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Inhalt
Abstract
Einleitung
1. Relevanz
1.1 Muslime in Deutschland
1.2 „Ich bin kein Rassist, aber...“ – Islambild in Deutschland als Feindbild?
1.3 Primär- und Sekundärerfahrung Islam – die Rolle der Medien
1.4 Pegida und der Anschlag auf Charlie Hebdo
2. Forschungsstand
2.1 Forschungsentwicklung und -überblick
2.2 Zentrale Studien und Ergebnisse
2.3 Konkretisierung des Forschungsinteresses
3. Theoretische Grundlagen
3.1 Die Nachricht zwischen Sender und Empfänger
3.2 Produktionsfaktoren
3.3 Operativer Konstruktivismus und Selektion von Themen
3.4 Selektion von Perspektiven
3.5 Multiperspektivität des medialen Islambildes
3.6 Rezeption und Rezeptionsfaktoren
3.7 TV-Nachrichten
3.7.1 Bedeutung und Potenzial der TV-Nachrichten
3.7.2 Fernsehen als Mehrkanalmedium und Rolle des Bildes
3.7.3 Tagesthemen und heute journal als Untersuchungseinheiten
3.8 Forschungsleitende Fragen
4. Methodisches Vorgehen
4.1 Fernsehanalyse
4.2 Sample, Analyseeinheiten, Aufgreifkriterien
4.3 Protokoll, Transkription, Codebuch
4.4 Auswertung und Analyse der Daten, Inferenzschlüsse, Begrifflichkeiten
4.5 Reliabilität
5. Auswertung und Ergebnisse
5.1 Deskription der Daten
5.2 Themen der Berichterstattung
5.3 Antizyklische Berichterstattung, Counter Narratives
5.4 Islam-Bezug in der Pegida-Berichterstattung
5.4.1 Pegida-Berichterstattung in den Tagesthemen
5.4.2 Pegida-Berichterstattung im heute journal
5.5 Perspektiven der Islam-Berichterstattung
5.5.1 Kommunikatoren
5.5.2 Aussageobjekte
5.5.3 Entwicklung der Themenkarriere „Islam“
5.5.4 Muslime als Opfer, Täter, Helden und Helfer
5.6 Visuelle Darstellung des Islams
5.6.1 Visuelle Darstellung der Aussageobjekte Islam/Muslime
5.6.2 Visuelle Darstellung des islamistischen Terrorismus
5.6.3 Muslime als wütende Masse
5.6.4 Text-Bild-Scheren
5.6.5 Vergleich mit bisherigem Forschungsstand
5.7 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse
Fazit
Theorie
Untersuchungsgegenstand und -zeitraum
Methodische Umsetzung
Auswertung, Analyse, Darstellung
Ausblick
Literaturverzeichnis
Sendungsliste
Anhang
Muslime haben in westlichen Gesellschaften, speziell in Deutschland, einen schweren Stand. Ihre Religion, der Islam, wird von immer größeren Teilen der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt. Diese Erkenntnis ist kein Randphänomen bildungsferner Schichten, sondern zunehmend auch in akademischen Kreisen festzustellen. Dabei fällt auf, dass vor allem diejenigen Deutschen besonders kritisch sind, die nicht auf Primärerfahrungen zurückgreifen können. Ihr Wissen über den Islam stammt hauptsächlich aus den Massenmedien, welche somit enormen Einfluss bezüglich in der Gesellschaft existenter Einstellungen gegenüber Islam und Muslimen haben. Unter diesen Vorzeichen entstanden in den vergangenen 40 Jahren zahlreiche Arbeiten, welche das Islambild westlicher Medien analysierten. Die meisten dieser Arbeiten stießen auf eine äußerst negative, islamkritische Haltung westlicher Massenmedien gegenüber dem Islam sowie Vorbehalte, Stereotype bis hin zu sogenannter „Islamophobie“. Hierbei bildete sich vor allem eine inhaltsanalytische Tradition heraus, welcher sich die vorliegende Arbeit anschließt.
Massenmediale Kommunikation generell und somit auch die Islam-Berichterstattung findet in einem komplexen und dynamischen Feld zwischen Sender und Empfänger statt. Vorgänge auf Seiten der Produktion werden durch verschiedenste interne und externe Faktoren determiniert, besonders bedeutsam ist hierbei die Selektion von Themen und Perspektiven, wobei die Nachrichtenwertforschung eine zentrale theoretische Basis darstellt. Die vorliegende Arbeit folgt dabei dem Verständnis Niklas Luhmanns, der den Journalismus als operativ konstruktivistisch beschreibt. Unter dieser Prämisse wird der Frage nachgegangen, inwiefern der deutsche Journalismus eine multiperspektive Berichterstattung über den Islam bietet. Die Begrifflichkeit der Multiperspektivität, einer journalistischen Schlüsselfunktion in Zeiten heterogener gesellschaftlicher Strukturen, wird dabei eingeführt und erstmals in diesem Forschungszusammenhang verwendet. Um mögliche Auswirkungen der Medieninhalte auf das Publikum diskutieren zu können, wird der theoretische Rahmen um den Rezipienten ergänzt, auf den ebenfalls zahlreiche – mediale und nicht-mediale – Einflussfaktoren wirken und für welchen vor allem der Ansatz des Agenda Settings eine zentrale Rolle spielt.
Der gegenwärtige Forschungsstand lässt zwar eine fast unüberschaubare Fülle an Studien erkennen, allerdings wurden drei Aspekte der Berichterstattung bislang nur ungenügend untersucht:
das Medium Fernsehen, der Einfluss von Schlüsselereignissen und die visuelle Darstellung von Islam und Muslimen. An diesen drei Punkten setzt die vorliegende Arbeit an. Zum einen wurden zwei TV-Formate untersucht: die beiden öffentlich-rechtlichen Nachrichtenmagazine Tagesthemen und heute journal. Zweitens wurde der Untersuchungszeitraum zwischen Dezember 2014 und Januar 2015 gewählt. In dieser Zeit entwickelte sich die sogenannte Pegida („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) zu einer deutschen Massenbewegung, die allwöchentlich mit zehntausenden Anhängern auf die Straße ging und ausführlich in den Medien thematisiert wurde. In den ersten Januartagen erhielt ein zweites Schlüsselereignis enorme mediale Aufmerksamkeit: der islamistische Anschlag auf die Redaktion des Satiremagazins Charlie Hebdo in Paris. Beide Ereignisse weisen einen direkten Islambezug auf. Drittens befasst sich eine Teilfrage der vorliegenden Arbeit explizit mit der visuellen Darstellung des Islams.
Die vorliegende Inhaltsanalyse umfasste eine Vollerhebung von 91 Sendungen. Aus diesen wurden auf Basis im Vorfeld festgelegter Aufgreifkriterien 358 Beiträge extrahiert, vollständig transkribiert und codiert. Die sprachliche Auswertung erfolgte sowohl quantitativ als auch qualitativ. Für die Analyse der visuellen Darstellung wurden Sequenzprotokolle erstellt, für besonders aussagekräftige Fälle zusätzliche Einstellungsprotokolle.
Die Ergebnisse bestätigen den bisherigen Forschungsstand insofern, dass das Thema islamistischer Terrorismus enorme mediale Aufmerksamkeit erhält. Betrachtet man den gesamten Untersuchungszeitraum unabhängig von der zeitlichen Entwicklung, ist Islamismus das bedeutsamste Thema bezüglich Häufigkeit, Umfang und Platzierung. Dabei dominieren einige wenige Regionen, hauptsächlich des Nahen und Mittleren Ostens, für welche eine fast vollständig negativ-thematische Berichterstattung festzustellen ist. Der Blick auf die zeitliche Entwicklung der Islam-Berichterstattung im Untersuchungszeitraum zwingt allerdings zu mehr Differenzierung. Dabei fällt zum einen auf, dass der Zusammenhang zwischen Pegida und Islam nur relativ selten hergestellt wird – vom heute journal noch häufiger als von den Tagesthemen. Die Berichterstattung über die Bewegung führt insgesamt nicht zu einem grundsätzlich veränderten Islambild. Pegida ist folglich nicht als Schlüsselereignis für die Islam-Berichterstattung der beiden Magazine zu betrachten. Deutlich einschneidender wirken die Ereignisse von Paris: Im Zuge der Berichterstattung darüber solidarisieren sich beide Redaktionen bewusst mit europäischen Muslimen und stellen insbesondere die Differenz zwischen Islam und islamistischem
Terror heraus. Muslime werden als schützenswert beschrieben und spielen für kurze Zeit sogar eine zentrale Rolle als Kommunikatoren im medialen Islam-Diskurs. Bisweilen unterscheiden sich die Perspektiven der beiden Redaktionen nach den Ereignissen von Paris immens, was die Einschätzung von Paris als Schlüsselereignis stützt. Im Zuge der Analyse der visuellen Darstellung des Islams konnten verschiedene wiederkehrende Motive herausgearbeitet werden. Besonders dominant sind hierbei betende muslimische Männer, Frauen mit Kopftuch, alltägliche Straßensituationen sowie wütende muslimische Männer.
Diese Ergebnisse zeigen sehr anschaulich, dass herausragende Ereignisse mit Islam-Bezug (Attentat von Paris) das Islam-Bild der Nachrichten kurzfristig stark verändern können, indem die Redaktionen sich schützend vor Muslime stellen. Dies ist vor allem insofern erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es sich hierbei um ein Ereignis mit radikalislamistischem Hintergrund handelt. Abgesehen von solchen einschneidenden Ereignissen wird die „Langzeiterzählung Islam“ allerdings vom Thema Islamismus dominiert. Daran ändert auch das Aufkommen einer deutschen, islamfeindlichen Bewegung wie Pegida nichts Grundlegendes. Wichtig ist allerdings, dass beide Magazine, vor allem das heute journal, dennoch ab und zu antizyklische Perspektiven einnehmen, weshalb nicht pauschal von einem islamophoben Islambild der Medien gesprochen werden kann. Hier zeigt sich gelegentlich der sehr bewusste Einsatz von Gegenerzählungen, neutralen und positiven Geschichten. Bezüglich der Auswertung der visuellen Darstellung ist es als erfreulich zu betrachten, dass eine relativ große Anzahl wiederkehrender Motive ausgemacht werden konnte. Dieses Ergebnis widerspricht der Vorstellung, die Bebilderung des Islams sei beschränkt auf Motive islamistischer Terroristen und verschleierter Frauen.
Mohammed ist ein freundlicher, gutmütiger Mann. Der Berber aus der marokkanischen Kleinstadt Tinerhir wuchs in einer sogenannten Kasbah auf, einem traditionellen Lehmhaus. Als junger Mann bereiste er als Tagelöhner weite Teile des afrikanischen Kontinents. Nach seiner Rückkehr in die marokkanische Provinz eröffnete er ein kleines Hotel – nicht aus Lehm, sondern aus Stein und Beton. Keine 200 Meter von seiner Geburtsstätte entfernt, die mittlerweile zerfallen ist.
In dieser kleinen Oase, dem Hotel Azul, durfte ich wenige Wochen vor Abgabe dieser Arbeit auf der Durchreise eine Nacht verbringen. Es war Hochsaison, jedoch nur ein einziges Zimmer belegt, nämlich meines. Wie das zu erklären sei, fragte ich Mohammed. Er verschwand, um wenig später mit einem Notizblock zurückzukehren, in dem er handschriftlich alle Buchungen in seiner Unterkunft festhielt. Alle Eintragungen außer meiner eigenen waren durchgestrichen. Alle anderen Gäste, so Mohammed, hatten nach dem 26. Juni storniert. Dem Tag, an dem ein islamistischer Attentäter in der tunesischen Küstenstadt Sousse 39 Urlauber tötete. Er wolle das nicht bewerten, versicherte Mohammed, aber der Zusammenhang sei nicht von der Hand zu weisen: Die potenziellen Touristen aus dem Westen hörten Tag für Tag durch die Medien von der weltweiten Gefahr des Islamismus, von immer neuen, immer grausameren islamistischen Terrorattentaten – und schließlich bekämen sie Angst vor dem Besuch muslimischer Staaten allgemein. Mohammed beobachtet also, dass aufgrund eines islamistischen Attentats in einem anderen Staat, mehr als 2000 Kilometer Luftlinie entfernt, schlagartig alle Buchungen in seinem Hotel zurückgezogen werden. Als Ursache beschreibt er die intensive Islamismus-Berichterstattung der westlichen Medien, und obwohl er diesen keinen Vorwurf machen möchte, bescheinigt er ihnen zumindest abschreckendes Potenzial. Für Mohammed könnte dieser Zusammenhang den wirtschaftlichen Ruin bedeuten.
Seine Einschätzung allerdings ist subjektiver Natur und entspricht keiner wissenschaftlichen Grundlage, sondern basiert ausschließlich auf Gesprächen mit seinen Gästen. Seine Feststellung ist folglich besser als Frage zu verstehen, etwa in dieser Form: Wie berichten westliche Medien über den Islam? Die Islam-Berichterstattung der westlichen Massenmedien spielt in der kommunikations- und medienwissenschaftlichen Forschung seit mehreren Jahrzehnten eine bedeutsame Rolle. Es existieren zahlreiche Studien, zu welchen die vorliegende Arbeit einen weiteren Beitrag liefern soll. Mit Hilfe eines Mehrmethodendesigns aus quantitativer und qualitativer Inhaltsanalyse wird der Frage nachgegangen, wie die beiden öffentlich-rechtlichen Nachrichtenmagazine Tagesthemen und heute journal zum Jahreswechsel 2014/15 über den Islam berichteten. Dabei stehen zwei Schlüsselereignisse im Fokus: die Pegida-Bewegung in Deutschland sowie das Attentat von Paris im Januar 2015.
Die Arbeit ist in fünf Kapitel gegliedert. In Kapitel 1 wird die gesellschaftliche Relevanz des Themas beleuchtet und die Bedeutsamkeit der Medien für den gesellschaftlichen Islam-Diskurs erörtert. Anschließend werden die beiden Ereignisse Pegida und Anschlag von Paris in Kürze skizziert. Kapitel 2 beschreibt den gegenwärtigen Forschungsstand und stellt bedeutsame Studien und deren Ergebnisse vor. Dieses Vorgehen ermöglicht zu einem späteren Zeitpunkt die Vergleichbarkeit mit den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit. In Kapitel 3 werden kommunikationswissenschaftliche theoretische Grundlagen erläutert, Einflussfaktoren auf Produktion und Rezeption diskutiert und die besondere gesellschaftliche Bedeutung von TV-Nachrichten beschrieben. Die beiden analysierten Nachrichtenmagazine werden portraitiert und der Ausschluss anderer TV-Formate für die vorliegende Untersuchung begründet. Zum Abschluss des Kapitels werden die forschungsleitenden Fragen dieser Arbeit formuliert. Kapitel 4 beschreibt das zu Grunde liegende Sample, die Analyseeinheiten und das konkrete methodische Vorgehen bei der Analyse. Im Zuge dessen werden außerdem Begrifflichkeiten definiert, die für Analyse und Auswertung von zentraler Bedeutung sind. In Kapitel 5 werden die auf Basis des zuvor beschriebenen Untersuchungsinstruments erhaltenen Forschungsergebnisse dargestellt. Abschließend werden die Ergebnisse in Bezug zum bisherigen Forschungsstand gesetzt, die eigene methodische Vorgehensweise kritisch reflektiert und auf mögliche Anknüpfungspunkte für folgende Forschungsprojekte hingewiesen.
Im Januar 2015 erschien eine in der medialen Öffentlichkeit breit diskutierte Studie der Bertelsmann Stiftung: der Religionsmonitor, Sonderauswertung Islam. Die repräsentative Bevölkerungsumfrage beschreibt muslimische Bürger Deutschlands –„unabhängig von der Intensität religiösen Glaubens“ – als liberal und reflektiert, als eng mit Deutschland und dem Grundprinzip der Demokratie verbunden (Bertelsmann Stiftung 2015: 4). 90% der in Deutschland lebenden Muslime geben an, Freizeitkontakte zu Nicht-Muslimen zu pflegen – ein Ergebnis, welches der These existierender muslimischer Parallelgesellschaften grundlegend widerspricht (ebd.). Ganz anders fallen die Befunde zur nicht-muslimischen deutschen Mehrheitsbevölkerung aus: Sie „lehnt (...) Muslime und den Islam zunehmend ab.“ (ebd.: 7) Mehr als die Hälfte der nicht-muslimischen Deutschen betrachtet den Islam als Bedrohung und ist der Meinung, er passe „nicht in die westliche Welt“ (ebd.). Die Ablehnung des Islams hat in den vergangenen drei Jahren stark zugenommen (ebd.: 8), was bei einem Viertel der Bevölkerung in der Einstellung resultiert, „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“ (24% stimmten zu; ebd.). Bereits 2010 erhielt dieses Item bei einer Umfrage des Projekts zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit 26,1% Zustimmung (Karis 2013: 12). Wurden Muslime vor 40 Jahren noch nicht religiös, sondern ökonomisch verortet („Gastarbeiter“) (Tiesler 2007: 25) und galten religionsbezogene Fragestellungen sowohl medial als auch gesellschaftlich als unmodern, stellt der Islam heute „eine der brennendsten Fragen in der westeuropäischen Öffentlichkeit“ dar (ebd.).
Die Antipathie gegenüber Muslimen jedoch ist kein Phänomen des 21. Jahrhunderts: Bereits in den 1990er-Jahren prangerten Vertreter verschiedener Religionen die fehlende Integration des muslimischen Glaubens sowie enorme Vorurteile gegenüber Muslimen in der deutschen Gesellschaft an (Hafez 1999: 122). Seither zeigt die Entwicklung, dass gerade in Deutschland Islamkritik en vogue geworden zu sein scheint, wie internationale Vergleiche zeigen. Zwar ist das Islambild in den meisten westlichen Ländern negativ, in Deutschland jedoch sind positive Zuschreibungen besonders selten. So beschrieben 2010 in der Studie Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt (WArV) weniger als 5% der Deutschen den Islam als tolerant und friedfertig (Yendell 2014: 470). Die deutschen Bürger präsentieren sich als Gesellschaft, die – verglichen mit anderen europäischen Ländern – alle Religionen „mit Abstand am negativsten bewerte(t)“, wobei der Islam wiederum die negativsten Beurteilungen erhält (ebd.: 472). Lediglich ein Drittel betrachtet den Islam als kulturelle Bereicherung, stellte 2010 eine repräsentative Emnid-Umfrage fest (Pollack 2013: 97). Die Ablehnungsquote gegenüber Muslimen liegt in Deutschland etwa doppelt so hoch wie in Dänemark oder Spanien (Yendell 2014: 478ff). Benachteiligung der Frau, Fanatismus und Gewaltbereitschaft – das sind die vorherrschenden Vorstellungen (Pollack 2013: 95). Mit dem Christentum hingegen assoziiert man in Deutschland Friedfertigkeit, Achtung der Menschenrechte, Solidarität und Toleranz (ebd.: 96). „Es entsteht der Eindruck, als wäre die Ambiguitätstoleranz bei den Deutschen weniger stark entwickelt als bei ihren westeuropäischen Nachbarn.“ (ebd.: 104) Diese „ständig wachsende Angst und Aversion der Deutschen gegen den Islam“ (Hafez 2009: 100) ist im Hinblick auf die historische Schuld Deutschlands im Umgang mit Minderheiten als äußerst alarmierend einzustufen.
„Malicious generalizations about Islam have become the last acceptable form of denigration of foreign culture in the West; what is said about the Muslim mind, or character, or religion, or culture as a whole cannot now be said in mainstream discussion about Africans, Jews, other Orientals, or Asians.“ (Edward Said, zit. nach Hafez 1999: 131)
Islamfeindlichkeit als salonfähiger Trend: Was Said, welcher der Genese der Islambildforschung durch sein Werk Orientalism 1978 den entscheidenden Impuls gab, im Jahre 1997 formulierte, wird vom Religionsmonitor im Bezug auf die BRD belegt: „Islamfeindlichkeit ist keine gesellschaftliche Randerscheinung, sondern findet sich in der Mitte der Gesellschaft.“ (Bertelsmann Stiftung 2015: 3) Dabei ist erstaunlich, dass weder Bildungsniveau noch politische Orientierung entscheidenden Einfluss auf das Islambild haben (ebd.: 9), sind dies doch üblicherweise „Fremdenfeindlichkeit dämpfende Faktoren“ (ebd.). Selbst jeder zweite Hochschulabsolvent empfindet den Islam als bedrohlich (ebd.). Die Tatsache einer flächendeckenden Islamkritik oder -feindlichkeit verstärkte sich seit 2010 nochmals zunehmend. Der Anstieg fällt keineswegs zufällig in das Jahr der Veröffentlichung des islamkritischen Bestsellers „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin (Uslucan 2014: 10) – immerhin erhielten dessen Thesen bei einer im September 2010 durchgeführten Forsa-Umfrage mehr als 70% positive Resonanz (Pollack 2013: 89). Sarrazin zählt zu einer wachsenden Bildungselite, die islamkritische Perspektiven öffentlichkeitswirksam platziert – eine Elite, zu der auch Alice Schwarzer, Henryk M. Broder und Hans Magnus Enzensberger gezählt werden können (Hafez 2009: 109). Dem gegenüber steht ein großes Desinteresse weiter Teile der deutschen Bevölkerung an außenpolitischen Themen (Hafez 2002a: 113) sowie der islamischen Kultur und Religion (Schiffer 2005: 13), was die Frage zulässt, wie aufgeklärt man hierzulande wirklich ist.
Dennoch ist der Tatsache Rechenschaft zu tragen, dass eine Abgrenzung vom Orient nicht erst seit kurzem existiert. Hafez (2009: 100) erläutert, der Islam habe „im Westen seit 1400 Jahren eine schlechte Presse“ und setzt damit den Zeitpunkt beginnender Ablehnung gleich mit der Religionsstiftung durch den Propheten Mohammed im 7. Jh.. Baran beschreibt einen akuten Anti-Islamismus europäischer Gesellschaften seit der frühen Neuzeit (Baran 1997), Halm verortet diesen vor der Islamischen Revolution und bezeichnet ihn als „historisch tief verwurzelt“ (Halm 2008: 98). Andere Autoren erkennen eine zunehmende Problematisierung im Zuge des „return of religion“ (Thomas 2007: 140) Ende der 1970er Jahre, einsetzend mit der Iranischen Revolution 1979. Die meisten Autoren jedoch setzen die „Otherization“ der Muslime (White 2007: 175) zeitlich gleich mit dem Ende des Kalten Krieges, als die NATO Anfang der 1990er Jahre „zwecks Selbstlegitimation einen neuen Feind finden“ musste, wie Ates (2006: 157) argumentiert (vgl. hierzu auch Bakr et al. 2003: 6; Ibrahim 2010: 112). Eine ernsthafte politische und gesellschaftliche Diskussion des Islams wurde speziell in Deutschland, das sich lange Zeit nicht als Einwanderungsland begriff (Halm 2008: 7), bis ins 21. Jh. verschoben – doch der Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 änderte die Relevanz des Themas in der Bundesrepublik wie auf der ganzen Welt. Seither ist der Islam eines der bedeutsamsten Themen deutscher, europäischer oder allgemein „westlicher“ Integrations- und Sicherheitspolitik (ebd.: 10). Aktuell befindet sich die postmoderne Gesellschaft inmitten eines Prozesses, in der die Rolle der Religionen, speziell des Islams, neu ausgehandelt werden muss (Thomas 2007: 140).
Der aktuelle Stand dieses Prozesses wird von Islam- und Politikwissenschaftlern in der Regel entsprechend der einleitend vorgestellten Studien beschrieben: ein negatives Bild von Seiten westlicher Bürger gegenüber Muslimen, eine „islamophobic hysteria“ (White 2007: 176), ein Feindbild Islam. Manche Autoren vergleichen den Zustand gar mit den Ressentiments und sozialdarwinistischen Vorurteilen gegenüber Juden im 19. Jh. und der ersten Hälfte des 20. Jh. (ebd.; vgl. auch Hafez 1999: 129). Der Feindbildbegriff stammt aus der sozialpsychologisch orientierten Vorurteilsforschung, fasst also stark ausgeprägte Vorurteile und Stereotype zusammen (Karis 2013: 28). Das Feindbild Islam, das Schiffer (2005: 11; 17) als „Neorassismus“ bezeichnet, entsteht durch eine dualistische Interpretation muslimische Welt/westliche Welt als „zwei sich gegenüberstehende und widersprechende Pole“ (Bakr et al. 2003: 6) auf Basis selektiver, emotional gesteuerter Wahrnehmung (Schiffer 2005: 13; 48) und beinhaltet bestimmte wiederkehrende Elemente: Homogenisierung, Worst-Case-Denken, Schwarz-Weiß-Denken sowie doppelte Maßstäbe von In- und Outgroup (ebd.: 15). Der Islam im westlichen Diskurs weist somit viele entscheidende Elemente eines klassischen Feindbildes auf (ebd.). Konkret bedeutet dies: Im Westen herrscht ein Kollektivbild des Islams vor, welches Gemeinsamkeiten zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen ausklammert und Unterschiede hervorhebt (Spielhaus 2013: 171). So ist die Vorstellung westlicher Gesellschaften geprägt von den Stereotypen a) Gewaltaffinität (welches eine lange Tradition in der westlichen Vorstellung besitzt (Schiffer 2007a: 161)), b) Rückständigkeit sowie c) Unterdrückung der Frau (Karis 2013: 29). Hinzu kommt das Stereotyp d) Terrorismusgefahr. Der Islam wird zudem als unaufgeklärt dargestellt, was Argumente islamischer Interessenvertreter von vornherein abwertet und ihnen die nötige Rationalität abspricht (Halm 2008: 22).
Das Feindbild Islam als Kollektivbild des Westens vernachlässigt zum einen viele Facetten der islamischen Religion und Kultur (Bakr et al. 2003: 6) und zum anderen das Faktum, dass mehr als 1,5 Milliarden muslimische Menschen wohl schwerlich eine muslimische Gesellschaft bilden (Spielhaus 2013: 171). „Das Bild von einer kohärenten, homogenen, unveränderlichen, islamischen politisch-sozialen Einheit ist falsch.“ (Flores 2014: 37) Die Unterscheidung zwischen Vertretern des sunnitischen und schiitischen Glaubens ist das wohl simpelste Beispiel für die innere Heterogenität des Islams. Ebenso anschaulich sind geographische Differenzierungen: So machen arabische Muslime (auf welche sich der Islam-Diskurs des Westens aus Migrationsgründen und aufgrund terroristischer Anschläge gegenwärtig hauptsächlich fokussiert) nur einen Teil der muslimischen Gesellschaften aus (Freitag 2003: 25ff). Die größten islamischen Gesellschaften leben heute in Indonesien, Pakistan, Bangladesch und Indien, diese Staaten liegen alle außerhalb der arabischen Siedlungsgebiete (ebd.: 25). Ebenso seien Muslime auf dem gesamten afrikanischen Kontinent erwähnt, welche sich äußerst heterogen präsentieren (Loimeier 2003: 41ff).
Islamistisches Gedankengut ist nur bei einem Bruchteil muslimischer Gläubiger vorhanden (Schneiders 2010: 337), und selbst diese müssen nicht grundsätzlich mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden (Flores 2014: 34). Der überwiegende Teil der weltweiten Islamisten lehnt Gewalt ab (Seidensticker 2015: 27), ebenso wie den offensiven Dschihad (ebd.: 107f). Nichtsdestotrotz haben etwa zwei Drittel der Deutschen Angst, dass „unter den Muslimen in Deutschland (...) viele Terroristen sind“ (Pollack 2013: 103). Weite Teile der deutschen Gesellschaft scheinen offenbar die innere Heterogenität des Islams zu verkennen (Bakr et al. 2003: 6). Eine kleine Gruppe radikaler Fanatiker bestimmt somit die Publikumsagenda, schürt Ängste und manifestiert Vorurteile – ein Bruchteil dessen, was als Islam zu betrachten ist, prägt somit das „stereotype Bild einer ganzen Kultur“ (Schiffer 2005: 37). Die Existenz dieser Ängste und des tiefen Misstrauens wirkt alles andere als integrationsfördernd (Baran 1997), ganz im Gegenteil: Sie befördert Diskriminierung und Ausgrenzung (Schneiders 2010: 337; Sielschott 2011: 159). Außerdem führt sie dazu, dass Muslime in der westlichen Welt spätestens seit 9/11 einem starken Rechtfertigungsdruck ausgesetzt sind (Halm 2008: 96).
Wie kann es sein, dass in einer global miteinander verbundenen Welt solche Ressentiments gegenüber einer einzelnen Gruppe Bestand haben und reproduziert werden können? Grundsätzlich muss festgestellt werden, dass nicht alle Mitglieder westlicher Gesellschaften islamfeindlich sind (Hafez 1999: 127). Es muss also unterschieden werden zwischen misstrauisch-ängstlichen Bürgern auf der einen sowie toleranten Bürgern auf der anderen Seite. Ein Blick auf die eingangs erwähnten Bevölkerungsumfragen zeigt, welche Bürger als tolerant und welche als kritisch oder gar feindlich bezeichnet werden können (vgl. auch Halm 2008: 58). Diesen Erhebungen zufolge ist vor allem ein Merkmal entscheidend: der persönliche Kontakt zu Mitgliedern der Out-Group, also zu Muslimen. In Deutschland hat gegenwärtig nur jeder dritte Nicht-Muslim Kontakt zu Muslimen, in den neuen Bundesländern ist es sogar nur jeder zehnte (Bertelsmann Stiftung 2015: 11). „66% der Personen ohne Kontakt zu Muslimen empfinden den Islam als bedrohlich; bei Personen mit solchen Kontakten beträgt dieser Anteil 43%.“ (ebd.) Die Zahlen bezüglich des Items, der Islam passe nicht in die westliche Welt, sind sogar noch gravierender (71% zu 42%; ebd.). Laut Yendell (2014: 464ff) ist diese Kontakthypothese in mehreren Studien als hoch signifikant bestätigt worden. Im Zuge der Studie WArV ließ sie sich für alle untersuchten europäischen Staaten nachweisen (ebd.: 474). Zum identischen Ergebnis kommt Pollack (2013: 114), der die Kontakthäufigkeit als stärksten Einflussfaktor ausmacht: Bei Kontakten zu Muslimen berichten drei Viertel der West- und zwei Drittel der Ostdeutschen von einer angenehmen oder sehr angenehmen Erfahrung, stellt er fest. „Wo man den Muslimen begegnet, ist übrigens nicht so entscheidend. Wichtig ist, ob man Erfahrungen mit ihnen macht.“ (ebd.) Daraus folgt das grundlegende Problem in der Ursachenbeschreibung des gesellschaftlichen Feindbildes Islam: die Kontakthäufigkeit, die verglichen mit anderen europäischen Staaten, z.B. Frankreich, hierzulande als äußerst gering einzuschätzen ist (ebd.; vgl. auch Ates 2006: 153; Bertelsmann Stiftung 2015: 11; Halm 2008: 58).
Wenn in Deutschland also Primärerfahrungen mit Muslimen die Ausnahme sind, muss die Haupt-Informationsquelle eine andere sein: Informationen, welche die Gesellschaft heutzutage über politische und komplexe ressortübergreifende Themen erhält, stammen zum größten Teil aus den Medien (Kamps 1999: 32). „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, ist der häufig zitierte Leitsatz aus Luhmanns Realität der Massenmedien (Luhmann 2009: 9). Im Bezug auf den Islam trifft dies in gesteigertem Maße zu: „Ohne Medien hätten wir wohl gar kein Bild vom Islam“, schreibt Schiffer (2005: 40; vgl. auch Hafez & Richter 2008: 10; Trautmann 2006: 141). Durch den Wegfall des kritischen Korrektivs primärer Eigenerfahrungen wird der Islam für die meisten von uns zum „Medien-Erleben“ (Kamps 1999: 24; vgl. auch Kamps 2004: 57), zu einer „indirekten ‚Begegnung’“ (Ates 2006: 153) mit einseitiger Wahrnehmung. Der Mensch, so Schulz (1976: 29), benötige die journalistische Hypothese von Realität, da sie das einzige Zeugnis sei, welches er vom Großteil der Ereignisvielfalt erhalten könne. Dies ist wiederum der Tatsache geschuldet, dass im Alltag ein direkter Zugang nur zu den allerwenigsten Ereignissen möglich ist (Cohen 1983: 12). Was im Nahbereich noch selbst überprüft werden kann, ist im Fernbereich so nicht mehr möglich – das Einflusspotenzial der Massenmedien ist in diesem Fall besonders hoch (Hafez 2002a: 12). Da das Islambild westlicher Gesellschaften wesentlich durch Auslandsberichterstattung geprägt wird, basiert es in erster Linie auf Sekundärerfahrungen (Schiffer 2005: 14), und zwar durch westliche Massenmedien, denn nur ein Bruchteil der deutschen Bevölkerung nutzt Ethnomedien (Hafez 2002a: 155; Uslucan 2014: 1).
In einer pluralistischen Informationsgesellschaft wie der unseren ist es somit unerlässlich, die mediale Darstellung kritisierter Minderheiten zu betrachten. Dies schlussfolgert auch Karis (2013: 17), da religiös-gesellschaftliche Konflikte nicht mehr ohne Analyse ihrer medialen Vermittlung verstanden werden könnten. Dabei ist die wissenschaftliche Kritik an den westlichen Medien im Umgang mit dem Islam mannigfaltig: Sie reicht von Vorwürfen der Dekontextualisierung und fehlender Differenziertheit (Baran 1997; Hafez 2002a: 65ff; Ibrahim 2010: 112; Riedel 2003: 16), über Ereigniszentrierung (Hafez 2002a: 65), Homogenisierung (Bakr et al. 2003: 7), Skandalisierung und Panikmache (Ates 2006: 154; Trautmann 2006: 151), bis hin zu unvorsichtigem Umgang mit Religionsnennungen in Täter-/Opfer-Beschreibungen (Desgranges 2007: 10; Schiffer 2007a: 161; Schneiders 2010: 331), bewusster Schaffung des Gegensatzpaars „deutsch/muslimisch“ (Paulus 2007: 16ff), Reproduktion von Stereotypen auf sprachlicher und visueller Ebene (Ibrahim 2010: 121; Toker 1996: 34ff) und einer Diskursherrschaft nicht-muslimischer Akteure (Halm 2008: 96; Tiesler 2007: 27). Um an dieser Stelle nicht die in Kapitel 2 vorgestellten Forschungsergebnisse vorwegzunehmen, soll es hier bei dieser knappen Aufzählung kritischer Standpunkte bleiben. Festzuhalten ist, dass kaum ein Thema bezüglich „des Fremden“ so sehr massenmedial präsent ist wie der Islam (Hafez 1999: 124; Hafez & Richter 2008: 14). Diese rein quantitative Tatsache kann eine notwendige Bedingung darstellen sowohl für eine besonders differenzierte Berichterstattung, aber auch für eine übertriebene Islam-Fokussierung mit negativem Grundton – eine hinreichende Erklärung bietet sie für keine dieser beiden Interpretationen.
Wie also berichten die Massenmedien? Wirken sie bezüglich ihrer Islam-Berichterstattung entsprechend ihrer idealtypischen Funktion „integrierend, unterstützen politische Partizipation und tragen zur politischen Meinungsbildung der Bürger bei“ (Kamps 1999: 58) oder sind sie entsprechend der Annahme Schiffers (2005: 54) „die wichtigste Quelle für die Stereotypenbildung und -bestätigung“? Es stellt sich folglich die Frage nach der Art und Weise der Berichterstattung über den Islam.
Zum Jahreswechsel 2014/15 dominierten zwei Themen die mediale Berichterstattung, die einen direkten Islam-Bezug aufwiesen und die im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen. Seit dem 20. Oktober versammelten sich allwöchentlich die Anhänger der Bewegung „Pegida“ („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) zuerst in Dresden, schnell auch in anderen deutschen Großstädten (unter abgewandelten Namen, z.B. „Legida“ in Leipzig oder „Dügida“ in Düsseldorf usw.). Mit ihren Demonstrationen bezogen sie Stellung gegen die Einwanderung vor allem muslimischer Migranten nach Deutschland. Mit ausländer- und islamfeindlichen Parolen zogen sie jeden Montagabend durch die Großstädte. Obwohl die Bewegung sich durch eine unscharfe Programmatik auszeichnete, erhielt Pegida ab Dezember alleine in Dresden einen Zulauf von mehr als 10.000 Demonstranten wöchentlich, kurz vor Weihnachten waren es 17.500 – eine neuartige Fremdenfeindlichkeit präsentierte sich plötzlich inmitten der Öffentlichkeit, namentlich bezog sie sich direkt auf den Islam. Das Phänomen, das sich vor allem in den neuen Bundesländern zeigte, mobilisierte bundesweit tausende Gegner der Bewegung, ebenfalls auf die Straße zu gehen (alle Informationen dieses Abschnitts: Geiges et al. 2015: 11ff). Schenkten Fernsehnachrichten dem Thema im Oktober und November noch kaum Aufmerksamkeit (ifem 2014a: 1; ifem 2014b: 1), entwickelte es sich im Dezember zum zweit populärsten Thema, nur geschlagen vom Thema „Weihnachten“ (ifem 2014c: 1).
Im Januar erhielten die Pegida-Demonstrationen sogar noch mehr Sendezeit in den Fernsehnachrichten. Allerdings lag das Thema erneut nur an zweiter Stelle, denn ein anderes Thema dominierte die Nachrichtenlage: der Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo (ifem 2015: 1). Am 7. Januar töteten die beiden Brüder Chérif und Saïd Kouachi bei einem Attentat auf die Redaktion des Pariser Magazins insgesamt zwölf Menschen. An den beiden Folgetagen, dem 8. und 9. Januar, tötete ein weiterer Terrorist, Amedy Coulibaly, unter Bezugnahme auf das Attentat in der Redaktion von Charlie Hebdo insgesamt fünf Menschen (sueddeutsche.de vom 10.01.2015). Alle drei Attentäter, die im Zuge von Polizeieinsätzen am 9. Januar getötet wurden, bekannten sich zu islamistischen Terrororganisationen: die Kouachi-Brüder zu Al-Quaida im Jemen, Coulibaly zum Islamischen Staat (lesoir.be vom 10.01.2015). Wenn im Folgenden vom „Attentat von Paris“ oder vom „Anschlag auf Charlie Hebdo“ die Rede ist, sind diese terroristischen Ereignisse als Gesamtheit gemeint.
Beide Ereignisse fallen, wie oben erörtert, in eine Zeit, in der Islamkritik immer mehr zum guten Ton zu gehören scheint. Sie fallen in eine Zeit des Wirkens radikalislamistischer Gruppen wie Al-Quaida, dem Islamischen Staat oder Boko Haram. Sie geschehen nur drei Jahre nach Ausbruch des Arabischen Frühlings, jener staatenübergreifenden friedlichen muslimischen Revolution, die weltweite Aufmerksamkeit erhielt. Sie fallen in eine Zeit, in der Muslime und der Islam zu einem bedeutsamen Teil der medialen Berichterstattung geworden sind. Gleichzeitig handelt es sich um zwei außergewöhnliche Ereignisse, die als gesellschaftliche „Schlüsselereignisse“ eingeordnet werden können (Fahr 2001: 5; Matthes 2014: 57), was sie als Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit prädestiniert. Wenn eine rechtspopulistisch gesinnte Bewegung wie Pegida zehntausende Menschen in Deutschland auf die Straßen lockt, ist dies ein Ereignis von hoher gesellschaftlicher Relevanz. Der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo muss in seiner Tragweite als herausragendes Ereignis für ganz Europa betrachtet werden.
Diese beiden Schlüsselereignisse besitzen das Potenzial, Routinen der Massenmedien aufzubrechen. Es sind Ereignisse, die zu redaktionellen Unsicherheiten führen können, indem sie die Medienschaffenden zur Orientierung zwingen (Matthes 2014: 16). In solchen Orientierungsphasen konkurrieren verschiedenste Perspektiven miteinander (ebd.), was die Frage aufwirft: Welche Perspektiven wurden von den Medien gewählt? Wie wurde konkret über den Islam berichtet? Um dies zu beantworten und Indizien für einen möglichen Wandel in der Berichterstattung zu finden, bedarf es eines genaueren Blicks auf vorliegende Forschungsergebnisse zum Umgang der Medien mit dem Islam.