber so, dass die Geschäftsmodelle vieler Finanzdienstleister ohne kriminelle Gelder gar nicht funktionieren würden. Ein erheblicher Teil des Weltfinanzmarktes besteht allein aus Geldverstecken. Ein viel zu großer Teil des Finanzsektors ist williger Helfer der Kriminellen. Das beweisen unzählige Skandale.
Auch mit Anlagebetrug, Steuerraub und allerlei Tricksereien, immer zu Ungunsten von Kunden, Anlegern, Kreditnehmern oder dem Staat, mischen Banken und Co. im kriminellen Geschäft mit.
Nach Terroranschlägen, Bandenkriminalität und Gewalttaten wird stets gebetsmühlenartig die »ganze Härte des Rechtsstaats« gegenüber den Beschuldigten gefordert. Kommen die Verbrecher jedoch in Nadelstreifen daher, fehlt es häufig an der notwendigen Härte.
Doch nicht nur der Staat reagiert zu milde, wir alle empfinden anscheinend weniger Abscheu. Das mag daran liegen, dass Wirtschaftskriminalität nicht dieselben Emotionen weckt wie Mord oder Totschlag. Obwohl beides mit der Geldwäsche so eng verknüpft ist. Dass die breite Öffentlichkeit immer neue Fälle von Bankenkriminalität schulterzuckend zur Kenntnis nimmt, könnte auch an den Begriffen liegen, mit denen man die Skandale bezeichnet. Libor? CumEx? CumCum? Was soll man sich darunter vorstellen? Ein Präparat, um Bluthochdruck zu senken? Oder vielleicht ein Pandabär-Baby in einem Zoo?
Die Komplexität der Fälle schreckt selbst Journalisten ab. Sie müssen Inhalte in eine Headline fassen, die alle auf Anhieb verstehen. Sonst steigen Zuschauer und Leser sofort gelangweilt aus. Noch dazu lassen sich Finanzmarktverbrechen schlecht filmen. Wir bekommen nur immer wieder die Frankfurter Skyline oder das Logo einer Bank zu sehen, die Akteure selbst tauchen erst dann auf, wenn es wirklich mal zu einem Prozess kommt. Dann sehen sie in der Regel enttäuschend »normal« aus. Einfacher für die Kameraleute und spannender für die krimiliebende Zuschauerin ist es, wenn migrantisch aussehende Männer, an dicke Autos gelehnt, vor einem Spielsalon herumlungern. Noch besser, wenn Polizisten sie in Handschellen abführen. Da wissen alle gleich Bescheid, was die Stunde geschlagen hat. Ein Bankmitarbeiter mit Hemd und Krawatte, der auf seiner Tastatur Zahlen eintippt? Da kommt schnell Langeweile auf.
Doch davon sollte man sich nicht täuschen lassen. Dass es auch im Bereich der Banken schnell handfest zugehen kann, erfahren die Anständigen, die es eben auch unter den Finanzexperten gibt. Einige halten es für ihre Pflicht, die Öffentlichkeit zu informieren, obwohl sie dabei um ihr Leben fürchten müssen. So etwa der Whistleblower der Panama Papers. Und viele, die genauso heldenhaft sind, tauchen vermutlich nirgends auf, weil sie die Vorgänge, die sie beobachtet haben, nur den Compliance-Abteilungen ihrer Banken gemeldet haben. Diese sollten sich eigentlich darum kümmern, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Das tun sie aber nicht immer. Denn leider ist die Bank manchmal selbst nicht anständig.
Wer aber ist die Bank? Die Vorstände? Der Aufsichtsrat? Müsste bei Häusern, die jahrelang wissentlich mit Kriminellen Geschäfte gemacht haben, nicht auch die Chefetage ins Gefängnis wandern? Es scheint mit Verbrechern am Finanzmarkt jedenfalls ähnlich zu sein wie in der Drogenszene: eingefangen werden nur die kleinen Fische. Die Dealer, die am Bahnhof herumlungern, oder die einfachen Aktienhändler. Die weiter oben kriegt man nicht.
Doch natürlich haben nicht nur die Banken selbst oft ein Händchen fürs kriminelle Geschäft. Es gibt eine ganze Industrie, die sich unterstützend um sie herum gruppiert: Kanzleien, Steuerberater, Unternehmensberater, Wirtschaftsprüfer, Vermögensverwalter oder Agenturen für die Vermittlung von allerlei Dubiosem wie etwa Briefkastenfirmen. Und dann sind da Hedgefonds, die mit Tonnen von kriminellen Geldern operieren, und Fonds, die Anleger mit Schneeballsystemen abzocken.
Über welche Summen reden wir? Ein Bericht der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) schätzte den Wert an weltweit gewaschenen Geldern für 2018 auf 4,2 Billionen Dollar. Das würde etwa 5 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts entsprechen. Vorsichtigere Schätzungen gehen von 1,7 Billionen Dollar aus.1 Zum Vergleich: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt entsprach 2018 3,34 Billionen Euro. Damit liegt die Summe der weltweit gewaschenen Gelder etwa in der Größenordnung dessen, was wir in Deutschland in einem Jahr produzieren und an Dienstleistungen erbringen.
Das ist schon eine beträchtliche Summe, und sie ist in den letzten Jahren immer weiter angestiegen.2 Was vielen nicht klar ist: Deutschland gilt unter Experten als Geldwäscheparadies. Insbesondere die Mafia scheint sich bei uns pudelwohl zu fühlen. So ist Deutschland, neben Spanien, das einzige Land in der EU, in dem alle bekannten kriminellen Vereinigungen aktiv sind.3 Auch Staatsanwalt Roberto Scarpinato aus Palermo bestätigte diesen Sachverhalt, als ich ihn zu einer Anhörung in den Finanzausschuss des Deutschen Bundestags einlud. In praktisch allen Fällen, die er bearbeite, spiele Geldwäsche über Deutschland eine Rolle, sagte er.
Nur sie gibt dem organisierten Verbrechen Sinn. Deshalb verursacht Geldwäsche auch erst die Kriminalität, die das organisierte Verbrechen betreibt. Und wer Geldwäsche verhindert, bekämpft damit wiederum Kriminalität.
Geldwäsche führt aber noch zu anderen Problemen. Mafiabetriebe verdrängen mit ihrem illegalen, unversteuerten und damit billigen Geld die ehrlichen Konkurrenten. Nehmen wir einmal den Klassiker unter den kleinen Fällen: die Pizzeria. Für die Mafia-Pizzeria ist weder eine überteuerte Immobilie noch eine horrende Miete ein Problem. Sie kann trotzdem noch die preiswerte Pizza anbieten, denn Geld spielt keine Rolle. Ihr Geschäft besteht nämlich nicht darin, mit Pizzas Geld zu verdienen. Sie wäscht einfach nur kriminelles Geld. Damit drängt sie aber legale Konkurrenten aus dem Markt. Das ist eine ganz einfache ökonomische Betrachtung. Und so mancher Mafiabetrieb hilft vielleicht auch noch mit ein paar gutgemeinten »Ratschlägen« nach, damit der Wettbewerber das Feld räumt.
Es geht aber noch weiter. Denn das gewaschene Geld wird jetzt in legale Unternehmen investiert. Damit wird der Mafioso immer reicher und auch mächtiger. Gleichzeitig unterwandert er die legale Wirtschaft. Schließlich können die eingeschleusten illegalen Gelder auch ökonomische Schäden anrichten. Die gewaltigen, in eine Richtung fließenden Summen beeinflussen ökonomische Größen wie Zinsen oder Renditen.4 Zum Beispiel bei Immobilien.
Um das Geld sauber zu bekommen, bedarf es meist mehrerer Schritte: Erstens muss das Geld in den legalen Wirtschaftskreislauf eingespeist werden. Dann gilt es zweitens, seine Herkunft zu verschleiern. Schließlich muss es drittens dauerhaft in den legalen Kreislauf integriert werden.
Bei allen Schritten spielen Banken eine entscheidende Rolle. Einen Koffer voller Bargeld bei der Filiale abzuliefern sollte, zumindest bei uns, sehr schwierig sein. Bei Summen ab 15 000 Euro müssen Banken den Hintergrund genauer prüfen. Und wenn ihnen irgendwas verdächtig vorkommt, sind sie verpflichtet, es zu melden. Mehrfach 14 999 Euro am Automaten einzuzahlen ist also auch keine Lösung.
Kleinere Summen zu waschen, wie sie in Pizzerien, Wettbüros, Spielcasinos, Hotels, Auktionshäusern, bei Autohändlern und Juwelieren anfallen, kann man sich noch relativ leicht vorstellen. Doch bei größeren Summen wird das zu aufwendig.
Mitglieder der Familie R., eines arabischen Clans aus Berlin, sollen bei einigen der spektakulärsten Verbrechen beteiligt gewesen sein, die sich in Berlin in den letzten Jahren ereignet haben. So etwa dem Diebstahl einer Goldmünze aus dem Bode-Museum, deren Wert etwa 3,75 Millionen Euro beträgt.5 Auf 17,5 Millionen Euro schätzt das Landeskriminalamt die Beute aus über 1000 Vorgängen, bei denen Mitglieder der Familie R. verdächtigt wurden. In einem Zeitraum von 2008 bis 2018.6
Und wo landet das Geld? Das ist naturgemäß nur schwer nachzuvollziehen. Im Sommer 2018 wurden jedoch von der Staatsanwaltschaft 77 Immobilien beschlagnahmt, die dem Clan zugeschrieben werden. Die Ermittler gingen davon aus, die Immobilien seien auch mit Geld aus Straftaten finanziert worden. Im Zuge des Verfahrens wurde gegen insgesamt 21 Beschuldigte wegen des Verdachts der Geldwäsche ermittelt.7
An diesem Beispiel kann man sich schon besser vorstellen, wie es gelingen kann, größere Summen in die Legalität zu schleusen. Gerade der Immobilienmarkt genießt bei Geldwäschern eine hohe Popularität. Denn hier geht es um größere Summen, und schön wertbeständig sind die Immobilien zudem.
Das Bundeskriminalamt geht davon aus, dass von den für Deutschland geschätzten 100 Milliarden Euro, die aus kriminellen Vortaten stammen, jedes Jahr 20 Milliarden auf dem Immobilienmarkt gewaschen werden.8 »Der Immobiliensektor ist besonders anfällig für Geldwäsche«, sagt das Bundesfinanzministerium.9 Das liegt auch daran, dass es Möglichkeiten gibt, die Mittelherkunft und die Eigentumsverhältnisse intransparent zu machen. Spezielle Finanzierungsmodelle und Offshore-Standorte erschweren es, die Herkunft der Gelder nachzuvollziehen. Eine Vielzahl von rechtlichen Gestaltungsoptionen führt zu komplexen Eigentümerstrukturen, die nicht mehr durchschaubar sind. So sind nach Recherchen des Tagesspiegels in Berlin etwa unzählige Wohnungen auf Stiftungen und juristische Personen eingetragen, deren Anteilseigner unter anderem auf den Bahamas registriert sind.10
Dieser Verweis auf die undurchschaubaren Eigentumsstrukturen bringt uns dem Gesamtbild näher: Geldwäsche ist ein globales Business und kann nur mithilfe von global tätigen Finanzdienstleistern funktionieren. Der Chef der europäischen Polizeibehörde Europol, Rob Wainwright, bringt das klar zum Ausdruck: »Professionelle Geldwäscher […] schleusen Milliarden an illegalem Gewinn aus Drogen- und anderen kriminellen Geschäften durch das Bankensystem – mit einer 99-prozentigen Erfolgsrate.«11
Das Bild von der Mafia-Pizzeria und dem libanesischen Clan bedient hervorragend das vorherrschende Klischee, aber es verdeckt die Sicht auf das Gesamtphänomen und auf die Rolle der Finanzbranche. Offshore-Standorte, auch Steueroasen genannt, betreiben das Geldverstecken und das Verschleiern der Herkunft von Geldern als Geschäftsmodell. Steuer»oasen« ist allerdings ein viel zu netter Begriff für das, was dort geschieht. Schattenfinanzplatz trifft es schon eher. Die Behörden an diesen Orten schauen absichtlich nicht hin, wer bei ihnen ein Konto unterhält und was auf diesen Konten passiert. Auch arbeiten sie nicht mit den Ermittlungsbehörden anderer Länder zusammen. Leider sind sie deshalb oft Drehscheiben für ungesetzliche Machenschaften aller Art. Kurz: Oasen für Steuervermeider, Verbrecher und Terroristen.
Eine ganze Entourage aus Finanzberatern und Wirtschaftsanwälten steht bereit, um alle zu unterstützen, die Geld verstecken, ein Verbrechen verschleiern oder sich als Terroristen betätigen wollen. Zumindest dann, wenn diejenigen ein ausreichendes Vermögen haben. Rund 80 Prozent der Offshore-Gelder gehören den reichsten 0,1 Prozent der Weltbevölkerung. Und das dort untergebrachte Vermögen wächst schneller als die Weltwirtschaft. Etwa 12 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistungen liegt schon dort.12
Einer der Anbieter bei der Vermittlung von Offshore-Briefkastenfirmen war die Kanzlei Mossack Fonseca aus Panama. 48 Filialen in aller Welt hatte das von dem gebürtigen Deutschen Jürgen Mossack und dem Panamaer Ramón Fonseca geführte Unternehmen.13 Dank einer anonymen Quelle gelang es Journalisten der Süddeutschen Zeitung und ihren Kollegen aus aller Welt, 2016 eine Art Who’s who dieses Teils des Offshore-Imperiums zu erstellen. Wir alle haben so erfahren, wer hinter den anonymen Briefkastenfirmen steckt, die die Kanzlei vermittelt hat. Und natürlich haben wir so auch die Banken besser kennengelernt, die mit der Kanzlei zusammenarbeiteten.
Unter den Namen, die in den Daten des Whistleblowers auftauchten, befanden sich der Fußballer Lionel Messi, aber auch die japanische Mafia, die italienische Mafia, die russische Mafia, mutmaßliche Helfer von Assad und Gaddafi und ein sehr guter Freund von Wladimir Putin. Dazu der Premierminister von Island und seine Frau, die Familie des damaligen pakistanischen Premierministers Navaz Sharif, Geheimagent Werner Mauss, jede Menge FIFA-Funktionäre, 73 Angehörige arabischer Herrscherhäuser und viele Mitglieder der Polit- und Businesselite Chinas.14
Die panamaische Kanzlei war natürlich nicht der einzige Anbieter von Briefkastenfirmen. Aber anhand dieser Liste kann man sich gut vorstellen, wie es bei ähnlichen Dienstleistern aussieht.
Rund 200 00015 Briefkastenfirmen hat Mossack Fonseca vermittelt, davon etwa 1 20016 mithilfe deutscher Banken. So taucht etwa die BayernLB in den Datensätzen auf, aber auch die Deutsche Bank, die Commerzbank, die Dresdner Bank, die DZ Bank, die HypoVereinsbank, die Landesbank Rheinland-Pfalz, die HSH Nordbank, die BHF Bank und die Landesbank Baden-Württemberg. Meist liefen die Kontakte über Tochtergesellschaften in Luxemburg oder der Schweiz.17
Zum Service von Mossack Fonseca gehörten nicht nur die Briefkastenfirmen, sondern auch das Erschaffen von »Scheindirektoren« und »Scheineigentümern«. Dabei sind Banken in Deutschland seit 1993 dazu verpflichtet, den wahren Eigentümer, also den wirtschaftlich Berechtigten eines Kontos, zu kennen. Aber allzu genau wollte man es wohl oft nicht wissen.
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Auch gesetzlich hat sich mittlerweile einiges geändert. Die EU hat ihre Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung seit Ende 2017 verschärft. Ein automatisierter Datenaustausch erschwert jetzt die Hinterziehung von Kapitalerträgen innerhalb der EU massiv. Doch warum sollten gerade die Offshore-Banken, deren Geschäft im Verschleiern besteht, plötzlich die Wahrheit sagen?
Zumindest die Finanzmarkt-Kanzlei Mossack Fonseca musste ihre Büros in Panama 2018 schließen.20 Ein großes Datenleck ist schlecht fürs Geschäft, wenn man das Geld von Kriminellen betreut. Doch die Kunden sind vermutlich weitergezogen. Sie werden andere Helfer gefunden haben, die ihnen gegen Gebühren beim Geldverstecken helfen. Denn leider war Mossack Fonseca eben nur eine von vielen Firmen, die Möglichkeiten zur Steuerflucht offerieren.