
Über die Autorin
Sylvia K. Wellensiek: Dipl.-Ing. Innenarchitektur, Trainerin, Therapeutin (Physio- und Psychotherapie nach HPG), Coach, Autorin, leitet mit ihrem Mann ein Trainings- und Ausbildungsinstitut am Starnberger See. Mit Freude und Leidenschaft unterstützt sie Unternehmen, Teams und Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und Spitzensport in den Themenbereichen persönliches und organisationales Resilienz-Training, Unternehmenskultur, Führung, Kommunikation, Life-Balance und persönliche Exzellenz. Ihre Arbeit versteht sie als Bewusstseinstraining. Im Fokus steht die konsequente Wahrnehmung und Verbindung von Körper, Gefühl, Verstand und Seele.
Autorin der Bücher: »Handbuch Integrales Coaching«, »Handbuch Resilienz-Training« und »Fels in der Brandung statt Hamster im Rad«.
Impressum
Dieses E-Book ist auch als Printausgabe erhältlich
(ISBN 978-3-407-36517-0)
Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.
Lektorat: Ingeborg Sachsenmeier
© 2012 Beltz Verlag • Weinheim und Basel
www.beltz.de
Herstellung, Innengestaltung und Satz: Sarah Veith
Umschlagkonzept: glas ag, Jugenheim-Seeheim
Umschlaggestaltung: Nancy Püschel
Umschlagabbildung und Fotos Kapitelaufmacherseiten:
© Wilhelm Senoner, St. Ulrich in Gröden, Fotograf: Egon Dejóri – STORK Design
E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza
ISBN 978-3-407-29389-3
Für meinen Vater, Dr. Jobst Wellensiek, der in jeder
unternehmerischen Krise ungenützte Chancen und
Potenziale erkennt und freisetzt.
Inhaltsverzeichnis
Unsere Fähigkeit zu Resilienz
Eine unerschlossene Quelle zur Lösung komplexer Aufgaben
Die erschöpfte Arbeitswelt – alles übertrieben oder ernst zu nehmen?
Im Austausch genauer werden
Den Fokus auf Kraft und Ressourcen richten
Die eigenen Kräfte kennen und wecken
Resilienz in Unternehmen
Unsere Arbeitswelt verlangt einen Bewusstseinssprung
Resilienz kann gezielt trainiert werden
Veränderung beginnt im Geist
Das H.B.T.-Resilienz-Training spricht den ganzen Menschen an
Dank
Schritt 1: Fahren Sie Ihre Organisation durch den »Resilienz-TÜV«
Überprüfen Sie Ihre Widerstandskraft, Flexibilität und Belastungsfähigkeit
Eine mobile Welt verlangt viel Kraft
Signale erkennen und ernst nehmen
Leider noch die Ausnahme
Der Unternehmers-TÜV Sachliche und menschliche Faktoren gleichermaßen beachten
Klare Strukturen helfen bei der Betrachtung
Miteinander warmlaufen ist wichtig
Stabilisierende Faktoren lassen sich schnell zusammentragen
Schritt 2: Pflegen Sie den persönlichen und organisationalen Energiehaushalt
Schaffen Sie Bewusstsein für die Voraussetzung von Leistungsfähigkeit
Wie steht es um den eigenen, persönlichen Energiehaushalt?
Geben und Nehmen ins Gleichgewicht bringen
Sorgfalt und Fürsorge für sich selbst
Unterschiedliche Wahrnehmungen von Stress
Ernährung findet auf vielen Ebenen statt
Energiespeicher bewusst auffüllen
Die Übung »Das Energiefass« im Team durchspielen
Sprache wirkt auf die Qualität der Arbeit ein
Schritt 3: Fördern Sie kontinuierlich Ihre Resilienz-Faktoren
Trainieren Sie Schritt für Schritt umfassende Souveränität
Wesentliche Faktoren der Resilienz-Entwicklung
Persönliche Grundhaltung
Soziale Ressourcen
Arbeitsbezogene Ressourcen
Checkliste
Schritt 4: Planen Sie und Ihr Team systematisch Grenzerweiterungen
Unterscheiden Sie zwischen veränderbarer und unveränderbarer Welt
Druck herausnehmen – Ansprüche und Vorstellungen zurückfahren
Menschliche Entwicklungsschritte nüchtern planen und kontrollieren
Vom Tun und Lassen
Bisherige Hinderungsgründe systematisch miteinbeziehen
Es braucht Geduld und Entschiedenheit
Schritt 5: Wappnen Sie sich aktiv gegen Überforderung und Burnout
Verstehen Sie das feine Gleichgewicht zwischen Belastungen und Ressourcen
Symptome frühzeitig erkennen
Ursachen und mögliche Behandlungen
Kosten und Nutzen betrieblicher Gesundheitsprävention
Welche Verantwortung trägt die Führungskraft?
Seine Mitarbeiter kennen
Führung braucht Zeit und wirkliches Interesse
Schritt 6: Schmieden Sie Ihre Mitarbeiter und Kollegen eng zusammen
Bilden Sie tragende Netzwerke, die in Krisenzeiten Kraft spenden
Freundschaft und Flexibilität
Glück und Zufriedenheit gestalten
Netzwerkpflege ist heute unerlässlich
Die aktive Pflege des Beziehungsbands
Teamschmiede verlangt hohen Respekt und Aufmerksamkeit
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte
Die gemeinsame Kraft spüren
Schritt 7: Fassen Sie den Mut zur Klarheit
Üben Sie, komplexe Themen differenziert zu betrachten und ehrlich zu benennen
Verantwortung übernehmen und sich an die Arbeit machen
Der Grundpfeiler der Resilienz: die Arbeit an der persönlichen Haltung
Soziale Ressourcen schaffen
Aktives Gestalten der arbeitsbezogenen Einflussfaktoren
Vertrauen in die eigene Kraft – Vertrauen ins Leben …
Schritt 8: Schärfen Sie Ihre Intuition und Entscheidungskompetenz
Entwickeln Sie Spürsinn für mögliche Lösungswege
Nach vorne schauen
Resilienz als Sicherungsseil
Alle Sinneskanäle benutzen
Fühlen statt Denken
Schritt 9: Gestalten Sie Veränderungen aktiv und mit Überblick
Fördern Sie Kreativität, Verantwortung und Selbstreflexion
Freude an Veränderung gehört heute dazu
Emotionale Akzeptanz verlangt Zeit, Geduld und Lebensweisheit
Von der Resignation zur Lösungsorientierung
Sportsgeist entwickeln
Schritt 10: Bewahren Sie sich neben dem Spielbein konsequent ein Standbein
Verankern Sie sich fest in Ihren Werten und Ihrer ureigenen Kraft
Das Wesentliche nicht aus dem Auge verlieren
Authentisches Fühlen, Denken und Reden hält gesund
Achtsame Selbststeuerung setzt ungeahnte Kräfte frei
Die Balance von Ruhe und Bewegung
Literaturverzeichnis
Unsere Fähigkeit zu Resilienz
Eine unerschlossene Quelle zur Lösung komplexer Aufgaben
Woher stammt unsere Kraft und Energie?
Führungskräfte haben per se eine hohe Stressresistenz, sonst könnten sie nicht täglich ihren anspruchsvollen Job ausfüllen. Sie müssen äußerst belastbar sein, flexibel, weitsichtig, anpassungsfähig, zäh und extrem ziel- und lösungsorientiert, andernfalls halten sie die ständigen Turbulenzen, die das heutige Wirtschaftsleben mit sich bringt, schlichtweg nicht aus.
Viele Verantwortungsträger kommen mit schwierigen, kniffligen Bedingungen auch bestens zurecht. Sie lieben den Sturm, denn er fördert in ihnen Höchstleistungen zutage. Unter Druck laufen sie zur Höchstform auf und können vielfältige Fähigkeiten unter Beweis stellen. Dabei werden sie den hohen Wellengang sicher auch nicht dauerhaft als lustig empfinden. Er kann ihnen schlaflose Nächte bereiten, Schweiß auf die Stirn treiben und sie zunehmend in die Enge treiben. Und doch finden sie durch ihre innere Haltung ständig wieder Bewältigungsstrategien, um Krisen in Chancen zu verwandeln und durch den entgegengebrachten Widerstand schlummernde Kräfte in sich wachzurufen.
Durch Erfahrungswissen und Kreativität eröffnen sie sich Mittel und Wege, um geschickt sowohl durch Böen als auch durch Flauten zu navigieren. Sobald sie ihre Ängste und Unsicherheiten verarbeitet haben, wecken solche Schwierigkeiten in ihnen den Sportsgeist – die beste Voraussetzung, um sich mit Klugheit und Humor nicht den Schneid abkaufen zu lassen.
Diese innere wie äußere Spannkraft können sich Führende oft über viele Jahre, gar Jahrzehnte, erhalten und immer wieder neu aufbauen. Getragen werden sie dabei von ihrer hohen Motivation, Dinge voranzubringen, etwas bewegen und entwickeln zu wollen. Je leidenschaftlicher sie sich mit ihrer Aufgabe identifizieren, umso mehr stehen ihnen Ausdauer und Durchsetzungskraft zur Verfügung. Diese Menschen wirft so schnell nichts um. So war es zumindest bisher.
In den letzten Jahren ist im Selbsterleben von Verantwortungsträgern allerdings eine Veränderung zu bemerken. Schleichend, doch stetig. Immer mehr Leistungsträger sprechen von einem zunehmenden Druck, dem selbst sie, bei Auferbietung all ihrer Fähigkeiten, nicht mehr standhalten können. Leistungsorientierte, hochambitionierte, starke Menschen geraten ins Wanken und berichten von innerer Erschöpfung. Und es scheinen keine Einzelfälle zu sein, sondern es werden täglich mehr.
Diese bemerkenswerte Entwicklung kollidiert mit der Tatsache, dass sich Krisen und Ausnahmezustände in stetig größerer Geschwindigkeit anhäufen. Gerade jetzt, bei all unseren drängenden Problemen, die wir in Deutschland und weltweit zu lösen haben, wird das gesamte geistige, körperliche, emotionale und seelische Potenzial von Menschen dringend gebraucht! Aber das Gegenteil ist der Fall. Das Leben wird von vielen als ein Hamsterrad der inneren und auch äußeren Ansprüche wahrgenommen, in dem sie sich kontinuierlich verausgaben. Krisen können nicht länger als Sprungbrett in neue Dimensionen interpretiert werden, da der Akku, der solch eine Transformationsleistung zu vollbringen hilft, bei vielen gerade leer ist.
Es scheint, dass wir nicht nur auf kollektiv-globaler, sondern auch auf individuell-persönlicher Ebene ein Energieproblem haben: Woher stammt die Kraft, die wir täglich zur Gestaltung unseres Lebens brauchen? Oder andersherum betrachtet: Womit verschwenden wir die Energien, die uns von Natur aus zur Verfügung stehen und die wir so dringend benötigen? Können wir lernen, innen wie außen balanciert und nachhaltig mit unserem persönlichen Energiehaushalt umzugehen? Wie gelingt es uns, jeden Tag neu die Kraft zu generieren, die zur Erledigung all unserer Aufgaben, Anliegen und Wünsche gebraucht wird?
Und im Kontext dieses Buches gefragt: Wie schafft es ein Führender, Zusammenarbeit so zu gestalten, dass er weder sich selbst noch seine Mitarbeiter an den zu erfüllenden Aufgaben verschleißt? Kann Resilienz, sprich Widerstandskraft und Belastungsfähigkeit, systematisch gefördert werden, damit gerade aus schwierigen Konstellationen erst recht eine neue Arbeits- und Lebensqualität erwachsen kann?
»Wie ich mit meinen Maschinen umzugehen habe, dass sie mir als wertschöpfendes Kapital erhalten bleiben, weiß ich ganz genau. Aber wie mache ich das mit meinen Mitarbeitern? Früher krempelten in Krisenzeiten alle die Ärmel hoch und zogen an einem Strang. Heute spüre ich gar keinen Elan mehr dafür.« – So hörte ich kürzlich einen Geschäftsführer in großer Runde reflektieren. Solche wichtigen Fragen werden immer öfter in unterschiedlicher Form in der Öffentlichkeit diskutiert.
Die erschöpfte Arbeitswelt – alles übertrieben oder ernst zu nehmen?
In vielen Zeitungen und Talkshowrunden wurden wir letztes Jahr mit einem polarisierenden Thema konfrontiert, ja quasi bombardiert: Der erschöpfte Mensch, Teil einer erschöpfenden Arbeitswelt, Stress und Leistungsdruck bis zum Abwinken, Globalisierung und Informationsflut in unverdaulichem Übermaß, alles ständig schneller, höher und doch nicht weiter – wer hält das eigentlich noch durch?
Wie jedes gesellschaftliche Phänomen, das zu einem Modethema erkoren wird, zieht auch das Thema »Burnout« zunächst an, macht stutzig, lässt nachdenken, das eigene Leben resümieren. Weitere Zweifel keimen auf bis hin zur kompletten Infragestellung.
Stellen sich die vielen erschöpften Menschen in unserer Gesellschaft nicht furchtbar an? Übertreiben sie nicht maßlos mit ihren Beschwerden? Haben unsere Eltern und Großeltern nicht viel mehr gearbeitet und mussten sich nicht oft unvorstellbaren Strapazen standhalten, ohne jammern und klagen zu können? Ist eine psychosoziale Erkrankung nicht gerade chic und eignet sich hervorragend, um elegant auf den Seitenstreifen abzubiegen – während andere nicht kneifen, nicht ausweichen, sondern einfach weitermachen?
Aber ist der Freund eines Freundes, der bisher immer sehr sympathisch, sportlich und erfolgreich wirkte, nicht tatsächlich für einige Monate in einer Klinik verschwunden, um wieder neue Kräfte zu tanken? Dieser Schritt ist ihm sicher nicht leichtgefallen …
Ja, die Fragestellung »Brennen oder Ausbrennen?« birgt wahrlich viele unterschiedliche Facetten in sich, und jede spiegelt eine ernst zu nehmende Wahrheit wider. Die einen meinen, die ganze Diskussion sei maßlos übertrieben, und sachlich unscharf geführte Gespräche sollten schleunigst eingestellt werden. Zu dieser Position kann ich den hervorragenden Artikel von Christian Weber empfehlen: »Die Burn-out-Hysterie – Die anhaltende Debatte um das scheinbar zunehmende Leiden zeugt von einem falschen Verständnis psychischer Krankheiten« (erschienen am 22./23. Oktober 2011 in SZ/Wissen). Sein Fazit lautet: Die Medien und die Krankenkassen heizen das Thema übermäßig an, ohne ihre Aussagen und Annahmen auf validen Daten und Fakten gründen zu können. Das Durcheinander an Fragebögen und Symptomlisten für die Erhebung der Krankenzahlen öffnet Trittbrettfahrern Tür und Tor. Nach seiner Erkenntnis lässt sich in den letzten Jahrzehnten auf gesamtgesellschaftlicher Ebene kein wirklicher Trend zu erhöhten psychosozialen Erkrankungen identifizieren.
Der Trendforscher Peter Wippermann sieht das ganz anders und prophezeit dagegen, dass uns das Thema »Burnout« in Zukunft noch viel intensiver beschäftigen wird – nachzulesen in seinem Artikel »Ausgebrannt im Stand-by-Modus« (in: Focus Nr. 52/2011). Die drei großen Herausforderungen für 2012 heißen seiner Ansicht nach:
»Diskontinuität, Deregulierung und Komplexität. Diskontinuität bezeichnet die Fragmentierung des Lebens. Nichts ist mehr sicher. […] Brüche und Neuanfänge werden zum Normalzustand. Mit Deregulierung wird der allmähliche Rückzug des Staates bezeichnet, der Abbau von ehemals garantierten Sicherheiten, als dessen Folge den Menschen viel mehr Eigenverantwortung abverlangt wird. Die dritte große Herausforderung ist die Komplexität, der Zuwachs an Informationen und Wahlmöglichkeiten. Wir müssen morgen noch mehr Entscheidungen treffen und stehen stärker unter Entscheidungsdruck.« Im weiteren Text fährt er fort: »Niemand weiß eigentlich, wie sich Burn-out definieren lässt. Bisher existieren weder eine verbindliche Definition noch ein valides, allgemein gültiges diagnostisches Instrument für das Burnout-Syndrom. […] Doch wo ist das Problem? Dann mal los, möchte man den Medizinern zurufen, legt euch fest, entscheidet, welche Kriterien für eure Definition von Burnout gelten soll, schreibt sie in eure Diagnosekataloge oder erfindet gleich einen neuen medizinischen Fachausdruck. Und lasst den Menschen derweil ihre Burnouts. Schließlich ist es positiv, dass unsere Gesellschaft ihre Sprachlosigkeit überwindet und einen Begriff gefunden hat, mit dem sich die Überforderung des Einzelnen wenigstens ausdrücken lässt. Die Spielregeln für die Netzwerkgesellschaft werden ja gerade erst ausgehandelt.«
All diese Blickpunkte sind interessant und gegeneinander abzuwägen. Wer einen Schritt zurücktritt und sich die Mühe macht, neben den polarisierenden Teilaspekten auch ein größeres Bild anzuvisieren, wird feststellen: Die Erschöpfung eines Menschen, das Gefühl der Energielosigkeit und inneren Leere, ist das Ergebnis eines langen, langen Weges, den dieser Mensch schon zurückgelegt hat. Das Ende der eigenen Kräfte, und auch die einer Gruppe oder einer ganzen Organisation, ist das Symptom einer zunehmenden Verkettung unguter Einflussfaktoren. Die Wurzel des Geschehens ist zumeist multikausal, beruflicher sowie gleichzeitig privater Natur und nicht nur in der Gegenwart, sondern auch oft im biografischen Kontext zu suchen. Mit einem simplifizierenden »Schwarz-Weiß-Denken« ist sie also nicht zu identifizieren.
Im Austausch genauer werden
Ich erlebe die ganze Thematik tagtäglich in der Praxis, und dort spüre ich seit Jahren eine Verschärfung der Belastungen. Durch meine bundesweiten Vortragsreihen der letzten Jahre konnte ich mit vielen unterschiedlichen Menschen ins Gespräch kommen. Diese Veranstaltungen zum Thema »Persönliche und organisationale Resilienz« besuchen Vertreter aus den verschiedensten Unternehmen und Branchen. Zu Anfang waren es hauptsächlich Personalvertreter aus der Wirtschaft, die sich prinzipiell über die Möglichkeiten eines ganzheitlichen Gesundheitsmanangements informieren wollten. Heute treffe ich auf Personen, die sich vielfach aus eigener, dringender Betroffenheit informieren möchten. Sie kommen weiterhin aus der Wirtschaft, aber ebenso aus Schulen, von Universitäten, aus Krankenhäusern und Pflegeheimen, von Kindergärten, aus Handwerksbetrieben, vom Roten Kreuz, von Gemeinden und von der Regierung, von der Bundeswehr und der Polizei. Sie alle berichten Ähnliches.
Sie hätten in ihren Betrieben zumeist hoch motivierte Mitarbeiter, die gerne und gut arbeiten. Aber durch die Ereignisse der letzten Jahre hätte sich das gute, vertrauensvolle Arbeitsklima verschoben. Viele erzählen, die Atmosphäre an ihrem Arbeitsplatz habe sich sogar drastisch verändert – die Ursachen hierfür seien vielfältig. Als Hauptgründe werden genannt: Arbeitsverdichtung, stetige Informationsüberflutung, mangelnde Wertschätzung, zerfallende soziale Beziehungen bis hin zu einem »Sinnvakuum«. Die Konsequenzen dieser verschiedenen Einflussfaktoren münden in eine Negativspirale, die in vielen Unternehmen schmerzhaft spürbar wird.
Im Folgenden möchte ich Kernaussagen komprimieren, die immer wieder in den Gesprächen vorgetragen wurden:
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Die Arbeitsbedingungen haben sich komplett verändert, es wird aber noch aus dem alten »Mindset« heraus agiert.
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Maßnahmen, die in den Notzeiten der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise implementiert und unter der Angst vor Arbeitsplatzverlust von den Arbeitnehmern akzeptiert wurden, werden nicht zurückgenommen. Beispielsweise werden abgebaute Stellen nicht nachbesetzt, es existieren keine Urlaubs- oder Krankenvertretungsregelungen und vieles mehr.
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Insofern werden Mitarbeiter mehr ausgebeutet, als es mit Maschinen überhaupt möglich wäre. Arbeitnehmern wird immer mehr aufgeladen, ohne auf Ressourcen und Regeneration zu achten.
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Viele Führungskräfte haben schlichtweg keine Zeit zum Führen und sind unzureichend für die anspruchsvolle Aufgabe der Selbst- und Mitarbeiterführung ausgebildet.
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Die Unternehmenskultur, oftmals schick in Hochglanzbroschüren aufbereitet, verkommt zum reinen Lippenbekenntnis. Uneingelöste Versprechen sind absolute Motivationskiller und resultieren in gefühlter »Sinn-losigkeit« – das beschleunigt ein Burnout turbomäßig.
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»Führen mit Zielen« verfehlt immer öfter die gut gemeinte Wirkung und schafft durch unrealistische Zielsetzungen Druck ohne Ende.
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Menschen mit Leistungsabfall werden weiterhin stigmatisiert – Sprachlosigkeit verhindert den kreativen Umgang mit einer psychischen Erkrankung, zum einen in der Prävention, zum anderen im direkten Umgang und in der Wiedereingliederungsphase.
Die erwähnten Inhalte wirken oftmals sehr bedrückend. Durch den gemeinsamen Austausch verbessert sich die Stimmung im Raum aber schnell. Allein das Gespräch über diese Probleme lässt ein wenig Dampf ab und öffnet den Horizont für neue Blickpunkte.
Den Fokus auf Kraft und Ressourcen richten
Sich Zeit zu nehmen, gemeinsam hinzuschauen und verschiedene Blickpunkte einzunehmen halte ich für sehr wichtig, um nicht den größeren Kontext zu verlieren. Ganz außer Frage haben sich die Generationen vor uns in unbeschreibbar dramatischen Lebensumständen zurechtfinden müssen. Das ist heute anders. Zudem können wir glücklicherweise neben all den belastenden Faktoren unserer heutigen Zeit auch viele positive Veränderungen konstatieren: Der Wohlstand und die Freizeit haben zugenommen. Arbeit wird nicht nur als Gelderwerb, sondern oft auch als Möglichkeit der Selbstentwicklung eingestuft. An viele Arbeitsplätze koppeln sich hervorragende Angebote der Weiterbildung. Hierarchien sind flacher geworden; dadurch enstehen mehr Spielraum und Eigenverantwortung. Durch die erhöhte Mobilität erleben viele Menschen ganz andere Eindrücke und Impulse, die ihren Horizont weiten. Unsere Welt ist riesig geworden, bietet vielfältige Möglichkeiten, die gerade in unserer Gesellschaftsform von einem Großteil der Bevölkerung genutzt werden können. Doch: Trotz all dieser positiven Entwicklungen erleben viele Menschen ihr Leben als ewige Hast und Last und fühlen sich eingezwängt.
Denn tatsächlich werden die meisten Menschen an ihrem Arbeitsplatz, unabhängig von Branche und Funktion, mit einer unglaublichen Arbeitsverdichtung und ansteigenden Informationsflut konfrontiert. So wie es ausschaut, wird sich daran erst einmal nichts ändern. Die Frage bleibt, mit welcher kreativen Intelligenz jeder Einzelne und auch Teams sowie Organisationen mit dieser Situation umgehen. Aus ganz weiter Perspektive betrachtet, durchlaufen wir gerade eine neue Stufe unserer menschlichen Entwicklungsgeschichte. Evolution basiert auf intelligenter Anpassung. Und diese Anpassung haben bisher nur wenige durch einen intensiven Bewusstwerdungs- und Veränderungsprozess geschafft.
So erscheint mir jeder Tag wie eine Medaille mit zwei Seiten, die den Blick auf die Defizite oder auf die Ressourcen der persönlichen Situation anbietet. In meinem Leben habe ich diese Münze oft in Händen gehalten und sie von einer Seite auf die andere gedreht. Mit den Jahren habe ich mich entschieden, mich in meiner inneren Ausrichtung ganz und gar auf die Chancen des Lebens zu konzentrieren und mich in dieser inneren Haltung konsequent zu stärken.
In jungen Jahren war ich noch kein sehr widerstandsfähiger Mensch, eher empfindsam und sensibel. Und dennoch habe ich schrittweise gelernt, meine eigene Kraft und Stärke zu entdecken und kontinuierlich auszubauen. So entdeckte ich zunächst an mir selbst die wunderbare Entfaltung der inneren Widerstandsfähigkeit, die mich für vielfältige Aufgaben und Prüfungen rüstete. Im Austausch mit meinen zahlreichen Klienten und Kursteilnehmern wuchs in mir das Interesse und die Faszination an der ungeheuren Widerstandskraft und Belastungsfähigkeit, die wir Menschen in uns tragen und systematisch ausbauen können. So möchte ich mit meiner Arbeit Mut machen, den berühmten Blickpunktwechsel vom halbleeren zum halbvollen Glas vorzunehmen und auf die Entwicklungsfelder und möglichen Synergien zu schauen, die uns unsere schnelle, vollgepackte, zusammengerückte Welt anbietet. Den Blick zu schärfen macht Sinn, denn nur Potenziale, die wir registrieren, können wir auch nutzen.
Die eigenen Kräfte kennen und wecken
Widerstandskraft, Belastungsfähigkeit und Flexibilität, all diese Eigenschaften, die wir heutzutage dringend brauchen können, werden mit dem Begriff »Resilienz« umschrieben. Es ist ein Grundgedanke, der aus der Werkstoffkunde stammt. Er schildert die Fähigkeit eines Stoffs, nach einer Verformung durch Druck- oder Zugeinwirkung wieder in seine alte Form zurückzukehren. Diese Bezeichnung veranschaulicht also die Fähigkeit eines Systems, von außen und von innen kommende Irritationen ausgleichen oder ertragen zu können, ohne dabei kaputtzugehen. Das Material übersteht Verformungen, ohne dabei die eigene, ursprüngliche Form einzubüßen. Im Lateinischen existiert die Vokabel resilire, und sie bedeutet »zurückspringen« oder »abprallen«. Im Deutschen ist keine allgemein gültige Definition für das davon abgeleitete Wort »Resilienz« vorhanden – es wird als Synonym für Widerstandsfähigkeit, Belastbarkeit oder Elastizität verwendet. Das assoziierende Bild dabei ist das Stehaufmännchen, das sich aus jeder beliebigen Lage wieder aufzurichten vermag.
Die Kinderpsychologie kennt diesen Terminus schon länger und bemüht ihn, wenn Kinder oder Jugendliche trotz schwieriger Lebensumstände in eine gute Entwicklung finden. Emmy E. Werner, eine amerikanische Entwicklungspsychologin, machte zu diesem Phänomen eine spannende Längsschnittstudie. Sie begleitete über 40 Jahre lang die Entwicklung von ungefähr 700 Menschen, die im Jahre 1955 auf der Hawaii-Insel Kauai geboren wurden. All diese Menschen wuchsen unterschiedlich auf: die einen erlebten ihre Kindheit sehr wohlbehütet und in einem geschützten, liebevollen Umfeld, andere dagegen unter schwierigsten Bedingungen in ihrem Elternhaus und ihrer Umgebung. Wider den Erwartungen konnte ein Drittel der vorbelasteten Risikokinder einen erfüllten, stabilen Lebensweg einschlagen. Emmy Werner gelang es, verschiedene Faktoren zu identifizieren, die diese Kinder beziehungsweise Erwachsenen von den anderen zwei Dritteln unterschieden. Es waren zum einen günstige Charaktereigenschaften, über die die Kinder selbst verfügten. Sie wurden als gutmütig, liebevoll und ausgeglichen beschrieben. Außerdem erwiesen sie sich als kommunikativ, wenig ängstlich, konnten Umstände reflektieren und sich ein eigenes Bild machen. Sie besaßen gute Problemlösefähigkeiten und konnten Dinge realistisch einschätzen.
Darüber hinaus gab es psychisch schützende Faktoren in ihrem Umfeld. Wichtig war, dass die Kinder eine stabile Bindung an einen Erwachsenen aufbauen konnten und von diesem zuverlässig unterstützt wurden. Die resilienten Kinder neigten dazu, sich in Krisenzeiten nicht nur auf ihre Eltern zu verlassen, sondern suchten auch bei Verwandten, Freunden, Nachbarn oder älteren Menschen in ihrer Gemeinde Rat und Trost. Die Verbindungen zu Freunden aus stabilen Familien hielten oft ein Leben lang und halfen den Kindern, eine positive Lebensperspektive zu entfalten. Ein Lieblingslehrer oder ein Pfarrer konnte für die Kinder zum positiven Rollenmodell werden.
Die Längsschnittstudie deckte Einflussfaktoren auf, die das Risiko von psychosozialen Störungen beziehungsweise Erkrankungen mildern oder einschränken konnten:
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angeborene Eigenschaften des Individuums,
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Fähigkeiten, die der Einzelne in Interaktion mit seiner Umwelt erwarb sowie
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umgebungsbezogene Faktoren.
Diese Ergebnisse deuten auf einen Zusammenhang hin, den ich durch meine persönlichen Beobachtungen nur ganz und gar bestätigen kann. Innere Widerstandskraft, Selbstbewusstsein, Gelassenheit und Souveränität lassen sich kraftvoll fördern, wenn man auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig ansetzt: bei der Beziehung zu sich selbst, beim Kontakt zu anderen Menschen und bei der aktiven Gestaltung der umgebenden Einflussfaktoren. Resilienz ist keine Eigenschaft, die uns Menschen von Natur aus in die Wiege gelegt wurde. Sie ist eine Veranlagung, die in jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist und aktiv angestoßen sowie gestärkt werden kann.
Ganz außer Frage gibt es Personen mit einer besonders ausgeprägten Stressresistenz und einem unerschütterlich sonnigen Gemüt, die das Glas immer halbvoll sehen. Von diesen in sich balancierten, robusten Menschen laufen aber gar nicht so viele herum, wie man denkt. Bei genauerer Betrachtung ist das angeborene Stehaufmännchen-Gen eher die Ausnahme. Viel öfter bilden Menschen erst im Laufe ihres Lebens diese innere Festigkeit aus, indem sie die verschiedensten Höhen und Tiefen ihres Schicksals meistern. Widerstände und Prüfungen zwingen sie dazu, alle nur möglichen Ressourcen und Potenziale in sich selbst flottzumachen.
Emmy Werner läutete mit ihrer Untersuchung einen Paradigmenwechsel ein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Psychologie auf die Faktoren und Umstände geachtet, die einen Menschen krank und unglücklich machten. Nun wurde der Blickpunkt erweitert und beobachtet, wie eine Person trotz widriger Umstände in ein glückliches, erfülltes Leben finden konnte.
Das Resilienzkonzept weist unter anderem Parallelen zur Salutogenese (Aaron Antonovsky) auf, zur Positiven Psychologie und zum Stress-Coping-Modell (Richard Lazarus). Es beschreibt aber ein umfassenderes Modell für die Bewältigung von zerrüttenden Lebensumständen und die Möglichkeit, stärker und reifer aus diesen Stürmen hervorzutreten. Viktor Frankl, der Entwickler der Existenzanalyse und Logotherapie, ist ein ganz hervorstechendes, berührendes Beispiel hierfür. Durch die Verarbeitung seiner schrecklichen Erfahrungen im Krieg und im Konzentrationslager schenkte er uns ein Bild davon, was innere Stärke und Hingabe ans Leben bewirken kann. Er transformierte Grauen und Entsetzen in Liebe und Versöhnung. Diese tiefe Dimension schlummert im Konzept der Widerstandskraft. Glücklicherweise können wir es im Alltag für weit weniger dramatische Ereignisse einsetzen.
Literaturtipp
Viktor E. Frankl (2009): … trotzdem Ja zum Leben sagen. In dem Erlebnisbericht, den Frankl zunächst anonym veröffentlichen wollte, beschreibt er aus der Sicht eines Psychologen seine Erlebnisse im Konzentrationslager. Das zentrale Erlebnis für Frankl war in dieser Zeit die Erfahrung, dass es möglich ist, auch noch unter inhumansten Bedingungen einen Sinn im Leben zu erkennen.
Resilienz in Unternehmen
Im wirtschaftlichen Kontext geht die Definition des Begriffs »Resilienz« über die individuelle Fähigkeit hinaus und schließt darunter auch die organisationale Fähigkeit ein, sich schnell und erfolgreich an ständig verändernde Anforderungen – intern wie extern – anzupassen. Die Definition verdeutlicht, dass eine direkte Abhängigkeit zwischen der Stärke und Wirksamkeit aller Organisationsmitglieder und der Fähigkeit des Unternehmens als Ganzes besteht. So lässt sich Resilienz aus den verschiedensten Blickwinkeln begutachten und auf allen Ebenen eines Unternehmens untersuchen beziehungsweise durchdeklinieren.
Literaturtipp
Sylvia Kéré Wellensiek (2011): Handbuch Resilienz-Training. Resiliente Menschen können auf Anforderungen wechselnder Situationen flexibel reagieren. Im wirtschaftlichen Kontext geht die Definition des Begriffs »Resilienz« über die individuelle Fähigkeit hinaus und umfasst auch die Anpassungsfähigkeit von Organisationen an Veränderungen. Dieses Handbuch liefert beides: Resilienz-Training für Mitarbeiter und für Unternehmen. Zielgruppe: Führungskräfte, Geschäftsführer, Personalentwickler, Betriebsärzte, Betriebsräte, Personalräte, Berater, Trainer.
Das vorliegende Buch greift die besondere Perpektive von Führungsverantwortlichen auf, in der Beziehung zu sich selbst, zu den Mitarbeitern, Kollegen, Kunden, Vorgesetzten und auch zu ihrer Familie und ihrem privaten Netzwerk. Viele Menschen haben Führungsaufgaben zu lösen. Die zentralste von allen betrifft jedes Wesen auf diesem Erdball: sich selbst so glücklich und gesund wie möglich durch das eigene Leben zu führen
Literaturtipp
Sylvia Kéré Wellensiek (2012): Fels in der Brandung statt Hamster im Rad. In zehn Schritten zu persönlicher Resilienz. Das Buch zeigt, wie mit komplexen Alltagsbedingungen souverän umgegangen werden kann. Nicht: Warten, bis Überbeanspruchung und Erschöpfung zu groß werden und den ganzen Organismus schachmatt setzen. Besser: Im Vorfeld die Bremse ziehen, Symptomen auf den Grund gehen, Resilienz gezielt trainieren. Zielgruppe: Menschen, die immer wieder an ihr persönliches Limit gelangen; die Krisenzeiten als Aufruf verstehen, ihre Potenziale kraftvoll zu entfalten; die fundiert und zügig an ihrer Persönlichkeit arbeiten wollen.
Zu dieser elementaren Aufgabe, die ja eine hohe Kunst ist, gesellen sich die vielfachsten Herausforderungen: die eigenen oder anvertrauten Kinder großziehen, Tiere geleiten, kleine oder große Gruppen im privaten und beruflichen Bereich führen, einzelne Personen, Teams oder ganze Organisationen groß und erfolgreich machen und zu einem sinnvollen, selbsttragenden Organismus entwickeln.
Führung ist eine fantastische, spannende und äußerst diffizile Tätigkeit, die schon immer, in jeder gesellschaftlichen Konstellation, ihre Sonnen- und Schattenseite hatte. Auch heute wartet diese Aufgabe mit unterschiedlichsten Facetten auf.
Hier eine Beschreibung direkt aus der Praxis, die mir die Personalabteilung einer Firma als Vorinformation einer Veranstaltung zusandte:
Beispiel: Aktuelle Herausforderungen
Unsere Führungskräfte unterliegen in diesen Monaten zahlreichen zusätzlichen Belastungen:
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Personelle Umschichtungen: Hinzukommen beziehungsweise Verlust von Mitarbeitern als Funktionsträger an die jeweils andere Unternehmensgruppe.
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Abgeben und Hinzubekommen von Aufgaben.
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Finden der eigenen Vorstellung von Führungsaufgaben bei veränderten oder erweiterten Aufgaben.
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Entwickeln eines neuen persönlichen Konzeptes für den neuen eigenen Verantwortungsbereich.
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Einarbeiten der Mitarbeiter in veränderte oder erweiterte Aufgaben.
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Erkennen von Ängsten und Befürchtungen zur neuen Arbeitssituation.
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Motivation der Mitarbeitenden für die Veränderungen als Chance.
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Klärung von Schnittstellen bei Übergabe oder Übernahme erweiterter beziehungsweise anderer Aufgaben.
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Erstellen und Abstimmen von Beurteilungen und Zwischenzeugnissen.
Mit solch einem Arbeitspaket sind viele Führende zusätzlich zu ihrem normalen operativen Arbeitsalltag konfrontiert – nicht als Ausnahmeerscheinung, sondern als Dauerzustand. Kein Wunder, dass viele unter diesen Aufgabenstellungen langsam in die Knie gehen.
Unsere Arbeitswelt verlangt einen Bewusstseinssprung
In den Seminaren wird mir viel berichtet. Gleich, ob die Teilnehmer die Rolle des Geschäftsführers, einer Führungskraft oder eines Mitarbeiters ausfüllen, die meisten von ihnen sprechen von einer komplexen Gemengelage in ihrem beruflichen und auch privaten Umfeld, der sie sich nur teilweise gewachsen fühlen.
Gerade von Führungskräften wird heutzutage ein ungeheures Repertoire von Fähigkeiten verlangt. Gefragt sind Kompetenzen wie souveräne Selbststeuerung, innere Festigkeit und hohe Stressresistenz, Selbstvertrauen, Flexibilität, Freude an Neuerungen, Vertrauen in Wandel, klare Werteverankerung, kreatives Denken, einfühlsame Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit, natürliche Autorität, um Mitarbeitern in schwierigen Zeiten Halt und Ausrichtung zu schenken, Einschätzungsvermögen für die Belastbarkeit von Teammitgliedern, Prioritäten setzen können, Wesentliches von Unwesentlichen trennen können und so weiter. Welche Führungskraft wurde auf diese Aufgabe umfassend vorbereitet? Und wer findet in seinem Vorgesetzten ein klares Vorbild beziehungsweise erfährt von ihm Rückendeckung, um diesem Leistungsprofil gerecht zu werden?
Meine Erfahrung der letzten Jahre ist erschütternd und alarmierend: Egal, mit welcher Branche ich es zu tun habe, ein Drittel der Führenden erklärt mir, am Anschlag der Kräfte zu sein. Die Menschen erleben sich selbst oftmals als leer, urlaubsbedürftig, ausgepresst, überdreht, von sich selbst abgeschnitten. Diesen Leuten fällt es immens schwer, nach der Arbeit abzuschalten, manche können beim besten Willen ihre Batterien nicht mehr aufladen. Wie bei einer Autobatterie ist ihr innerer »Energiepegelstand« zu weit abgesunken, als dass sie sich selbst wieder aufladen könnten.
Einige dieser Personen befinden sich in einem täglichen Grenzgang – ihr persönlicher Kräftehaushalt schreit regelrecht nach einer Auszeit. Je mehr Verantwortung sie tragen, umso schwerer fällt es ihnen, sich dieses Bedürfnis einzugestehen. Im Gegenteil – Verantwortungsträger bemühen sich oft krampfhaft, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Für den täglichen Geschäftsablauf eines Unternehmens hat der verdeckte Burnout einer wichtigen Führungskraft oder gar des Geschäftsführers enorme Konsequenzen. Diese Personen sind einfach nicht imstande, klare, schnelle Entscheidungen zu treffen – und das kann verheerende Folgen haben.
Ein weiteres Drittel meiner Seminarteilnehmer meint, mit der Leistungsfähigkeit noch ganz gut zurechtzukommen. Diese Leute leiden zwar auch unter einem anhaltenden Druck, der ständig Kräfte zehrt, aber sie schaffen es immer wieder, sich dieser Erschöpfung zu entwinden und sich selbst etwas Gutes zu tun.
In den meisten Fällen befindet sich tatsächlich nur ein Drittel der Klienten im Vollbesitz der Kräfte. Diese Personen strahlen Energie und Lust an ihrer Arbeit aus – manche schämen sich regelrecht dafür, dass es ihnen gut geht.
Hier nur ein kleiner Ausflug in die aktuelle Zahlenwelt, wie auch immer sie interpretiert werden mag. Meine »Feldstudien« decken sich mit groß angelegten Befragungen, die von den unterschiedlichsten Instituten initialisiert werden. Die Ergebnisse der Befragungen kristallisieren heraus, dass die Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland im Job nicht die volle Leistung erbringen kann.
Die Personalprofis und vor allem auch die Geschäftsführer müssten aufhorchen: Psychische Erkrankungen scheinen zuzunehmen – nicht langsam, sondern schnell: Immer mehr Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden wegen psychischer Erkrankungen arbeitsunfähig geschrieben. Entsprechend klettert die Zahl der Krankenhausaufenthalte wegen psychischer Störungen gewaltig nach oben. Das belegen der DAK-Gesundheitsreport 2011 und der Barmer GEK Report Krankenhaus 2011.
Im vergangenen Jahr hielten diese Krankheiten 12,1 Prozent am Gesamtkrankenstand aller Versicherten bei der DAK. Im Jahr 2009 hatte derselbe Anteil noch bei 10,8 Prozent gelegen.